Kitabı oku: «Inside Türkis», sayfa 3
In den zwei Jahren, in denen Steiner für Pröll die Partei inhaltlich geleitet hatte, nahm allerdings eine folgenreiche Allianz ihren Anfang. Kurz nachdem Steiner im Dezember 2008 Politik-Chef der ÖVP wurde, übernahm Kurz die Bundes-JVP – damit arbeiteten sie fortan im selben Gebäude und hatten etliche Berührungspunkte, unter anderem wöchentliche Strategiesitzungen.
Steiners Aufgabe als politischer Direktor der Partei bestand zum Teil aus dem Entwickeln neuer Ideen an der inhaltlich-politischen Front, zudem kreierte er für allerhand ÖVP-Politiker knackige Slogans.
Vor allem aber war es Steiners Job, in der von der heutigen Geschlossenheit im Außenauftritt weit entfernten ÖVP die Forderungen der Bünde irgendwie aufeinander abzustimmen. Man muss sich das so vorstellen: Er hatte darauf zu achten, dass der schwarze Bauernbund nicht etwas verlangt, das dem Programm des schwarzen Wirtschaftsbundes zuwiderläuft. Und weil eben auch die Junge Volkspartei einer der ÖVP-Bünde ist – wenn auch im Jahr 2009 noch ein intern belächelter – hatte Steiner viel mit deren neuem Chef zu tun, unter anderem in den montäglichen Vorbesprechungen zum Ministerrat. Steiner war früh fasziniert von Kurz. Er bekam mit, dass dieser junge Mann für sein Alter eloquent war und offenbar über viel politisches Geschick verfügte. Im Gegensatz zu manch anderem erfahrenen ÖVP-Mann griff Steiner beim jungen Kurz auch hie und da beratend ein. Unter anderem half er Kurz bei der Forderung nach deutschen Predigten in Moscheen.
Und weil Steiner zudem als einer von wenigen jungen Schwarzen das Innenministerium nicht nur von außen gekannt hatte, war es am denkwürdigen 18. April 2011 alles andere als eine Überraschung, dass Kurz ihn unbedingt als Büroleiter für sein Integrations-Staatssekretariat rekrutieren wollte. Steiner sagte sofort zu und koordinierte in endlosen Sitzungen der darauffolgenden Nächte mit dem Kurz-Zirkel die politische und inhaltliche Positionierung des über Nacht berühmt gewordenen Jungspundes. Schon damals wurde in puncto Migration eine teilweise harte Linie verfolgt. Steiner kreierte noch in der ersten Klausurnacht den Prestige-Slogan »Integration durch Leistung« mitsamt inhaltlicher Ableitungen. Es sollte das Credo der ersten Kurz-Jahre in der Spitzenpolitik werden: Jeder soll alle Chancen zur Integration haben, solange er sich nur anstrengt, das kommt dem »Urzustand« nach Rawls in der konkreten Frage der Integrationspolitik schon recht nahe.
Noch in dieser Aprilnacht besprach man spätere türkise Kassenschlager wie die Deutschpflicht in Moscheen und den Kampf gegen den vielzitierten politischen Islam. Diese Positionen gab es 2011 bereits, wiewohl die Kurz-Politik in puncto Migration erst mit der Asylkrise 2015 richtig verschärft wurde. »Unter anderem hat Steiner mit mir gemeinsam unsere Migrationslinie entwickelt«, sagt Kurz. »Das waren wir zwei.«
Als nämlich so ziemlich alle ranghohen Politiker am Höhepunkt der Asylkrise zum Wiener Westbahnhof pilgerten, diesem Nadelöhr der Fluchtroute von einer Million gen Deutschland ziehender Flüchtlinge, fehlte einer. Und zwar ausgerechnet der für Integration zuständige Außenminister Sebastian Kurz. Der Grund dafür: Steiner riet ihm dringend davon ab, zum Westbahnhof zu fahren und sich dort im Flüchtlingschaos ablichten zu lassen – es wäre ein falsches Signal, urteilte der Berater damals. Kurz folgte dem Rat, übrigens im Gegensatz zu seiner Parteikollegin und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Es war dies ein wichtiger Mosaikstein in der Ablehnung der sogenannten »Willkommenskultur«, die wenig später bereits zum inhaltlichen Steckenpferd der Türkisen avancierte.
