Kitabı oku: «Der letzte Ball», sayfa 7

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4. Tag, 22. Juni 1930 – Billy
1.

Sie war beim ersten Dämmerlicht aufgestanden, hatte sich den Büstenhalter mit Vorderschluss angezogen, zwei Nummern zu klein, damit man ihre knabenhaften Brüste am besten gar nicht bemerkte, darüber Hemd und Hosenanzug, hatte sich die schwarzen Stiefel geschnürt, ihren schwarzen Topfhut aufgesetzt, war in den Mantel geschlüpft und an die frische Seeluft getreten. Das Schiff glitt ruhig durch eine neblige See, während sie, einen Arm auf dem Holzgeländer, das Deck im Kreise abschritt. Fast niemand war zu sehen, nur an einer Ecke kauerte unter einem Überhang ein Mann unter einer Decke auf einem Liegestuhl, offensichtlich schlafend.

Billy hatte nie verstanden, warum Menschen erst nach dem Morgengrauen aufstanden. Dies war die beste Zeit, wenn noch kein Sonnenstrahl zu sehen war, aber die Unbedingtheit der Nacht durch eine zart angedeutete Note von Anthrazit aufgebrochen wurde. Es war die Zeit, da der Tag noch unschuldig war, voller Möglichkeiten, voller Versprechen, frei von Demütigungen, Missverständnissen oder sonstigen Unzulänglichkeiten. Eine Zeit der absoluten Ruhe und des vollkommenen Friedens. Es war das Leben in seiner reinsten Form – ohne Ideologien, Fantasmen, Idiotien, kruden menschlichen Ideen. Billy atmete tief durch. Sie blickte aufs Meer, das sie nicht nur wegen der Nebelhaftigkeit seines Wesens liebte – durch ihre dicke Brille konnte sie nur grobe Umrisse erkennen –, sondern auch, weil es mit der gleichen flüsterhaften Art wie der Morgen eine Hymne der Zuversicht sang. Es war die einzige Zeit, die ihr gehörte.

Warum nur, so fragte sie sich, hatte sie der Bitte ihres Vaters entsprochen. „Diese Konferenz ist wichtig, Kleines“, hatte er sie angefleht. „Ein neues Zeitalter steht an.“

Sie stieg eine Treppe hinauf zum Oberdeck, sog erneut die frische Luft ein und dachte dann, dass das doch das wahre und ureigentliche Problem des Menschseins sei: Dass sie, als sie erneut einen tiefen Lungenzug der salzigen Frische in sich einsog, schon gedacht hatte, dass dieser zweite, bewusste Akt der Vereinigung mit der Reinheit der Natur nicht mehr so gut gewesen war wie der erste. Auch das Abschreiten des Decks, hier oben, wo man doch eine bessere Aussicht hatte, wo der Morgenwind noch etwas kühler blies und die Sonne schon einen helleren Schimmer preisgegeben hatte, war nur noch ein verblassender Vergleich zur ursprünglichen Erfahrung des eben noch genossenen Friedens und der eben noch verdienten Freiheit. Und dann kam der übliche Moment der Verzweiflung und des stillen Protests, dass doch jedes noch so kleine Glück wieder genommen wurde, und zwar, das war das Gemeine und Hinterhältige, von der eigenen Bewertung der Dinge. Warum konnte der zweite Rausch der Sinne nicht genauso genossen werden wie der erste?

Sie setzte sich auf eine der Holzbänke vor dem mit einer riesigen Stoffplane abgedeckten Swimming Pool und starrte hinaus auf die ins Dunkelblau driftenden Meeresfetzen. Sie überlegte sich kurz, ob sie sich ganz der Verzweiflung oder sogar der noch größeren Versuchung, dem Selbsthass, hingeben sollte, als sie eine Bewegung an der Treppe wahrnahm. Durch ihre dicke Brille sah sie ein blaues Walross aus dem Boden erscheinen. Das Walross kam die Treppe hinaufgetapst, nahm sie nicht wahr und bewegte sich auf den Swimming Pool zu. Jetzt konnte sie eine große Gestalt in einem blauen, flauschigen Bademantel erkennen. Der Mann blickte sie kurz an, etwas verunsichert, zu dieser frühen Stunde jemanden an Deck vorzufinden, und tastete dann die Abdeckung des Pools ab. Dann wandte sich der Mann ab und machte sich daran, zurück zur Treppe zu gehen.

„Wenn Sie schwimmen wollen, dann machen Sie doch einfach die Plane ab“, sagte Billy. Der Mann hielt inne und drehte sich zu ihr um. Er schaute etwas verunsichert drein und Billy wurde auf einmal klar, dass er wahrscheinlich kein Englisch sprach. Was hieß ‚schwimmen‘ noch einmal auf Italienisch? Sie hatte keine Ahnung. Zu ihrer Überraschung sprach der Mann sie in fließendem Englisch an.

„Ich soll die Plane abmachen?“

„Ja, klar. Da freut sich der Steward, der das als seine erste morgendliche Aufgabe nicht machen muss.“

„Meinen Sie? Man kann die einfach so abmachen?“

Billy schaute sich die Gestalt etwas näher an, die jetzt zwei Schritte auf sie zugekommen war.

