Kitabı oku: «Das Auge des Panthers», sayfa 2

Yazı tipi:

DREI

SEIT DER INDUSTRIELLEN REVOLUTION galt Chemnitz als bedeutende Industriestadt. Die Wanderer-Werke, der Maschinenbau und der hier gegründete Patentschutzverein hatten der Stadt zu Reichtum und Ansehen verholfen. Doch nach dem Weltkrieg waren zahlreiche Unternehmen zusammengebrochen, und viele Bürger hatten ihre Arbeit verloren. Not und Armut beherrschten das Stadtbild. Und so war aus der blühenden Arbeiterstadt ein verfallendes Ruß-Chamtz geworden.

Konrad Katzmann wärmte sich seine Hände am Kachelofen in der Wohnung seines Freundes. Dabei warf er einen Blick aus dem Fenster. Es regnete in Strömen.

Sein Weg hatte ihn zu Max Wachtler geführt. Seinem früheren Schulkameraden gehörte eine Bar in Chemnitz. Es hieß, dass es im Roten Fuchs ein Hinterzimmer gab, in dem sich die Chemnitzer Unterwelt traf. Für Katzmann war das jedoch nur ein Gerücht. Er wusste nur eines: dass er sich jederzeit auf Max verlassen konnte, wenn er in Chemnitz Unterstützung brauchte.

Als sie beide noch Kinder waren, hatte er seinen Freund einmal aus dem Wasser gezogen, als dieser sich zu weit aufs Eis gewagt hatte und eingebrochen war. Das hatte Max ihm nie vergessen.

Der Barbesitzer wohnte in einem Siedlungshaus an der Schloßteichstraße – nur einen Steinwurf von der Haubold’schen Maschinenfabrik entfernt. Seine Stube war ein Sammelsurium aus Emaille- und Steingutgeschirr, einem Kohleofen und einer Anrichte mit zwei Abwaschbecken. Der grob gescheuerte Holztisch bot ausreichend Platz für die beiden Männer.

Der Herbst machte seinem Namen an diesem Tag wirklich alle Ehre. Ein wolkenverhangener Himmel wölbte sich über der Stadt. Es regnete so heftig, dass die Straßenabläufe der Wassermassen kaum noch Herr wurden. Einige Straßen waren bereits überschwemmt, und es war nur noch eine Frage von Stunden, bis die Chemnitz über ihre Ufer treten würde. Ein bitterkalter Wind pfiff um die Hausecken und rüttelte an den Fenstern.

Der Wasserkessel auf der Herdplatte gab ein schrilles Pfeifen von sich. Max angelte ein Geschirrtuch vom Halter und goss das Wasser in zwei Becher mit Kräutertee. Einen davon stellte er seinem Besucher hin.

Katzmann drehte den Becher zwischen den Händen hin und her und genoss die angenehme Wärme. «Erzähl mal, was gibt es Neues bei dir?», forderte er seinen Freund auf.

«Ach, nicht viel. Ich arbeite, schlafe, und dann arbeite ich wieder. Du kennst das ja. Außerdem suche ich gerade nach einem Kraftwagen. Es wird höchste Zeit, dass ich mobil werde.»

«In der Tat. Ich könnte mir ein Leben ohne meine NSU gar nicht mehr vorstellen.»

«Du und dein Motorrad – zwei echte Frauenfänger!» Der Freund zwinkerte ihm zu.

Katzmann winkte ab. «Und in der Stadt? Irgendwelche bemerkenswerten neuen Geschichten?»

«O ja, die gibt es tatsächlich! Die Polizei hat zwei Kleinkriminelle verhaftet. Sie wurden auf frischer Tat ertappt, wie sie in die Villa vom alten Steinert eingebrochen sind. Böser Fehler, wenn du mich fragst. Sie haben ihn ausgeraubt und umgebracht. Drüben am Zeisigwald. Kurios ist nur, dass ihre Beute spurlos verschwunden ist. Als die Polizei ankam, waren die beiden Ganoven noch da, aber die Wertsachen nicht.»