Es sollte nicht der einzige gute Rat für Kurz aus der Feder seines wichtigsten Mitstreiters sein. Auf eine Idee scheint Steiner übrigens besonders stolz zu sein, zumindest deutet die Einrichtung seines Büros im dritten Stock der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse darauf hin.
Im circa dreißig Quadratmeter großen Raum steht in der einen Ecke ein üppig beschriebenes Flipchart und in der anderen ein Besprechungstisch für mindestens sechs Personen. Von dort aus hat man einen schönen Blick auf das Wiener Rathaus und auf einen etwas chaotisch wirkenden Schreibtisch, auf dem ein Laptop steht und haufenweise Papierkram liegt. Steiners Büro ist nicht gerade ordentlich, an der Wand hinter seinem Schreibtisch lehnen nicht aufgehängte Bilder, daneben liegt noch mehr Papierkram.
Und da prangen sie plötzlich, die Zeugnisse dessen, worauf Steiner stolz ist: An der weißen Wand hängen drei Kurz-Plakate als Erinnerung an den Nationalratswahlkampf des Jahres 2017. Eines der drei zeigt den Slogan »Zeit für Neues«. Er steht für die perfekt inszenierte Verbreiterung der Partei, an der Steiner nicht nur durch die Auswahl der türkisen Quereinsteiger mitgewirkt hatte. Auch im Grundsatz von Steiner mitentworfen war die Idee, 2017 eine parteipolitische Parallelstruktur aufzubauen: Die schwarzen Wurzeln sollten nicht abgeschnitten werden, darüber aber müsse sich um Kurz eine türkise »Bewegung« mit bekannten Gesichtern ohne ÖVP-Vergangenheit scharen. Steiners Idee: So könnte man die Krise der etablierten Politik überwinden, ohne auf die Vorteile einer funktionierenden Parteistruktur verzichten zu müssen.
Ein anderes Plakat im ÖVP-Büro des Selbstständigen ist die Bewerbung des »Familienbonus«. Und das hat einen Grund. Vor dem Wahlkampf 2017 erfand Steiner im Alleingang diesen Steuerbonus, der bis heute eines der größten türkisen Prestigeprojekte ist und Schlager zweier Wahlkämpfe war. Inspiriert vom französischen Steuersystem, das Menschen mit steigender Kinderzahl begünstigt, schlug der dreifache Vater vor, die zwei seiner Meinung nach unübersichtlichen Steuerfreibeträge für Kinder zu streichen und stattdessen ein politisch leichter zu vermarktendes und übersichtliches System zu etablieren, um steuerliche Anreize für mehr Kinder zu setzen. Wieder einmal wird Steiners politisches Credo sichtbar: Belohnt soll nur werden, wer auch hackelt.
Diese Beispiele zeigen, wie universell der oberste Kurz-Berater eingesetzt wird, beziehungsweise, dass er im Grunde genommen viel mehr als das ist: »Steiner ist kein Politikberater, die sind ganz anders als er. Er ist ein aktiver Gestalter, kein Berater«, erklärt Kurz. Man kann es auch so formulieren: Der Wieselburger ist eine Art Politiker ohne Amt; der uneitle Vordenker ist für Kurz ungefähr das, was einst Josef Ostermayer für Werner Faymann war oder Herbert Kickl für Heinz-Christian Strache – mit dem Vorteil, dass er nicht zusätzlich ein eigenes Ministerium zu leiten hat.
Steiners Tagesablauf ist unstet. Er steht im telefonischen Dauerkontakt mit Kurz, wenn er nicht ohnehin bei Besprechungen im Kanzleramt dabei ist. »Die Tage, an denen wir nicht miteinander reden, sind selten«, sagt Kurz, der Landeshauptleute und Minister nicht viel öfter als einmal pro Woche spricht. »Steiner ist für mich der wichtigste Sparring-Partner, mit ihm bespreche ich alle großen inhaltlichen und politischen Entscheidungen.« Dies sei »manchmal ein Überzeugen und manchmal ein Sich-Überzeugen-Lassen«, schildert Kurz. »Oft sind es ja viele Informationen, die bei ihm zusammenlaufen und dann an mich weitergegeben werden.« Auch Vorschläge anderer Minister landen häufig bei Steiner, bevor Kurz davon hört.
