Kitabı oku: «Der andere könnte auch recht haben», sayfa 2

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2. Die historische Dimension

Heute stehen wir vor einem Problem, vor dem Kaiser Karl der Große (747 bis 814) auch schon stand; es war die menschliche Expansionstendenz. Zu seiner Zeit waren 400 Jahre lang Völker aus dem Osten nach dem Westen gewandert und standen am Atlantik an. Diese Völker brannten Wälder nieder, um ihr Getreide anzubauen. Sie betrieben Monokultur, sodass die benutzten Felder bald übernutzt waren und sie weiterziehen mussten. Und der Atlantik verhinderte die Weiterreise.

Karl kannte die römische Kultur und für die Landwirtschaft führte er deren Drei-Felder-Wirtschaft ein – eine auf Dauer ausgerichtete Feldnutzung, die bis auf weiteres die Wanderkultur unnötig machte. Damit überwand er die Lemming-Taktik: wegen „Überbevölkerung“ begeben sich die Lemminge massenweise auf Wanderschaft und stürzen sich erfolgreich in Bäche und schmale Flüsse, um sie überwinden und weiterwandern zu können; wegen ihrer Kurzsichtigkeit machen sie das gleiche bei breiten Flüssen und ertrinken in ihnen.

Ohne die Umstellung der Landwirtschaft, die eine Zeit lang problemlösend wirkte, hätten sich wohl auch die Völker Europas in genozidaler Absicht und suizidaler Wirkung in permanente Kriege stürzen müssen. Erst etwas später kam es dann zu den Kreuzzügen und zum Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England, um als Nebeneffekt überzählige junge Männer zu entsorgen. Wenn junge Männer keine Aufnahme in die Gesellschaft finden, droht die Entstehung von Aggression, die sich vorerst gegen die Gesellschaft richtet; deren Verwalter sind dann oft geneigt, die Aggression zu bündeln und über die Grenzen zu schicken. Mit der Neuzeit lösten insbesondere einige Küstenvölker durch den Kolonialismus ihre Probleme; für den deutschsprachigen Raum stand dieser Weg kaum zur Verfügung. Da musste der Dreißigjährige Krieg mit seiner hohen Todesquote als „Aderlass“ dienen.

Zurück zu Kaiser Karl dem Großen: Zu seiner Hilfe verwendete er die christlichen Funktionsträger als Verwaltungsorgane, die mit ihrer Himmelslehre einen mentalen Ersatz für die Wanderschaft anboten, indem er damit den Himmel als Ziel der Reise imaginierte. Auf der Reise durch das römische Reich hat sich die christliche Religionsgemeinschaft in Volk und Hierarchie gespalten und die Oberkirche, die die Standesführung für das Reich ausübte, nahm Teil an der Herrschaft, indem sie die Ansprüche des Volkes niederhielt und so den Luxus der Oberschicht ermöglichte, ohne die Natur allzu stark auszubeuten.

Nur in den steingewordenen Kirchen konnten die Untertanen den Luxus und die Pracht der Feudalherren mitgenießen. Die Petrifizierung der ursprünglichen FanGemeinde stellte sich übrigens materiell als Problem dar; der Bau des Petersdoms in Rom löste die Abspaltung der Protestanten unter Martin Luther aus. Der Wortzusammenhang von „Petrus = Stein“ entbehrt wahrscheinlich einer logischen Begründung, drückt aber doch einen Zusammenhang in der Entwicklung aus. Die überteuerten Luxusbauten der französischen Könige bilden auch ein Beispiel für dieses Phänomen; sie waren eine Mitursache für die große französische Revolution des Jahres 1789.

3. Die religiöse Dimension in ihrer gesellschaftlichen Funktion

Die Menschen stellen ganz natürliche Fragen nach ihren persönlichen Chancen und Risiken; weil der Mensch als Wesen in der und für die Gemeinschaft konzipiert ist, gibt es immer auch wirkliche oder Möchtegern-Führer, die diese Fragen beantworten wollen. Als Gruppierung kommen hier die Wissenschaften, die Religionen und als politische Dimension kommen die Staaten in Frage.

