Kitabı oku: «BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN», sayfa 5
Wenig Ludwig, noch weniger Adolf. Michael Appel über Revolution und Räterepublik
1969 kam der Band Revolution und Räterepublik in München 1918/19 in Augenzeugenberichten heraus. Dessen Erzählstruktur hat der Historiker und BR-Regisseur Michael Appel fast fünfzig Jahre später neu belebt. Er arrangiert mit großem Geschick zahlreiche Stimmen von Zeitzeugen – und zwar, was nicht unbedingt üblich ist, Stimmen aus völlig unterschiedlichen politischen Lagern. Die Lebenszeugnisse und Schriften des bekanntermaßen revolutionär gesinnten Oskar Maria Graf, »eigentlich die Idealfigur eines Münchner Strizzis«, sind eine zentrale Quelle, die des konservativ-reaktionären Gymnasiallehrers und Publizisten Josef Hofmiller oder die des Geschichtsprofessors Karl Alexander von Müller sind es ebenfalls. »Alles ist aus der Sicht derjenigen erzählt, die diese Zeit gestalteten, auf sie läuft es zu, und das ist eine in der Geschichtswissenschaft eher ungewöhnliche Herangehensweise.« Wissenschaftler wie Max Weber oder Victor Klemperer werden zitiert, Schriftsteller wie Erich Mühsam, Ernst Toller, Rainer Maria Rilke oder Ricarda Huch, engagierte Frauen wie Lida Gustava Heymann oder Germaine Krull, der kenntnisreiche Jurist Philipp Loewenfeld, Politiker wie Kurt Eisner, Felix Fechenbach oder Ernst Niekisch, aber auch Maximilian von Brettreich, Ernst Müller-Meiningen und andere Vertreter der monarchistischen Ordnung. Nicht zuletzt der Münchner Bahnhofsvorstand Max Siegert, auch ein gewisser Krembs, Jagdgehilfe seiner Majestät. Der Autor entfaltet einen ungewöhnlichen Chor mehr oder minder »authentischer« Stimmen – wobei ihm bewusst ist, wie problematisch dieses »authentisch« sein kann. Er arrangiert nicht nur, er bewertet und deutet auch. Eine wissenschaftliche Studie ist das dennoch nicht. Sondern ein Lesebuch. Es liest sich flüssig und bietet allerhand.
Appel führt zunächst den Münchner Kriegsalltag sowie die rasante Zerstörung der gewohnten monarchisch-bürgerlichen Ordnung vor Augen. Seine Quelleninterpretationen sind oft treffend, bisweilen auch über Gebühr kühn: »Das Leben war, nach heutigem Begriff, eine radikale Hungerkur, und das jahrelang … das Erlebnis des ›Dotschnwinters‹ 1916/1917 war so traumatisch, dass die eigentlich schmackhafte Rübe das gesamte 20. Jahrhundert aus dem kulinarischen Orbit im Land verbannt blieb.« Seine Herangehensweise bewahrt ihn vor vorschnellen Einordnungen und Urteilen: »Die Zukunft war eine große, rätselhafte Glaskugel, in die alle blickten, ohne die Spur einer Gewissheit herauslesen zu können.«
Appel macht plausibel, dass und wie die Nöte und Ängste vieler Menschen zum Agens der Geschichte werden können. Die Regierung nahm die Friedenssehnsucht und Revolutionsstimmung im Lande durchaus wahr, blieb aber unentschlossen und zögerlich – Kurt Eisner hatte leichtes Spiel, als Redner in den Bierkellern ebenso wie am 7. November 1918. »Die Macht des Kriegsministers löst sich innerhalb weniger Stunden völlig friedlich und ohne ein Todesopfer auf. Um etwa acht Uhr abends ist klar, dass die Meuterei alle Kasernen erfasst hat.« Kurt Eisner konnte die Revolution politisch verankern, und König Ludwig III., im Volksmund »Millibauer« genannt, verließ die Hauptstadt in Richtung Chiemgau. »Eine Institution des alten Europa verschwindet. Doch was die hungernden Menschen in München empfinden, ist nicht der Untergang. Sie erleben das Neue, das Werden … Schilder mit der Aufschrift ›Hoflieferant‹ wurden noch in der Revolutionsnacht entfernt.«