Steiner sondiert morgens die mediale Themenlage und schlägt Kurz vor, wo man »draufgehen« könnte, wie das Aufgreifen kursierender Angelegenheiten im Politsprech so schön heißt. Im Zuge dessen wird überlegt, welcher Minister für welches Thema gerade geeignet wäre – Steiner ist bei diesen Prozessen nicht zwingend selbst operativ im Spiel, zumindest aber erteilt er in wichtigen Fragen stellvertretend für Kurz Freigaben via WhatsApp. Von Facebook-Postings im Namen des Kanzlers bis hin zu strategisch relevanten Entscheidungen: Steiner ist nicht selten das letzte Korrektiv. In brenzligen Situationen ist er auch als Ratgeber für andere Minister erreichbar, manchmal wendet er sich auch direkt mit Vorschlägen an sie. Das Wahlprogramm aus dem Jahr 2017, das die Grundlage für alle folgenden türkisen Politik-Schwerpunkte bildet, erstellte Steiner gemeinsam mit Bernhard Bonelli.
Nicht zuletzt koordiniert Steiner die internen Umfragen, die in der türkisen Truppe von immenser Bedeutung sind. Er ist federführend in der Formulierung der Fragen, die an den seit Jahren für die ÖVP arbeitenden Meinungsforscher Franz Sommer gehen. Dieser ist nahezu durchgehend für die Türkisen im Feld – abgefragt wird de facto alles, die Ergebnisse der Umfragen hält der innerste Kurz-Zirkel allerdings geheim. Das Material dient dem türkisen Team allein, um abzutesten, wie man in der Wählergunst gerade steht, welche Maßnahmen populär wären – und welche nicht. Nur zwei Beispiele: Im Jahr 2017 ließen die Türkisen abfragen, wie groß die Zustimmung zu den Maßnahmen »Weniger Sozialleistungen für Ausländer« und »Härtere Strafen für Sexualstraftäter« denn wäre. Die Umfragen ergaben, dass eine überwältigende Mehrheit der Befragten diese beiden Aussagen goutiert. Dass mit der Strafrechtsreform und der später vom Verfassungsgerichtshof wieder gekippten Kürzung der Sozialhilfe zwei zentrale Maßnahmen der türkis-blauen Regierung just diesen Umfragen Rechnung trugen, war letztlich nicht gerade überraschend.
Warum aber ist einer, der so eine zentrale Rolle einnimmt, »nur« Mitarbeiter im Hintergrund und kein zentraler Minister?
Jedenfalls nicht, weil Kurz das so möchte: Schon 2017 bat er seinen Vertrauten, Kanzleramtsminister zu werden. Steiner lehnte ab. Stattdessen kündigte er 2017 bei der ÖVP, und wurde selbstständiger Berater des Parteichefs. Das sorgte im Wahlkampf 2019 plötzlich für einen Riesenwirbel: Es wurde nämlich im Rahmen einer E-Mail-Affäre publik, dass die Volkspartei ihrem Chefberater satte 33.000 Euro monatlich überweist. Wie die Türkisen auf dieses üppige Salär gekommen sind, wird erst klar, nachdem man den Betrag genau aufschlüsselt: Abzüglich aller Abgaben und Ausgaben, die Steiner zu tätigen hat, bleibt – erraten – ziemlich exakt das Gehalt für ein von ihm eigentlich abgelehntes Ministeramt übrig.
Trotz dieser beachtlichen Gage frönt der Niederösterreicher nicht gerade dem Luxus, im Gegenteil: Steiner taugt ohne Zweifel zur Antithese der angeblichen »Buberlpartie«, als die Kritiker die Kurz-Truppe paradoxerweise gerne verschmähen. Beispiele dafür existieren zuhauf: So tönte etwa Niederösterreichs SPÖ-Obmann Franz Schnabl am Höhepunkt der Regierungskrise des Jahres 2019, dass diese ganze Misere auf »Kurz und seine Buberlpartie« zurückzuführen sei. Diese habe schließlich, so Schnabl, gezielt »den Systemabbau und die Spaltung der Gesellschaft« betrieben.
An dieser Stelle bedarf es eines einordnenden Vergleichs: Jörg Haiders Buberlpartie – bestehend unter anderem aus Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger, Gernot Rumpold und Stefan Petzner – war bekannt dafür, rund um den Wörthersee die Nacht zum Tag zu machen. Getragen wurden schicke Designeranzüge, gefahren wurden schnelle Autos, und die Frisuren saßen bombenfest. Dafür gab es in puncto Professionalität und Moral das eine oder andere grobe Manko, davon konnte man sich nach der Haider-Ära in diversen Gerichtssälen des Landes überzeugen.
