Kitabı oku: «Wer bin ich?», sayfa 8
2.2.2. 2-3-4-Zentrum
Für die Typen dieses Zentrums ist Identität das Hauptthema. Das Intelligenzzentrum hier ist das Herz; und ihre Hauptabwehr besteht darin, sich auf die Anderen hin zu bewegen. Die Typen in diesem Zentrum sind ständig mit der Frage der eigenen Identität beschäftigt. Es ist schwierig für sie, klare Grenzen zwischen sich und andere zu setzen, sodass sie nicht genau wissen, wer sie sind. Das Mit- und Füreinandersein, Gefühle und Sorgen anderer beschäftigen sie. Annahme und Beifall anderer geben ihnen Sicherheit.319 „Die ‚Herzenstypen’ ZWEI; DREI und VIER sind ‚außengeleitete Menschen’, deren Wohlbefinden in erster Linie davon abhängt, wie ihre Umwelt auf sie reagiert und deren ständige Aktivitäten insgeheim kein anderes Ziel haben, als von außen bestätigt zu werden.“320 „In einer neuen Situation fragen sie zunächst: ‚Werdet ihr mich mögen?’, oder: ‚Mit wem bin ich zusammen?’“.321 Weil sie für das Wohlbefinden auf ihre Umwelt angewiesen sind, sind sie ständig besorgt, wie andere sie wahrnehmen und was von ihnen erwartet wird und ob sie die Erwartungen anderer erfüllen mögen. Die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit führt dazu, dass die Typen in diesem Zentrum ein unterentwickeltes Bewusstsein für das eigene Empfinden und eigene Bedürfnisse haben.322 Ferner sagen Riso/Hudson:
ZWEIEN, DREIEN und VIEREN [schlagen sich] mit Gefühlen der Scham herum. Wenn unsere authentischen, wesentlichen Qualitäten in früher Kindheit nicht anerkannt werden, kommen wir zu dem Schluss, dass mit uns etwas nicht stimmt. Das Gefühl, das dadurch entsteht, ist Scham. Die Typen der Gefühlstriade hoffen diesem Gefühl zu entkommen, wenn sie ihrem Selbstbild entsprechen. ZWEIEN werden zur Güte in Person und setzen sich für andere ein, um die Scham nicht empfinden zu müssen. DREIEN stürzen sich auf Leistung und Erfolg, um der Scham entgegenwirken zu können. VIEREN vermeiden tiefere Gefühle der Scham, indem sie die erlittenen Demütigungen und Verluste dramatisieren und sich selbst als Opfer betrachten.323
Wie jeder Typ mit diesem Gefühl umgeht, zeichnet also die Unterschiede der Typen in diesem Zentrum untereinander aus.
2.2.3. 5-6-7-Zentrum
Nach Linden und Spalding haben die Typen in diesem Zentrum in Fragen der Sicherheit mit Angst zu tun.324 Riso/Hudson zeigen, wie sich Typen angesichts von Furcht in ihrer Reaktion voneinander unterscheiden. Während die FÜNF sich vom Leben abschottet und ihre Bedürfnisse möglichst niedrig hält, damit sie nicht auf Andere angewiesen ist oder auf sie zugehen muss, neigt die SIEBEN dazu, sich ganz ins Leben zu werfen, womit sie ihren Verstand so beschäftigt, dass sie wenig Chancen hat, die Ängste und Schmerzen im Leben zu spüren. Bei der SECHS ist die Angst ein zentrales Thema, das sowohl mit dem Inneren als auch mit dem Äußeren zu tun hat, sodass sie von Angst praktisch umgeben ist.325 Das Intelligenzzentrum ist der Kopf, und die Hauptabwehr besteht darin, sich weg von anderen zu bewegen.326 „In einer neuen Situation wollen sie sich erst einmal zurechtfinden: ‚Wo bin ich?’, bzw.: ‚Wie passt das alles zusammen?’ Sie sehen das Leben in erster Linie als Rätsel und Geheimnis.“327 „Ihre Haltung ist in der Regel eher unbetroffen und sachlich (‚Es stimmt’). […] Kopfmenschen fragen sich oft: ‚Bin ich abhängig? Bin ich unabhängig?’ Sie handeln erst, nachdem sie nachgedacht haben und gehen dabei methodisch vor.“328 Nach Zuercher kann man das Denken der Typen in diesem Zentrum mit dem Wort „Syntony“ von der Elektrophysik wiedergeben. Die Information von außen wird so empfangen, dass sie mit inneren Vorstellungen verglichen und geprüft wird, ob sie zum inneren „System“ passt.329 Sie werden unsicher, wenn es ihrer Meinung nach Unstimmigkeiten gibt oder wenn sie keinen Überblick mehr haben.
