Kitabı oku: «Blutige Straßen»
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt
von Alan Tepper
Ankerkung der Autorin
Die in diesem Buch dokumentierten Erfahrungen von Undercover-Agenten, die nacherzählten Anekdoten und die beschriebenen kriminellen Handlungen basieren auf unzähligen verdeckt aufgezeichneten Gesprächen, eidesstattlichen Erklärungen, Vernehmungen und Dokumenten, gesammelt von den Strafverfolgungsbehörden und dem US-Staatsanwaltsbüro in Phoenix, Arizona.
Der Leser sollte sich dessen bewusst sein, dass es zum Schutz der Agenten notwendig war, an einigen Stellen vage zu bleiben, Pseudonyme zu benutzen und einige Gesichter auf den Fotos unkenntlich zu machen. Obwohl die Operation abgeschlossen ist, ermitteln einige der Beamten immer noch undercover und erhalten weiterhin Morddrohungen. Das Buch ist ein Tribut an ihren Mut und die von ihnen gebrachten Opfer.
Widmung
Gewidmet all den Menschen, die sich im Rahmen der Strafverfolgung opferten und weiterhin opfern
„Man kann uns nicht infiltrieren, kein Cop kann sich bei uns einschleichen. Die haben weder die Ressourcen noch das Personal oder die Geduld. Wir sind unschlagbar. Keiner kann uns was!“
– Ralph „Sonny“ Barger, Hells Angel
Impressum
Die Autorin: Kerrie Droban
Deutsche Erstausgabe 2014
Titel der Originalausgabe:
„Running with the Devil – The True Story of the ATF’s Infiltration of the Hells Angels“
© 2007 by Kerrie Droban
ISBN: 978-1-59921-449-8
Coverdesign der deutschen Version: bw-works
Coverabbildung: © Scott Olson/Getty Images
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Übersetzung: Alan Tepper
Lektorat und Korrektorat: Dr. Matthias Auer
© 2014 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-448-9
Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-447-2
Hinweis für den Leser:
Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.
Inhalt
Vorwort
ERSTER AKT: SOLO, ABER NICHT ALLEIN
Die Bühne wird vorbereitet
„Kürbisköpfe“
Erste Kontakte
Home Sweet Home
Tijuana
Rudys Abgang
Für eine gute Sache
Ein scharfer Köder
Verwanzt
Der Teufel
Lebende Tote
Rudy singt
Patching In
Beim Florence Prison Run
ZWEITER AKT: INSIDE ANGEL
In letzter Sekunde
Auf leisen Sohlen
Die Knarre an der Schläfe
Bildstrecke
Zusammenbruch
In der Höhle der Engel
Mr. Big
Der Präsident am Sauerstofftank
Hass und Rache
Dem Ziel nahe
Russisch Roulette
Geisterjagd
Ein Mädchen in Mexiko
Eine Leiche lebt
Die Ratte
Der Vorhang fällt
Epilog
Danksagungen
Anhang: Gefallene Engel
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„Ich bin kein Pessimist. Das ist einfach nicht mein Ding.“
– Jay Dobyns, ehemaliger Undercover-Agent,
der die Hells Angels infiltrierte
Jay Dobyns, ehemaliger ATF-Spezialagent für schwierige Undercover-Einsätze, führt nun ein Leben in der Öffentlichkeit. Seine Verdienste stehen auf einer Stufe mit dem Vermächtnis angesehener Streiter für Recht und Gerechtigkeit wie zum Beispiel den pensionierten FBI-Spezialagenten Joseph D. Pistone und Lock T. Lau oder dem DEA-Spezialagenten Mike Levin. Sein großes Opfer – und hier lassen sich Vergleiche zu anderen ehemaligen Agenten ziehen – wurde mit der Androhung von Rache und Terror „belohnt“, ausgesprochen von der kriminellen Organisation, die er einst unterwanderte. Aber auch das ATF, die Behörde, für die er einst tätig war, ließ ihn im Stich. Dobyns musste sich angesichts dieser Situation seinem schlimmsten Albtraum stellen und entschied sich für die Option, in die Öffentlichkeit zu gehen, zu einer öffentlichen Person zu werden, damit aber letztlich auch zu einem Ziel für die Hells Angels und mehrere Gefängnis-Gangs, darunter die Aryan Brotherhood. Er ist ein Symbol für wahres Heldentum.