«Das gibt es doch nicht!»

«Das hat die Polizei auch gedacht.»

«Vielleicht haben sie die Beute irgendwo versteckt?», mutmaßte Katzmann.

«Keine Ahnung. Sie behaupten, jemand sei ihnen zuvorgekommen und habe den Steinert umgebracht. Aber mal ehrlich: Wie wahrscheinlich ist es, dass in eine Villa am selben Abend gleich zweimal eingebrochen wird?»

«Das wäre wirklich ein großer Zufall.»

«Eben! Die Polizei hält die beiden für Serientäter.»

Katzmann horchte auf. «Soll das heißen, sie haben noch mehr Einbrüche auf dem Gewissen?»

«Möglich wäre es. Natürlich streiten sie es ab. Sicher ist aber, dass in den vergangenen Monaten öfter als sonst eingebrochen wurde. Dabei sind die Kerle nicht nur in Mietswohnungen für ein paar lumpige Scheine eingestiegen, sondern haben richtig fette Beute gemacht.»

«Davon habe ich gehört. Die Einbrüche ziehen sich durch ganz Sachsen und tragen immer dieselbe Handschrift, nicht wahr?»

«Ganz genau. Die Einbrecher haben alles ziemlich raffiniert ausgeklügelt. Bisher waren sie der Polizei immer zwei Schritte voraus.»

«Das klingt aber nicht nach zwei Kleinkriminellen.»

«Dazu darfst du mich nicht fragen.» Max zuckte die Schultern. «Die Polizei wird schon dahinterkommen. Angeblich sind sie nur in Villen eingebrochen, deren Besitzer gerade ausgegangen waren. Ins Kino oder ins Konzert. Schnell hin und schnell wieder weg, das war ihre Methode. Diesmal gab es allerdings ein Opfer.»

Katzmann nippte an seinem Tee. «Vielleicht hat der Hauseigentümer sie überrascht. Es kann doch sein, dass er geplant hatte auszugehen, es sich aber im letzten Moment noch anders überlegt hat.»

«Gut möglich. Bis jetzt tappt die Polizei noch ziemlich im Dunkeln. Die Kerle haben in mindestens sechs Städten zugeschlagen. Und weißt du, was merkwürdig ist?»

«Was denn?»

«Es gab in jeder einzelnen Stadt ungefähr eine Woche lang jeden Abend einen Einbruch. Und dann war die nächste Stadt an der Reihe. Als hätte sich der Einbrecher in Luft aufgelöst, um woanders wiederaufzutauchen.»

«Und nun war Chemnitz dran?» Katzmann nahm seine Brille ab und rieb sich die Nasenflügel. «Wenn die beiden Kleinganoven die Wahrheit sagen, hat noch jemand anderes die Finger im Spiel. Der wurde noch nicht erwischt und könnte jederzeit wieder zuschlagen.»

«Ja, das kann schon sein.»

«Findest du das nicht beunruhigend?»

«Eigentlich nicht. Hast du etwa Angst, Konrad, dass dir jemand mein Sofa unter dem Hintern wegstiehlt, solange du bei mir bist?», neckte Max seinen alten Freund. «Keine Sorge! Wie ich schon sagte: Bis jetzt hatten die Einbrecher es immer auf gutbetuchte Zeitgenossen abgesehen. Zu mir verirren sie sich bestimmt nicht.»

«Dann bin ich ja beruhigt. In deiner Bruchbude würden sie wohl eher noch etwas dalassen», ging Katzmann auf den lockeren Ton seines früheren Schulfreundes ein. «Was gibt es denn sonst Neues bei dir, Max?»

«Ach, das Übliche. Hab viel zu tun mit meiner Bar.»

«Eine Frau in Sicht?»

«Jede Menge!» Sein Freund grinste jungenhaft. «Aber nur, wenn ich Drinks austeile. Und bei dir?»

