Kitabı oku: «Meine Mutter, der Indianer und ich», sayfa 3
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Die nächsten Tage verliefen verhältnismäßig ruhig. Er badete ein paar Mal in dem Weiher und hatte dort die Gelegenheit, einige Jugendliche beschnuppern zu können. Siggi kannte er bereits, aber auch Seppi, dem die anfängliche Schlägerei nun leid tat, entpuppte sich als ganz in Ordnung.
„Du bist ganz schön hart im Nehmen!“, erklärte er nicht ohne Bewunderung.
„Ich war sieben Jahre im Aikido“, meinte Felix mit einem schiefen Grinsen. Auf den zweiten Blick waren eigentlich alle ganz nett. Seppi mit seinen schwingenden Fäusten. Siggi, der am liebsten auf seinem Traktor saß; oder Görne, ein stiller Junge mit traurigen Augen, der aber auch ganz gut zuschlagen konnte, wenn man ihn provozierte.
Meist besetzten sie einen schattigen Platz unter einem Walnussbaum für sich, unterhielten sich über Mädchen und Xbox-Spiele oder flotte Autos. Wenn Jungs aus einem anderen Dorf einfielen, wurden sie meist grölend mit dem Hinweis vertrieben, dass sie hier nicht erwünscht waren. „Verzupft euch! Das ist unser Weiher!“ Gleiches galt jedoch nicht gegenüber fremden Mädels, die ausgesprochen freundlich und zuvorkommend behandelt wurden.
Das Faulenzen tat Felix gut, auch die problemlose Freundschaft, die hier entstanden war. Der Rauswurf aus dem Gymnasium rutschte in den Hintergrund, und so langsam freundete sich Felix mit der Situation an. Vielleicht war die neue Schule ja ganz okay, und er fand dort neue Freunde. Ihm gefiel, dass hier meistens über harmlose Themen geredet wurde. Vergessen war der Stress des Gymnasiums, in dem es nur um Noten, Lernen, Nachhilfestunden und Lehrer ging. Wie hatte er die endlosen Diskussionen mit seinem Vater satt, der ihm in schillernden Farben ausmalte, welche beruflichen Chancen er später einmal mit dem Abitur hätte. Hier schien das alles nicht mehr wichtig zu sein.
Schule war überhaupt kein Thema, stattdessen wurde über handfeste Ausbildungsplätze gesprochen. Viele Jungen besuchten die achte oder neunte Klasse der Mittelschule und beschäftigten sich ganz konkret mit ihren Berufswünschen.
Siggi wollte Mechatroniker werden und hatte bereits eine Lehrstelle in Aussicht, sah die Schule nur noch als Übergangszeit zu einem besseren Leben.
Görne kochte ausgesprochen gern und hatte sich bei mehreren Hotels und Restaurants beworben.
Felix lachte ihn aus, aber Görne ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Du, als Küchenchef kann ich mal richtig viel Geld verdienen. Und was willst du werden?“
Felix zuckte die Schultern und blieb ihm eine Antwort schuldig. Die ausgeklügelte Zukunftsplanung seines Vaters für ihn hatte sich mit dem Rauswurf aus dem Gymnasium gerade in Luft aufgelöst. Mechatroniker, Dachdecker oder Koch klang irgendwie banal. Er hatte keine Ahnung, welche Berufe er mit Hauptschulabschluss oder Quali überhaupt noch wählen konnte. Viel Auswahl blieb da nicht. Also doch die zehnte Klasse machen?
Er schob den Gedanken zur Seite und lenkte das Gespräch wieder auf unverfängliche Themen. Der zwanglose, kameradschaftliche Umgang miteinander tat ihm gut – auch, dass die anderen kaum Fragen über seine Vergangenheit stellten.
Problemlos passte er sich dem etwas einfältigen, ruppigen Ton an; nur dass sich die Jungen ungeniert mit „Heil Hitler“ begrüßten und sich dabei auch noch großartig vorkamen, stieß Felix unangenehm auf. „Seid ihr etwa Nazis?“, wagte er vorsichtig zu fragen.
„Aber nein, das ist nur Spaß!“, erklärten sie beschwichtigend. Felix erzählte seiner Mutter lieber nichts von diesen seltsamen Gewohnheiten, abgesehen davon, dass er über die trockenen Ausländerwitze durchaus lachen musste. Am Weiher erkannte er jedoch keine aggressiven Tendenzen, hier hockten die Jugendlichen faul zusammen und begnügten sich damit, großartige Reden zu schwingen.