Für Michael Appel fängt in dieser Nacht die bis heute nicht abgeschlossene Etablierung einer Zivilgesellschaft an – eine steile These, der man nicht zustimmen muss. Jedenfalls schildert er behutsam und umsichtig, immer auch mit Blick auf bayerische Provinzorte und auf die Reichshauptstadt Berlin, wie es weiterging bis zu den Landtagswahlen am 12. Januar 1919, die der USPD des Ministerpräsidenten lediglich 2,5 Prozent der Stimmen bescherten. Die Schüsse vom 21. Februar nennt Appel »eine Urkatastrophe«, die letztlich dazu geführt habe, aus dem Soldatenrat Adolf Hitler den Führer des deutschen Volkes zu machen. »Mit dem Mord an Eisner begann eine neue Zeit … ›Stabilität‹ wurde nach den Schüssen in München ein Fremdwort in der politischen Begriffswelt. Stattdessen machte das ›Durcheinander‹ als Codewort Karriere und wurde die am meisten benutzte politische Vokabel der Zeit.«
Das »Durcheinander« im Frühjahr 1919, die zweite Räterepublik und ihre Niederschlagung schildert der Autor detailliert und nachvollziehbar. »Die weißen Truppen waren nicht nur mit dem Kampf beschäftigt. Ihre Methode war der durch das Standrecht und den alle Übergriffe deckenden Schießbefehl erlaubte Mord. Die Schilderungen dieser Taten sind zahlreich.« Mit der Legende vom Freiheitskampf der bodenständigen oder gar königstreuen Bayern gegen Kommunisten, Spartakisten und Rote Armee räumt Appel gründlich auf; den Freikorps-Mythos entlarvt er als folkloristischen Fake.
Inwiefern allerdings Adolf Hitler als Spross von Revolution und Räterepublik gesehen werden kann, bleibt, anders als es der Untertitel des Buches suggeriert, weitgehend im Unklaren. Was, zumindest bis 1920, an der dürftigen Quellenlage liegt. Überhaupt führen Titel und Untertitel ein wenig in die Irre – weder Ludwig III. noch Adolf Hitler spielen entscheidende Rollen in dieser bemerkenswerten, methodisch ungewöhnlichen und öfter zum Widerspruch herausfordernden Studie. Im Chor der Jubiläumsneuerscheinungen zu Revolution und Räterepublik in Bayern wird sie ihren Platz behaupten.
Michael Appel: Die letzte Nacht der Monarchie. Wie Revolution und Räterepublik in München Adolf Hitler hervorbrachten. München 2018: dtv Verlagsgesellschaft. 384 S.
Clemensstraße 84. Als B. Traven noch Ret Marut war
Für Günther Gerstenberg
Einen Tag, bevor der weltweit erfolgreiche Schriftsteller B. Traven 1969 starb, soll er seiner Frau anvertraut haben, dass er mit dem an der Münchner Räterepublik beteiligten Ret Marut identisch sei. Doch auch Ret Marut war ein Pseudonym gewesen. Nur das Werk und die Tat machten den kreativen Menschen aus, nicht seine Biografie – das war ein Leben lang das Credo dieses Mannes. Wer war Ret Marut, und woher kam er?
Sein ganzes Leben lang hat sich der im Grunde heimatlose Einzelgänger weitgehend der Öffentlichkeit entzogen, und so ist es kein Wunder, dass eine umfangreiche Traven-Forschung entstand, die sich weniger der Analyse von Romanen wie Das Totenschiff oder Der Schatz der Sierra Madre widmete als vielmehr der Enthüllung der zahlreichen Rätsel um die Biografie ihres Autors. Viel Unsinn ist da geschrieben worden, selbstverständlich auch viel Erhellendes – aber das wäre ein eigenes Thema.