«Ach, erinnere mich bloß nicht daran …»

«Oha, Frauenprobleme! Was ist denn los? Bei deinem Aussehen hast du doch bestimmt keine Probleme, ein Mädel herumzukriegen. Also nehme ich an, du musst eins loswerden …»

Katzmann schüttelte den Kopf. «So einfach ist das nicht.»

«Mensch, warum machst du es dir so schwer? Es gibt zahllose Möglichkeiten, sich aus der Schlinge zu ziehen. Such dir eine andere. Benimm dich so, dass sogar ein Neandertaler vor Scham im Boden versinken würde. Oder das Beste von allem: Schlag ihr vor, dass deine Eltern bei euch einziehen sollen.»

«Das würde nicht funktionieren. Sie mag meine Eltern.»

«Oh, das ist natürlich ein Problem.»

«Nein, ist es nicht. Ich will Frieda ja überhaupt nicht loswerden. Ich möchte sie nur noch nicht heiraten», erklärte Katzmann.

«Ah, jetzt kommen wir zum springenden Punkt. Du willst sie nicht heiraten, aber sie hat dich an der Angel, was?»

«So in etwa», räumte Katzmann ein. «Sie beschwert sich, dass ich zu wenig Zeit für sie habe.»

«So sind die Frauen eben! Kaum sind wir mal fünf Minuten woanders, glauben sie schon, wir würden sie verlassen. Du solltest dir das nicht so zu Herzen nehmen.»

«Nein, sie hat ja recht. Ich gehe ihr tatsächlich aus dem Weg.» Nachdenklich starrte der Reporter auf die Fensterscheibe und beobachtete, wie die Regentropfen daran herabrannen. «Frieda möchte unbedingt bald heiraten, und damit komme ich nicht klar. Ich mag keine Veränderungen, weißt du?»

«Wie lange seid ihr denn zusammen?»

«Seit zwei Jahren ungefähr.»

Der Barmann pfiff leise durch die Zähne. «Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Kein Wunder, dass das Mädel einen Schritt weitergehen will. Du wirst dich entscheiden müssen.»

«Danke, du bist mir eine große Hilfe. Noch mehr Druck ist genau das, was mir gefehlt hat.»

«Ich meine ja nur, dass du eine Wahl treffen solltest. Heirate sie, oder lass es. Tu, was immer du willst. Aber unternimm etwas. Es ist nicht anständig, sie am langen Arm verhungern zu lassen.»

Katzmann seufzte. «Das weiß ich, aber es läuft gerade alles gut zwischen uns. Warum sollen wir das jetzt zerstören? Eine Ehe ist ein enormer Schritt. Immerhin bindet man sich für das ganze Leben. Das sollte man nicht überstürzen. Warum muss man überhaupt heiraten?»

«Das darfst du mich nicht fragen. Ich war nie verheiratet und hab es auch nicht vor. Aber du solltest dir überlegen, warum deine Kleine dich unbedingt heiraten will.»

«Sie möchte Kinder. Und … na ja … seit ihre Freundinnen eine nach der anderen heiraten, redet sie von nichts anderem mehr. Ich träume nachts schon davon, dass sie mich betäubt und vor den Altar zerrt!»

«Verstehe … In so einem Fall hilft nur noch Alkohol. Möchtest du Whisky, Wodka oder lieber Rum?»

Katzmann zuckte die Schultern. «Wieso ‹oder›?»

«Ein echter Notfall also», konstatierte sein Freund und schüttete jeweils zwei Fingerbreit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in zwei Gläser.

Es blieb nicht bei diesen beiden. Bis in die Nacht hinein saßen sie zusammen. Sie sprachen über Frauen, spekulierten über die Politik und tüftelten Theorien darüber aus, was die beiden verhafteten Kleinganoven auf dem Gewissen hatten und was nicht.

