Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 96»

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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-420-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Blaue und weiße Blitze schienen den Himmel aufzureißen gleich riesigen Narben.

Krachend entlud sich der Donner und vereinigte sich mit dem Tosen der Elemente zu einem Höllenkonzert, als seien Himmel und Meer voll brüllender Teufel. Das Gewitter war gegen den Wind aufgezogen – einen Wind, der jetzt in bösartigen Böen umsprang und die „Isabella VIII“ von Steuerbord querab packte. Ein unheimlich anschwellendes Heulen löste das Donnerrollen ab und durchzitterte die Luft. Unter dem ersten wilden Angriff des Sturms krängte das Schiff bedrohlich nach Backbord über.

„Abfallen!“ peitschte die Stimme Philip Hasard Killigrews über die Decks. „Fier weg Großsegel und Besan!“

Männer hangelten sich in fiebernder Hast an den ausgespannten Tauen über die Kuhl. Im Ruderhaus stemmten sich Pete Ballie und Big Old Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack, gemeinsam in die Speichen, um das Steuerrad zu drehen. Krachend landete die Großrah an Deck, nachdem Blakky und Smoky das Fall losgeworfen hatten, keuchend stürzten sich die Männer auf das Segel, das sich unter ihren Fäusten aufzubäumen schien wie ein Lebewesen. Dan O’Flynn, Matt Davies und Batuti, der riesige Gambia-Neger, bargen das Lateinersegel an der schrägen Besanrute. Längst hatte der Kutscher das Kombüsenfeuer gelöscht, längst waren alle Luken verschalkt und die sechzehn Culverinen mit Brooktauen doppelt gesichert. Nur noch die Fock blähte sich im Wind, der von Osten heranheulte und Wanten und Pardunen singen ließ wie die zu straff gespannten Saiten einer geisterhaften Harfe.

Hasard hatte sich an der Schmuckbalustrade des Achterkastells festgelascht, um nicht von überkommenden Seen weggefegt zu werden.

Sein Blick flog über den schwarzen Himmel, den die Blitze jetzt in rascher Folge aufrissen. Regen rauschte wie ein Vorhang nieder, die „Isabella“ pflügte mit Steuerbordhalsen durch die kochende See. Wellenberge ließen das ranke Schiff in schwindelerregende Höhen klettern. Der Bugspriet ragte in den Himmel, als wolle er die Wolken aufspießen, stieß dann steil nach unten und wurde wieder von neuem aufwärts getragen.

Die See gebärdete sich wie ein brüllendes Ungeheuer. Pausenlos krachte und rollte der Donner, während die Blitze die „Isabella“ in blaues, zuckendes Geisterlicht tauchten.

„Ferris! Ed!“ brüllte der Seewolf. „Klar bei die Trossen! Fahrt sie achtern aus, aber laßt die verdammten Dinger nicht ausrauschen! Tempo, zum Teufel!“

„Aye, aye!“ dröhnte die Stimme des rothaarigen Schiffszimmermanns herüber.

„Aye, aye!“ brüllte Ed Carberry, der sich in einer Wolke aus phosphorizierendem Gischt über die Kuhl hangelte und unter dem Achterkastell verschwand.

„Weiterabfallen, Pete! In den Wind mit dem Heck!“

„Aye, aye!“ schrie der Rudergänger, während er sich zusammen mit dem riesenhaften Schmied in die Speichen des Rads stemmte.

Ächzend und stampfend legte sich die „Isabella“ vor den Wind.

Unter dem Achterkastell mühten sich Tucker und Carberry fluchend damit ab, die schweren Trossen auszubringen, die unter Deck um den Besanmast gelegt waren und wie ein riesiger Treibanker wirken würden. Das war ein Trick, den Hasard dem alten John Killigrew von Arwenack abgeschaut hatte. Und der war zwar ein schlitzohriger Satansbraten, aber immerhin ein verteufelt guter Seemann. Die Sache mit den Trossen klappte auch diesmal. Als riesige Schlinge wurden sie nachgeschleppt und hielten das Heck der „Isabella“ im Wind. Sofort stabilisierte sich die Lage des Schiffs. Der Segler lief ruhiger, obwohl der Sturm mit unverminderter Heftigkeit weitertobte.