Zwei Jahre lang hat Dobyns die Rolle eines Mitglieds der Solo Angeles gespielt, eines abtrünnigen mexikanischen Biker-Clubs, und gewann dabei das Vertrauen und den Respekt der gefährlichen und gewalttätigen Arizona Hells Angels. Während seiner Zeit als Undercover-Agent vereitelte Dobyns zahlreiche Mordversuche sowie geplante Exekutionen, die von skrupellosen Hells Angels ausgingen, die vermuteten, dass er ein Spitzel sei. Er bestand erfolgreich verschiedene Prüfungen der Hells Angels: So sollte er töten, Drogen konsumieren und Frauen als eine zusätzliche „Annehmlichkeit“ der Mitgliedschaft im Club akzeptieren.
Dobyns’ Rolle bei der Operation Black Biscuit, einer bahnbrechenden Kriminalermittlung, führte 2003 zu aufsehenerregenden Razzien, bei denen ATF-Agenten 50 Personen festnahmen und 650 Waffen beschlagnahmten, 30.000 Schuss Munition und mehr als 100 Sprengkörper, darunter auch Granaten und Napalm. Dank Dobyns’ Leistungen wurden erstmalig die gefährlichen Machenschaften der Bruderschaft der Hells Angels enthüllt sowie ihre Geschichte als kriminelle Organisation in den USA.
Durch Auftritte in nationalen Fernsehprogrammen wie CNNs Anderson Cooper 3600, Inside: Outlaw Bikers – Hells Angels (National Geographic Channel) und Gangland: Behind Enemy Lines (History Channel) weniger als drei Monate nach Veröffentlichung dieses Buches, verlieh Dobyns seiner Geheimmission Stimme und Gesicht und wurde zu einem Motor der Veränderung. Wie für ihn charakteristisch, verkroch er sich nicht in einer Ecke, um auf einen möglichen Angriff des Feindes zu warten. Als Person des öffentlichen Lebens ergab sich für ihn zwangläufig doch ein gewisser Schutz, denn für die Hells Angels war es eher untypisch, einen amerikanischen Helden ins Visier zu nehmen und damit öffentliche Vergeltung für all ihre Taten zu riskieren.
Die meisten Undercover-Agenten beenden ihre Karriere still und unauffällig. Sie werden von den jeweiligen Bundesbehörden vorgewarnt, weder Anerkennung noch speziellen Schutz zu erwarten. Das Risiko bestimmte das von ihnen gewählte Leben. Opfer zählten zu den Bedingungen, die sie bei einem Auftrag in Kauf nahmen. Auch Dobyns, der die Calabrese-Familie erfolgreich infiltrierte, war an Brutalität und Opfer gewöhnt. Von Natur aus ein zäher Kämpfer, füllte er die Undercover-Rollen mit einer Leidenschaft aus, die an Besessenheit grenzte, ein Eifer, den er schon früh in seiner Karriere an den Tag legte. Weder Morddrohungen noch multiple Schussverletzungen oder ein zerrüttetes Familienleben warfen ihn aus der Bahn. Sein Leben war auf den Tag hin ausgerichtet, an dem der letzte Vorhang fiel.
Das Schicksal von Dobyns’ ist unglücklicherweise kein Einzelfall. Es besteht ein Missverhältnis zwischen der Arbeit der Männer im Einsatz bzw. der Notwendigkeit, riskante Entscheidungen zu fällen, und der Erwartungshaltung der Vorgesetzten hinsichtlich der Ergebnisse. Da die Männer Monate, manchmal sogar Jahre in eine kriminelle Unterwelt eintauchen, haben sie Schwierigkeiten, sich wieder in das Durchschnittsleben eines US-Amerikaners einzufügen. Ähnlich wie Gefängnisinsassen oder Militärpersonal werden sie in eine in sich geschlossene Welt „verfrachtet“. Und plötzlich finden sie sich dann wieder in ein „normales“ Leben zurückversetzt, werden mit ihren Erfahrungen alleingelassen und ihrem einstigen Doppelleben, mit dem sie sich arrangierten.