Vorerst hat man sich mehrheitlich darauf geeinigt, dass sich hinter den vielen Pseudonymen dieses Schriftstellers Hermann Albert Otto Maximilian Feige verbirgt, der am 23. Februar 1882 geborene Sohn eines Töpfers und einer Fabrikarbeiterin aus Schwiebus in der damals preußischen Provinz Brandenburg (Świebodzin im heutigen Polen), später als Gewerkschaftssekretär in Gelsenkirchen sowie als Schauspieler und Regisseur in Essen und Düsseldorf tätig. Eine seiner wichtigen »Orientierungsgrößen« war, wie Helmuth Kiesel in seiner imposanten Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918–l933 schreibt, »zweifellos der Radikalaufklärer Max Stirner, der mit seinem berühmten Buch ›Der Einzige und sein Eigentum‹ (1844, vordatiert auf 1845) die Interessen des einzelnen Ich zur allein maßgebenden Größe erhoben und damit den Individualanarchismus auf den Weg gebracht hatte«. Im Kontext der Revolution von 1918/19 ist vor allem interessant, welche Rollen der geheimnisvolle Anarchist und Antimilitarist in München spielte. Und warum die Zeitschrift Der Ziegelbrenner, die Ret Marut ab 1917 herausgab und die Kaiser und Reich, vor allem aber die konkurrierende Presse und hier speziell den Vorwärts oft vehement und wütend attackierte, unbedingt zur Geschichte der Münchner Literatur und Politik jener Jahre gehört. Auch wenn, wie Michael Schweizer in der Zeitschrift Kommune polemisch bemerkt hat (8/1989), »Maruts Fähigkeit, neben schriftstellerischen Hochleistungen immer wieder hanebüchenen Unsinn zu produzieren«, recht offenkundig ist und sich auch in späteren Traven-Texten aufspüren lässt.
Oskar Maria Graf, ein nicht unbedingt zuverlässiger Zeuge, hat später einmal festgehalten: »Marut war eine der seltsamsten Erscheinungen jener Zeit. Er brachte noch im Laufe des Krieges das Kunststück fertig, eine höchst provokante Anti-Kriegszeitschrift unter dem Titel ›Der Ziegelbrenner‹ trotz der verschärften Zensur herauszubringen. ›Der Ziegelbrenner‹ war eine unscheinbare schmale ziegelrote Zeitschrift, die nur an persönliche Besteller ging, und Marut erklärte dem Zensor kaltblütig, dass es sich um eine harmlose, mehr vereinsmäßige Maurerzeitschrift handle. Marut, ein stiller, völlig zurückgezogener Mensch, welcher die Artikel selbst schrieb und druckte, erschien jedes Mal persönlich vor dem Zensuramt und reichte das fertige Heft ein. Die Innenseiten des roten Umschlages und die Schlussseite waren mit den üblichen patriotischen Aufforderungen ›Zeichnet Kriegsanleihe‹ usw. gepflastert, der Text offenbar aus irgendwelchen anderen Fachzeitungen zusammengeholt. Der Zensor überflog alles, fand nie etwas zu beanstanden, genehmigte und drückte den Stempel auf den Umschlag. Der bescheidene Mann ging nach Hause, heftete in die Umschläge einen anderen Text, der meist aus einem krausen Buchstabengemenge von willkürlich nebeneinandergedruckten großen und kleinen Lettern zu bestehen schien, sodass jeder Mensch den Eindruck gewann, es handle sich um eine verrückte Literaturzeitschrift. Er verschickte die Hefte, und alles verlief glatt. In Wirklichkeit war diese Zeitschrift das flammendste Anti-Kriegspamphlet, eine ätzend scharfe revolutionäre Revue, die den Vergleich mit Karl Kraus’ ›Fackel‹ nicht zu scheuen brauchte.« Ob das wirklich so stimmt, ist ungewiss – Rolf Recknagel schrieb am 26. Juli 1966 an Erich Wollenberg, dass eigentlich alles, was Graf über die fragliche Zeit berichtet, »mehr oder weniger Dichtung, Fantasie, Legende« sei.
Laut Polizeiakten meldete sich Ret Marut am 13. November 1915 in München an. Bald wohnte er im dritten Stock des Hauses Clemensstraße 84, nur fünf Häuser neben Sarah Sonja Lerch. »Leider habe ich bis jetzt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die beiden sich wahrgenommen oder geradezu gekannt haben«, sagte mir Günther Gerstenberg, der bekanntlich alles über die Münchner Arbeiterbewegung weiß. Ret Marut knüpfte Verbindungen zu Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und anderen damals in München agierenden Intellektuellen, Künstlern und Politikern, darunter auch zu den aus Luxemburg stammenden Studenten Pol Michels und Gust van Werveke.