Als Katzmann am nächsten Morgen aufwachte, ging es ihm miserabel. Ihm brummte nicht nur der Schädel, in seinem Mund hatte sich auch ein bohrender Schmerz eingenistet. Ein Schluck Kaffee brachte ihm keine Erleichterung, sondern vergrößerte seine Pein nur noch. Es fühlte sich an, als würde jemand mit einem glühenden Span in seinem rechten Backenzahn herumwühlen. Damit kam er auf keinen Fall durch den Tag! Notgedrungen ließ er sich von seinem Freund einen Zahnarzt empfehlen. Dr. Febrich hatte seine Praxis ganz in der Nähe, Am Markt 17. Widerstrebend machte sich der Reporter auf den Weg.

Er hatte Glück und kam gleich als Erster an die Reihe. Aber als sein Blick auf den Tretbohrer fiel, hätte er am liebsten gleich wieder kehrtgemacht. Das Gestell erinnerte entfernt an ein Spinnrad, verfügte über ein Fußpedal und ein sich drehendes Rad. Allerdings baumelte am Ende kein Faden, sondern ein funkelnder Bohrer, der aussah, als könnte man damit problemlos auch Ziegelwände durchbohren.

«Setzen Sie sich!», ermunterte ihn der Mediziner. «Und jetzt machen Sie den Mund schön weit auf … Oh, ich sehe schon, wo das Problem ist. Sie haben da einen ziemlichen Krater. Lieber Himmel, sind Sie sicher, dass darin noch niemand verlorengegangen ist?»

«Ah», machte Katzmann. Mehr brachte er mit seinem weitgeöffneten Mund nicht heraus.

«Na schön, ich muss die Karies herausbohren, sonst wird es nur schlimmer. Wollen Sie die Behandlung mit Lachgas oder ohne?»

«Ah …»

«Also ohne. Ein gestandener Kerl wie Sie verträgt schon etwas, hab ich recht?» Damit griff der Zahnarzt zum Bohrer, stemmte sich ins Pedal und begann mit einer Prozedur, die dem Reporter den Schweiß auf die Stirn trieb.

Er krallte die Hände in die Armstützen, während der Arzt den Bohrer immer tiefer trieb – scheinbar bis in seine Eingeweide hinein. Es knirschte und kreischte, bis ihm sein Schädel zu platzen drohte. Er sank immer tiefer in das Polster des Zahnarztstuhls und glaubte schon, die Marter würde immer so weitergehen. Doch da hatte es endlich ein Ende, und er bekam etwas in den Zahn geschmiert, das seltsam metallisch schmeckte.

Wenig später richtete sich der Arzt auf und strahlte ihn an.

«Nun, das war doch gar nicht so schlimm, oder?»

«Ah», machte Katzmann schwach.

Wenig später wankte er aus der Praxis, erleichtert, die Tortur hinter sich gebracht zu haben. In seiner rechten Wange pulsierte der Schmerz, und seine Knie waren butterweich.

Plötzlich fiel sein Blick auf ein Plakat, das am Zaun gegenüber festgemacht war. Circus Rosario, stand da in großen bunten Lettern. Kommen Sie! Sehen Sie! Staunen Sie! Erleben Sie zwei Stunden, von denen Sie noch Ihren Enkeln erzählen werden!

Ein Zirkus gastierte also in der Stadt. Genauer gesagt auf dem Jahrmarktsplatz an der Planitzstraße. Wo ist das noch gleich?, grübelte der Reporter. Ach ja, hinten bei den Kasernen am Zeisigwald. Das war ein Stück von hier entfernt, aber nicht aus der Welt.

Vielleicht eine halbe Stunde zu Fuß. Und nach dieser schmerzhaften Prozedur wäre heute Abend ein wenig Entspannung genau das Richtige. Er beschloss, an diesem Abend den Zirkus aufzusuchen. Dabei ahnte er noch nicht, dass er dort vieles finden würde – nur keine Entspannung …

VIER

«MISTWETTER!» Missmutig vergrub Max Wachtler die Fäuste in den Taschen seiner Lederjacke. «Ich frage mich wirklich, was wir hier machen.»