Staaten und Religionen wirken oft zusammen, manchmal sind sie in Konflikt miteinander. Aber auch im Fall eines Konflikts sind sie vielfach auf die gleichen Mittel angewiesen. „Gott ist groß“, „Allahu akbar“ und „Amerika is great again“ ist aus dem gleichen Geist geboren. Eine Abhandlung über die Demokratie ohne einen religiösen oder zumindest einen pseudoreligiösen Hinblick würde ich nicht für vollständig halten.

Religionen bestehen aus zwei Komponenten, die sie anzubieten haben: zum einen die in ihrem Rahmen gemachte historische Erfahrung, die sich im Glauben als Narrativ manifestiert und in den Menschen als Gesinnung landen sollte. Zum anderen ist es die spirituelle Technik, die in Form von Ritualen und Gebeten bzw. als Meditation die Besinnung auslösen soll und auch kann. Was für die Wissenschaft das Denken ist, ist für die Religionen die Meditation – bekannter ist vielleicht das Wort Versenkung.

Meditation bzw. Spiritualität ist ein Geisteszustand, in dem Inhalte des Unbewussten ins Bewusstsein treten und aus diesem Erleben entsprechende Wahrnehmungen entstehen und damit ganzhirnige – also sowohl emotionale als auch rationale - Entscheidungen getroffen werden können. Während des Schlafes reorganisiert sich das Gehirn und gewöhnlich treffen die beiden Gehirnfunktionen – auch beim Einschlafen und beim Aufwachen – zusammen; sie sind messbar durch das Elektroenzephalogramm (EEG). Deshalb ist es gut, schwerwiegendere Entscheidungen zu „überschlafen“; allerdings wird das Gehirn zwischen der Einnahme eines Schlafmittels und dem Wecker diese Nachtarbeit nicht leisten.

Unter anderen können auch Dauersportarten sowie militärische Einsätze sowie solche Übungen meditatives Bewusstsein initialisieren; die „Feuertaufe“ als erstes Kampferlebnis eines Soldaten bringt ihm seine Sterblichkeit zum Bewusstsein und verursacht häufig eine Veränderung der Persönlichkeit; Zivilisten erleben diese Veränderung häufig erst in der Midlife-Crisis.

Wohl aus diesem Grund ist Yoga in der Kriegerkaste entstanden. Soldaten hatten immer schon Bedarf nach einer guten Resilienztechnik, also nach optimaler Stressfestigkeit sowie nach strategischen Fähigkeiten; diese besteht darin, sich in der komplexen und im Einsatz unberechenbaren Welt zurechtzufinden.

Autoritäre Systeme betreiben den umgekehrten Weg; sie nutzen Trance, um ihre Gedanken zu indoktrinieren – da kann Folter und Angstmache durchaus im Spiel sein – „Gehirnwäsche“ führt aber eher zur Abstumpfung als zu sinnvollen Erkenntnissen.

Die Besinnung auf das, was ich tun will und was ich in meinem und im Interesse der Gesellschaft tun darf, ist für ein gutes Zusammenleben immer wichtig. Das Christentum setzt darauf, dass durch den Glauben Besinnung ausgelöst wird und daraus die gewünschte Gesinnung entsteht. Das Christentum und das Römische Reich deutscher Nation ergänzten einander in ihrer Sinnvorgabe (Gott und Vaterland; Altar und Thron).

Wenngleich das Wort „Erbsünde“ in deutscher Sprache erst im 12. Jahrhundert, also in der Hochblüte der christlichen Gesellschaftsordnung, vorkommt, geht ihre Einführung auf Apostel Paulus und später auf den Kirchenlehrer Augustinus zurück. Obwohl sich diese These auf das Alte Testament beruft, kennen die Juden dieses Instrument, das ein Gefühl der Unvollkommenheit und einer Abhängigkeit erzeugen soll, nicht. Die grundsätzliche Einstufung des Menschen als „Mängelwesen“ ist eine wirksame Voraussetzung für eine hierarchische Gesellschaftsordnung. Um Christus die Funktion als Erlöser zu geben, erklärte man den Menschen kurzweg als erlösungsbedürftig. Wenn sich eine Religion so aufstellt, nimmt sie sich als geistiges Konstrukt wichtiger als den Menschen in seiner realen Existenz. Die Christen hoffen auf Erlösung, die Buddhisten bemühen sich darum, zu erwachen.