Durch diese Ausnahmesituation leiden einige der Männer an posttraumatischen Belastungsstörungen, während sie verzweifelt versuchen, sich wieder in die „Normalität“ zu integrieren. Andere kehren zu der einzigen ihnen bekannten Rolle zurück und nehmen erneut Undercover-Aufträge an. Doch es gibt auch Beamte, die sich in der Hoffnung, Hilfe und Trost zu finden, der Öffentlichkeit zuwenden, jedoch häufig zurückgestoßen werden. Man kategorisiert sie als „Problemfälle“ oder Sündenböcke für eigentliche Führungsfehler, abgesehen von dem Fall, dass die Ermittlung einen weitreichenden Erfolg erzielte.
Konsequenterweise führen Undercover-Agenten oft ein isoliertes und einsames Leben und ziehen es vor, soziale Kontakte untereinander zu pflegen, statt mit Familienmitgliedern oder nahen Freunden. Einige der Männer führen ein von Wut bestimmtes Leben, andere müssen die Demütigung ertragen, dass man sie in den hinteren Bereich eines Restaurants setzt und schräg ansieht, da sie optisch Kriminellen ähneln. Viele Agenten müssen sich mit einem ungewöhnlichen Problem herumschlagen – dem Verrat, denn sie haben brutale Männer, mit denen sie einst Freundschaft schlossen, auch wenn es nur eine vordergründige war, ans Messer geliefert.
Den Erfahrungen der Agenten eine Stimme zu verleihen ist eine kathartische Geste und gleichzeitig Anerkennung ihrer Opfer. Stunden um Stunden der Langeweile, zerrissen durch Augenblicke höchster Not, und ein Leben voller Unsicherheit prägen das Dasein der Undercover-Agenten.
Kerrie Droban
April 2008
„Kriegsanstrengungen“ – April 2002
Undercover-Informant „Rudy“ war der Katalysator für die Ermittlung, die später als Operation Black Biscuit in die Kriminalgeschichte einging: So bezeichnete man den ausgeklügelten Plan des Department of Treasury’s Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF), um die Arizona Hells Angels zu unterwandern und schließlich zu zerschlagen. Die Idee, ausgerechnet Rudy, rechtmäßiges Mitglied des in Tijuana ansässigen Solo Angeles Motorcycle Club (SAMC), einzusetzen, um die Arizona Hells Angels (HAMC) zu infiltrieren, stammte vom ATF-Agenten Joseph Slatalla (alias „Slats“ oder „Beef“) aus Phoenix.
Der forsche und durch nichts zu beeindruckende Italiener ähnelte dem Schauspieler Ray Liotta auf eine nahezu unheimliche Art. Während seiner Karriere verbrachte er fünf Jahre in Detroit und sechs in Phoenix. In Miami nahm er zögerlich eine Beförderung zum Supervisor an, doch er kehrte ein Jahr darauf, genervt von den administrativen Aufgaben und dem Papierkram, nach Phoenix zurück. Beef war ein rastloser Charakter. Die Leidenschaft für seine Arbeit trieb ihn schon bald wieder auf die Straße und ins Zentrum der gewalttätigen Biker-Subkultur Arizonas. Vor der Versetzung nach Miami im Jahr 2001 hatte er 1997 bereits den Versuch unternommen, die Untiefen der Szene auszuloten.
Seine damalige Ermittlung konzentrierte sich auf den Dirty Dozen Motorcycle Club, der 1996 damit begann, sich bei der größten Biker-Gang der Welt einzuschmeicheln – den Hells Angels. Doch Beefs Bemühungen, eine Task-Force mit dem Codenamen AMEN aufzustellen, verpufften im behördlichen Irrgarten aus Fehlinformationen, kleinkarierten Eifersüchteleien und frappanter Richtungslosigkeit. Konflikte innerhalb der Agency und juristische Probleme zwischen dem Büro des Generalstaatsanwalts von Arizona, dem Bezirksstaatsanwalt und dem US-Staatsanwalt für Arizona trugen zum Scheitern der Operation bei. Keines der Büros fühlte sich bemüßigt, Informationen oder Angaben zu Informanten den jeweils anderen Rechtsvertretern zukommen zu lassen.