2.2.4. Verständnisfragen zu den Triaden
Im vorangegangen Abschnitt konnte beobachtet werden, dass Enneagramm-Autoren unterschiedlich mit den Triaden umgehen. Unter Anderem sind die Namen und Qualitäten Streitthema. Beispielsweise bestreitet Zuercher die Bezeichnung der Zentren in vielen Enneagramm-Büchern: „Die Menschen, die zur Triade 8-9-1 gehören, nenne ich die ‚Fühler’, die Angehörigen der Triade 2-3-4 nenne ich die ‚Macher’ oder ‚Nachahmer’, die Muster der Triade 5-6-7 die ‚Empfänger’ oder ‚Beobachter’.“330 „Die ‚Macher-’ bzw. ‚Nachahmertriade’ wird in vielen Enneagramm-Büchern ‚Herzzentrum’ genannt. Diese Bezeichnung ist missverständlich, denn 2-3-4er haben wenig bis keinen Kontakt zu den eigenen Gefühlen. Sie haben stattdessen die Antenne für die emotionalen Bedürfnisse und Befindlichkeiten anderer überstark entwickelt und wirken deshalb besonders gefühlvoll oder zugewandt.“331
Während einige Enneagramm-Experten wie Jaxon-Bear lehren, dass die Triaden die instinktive Bewegung der Enneagramm-Zentren bestimmen,332 sind für Daniels (und Helen Palmer) die Zentren nicht ausschlaggebend dafür, dass die Bewegungen (hin zu, weg von, gegen) eine bestimmte Ausrichtung annehmen. Stattdessen bestimmen die Subtypen, welche Ausrichtung die Bewegungen erfassen.333 Das kann dann bedeuten, dass in allen Zentren die drei oben genannten Bewegungen stattfinden.
Die Unterschiede darin, wie die Enneagramm-Zentren mannigfaltig verstanden werden, sind in einem Artikel der Zeitschrift „Enneagram Monthly“ benannt. Darin vergleichen John Fudjack und Patricia Dinkelaker vier Enneagramm-Autoren untereinander und stellen fest, dass unterschiedliche Bezeichnungen und Schwerpunkte für die drei Enneagramm-Zentren bei den Autoren wie folgt zu finden sind:
Der Tabelle ist zu entnehmen, dass z.B. die Qualitäten eines Zentrums bei den Autoren unterschiedlich gesehen werden. Nach Fudjack und Dinkelaker sind die Differenzen in der Tabelle ein Zeichen dafür, dass grundlegende Unterschiede bestehen, wie die Zentren im Enneagramm gesehen werden.335 So ist das „Fühlen“ bei Wright eine Qualität der 8-9-1er, während für Riso diese Qualität eher bei 2-3-4 zu finden ist. Ebenso stellen sie fest, dass zum Beispiel für Helen Palmer die Typen in einem Zentrum nach ihren Ähnlichkeiten zueinander geordnet sind. Bei Riso bestehen die Unterschiede darin, wie die Typen einer Triade mit einem bestimmten Thema, das einem Zentrum inne ist, umgehen. Zum Beispiel ist in der Denktriade die Angst das Hauptthema der Typen. Einer der Typen ist mit Angst vertraut, einer kann damit nicht umgehen und einer blockiert die Angst gänzlich. Die dritte Variante, wie die Konstellation der Zentren verstanden wird, ist die von Dick Wright. Bei ihm wird schwerpunktmäßig gezeigt, wie die Typen sich in einer Triade von anderen Typen in den anderen Triaden in Bezug auf ein bestimmtes Thema unterscheiden.336
Als vierte Variante verweisen Fudjack und Dinkelaker auf einen Beitrag von Kathy Hurley und Ted Dobson in der gleichen Enneagramm-Zeitschrift mit dem Titel „The Centres, a Fourth Approach – or Is It the First?