Er tobte auch noch Stunden später, als das Inferno aus zuckenden Blitzen und schmetternden Donnerschlägen vorbei war. Undurchdringliche Schwärze verhüllte die kochende See, an Bord sahen die Männer kaum noch die Hand vor Augen. Brecher schüttelten die „Isabella“ durch, krachten gegen die Bordwände, spülten schwarz und drohend über die Decks und liefen rauschend durch die Speigatten ab.

Längst waren die Seewölfe bis auf die Haut durchnäßt und hatten sogar aufgehört, das Wetter mit den erlesensten Flüchen zu bedenken, da sie ihren Atem dringend anderweitig brauchten. Sie schwitzten und zitterten, schufteten wie die Irren, keuchten sich fast die Lungen aus dem Leib, aber sie wußten, daß ihre „Isabella“ diesen Sturm genauso überstehen würde wie die vielen anderen, die sie schon abgeritten hatten.

In der tintigen Dunkelheit konnte der Seewolf nicht viel mehr sehen als den hellen Flecken, den die Fock bildete. Flüchtig fragte er sich, wohin es den schwarzen Segler verschlagen haben mochte.

Das Schiff der Roten Korsarin war hinter ihnen gewesen, doch sie hatten es schon nach den ersten Sturmböen aus den Augen verloren. Und wenn das Wetter anhielt, würden sie es auch so schnell nicht wiederfinden.

Sie wußten ja selbst schon lange nicht mehr, wo sie sich befanden. Sterne waren am schwarzen Himmel nicht zu sehen. Der Sturm heulte von Osten heran, und zusammen mit der starken Abdrift mußte er die „Isabella“ bereits weit nach Westen verschlagen haben.

Was dort im Westen auf sie wartete, ließ sich aus den alten chinesischen Karten, nach denen sie segelten, nur sehr ungenau entnehmen.

Vorerst war das auch Hasards geringste Sorge.

Das Toben des Sturms steigerte sich noch, das Meer schien entschlossen, sich seine Beute nicht entreißen zu lassen. Der Morgen dämmerte, aber Gischt und Regen verwandelten sein Licht in gestaltloses Grau. Den ganzen Tag über trieb der brüllende, heulende Wind die „Isabella“ vor sich her nach Westen, und auch in der folgenden Nacht kam keiner der Männer dazu, ein Auge zuzutun.

Sie waren so erschöpft, daß sie den Umschwung nicht einmal sofort bemerkten.

Hasard spürte es als erster. Die nervenzerfetzende Berg- und Talfahrt wurde unmerklich langsamer, die Pardunen schrillten nicht mehr, als ob sie jeden Moment brechen wollten. Früher als in der Nacht zuvor kündete der erste Grauschimmer im Osten das Nahen des Tages an. Die wilden, alles hinwegfegende Gewalt des Sturms war gebrochen. Ein, zwei Stunden noch, dann war das Schlimmste vorbei, dann würden sie die Trossen wieder einholen können – und auf der Kuhl hoben jetzt auch die anderen Männer hoffnungsvoll die Köpfe.

„Sieht so aus, als habe uns der Teufel für diesmal wieder ausgespuckt, eh?“ übertönte Ed Carberrys Donnerstimme das Orgeln des Windes.

„Scheint so!“ schrie Hasard zurück. „Seht mal zu, ob dem Kutscher in der Kombüse noch eine Rumbuddel heilgeblieben ist.“

„Aye, aye!“ Carberry grinste über sein ganzes zernarbtes Gesicht. „Wenn der Kerl die Dinger nicht ordentlich festgelascht hat, werde ich ihm die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch …“

Er unterbrach seinen Lieblingsspruch, um einen Protestschrei vom Stapel zu lassen, aber da war Dan O’Flynn schon im Kombüsenschott verschwunden. Donegal Daniel Junior war zwar längst nicht mehr das „Bürschchen“, von einst, aber immer noch schnell bei der Hand, wenn es um Eßbares und vor allem Trinkbares ging. Grinsend hangelte er sich Minuten später an den Manntauen über die Kuhl und schwenkte triumphierend die Buddel. Ed Carberry riß sie ihm energisch aus den Fingern – doch Hasard hätte darauf gewettet, daß sich Dan den ersten Schluck schon in der Kombüse gegönnt hatte.