Die Dirty Dozen wurden schließlich von den Hells Angels absorbiert. Als Beef am Ende nach Phoenix zurückkehrte, bot sich ihm eine Wahlmöglichkeit: Entweder würde er für den Rest seiner Karriere hinter dem Schreibtisch vermodern und auf die Rente warten oder das Risiko eingehen, die Biker-Szene erneut anzugehen. Seine Entscheidung, eine neue Task-Force zur Infiltration der Hells Angels zu bilden, wurde nicht mit Wohlwollen begrüßt, doch Beef entschied sich, das Richtige zu tun und nicht den bequemen Weg einzuschlagen. Obwohl die meisten bei seinen ironischen und sarkastischen Anspielungen flüchteten, hörten sie auf seine Vorschläge. Beef symbolisierte die Stimme der Erfahrung – kein Drumherum-Gequatsche, sondern handfeste Ansätze –, die er in der finsteren Unterwelt der Outlaw Motorcycle Gangs (OMGs) gesammelt hatte, speziell bei den Hells Angels und ihrem „Ableger“, bekannt als die Red Devils (RDMC).
Beef wusste, dass die Solo Angeles hispanische Outlaw-Biker waren, mit der Basis in Tijuana, Mexiko. Sie verfügten über 80 aktive Mitglieder, von denen keines außerhalb von Mexiko oder Südkalifornien lebte. Die meisten Arizona Hells Angels waren zuvor niemals einem Solo Angeles begegnet. Rudy hatte seinen Status als Outlaw-Biker gegenüber den Angels verschwiegen, denn Biker sind für ihr Territorialverhalten berüchtigt. Die Hells Angels zählten zu den sogenannten „Großen 5“, zu denen auch die Pagans, Banditos, Outlaws und Mongols gehörten. Allerdings betrachtete man die Hells Angels als den „großen Club“. Keine andere Gruppierung traute es sich, ihre Clubabzeichen oder „Colors“ ohne Genehmigung der Angels zu zeigen.
Jeder Club besaß für ihn spezifische Colors. Die der Solo Angeles waren Orange und Schwarz, also die Farben von Halloween und zerquetschten, verdreckten Kürbissen. Die Mongols kannte man als „Schwarz und Weiß“ und die Hells Angels als die „Big Red Machine“. Einzelne Clubs waren durch ihre Spitznamen zu identifizieren – eine Bezeichnung, die sie meist auch selbst vorzogen –, wie zum Beispiel die „Phoenix Hot Headz“, die „Graveyard Crew“ (aus Skull Valley) und „Mesa Mob“. Die „falschen“ Solo Angeles (die Agenten, die sich als Solo Angeles ausgaben) nannte man schließlich „Orange Crush“ oder abfällig „die Pumpkins“.
Rudy hatte für Beef eine besondere Bedeutung, denn er führte eine Vertrauensbeziehung mit Robert Johnston Jr. (alias „Mesa Bob“ oder „Bad Bob“), dem Präsidenten des Charters der Mesa Hells Angels.
Oft kannte man nur die Spitznamen der Biker, eine Art Markenzeichen, ähnlich den Colors eines Clubs. Sie verrieten grundlegende Charaktereigenschaften (zum Beispiel „Bad Bob“) und standen für bestimmte Fähigkeiten oder Ansprüche. Beispielsweise pochte Mesa Bob von den Mesa Hells Angels auf Territorialansprüche und unternahm alles in seiner Macht Stehende, um diese zu verteidigen.
Rudy war ein befreundeter Outlaw-Biker, und so nahmen die Hells Angels den als Insider ermittelnden Informanten ohne eine Frage in ihre kriminelle Bruderschaft auf. Sie überwachten unzählige Drogen- und Waffengeschäfte zwischen ihm und Mitgliedern von Support-Clubs der Angels.
Wer hätte sich unauffälliger in der zwielichtigen Welt der Gangs bewegen und dadurch Informationen für die geheime Außenstelle der Phoenix Group I sammeln können, als ein in der Szene bekannter Gangster, der gleichzeitig als ATF-Informant arbeitete? Wer hätte es leichter gehabt als Rudy, weitere angebliche Solo Angeles dem Präsidenten der Mesa Club Hells Angels vorzustellen (und dabei jeglichen Verdacht anderer Mitglieder der Engel auszuräumen)?