Steiner hingegen geht wenig aus und spricht tendenziell nicht sehr viel, zumindest außerhalb seiner vertrauten Kreise. So berichteten etwa Regierungsverhandler anderer Parteien, die Stefan Steiner zuletzt 2019 beim Koalitionspoker gegenübergesessen waren, dass dieser trotz seiner zentralen Rolle in Verhandlungen keineswegs die meiste Redezeit hat. Er hört konzentriert zu, unterbricht nicht und sagt dann klar, was die Linie der ÖVP ist. Steiner hat feste politische Überzeugungen, neigt aber nicht dazu, lange Grundsatzdebatten zu führen. Laut wird er selten.
Steiner mag angesichts seiner inhaltlichen Generalistenrolle bei den Türkisen Detailkenntnis in vielen Fragen haben, verkopft ist er deshalb nicht. Ein Beispiel dafür: Als die ÖVP mit den NEOS »Sondierungsgespräche« für eine mögliche Dreierkoalition mit den Grünen (sie kam nicht zustande) führte, verwunderte Steiner manch Pinken beim Bildungskapitel. Steiner negierte fortschrittliche NEOS-Forderungen teils mit dem wissenschaftlich eher zu hinterfragenden Argument, dass manches eben immer schon so gewesen sei und offenbar keinem der Anwesenden geschadet habe. Die Grünen wiederum bissen sich in den Verhandlungen zum Thema Migration die Zähne an ihm aus, weil er mantraartig wiederholte, dass die ÖVP eben für den harten Sicherheitskurs gewählt worden war und deshalb schon aus Prinzip keinen Zentimeter nachgeben werde – Ende der Debatte.
»Er ist immer super vorbereitet, weiß fast alles und kann intellektuell sein. Wenn er halt will«, sagt ein langjähriger Vertrauter. »Im Grunde ist der Stefan aber ein sehr bodenständiger Typ, der im Wirtshaus genauso gut funktioniert wie am Verhandlungstisch.« Steiner spricht im Dialekt, er verbringt nahezu jedes Wochenende mit seiner Familie im Haus seiner Eltern in Wieselburg oder bei den unweit davon wohnenden Schwiegereltern.
Nicht nur ein Verhandler des Koalitionspokers erzählte in dieser Zeit, dass eine der häufigsten Antworten ihrer ÖVP-Pendants an den Gesprächstischen der folgende Satz war: »Da muss ich erst den Steiner fragen.« Dafür, dass er offiziell keine Funktion hat, ist seine Macht in der Partei beachtlich, bei Schwarz und Türkis ist er hochangesehen. Kritik an seinem Salär gab es nach dessen Publikwerden innerparteilich nie. Auch sieht es in der ÖVP niemand kritisch, dass Steiners Schwägerin Klaudia Tanner 2020 völlig überraschend Verteidigungsministerin wurde – und zwar ohne je viel mit dem Heer zu tun gehabt zu haben (das hat Steiner übrigens auch nicht, er lehnte den Wehrdienst ab und arbeitete stattdessen als Zivildiener in der Ausländer-Rechtsberatung Helping Hands). Zuvor war Tanner Chefin des niederösterreichischen Bauernbundes. Steiners kleiner Bruder machte ebenfalls Karriere im Dunstkreis der ÖVP: Thomas Steiner diente Maria Fekter einst als Vizekabinettschef und wurde später Chef der Bundesfinanzierungsagentur. 2019 machte ihn die von seinem Bruder beratene Regierungsspitze zum Direktor der Österreichischen Nationalbank.
Stefan Steiner ist, zumindest außerhalb seines Vertrautenkreises, im Grunde genommen ein eher zurückhaltender Typ. Er meidet die Öffentlichkeit, trägt keine Maßanzüge und ist meistens ohne Krawatte unterwegs. Er verwendet keine Manschettenknöpfe, stellt keine teuren Uhren zur Schau und hat keine schicken Schuhe oder bunte Socken. Steiner fährt, seit er seinen Škoda Oktavia eingetauscht hat, einen fast ebenso schnöden Seat Alhambra. Wer sich mit Autos nicht auskennt: Das ist die günstigere Variante eines VW Sharan, die Familienkutsche ist im Neuzustand für einen Listenpreis von 32.275 Euro zu haben. Der einzige bekannte Luxus der Buberl-Antithese Stefan Steiner ist sein Haus im Westen Wiens.