Die Flasche wanderte. In den letzten sechsunddreißig Stunden hatte die Verpflegung aus trockenem Schiffszwieback und ein paar Brokken kalten Pökelfleischs bestanden, jetzt konnten die Männer eine Stärkung dringend gebrauchen. Hasard fühlte die Wärme des Alkohols belebend durch seine Glieder rinnen. Mit einem tiefen Atemzug reichte er die Flasche an Ben Brighton weiter und griff nach dem Spektiv, um zu versuchen, im Grau der Dämmerung ringsum etwas zu erkennen.

Noch sah er nichts als rollende Wellenberge und dahinjagende Wolkenfetzen, die ab und zu ein Stück Himmel freigaben. Aber eine knappe Stunde später hatte sich der Sturm endgültig gelegt. Die letzten Böen schienen den Himmel sauberzufegen, nur noch wenige graue Wolken zerfaserten in der frischen Brise.

Auf Hasards Befehl wurden die Trossen eingeholt, aber vorerst verzichtete er darauf, weitere Segel setzen zu lassen. Die Männer waren erschöpft und brauchten eine Pause. Und sie würden noch genug damit zu tun haben, die Decks zu klarieren und die Schäden auszubessern, die der Sturm angerichtet hatte.

Ben Brighton, der Bootsmann, fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das dunkelblonde Haar.

„Ich schätze, daß es uns verdammt weit nach Westen verschlagen hat“, meinte er.

Hasard nickte grimmig. „Da kannst du recht haben. He, Dan! Laß mal den Rum in Ruhe und schwing deine müden Knochen in den Großmars!“

„Aye, aye, Sir!“ Donegal Daniel junior warf Ed Carberry die Flasche zu, enterte wie der Blitz in die Wanten und schwang sich über die Segeltuchverkleidung der Plattform. Der Schimpanse Arwenack, der sich während des Sturms unter Deck verkrochen hatte, folgte ihm keckernd. Unten auf der Kuhl flatterte der Papagei Sir John dem Schiffsjungen Bill auf die Schulter.

„Gottverdammt!“ krähte der Vogel. „Wollt ihr wohl anbrassen, ihr Rübenschweine, oder soll ich euch die Haut in Streifen von euren Affenärschen ziehen?“

Die Männer bogen sich vor Lachen. Ed Carberry, der Profos, kriegte rote Ohren. Er fand es höchst unpassend, daß sich der Papagei seiner Lieblingsflüche bediente.

Hasard blickte gespannt zum Großmars hoch, wo Dan O’Flynns blonder Schopf im Wind flatterte. Der Junge hatte die schärfsten Augen der Crew, aber es verging noch eine halbe Stunde, bevor er in der endlosen Weite des Pazifik etwas entdeckte.

„Deck ho! Land in Sicht! Insel Steuerbord voraus!“

Hasard nahm das Spektiv ans Auge und spähte in die angegebene Richtung. Er konnte nichts erkennen. Erst Minuten später entdeckte er einen winzigen Punkt an der Kimm. Eine Mastspitze konnte es nicht sein, dafür war es zu groß, also mußte Dan wohl recht haben mit der Insel.

„Hm“, brummte Hasard. „Scheint doch was dran zu sein an den Karten dieser Chinesen.“

„Wieso?“ fragte Ben Brighton. „Ich dachte, hier gibt es weit und breit nur Wasser.“

„Was heißt schon hier?“ Der Seewolf zeigte die Zähne. „Kannst du vielleicht eine genaue Positionsberechnung aus dem Ärmel schütteln? Der Himmel allein weiß, wie weit wir nach Westen gedriftet sind. Wenn das da vorn eine der Inseln ist, die die Chinamänner entdeckt haben, muß es verdammt weit sein.“

„Eine Insel ist es auf jeden Fall. Und die können wir jetzt auch gebrauchen. Das war kein Frühlingslüftchen, das uns da erwischt hat.“

„Wem sagst du das! He, Ferris! Sieh dich mal ein bißchen um! Ist die Großrah noch heil, die Blacky und Smoky so elegant auf die Planken gefeuert hatten?“

Blacky und Smoky hätten einwenden können, daß die elegantere Methode sie vielleicht das Großsegel gekostet hätte, aber sie ließen es bleiben. Ferris Tucker war natürlich längst in allen Winkeln des Schiffs herumgekrochen, das brauchte man dem rothaarigen Zimmermann nach einem solchen Sturm nicht erst zu sagen. Jetzt grinste er breit und streichelte gewohnheitsmäßig den Griff der riesigen Axt an seinem Gürtel.

