Kitabı oku: «Mein Weg»

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Mein Weg - Vom Spreizgips zum Triathlon

1. Auflage, erschienen 10-2020

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Text: Kay Schneider

Layout: Romeon Verlag

ISBN (E-Book) : 978-3-96229-858-6

www.romeon-verlag.de

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KAY SCHNEIDER

MEIN WEG

VOM SPREIZGIPS ZUM TRIATHLON

Mein Dank gilt in allererster Linie meinem Mann Detlef, der mich auf meinem sportlichen Weg mit unendlicher Geduld begleitet, motiviert und unterstützt hat sowie auch während des Schreibens dieses Buches immer an meiner Seite stand.

Ich widme dieses Buch meinem Mann und unseren Kindern

Jetzt ist es also vollbracht: Ich habe meinen ersten Triathlon auf der olympischen Distanz geschafft! Wenn ich die Augen schließe, sehe ich immer noch den blauen Teppich des Zieleinlaufes vor mir und höre die frenetischen Anfeuerungsrufe des tollen Hamburger Publikums. Gänsehautfeeling! Freude pur! Getrübt nur durch die Tatsache, dass mein Mann Detlef auf zwei Krücken im Ziel steht. Meine Glücksgefühle sind der Lohn für endlose Quälereien. Knapp über 4 Stunden war ich in Hamburg bei einem der schönsten Triathlons unterwegs. Das ist eine eher schlechte Zeit für 1.500 m Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen. Aber das war auch nicht anders zu erwarten und ist für mich völlig okay. Ich wollte ankommen und ich wollte dieses Ankommen genießen. Beides habe ich erreicht, glücklich erreicht. Für mich ist das etwas ganz Besonderes, mein persönlicher Ironman. Es war ein langer Weg bis dahin. Aber ich will der Reihe nach berichten.

Geboren und aufgewachsen bin ich in einem kleinen Ort östlich von Berlin. Fast alle Bewohner waren Eisenbahner, damals bei der Deutschen Reichsbahn, auch meine Eltern. Zum Zeitpunkt meiner Geburt stand die Mauer, die Ost und West noch lange Jahre trennen sollte, gerade ein halbes Jahr. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft waren 20.000 Sowjetsoldaten stationiert, es war die Zeit des Kalten Krieges. Die Busfahrten von einer Ortschaft zur nächsten sind verbunden mit einer Geruchsmischung, die ich wohl nie vergessen werde:

Diesel, Öl, das aufdringliche Parfüm der russischen Frauen – Rotes Moskau – und die Stiefelcreme der Soldaten. Mir wurde regelmäßig schlecht.

Ich tat mich wohl etwas schwer, auf die Welt zu kommen, musste per Kaiserschnitt geholt werden. Nachdem ich mich mit ca. 9 Monaten nicht altersgerecht bzw. gar nicht bewegte, stellte man eine Hüftdysplasie fest. Vereinfacht gesagt, die Hüftkugel lag nicht so in der Hüftpfanne, wie es sein sollte. Die Dysplasie war mit bloßen Augen zuvor nicht erkennbar gewesen. Heute sind Ultraschalluntersuchungen fester Bestandteil der Vorsorgeuntersuchung von Neugeborenen. Vermutlich hatte ich sogar Glück, dass die Erkrankung damals schon so „früh“ erkannt worden war. Die Möglichkeiten der konservativen Behandlung bestehen in Spreizhosen, Streckbehandlung oder Gips. Mir wurde für die Dauer von 9 Monaten ein Spreizgips verordnet, die Möglichkeit einer Orthese, also einer Hüftbeugerschiene gab es wohl zu diesem Zeitpunkt nicht.

Das bedeutete medikamentöse Ruhigstellung bei jedem Gipswechsel, anstrengende Pflege des Kindes etc. Da kam dann also meine Mutter mit ihrer knapp einjährigen Tochter aus dem Krankenhaus: Das Kind im Spreizgips, dazu ein entsprechend breiter Sportwagen, damit genügend Sitzfläche vorhanden war. In dem kleinen, knapp 2.000 Einwohner zählenden Dorf war sie den Blicken und Kommentaren – „Die lernt nie laufen!“ – der Nachbarn, die einen mitfühlend, die anderen hämisch, ausgesetzt. Natürlich war das schwierig und machte Angst.