Er fühlte sich bereits als dazugehörig, protzte mit seinem guten Aussehen, machte waghalsige Sprünge ins Wasser, sodass die kleineren Kinder flüchteten, wenn die Jugendlichen sich ihre Balgereien lieferten.
Einige Mütter meckerten lautstark, doch das reizte die Jugendlichen eher noch mehr. Lautstark pöbelten sie umeinander, riefen sich quer über die Wiese Anweisungen zu und warfen mit Kraftausdrücken nur so um sich. Nicht gegen die Mütter, aber so, dass sie mit ihrem Verhalten alle anderen störten.
Nur wenn Georg mit seiner imposanten Größe und noch schlimmerem Mundwerk auftauchte, hielten sie sich zurück, fürchteten seine bissigen Kommentare und seine süffisanten Bemerkungen, die weit unter die Gürtellinie zielten.
Felix wunderte sich, warum die anderen so viel Respekt vor ihm hatten, und pfiff leise hinter dem breitschultrigen Erwachsenen her, als dieser am Steg Patrouille ging. „Ist der so was wie ein Bademeister?“
Die anderen wehrten die Vermutung belustigt ab. „Aber nein!
Das ist Georg! Der ist in Ordnung!“
„Wieso ist der in Ordnung, wenn er sich hier als Obermacker aufführt?“
„Na, wir helfen ihm beim Dorffest, und er mag uns! Wir haben kein Problem mit ihm!“
Aha!
Der erste Tag in der neuen Schule verlief ganz gut. Er hatte eine sehr junge Lehrerin, die auch noch gut aussah und freundlich zu sein schien.
Felix stellte sich in gewohnt forscher Art seinen Mitschülern vor, erzählte, dass er nur mal schnell den „Quali“ machen wollte, um anschließend die Fachakademie zu besuchen.
Dass dies erst mit dem Bestehen der „Mittleren Reife“ möglich war, verschwieg er lieber, aber sein wahrer Plan, im Anschluss an die neunte Klasse den M-Zug zu besuchen, klang irgendwie zu banal. Fachakademie!
Auch wieder so eine Idee von seinem ehrgeizigen Vater! „Da kannst du die mittlere Reife machen und dann anschließend zur Fachoberschule. Vielleicht studierst du ja mal Ingenieurswesen.“ Mann!
Bis er mit seiner Berufsausbildung fertig sein würde, wäre er ein alter Opa! Vielleicht hatte er gar keine Lust zu studieren! Und wieso ausgerechnet Ingenieurswesen!
Seine Vorstellung in der neuen Klasse sorgte jedoch für den nötigen Eindruck, vor allem bei den Mädchen! Bei der anschließenden Klassensprecherwahl wurde er prompt mit überwältigender Mehrheit zum Klassensprecher gewählt, natürlich mit Unterstützung der Mädchen, die ihn anscheinend „süß“ fanden. Felix fühlte sich wie der Hahn im Korb, sonnte sich im Neid der anderen Jungen und würzte den Unterricht mit frechen Bemerkungen, mit denen er sofort die Lacher auf seiner Seite hatte.
Zu seinen neuen Aufgaben als Klassensprecher gehörte auch die alberne Regel, jeden Lehrer, der die Klasse betrat, im Namen der Klasse zu begrüßen. Natürlich kannte er bisher nur die Klassenlehrerin, und so rettete er sich, in dem er bei jedem neuen Lehrer meinte: „Die Klasse 9 a begrüßt den mir unbekannten Lehrer!“
Jedes Mal tuschelten die Kinder hinter vorgehaltenen Händen und warteten sehnsüchtig auf weitere Unterbrechungen des Unterrichts.
Der Rektor schaute sich Felix‘ Höhenflug genau zwei Tage lang an, dann verpasste er ihm eine gehörige kalte Dusche. Weil er angeblich noch nicht lange genug an der Schule gewesen sei, um die Aufgabe verantwortungsvoll auszufüllen, wurde Felix seines Amtes als Klassensprecher enthoben, und Albert, der nach ihm die meisten Stimmen gehabt hatte, zum Klassensprecher erkoren. Felix lieferte sich ein heißes Gefecht mit dem Rektor, indem er ihm autoritäres und undemokratisches Verhalten vorwarf, doch es änderte nichts an dessen Entscheidung.
Felix kochte vor Wut, denn diese Zurücksetzung war eine Blamage und schadete seinem Ansehen. Seine Bemerkungen im Unterricht waren nun keine lustigen Einlagen mehr, sondern wurden als Störungen geahndet.