Der Mensch ist natürlich entwicklungsbedürftig und braucht Zeit, im Schutz seiner Umgebung seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu entfalten. Auf dem Yogaweg und für den Buddhismus braucht man gewöhnlich einen Meister als Begleiter; aber den Geist des Menschen gestalten zu müssen, erscheint ziemlich übergriffig.

Die christliche Lehre folgt dem System; dem Menschen nicht zuzutrauen, sich zu optimieren und aus eigenem ein gutes Selbstwertgefühl zu erreichen, sondern erlösungsbedürftig zu sein; das soll die kindliche Abhängigkeit des Menschen ein Leben lang erhalten. Mit einem solchen Bewusstsein bleiben ihm die Abhängigkeit und der Bedarf nach Gläubigkeit, auch wenn er den schützenden Schoß der Kirche verlässt. Das Anhaften an die abstrusesten Herrschaftssysteme und die erstaunlichsten Verschwörungstheorien ist eine Folge davon. So wie der Körper von innen nach außen wächst, ist es auch wahrscheinlich besser, den Geist aus seiner Urnatur von innen nach außen entwickeln zu lassen.

Das Bedürfnis, die kindliche Psyche gestalten zu wollen, taucht interessanterweise wieder in der Aufklärung auf, die zuerst einmal – jedenfalls aber nur räumlich begrenzt – die „schwarze Pädagogik“ in die Welt gesetzt hat, bevor sie von der Reformpädagogik überholt wurde.

Nach der Yogalehre sollte die Rolle der Persönlichkeitsbildung sein, die Menschen anzuregen, einen individuellen Lebenssinn zu suchen und Selbstbewusstsein zu finden, die sich in Übereinstimmung mit dem Ziel der jeweiligen Gemeinschaft befindet – in Europa ist es weitgehend Demokratie. Je nach dem Menschenbild der Religion fördert sie die Natur des Menschen, die sie für ursprünglich lebens- und gesellschaftstauglich hält; oder sie will ihn nach ihrem Menschenbild formen, weil sie seine Natur als dafür ungeeignet hält. In diesem zweiten Fall reicht Erweckung nicht, es braucht Erlösung.

Die Entwicklung der Kinder ist abhängig vom Schutz durch die Eltern; das patriarchalische Denkmuster versucht, dieses Gefühl zu perpetuieren; und autoritäre Staaten erwarten von ihren Untertanen eine entsprechende Unterwerfung. Um dieses Gefühl zu erzeugen, dient oft Willkür. Idealtypisch halten sich die Bürger einer Demokratie ihren Staat als Organisationseinheit; die Rechtssicherheit ist dafür wichtig. Welches Gefühl ist wohl für Österreich vorherrschend? Ist das Selbstbewusstsein derivativ (abhängig) oder autonom (unabhängig)? Das sind Fragen, die für die Menschenführung relevant sind.

Es gibt so viele glückliche Kinder und so viele grantige oder manchmal sogar bösartige Erwachsene. Was ist auf dem Weg passiert? Der Mensch kommt körperlich und geistig sehr unfertig auf die Welt und die Gefahr, durch Erziehung Schäden zu erleiden, ist durchaus gegeben. Wenn die Liebe der Eltern zu ihnen aber echt ist, halten die Kinder doch einiges aus. Das Glück der Kinder besteht darin, in ihrer Lebenswelt geschützt aufzuwachsen.

Mit der Pubertät und den hormonellen Umstellungen müssen oder dürfen sie ihrer neuen Lebenswelt begegnen. Wenn sie Glück haben, können sie aber ihren inneren Freiraum erhalten – für manche ist das die Religion. Ein Yogi aus Indien nannte das so: „ich habe mir vorgenommen, mich in meinem Wesen nicht von den anderen stören zu lassen“. Aber das ist schon ein Schritt zur Weisheit.

Den Kinderglauben aber kann man allerdings aufgeben, denn Gott tritt nicht an die Stelle der Eltern; mit dem Gewinn von Freiheit kommt die Verantwortlichkeit. Die christlichen Kirchen sehen das meist anders; für einen politischen Text scheint meine Erklärung allerdings relevanter zu sein.

Es muss nicht darauf ankommen, sein Leben mit Abenteuern zu füllen, sondern es durch Intensivität zu bereichern – also achtsam durchs Leben zu gehen. Das Glück der alten Menschen ist, weise zu werden und zumindest die Erziehungs- und die weiteren Erlebnisschäden (etwa PTBS = posttraumatische Belastungsstörung) überwunden zu haben. Dann können sie auch beruhigt in den Tod oder in die Demenz gehen; sie werden dann auch weniger an ihrer Pflege leiden und auch weniger lästige Pflegefälle werden.