Meist wurde der Spreizgips verdeckt

Wahrscheinlich war dies auch der Grund für ein Übermaß an einengender Fürsorglichkeit. „Übervorsichtigkeit“, „Kokon“ – das sind Begriffe, die mir dazu einfallen. Mit etwa zweieinhalb Jahren lernte ich dann doch endlich Laufen. Ärzte, die von jeder sportlichen Bewegung abrieten, ja sogar warnten, bestärkten meine Eltern in ihrer Vorsichtigkeit. Krankengymnastik, Physiotherapie o. ä. gab es nicht. Kein Springen, kein Laufen, hieß es immer wieder – nur Schwimmen und Radfahren waren erlaubt. Immerhin – mag man denken. Allerdings war das nächste Schwimmbad mit dem Auto in einer knappen Stunde zu erreichen, mit dem Zug brauchte man noch länger. Bei aller vorhandenen Mobilität meiner Eltern – wir sprechen über die 70er-Jahre in der DDR – war dies dann doch zu weit für regelmäßige Unternehmungen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass meine Eltern jemals eigene Fahrräder gehabt haben.

Mein Vater hatte im 2. Weltkrieg eine Begegnung mit einer Mine und dabei ein Bein verloren. Die Prothese an seinem Bein gehörte für mich zum Alltag, war völlig normal. Allerdings kamen dadurch für ihn weder Radfahren noch Schwimmen infrage. Ich kann heute nicht beurteilen, ob es möglich gewesen wäre, spezielle Prothesen zu erhalten und so doch etwas beweglicher zu sein. Vermutlich war es eher schwierig. Andererseits gab es in der DDR auch Behindertensport. Allerdings sehe ich auch meinen Vater vor mir am Strand, mit Prothese und langer Hose darüber. Immer. Er hat das ihm verbliebene halbe Bein nie öffentlich gezeigt. Leider habe ich ihn nie danach gefragt.

Sport war ein Wort, das im Leben meiner Eltern stets mit Anstrengungen und Schmerzen verbunden und damit nahezu komplett negativ besetzt war.

Ich war ein dünnes, zartes Mädchen mit kurzem Jungenhaarschnitt, später Zöpfen. „Sie isst zu wenig“, hieß es immer. Einen Kindergarten besuchte ich nicht. Ziemlich oft war ich krank; Mumps, Windpocken, Keuchhusten und andere Infekte. Der Umgang mit anderen Kindern gestaltete sich schwierig. Es gab viele Kinder in unserer Nachbarschaft. Nur mit wenigen konnte ich jedoch spielen. Immer wieder hieß es „nicht rennen“, „nicht hopsen“. Viele Spiele, viele Aktivitäten anderer Kinder waren für mich einfach tabu. Das hieß zuschauen und abseits stehen. Wir wohnten in einem zweigeschossigen Siedlungshaus mit einem Hof dahinter und einem kleinen Garten. Einen Spielplatz gab es nicht, aber genug Platz zum Spielen und sogar eine Wiese. Beliebt war damals das Hüpfspiel – wir sagten „Hopse“ dazu: Quadrate wurden in den Sand gemalt und man warf einen Stein oder eine sorgsam gehütete farbige Glasscherbe. Mal sprang man mit beiden Beinen, mal nur mit einem Bein. Zaghaft versuchte ich, auch zu springen. Mal hatte ich mehr Erfolg, mal weniger – eigentlich wie die anderen. Wir standen zusammen, alberten rum, ärgerten uns, wenn andere besser waren. Am Abend kam dann von meiner Mutter nicht die Frage, ob ich Spaß gehabt hätte, sondern Sätze wie „Na, du musst ja wissen, was du willst“, dazu ein beleidigter Blick, weil ich ihre „Anweisungen“ missachtet hatte. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen.


Das gleiche Prozedere lief ab bei der Gummihopse, einem Spiel, bei dem ein „Schlüpfergummi“ die Sprunghöhe bestimmte. Ich spielte immer nur bis zu einer geringen Höhe mit.