„Die Großrah ist heil, Sir“, meldete er. „Das Bilgewasser steht ein bißchen hoch, aber ich glaube nicht, daß wir groß lenzen müssen. Nur der Besan hat einen Riß abgekriegt. Die Blindenrah ist hin, und im achteren Frachtraum hat sich ein Wasserfaß losgerissen. Es war ordentlich festgezurrt“, fügte er hinzu. „Daß der Augbolzen aus dem Spantholz brechen würde, konnte niemand voraussehen.“

„Kleinholz?“ fragte Hasard trokken.

„Jede Menge, Sir. Wenn du mich fragst, kommt uns die komische Insel da sehr gelegen.“

Hasard nickte. „Na schön, dann segeln wir mal näher heran. An die Brassen und Fallen! Heißt auf Großsegel und Besan! Heißt auf die Marssegel!“

Die Männer gerieten in Bewegung.

Knatternd entfaltete sich das weiße Segeltuch, die Rahen wurden dichter geholt. Pete Ballies riesigen Fäuste wirbelten das Steuerrad herum, und die „Isabella“ luvte an, bis sie mit halbem Wind über Backbordbug auf die unbekannte Insel zurauschte.

„Deck ho!“ schrie Dan O’Flynn aus seinem luftigen Ausguck.

Hasard hob sofort alarmiert den Kopf, weil die Stimme des Jungen etwas schrill klang.

„Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht die merkwürdigste Insel ist, die ich je gesehen habe!“

„Kannst du dich nicht deutlicher ausdrücken?“ fauchte der Seewolf zurück.

„Aye, aye, Sir! Ist aber schwierig! Das Ding sieht wie eine Art Bastion aus, nur größer.“

„Bastion? Hast du zu viel Rum getrunken?“

„Bestimmt nicht, Sir! Es ist wirklich komisch!“

Den Eindruck hatte Hasard auch. Eine Insel mit einer Befestigungsanlage, das war das letzte, was er in diesem Teil des Pazifik erwartet hätte. Angestrengt spähte er durch das Spektiv nach Norden, und jetzt sah auch er, was Dan gemeint hatte.

Deutlich hoben sich die Konturen der Insel über der Kimm ab.

Eine Insel, die aussah, als habe sie gewaltige Zähne. Ihre Form erinnerte tatsächlich an eine Art Bastei, nur daß die merkwürdigen „Zähne“ einfach zu groß waren, um wirklich zu einer Befestigungsanlage zu gehören. Andererseits jedoch hätte Hasard schwören können, daß es sich nicht um eine zufällige Felsformation, eine Laune der Natur handelte. Sein Blick wanderte zum Großmars hoch. Dan O’Flynn hielt das Spektiv unverwandt auf die Insel gerichtet. Erst nach einer Weile ließ er es mit einem Ruck wieder sinken.

„Figuren!“ rief er. „Das sind Figuren, riesige Steinfiguren.“

„Besoffen!“ knurrte Carberry. „Mann, wenn du uns auf den Arm nehmen willst, ziehe ich dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch!“

„Affenarsch!“ wiederholte der Papagei Sir John begeistert. „Affenarsch und Rübenschwein, was, wie?“

Hasard hörte nicht mehr zu.

Er hatte das Gefühl, als sei tief in seinem Gehirn etwas eingerastet. Immer noch spähte er zu der seltsamen Insel hinüber, und jetzt wußte er plötzlich, woran Dans Worte ihn erinnert hatten.

Riesige Steinfiguren!

Steinerne Riesen …

Von der „Insel der Steinernen Riesen“ hatte er schon einmal gehört, damals auf Jamaica, als sie die Bucht angelaufen hatten, in der der fünfzehnjährige Bill verzweifelt Rauchzeichen gab, weil er auf Hilfe für seinen sterbenden Vater hoffte. Niemand hatte dem alten Mann mehr helfen können, auch nicht der Kutscher, der Koch und Feldscher auf der „Isabella“. Aber eins hatten sie dem Sterbenden versprochen: daß sie seinen Sohn als Schiffsjungen mit auf die „Isabella“ nehmen und ihm ein Zuhause geben würden.