Bislang war niemand auf so eine Idee gekommen.
Die Strafverfolgungsbehörden hatten in der Vergangenheit andere Biker-Clubs infiltriert, und zwar mit Hilfe von Undercover-Agenten, denen es gelungen war, sich die Mitgliedschaft zu erschleichen und dadurch Informationen zu sammeln. Die Polizei war nicht untätig gewesen und hatte falsche Clubs und Charter ins Leben gerufen, die als Outlaws auftraten, um in einem bestimmten Bereich der Gang-Unterwelt akzeptiert zu werden. Doch niemals zuvor war eine Gruppe von Undercover-Cops mit Hilfe der Identität eines „legalen“ Outlaw-Biker-Clubs aufgetreten, um die Angels zu infiltrieren.
Beefs Vorschlag, Rudy mit Regierungsgeldern auszustatten, um mit Methamphetaminen und Waffen in Arizonas krimineller Bikerwelt zu handeln, wurde kontrovers diskutiert und war riskant. Schließlich musste sich der mehrfach verurteilte Schwerverbrecher und Drogenabhängige noch Verstößen gegen das Bundeswaffengesetz stellen. Schnell drängte sich eine Parallele zum Fall des ATF Special Agents John Ciccone auf, der unwissentlich einen Killer zu einem bezahlten Spitzel gemacht hatte.
Ciccones Informant Michael Kramer war schon fünf Jahre bei den Hells Angels, als das ATF ihm den Vorschlag unterbreitete, bei den Bikern zu schnüffeln. Allerdings wusste Ciccone nicht, dass sein Kandidat am brutalen Mord an Cynthia Garcia beteiligt gewesen war, einem Biker-Groupie, das man nach einer Party im Clubhaus der Mesa Hells Angels enthauptet hatte. Die Frau hatte die schlimmste Sünde begangen und einen Hells Angel respektlos behandelt, was man mit dem Tode bestrafte. Ihre Leiche wurde an Halloween in einem ausgewaschenen Flussbett in der Wüste nahe Phoenix gefunden. Man hatte sie wie einen Haufen Müll entsorgt.
Trotz des Vorfalls überzeugte Beef einen US-Staatsanwalt davon, die Anklage gegen Rudy hinsichtlich der Verstöße gegen das Waffengesetz fallenzulassen, da man die Begabung des zukünftigen Informanten dringend einsetzen wollte. Beef argumentierte, dass es keinen besseren Weg gebe, „als einen Drecksack durch einen anderen Drecksack zur Strecke zu bringen“.
Beef vertraute Rudys Fähigkeiten und seinem Talent. Bislang war es dem Informanten gelungen, zahlreiche von den Behörden nicht überwachte Methamphetamin- und Waffenverkäufe mit Personen aus Tucson, Phoenix, Mesa, Bullhead City und Prescott abzuschließen. Zu seinen Kunden zählten auch angesehene Mitglieder der Red Devils, eines Support-Clubs der Angels. Rudy hatte seit über einem Jahr Informationen über die Hells Angels gesammelt und dadurch mehr als 140 Member und Associates identifiziert, von denen mindestens 45 aufgrund vorhergehender Straftaten gar keine Waffen besitzen durften. Und das war ihm trotz des hohen Grades an Schutzmaßnahmen gelungen, für die die Angels bekannt waren. Darunter fielen regelmäßiges Abklopfen, gründliche Leibesvisitationen, bei denen sich der Untersuchte komplett ausziehen musste, und zufällige Anrufe in Rudys Haus. Falls jemand die Biker hinters Licht führen konnte, dann Rudy! Der kleine und drahtige Informant hatte ein entwaffnendes Grinsen, und sein Labern durchdrang einen Raum wie das nervige Geplärre eines alten Radios. In einem anderen Leben wäre aus ihm ein erstklassiger Autoverkäufer geworden.