Unverständnis bei den anderen: „Du hast doch gar nichts!“ Natürlich – mein „Gebrechen“ war mir ja nicht anzusehen. Und ich war ein überaus braves Kind. Alle Ermahnungen und Warnungen fielen auf einen fruchtbaren Boden. Nein, ich wollte nicht hinken, nicht schief laufen wie eine der Frauen aus unserem Dorf. Natürlich wollte ich das nicht, und ich wollte ja auch meinen Eltern keinen Kummer machen.


Einschulung


Jungpionier

Ein sensibles kleines Mädchen, das den sorgenvollen Blicken der Mutter ausgesetzt ist, macht alles, damit es der Mutter gut geht. Am Ende verzichtet es auf Freunde. Ich glaube heute, dass die Sorgen und Ängste damals gepflanzt wurden und mich lange Jahre meines Lebens begleitet haben.

Mit 7 Jahren kam ich in die Schule. Mit dabei hatte ich eine Sportbefreiung, ausgenommen Schwimmen und Radfahren und leichte Gymnastik. Hier hätte eine Chance bestanden, jetzt endlich mit einfachen, grundlegenden Bewegungen anzufangen, etwas aufzubauen, Muskeln aufzubauen. Diese Chance wurde leider vertan. Die Schule, der Sportlehrer, waren der Meinung, ich brauche nicht „extra deshalb“ zur Schule zu kommen, könne zu Hause bleiben. So hatte ich also zweimal in der Woche Freistunden und war begeistert. Unglaublich! Während die anderen zusammen in die etwas entfernte Sporthalle gingen, war ich zu Hause bei meiner Mutter. Heute frage ich mich, warum dieser Lehrer ausgerechnet das Fach Sport unterrichtet hat. Was hatte er unter seinem Bildungsauftrag verstanden? Wer, wenn nicht er als Sportlehrer, als Studierter der Sportwissenschaft, hätte es besser wissen müssen? Natürlich fand ich es toll, mehr Freizeit zu haben und nicht zum Sportunterricht zu müssen. Ich habe den Sport nicht vermisst, weil ich ihn gar nicht kannte. So ganz nebenbei gingen mir allerdings auch weitere soziale Kontakte verloren. Das Kämpfen im Sportunterricht, die Spiele miteinander und gegeneinander lernte ich nicht kennen.

Noch bevor ich zur Schule kam, erhielt ich ein Fahrrad und mein Vater brachte mir mühsam – er konnte ja nicht wirklich hinterherlaufen – das Radfahren bei. Später, etwa mit 12 Jahren kauften meine Eltern mir ein sogenanntes Klappfahrrad. Das war praktisch, weil sowohl im Sitz als auch am Lenker höhenverstellbar. Es konnte sozusagen mit mir mit wachsen. Der deutliche Nachteil war, dass ich eine extrem hohe Trittfrequenz benötigte, um vorwärts zu kommen. Meine Unternehmungen mit diesem Rad beschränkten sich auf 2 bis 3 Kilometer durchs Dorf. Mit Radfahren im eigentlichen Sinn hatte dies nicht im Entferntesten etwas zu tun. Ich erinnere mich an eine Radtour mit der Klasse, an der ich teilnehmen durfte. Während die anderen munter losradelten, quälte ich mich mit Abstand hinterher und musste dann irgendwann mit dem Auto zurückfahren. Wieder war ich die Außenseiterin.

Etwa ein Jahr später sollte ich dann doch endlich schwimmen lernen, und zwar in den Sommerferien im Freibad der nächstgelegenen Kreisstadt. Abgesehen von der Qualität dieses Kurses, über die meine jetzige Trainerin ganz sicher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, waren natürlich auch die Sommer damals nicht nur sonnig. Und so kam es, dass ich nach nur einer Woche den Kurs wegen einer Erkältung abbrechen musste. Immerhin hatte es gereicht, um 50 Meter Brustschwimmen zu erlernen. Soll heißen, ich konnte mich fortan 50 – oder waren es doch nur 25 Meter? – über Wasser halten. Meine Eltern sind mit mir durchaus im Sommer an den See, auch an die Ostsee gefahren, wir waren auch im Schwimmbad – aber das Schwimmen als sportliche Betätigung spielte keine Rolle. Ich tue mich heute noch sehr schwer, den Kraulbeinschlag so auszuführen, dass ich damit auch tatsächlich vorwärtskomme: Kinder lernen normalerweise spielerisch, sich mit einem Schwimmreifen o. ä. planschend vorwärts zu bewegen.