Mit letzter Kraft hatte der alte Bootsmann eine Karte aus seiner Tasche gezogen – eine Karte jener geheimnisvollen „Insel der steinernen Riesen“, auf der er vor langer Zeit einen Schatz versteckt hatte. Er wußte nicht, wie die Insel wirklich hieß, er wußte auch nicht, ob die Positionsangaben auf der Karte stimmten. Er war gestorben, ehe er mehr über den geheimnisvollen Schatz erzählen konnte – und im Grunde hatte nicht einmal Bill damit gerechnet, daß sie die Insel jemals wirklich finden würden.

Und jetzt lag sie vor ihnen!

Die „steinernen Riesen“ waren bereits mit bloßem Auge zu erkennen: gewaltige Statuen aus schwarzem Tuff, die aufgereiht in einer kahlen, baumlosen Landschaft standen und auf das Meer hinausblickten.

Hasard zählte mindestens ein Dutzend, und alle sahen sich auf gespenstische Weise ähnlich. Genau genommen waren es nur gigantische Köpfe, für die die angedeuteten Oberkörper die Sockel bildeten. Die fremdartigen Gesichtszüge wirkten starr und maskenhaft, die schrägen Augen schienen hochmütig über das heransegelnde Schiff hinwegzustarren.

Riesenhaft waren die Monumente in der Tat, und Hasard fragte sich vergeblich, wie um alles in der Welt es die Eingeborenen einer kleinen Insel geschafft haben mochten, Monumente von solcher Größe und Vollkommenheit herzustellen.

Ben Brighton schien ähnliche Gedanken zu hegen.

„Himmel!“ murmelte er. „Das – gibt es doch nicht! Nicht mitten im Pazifik auf diesem – diesem Krümel von einer Insel!“

„Die steinernen Riesen“, murmelte Hasard.

Ben starrte ihn überrascht an. „He! Du denkst …“

„Ja“, sagte Hasard. „Genau das denke ich. Irgendwo dort drüben muß der Schatz liegen, den Bills Vater vergraben hat. Und der Teufel soll mich holen, wenn wir ihn nicht finden.“

2.

An Bord des schwarzen Seglers herrschte Gewitterstimmung, obwohl der Sturm vorbei war.

Das Gesicht Siri-Tongs war weiß vor Wut. Thorfin Njal, der Wikinger, stand breitbeinig neben ihr, die mächtigen Fäuste in die Hüften gestemmt, und stauchte mit seinem rollenden Baß den Mann zusammen, der für das Sichern der Kanonen an Deck verantwortlich gewesen war.

Mike Kaibuk hörte sich das Gebrüll mit zusammengepreßten Lippen an. Er wußte verdammt genau, daß er das nicht richtig festgezurrte Brooktau hätte bemerken müssen. Und er wußte auch, daß die Kanone, die wie ein stählernes Ungeheuer über Deck gesaust und durch das Schanzkleid gebrochen war, leicht ein paar Männer hätte mit in den Tod reißen können.

Mike Kaibuk war wütend, wütend auf sich selbst. Und er wußte, was auf ihn zukam, was folgen mußte: eine drakonische Strafe, der niemand entging, der durch Leichtsinn und Disziplinlosigkeit die Sicherheit des Schiffs und das Leben seiner Kameraden gefährdet hatte.

„Und jetzt scher dich an die Pumpe, du Mistkerl!“ schloß der Wikinger sein Wutgebrüll. „Du wirst lenzen, bis dir das Wasser im Hintern kocht und die Bilge knochentrocken ist. Und anschließend kannst du dich bis morgen früh in der Vorpiek erholen!“

„Ay, aye“, sagte Kaibuk und sah zu, sich zu verdrücken. Für seine Begriffe war es glimpflich abgegangen: die Lenzpumpe und die Vorpiek waren immer noch besser als die Neunschwänzige. Die Rote Korsarin schoß dem Wikinger einen rasiermesserscharfen Blick zu. Ihre dunklen Mandelaugen funkelten vor Wut, aber sie sah ein, daß Thorfin recht hatte. Der Sturm hatte dem schwarzen Segler übel mitgespielt. Sie konnten jetzt keinen Mann gebrauchen, der drei Tage lang in seiner Koje auf dem Bauch liegen mußte. Und Mike Kaibuk würde sich mächtig ins Zeug legen, um seinen Fehler auszubügeln.