Auch wenn er in Literatenkneipen wie dem Café Glasl an der Ecke Amalien- und Theresienstraße verkehrte – ein einsamer Großstadtwolf blieb er immer. In seiner Antikriegs-Novelle An das Fräulein von S. … finden sich die Sätze: »Was ist mir Krieg und was das brausende Erwachen eines ganzen Volkes zu einem einzigen Willen? Denn ich bin allein, mutterseelenallein!« In der Gesellschaft aufklärend wirken, allen »Verhetzungen der Völker« entgegenarbeiten und daran erinnern, dass es die erste und schönste Pflicht des Menschen sei, »vor allem Mensch zu sein«, das wollte Ret Marut aber unbedingt, und das versuchte er vor allem mit seiner Zeitschrift (Brief an Gust van Werveke vom 24.9.1917, in: Der Ziegelbrenner, 2, S. 47). Mitten im Krieg konnte man im Ziegelbrenner politisch höchst unliebsame Sätze wie »Gedenkt der blutenden Männer und Söhne« oder »Nicht der Staat ist das Wichtigste, sondern der Einzelmensch ist das Wichtigste« lesen (Der Ziegelbrenner 9–14, S. 94).
Als die Revolution endlich in Gang kam, war Ret Marut mitten drin und arbeitete engagiert im »Zentralrat der Räte-Republik Baiern« mit. Mit Nation, Kapitalismus oder Kirche wollte er nichts zu tun haben, die Oktoberrevolution in Russland begrüßte er als »das gewaltigste und folgenschwerste Ereignis für den Fortschritt menschlicher Entwicklung« (Der Ziegelbrenner 5–8, S. 114), und mit der eher dem Bürgertum zugewandten Sozialdemokratie ging er hart ins Gericht.
Nach dem Mord an Kurt Eisner am 21. Februar 1919 wurde der Mann, dem das Recht auf Meinungsfreiheit selbstverständlich und unverhandelbar war, für kurze Zeit Zensor im Dienste der Revolution und ging unter anderem der Redaktion der München-Augsburger Abendzeitung gehörig auf die Nerven. Wenige Wochen später wurde Ret Marut verhaftet – er selbst hat das später geschildert, unter anderem mit folgenden Sätzen: »Der Schriftleiter des ›Ziegelbrenner‹ wurde nach Waffen durchsucht! Man kann natürlich auf nackten Ziegelsteinen auch nach Trüffeln suchen, wenn man nichts weiter zu tun hat …«
Als die Revolution niedergeschlagen war und das große Morden begann, hatte Ret Marut Glück – wie genau er dem Feldgericht entkam und aus München flüchten konnte, ist umstritten. Er schaffte es jedenfalls, und bald darauf verliert sich seine Spur. Dass er Bayern später noch einmal betreten hat, ist unwahrscheinlich. »Mit der Niederschlagung der Räterepublik im Mai 1919 setzte in Bayern ein Rechtsruck ein«, stellt Ralf Höller lapidar fest. Ob der Schriftsteller B. Traven im fernen Mexiko das überhaupt mitbekommen hat, weiß man nicht.
Der Ziegelbrenner. 1.–4. Jahrgang, September 1917 bis Dezember 1921 (40 Nummern in 13 Heften). München (Faksimile: Leipzig 1967).
Armin Richter: Der Ziegelbrenner. Das individualistische Kampforgan des frühen B. Traven. Bonn 1977.
Rolf Recknagel: B. Traven. Beiträge zur Biografie. Leipzig 1982 (1965).
Karl S. Guthke: B. Traven. Biografie eines Rätsels. Frankfurt 1987.
Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): B. Traven (Text + Kritik 102). München 1989.
Ralf Höller: Der Anfang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern 1918/19. Berlin 1999.
Bernd Kramer / Christoph Ludszuweit (Hrsg.): Der Feuerstuhl und die Fährtensucher Rolf Recknagel Erich Wollenberg Anna Seghers auf den Spuren B. Travens. Berlin 2002.
Jan-Christoph Hauschild: B. Traven – Die unbekannten Jahre. Zürich / Wien / New York 2012.
Gast Mannes: Die Luxemburg Connection. Ret Marut / B. Traven, Pol Michels und Gust van Werveke. Mersch / Luxembourg 2013.
Auracia E. Borszik / Hanna Mateo (Hrsg.): B. Traven – Der (un-) bekannte Schriftsteller. Hamburg 2017.
Helmuth Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918–1933. München 2017.
Arbeiter und Soldaten! Männer und Frauen! Laura Mokrohs würdigt die Dichtung der Revolution
Noch bis Ende Juni 2019 zeigt die Münchner Stadtbibliothek Monacensia die Ausstellung »Dichtung ist Revolution«, und drum herum gibt es ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm. Dichtung ist Revolution, erarbeitet von der Ausstellungskuratorin Laura Mokrohs, versteht sich als Begleitbuch zu dieser Schau. Es ist aber noch viel mehr. Die im Untertitel versprochenen Bilder, Dokumente und Kommentare wird man noch lang nach Ende der Ausstellung mit Gewinn betrachten, lesen und studieren. Ein schönes Buch!