Einmal im Jahr, später in größeren Abständen, mussten wir von unserem kleinen Dorf nach Berlin-Buch in die Klinik, um die Hüfte kontrollieren und röntgen zu lassen. Die Anspannung lag schon Tage vorher in der Luft. Der Angstklumpen der Mutter lag dem Kind im Magen. Andererseits schien sich über die Belastung durch Röntgenstrahlung niemand Gedanken zu machen. Die Bahnfahrt war jedes Mal eine Tagesreise für uns. Die sterile und kühle Krankenhausatmosphäre, das Warten auf die Auswertung, der strenge Gesichtsausdruck der Ärztin, hatten eine vollkommen einschüchternde Wirkung auf mich. Es brauchte danach nicht mehr vieler Worte, um mich zu überzeugen, dass wohl eine falsche Bewegung, ein Sprung reichen könne, meine Gesundheit, mein ganzes Leben zu ruinieren. Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem die Ärztin vermutlich auf eine entsprechende Frage meiner Mutter erklärte, dass es fraglich sei, ob ich Kinder bekommen könne. Diese Aussage habe ich bis zur Geburt unseres ersten Sohnes ängstlich mit mir herumgetragen. Um es vorweg zu nehmen: Ich habe zwei kräftige Söhne auf normalem Weg entbunden.

In den ersten Schuljahren war alles gut: Ich lernte gern, war eine sehr gute Schülerin, schrieb Einsen und Zweien, die anderen Kinder mochten mich, brachten mir Anerkennung entgegen. Ich wurde sogar mehrmals zur Gruppenratsvorsitzenden gewählt. Zur Erklärung: In der DDR wurden 99 % aller Schüler in der 1. Klasse Jungpioniere. Dieser Klassenverbund wählte dann den Gruppenrat, bestehend aus Gruppenratsvorsitzendem, Stellvertreter, Kassierer – man musste Beiträge zahlen, Schriftführer. Wie und warum es zur Wahl meinerseits kam, weiß ich nicht. Vermutlich hatte es damals noch etwas mit guten Noten zu tun. In einem meiner Zeugnisse heißt es: „Kay ist in der Klasse auf allen Gebieten das Vorbild geblieben. Sie rechtfertigte durch Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Einsatzbereitschaft die Wahl zur Gruppenratsvorsitzenden.“

Ich war also nicht nur „behindert“, ich war auch noch Vorbild. Irgendwann aber hatten die meisten genug von meinem „Sonderstatus“, zumal ich mich auch als etwas Besonderes fühlte und das ausstrahlte. So kam eines Tages eine Mitschülerin auf mich zu und meinte, dass die anderen mich überheblich und eingebildet fänden und ich doch daran etwas ändern müsse. Ich weiß noch, dass ich sie völlig verständnislos angesehen und dann stehen gelassen habe. Zu Hause konnte ich darüber nicht sprechen.

Ich hatte aber auch Freundinnen, mit denen ich den ganz normalen Mädchenquatsch machen konnte. Der Stachel der Ablehnung blieb jedoch.

Wenn man immer wieder erklärt bekommt, dass man eben in gewisser Weise nicht wie andere, also anders sei – irgendwann glaubt man das und lebt es auch. Die letzten Jahre der Grundschule (bis zur 8. Klasse) waren unter dieser Konstellation nicht einfach. Es gab Hänseleien und Beleidigungen. Pubertät, Leistungsdruck von den Eltern sowie der Ausschluss bei vielen Spielen führten zu einer gewissen Einsamkeit. Meine Mitschüler zeigten mir mehr als einmal, was sie von mir hielten. Heute würde man wohl von Mobbing sprechen und ich könnte mich an einen Sozialarbeiter wenden. Damals war ich allein.