Erfahrungsgemäß lösen sich diese Menschen leichter vom Leben, die weder sich selber noch den anderen gegenüber etwas schuldig geblieben sind. Wer satt ist, steht leichter vom Tisch auf als der, der noch hungrig ist. Problemfälle sind Kinder, die sterben wollen, und alte Menschen, die sich vor dem Tod fürchten.

Ich halte die Beschäftigung mit den Religionen in Theorie und Praxis für sehr hilfreich, um zum eigenen Lebensglück zu kommen. Ohne die Erfahrungen vieler Generationen wäre es uns wahrscheinlich unmöglich, die Welt zu verstehen. Weisheit ist das Ergebnis der Wahrnehmung der äußeren Natur und seiner inneren Natur, also eine Wahrnehmung des Geschehens in seinem Gehirn. Ich verdanke der Tätigkeit als Ministrant in meiner Kindheit eine entsprechende Vorerfahrung für die Erlernung der Meditation in meiner Yoga-Schule in Indien.

Der große Aufwand, den man treiben muss, um so weise zu werden, wie die als große Meister verehrten Yogis in Indien, ergibt sich aus der Erfahrung. Sie haben lange Meditationen hinter sich. Einem buddhistischen Mönch ist aufgefallen, dass – sieht man von einigen Ausnahmetalenten ab – für Spitzenleistungen in Kunst, Sport und Wissenschaft sowie in Spiritualität eine Praxiszeit von 15.000 Stunden notwendig ist.

Für meinen Guru waren dreistündige Meditationen nichts Besonderes, für seine langen Meditationen – er erzählte von einer Zeit von bis zu 12 Tagen –, musste er sich allerdings besonders vorbereiten. In seiner Gegenwart brachte ich es auf einige einstündige Versenkungen; normalerweise bin ich über Zeiten von ein paar Minuten schon froh.

Ein Meister geht in sein Unbewusstes wie der Hausherr in den Keller, dreht das Licht auf und sucht sich zusammen, was er gerade braucht. Gerade auch bei der Erstellung dieses Textes merke ich, dass ich ziemlich im Dunklen herumtappe und nur wie im Strahl einer Taschenlampe die brauchbaren Gedanken und die notwendigen Empfindungen zusammensuchen muss.

Glücklich bin ich über ein Meditationserlebnis an der Südküste der Insel Kreta, das mich an eine Bibelstelle erinnert. Christus wurde vom Teufel aufgefordert, von einem Felsen zu springen; die Engel würden ihn sanft auffangen und ihn unversehrt zu Boden bringen. Wenn Leute dieses Erlebnis unter Einfluss von Drogen haben, springen sie oft tatsächlich.

In der Meditation nimmt man wahr, dass das Schweregefühl ausgeschaltet ist und man diese Sondersituation genießt; ich bin auf dem Mauervorsprung der Ruine sitzen geblieben, obwohl ich das Gefühl hatte, ohne weiteres zu den am Strand spielenden Kindern hinunterschweben zu können. Auf der Schwelle, an der sich Stimmung zu Glauben verhärtet, ist ein Faktencheck geboten, weil Glauben handlungsrelevant werden kann.

Das Gefühl der Schwerelosigkeit ist wie die Erinnerung an das Nicht-Sein auch eine Erfahrung des Nahtod-Spektrums und nimmt oder reduziert die Angst vor dem Tod. Seit ich um die Erfahrungsgemeinschaft weiß, nehme ich die Bruderschaft Christi, die er den Menschen bietet, gerne an. Die Erfahrung des Unbewussten unterscheidet sich durchaus von der gewöhnlichen Erfahrung; wenn man sich aber da öfter einfindet, wird sie einem vertraut und man kann religiöse Texte mit anderen Augen lesen.

So erscheinen die Darstellungen des auferstandenen Christus in einem anderen Licht, etwa wie im Nebel, das deutet auf Meditationsbilder hin. Die Berichte über den auferstandenen Jesus enthalten meistens einen Hinweis auf eine metaphysische Dimension seiner Erscheinungen; er kommt etwa trotz verschlossener Türen in den Abendmahlsaal oder er verschwindet einfach aus der Gemeinschaft mit den zwei Jüngern in Emmaus.