Es geht hier nicht noch einmal um den vielfach dokumentierten Ablauf der Münchner Ereignisse der Jahre 1918 und 1919, jedenfalls nicht in erster Linie. Es geht um die Dichtung – und um die Frage, was Literaten wie Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller dazu bewog, sich in die Politik einzumischen und die Revolution, zumindest in München, entscheidend mitzugestalten. Die zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen den oft in einem Atemzug genannten Dichtern treten deutlicher hervor als andernorts. Vier Revolutionäre, sicher – aber eben auch vier ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, die als Literaten nicht über einen Kamm zu scheren sind und auch in vielen praktischen Fragen nicht immer einer Meinung waren.
Wer nach der Einleitung und dem Abschnitt über »München um 1900«, in dem es um das Verhältnis von Bohème und Arbeiterbewegung, um nationalistisch-völkische Strömungen und um den Januarstreik 1918 geht, womöglich befürchtet, in ein germanistisches Fachbuch geraten zu sein, wird bald beruhigt aufatmen: Die Autorin, die ihr Material nicht nur aus den Beständen der Monacensia, sondern aus vielen Archiven zusammengetragen hat, unter anderem aus dem Moskauer Maxim-Gorki-Institut für Weltliteratur, schreibt klar und anschaulich.
Wie eng Kurt Eisner als Dichter dem 19. Jahrhundert verbunden war, erfährt man hier – er konnte bereits auf ein »Werk« zurückblicken und 1918, während seiner Haftzeit, Texte für seine zweibändigen Gesammelten Schriften zusammenstellen. Sein erst 1920 erschienenes, für sein Gesamtwerk zentrales und deshalb genauer analysiertes Theaterstück Die Götterprüfung hatte er schon 1898 begonnen. Eisners zeittypische Lyrik kommt nicht zu kurz, etwa sein Gesang der Völker mit den Schlussversen: »Die Menschheit gesunde / In schaffendem Bunde, / Das neue Reich entsteht. / Oh Welt werde froh! / Welt werde froh!«
Nicht verschwiegen werden die vehementen Zweifel, die Gustav Landauer am nachhaltigen Erfolg der Revolution hegte: »So stehen wir vor der größten Wandlung, ohne dass die meisten innerlich bereitet und gewandelt sind«, schrieb er 1918 noch vom schwäbischen Krumbach aus, das mit dem oberfränkischen Kulmbach nicht zu verwechseln ist. Laura Mokrohs weist in ihren Bemerkungen zu seiner Ansprache an die Dichter auch darauf hin, dass Gustav Landauer den Idealen der Französischen Revolution und dem Pathos von Beethovens neunter Symphonie bis zu seinem gewaltsamen Tod eng verbunden blieb.
Was für Differenzen Erich Mühsam nicht nur tagespolitisch, sondern auch als Dichter und Lebensreformer mit Kurt Eisner hatte, arbeitet die Autorin einprägsam heraus; es ist ja bekannt, dass für Mühsam, anders als für Eisner, die Revolution erst mit der vollständigen Herrschaft der Räte an ihr Ziel gelangen kann. Klar wird auch, dass Mühsams sensationelle Zeitschrift Kain qualitativ höher einzuschätzen ist als Eisners Schriften. Herzzerreißend seine im abschließenden Kapitel »Von der Revolution zur Reaktion« abgedruckte Seite aus Meiner Zenzl zum Hochzeitstag (1923)!
Der jüngste der vier Literaten, Ernst Toller, »sehnt die Revolution oder den politischen Wandel nicht bereits über Jahre herbei, sondern wird von den Ereignissen erfasst«, betont Laura Mokrohs, die wenig Zweifel daran lässt, dass der Verfasser von Masse Mensch (1921) ein erstrangiger und bis heute lesenswerter deutscher Dichter ist.