Dass Steiner nie Minister werden wollte, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Für ihn war der körperliche und mentale Verschleiß, den die Politik mit sich bringt, schlichtweg abschreckend. Wie beinhart das politische Geschäft ist, erlebte er unter anderem an der Seite Josef Prölls aus nächster Nähe.
Keine freien Wochenenden, keinerlei Privatsphäre, ganz zu schweigen vom medialen Druck – all das musste Steiner nicht unbedingt haben.
Es hat also einen Grund, dass ihn selbst einige Journalisten bei Terminen nicht erkennen: Interviews gibt Steiner so gut wie keine, er hielt nie öffentliche Reden und stand auch nicht auf irgendwelchen Bühnen. Kaum ein Journalist hat Steiners Handynummer, auch in der ÖVP ist diese nicht sehr weit verbreitet, für Politiker anderer Parteien ist das unsichtbare Kurz-Hirn ohnehin ein Mysterium.
Steiner scheint davon überzeugt zu sein, dass er für die Arbeit im Hintergrund besser geeignet ist als für ein Ministeramt, wie er im Gespräch, das für dieses Buch geführt wurde, erklärt: »Ich glaube schon, dass ich das (Anm.: ein Ministeramt) könnte. Aber ich weiß nicht, ob ich so einen Mehrwert darstellen würde im Vergleich zu dem, was ich jetzt tue.«
Der Hauptgrund für sein Dasein als Schattenmann ist aber ohnehin ein anderer als vermeintliche Medienscheu oder Sorge vor physischem Verschleiß: Bekleidete Steiner ein hohes politisches Amt, hätte er wohl gar keine Zeit mehr für seine Frau und seine drei Kinder. Seine Frau ist studierte Psychologin und arbeitet mittlerweile als selbstständige Beraterin. Geheiratet haben die beiden noch in jüngeren Jahren. Wie die meisten Mitglieder des eigentlich gar nicht so hippen Systems Kurz lebt Steiner ein ausnehmend traditionelles Familienleben. Bei einem der Kinder nahm Steiner, wie er im kleinen Kreis gerne stolz erzählt, einen Papamonat. Allerdings gab es das damals noch nicht, also ging er vier Wochen auf Urlaub. Um die drei Kinder kümmert sich vor allem seine Frau, doch wann immer möglich, arbeitet Steiner von zuhause aus, um bei ihnen zu sein, sagt er. Das hat hie und da heitere Nebeneffekte: So hielt sich sein kleiner Sohn eine Zeitlang Steine und andere herumliegende Gegenstände ans Ohr, um seinen Papa bei seiner andauernden Tätigkeit nachzuahmen: dem Telefonieren.
Übrigens wollte Kurz Steiner auch 2019 als Minister, beispielsweise im Kanzleramt, in die vorderste Reihe holen. Steiner lehnte erneut ab. Das Amt, das ihm eine noch größere realpolitische Bedeutung verleiht, müsste aber ohnehin erst erfunden werden.
BERNHARD BONELLI …
… geboren 1983, ist Kabinettschef des Kanzlers, entwickelt dessen politische Inhalte und verhandelt sie federführend mit dem Koalitionspartner oder anderen politischen Playern. Ehemaliger Unternehmensberater, strenggläubiger Katholik und bald (Stand: April 2020) vierfacher Vater. Schlüsselspieler in der Corona-Krise.
DES KANZLERS RECHTE HAND
Das Europäische Forum Alpbach ist ein wahres Eldorado für Netzwerker aller Branchen und politischen Couleurs. Im Beisein von Regierungschefs, Ministern, Landespolitikern, Wirtschaftsbossen, Kammerchefs, Verlegern und anderen Kalibern wird im idyllischen Tiroler Bergdorf Alpbach auf rund tausend Metern Seehöhe tagsüber diskutiert und abends ausgiebig angestoßen. Vor allem letzteres führt dazu, dass nicht wenige den alljährlich im August stattfindenden Kongress hämisch als eine Art »Ballermann« der Wiener Politikblase bezeichnen. Hotels und Pensionen im Ort sind verlässlich ausgebucht, und zwar ausschließlich durch die Ankunft der Wiener Oberschicht und allen, die so gerne zu ihr gehören möchten. Die Stimmung in Alpbach ist so locker, dass man 2017 sogar einen Fußball spielenden Bundeskanzler in kurzen Hosen bei einem Benefizspiel bestaunen durfte. Dem launigen »Spielbericht« im Kurier war hernach zu entnehmen, dass Christian Kern sogar ein Tor geschossen hat. Man kann sagen: Die vom einstigen EU-Kommissar und ÖVP-Politiker Franz Fischler organisierte Veranstaltung ist der optimale Boden für karrierehungrige Jungschwarze, die es außerhalb dieser politischen Ballermann-Atmosphäre noch nicht ganz so leicht haben, nahe an die Mächtigen in dieser Republik heranzukommen.