“ In dieser Schrift wagen es Hurley und Dobson, die Bezeichnungen für die Zentren allgemein zu halten. Sie belassen die traditionelle Unterteilung der Triaden (2-3-4, 5-6-7, 8-9-1), geben aber keiner Qualität eine spezifische Unterteilung. Stattdessen nehmen sie jeden Enneagramm-Typ und beschreiben ihn, wie er mit dem jeweiligen Thema (Qualität) spezifisch für jedes Zentrum umgeht. Mit dieser Vorgehensweise wird eine Trennung von der traditionellen qualitativen Unterteilung der Triaden vorgeschlagen. Dass die Qualitäten nicht mehr zugehörig zu den Triaden, sondern zu den Typen zu behandeln sind, könne eine Lösung dafür sein, dass die unterschiedlichen Bezeichnungen der Triaden, die teilweise zur Verwirrung in der Arbeit mit dem Enneagramm führen können, beiseitegelegt werden.337 Wie weiter gezeigt wird, könnte die vorgeschlagene Vorgehensweise dazu beitragen, die Dynamik, und somit die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten der Typen, von etlichen Perspektiven aus zu betrachten. Es kann auch in der Arbeit mit dem Enneagramm dazu beitragen, dass einige Begriffe oder Qualitäten als menschlich übergreifend gesehen werden, und somit die Gefahr, dass einige Typen mit bestimmten Qualitäten abgestempelt werden, gelindert wird. Z.B. wird in der gängigen Enneagramm-Praxis gelehrt, dass die Typen 2-3-4 im Herzzentrum besonders gefühlvoll seien. Dazu wird von einigen Autoren vorgeschlagen, dass Menschen in diesem Zentrum sich nicht so sehr mit eigenen Gefühlen identifizieren sollten. Nach den Ausführungen von Zuercher mahnt Ebert, dass diese Empfehlung für die Typen in diesem Zentrum gerade kontraproduktiv sei, denn sie sollten eher den Zugang zu den eigenen Gefühlen finden, als sich davon zu distanzieren.338 Was zu diesem Missverständnis führt, ist nach der vorangegangenen Ausführung zweierlei: dass den Zentren überhaupt Qualitäten und Namen zugeschrieben werden und dass es unterschiedliche Meinungen gibt, welche Qualitäten zu welchen Zentren gehören.
Eine bessere Vorgehensweise bei dieser Problematik ist, sich nicht so sehr auf die Beschreibungen und Benennungen von bestimmten Mustern zu beschränken, sondern, wie Evagrios zeigt, dass es letztendlich darum geht, das Enneagramm als Ganzes zu kennen, weil jede Person nicht nur mit einem Muster zu tun hat, sondern die Muster bzw. Leidenschaften in unterschiedlichen Zeiten und Situationen zum Vorschein kommen.
2.3. Prozess und Typologie
In der theologischen Diskussion über das Enneagramm ist die Frage der Kompatibilität des Enneagramms mit der christlichen Lehre von zentraler Bedeutung. Der evangelische Theologe, Erziehungswissenschaftler und Pfarrer Michael Th. Schulz geht auf diese Thematik in seiner umfangreichen Monographie „Enneagramm, Spiritualität und Theologie der Zukunft“ aus mehreren Perspektiven ein. Schulz behauptet unter anderem, dass es im wissenschaftlichen Diskurs über das Enneagramm keine gute Ausgangslage für einen wissenschaftswürdigen Anknüpfungspunkt gegeben habe, als es in die Öffentlichkeit rückte. Für die Arbeit mit dem Enneagramm bedeutet dies, dass das Enneagramm sich außerhalb der Grenzen der Wissenschaft und somit auch der Grenzen der Theologie befand, von denen es geringschätzig herabgestuft worden sei. Nach Schulz soll diese Beurteilung der Lage zwischen Wissenschaft/Theologie und Enneagramm objektiv und ohne jedes Schönreden erfolgen.339 Einer der Gründe der Vorurteile war „[w]egen einer fälschlich vermuteten Nähe zur Numerologie (die gravierenden Unterschiede wurden nicht gesehen: Enneagramm als eine Hilfe zu spezifisch prozessualer Umkehr. Numerologie dagegen vor allem als Bestätigung des Soseins.)“340