Das letzte Kapitel, das vor allem den massiven Antisemitismus der gegenrevolutionären Propaganda herausstellt und die mehr als unrühmliche Rolle des immer noch mit einem Schwabinger Straßennamen geehrten Psychiaters Emil Kraepelin im Standgerichtsprozess gegen Toller beleuchtet, ist vielleicht das beste des ganzen Buches. Laura Mokrohs, die sich dort unter anderem mit den Gedichten aus Ernst Tollers Schwalbenbuch (1924) auseinandersetzt, kann auch berührend subjektiv schreiben: »Noch heute leben Schwalben in der JVA Niederschönenfeld, und das Leben und die Geräusche, die sie in die Zellen bringen, machen die Empfindungen Tollers deutlich nachvollziehbar.« Im Rückblick wird die Empörung über die blindwütige und grausame Niederschlagung der Räterepublik Anfang Mai 1919 überlagert von Trauer und Wehmut. Dafür aber sind schon immer die Dichter zuständig.
Laura Mokrohs: Dichtung ist Revolution. Kurt Eisner – Gustav Landauer – Erich Mühsam – Ernst Toller. Bilder, Dokumente, Kommentare. Regensburg 2018: Friedrich Pustet Verlag. 128 S.
Heimelig und wundersam. Die Landshuter Poetin Berta Huber
»Berta – who?«, mögen Sie sich fragen, und da sind Sie schon sehr nahe dran. Berta Huber heißt die 1897 als Tochter eines Bäckers aus der Landshuter Grasgasse geborene Dichterin, die Helmut Stix, Grafiker und außerdem Kulturamtsleiter der Stadt, nicht nur neu entdeckt, sondern auch gleich zum Thema der 7. Landshuter Literaturtage im Herbst 2003 gemacht hat. Berta Huber war nicht etwa vergessen, sie war auch zuvor im literarischen Bewusstsein kaum aufgetaucht. Zu ihren Lebzeiten – sie starb 1969 – war die Klavier- und Violinlehrerin, die einst wie Brecht oder Fleißer bei Artur Kutscher in München studiert hatte, nur sehr Wenigen bekannt. Sie lebte die allermeiste Zeit ihres Lebens bescheiden unweit des Landshuter Rathauses, und sie veröffentlichte immer wieder Gedichte, meistens in der Lokalzeitung. Der finnische Komponist Yrjö Kilpinen hat einige Texte aus ihrem Zyklus Aus einer kleinen Stadt vertont, was in den Vierziger- und frühen Fünfzigerjahren Konzerte und Rundfunksendungen mit sich brachte – wer aber kennt diese Lieder noch? Es gibt nur spärliche Informationen über sie, vor allem aber gibt es keine Ausgabe ihrer Werke. Berta Huber hat weit mehr als hundert Gedichte geschrieben, viele davon in mehreren Fassungen, und vielleicht gibt es noch mehr. Immerhin existiert ein schmales Bändchen mit einer schönen Auswahl ihrer Gedichte, das man bei der Stadt Landshut bekommen kann. Wie wäre es zum Beispiel mit Vogel im Käfig?
Ermattet von dem steten Hin und Her
Ist nun das kleine Herz und ohne Wille.
Nur manchmal fährt, als ob es Rettung gäbe,
Der Flügel heftig an die engen Stäbe,
Die Krallen zittern – kein Entrinnen mehr!
Nun wird das Licht, das durch den Käfig fällt,
Für ihn ein Sterbelicht, und eine Welt
Von Tönen, Liedern stirbt in dieser Stille.
Leicht zu erkennen, dass da einer der Wahlverwandten Berta Hubers Pate gestanden hat – die Folie von Rainer Maria Rilkes berühmtem Panther ist schwer zu übersehen. Vogel im Käfig deutet an, dass Berta Huber weit mehr war als eine handwerklich solide Heimatdichterin. Sie als »Landshuter Grasgassenpoetin« zu charakterisieren, liegt zwar zunächst auf der Hand, denn dass ihr Leben und ihre Gedichte eng zusammengehören, wird allein schon dadurch evident, dass die Isar, die Altstadt mit den Bögen und dem Martinsdom, die Jodokskirche, die Gras-, die Königsfelder- und andere Gassen, die Burg Trausnitz samt Söller und Narrentreppe, die Kirche Heilig Blut, die Kapelle Maria Bründl und vieles mehr aus dem alten Landshut in ihren Gedichten direkt auftauchen.