„Tammy, Hilo, Jonny – Deck aufklaren!“ peitschte Siri-Tongs helle Stimme. „Juan, du inspizierst die Laderäume! Boston-Mann, was ist mit der Fockrah los?“

„In Ordnung. Nur das Fall gebrochen.“

Der Boston-Mann beschränkte sich wie immer auf wenige Worte. Siri-Tong nickte zufrieden. Das Fall zu reparieren, würde nicht schwer sein. Die zerfetzte Fock mußte ersetzt werden, doch auch das ließ sich mit Bordmitteln bewerkstelligen. Ein, zwei Tage würden sie brauchen, um alle Schäden zu reparieren. Aber Schließlich befanden sie sich hier in einem Teil des Pazifik, wo sie kaum mit irgendwelchen Störungen zu rechnen brauchten.

Das glaubten sie wenigstens.

Den Ausguck ließ Siri-Tong nur deshalb besetzen, weil sie die „Isabella“ und die Seewölfe in der Nähe vermutete. Sie machte sich Sorgen. Der Sturm, der hinter ihnen lag, hatte es in sich gehabt. Da half dann unter Umständen auch das seemännische Können eines Philip Hasard Killigrew nicht mehr weiter, wenn die Vorsehung nicht mitspielte. Und der Gedanke an das, was in den letzten zwei Tagen geschehen sein konnte, setzte der Roten Korsarin mehr zu, als sie es sich eingestehen mochte.

Die Crew des schwarzen Seglers war dabei, schwitzend und fluchend die Decks aufzuklaren, als Jonny, der Kreole, plötzlich senkrecht im Großmars hochschoß.

„Deck!“ schrie er. „Mastspitzten querab Steuerbord! Ein Spanier!“

Siri-Tong wirbelte wie von einer Bogensehne abgeschnellt herum.

Ihr Gesicht war weiß und gespannt, als sie das Spektiv hochnahm und die Kimm absuchte. Keine Rede von Mastspitzen! Was da von Norden heranrauschte, war mehr, war schon nah genug, um es als spanische Galeone zu erkennen. Das Schiff führte keine Flagge, aber am Bugspriet baumelte das große hölzerne Kreuz, Symbol des Christentums, in dessen Namen die Spanier über die neue Welt hergefallen waren wie räuberische Teufel.

Die Galeone lag hart am Wind und wandte dem schwarzen Segler den schmalen Bug zu. Jetzt luvte sie an, um zu wenden, und auch der letzte an Bord des schwarzen Seglers war sich darüber klar, daß die Spanier das nicht taten, um ihnen freundlich zuzuwinken.

Die Galeone ging durch den Wind, um dem schwarzen Segler eine volle Breitseite verpassen zu können.

„Hölle und Verdammnis!“ knirschte der Wikinger.

„Klar Schiff zum Gefecht!“ peitschte Siri-Tongs Stimme. „An die Brassen und Fallen! Heißt Großsegel und Marssegel! An die Geschütze! Holt die Brandsätze!“

Im Blitztempo rasten die Männer auf ihren Gefechtsstationen.

Thorfin Njal sprang vom Achterkastell und tobte wie ein entfesselter Wirbelsturm über das Geschützdeck, um mit zuzupacken. Die kleine Gruppe, die die bronzenen Gestelle zum Abfeuern der Brandsätze bediente, bewies einmal mehr, daß Siri-Tong sie ausgezeichnet gedrillt hatte. Rasselnd öffneten sich die Stückpforten.

Der schwarze Segler zeigte die Zähne, recht beachtliche Zähne immerhin. Den Spaniern auf der Galeone, die jetzt schwerfällig herumschwang, würde der Anblick sicher gar nicht gefallen, aber das änderte nichts daran, daß die Lage für den schwarzen Segler bedrohlich werden konnte.

Unter normalen Umständen war er schneller, wendiger und stärker als der Spanier.

Aber jetzt? Ohne Fock? Zerrauft vom Sturm, mit einer erschöpften, total übermüdeten Besatzung?

Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihr Blick prüfte die Stellung von Groß- und Marssegel und wanderte dann wieder zu der Galeone hinüber. Acht geöffnete Stückpforten. Die drohenden schwarzen Rohre von Siebzehnpfünder-Culverinen. Und jetzt war auch der Name des Schiffs an der Bordwand zu erkennen: „Maria Mercedes“.

„Klar zum Anluven! Ruder hart über!“

„Aye, aye!“

Knirschend schwangen die Rahen herum. Der schwarze Segler ging über Stag und wandte der Galeone genau in der Sekunde den Bug zu, in der sich krachend die Kanonen entluden.

Feuerzungen leckten aus den Stückpforten. Rauch wölkte auf, die schweren Eisenkugeln rissen die Wasserfläche auf und ließen Fontänen hochspritzen. Schwerfällig schnitt die dickbauchige Galeone am Bug des schwarzen Seglers vorbei – und genau das war der Moment, auf den Siri-Tong gewartet hatte.

Scharf wie eine Damaszener-Klinge schnitt ihre Stimme durch den Lärm.

„Abfallen auf Raumschotskurs! Klar bei Backbordgeschütze!“ Und mit einem tiefen Atemzug: „Einzeln schießen, Männer! Wir rasieren ihnen erst mal die achteren Drehbassen, dann sehen wir weiter.“

Über der Insel, die die Spanier Sala-y-Gomez nannten, schien die Luft zu kochen.

Nichts drang von dem Gefechtslärm herüber, das Rollen der Kanonen trug nicht bis hierher. Auf der Insel herrschte eine fast gespenstische Stille, nur die Geräusche der Natur waren lebendig. In einer geschützten Senke stand ein Dutzend primitiver Hütten, aber auch in diesen Hütten war alles still.

Es lag noch nicht lange zurück, daß auf der Insel ein kleiner Eingeborenenstamm zu Hause gewesen war.

Friedliche Polynesier, die vom Fischfang lebten. Menschen, die freundlich in ihrem Wesen waren, gastfrei, aber auch kriegerisch, wenn es sein mußte. Ihre Waffen waren jedoch primitiv, sie hatten keine Kanonen, keine Musketen, keine Pistolen, und als eines Tages ein Schiff am Horizont auftauchte und die Insel anlief, waren sie wehrlos.

Die Spanier, die über die Eingeborenen herfielen, kannten kein Erbarmen.

Für sie waren die Bewohner der Neuen Welt keine Menschen, sondern Wilde, die noch unter den Tieren rangierten. Gnadenlos metzelten sie die Polynesier nieder und rotteten in einem grausamen Massaker fast die gesamte Inselbevölkerung aus. Einige wenige nur blieben übrig. Hübsche junge Mädchen und Frauen vor allem. Und ein paar Männer, die den neuen Herren als Sklaven zu dienen hatte und sich fügen mußten, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, auf bestialische Weise umgebracht zu werden.

Sala-y-Gomez gehörte den Spaniern.

Einer Handvoll Spaniern nur, die ein festes Lager errichtet hatten und in ihren Hütten im Grunde recht primitiv lebten.

Sehr selten nur sichteten sie ein anderes Schiff, das sie kaperten, um die lohnende Beute erleichterten und dann versenkten. Manchmal segelten sie auch zur Nachbarinsel hinüber, um unter den dortigen Eingeborenen zu morden, zu plündern und zu brandschatzen. An Tagen wie diesem, wenn das Schiff ausgelaufen war, herrschte in dem kleinen Lager auf der Insel tiefe Stille.

Es war Mittag, als ein großer, hagerer Mann eine der Hütten verließ und leicht schwankend über den freien Platz ging.

Er hatte getrunken. Seine Augen waren glasig, die Hitze benebelte zusätzlich sein Hirn. In der Linken hielt er eine halbgeleerte Rumflasche, und sein Gesicht verzerrte sich zu einem Ausdruck dumpfer Gier, als er sich nach rechts wandte und weiterstolperte.