Plötzlich war er der Buhmann in der Klasse, der Neue, der gemobbt werden konnte, weil der Rektor ihn ständig maßregelte. Jede Bemerkung, jeder gute und noch so konstruktive Beitrag wurde von dem Rektor, aber auch von der Klassenlehrerin, schlechtgemacht oder als unwichtig abgetan.
Wahrscheinlich wollten sie ihn disziplinieren, seine Aufmüpfigkeit im Keim ersticken, aber in der Klasse hatte es verheerende Folgen für Felix.
Die Jungen stellten sich offen gegen ihn, provozierten ihn in der Pause, nannten ihn Weiberheld oder Weichei und grenzten ihn bei Freizeitaktivitäten aus.
Voller Genugtuung erzählten sie in seiner Gegenwart von lustigen Partys und grinsten unverschämt, wenn er sich gedemütigt abwandte.
Manchmal wehrte sich Felix auch, ging dann mit erhobenen Fäusten gegen einen Jungen vor, der ihn mit Worten schikanierte. Albert ließ keine Gelegenheit aus, ihn zu provozieren, und hatte immer eine Meute anderer Jungen um sich herum, die ihn beschützten.
„Feige Sau!“, schimpfte Felix dann, „Du bist ja zu feige, um allein mit mir zu reden!“ Wie sehr vermisste er bei diesen Auseinandersetzungen seine Freunde aus dem Dorf. Aber Siggi und Seppi waren in der Parallelklasse, konnten ihn höchstens auf dem Pausenhof oder im Bus unterstützen, und andere Freunde waren bereits in der Berufsausbildung.
Auch das Verhalten der Lehrer veränderte sich spürbar. Er galt nun als Störenfried und Schläger und wurde von den Lehrern mit Argusaugen beobachtet. Wegen Kleinigkeiten bekam er Verweise oder schlechtere Noten, obwohl er gelernt hatte. Die Situation spitzte sich zu, als der Rektor wieder einmal eine Kurzarbeit nur mündlich diktierte und Felix anschließend eine schlechte Note erhielt. Aber wie sollte er gegen ungerechte Noten angehen, wenn die Fragen nur mündlich gegeben wurden und er nicht beweisen konnte, dass der Rektor die Frage ganz anders formuliert hatte? Hier war irgendwie die Welt stehen geblieben.
Zuhause dagegen tobte seine Mutter: „Wie kannst du dir in so kurzer Zeit alle Sympathien verscherzen? Kaum bist du in der neuen Schule, gibt es schon wieder Ärger! Wie machst du das?“
Felix ballte die Faust und schaute seine Mutter wütend an. „Ich mache gar nichts! Der Rektor ist ein Depp! Er kann doch nicht einfach einen gewählten Klassensprecher absetzen. Jetzt haben die anderen eben keinen Respekt mehr vor mir.“
Seine Mutter wurde blass, und ihre Stimme wurde ganz leise vor Ärger: „Sag so etwas nicht noch einmal, sonst werfen sie dich gleich von der Schule! Du brauchst den Quali, oder du bist hier gar nichts mehr! Dann stehst du auf der gleichen Stufe wie ein arbeitsloser Penner!“
„Ja, ja! Ich werde mal Straßenkehrer!“, fauchte Felix.
„Oh, da täuschst du dich!“, flötete seine Mutter sarkastisch. „Bei der Müllabfuhr kommst du nur mit besten Referenzen rein! Sieh zu, dass du dich mit diesem Rektor arrangierst.“
„Ich kriech dem doch nicht in den Arsch! Es war ungerecht, mich als Klassensprecher abzusetzen, nur weil ich noch nicht alle Lehrer gekannt habe. Und es ist total ungerecht, eine Aufgabe nur mündlich zu formulieren. Wie soll man da die Note überprüfen? Dieser Typ kann doch nicht einfach machen, was er will!“
„Nun, du siehst ja, dass er die Macht dazu hat! Also leg dich nicht mit ihm an!“
„Er ist halt ein Nazi!“, erklärte Felix verächtlich.
Mit der anschließenden Reaktion seiner Mutter hatte Felix allerdings nicht gerechnet. Sie gab ihm eine so heftige Ohrfeige, dass es klatschte. „Du machst mir nichts als Ärger!“, schrie sie sprühend vor Zorn. „Du arrogantes kleines Biest machst mir nichts als Ärger!“
Felix spürte, wie eine bodenlose Wut in ihm hochbrodelte, er konnte kaum Luft holen, so sehr schockierte ihn die Ohrfeige seiner Mutter. Noch nie hatte sie ihn geschlagen, noch nie!