Das war auch schon im Jahr 2005 so, als sich eben zwei solche karrierebewusste junge Männer beim Club Alpbach Niederösterreich um Stipendien für den Kongress bewarben. Und die beiden hatten Glück: Denn der Verein, geführt von einer gewissen Beate Reisinger (nach ihrer Heirat wird sie Meinl-Reisinger heißen, später mit der ÖVP brechen und eine berühmte liberale Politikerin werden), vergab seine Stipendien an die Burschen. Einer der beiden war gerade mit dem Bundesheer fertig und bereitete sich auf sein Studium am Juridicum in Wien vor, der andere studierte bereits Bauingenieurwesen an der TU Wien. Zusammengeführt hat sie ein Zufall: Die zwei einander unbekannten Burschen bildeten eine Fahrgemeinschaft für die rund 400 Kilometer lange Strecke gen Tirol, am Steuer saß der angehende Jusstudent, der extra für die Konferenz den alten BMW seiner Eltern für ein paar Tage ausgeborgt hatte.
Der Fahrer, der hieß Sebastian Kurz. Sein Gast war Bernhard Bonelli. Und die Allianz, die die beiden in den folgenden Tagen schmieden sollten, war folgenreicher als jeder Kontakt mit einem der Mächtigen von Alpbach je hätte sein können.
Denn exakt zwölf Jahre später saßen die beiden plötzlich gemeinsam an den Schalthebeln der Macht in der Republik: Bonelli ist Kabinettschef von Kurz im Kanzleramt, er ist einer der wichtigsten Mitarbeiter und engsten Vertrauten des Bundeskanzlers. Gemeinsam mit Stefan Steiner ist er derjenige, der bei Kurz dafür verantwortlich ist, türkise Politik mitzuentwickeln und in konkrete gesetzliche Vorhaben zu gießen. Bonelli ist meist der erste Mensch, mit dem Sebastian Kurz in der Früh telefoniert oder schreibt, und das will was heißen, der Kanzler hat schließlich – Stand Mitte März 2020 – immerhin 6127 Nummern in seinem iPhone eingespeichert.
Für den ÖVP-Chef koordinierte Bonelli unter anderem die Regierungsverhandlungen mit den Grünen. Will heißen: Bonelli, der schon vor Beginn des Koalitionspokers für Kurz nach programmatischen Gemeinsamkeiten der Türkisen und der Ökopartei gesucht hatte, warf für den ÖVP-Chef ein Auge auf die wichtigsten Streitthemen, er lieferte Zahlen und rechnete Modelle durch. Bonelli war in der Dutzendschaft an türkisen Koalitionsverhandlern einer von zwei, drei Verhandlern, auf die Kurz wirklich hörte. »Bernhard ist unfassbar strukturiert und schnell in der Auffassung, er hat ein breites Fachwissen quer durch alle politischen Felder«, lobt Kurz. Bonelli könne »komplexe Prozesse ordnen, leiten und organisieren, daher hat er eine zentrale Steuerungsfunktion«.
Historisches gesteuert hat Bonelli im Frühjahr 2020, und zwar am vorläufigen Höhepunkt der Corona-Krise: Bei ihm liefen die Fäden zusammen, als zur Eindämmung der Seuche etwa die gesetzlichen Maßnahmen für die im Nachkriegs-Österreich beispiellosen Freiheitseinschränkungen Realität wurden. Bonelli verließ das Kanzleramt in diesen Tagen kaum noch, ihm oblag die Aufgabe, die türkise Krisenstrategie unter Zutun des Finanz- und Gesundheitsministeriums in Verordnungen und Erlässe zu gießen. Außerdem sorgte er dafür, dass Ministerien und Länder auf Linie sind. Keine leichte Aufgabe: Schließlich waren die Grünen strikt gegen Ausgangssperren, wie die ÖVP sie eigentlich vorhatte. Bonelli und Co. bedienten sich also eines Kniffs, indem sie über Umwege wie Platzverbote den Zustand der sogenannten Ausgangsbeschränkungen herstellten.