«Wir schauen uns eine Vorstellung im Circus Rosario an.» Katzmann schob seinen Freund zwischen den Bankreihen hindurch zu zwei Logenplätzen. Er hatte die teuersten Karten gekauft, um sich für die Einladung nach Chemnitz zu bedanken. Allerdings war sein Freund alles andere als begeistert von der Aussicht, zwei Stunden im Zirkus zu verbringen.

«Ich habe keinen Sinn für solchen Unsinn», moserte er.

«Wann warst du denn das letzte Mal im Zirkus?»

«Noch nie.»

«Noch nie? Dann wird es aber höchste Zeit! Du weißt ja gar nicht, was dir entgeht. Es wird dir gefallen, versprochen. Oder machst du dir Sorgen um deine Bar?»

«Nein, die ist in guten Händen. Ich habe meine Angestellten sorgfältig ausgesucht, die kommen auch mal einen Abend ohne mich klar. Allerdings wäre ich jetzt lieber mit dir im Wald.»

«Ich auch, aber bei diesem Wetter können wir ohnehin nicht wandern gehen.»

«Das ist auch wieder wahr.» Max fuhr sich durch die Haare, die ihm regennass am Kopf klebten.

Gegen Abend war der Regen sogar noch stärker geworden. Im Innern des Zirkuszeltes spürte man jedoch nichts davon. Es war angenehm warm und trocken, und es roch nach Sägespänen, Leder, Schmieröl und einem Hauch Dung.

Allmählich füllten sich die Reihen. Zuschauer unterhielten sich, knabberten kandierte Äpfel und reckten die Hälse, um einen Blick auf die Artisten zu erhaschen, wenn der Vorhang am Rand der Manege ein wenig zur Seite geweht wurde.

Vor dem Eingang hatte man Bretter ausgelegt und Sägespäne verstreut, um den Zuschauern einen sicheren Tritt zu gewährleisten. Der Jahrmarktsplatz war nach dem Regen verschlammt. Wer von einem der Bretter abrutschte, drohte bis zum Knie im Schlamm zu versinken.

Der Circus Rosario lockte Groß und Klein in sein Zelt. Schon bald waren die Bankreihen voll besetzt, und im hinteren Teil mussten sogar einige Zuschauer stehen.

Ein Tusch ließ das Stimmengewirr verstummen. Das Licht wurde gelöscht, nur ein einzelner Strahl fiel noch auf den Zirkusdirektor in der Manege. Er war ein Bär von einem Mann. Mit einem üppigen schwarzen Schnurrbart und Schultern, die breit genug waren, einen Ochsen zu stemmen. Trotz des herbstlich trüben Wetters war seine Haut braun, was südländische Wurzeln vermuten ließ. Er trug ein glitzerndes Jackett und schwenkte einen Zylinder in der Hand.

«Herzlich willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kommen Sie mit mir in die Traumwelt des Circus Rosario! Lassen Sie sich verzaubern von atemberaubender Akrobatik in schwindelnder Höhe, von zwerchfellerschütternder Clownerie und von gefährlichen Raubtieren, denen Sie heute Abend so nahe kommen werden wie noch niemals zuvor in Ihrem Leben!»

Katzmann hörte seinen Freund gelangweilt knurren. Doch es dauerte nicht lange, dann saß Max wie gebannt auf seinem Platz. Die erste Nummer begann, und was die Artisten zeigten, war sensationell. Ein Akrobat hing kopfüber am schwingenden Trapez und wirbelte eine zierliche Frau durch die Luft, ließ sie dann unerwartet los, worauf sie sich dreimal um sich selbst drehte. Im nächsten Augenblick fing ein zweiter Akrobat sie wieder auf –

ebenfalls kopfüber.

«Wahnsinn, warum nehmen die denn kein Netz?», murmelte Max. «Es ist doch lebensgefährlich, was sie da machen! Wenn die Frau aus dieser Höhe abstürzt, bricht sie sich höchstwahrscheinlich das Genick.»