Er ballte die Fäuste und beherrschte sich auf das Äußerste, um nicht zurückzuschlagen. Am liebsten hätte er sie zu Boden geschlagen und sie mit seinen Füßen traktiert. Er stellte sich vor, wie sie am Boden lag und er mit seinen Schuhen in ihre Rippen trat, so wie es die Rechten machten, wenn sie einen Ausländer verprügelten.
Jetzt verstand er, woher diese Wut kam, dieser sinnlose Hass, denn er stand kurz davor, auf seine Mutter einzuprügeln. Er wollte jemandem wehtun! So richtig wehtun!
Mit seiner Faust drosch er ein Loch in die Wohnzimmertür, dann flüchtete er mit schmerzenden Fingern die Treppe nach oben. Seine Tür fiel mit einem Krach ins Schloss, dann warf er sich zitternd vor Wut auf sein Bett.
„Felix!“, brüllte seine Mutter von unten. „Komm sofort wieder runter!“
Er hörte, wie sie die Treppe hochkam, und versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Warum konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Warten, bis sich der Gefühlssturm wieder legte?
Die Klinke wurde heruntergedrückt, und seine Mutter trat neben sein Bett. „Sag mal, spinnst du…?“, fragte sie relativ gelassen. „…du hast gerade die Wohnzimmertür demoliert!“
„Na und?“, murmelte er bockig. Warum reizte sie ihn auch so?
„Den Schaden ziehe ich dir vom Taschengeld ab!“
„Na und!“, wiederholte er stur.
„Willst du gar nichts dazu sagen?“, fragte sie ebenso herausfordernd.
„Der Rektor ist ein Depp!“, kam es zu seiner Rechtfertigung.
„Okay! Aber ist das ein Grund, die arme Wohnzimmertür einzuschlagen?“
Er kicherte leise, fühlte sich nun doch etwas besser. „Nee!“, gab er unumwunden zu. „So ein Depp hat es gar nicht verdient, dass man sich wegen ihm aufregt!“
„Das meine ich auch! Was macht deine Hand?“
„Tut weh!“, stöhnte Felix, er merkte eigentlich erst jetzt, dass seine Hand entsetzlich schmerzte.
„Soll ich mal nachsehen?“
„Nee, geht schon! Ich mach mir einen kühlen Umschlag!“
„Na schön! Wir werden uns beim Abendessen eine Strategie überlegen, wie du mit diesem Rektor fertig wirst! Der Quali ist wichtig! Soll ich mal mit ihm reden?“
„Bloß nicht!“, wehrte Felix entsetzt ab. Das wäre sein endgültiges Ende! Eine Mama, die bei jeder Kleinigkeit in die Schule rennt. Noch mehr Schaden konnte sie gar nicht anrichten. „Ich klär das schon!“
„Schön, dann verhandeln wir heute Abend, wie du das mit der Tür regeln kannst. Hoffentlich bekomme ich keinen Ärger mit dem Vermieter, wenn ich ihm beichte, dass bereits in den ersten Tagen eine Tür zu Bruch gegangen ist.“
„Sage ihm halt, dass es beim Einzug passiert ist!“, schlug Felix weltmännisch vor.
„Werde nicht frech, aber wahrscheinlich keine schlechte Idee! Jedenfalls besser, als wenn ich ihm erzähle, dass mein halbwüchsiger Sohn einen Rappel bekommen hat.“
In den nächsten Tagen kehrte er in der Schule gezwungenermaßen seine guten Manieren heraus, und die Situation beruhigte sich etwas. Der Rektor beobachtete ihn wie eine giftige Spinne, schien aber zufrieden zu sein, dass er sich besser benahm und ließ den Druck von ihm. Einige Unterrichtsbeiträge von ihm wurden nun wieder freundlich kommentiert, und der Rektor gab ihm eine Eins in Mitarbeit.
Die Klassenlehrerin entspannte sich sichtlich, gab ihm ganz gute Noten, nur seine Leistungen im Diktat waren weiterhin mangelhaft. Kein Wunder! Im Gymnasium hatte er schon seit der fünften Klasse keine Diktate mehr geschrieben.
Also besorgte seine Mutter ein Übungsheft für Rechtschreibung, wie immer, wenn er irgendwo Wissenslücken hatte, und diktierte ihm abends einen Text nach dem anderen.