Für Beefs Plan hätte es keinen besseren Zeitpunkt geben können. Er spürte die sich steigernde Anspannung und das Misstrauen zwischen den Red Devils und Rudy. Henry Watkins (alias „Hank“), der über 1,80 Meter große und beleibte Sergeant-at-Arms des Tucson Chapters des Red Devils Motorcycle Club, begann zu nörgeln. Verantwortlich für die Sicherheit des Clubs und die Vollstreckung von Urteilen, kam ihm Rudys angebliche Mitgliedschaft bei den Solo Angeles merkwürdig vor, da er das einzige sichtbare Member zu sein schien. Hank begann daraufhin, Rudys Hintergrund unter die Lupe zu nehmen. Er hatte große Waffendeals mit ihm verzögert, bis er sich sicher sein konnte, dass sein Gegenüber kein Hochstapler war. Das ATF hatte Glück, denn Rudys Referenzen erwiesen sich als hieb- und stichfest. Der Informant gehörte offiziell zu den SAMC.
In der Zwischenzeit vertrat Rudy nachdrücklich die Auffassung, dass seine Mexiko-Kontakte bei den Kriegsvorbereitungen der Hells Angels hilfreich sein könnten, denn die Biker nahmen die Mongols ins Visier – die wohl meistgehassten Konkurrenten. Obwohl die Mongols auch hispanische Wurzeln hatten, konnte man sie schwerlich als Verbündete der Solo Angeles bezeichnen. Rudy überzeugte die Angels vom Vorteil, seine Clubbrüder mit Waffen zu versorgen, um sich gegen eine mögliche Invasion der Mongols zu schützen. Darüber hinaus sei es sicherlich vorteilhaft, einen Schmugglerring zwischen den Solo Angeles und den Hells Angels aufzubauen, um Betäubungsmittel und Waffen zu verschieben, schlug er vor.
Rudy wollte mit den Argumenten einen wunden Punkt Hanks treffen – Geld! Hank vertrat die eiserne Regel, nie mit Fremden Deals abzuschließen, doch im Fall von Rudy machte er eine Ausnahme. Er hatte einen kurzen Blick auf ein Foto geworfen, das Rudy, stolz posierend, mit dem legendären Gründer der Angels und ehemaligen Präsidenten des Oakland Chapters Ralph Hubert „Sonny“ Barger Jr. zeigte. Es war während einer Sause beim Laughlin River Run in Nevada geschossen worden, einem der landesweit größten Treffen von Bikern. Rudy ließ sich eindeutig als Opportunist und Überlebenskünstler beschreiben. Er wickelte die Deals mit einer unübertrefflichen Selbstsicherheit und einem unschlagbaren Charme ab. Trotz der steigenden Anerkennung musste er aber immer noch Leibesvisitationen wegen möglicher Wanzen über sich ergehen lassen. Auch sein ihm von der Regierung zur Verfügung gestellter Ford Falcon wurde auf der Suche nach Aufnahmegeräten regelmäßig gefilzt.
Diese Infos bestärkten Beef darin, dass es zu riskant war, elektronische Überwachungsgeräte einzusetzen oder die Telefongespräche, Meetings und Transaktionen abzuhören. Durch diese Schwierigkeit war er gezwungen, innovative Technologie zu nutzen. Gleichzeitig stieg das Risiko des Informanten.
Beef warf einen Blick über das Waffenarsenal, welches Rudy erst kürzlich durch einen Deal mit Hank erworben hatte. Die Bandbreite reichte von halbautomatischen SKS Sturmgewehren mit Mündungsfeuerdämpfern und Bajonettaufsätzen bis zu speziell hergestellten .12 Jagdgewehren mit ausgefeilten Seriennummern und zusätzlichen Schulterkolben. „Hank meinte, dass er mir vollautomatische Mac-10, Mac-11, HK 91 und Uzis besorgen kann sowie vollautomatische Maschinenpistolen, Zündschnüre, Quecksilber und Zeitzünder“, war es aus Rudy während einer kürzlich stattgefundenen Einsatzbesprechung herausgesprudelt.
Beef bezweifelte das nicht, doch er wollte mehr von dem Informanten als einige Päckchen „Glass“ (Methamphetamin) und illegale Knarren. Er wollte mehr, als gegen kleinere Outlaw-Clubs zu ermitteln und Hintergrundinformationen über die Hells Angels und die Supporter der Biker zu sammeln. Beef wollte bis zum Kern der unbarmherzigsten und brutalsten kriminellen Organisation vorstoßen. Er wollte ihnen direkt unter die Haut fahren, sie vorführen wie niemand jemals zuvor, ihr Vertrauen und ihre Loyalität gewinnen und zu einem Hells Angel werden, um sie schließlich zu zerstören.