Untersuchungen haben gezeigt, dass u. a. Kinder zu Mobbingopfern werden, die körperlich schwach sind, zu empfindsamen, stillen Personen gehören, Überanpassung in der Familie erlernt haben. Das trifft es wohl schon.

Aber vielleicht hat mich diese Zeit auch stark gemacht. Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelesen, in den Büchern meiner Eltern gestöbert. Alte Bücher, neue Bücher, altdeutsche Schrift – alles habe ich verschlungen. Manchmal habe ich auch gemalt, Bilder, die leider keiner so richtig ernst genommen hat.

Nach der Grundschule, die bei uns noch POS hieß, schloss sich das Gymnasium (EOS) an. Ich hatte immer noch eine Sportbefreiung. Allerdings – und das war eine wahre Revolution – hieß es jetzt nur noch Teil-Sportbefreiung und ich musste selbstverständlich am Sportunterricht teilnehmen. Meine Eltern tobten vor Entrüstung. Sie warfen der Schule, der Lehrerin tatsächlich vor, dass sie über keinerlei Einfühlungsvermögen verfügen würde. Welchen Eindruck das hinterlassen hat, mag man sich vorstellen. Nun ja, die Schule blieb dabei und ich erhielt meine ersten Sportsachen und fand mich in einer Sporthalle wieder. Plötzlich sollte ich Kniebeuge, Liegestütze und andere gymnastische Übungen machen. Ich sollte an der Sprossenwand die Beine heben, auf dem Schwebebalken balancieren. Nichts, aber auch gar nichts davon konnte ich. Nichts davon machte mir Spaß. Ich verfluchte die Lehrerin. Immerhin war ich 14 Jahre alt und fühlte mich mehr als im Recht. Warum musste mir diese Frau ihren Willen, ihren Sport aufdrängen? Bis jetzt war es doch auch ohne gegangen! Heute bin ich ihr dankbar, dass zumindest sie einen gewissen Richtungswechsel versucht hat. Es gab nach einiger Zeit sogar Tage, an denen mir einige Übungen Spaß gemacht haben. Aber es war natürlich viel zu wenig, um Versäumnisse aufzuholen, um zumindest einige Muskelgruppen herauszubilden. Ich erinnere mich an eine Sportstunde, in der gelaufen wurde. Ein kleiner Sportplatz, eine Runde wohl 400 Meter. Ich durfte mitlaufen – und ich hatte Spaß daran! Allerdings – das Attest! – musste ich nach 2 Runden aufhören. Ein Problem für meine Eltern bestand darin, dass meine sportlichen Leistungen auch mit einer Zensur bewertet wurden. Die Note 3 auf dem Zeugnis führte natürlich zu einer Verschlechterung des Durchschnitts.

Ich weiß nicht mehr, wie die Bewertung vorgenommen wurde. Im Ergebnis kann es tatsächlich nur ungerecht gewesen sein.

Eine weitere Erinnerung bezieht sich auf eine Klassenfahrt auf den Inselsberg in Thüringen. Oben auf etwa 900 m befand sich unsere Jugendherberge. Wir hatten einen Ausflug gemacht und waren auf dem Weg in die Unterkunft. Ich war ohne jede Kraft, ohne jede Ausdauer und wäre den Berg ohne Hilfe zweier meiner Klassenkameraden nicht hochgekommen. Allerdings hatte ich auch einen gewissen Kampfgeist, den Willen, dort hochzukommen, gezeigt, der mir immerhin den Respekt meiner ansonsten mir gegenüber eher skeptischen Klassenlehrerin einbrachte. Die Tatsache, dass ich mich nach dieser Anstrengung hinterher gut gefühlt, sprich mein Körper Endorphine ausgeschüttet hatte, konnte ich damals allerdings noch nicht einordnen.