Entschädigt wurde er durch einige vielversprechende Gespräche mit einem Mädchen aus der Parallelklasse: Eva! Eine kleine, schnuckelige Maus mit blonden Locken, einem zierlichen Körper, der immer noch braungebrannt vom letzten Türkeiurlaub war. Sie wohnte drei Dörfer weiter, ein ziemliches Problem, wenn man bedachte, dass es noch einige Zeit dauern würde, ehe er seinen Führerschein machen konnte. Also trafen sie sich in der Pause, gingen Händchen haltend über den Pausenhof oder drückten sich in irgendwelche Ecken, um sich ausgiebig zu küssen. Die Lehrer sahen es mit Argwohn, fürchteten um die guten Sitten an der Schule und baten Felix, etwas weniger demonstrativ seine Liebe zur Schau zu stellen.
Felix schüttelte darüber nur den Kopf. „Die mischen sich aber auch in alles ein!“, schimpfte er aufgebracht. „Jetzt werden noch Regeln zum richtigen Küssen aufgestellt!“
Also verabredeten sie sich am Nachmittag und fuhren gleich mit dem Schulbus zum Haus des einen oder anderen – mit der logischen Konsequenz, dass die Hausaufgaben in Mitleidenschaft gezogen wurden. Schließlich wollte man die Zeit miteinander nutzen und nicht mit unnützen Hausaufgaben vergeuden, die man abends oder nachts immer noch machen konnte. Nur, während Eva sehr wohl den Abend nutzte, um ihre Aufgaben zu erledigen, verbrachte Felix diese Zeit bei seinen Freunden im Internet.
Die Clanspiele waren weit wichtiger, als irgendwelche Formeln für Mathe auswendig zu lernen, die er ohnehin nicht verstand.
Seine Mutter reagierte entsprechend gereizt, drohte mit Internetverbot oder anderen drastischen Strafen.
Tatsächlich sperrte sie das Internet mit einem Codewort, das er bereits beim dritten Versuch entschlüsselte. Er probierte „Indianer“, „Sioux“ und hatte mit „Lakota“ den gewünschten Erfolg. So leicht war seine Mutter zu durchschauen! Er drehte die Lautstärke seiner Xbox auf ein Minimum, sodass seine Mutter nicht hörte, dass er nach wie vor seinem Ballerspielhobby frönte.
Sie war richtig gut gelaunt, denn sie dachte natürlich, dass sie eine perfekte Erziehungsmethode gefunden hatte, damit er seine Energie in die Schule steckte. Weit gefehlt! Eva, seine Freunde im Dorf und sein Internetclan forderten seine gesamte Aufmerksamkeit, und so gerieten seine schulischen Leistungen ziemlich ins Hintertreffen.
Seine Mutter beruhigte er mit Halbwahrheiten über seinen angeblichen Lernaufwand. „Ich lern doch, Mami! Aber in der Hauptschule haben sie halt einen ganz anderen Stoff!“
„Erzähl mir keinen Quatsch! Du kommst aus dem Gymnasium! Du müsstest das mit Leichtigkeit schaffen“, schimpfte seine Mutter, als er in Deutsch wieder nur eine Drei geschrieben hatte. In Hauswirtschaft sah es ganz übel aus. Seine Mutter war schon keine gute Köchin, woher sollte er also wissen, wie man Kuchen backte oder Schweinegeschnetzeltes zubereitete?
„Wenn ich durchfalle, dann wegen Hauswirtschaft“, maulte er.
„Dann musst du eben mit Sport ausgleichen!“
„Sport ist nicht so einfach. Da gibt es einen Theorieteil.“
„…den du lernen kannst!“, entgegnete seine Mutter.
„Mach ich doch! Aber ich schreibe in so vielen Fächern Prüfung! Arbeitslehre, Deutsch, Mathe….!“
„Aber, aber, aber!“, äffte seine Mutter ihn nach. „Ich höre immer nur, was du nicht kannst, aber nicht, wie du es schaffst! Vielleicht setzt du dich mal hin und lernst?“
Felix ließ diese Moralpredigten über sich ergehen, verdrückte sich in sein Zimmer und schaltete die Xbox ein. Lernen! Der Quali war irgendwann vor den Pfingstferien oder danach, und da hatte er noch genügend Zeit, um zu lernen.
Mit seinen Freunden Siggi, Sepp und Görne tummelte er sich auf dem Oktoberfest in München, wunderte sich ein bisschen, dass der amerikanische Gast noch nicht eingetroffen war, ohne aber seine Mutter darauf anzusprechen. So wichtig war das nun auch nicht.