In diesem Abschnitt wird nun gezeigt, dass das Enneagramm, obwohl es ebenfalls eine Typologie ist, darüber hinausgeht, weil es letztendlich nicht um den Zustand, sondern um einen Prozess geht. Nach Ebert geht es bei dieser Frage darum, welche Möglichkeiten es gibt, das Enneagramm als Typologie, die starre Muster beschreibt, wieder in Fluss zu bringen, sodass man nicht mehr von Zustand, sondern von Prozess spricht. Ebert versteht die Muster (Typologie) als Blockade, und demnach sollte die Arbeit mit dem Enneagramm sich darum bemühen, die je typische Blockade zu sprengen.341 Die Theologin und Enneagramm-Autorin Marion Küstenmacher benennt die Gefahr, die davon ausgehe, wenn man das Enneagramm als eine Form von Horoskop verwende; d.h., es bestätige und zeige nur, wie jemand so „tickt“. Nach Küstenmacher ist eine solche Vorgehensweise weder spirituell noch wissenschaftlich, aber vor allem entspreche sie nicht dem Geist der Bibel. Sie kritisiert Menschen, die das Enneagramm nur als Werkzeug sehen. Wenn es als reine Typologie ohne jeglichen Prüfungsprozess verwendet wird, um nur auf andere zu schauen und nach Möglichkeiten zu suchen, wie man besser mit ihnen umgehen könne, ist es zum Scheitern programmiert.342 Auf dem Büchermarkt ist die Zahl der Enneagramm-Werke anhaltend gestiegen. So wie die Anzahl der Bücher sind auch ihre Ansätze mannigfaltig. Eine Gemeinsamkeit aber haben die Werke in der Weise, wie sie das Enneagramm als Typologie darstellen.
Die Enneagramm-Autorin und NLP-Meisterin Jean Adeler bezeichnet in einem Beitrag in der Enneagramm-Zeitschrift mit dem Titel “Enneagram 2.0: Deep Structure of Personality“ den Umgang mit den Typen mit dem aus dem Gesundheitswesen stammenden Wort „nosography“, was für eine schriftliche Klassifizierung und Beschreibung verschiedener Krankheiten steht. Nach ihr nehmen die Typbeschreibungen einen großen Teil der Werke ein, und somit gelten sie im Vergleich zum Verständnis des Enneagramm als Prozessmodell als Schwerpunkt. Die Beschreibungen sind insofern als „nosography“ zu bezeichnen, als sie die Typen als starre Entitäten darstellen. Das Enneagramm als „nosography“ mag einige Basisinformationen über die Persönlichkeit liefern und somit zu Verständigung in der zwischenmenschlichen Kommunikation beitragen, aber es sagt nicht, wie das Enneagramm als Prozessmodell über die Arbeit mit der Persönlichkeit hinaus aufschlussreich verwendet werden kann.343
2.3.1. Gefahren des Enneagramms als Typologie
„Alle Typologien haben den Nachteil, dass sie die Einmaligkeit, Originalität und Besonderheit des Individuums notgedrungen vernachlässigen.“344 Das Wesen einer Typologie beinhaltet eine Art von Zusammenfassung, die immer auch ein Stück Reduzierung bedeutet. Diese Reduzierung kann eine Gefahr darstellen, aber eben auch eine Chance sein, um eine Vereinfachung und Gliederung zu erzielen. Eine der weithin bekanntesten Kritiken am Enneagramm ist, dass Menschen mit dem System in Schubladen eingeteilt würden. Darauf geht Pater Grün ein und betont, dass das Enneagramm nicht als Schubladensystem benutzt werden dürfe, wo Menschen automatisch aufgrund von Merkmalen eingeordnet werden. Auf diese Weise verfehle man eines der Ziele des Enneagramms, nämlich, als Hilfe für Menschen ihre Fallen und Stärken zu erkennen, dabei aber individuell seinem eigenen Wesen nach gerecht zu leben.345 Palmer beschreibt die Fixiertheit der Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen, die einem Typ zugesprochen werden, als Sich-und-andere-in-Schubladen-Stecken.346 „Wenn wir uns nicht von einem immer wiederkehrenden Thema lösen können und uns die Fähigkeit fehlt, das eigene Verhalten auch einmal von einem anderen Standpunkt aus zu beobachten, werden wir von den eigenen Gewohnheiten kontrolliert und haben die Freiheit des Wählens verloren.“347