Die Jahre vergingen. Ich machte mein Abitur, begann mein Jura-Studium. Hier muss man wissen, dass in der DDR zum Studium auch Sportunterricht gehörte. Ich hatte weiterhin die sogenannte Teil-Sportbefreiung. Zunächst wurde ich zum Schwimmen geschickt. Meine Erinnerung daran beschränkt sich darauf, dass es spätabends am anderen Ende der Stadt stattfand und mein Mann mich begleitete, da auch er eine Teil-Sportbefreiung hatte. Einmal im Monat konnte ich mich drücken. Schwimmunterricht im eigentlichen Sinne fand nicht statt, auch keine therapeutischen Übungen. Später wechselte ich zu einer Gymnastik-Gruppe, die hauptsächlich von schwangeren Kommilitoninnen frequentiert wurde. Immerhin fand hier jedenfalls ansatzweise Sport – Rücken-, Bauch- und Dehnübungen – statt. Allerdings spielte unter unseren Kommilitonen Sport in der Freizeit so gut wie keine Rolle. Einige wenige machten Krafttraining mit eigenen Hanteln, mehr nicht.

In meinem weiteren Leben spielte Sport zunächst keine Rolle mehr. Es gab genug Anderes, Wichtigeres: Wir zogen nach Berlin, begannen unser Berufsleben, unser erster Sohn Felix wurde geboren. Glücklicherweise war ich mit Genen ausgestattet, die mir eine schlanke Figur bescherten. Ich hatte keine Figur- und keine gesundheitlichen Probleme, die Sport oder Bewegung erforderlich machten. Detlef erging es ähnlich. Er hatte zwar in seiner Kindheit Handball gespielt, aufgrund einer Knieverletzung war ihm jedoch von weiterem Sport „abgeraten“ worden.

1989 zerbrach das, woran wir geglaubt hatten. Ich war ein Kind der DDR und in diesem Sinne gläubig gewesen. Nun musste ich erfahren, dass ich einem Irrglauben aufgesessen war und man mich weitestgehend belogen hatte. Das war ein sehr schmerzhafter Prozess und eine schwierige Zeit. Gleichzeitig war es ein Neubeginn, dem wir uns öffneten und stellten. Das Leben wurde plötzlich um so vieles reicher.

Unter anderem zogen die ersten Fitnessstudios im Osten ein. Als mir eine Kollegin offenbarte, dass sie nun Mitglied in einem solchen Studio sei, hielt ich sie schlicht für verrückt. Gewichte stemmen? Völlig unvorstellbar für mich. Einige Zeit darauf wagten Detlef und ich dann doch den ersten Versuch. Es kann nicht viel gewesen sein, was wir dort vollbrachten. Ein- bis zweimal in der Woche gingen wir für zwei Stunden nun auch „Gewichte stemmen“. Natürlich bedienten wir keine Freihanteln, sondern schafften uns nur an den Geräten, machten uns mit deren Handhabung vertraut. Es handelte sich um ein eher kleines Studio mit geringen Möglichkeiten. Große Ketten gab es damals noch nicht. Wir sind in die Geräte eingewiesen worden, aber mehr nicht. Das war aber auch für den Anfang nicht schlimm. Muskelaufbau war uns ein Fremdwort, es ging um körperliche Anstrengung und darum, einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Das Wichtigste, was ich aus dieser Zeit in Erinnerung behielt, war, dass Sport Stressabbau bewirken kann. Ich fühlte mich gut hinterher, Probleme relativierten sich. Detlef hatte Schwierigkeiten mit der Luft im Studio und damit auch weniger Spaß. Etwa ein halbes Jahr später hörte er dort auf und ich wechselte mit einer Freundin in ein Frauen-Fitnessstudio. Das ist allerdings etwas, das für mich nie wieder infrage kommen würde. Wobei die Betreuung und Anleitung gut waren. Es wurden diverse Kurse angeboten, von denen ich allerdings keinen Gebrauch machte. Es gab eine Sauna und – und das war ein entscheidender Vorteil – wir konnten unsere damals 4 bis 5 Jahre alten Kinder mitbringen. Den Effekt von körperlicher Anstrengung verspürte ich vielleicht ansatzweise. Zunehmend unerträglich wurde jedoch das, was man gemeinhin als „Zickenkrieg“ bezeichnet. Da saß man in der Sauna, um zu entspannen und es wurde über die Trainerin, über Hinz und Kunz hergezogen. Das beeinträchtigte natürlich das Klima insgesamt und war absolut nichts für mich. Dennoch sind wir insgesamt ca. 1 ½ Jahre einmal wöchentlich dort hingegangen. Ich habe immer versucht, eine gewisse Regelmäßigkeit zu wahren und mich nicht abhängig zu machen vom Wollen oder Nichtwollen der Freundin. Schmerzen jedweder Art, abgesehen von Muskelkater, hatte ich übrigens nicht.