In der Schule besserte sich die Situation ein wenig. Er passte sich dem rauen Tonfall der anderen an und imponierte den Jungen mit radikalen Äußerungen. Er hatte dabei ein schlechtes Gewissen, denn er wusste, dass seine Mutter dies nicht gutheißen würde. In der Klasse dagegen brachte es ihm den gewünschten Erfolg.
Albert fand ihn nun doch ganz in Ordnung, und im Sport wurde er wieder als Erster ins Team gewählt. Er bemühte sich um guten Kontakt, biederte sich bei den Stärksten in der Klasse an und führte ein klärendes Gespräch mit Albert. „Wir müssen hier zusammenhalten!“, erklärte ihm der Klassensprecher. „Weißt du, gegen die Kanaken! Da brauchen wir jeden Mann! Du hältst doch zu uns, oder?“
Felix wand sich wie ein Fisch im Netz, aber er wollte nicht wieder der Außenseiter in der Klasse sein. „Klar!“, meinte er großspurig. „Kein Problem!“
Trotzdem wunderte er sich, dass der sonst so autoritäre Rektor nicht klar gegen solche Hetzparolen einschritt. Schon in seinem Dorf waren ihm die unbedachten Äußerungen seiner Freunde aufgefallen, aber die waren harmlos im Vergleich zu den offen rassistischen Bemerkungen seiner Mitschüler. Besonders das bevorstehende Herbstfest in der nächsten Stadt gab Anlass zu wilden Hetzparolen gegen Ausländer.
„Kanaken wollen wir dort nicht!“, erklärten sie offen.
Oder: „Denen geben wir Saures!“
„Kanakenklopfen!“, hetzten sie sich gegenseitig auf.
„Kanakenklopfen?“, wiederholte Felix, als wäre er schlecht von Begriff.
„Ja, wenn die unsere Mädels anmachen, dann gibt es eins auf die Mütze!“, erklärte Albert und schüttelte vielsagend seine Faust. „Das ist unser Herbstfest, da haben Ausländer nichts zu suchen. Schon gar nicht Türken oder Schwarze.“
Felix senkte irritiert den Kopf und wusste nicht, wie er nun reagieren sollte. Eigentlich hatte er nichts gegen Ausländer. Aber nun konnte er seine Meinung nicht mehr ändern, nun hatte er sich festgelegt.
„Ich habe keinen Bock auf Ärger“, erklärte er lahm.
„Noch nicht!“, warnte ihn Albert. „Warte ab, wenn du das erste Mal mit deinem Mädel ins Kino gehst. Dann stehen die Kanaken da, machen einen auf Obermacker und fegen dich an. Und im Park stehen die Typen aus Afrika und verticken Drogen.“
„Dann werde ich ihnen schon das Maul stopfen!“, meinte Felix selbstbewusst.
„Klar kannst du das! Du bist ja auch Superman, der sich gleich mit mehreren anlegt. Hast du es noch nicht kapiert? Kanaken und Schwarze kommen immer im Rudel. Also müssen wir auch zusammenhalten! Verstehst du das?“
„Klar!“
Eigentlich war nichts klar, ganz im Gegenteil! Felix hatte gerade das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein, aber es war zu spät. Jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Er gehörte nun zu dieser Klasse, musste sich ihren Regeln anpassen, oder er wäre wieder zum Außenseiter abgestempelt. Er konnte nur hoffen, dass seine Klassenkameraden nicht wirklich eine Schlägerei provozierten. Ihn irritierten das harmlose Auftreten der Jugendlichen, die freundliche Balgerei und dann wieder die unreflektierten Hasstiraden gegen Ausländer. Er konnte einfach nicht abschätzen, wie ernst sie es damit meinten. Hier gab es keine Grauzonen, keine Gruppenbildungen, wie es im Gymnasium üblich gewesen war. Alle Jungen hatten dieselbe Meinung, und wer sich dagegenstellte, war automatisch Außenseiter. Also passte Felix sich an, kleidete sich sogar wie die anderen, um ja nicht aufzufallen.
Dann verabredeten sie sich auf dem Herbstfest, begrüßten sich im Festzelt grölend mit „Heil Hitler“, auch Felix, und kamen sich großartig vor, weil es niemand wagte, sie zu belehren oder zu ermahnen. Felix gehörte nun zu dieser Gruppe, spielte nach ihren Regeln und sah die Vorurteile der anderen gegenüber Ausländern bestätigt.