Im Grunde genommen war Rudy eine Marionette in seinem Spiel. Der Informant wusste sehr wohl, dass er sich keinen Ausrutscher leisten durfte, denn sonst standen einige Jahre im Gefängnis an – wenn nicht sogar ein gewaltsamer Tod durch die Hände der Engel. Die Strafverfolgungsbehörden hatten die illegalen Aktivitäten der Biker momentan eingedämmt. Das verleitete Mesa Bob, den Präsidenten des Hells Angels Mesa Clubs, dazu, Rudy die Deals mit den Supportern der Red Devils durchziehen zu lassen. Falls diese schiefliefen, würde die Polizei die Devils ins Visier nehmen und niemals eine Beteiligung der Hells Angels vermuten.
Beef quälte die Ungeduld. Er wollte nicht länger warten, nicht so lange, bis die Aktivitäten der Angels kaum mehr nachzuweisen waren.
Der Hass zwischen den Mongols und den Hells Angels war mehr als offensichtlich. Er wurzelte in einer Reihe von Geschehnissen, die im Jahr 2001 begannen. Mitglieder beider Clubs hatten sich in einer American Legion Hall in San Diego mit Messern und Schusswaffen bekämpft. Die brutalen Auseinandersetzungen loderten einige Monate danach in Reno, Nevada, wieder auf. Member der Angels stellten den Präsidenten des Carson City Chapters der Mongols zur Rede, denn er hatte es gewagt, ohne Erlaubnis einen Patch zu tragen (einen angestickten Aufnäher), der ihn als Mitglied der Nevada Angels identifizierte.
Es folgte ein weiterer Zusammenstoß in Orange County. Auf einem lokalen Flohmarkt bekämpften sich die rivalisierenden Biker mit Benzintanks, Stoßdämpfern und Lenkern. Die Gewalt eskalierte, nachdem der Präsident der San Jose Mongols bei einem Open Air von Hells Angels angefallen und niedergestochen wurde. Daraufhin jagten die Mongols die Angels, trieben sie vor den Absperrungen in die Enge und feuerten wahllos auf die verhassten Opponenten. 2002 fand der Vizepräsident der Mongols zwei Stangen Dynamit unter seinem Auto, das in der Nähe seines Hauses parkte. Die Zündschnur war angesteckt worden, brannte jedoch zu früh ab. Im April des Jahres – in Laughlin, Nevada, während des jährlichen River-Run-Treffens – führte ein Kampf zwischen den Bikern im Harrah’s Casino (in der Nähe von Las Vegas) zu drei Todesopfern und elf Verletzten. Die Polizei konfiszierte verschiedene Patches der Angels, und die Biker gaben offiziell den Krieg gegen die Mongols bekannt.
Patches (auch „Rockers“ oder „Colors“ genannt) repräsentieren nicht nur die Zugehörigkeit zum Club. Sie symbolisieren einen hart erarbeiteten Lifestyle, gekennzeichnet von schweren Straftaten und absolutem Respekt zwischen den verschiedenen Mitgliedern mit Blick auf die Rangordnung. Die Outlaw Motorcycle Clubs unterscheiden sich durch die drei Patches auf der Kutte und den diamantförmigen „Onepercenter“-Aufnäher von den normalen Bikern. Diese Gangster stehen für das (symbolische) eine Prozent der Motorradfahrer der USA, die ihr Leben nach dem Credo „Fuck the World“ ausrichten.
Das Hells Angels Patch besteht aus einem „Bottomrocker“ (einem bogenförmigen Aufnäher), der das Territorium des Clubs angibt (zum Beispiel Arizona), einem Aufnäher in der Mitte (Centercrest), der einen geflügelten Totenkopf zeigt (auch „Death Head“ genannt), und dem Toprocker, der den Club angibt, in diesem Fall die Hells Angels. Ein reguläres Member, das alle drei Patches auf seiner Kutte trägt, wird in der Bikerszene als „Full Patch“ oder „Fullpatcher“ bezeichnet.