Eine ähnliche Schlüsselrolle hatte Bonelli im Koalitionspoker inne: Eine seiner Hauptaufgaben war das Management der Verhandlungsgruppe, die sich in den Marathongesprächen um das heiße Eisen Ökosteuerreform zu kümmern hatte. Bonelli koordinierte die Verhandlungsgruppen Umwelt und Steuern, die Schnittmengen dieser beiden Themen waren neben der von Stefan Steiner verhandelten Migrationspolitik die heikelsten Bereiche der türkis-grünen Verhandlungen. Nicht selten dauerte der Poker so lange, dass Bonelli erst mitten in der Nacht mit seinem chinesischen Trinity-Elektroroller nach Korneuburg zu seiner Familie heimtuckerte.
Bonelli blieb auch nach erfolgreichem Abschluss der Koalitionsverhandlungen im Maschinenraum von Türkis-Grün, er verhandelt alle wichtigen Regierungsprojekte mit. Das tat er auch unter Türkis-Blau schon: Bonelli war sozusagen der Chefverhandler der Türkisen für besonders heikle Projekte. Als da wären: Sozialhilfekürzung, Kassenfusion, Zwölfstundentag. Bei all den Prestigeprojekten der vergangenen Regierung zog Bonelli die Fäden. Bevor im türkisen Zirkel eine Entscheidung für oder gegen eine politische Maßnahme getroffen wird, liefert der gelernte Unternehmensberater die inhaltliche Grundlage und karrt Fachexperten heran.
Als die türkis-blaue Regierung zusammenbrach, war Bonelli Mitarchitekt der ersten Übergangsregierung unter türkiser Führung, die jäh abgewählt werden sollte. Er selbst rief spätere Kurzzeitminister an, die nach türkisem Dafürhalten für eine parteipolitisch halbwegs ausgewogene Regierungsspitze in der Zeit nach dem Regierungs-Exodus der Freiheitlichen geeignet waren. Das Interregnum verbrachte Bonelli in der Übergangsregierung. Er wurde wie andere Türkise bei Kurz-Intimus und Außenminister Alexander Schallenberg geparkt, Bonelli war dort Kabinettschef, nicht wenige sahen ihn in dieser Zeit auch als eine Art türkisen Wächter über die Vorgänge in der unpolitischen Übergangsregierung.
Freiheitliche nannten Bonelli einst »einen extrem gescheiten Kerl«, wenngleich er »für sein Alter untypisch traditionelle Ansichten« habe. In der ÖVP werden indes Loblieder auf seine Vielseitigkeit gesungen. Einer der engsten Mitarbeiter des Kanzlers beschrieb ihn im Rahmen eines Abendessens auf der Politischen Akademie der ÖVP, die Kurz regelmäßig mit leitenden Redakteuren der großen Medien abhält, einmal so: »Bonelli ist ein sagenhafter Generalist, der Typ kann eigentlich alles: Inhalte aus allen Bereichen, Strategie und Verhandlungen, geht alles.«
Die Zusammenarbeit mit Kurz funktioniert im Wesentlichen so: Der Kanzler gibt Bonelli in groben Zügen vor, was er sich politisch wünscht, hernach arbeitet Bonelli die Details aus und verhandelt sie mit dem Koalitionspartner. Erst, wenn das Ganze ins Stocken geriet, wurden unter Türkis-Blau Regierungskoordinatoren oder letztlich auch die Koalitionsspitze hinzugezogen. Dieser Modus wird unter Türkis-Grün im Grunde genommen beibehalten.
Zualledem ist der Mittdreißiger, der um vier Jahre älter ist als Kurz, wegen seines bartlosen Bubengesichts allerdings wesentlich jünger aussieht als der Kanzler, die Schnittstelle zum Verkauf: Er bereitet vor, was Pressesprecher schließlich den Journalisten erklären. Als eines Abends im Kanzleramt Journalisten bei einem Hintergrundgespräch beispielsweise die Kürzung der Sozialhilfe erläutert wurde, war es Bonelli, der dort die Fragen beantwortete. Er selbst beschreibt seine Rolle mit folgendem lapidar anmutenden Satz: »Ich bin im Grunde genommen dafür zuständig, dass Themen, die dem Kanzler sehr wichtig sind, auch tatsächlich so umgesetzt werden, wie er sich das vorstellt.«
Wie viele zentrale Figuren der angeblich so hippen Kurz-Partie verkörpert Bonelli ein außerordentlich traditionelles Familienbild: Seine Frau, eine einstmals in Graz arbeitende Krankenpflegerin, die er über deren Schwester in der katholischen Hochschulgemeinde kennengelernt hat, heiratete er bereits in jungen Jahren. Das Paar hat drei Kinder, im Sommer 2020 wird das vierte erwartet. Bonellis Frau arbeitet nicht, sie kümmert sich zuhause um den Nachwuchs. Dass er nach der Hochzeit ihren Nachnamen übernommen hat, ist übrigens weniger auf feministische Anwandlungen denn auf den Reiz einer Alliteration im Namen zurückzuführen. Vor seiner Heirat trug Bonelli den Namen Adamec. Die Hochzeit fand in Tracht statt, Bonellis Trauzeuge: Sebastian Kurz.