Er fand es entsetzlich, wie sich ausländische Jugendliche kleideten, mit goldenen Ketten behängten, als wären sie Migos oder sonst irgendein Rapper, in Gruppen herumlungerten und deutsche Mädchen anmachten. Übel, richtig übel!
Aber in der Gruppe, ja, da waren sie stark, da trauten sich diese Typen mit ihren überdimensionalen Ghettoblastern nicht an sie heran. Felix tauchte in diese Gruppe aus demonstrativer Gemeinschaft und gelebtem Zusammenhalt ein. Es machte Spaß, die Erwachsenen herauszufordern, ihre Ohnmacht mitzuerleben, denn gegen eine große Gruppe Jugendlicher wagte niemand etwas zu sagen. Felix fand das alles toll! Auf den Bierbänken zu sitzen, verbotenerweise ein Bier zu trinken und gegen andere zu grölen! Hämisch beobachtete er, wie Familien sich von ihnen wegsetzten, Mütter verständnislos die Köpfe schüttelten und andere Jugendliche bewundernd zu ihnen herüber schielten! In der Gruppe fühlte er sich stark! Sonst wollte niemand etwas von ihnen wissen, überall stießen sie auf Ablehnung und Unverständnis, aber in der Gruppe hielten sie zusammen. Ihr Feindbild war klar! Beim Herbstfest ging es gegen die Türken und Syrer, ansonsten gegen Russen und Schwarze! Noch war alles harmlos. Türkenwitze, kleinere Rangeleien, doch hier und da hing bereits ein Hakenkreuz im Keller, natürlich nur aus Spaß, und es war modern, rechtsradikale Lieder zu hören.
Felix hatte diese Lieder auch auf seinem Laptop, fand es ganz schön krass, wie hier offen gegen Ausländer gehetzt wurde. So etwas hatte er noch nie gehört! Aber es war ja nur Musik, die illegal vom Internet heruntergeladen wurde! Nichts Ernstes! Nur nicht damit auffallen, dass man vielleicht eine andere Meinung hatte!
Fleißig lud er sich die neuesten Hits herunter und überspielte damit auch sein schlechtes Gewissen, obwohl er seiner Mutter manchmal nicht mehr in die Augen schauen konnte. Hoffentlich kontrollierte sie nie seinen Computer, und hoffentlich musste er nie ihre unbequemen Fragen beantworten. Er wich seiner Mutter weiträumig aus und knurrte nur kurze Antworten, wenn sie ihn manchmal auf der Treppe erwischte.
Doch dann erhielten sein Enthusiasmus und seine Heimlichtuerei einen gewaltigen Dämpfer. Bei einem Mädchen in seinem Bekanntenkreis hatte die Polizei den Computer sichergestellt, massenweise kopierte Filme und Musik gefunden, und nun drohte der Familie eine Strafe von mehreren tausend Euro. Vorsichtig fragte Felix seine Mutter, wie man denn Daten auf dem Computer sicher löschen könnte, und erntete einen erstaunten Blick. „Eigentlich gar nicht! Außer du fragmentierst die Festplatte und spielst ein neues Betriebssystem drauf. Wieso?“
„Na ja, ich habe mir einige Lieder aus dem Internet heruntergeladen. Ich dachte, das geht, aber nun hat sich herausgestellt, dass es anscheinend illegal ist.“
„Wie kommst du ins Internet?“, fragte seine Mutter mit ihrem messerscharfen Verstand.
„Äh!“, stotterte er verlegen. Dann grinste er frech. Angriff ist die beste Verteidigung! „Ich habe dein Passwort geknackt!“
„So!“, erwiderte seine Mutter. „Und nun möchtest du, dass ich dir bei deinen kriminellen Machenschaften helfe?“
„Ja! Weil es nämlich ziemlich teuer werden kann, wenn ich erwischt werde.“
„Schöner Mist! Das können wir uns im Moment gar nicht leisten. Also gut! Dann zeig mir mal, was du da angerichtet hast.“
Bereitwillig führte Felix seine Mutter in sein Zimmer und fuhr den Computer hoch. Er zeigte ihr den Ordner mit seinen Musikdateien und erklärte ihr, wie er die Musik heruntergeladen hatte. „Auf den Seiten hieß es, dass es legal sei!“
„Was es nicht alles gibt!“, wunderte sich seine Mutter, dann verfinsterte sich ihr Gesicht, als sie die Titel der einzelnen Lieder las. „Sag mal, was sind denn das für Lieder?“, fragte sie entsetzt.