«Sie verzichten für das Publikum darauf», mutmaßte Katzmann. «Mit einem Netz wäre die Nummer interessant, aber ohne ist sie schlichtweg atemberaubend.»

«Woher weißt du denn das?»

«Ich hab es mir zusammengereimt.» Er lehnte sich zurück. Die nächsten Nummern flogen an ihm vorüber, und jede war auf ihre Art faszinierend.

Während einer kurzen Pause bauten Helfer ein Gitter rings um die Manege auf. Und dann kündigte der Direktor eine weitere Attraktion an. Fünf schwarze Panther wurden zu ihm in die Manege gelassen. Mit langen Sätzen stürmten sie herein, umrundeten ihn einmal, wirbelten Sägespäne auf und ließen eine Frau in der ersten Reihe erschrocken aufschreien.

Der Direktor stand wie ein Felsen in der Mitte. Ein Peitschenknall, und die Panther sprangen auf ihre im Kreis aufgestellten Hocker. Ein weiterer, und sie wechselten synchron ihre Plätze. Geschmeidig und anmutig. Ihr schwarzes Fell glänzte im Licht der Scheinwerfer. Mit knappen Befehlen hielt der Dompteur die glänzenden schwarzen Körper in Bewegung. «Du bist dran, Danu!»

Als der Panther seinen Namen hörte, sprang er mit einem Satz auf ein mannshoch aufgespanntes Seil und balancierte darüber, als wäre es die einfachste Sache der Welt. Dann kehrte er auf seinen Platz zurück.

Nun wirbelte eine junge Frau in den Käfig. Grazil, mit rötlichen Locken und in einem knappen Kleid, das mit glitzernden Stickereien versehen und am Saum mit Fell besetzt war. Es war so kurz, dass es mehr von ihren schlanken Beinen enthüllte, als es verbarg. In der Hand hielt sie einen brennenden Reifen. «Komm schon, Balor!»

Einer der Panther sprang durch ihren Reifen und wurde mit einem lobenden Zuruf belohnt.

«Und nun legt euch alle hin!»

Auf das Geheiß des Dompteurs rollten sich die Panther einer neben dem anderen zu Füßen der Assistentin aus. Sie warf den Reifen einem Helfer zu, winkte kurz ins Publikum und legte sich mit einer geschmeidigen Bewegung zwischen die Raubkatzen. Sie schlang ihre zarten Arme um einen der Panther. Er fauchte und zeigte seine spitzen Zähne.

Katzmann hielt den Atem an. Kaum eine Handbreite trennte das anmutige Gesicht der Assistentin von den todbringenden Reißzähnen des Raubtieres. Sein Herz hämmerte plötzlich heftig gegen seine Rippen. Wenn sich das Biest vergaß, würde es das bildschöne Antlitz zerstören …

Da stieß ihn sein Freund plötzlich an. «He, du bist ja noch schlimmer als die Panther!»

«Was? Wieso?»

«Du verschlingst sie ja förmlich mit den Augen.»

«Wovon redest du eigentlich? Ich bewundere nur die Panther.»

«Von wegen! Wen du bewunderst, ist unschwer zu sehen.» Katzmann winkte ab und hätte fast verpasst, wie die Assistentin mit einer fließenden Bewegung aufstand und die Raubkatzen aus der Manege lotste. Während die Helfer den Käfig abbauten, wirbelte ein Clown durch die Zuschauerreihen und machte mit ihnen seine Späße.

Katzmann verspürte den Drang, sich zu erleichtern. «Bin gleich wieder da», murmelte er und schob sich kurzerhand durch die Zeltklappe ins Freie.

Es regnete noch immer, und so stülpte er seinen Hut auf und sah sich suchend um. Ob es hier einen Abort gab?

Niemand war zu sehen, den er fragen konnte. Er eilte die Stufen vom Zelt hinunter und folgte den Brettern zum Eingang. Doch auch hier war kein Mensch zu sehen. Vermutlich verfolgten die meisten Zirkusleute die Darbietungen. Oder sie waren vor dem Regen ins Warme geflüchtet.