Am Rand des Lagers kauerte reglos eine dunkle Gestalt zwischen den Büschen. Sie hatte ein braunes, breitflächiges Gesicht, dunkles Haar, das glatt und dicht in die Stirn fiel, breite Schultern und einen geschmeidigen, muskulösen Körper. Der Polynesier war jung, fast noch ein Knabe. Aus brennenden Augen beobachtete er den Spanier. In dem braunen Gesicht preßten sich die geschwungenen Lippen zu einem Strich zusammen, als der hagere Kerl vor einer bestimmten Hütte stehenblieb.

Luana, dachte der junge Polynesier.

Luana!

Der betrunkene Spanier rülpste, dann verzog er die Lippen zu einem schmierigen Grinsen. Seine Augen begannen zu funkeln. Ohne hinzusehen, schob er die halbleere Flasche in eine seiner Taschen. Verstohlen sah er sich nach allen Seiten um, dann trat er rasch auf die Tür der Hütte zu und begann, an dem primitiven Riegel zu nesteln.

Der junge Polynesier ballte die Hände zu Fäusten.

Er wußte, was der Kerl dort vorhatte. Er wußte es so genau, als habe der Bursche es ihm gesagt. Er konnte es in dem verzerrten Gesicht lesen, in dem dünnen, glänzenden Schweißfilm auf der Stirn und dem gierigen Glitzern der Augen. Der braunhäutige Junge grub die Zähne in die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. Sein Herz trommelte in einem wilden Wirbel gegen die Rippen, Angst schnürte ihm die Kehle zu. Alles in ihm drängte danach, sich einfach abzuwenden, lautlos davonzuschleichen und Augen und Ohren zu verschließen vor dem, was geschehen würde, aber er brachte es nicht fertig.

Er konnte es nicht geschehen lassen!

Er mußte etwas tun!

Jetzt! In dieser Sekunde!

Seine Hände waren feucht, Schweiß perlte auf seinem braunen, jetzt fast fahlen Gesicht. Vorsichtig, geschickt und lautlos wie eine Schlange, glitt er ein Stück zur Seite. Erst als er sich im Sichtschutz der Hütte befand, richtete er sich behutsam auf und verließ die Deckung des Buschwerks.

Vier, fünf gleitende Schritte, dann hatte er die Rückwand der Hütte erreicht.

Er hörte, wie der Spanier die Tür öffnete und eine Mädchenstimme erschrocken aufstöhnte. Der Spanier stieß ein heiseres, gemeines Kichern aus. Der Junge biß die Zähne zusammen. Sein Blick zuckte in die Runde. Hastig bückte er sich, hob einen faustgroßen Stein auf und schlich weiter.

Die Tür der Hütte stand offen.

Lautlos auf seinen nackten Füßen glitt der Junge näher. Im Innern der primitiven Behausung herrschte Halbdunkel. Zuerst konnte der Polynesier nur das schmutzige, zerfetzte Hemd des Spaniers entdecken, den knochigen Rücken, das ölig glänzende schwarze Haar, doch nach und nach schälten sich auch die anderen Einzelheiten aus dem Schatten.

Ein einfaches Strohlager.

Und ein schlankes braunhäutiges Mädchen, das hilflos auf diesem Strohlager kauerte, an Händen und Füßen gefesselt.

Ihre Augen waren weit aufgerissen.

Voller Angst starrte sie den Spanier an. Ihre Lippen zitterten, ihre Brust hob und senkte sich unter schnellen, angstvollen Atemzügen – und das war ein Anblick, der den betrunkenen Spanier vollends in Erregung versetzte.

„He, Täubchen“, sagte er. „Nun schau mich nicht so an, als ob ich dich auffressen wollte! Ich tu dir doch nichts! Nur ein bißchen Spaß will ich mit dir haben.“

Weder das Mädchen in der Hütte noch der junge Polynesier draußen vor der Tür verstanden die spanischen Worte.

Aber sie hörten den Tonfall. Sie wußten beide, was gemeint war und daß es nichts gab, was den Betrunkenen jetzt noch von seinem Vorhaben abbringen konnte.

Nichts – außer Gewalt.

Das Mädchen in der Hütte atmete schneller und wich so weit gegen die Wand zurück, wie sie es vermochte. Der Spanier lachte nur. Blindlings tastete seine Rechte nach der Rumflasche. Mit den Zähnen zog er den Korken heraus und setzte die Flasche an den Mund, um sich noch mit einem kräftigen Schluck zu stärken.

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