Die Kutte kommuniziert den Status des Bikers im Club. Bottomrocker stehen für den niedrigen Grad des „Prospects“.1 Prospects sind Biker auf Probezeit, die sich erst noch bewähren müssen (sie stehen einen Rang über den Hangarounds, die sich nur durch den Lebensstil angezogen fühlen und offiziell nicht zum Club gehören). Ein Prospect wird sogar noch eine Stufe unter Frauen und Hunden eingeordnet. Er ist eine von einem Member ausgewählte Person, die es sponsert. Hangarounds (spöttisch auch „Slick Backs“ genannt, da ihre Kutten kein Abzeichen tragen dürfen) stehen auf der alleruntersten Stufe der Leiter. Diesem Personenkreis wird sogar noch ein geringerer Status als Prospects zugesprochen. Sie tragen sogenannte „Nummernschilder“ oder Anhänger um den Hals, damit man sie im Falle einer Schlägerei erkennt, wodurch die Member der Angels gezwungen sind, die eigenen Leute zu verteidigen.
Das Team wird aufgestellt –
Tucson, Arizona, Frühjahr 2002
Beefs Plan, die Arizona Hells Angels durch Rudys Kontakte zu infiltrieren, stieß bei den Anzugträgern des ATF auf Widerstand. Einen bereits als Informanten bekannten Outlaw ins Feld ziehen zu lassen, war ein kleiner Schritt. Das Leben von ATF-Agenten zu riskieren, um Infos über die Angels zu sammeln, was zugleich erforderte, dass sie bei den Straftaten der Biker mitmischten, stand jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Beef konnte kaum erwarten, dass sein verantwortlicher Boss, Special Agent Virginia O’Brien, zustimmte. Er hoffte, dass die unzähligen vertraulichen Memos, die er ihr zukommen ließ, O’Briens Einstellung ändern würden. In ihnen wies er auf Verstöße gegen den vielfach anwendbaren Title 18 des Strafgesetzbuches hin2, die er zur Verhaftung der Rocker geltend machen konnte. Doch O’Brien wollte Details wissen: Wer? Wie? Wie lange? Besonders wichtig war für sie die Frage, wie viel die Operation das ATF möglicherweise kostete.
In den folgenden Wochen der Vorbereitung stellte Beef sein Team zusammen. Rudy akzeptierte die Führungsrolle als Präsident der angeblichen „Nomads“ Solo Angeles. Die Tarnung schmeichelte nicht nur dem übergroßen Ego des Informanten, sondern eröffnete zudem die Möglichkeit, mit ihm arbeitende ATF-Agenten und lokale Vertreter der Strafverfolgungsbehörden unauffällig einzuschleusen. „Nomads“ waren vollwertige und hoch angesehene Member, die keinem speziellen Charter angehörten. Sie mussten ihren Clubbeitrag für das ursprüngliche „Mutter-Chapter“ entrichten, verfügten jedoch nicht über die Mindestzahl von sechs Mitgliedern, um ein eigenes Chapter zu gründen, wodurch sie noch unter der Direktive des „Mutter-Chapters“ standen und den Befehlen von dort folgen mussten. Nomads lebten meist in ländlichen Regionen, wo sich zwangsläufig nur wenige Member fanden. Gelegentlich wurden sie vom Club auch in ländliche Regionen entsandt, mit der Instruktion, andere Mitglieder zu rekrutieren, um ein eigenständiges Chapter zu gründen.
Die Solo Angeles verfügten über eine perfekte Tarnung. Sie informierten die Hells Angels, dass sie vom Mutterclub der Solo Angeles – der in Tijuana residierte – geschickt worden seien, um in Arizona ein Charter auf die Beine zu stellen. Da die einzigen legalen Member der Solo Angeles in Südkalifornien lebten, erschien den Hells Angels die Geschichte plausibel. Die Agenten mussten höllisch vorsichtig sein, damit ihnen die echten Solo Angeles in Mexiko nicht auf die Schliche kamen, denn sie hatten natürlich niemals die Gründung eines Charters in Arizona veranlasst. Rudy versicherte jedoch, dass es nie zu einer Überprüfung kommen würde.