Trotzdem darf man Berta Hubers Lyrik nicht nur im Hinblick auf die Biografie der Dichterin interpretieren. Wie alle Gedichte stehen auch ihre in einer innerliterarischen Tradition, die ihnen Bilder und Motive bereitstellt – bei Berta Huber kommen viele aus der deutschen Romantik eines Brentano, Eichendorff, Mörike oder Wilhelm Müller, auch aus dem späteren 19. Jahrhundert. Ihre Gedichte stehen außerdem, auch wenn man es vielen nicht gleich ansieht, in zeitgenössischen Bezügen, in sozialen und kulturellen Kontexten, und man kann sie als persönliche Umformungen dieser Bezüge lesen.
Acht Verszeilen, die charakteristisch sind für den »Sound« vieler ihrer Gedichte, tragen die Überschrift Muttersprache und lauten so:
Schon in der Wiege war der Laut
Der Muttersprache mir so traut,
Weil unbewusst der süße Klang
In meine Kindesseele drang.
Und später, als ich größer, sprach
Ich ganz genau den Wortlaut nach.
So wuchs in mir derselbe Ton,
Erlauscht in meiner Wiege schon.
Ein scheinbar einfaches kleines Gedicht über das Handwerkszeug der Poeten, dessen eingängiger Rhythmus die für Berta Hubers Werke grundsätzliche Nähe zum Musikalischen andeutet. Vier Paarreime sind es, in denen »Ich« gesagt wird – das Ganze wirkt für uns Heutige und wirkte wohl auch für manchen Zeitgenossen Berta Hubers ein wenig altmodisch in der Wahl der sprachlichen Mittel. Ein im traditionellen Sinne gerundetes Gedicht liegt hier vor, mit Wendungen und Wörtern, die schon in der Goethezeit in der deutschen Literatursprache auftauchen. Zu Lebzeiten Berta Hubers sprach man nicht mehr so, und bei den Lyrikern ihrer Zeit, die vom geschlossenen Kunstwerk nur mehr wenig hielten, schon gleich gar nicht. Berta Huber aber dichtete weder so, wie man im Landshuter Alltag um 1920 sprach, noch so, wie die wilden Modernen in München oder Berlin damals ihre Lieder und Gedichte machen zu müssen glaubten. Unpolitisch sind ihre Verse, idyllisch sind sie und sehr sanft, heimelig und wundersam, und in allen Dingen schläft auch hier ein Lied. Eine friedliche, im Einklang mit der Tradition stehende kleine Welt beschwören diese Gedichte, eine wie aus der Zeit gefallene familiäre Kinderwelt, die dem Wechsel der Jahreszeiten lauscht und die Hast des Tages spätestens dann vergisst, wenn das mondbeglänzte Reich des Träumens anbricht.
»O mei!«, könnten Sie jetzt seufzen, war denn diese Berta Huber ganz von dieser Welt? Oder wollte sie ganz bewusst keine Zeitgenossin sein? Denn dass die moderne Welt, von der auch ihre Vaterstadt nicht abgeschnitten war, in ihren Gedichten oft flach, leer und ohne jedes Geheimnis wirkt, ist deutlich. Wenn sie überhaupt darin vorkommt. Offenbar will die Dichterin »des Lebens Drang«, der sie nur festhält »in seinem Zwang« (so heißt es in Mein Vaterhaus), eben nicht zum Gegenstand ihrer Kunst machen, sondern eine poetische Gegenwelt dazu entwerfen. Das Gedicht Heimat endet beinahe programmatisch so: »Ich frage nicht nach Welt und Zeit / Weiß nur, ich bin zu Haus.« Revolutionär ist das wirklich nicht. Charakteristisch für Berta Hubers Werk ist eine Abwehrhaltung, der die Großstadt, die moderne Arbeitswelt, das Geld und das Streben danach, die vermeintliche Wurzel- und Bindungslosigkeit vieler Menschen und der rapide Traditionsverlust zutiefst zuwider sind. Es gibt in ihrem Werk natürlich das fiktive »Du« des geliebten Menschen – doch sonst sind die anderen oft »schlimme Menschen« und eher eine potenzielle Bedrohung, die, wie es im Gedicht Dohlen heißt, »mich peinigt, immerfort«. Dass das moderne Metropolenleben auch Freiheit und Glück bedeuten kann, ist eine Erfahrung, die Berta Huber fremd bleibt. Sie hat einmal gesagt: »Vielleicht hätte ich in einer Großstadt nie eine Zeile geschrieben.«
Haben die »O mei«-Sager also recht? Sind die Gedichte von Berta Huber die einer weltabgewandten Provinzlerin, die sich ihrer Gegenwart nicht stellen wollte? Nein. Denn ihre Gedichte beschwören eine Welt herauf, die auch heute noch, aller Häme und allem Zynismus zum Trotz, als Schauplatz von Sehnsucht nach dem Schönen empfunden werden kann. Aber sind es nicht doch mehrheitlich harmlose, naive Verserl? Nein. Denn so klischeehaft sich heute einzelne Passagen ihrer Texte anhören mögen, die meisten ihrer Gedichte sind staunenswert gelungen. Viele stehen in einer heute oft unterschätzten, bis in die Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts aber nicht nur populären, sondern auch vielfach hoch geachteten und ausdrücklich nicht modernen Tradition.