Eine weitere Gefahr des Enneagramms als Typologie ist die persönliche Einstellung im Umgang mit typologischen Informationen. Der Ordensmann Robert J. Nogosek weist darauf hin dass Menschen die Typologie allzu ernst nähmen. Das bedeutet, sie versuchen nach dem Schema „Typ(o)-logisch“ alles über den Menschen als systematisch und am besten als vorhersehbar zu betrachten.348 Frau Phiri erzählt, dass sie die einschränkenden Aspekte des Enneagramms als Typologie nicht möge. Für sie fühlt es sich so an, als werde man von dem eigenen Enneagramm-Muster umrankt und habe keine Freiheit mehr. Nach ihr verzögert das nicht nur das Wachstum bei sich selbst, sondern auch bei den Mitmenschen.349
Fritz Riemann beschreibt als ein Merkmal von Typologien, dass sie das Leben als fatalistisch, als schon vorher durch das Schicksal festgelegt betrachten. Alle neuen Informationen sind nur eine Bestätigung des „So-Seins“ und nach Riemann nur zum „Hinnehmen“ da.350 Bei einigen Herangehensweisen ist das Enneagramm als Typologie nicht von diesen Annahmen befreit. Auf einem anderen Niveau wird in diesem Zusammenhang mit dem „Herausfinden“ des eigenen Enneagramm-Typs der Prozess der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ in Gang gesetzt. Menschen werden gemäß ihrem Enneagramm-Muster behandelt.351 „Wir ordnen Menschen einem Typ zu und behandeln sie dann als karikaturhafte Mischung verschiedener Charakteristika, was das Verhalten dieses Typs verstärken kann. Wir sind durch die Art und Weise geformt, wie man uns behandelt, und wir tendieren dazu, zu glauben, was andere in uns hineininterpretieren“352 Im wissenschaftlichen Sammelband zu modernen Suggestionsverfahren wird unter anderem gezeigt, wie die Suggestion in unterschiedlichen Bereichen wie z.B. in der Hypnose, im autogenem Training, im Biofeedback, im Neurolinguistischen Programmieren (NLP) oder in der Pädagogik eingesetzt wird. In ihrem Beitrag mit dem Titel, „Wie sag’ ich’s meinem Kinde? – Sprache und Suggestion im Alltag“ weist Theres Miller darauf hin, dass die Suggestion auf vielerlei Art passiere. Sei es bewusst oder unbewusst – die Suggestion könne im positiven, aber auch im negativen Sinne eine enorme Wirkung im Leben eines Menschen haben.353 Die folgenden Beobachtungen zeigen, wie sich auf unterschiedliche Art die Suggestion im Enneagramm zeigt. Teilweise werden die Typencharakteristika freudig als Ausrede für bestimmte Verhaltensweisen angegeben. So Riso und Hudson:
Tatsächlich wird der Persönlichkeitstypus bei manchen Schülern des Enneagramms fast zur fixen Idee. ‚Natürlich werde ich paranoid, schließlich bin ich eine SECHS!‘ oder ‚Du weißt, wie wir SIEBENEN sind. Bei uns muss immer was los sein.‘ Wer sich so rechtfertigt oder herausredet, betreibt natürlich mit dem Enneagramm Missbrauch.354
In Zeiten des Informationsaustauschs werden durch das Internet Chaträume bei vielen Menschen zur Plattform der Typ-Selbstrechtfertigung. Nur ein paar Auszüge von Aussagen, die anonym aus Foren entnommen wurden:
- Natürlich habe ich auch die Sturheit der Neun, wenn ich etwas nicht will, kriegen mich keine zehn Pferde dazu – und ich merke das noch nicht mal. Daran haben sich schon einige die Zähne ausgebissen.…
- Ich bin eine klassische VIER
- Die Wut der Acht finde ich manchmal sehr schön
Und Nogosek schreibt weiter darüber:
Begeisterte Enneagramm-Anhänger stellen sich gegenseitig mit ihrer Charakter-Zahl vor: „Gestatten, ich bin ein Fünfer! Und Sie? – Interessant, ein Achter!“, und sofort kann das angeregte Insider-Gespräch beginnen. Das zeigt die Gefahr und die Grenzen der Lehre vom Enneagramm: Man kann sich selbst auf seinen Charaktertyp fixieren und damit geradezu kokettieren.355