Die Deutung Christi als Inkarnation Gottes ist nach dem Religionsverständnis Indiens durchaus möglich; für viele Inder ist eine solche Deutung auch selbstverständlich. Nach dem Buddhismus erreichen die Menschen auf ihrer höchsten Entwicklungsstufe die Buddha-Natur. Für die Christen, die die Gottesnatur eines Menschen für einmalig halten, ist ein Verständnis dafür schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Als Anhänger einer Glaubenskultur sind ihnen nicht alle religiösen Interpretationsmöglichkeiten offen.

4. Individuum und Gesellschaft

Das Wechselspiel zwischen Individuum und Staat bzw. Reich zeigte und zeigt viele Möglichkeiten: es reicht von Diskriminierungen oder Überhöhungen Einzelner bis zu Überschätzung oder Verachtung des Gemeinwesens.

Wahlsprüche und Hymnen versuchen auf mancherlei Art, das gesellschaftliche Selbstbewusstsein zu modellieren; und manchmal stimmen Volksmeinung und Selbstbeschreibung des Staates überein. Ob das eine das andere modelliert hat oder ob es umgekehrt ist, kann höchstens im Einzelfall festgestellt werden.

Normalerweise sind Volks- und Staatsmythen natürlich großartig; manchmal ist es anders. So gab es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich eine Volkshymne, die den Zustand durch Persiflage – also durch schwarzen Humor – erträglich zu machen suchte: „Land der Erbsen, Land der Bohnen, Land der vier Besatzungszonen, Land der vielen, vielen Fremden, die uns ausziehen bis auf die Hemden …“ Notfallsprüche können in der jeweiligen Situation hilfreich sein; wenn sie bleiben, können sie aber auch negativ wirken. Bewusstsein und Sein sind interdependent.

Mit der Wahl der aktuellen Bundeshymne hat Österreich gewiss Glück gehabt; sie spricht sowohl das Land als auch die Leute positiv an und verzichtet auf Präpotenz. Für den individuellen Bereich wirken nach verbreiteter Meinung gute Lebensziele positiv; ob es eine Analogie zu Staatszielen gibt, könnte nur eine Untersuchung ergeben. Wenn es so wäre, würde Serbien mit seiner Berufung auf die verlorene Schlacht am Amselfeld gegen die Osmanen (1389) ein schlechtes Motiv gewählt haben. Und auch die Hymne „noch ist Polen nicht verloren“ ist nicht gerade aufmunternd.

Schwer nur zu ertragende Zustände kann man auch durch etwas überzogene Behauptungen verkraftbar machen; so kolportierte Hitler die Vorstellung, dass er und das vom Ersten Weltkrieg traumatisierte deutsche Volk von der Vorsehung ausersehen sei. Als Plagiat übernahm er die jüdische Vorstellung der Auserwähltheit; er strebte an, was er diesen vorwarf, nämlich Weltherrschaft. Das Plagiat hat zwar gegriffen, hat sich aber nicht bewährt.

Die auf Individualismus, Gerechtigkeit und Frieden aufzubauende Demokratie überlässt den Bürgern die Sinnfindung und muss ihnen auch die Fähigkeit, ein der Realität entsprechendes Selbstbewusstsein zu entwickeln, zutrauen; die Staatsführung kann aber doch etliches beitragen, Stärken und Schwächen und allenfalls notwendigen Veränderungsbedarf gemeinsam mit den Bürgern auszumachen.

Die Zeit der überheblichen Herrscher und der sich minderwertig fühlenden Untertanen sollte mit der Reichsidee untergegangen sein und dem Selbstbewusstsein der demokratischen Bürger Raum geben. Wenn sich eine gesellschaftsprägende Einheit wie eine Religion totalitaristisch aufstellt, so werden sich auch die anderen gesellschaftlichen Einheiten wie die Familien oder der Staat totalitär zu organisieren suchen.