„Wieso?“ Felix setzte ein unschuldiges Gesicht auf.
„Na ja, diese grässlichen Lieder hier! Sag mal, spinnst du?“
„Mei, die sind halt gerade ‚in‘ bei uns!“, verteidigte sich Felix lahm.
„In?“, bohrte seine Mutter. „Und was ist noch so ‚in‘ bei euch?“
„Wieso?“, wehrte Felix die Frage ab. „Bei uns ist alles normal!“
„Aha, na, dann löschen wir diesen Mist doch einfach! Und bitte sorg dafür, dass dieser Schrott nicht wieder auf deinem Computer auftaucht. Außerdem werde ich wohl das Passwort fürs Internet ändern. Ich dachte, du würdest deine Zeit nutzen, um zu lernen!“ Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit, aber auch Wut.
„Mama!“, beschwerte sich Felix. „Mein Clan braucht mich! Ich habe ein wichtiges Spiel.“
„Deine Schule braucht dich! Und das Leben! Aber nicht dieser virtuelle Unsinn! Im Internet bestehst du keinen Quali und machst auch keine Ausbildung. Wach auf, mein Freund! Hier ist das Leben!“
„Das musst du ja gerade sagen! Wer lebt denn die ganze Zeit in einer Scheinwelt!? Du mit deinen blöden Indianern!“
„Immerhin verdiene ich damit meinen Lebensunterhalt. Das kann man von dir nicht behaupten.“
„Mama, ich lern doch genug! Wenn ich gute Noten habe, dann kannst du mich doch auch ein bisschen spielen lassen.“
„Natürlich kann ich das“, erklärte seine Mutter großmütig. „WENN du gute Noten hast! So ist der Deal! Gute Noten – Zugang zum Internet.“
„Das ist Erpressung!“
„Genau!“
Seine Mutter löschte die Festplatte, installierte ein neues Betriebssystem; dann ließ sie ihn allein. Natürlich änderte sie den Zugangscode für das Internet, und nach hundertfünfzig Versuchen, es zu knacken, sank Felix mit Tränen der Wut in den Augen auf sein Bett zurück. Diese Mistmade!
Er hatte alles ausprobiert! Die Namen aller Familienmitglieder, samt längst verstorbener Haustiere, Indianerhäuptlinge, Stämme, Lieblingslieder seiner Mutter, einfach alles, aber er konnte nicht ins Internet. Langsam dämmerte ihm, was das hieß!
Sein Clan! Er würde seinen Status verlieren, konnte die nächsten Spiele nicht mitspielen; er würde damit Freunde verlieren, und, und, und …
Wütend drosch er sein Kopfkissen gegen die Wand, dann riss er die Tür zum Treppenhaus auf. Seine Mutter konnte ihn doch nicht wie ein kleines Kind behandeln! Er donnerte die Treppe hinunter und stellte seine Mutter in der Küche zur Rede: „Gib mir den Zugangscode!“
„Oder was?“
Er nahm einen Teller und drosch ihn auf den Boden. „Gib mir den Zugangscode!“
Die Augen seiner Mutter wurden groß. So etwas hatte sie noch nie erlebt. „Oder was?“, funkelte sie zurück.
Er nahm den nächsten Teller und knallte ihn ebenfalls auf den Boden. Die Scherben flogen durch die ganze Küche, und seine Mutter trat erschrocken einen Schritt zurück. „Sag mal, spinnst du?“
„Gib mir den Zugangscode!“, brüllte Felix aufgebracht.
„Nein!“, schrie seine Mutter zurück. „Du bist ja völlig durcheinander! Merkst du nicht, wie dich das Xbox-Spielen aggressiv macht? Es schadet dir!“
„Gib mir den Zugangscode!“, drohte Felix und schlug mit der Faust gegen den Kühlschrank. Eine Delle entstand, und seine Mutter wich einen weiteren Schritt zurück. „Ich gebe dir gar nichts!“, erklärte sie mit fester Stimme, nur einige Schweißtropfen auf ihrer Stirn verrieten, dass sie sich weit mehr aufregte, als sie zugeben wollte.
„Du hast mir gar nichts zu verbieten!“, zischte Felix aufgebracht. „Ich bin doch kein kleines Kind mehr! Gib mir den Code!“ Er schäumte vor Wut und machte einen drohenden Schritt auf seine Mutter zu. Seine Mutter reagierte instinktiv und schubste ihn mit beachtlicher Kraft weg. „Raus! Raus aus meinem Haus!“
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