Eli Jaxon-Bear schreibt:
Wie jede kraftvolle Medizin kann auch das Enneagramm leicht missbraucht werden. Die große Gefahr liegt darin, dass wir die Identifikationsmuster erkennen und diese Einsicht dann benutzen, um das Muster beizubehalten. Zum Beispiel: ‚Ach, ich bin ja eine Fünf, deshalb muss ich mich zurückziehen.‘ Oder ‚Ich bin doch eine Acht, also ist es ganz natürlich, wenn ich wütend werde.‘ Ich hör solche Rechtfertigungen oft genug. Das ist die Gefahr. Das heilige Enneagramm dient dann nicht als reiner reflektierender Spiegel, sondern wird wieder nur zu einem Weg, mit dem man dem Ego Kraft gibt, anstatt es zu durchschauen und ihm direkt zu begegnen.356
Der letzte Aspekt handelt vom Umgang mit anderen. In einem Interview mit der Ordensschwester Mary drückt sie ihre Forderung aus, dass Menschen gut im Enneagramm geschult sein sollten. Wenn jemand keine Chance habe, mit dem Enneagramm zu wachsen und seinen wahren Nutzen zu erkennen, könne es vorkommen, dass – in der Begeisterung über die neue gewonnenen Informationen – der prozesshafte Aspekt des Enneagramms außer Acht gelassen werde und andere mit dem Wissen nur noch geboxt würden.357
Ausgehend von den zuvor dargelegten Gedanken über das Enneagramm als Typologie lässt sich nun fragen, welche Verbindung das Enneagramm als Typologie zum Enneagramm als Prozessmodell hat. Nach Riso und Hudson verliert die Typologie (Persönlichkeit) ihre Kraft über eine Person nicht, indem sie ignoriert werde, sondern indem man sich damit konfrontiere.358 Zum Beispiel erzählt Beate wie schwierig es für sie gewesen sei, auch die negativen Aspekte ihres Typs angucken zu müssen. Für sie sei es zum Teil beschämend gewesen, die typologischen Aspekte des Enneagramms in Bezug auf ihren Enneagramm-Typ anzunehmen. Auf der anderen Seite sei es nach eingehender Beschäftigung für sie eine gute Chance gewesen, „auf sich selber zu gucken, in einer sehr wertschätzenden Art und Weise.“359 Durch die vielen Möglichkeiten, die es im Enneagramm gebe, habe sie sich letztendlich in einem angemessenen Zeitraum damit anfreunden können, dass der Prozess des persönlichen Wachstums mit der Wahrnehmung der positiven sowie negativen Aspekte der typologischen Beschreibungen anfange.360
Auf einer interpersonalen Ebene sei das Enneagramm als Typologie der erste Schritt zu einer Wertschätzung der Wechselwirkungen der Interaktionen in zwischenmenschlichen Beziehungen, sagt Herr Müller. Dass durch die Typologie einige Eigenschaften des Gegenübers erkannt würden, heißt für Herrn Müller, dass er zwangsläufig auch auf sich schaue. Er hat die Gelegenheit zu schauen, wie er sich von dem anderen unterscheidet oder wie er ihm ähnelt. Für Herrn Müller lehrt das Enneagramm, dass das zwischenmenschliche Verhalten nicht autonom sei, sondern es lehrt den Wert der Dualität, im WIR zu denken. Nach Herrn Müller kann das christliche Gebot der Feindesliebe auch so verstanden werden, dass man den anderen in seinem Menschsein versteht, aber vor allem in Bezug auf sich selbst die negativen Seiten annimmt.361 Feindesliebe lehrt somit auch Selbstliebe, zu der man nur durch einen Prozess gelangen kann.
Folglich ist das Enneagramm als Typologie für die Arbeit mit dem Enneagramm als Prozessmodell notwendig. Es ist der Anfang des Prozesses. Das eine ersetzt das andere nicht, sondern beides greift ineinander. Der Weg von der Typologie zum Prozessmodell führt nicht zur Vollendung im Sinne von „das Ende erreichen“, sondern die Vollendung ist im Prozess selber enthalten, im Sinne von „der Weg ist das Ziel“.