Suchend drehte sich der Reporter im Kreis und steuerte dann kurzentschlossen auf die Wohnwagen zu, die rings um das Zirkuszelt aufgebaut waren. Irgendwo musste er doch jemanden finden, den er fragen konnte!

Plötzlich gellte eine schneidende Männerstimme in der Nähe auf. Die Tür zu einem Wohnwagen stand offen, und aus dem Innern drang dumpfes Poltern.

«Dieses Thema ist noch nicht beendet, Albert!»

«Und ob es das ist! Ich werde den Zirkus nicht aufs Spiel setzen, nur weil du von mir verlangst, den Hilfskräften mehr zu bezahlen.»

«Aber sie verdienen kaum genug, um satt zu werden!»

«Für Schnaps scheint das Geld aber zu reichen. Hast du nicht bemerkt, dass die Hälfte von denen abends betrunken ist?»

«Du übertreibst mal wieder. Wenn du ihnen ihre Tätigkeit nicht endlich angemessen honorierst, werden sie die Arbeit niederlegen. Willst du das vielleicht?»

«Drohst du mir etwa, Erich? Willst du die Arbeiter womöglich dazu anstiften?»

Ein dumpfer Schlag folgte. Dann stürmte ein hagerer Mann aus dem Wohnwagen, gefolgt von einem zweiten, der gut doppelt so schwer war wie er. Die beiden Männer waren einander wie aus dem Gesicht geschnitten. Beide hatten dichtes dunkles Haar, buschige Schnurrbärte und stechende graue Augen. Sie ähnelten einander wie Brüder – abgesehen von ihrer Statur.

Der Stattlichere der beiden war der Zirkusdirektor in seinem glitzernden Jackett, das sich über seinem beachtlichen Bauch spannte. Sein Kontrahent trug eine abgewetzte blaue Arbeitshose, die an den Knien mehrfach geflickt war. Und dazu Stiefel, die schon fast auseinanderfielen. Er rieb sich mit finsterer Miene den Kiefer.

Hatten sich die Männer etwa geprügelt? Keiner von beiden würdigte Katzmann eines Blickes. Stattdessen verschwanden sie im Seiteneingang des Zirkuszeltes. Der Reporter wandte sich kopfschüttelnd um und setzte seine Suche nach einer Möglichkeit fort, Wasser zu lassen Nachdem er sich kurzentschlossen an einem der Wohnwagen erleichtert hatte, kehrte er ins Zelt zurück. Gerade noch rechtzeitig, um die Dressurpferde zu erleben.

Danach betrat der Direktor wieder die Manege. Die Auseinandersetzung von eben war ihm nicht anzusehen, stattdessen breitete er die Arme aus und rief enthusiastisch: «Und nun erleben Sie eine echte Sensation: eine junge Frau auf dem Drahtseil! Völlig schwerelos scheint sie darüber zu tanzen. Aber bedenken Sie wohl, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Sturz aus einer solchen Höhe hätte fatale Folgen. Und hier ist sie nun!»

Der Scheinwerfer schwenkte zum Vorhang. Trommelwirbel setzte ein. Doch sekundenlang geschah nichts. Die Zeit dehnte sich. Das Publikum wurde unruhig. Stimmen raunten. Hier und da wurde Gelächter laut.

Der Direktor tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Dann wandte er sich wieder an seine Zuschauer.

«Wie es aussieht, hat sich unsere Nelly auf dem Weg ins Zelt verlaufen. Vielleicht hätte ich ihr ein Seil aufspannen sollen.»

Das Publikum lachte. Man hielt seine Worte für einen Teil der Vorstellung, aber Katzmann war sich da nicht so sicher. In den grauen Augen des Direktors stand Sorge, als er nun eine andere Nummer ankündigte und dann auffallend schnell die Manege verließ.

Hatte es hinter dem Vorhang etwa eine Panne gegeben?

₺201,72