Wie die Familie seiner Frau ist auch Bonelli streng katholisch: Bevor er zu essen beginnt, bekreuzigt er sich. Um den Hals trägt Bonelli eine goldene Kette mit Kreuzanhänger – genauer gesagt ist es ein »Jerusalemkreuz«, das der Kurz-Intimus seit einer Israelreise im Jahr 2011 umgehängt hat. Das in Jerusalem omnipräsente Symbol besteht aus einem großen Kreuz in der Mitte und vier Kreuzen rundherum, insgesamt stehen sie für die fünf bei der Kreuzigung erlittenen Wunden Christi. Die von Bonelli bevorzugte Bedeutung ist allerdings jene, dass das Hauptkreuz für das geistliche Zentrum der Welt steht und die vier kleineren Kreuze für die Himmelsrichtungen, in die sich der Glaube ausbreitet.
Ausnahmslos jeden Sonntag besucht er mit seiner Familie die Heilige Messe in einer kleinen Gemeinde im dritten Bezirk, unter der Woche ist er häufig in der Kirche St. Elisabeth des »Deutschen Ordens« in der Wiener Innenstadt anzutreffen. Bonelli wurde noch als Volksschüler Ministrant, er engagierte sich schon früh in der Kirche und war in der katholischen Jugend aktiv. Seine Mutter, die ihn und seine drei jüngeren Brüder alleine großzog, hatte damit weniger zu tun. Kirchlich geprägt und zum Messdienst gebracht wurde Bonelli von seiner Großmutter väterlicherseits, einer strenggläubigen deutschsprachigen Kroatin, die am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Österreich floh.
Sein Masterstudium absolvierte Bonelli schon als aktiver Unternehmensberater an der renommierten IESE-Business-School der Navarra-Universität in Barcelona. Geführt wird die Universität von Opus Dei, in den Unterrichtssälen hängen Kreuze und auf dem Campus gibt es eine Kapelle. »Opus Dei«, zu Deutsch »Werk Gottes«, ist eine erzkonservative und spätestens seit Dan Browns Bestseller Sakrileg von hartnäckigen Verschwörungstheorien umgebene Organisation. Die Ausbildung in der weltweit anerkannten Kaderschmiede für Topmanager kostet in etwa so viel wie ein Sportwagen, bei den meisten Studenten kommt deshalb wie auch in Bonellis Fall der Arbeitgeber dafür auf. Aufgenommen wird nur ein Bruchteil der Bewerber.
Bonelli mag das katholische Gewissen der türkisen Truppe sein, ein Außenseiter ist er ob seiner starken Ausrichtung nach den Lehren seiner Kirche in der Kurz-Partie jedoch keineswegs. Sebastian Kurz erzählt es nicht oft, doch auch er ist der Kirche stark verbunden, und zwar stärker als viele Parteikollegen und viele ÖVP-Chefs vor ihm. In seinem Büro im Kanzleramt hängt zwischen Bildern von Bruno Kreisky und Leopold Figl ein großes Kreuz an der Wand. Anspielungen auf seinen Glauben liefert der Kanzler übrigens immer wieder: Als Kurz etwa zu Beginn der türkis-grünen Koalition den Klimaschutz-Fokus der neuen Regierung bewarb, sprach er von der »Wahrung der Schöpfung« als Maxime der Öko-Politik. Oder: Nach der Verkündung der drastischen Einschränkungsmaßnahmen am vorläufigen Höhepunkt der Corona-Krise erklärte Kurz, dass er guter Hoffnung sei, das Land würde »nach Ostern eine Wiederauferstehung« feiern können. Den Satz hat er sich selbst ausgedacht, von einem seiner Berater kam er diesmal nicht.
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