Der Schutz- und Trosteffekt, der solcher Lyrik innewohnt, ist nicht von oben herab als eskapistisch abzutun. Viele moderne Themen scheinen für Berta Huber einfach nicht »lyrikwürdig« zu sein, Autos oder Trambahnen zum Beispiel. Die Industrialisierung taucht nur in Neue Fahne auf den Mühlenwerken auf, wo Berta Huber sogar »Turbinen« auf »Maschinen« reimt. Und die seit Ende des Ersten Weltkriegs auch in Landshut unübersehbare Politisierung und Militarisierung des Alltags existiert bei Berta Huber nicht. Sie war in der NSDAP und soll dennoch manchem vom Regime Verfolgten unentgeltlich Brot zugesteckt haben. Sie schrieb nicht eine Zeile zum Lob der NS-Zeit oder ihres »Führers«, aber auch keine Zeile über die Verfolgung von Andersdenkenden und Minderheiten. Ihre Verse aus jener Zeit bieten, um mit dem politisch unverdächtigen Helmut Heißenbüttel zu sprechen, »nichts Widerständlerisches …, nichts Gewaltsames, nichts Revolutionäres, sondern Rede, die sozusagen von selbst anders war«. Das Gedicht als Stimme der Kunst, die eben deswegen auch Gegenstimme sein kann – das trifft das Selbstverständnis Berta Hubers, und es macht den Zauber ihrer Poeme vielleicht ein wenig einsichtiger. Wobei dieser Zauber auch bei den wenigen Gedichten wirkt, die nichts Romantisches an sich haben. Der Zweite Weltkrieg und seine grausamen Bombennächte zum Beispiel kommen nur in Die tote Stadt vor, einem naturgemäß ganz und gar unidyllischen Gedicht, das in zwei Fassungen existiert, eine von 1945, die zweite von 1946, verfasst nach dem Erleben der zerbombten Stadt Kassel. Hier nur einige Verse aus der zweiten Fassung:
Ich steh vor einem Trümmermeer,
Unheimlich, düster, öd und leer –
Kein Mensch, kein Tier noch Haus und Baum,
Steingräber nur in weitem Raum.
Still liegt die Stadt, ganz totenstill …
Ich höre Schreie, die erstickt,
Seh Menschen, stein- und luftzerdrückt,
Das Feuer, das auf Häuser sprang,
Den Sturm, der wild die Fackel schwang …
Und die letzten beiden Zeilen:
Verloren? Ja? – Die tote Stadt
Lebendig mich begraben hat.
Das ist Berta Hubers erschütternder Beitrag zu der seit 1997 wieder geführten Debatte über Literatur und Luftkrieg. Eine erstaunliche Ausnahme in ihrem Werk. Doch nicht nur hier zeigt Berta Huber auch, dass sie, ohne in irgendeiner Weise politisch oder zeitkritisch sein zu wollen, die nicht immer erfreulichen Zeitläufte nicht aus Prinzip aus ihrem Werk ausblenden möchte. Dies gilt auch für einige andere Texte, die die bösen Nachbarn oder das böse Wohnungsamt zum Thema haben, für ein langes Gedicht über die Nachkriegstristesse in Regensburg und natürlich für das Gedicht Honorarfrage:
Ist das nicht allerhand! – »Fünf Mark«
Für mein Gedicht: »Herbstlicher Park«!
Das reicht ja nicht einmal zum Sterben
Und weniger noch zum Vererben
Du hochgeehrte Redaktion!
Glaubst du, dass dieses Herbstgedicht
Mir zuflog wie ein Glühwurmlicht!
Ein Lyriker ist ein Poet
Kein Reimer der Gedichte dreht,
Du hochgeehrte Redaktion!
»Fünf Mark«! – Schämst du dich nicht dazu!
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.