Durch Zufall entdeckten Detlef und ich das Squash-Spiel für uns. Wir fuhren ab und an sonntags quer durch die Stadt, um uns für eine Stunde dem schweißtreibenden Spiel zu widmen. Learning by doing. Unseren Sohn Felix konnten wir mitnehmen und später bekam er einen eigenen kleinen Kinder-Schläger. Er spielt sogar heute noch ab und zu. Natürlich war die Kräfteverteilung etwas ungleich; Detlef war viel kräftiger und schneller als ich. Das war sicher auch mit ein Grund dafür, dass letztlich diese Sportart für uns nicht bestimmend wurde. Das gemeinsame Betreiben dieses Spiels war auf Dauer nicht möglich.

Schneller und vor allem kräftiger war Detlef auch während einer gemeinsamen Kanu-Tour. Wir fuhren zum Strandbad Wannsee, liehen uns ein Kanu aus und paddelten los, das Kanu beladen mit einer Decke, Brot, einer Flasche Wein. Blauer Himmel, Sonnenschein – wir legten so einige Kilometer zurück, übernachteten im Freien. Die Rückfahrt am nächsten Tag musste mein armer Mann allerdings weitestgehend allein bewältigen, zu weh taten mir Hände und Arme. Trotzdem blieb es ein unvergessliches Wochenende. Etliche Jahre später haben wir diese Kanu-Touren – mit etwas mehr Kraft – ein paar Mal wiederholt, allerdings nicht mehr im Freien übernachtet.

Hausbau und Schwangerschaft ließen mich dann letztlich den Vertrag im Frauen-Fitnessstudio kündigen. Außerdem zogen wir in einen anderen Stadtbezirk. Relativ schnell fand ich bei einem Spaziergang heraus, dass sich in unmittelbarer Nähe ebenfalls ein kleines Fitnessstudio befand. Das war ein sehr glücklicher Umstand.

Ich muss mal eine Pause machen, Luft holen, eine Geh-Pause einlegen. Es ist das erste Mal, dass ich versuche, ein Buch zu schreiben und es fasziniert mich, wohin mich das führt. Es ist mir nicht daran gelegen, Vorwürfe zu erheben, Schuld zuzuweisen – jedenfalls nicht per Rundumschlag. Die Ärzte waren an die gestellte Diagnose und ihren damaligen Wissensstand gebunden. Meine Eltern haben das getan, was sie für richtig hielten. Ich versuche, meine Geschichte so objektiv wie möglich wiederzugeben. Andererseits muss auch eine kritische Hinterfragung erlaubt sein. Meine Sicht auf die Dinge ist natürlich heute anders, als sie vor 30 Jahren möglich gewesen wäre. Ich will einfach nur meine Geschichte erzählen. Natürlich frage ich mich dabei auch immer wieder, ob es überhaupt jemanden interessieren wird. Aber wenn ich auch nur einen Leser dazu bewegen kann, sich seinem vermeintlich vorgegebenen Schicksal nicht zu ergeben, sondern zu kämpfen – dann soll es mir genügen. Ich möchte anregen, motivieren.

Im Laufe der Jahre habe ich eine Reihe von Triathleten kennengelernt. Und ich habe festgestellt, dass hinter (fast) jedem Triathleten eine eigene und teilweise durchaus spezielle Geschichte steckt. Triathlon ist eine Ausdauersportart der extremeren Art. Triathlon verlangt Willenskraft. Der Trainingsaufwand ist immens. Es ist nicht mit 3 bis 4 Wochenstunden getan. Willenskraft ist auch im Wettkampf gefragt. Nicht aufgeben – heißt die Devise. Ich werde sehen, wie ich von dieser Willenskraft auch beim Schreiben profitieren kann.

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
111 s. 36 illüstrasyon
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9783962298586
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