Dabei werden die Inhalte an sich durchaus modifiziert. Die Kinder machen nicht immer das, was die Eltern sagen; sie machen aber oft das nach, wie die Eltern sind. Mit der Übertragung durch die Religion ist es ähnlich: wir essen entgegen dem Alten Testament Schweinefleisch und halten es entgegen der Bergpredigt nach dem Neuen Testament mit der Aufnahme der Fremden nicht so genau; sehr haltbar allerdings ist der Modus der Religion, die absolute Wahrheit Gottes zu vertreten und damit immer recht zu haben.

In der postchristlichen Gesellschaft ist diese Haltung noch spürbar und in den christlichen Kirchen ist sie noch weit verbreitet, wenn die katholische Kirche sie auch offiziell abgemildert hat (siehe später). Im Islam schafft sie noch schwerwiegende innere und äußere Spannungen.

Wenn der Mensch seinen spirituell geladenen Wesenskern mit einer rauen Schale umgibt, stellt das ein Problem für das Zusammenleben dar. Wenn sich ein sanftes Gemüt einer geforderten Härte stellen soll, hilft der Spruch: „Wo gehobelt wird, fliegen Späne!“ Manche leiden darunter, wenn ihr Amt mehr Härte verlangt, als sie geben wollen; es besteht aber auch die Gefahr, dass Sensibilität kippt und zu Grausamkeit pervertiert. Wichtig sind starke Persönlichkeiten, denen das Wesen der Demokratie vertraut ist und die sich für sie einsetzen.

5. Die Aufklärung

Einem aufgeklärten Menschen ist ein religiöser Inhalt kaum und auch nicht der volle christliche Glauben zu vermitteln; Auf dem Weg des religiösen Respektverlusts ist allerdings auch der Respekt und die Angst vor der Natur, die stärker ist, als es die Menschen sein können, untergegangen und muss erst mühsam wieder hergestellt werden. „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher“, hieß es früher; und die Natur ist auch nicht schnell genug in ihren Reaktionen, um gleich auf jeden menschlichen Missgriff zu reagieren.

Das Christentum erzeugt mit Himmel und Hölle ein verzerrtes Weltbild und hat seine spirituellen Techniken nur für den Fall der Akzeptanz seines Glaubensinhaltes entwickelt; in der Aufklärung ist die Spiritualität als Technik zur Bewusstseinserweiterung und damit zur Förderung der Sensibilität als nützliche geistige Disziplin kaum entwickelt worden; weder der räumliche noch der zeitliche Horizont sind mit den Handlungspotentialen von Wissenschaft und Technik mitgewachsen. Damit sind wir im christlichen Abendland so lange auf geistige Importe angewiesen, bis sich hier ein entsprechendes Bewusstsein entwickeln wird. So lange müssen wir mit dem Mangel leben und den nachfolgenden Generationen die Verantwortung schuldig bleiben.

Der Umgang mit der Welt als Heimat nicht nur für die aktuelle Menschheit, sondern auch für die Folgegenerationen lässt zu wünschen übrig. Die aktuellen Generationen leben, als ob sie die letzten wären; und die Natur reagiert in diesem Sinn! Die letzten 5 Generationen verbrennen die Kohle, die in 50 Millionen Jahren entstanden ist (das Erdzeitalter Carbon dauerte von 350 bis 300 Millionen Jahre vor unserer Zeit); kein Wunder, dass da die Natur sauer reagiert. Es geht um die grundsätzliche Fähigkeit der Menschen, die aktuellen Probleme zu lösen, und nicht darum, Lösungen für historische Probleme vorgesetzt zu bekommen.

Gläubigkeit, die auf einem konkreten Weltbild beruht, bindet; Weisheit macht frei. Wissen und Gedanken, die nicht auf der Bindung an die Welt beruhen, sind nicht weise, sondern illusionär. Die rasche Veränderung der Umstände auf der Welt braucht Gedankenfreiheit; die alten Rezepte des Zusammenlebens der Menschen sind überholt oder beantworten die aktuellen Fragen nicht mehr. Wenn auch die Welt durch eine unverantwortlich genutzte Freiheit zum gegenwärtigen Schlamassel geführt hat, so gibt es doch keine andere Wahl, als die Freiheit des Geistes in den Dienst der Lösung oder Milderung des Desasters zu stellen.

Der Jesuit Karl Rahner (1904 bis 1984) war einer der profiliertesten Theologen der neueren Zeit; er war Motor der Modernisierung der katholischen Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil. Für mich ist er trotzdem ein gutes Beispiel für Glaubensbindung; diese Glaubensbindung beruht auf der Selbsteinschätzung der christlichen Religion, sie sei von Gott geoffenbart worden. Er käme mit dem Gedanken, dass ein barmherziger Gott so viel Ungerechtigkeit wie den Holocaust zulasse, nicht zurecht und er wolle (nach seinen Worten) das Problem als erste Frage nach seiner Ankunft im Himmel an Gott stellen. Im Unterschied zum Gläubigen hat ein Weiser die Möglichkeit, seinen eigenen Standpunkt zu hinterfragen.

Nur wenn Gott nur eine Minderheit vertritt, kann diese ihren Gott auf Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit ansprechen; wenn aber nach dem eigenen Weltbild Gott als Symbol für die ganze Welt und den Kosmos zuständig ist – demnach auch für Fuchs und Hase –, verliert der Anspruch seinen Sinn. Dieser Gott kann höchstens für das Funktionieren dieses Systems als zuständig erklärt werden und die Theodizee-Frage stellt sich nicht. Die von Zeit zu Zeit auftretenden Epidemien könnte man jedenfalls als Versuch der Natur ansehen, das Leben auf der Welt zu harmonisieren.

Die Verwendung des Begriffes „Gott“ weist auf eine Möglichkeit des abstrakten Denkens hin, nämlich auf die Wirklichkeit eines Teamgeists oder die Corporate Identity in der Gesellschaft, in der sich die jeweiligen Menschen fühlen. Als Logo dieser Denkheimat werden entsprechende Zeichen verwendet, Kreuz oder Halbmond sind weit verbreitet. Eine Darstellung des Logo nach dem Menschenbild wird in manchen Religionen als problematisch gesehen; sie wäre eine Verengung dessen, was gemeint ist. Die Wahrnehmung und die Bildung des „Gemeinschaftsgeistes“ erwächst aus der Abstraktionsfähigkeit des menschlichen Gehirns.

Der Horizont, der die Gefühls- und Denkwelt umschließt, bildet eben den Raum der Gesellschaft, die man haben will und der man sich bestenfalls verpflichtet fühlt. Angesichts der Problemlage in der Welt wäre ein weiter Horizont wünschenswert. Global handeln und regional denken kann nur zur Katastrophe führen. Die Mühe, die Weltanschauungen und ihre Gottesvorstellungen zu verstehen, läuft auf Verständnis dieser Situation hinaus.

Karl Rahner zeigte diesen weiten Horizont in einer Offenheit, die aus der Weisheit des Alters zu kommen scheint. In einem Symposion des Instituts für Südost-Asien (Universität Wien, etwa 1985), das über das Verhältnis von Christentum und Hinduismus gehandelt hat, sagte er: „Es möge mich der Blitzstrahl des Banns nicht treffen aber zwischen den beiden besteht wahrscheinlich gar kein Unterschied“. Einige seiner jungen Mitbrüder in den hinteren Sitzreihen murrten und einer von ihnen sagte: „Das könne man so nicht sagen!“ Eine Aufzeichnung wird sich sicher noch im Archiv des Instituts befinden.

Die Vorstellungskraft des Menschen ist eine wichtige Voraussetzung für ein optimales Leben – „Denken ist Probehandeln im Kopf!“ Das Theater und seine Wirkkraft beruhen auf der Vorstellungskraft der Schauspieler; die Wissenschaft und ihr Fortschritt ist ohne Fantasie der Forscher nicht denkbar und auch Yoga verwendet viele Vorstellungsbilder als psychotherapeutische Instrumente auf dem Weg zur angestrebten Weisheit. Wenn sich aber diese Vorstellungen im Faktencheck nicht bewahrheiten, führen sie in die Einbildung und an die Schwelle der Psychiatrie.

Die Aufklärung als geistige Disziplin hat den Prozess des religiösen Glaubens, dem die Kirchen Vorrang vor der Rationalität gegeben haben, fragwürdig gemacht. Die christliche Religion hat ein Problem mit der „Erkenntnis“, da der Verzehr der Frucht des Baumes der Erkenntnis an der Vertreibung aus dem Paradies schuld war.

Obwohl diese Erzählung aus der jüdischen Bibel stammt, nahmen die Juden diese Passage aus ihrem Buch nicht so ernst. Die Juden trieben die intellektuelle Bildung allerdings auch nur für die Buben – durchs Mittelalter und in die Neuzeit herein – sehr ernsthaft. Eine gewisse Erkenntnishemmung bei den Christen bei gleichzeitiger Erkenntnisfreiheit bei den Juden und die daraus entstehenden Nachteile bei der Mehrheit der Bevölkerung könnte ein Grund für die Judenaversion gewesen sein – Eifersucht ist immerhin ein starkes Motiv für Hass.

Das Christentum mit seiner Lehre von der Erbsünde zeigt ein gespaltenes Verhältnis zur Erkenntnisfähigkeit, die die Bedingung für die Aufnahme im Himmel ist; Tiere haben nach der verbreiteten Lehre keinen Zugang dorthin. Andererseits war die Befriedigung des Erkenntnisbedürfnisses der Menschen die Ursache für die Vertreibung aus dem Paradies.

Die Verfolgung der Astronomen im 16. und 17. Jahrhundert (etwa Gaetano Bruno und Galileo Galilei) durch die Inquisition führte zu einem Vertrauensverlust in die Kirche; auf Grund der historischen Last tat sie sich in der Folgezeit schwer, für einer explodierende Wissensentwicklung ein weises Korrektiv zu werden. Es gibt nicht nur den industriell-militärischen Komplex, den der frühere amerikanische Präsident Eisenhower problematisch nannte; sondern auch der Komplex von Wissenschaft und Wirtschaft ist aus den Ufern eines vertretbaren gesellschaftlichen Verhaltens geraten.

So ist auch das, was als „rational“ bewertet wird, oft nur auf einem niederen Niveau; das traf etwa die sogenannte „Rationalisierung“ als Ersatz menschlicher Arbeit durch Maschinen. Die Wirtschaftswissenschaft bleib mit der „Rationalisierung“ hinter der Rationalität zurück; nur die gewünschten Folgen und nicht auch die negativen Nebenwirkungen zu berechnen, ist schwach (siehe später). Dass die Kirche die Schwächen des eigenen Systems kaum bemerkt hat, ist menschlich verständlich; dass sie sich aber so weit von der Philosophie entfernt hat, dass ihr die Pseudorationalität in der Welt nicht aufgefallen ist, ist peinlich. Der Einsatz linearer Rationalität zur Lösung komplexer Sachverhalte verschleudert eine menschliche Qualität unter ihrem Wert.

Das geozentrische Modell der Kirche hat naturwissenschaftlich versagt. Und in dem, was man heute kognitive Wissenschaft nennt, hatte sie ein einfaches Modell. Sie gab vor, zu wissen, wie sich Gott die Menschen wünscht. Die Gläubigen brauchten nach dem Beichtspiegel nur angeben, inwiefern sie diesem Bild nicht entsprachen. Nach der Aufschrift „Gnothi seauton“ (erkenne dich selbst) im Tempel des Apollon in Delphi versuchte die griechische Philosophie, die Sache der Identität des Menschen vorsichtiger anzugehen; die Yoga-Bewegung macht die Selbsterkenntnis sogar zu ihrem zentralen Thema.

Die Kirche stellte und stellt Gott in das Zentrum ihrer Verkündigung. In der Bibel wird verlangt, sich kein Bild von ihm zu machen, sodass die Beziehung zu ihm nur in der Gefühlssphäre, also im eigenen Körper, stattfinden kann; dafür ist Sensibilität notwendig und damit könnte sich auch das innere Maßsystem, das sowohl nach dem eigenen Glück strebt als auch der sozialen Verantwortung Raum gibt, entwickeln.

Weil das offensichtlich gefehlt hat, ist es zu dem erstaunlichen Phänomen mit dem Namen „selbsterfüllende Prophetie“ gekommen. Die Erkenntnisexplosion gefährdet durch ihre Schattenseiten (etwa Klimaerwärmung, Meeresverschmutzung und Plünderung der Bodenschätze) den Lebensraum des Menschen; diese Art von Erkenntnis könnte leicht zur „Vertreibung aus dem Paradies“ führen. Hat nun die Bibel doch Recht? Indem die Kirche mit ihrer Erkenntnisaversion die intellektuelle Entwicklung nur sehr zögerlich und unwillig mitgetragen hat, war sie kein Gesprächspartner für die Wissenschaft und wurde vom Fortschritt überrollt.

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