„Ich bin schon oft auf solchen Schiffen gefahren. Sie sind doch hier der Gast. Da können Sie machen, was Sie wollen.“

„Sie sind bereits öfters auf Luxusdampfern gefahren?“

„Ja. So ist es. Letztes Jahr haben wir Afrika mit einem Schiff umrundet. Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Billy stand auf. „Gehen Sie auf die andere Seite und ziehen Sie.“ Der Mann schien immer noch nicht ganz sicher zu sein, ob er sich nicht einer groben Ordnungswidrigkeit schuldig machte, schien aber auf der anderen Seite auch nicht gegen Billys Autorität ankämpfen zu wollen. Er ging an die andere Ecke und zusammen schoben sie den schweren Stoff, der dabei ab und zu ins Wasser tauchte, nach hinten. Als sie fertig waren, setzte sie sich wieder auf die Holzbank und der Mann legte, nachdem er sich versichert hatte, dass Billy hinaus auf das Meer schaute, seinen Bademantel ab, stieg die kleinen Treppen zum Beckenrand hinauf und klatschte ins Wasser. Nachdem er ein paar Runden gedreht hatte, kam er schnatternd aus dem Wasser, trocknete sich schnell mit dem bereitgelegten Handtuch ab und zog sich den Bademantel wieder an. Er machte Anstalten, zur Treppe zu gehen, hielt aber kurz inne.

„Sie haben mit Ihrer Familie Afrika umschifft?“

Billy wandte sich dem Mann zu, der mittlerweile in einer kleinen Pfütze stand.

„Setzen Sie sich“, sagte sie und klopfte mit ihrer flachen Hand auf den freien Platz neben sich. Für einen kurzen Moment verzog der Mann seine Miene, als müsse er an einen vergangenen Schmerz denken, dann folgte er ihrer Aufforderung.

„Entschuldigen Sie, wenn ich das sage“, brummte er, nachdem er sich gesetzt hatte und Billy die kühle Frische, die von ihm ausging, eingeatmet hatte, „aber Sie wirken noch gar nicht so alt.“

Billy lachte. „Bin ich auch noch nicht. Ich bin 17, wenn es Sie interessiert.“

„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Schon gut. Woher sprechen Sie so gut Englisch? Sie sind kein Engländer, oder?“

„Nein, ich bin Ungar.“ Er hielt ihr eine große Hand hin. „Moritz Fischer.“

Sie nahm die Hand. „Billy. Oder nein, Jean. Jean Doyle.“ Sie schüttelten sich heftig die Hände.

„Sie sind nicht aus Uruguay, oder?“, fragte er schüchtern. Sie schüttelte etwas verwirrt den Kopf. Offensichtlich etwas erleichtert fuhr er fort: „Ich habe einige Zeit bei ‚British Railways‘ gearbeitet, in London.“

Billy hob anerkennend eine Augenbraue. „Sie sprechen in der Tat gutes Englisch.“

„Nun“, führte Fischer aus, „ich lese außerdem viel. Hauptsächlich die großen und großartigen englischen Schriftsteller.“

„Nämlich?“

„Byron, Tennyson, Hardy, und …“ Fischer blickte etwas verschüchtert zur Seite.

„Ja?“

„Arthur Conan Doyle.“

Billy schluckte. Sie starrte den Mann, der ihr gegenüber saß, an.

„Sie finden, Conan Doyle ist gleichzusetzen mit den Größen englischer Literatur?“

„Nun ja“, Fischer räusperte sich lächelnd, „Mir ist schon klar, dass es sich hier um Trivialliteratur handelt. Aber wie er schreibt, das ist mitreißend und unglaublich spannend.“

Billy sagte nur: „Hm. Wenn Sie meinen.“

Fischer lächelte auf einmal in sich hinein. „Ist es nicht spannend, dass alle großen englischen Schreiber ein Y in ihrem Namen haben?“

„Sie haben allerdings Shakespeare vergessen. Aber man könnte ihn auch einfach Shykespeare nennen. Oder Shakespyre.“ Billy kannte niemanden, der über ihren seltsamen Humor lachte. Daher war sie ernsthaft erstaunt, als der Mann neben ihr zu prusten anfing, sich dann schüttelte, den Bauch hielt und ein gackerndes Geräusch von sich gab. Das wiederum brachte sie zum Lachen. Die morgendliche Kälte schien auf einmal wie weggeblasen.

„Aber erzählen Sie mir, warum Sie schon die Welt bereist haben, obwohl sie doch noch zur Schule gehen müssten.“

„Oh, das ist auch so eine Geschichte. Sie frieren ja jetzt schon.“

Fischer sah sie an und lächelte erneut. Er schien einen Entschluss gefasst zu haben. „Ich sage Ihnen etwas. Ich ziehe mich an und dann treffen wir uns im Speisesaal. Und wenn wir Glück haben, finden wir jemanden, der uns einen Tee macht.“

Sie hatte Verständnis für ihn und mochte ihn auch irgendwie, doch die noble Gemütlichkeit der Mahagonifensterrahmen war nur ein schaler Ersatz für draußen. Aber es war gut, eine wärmende Tasse zwischen den Händen zu halten, deren tanzender Dampf eine verklärende Note in ihr Gespräch brachte.

„Eigentlich wollte ich diese Rundreise nicht mitmachen. ‘Du musst nicht fahren‘, hat mein Vater zu mir gesagt, ‚aber deine Mutter wäre sicherlich sehr enttäuscht.‘ Also bin ich selbstverständlich mitgekommen. Wer will schon seine Mutter enttäuschen.“

Fischer, eingehüllt in denselben Dampf, nickte verständnisvoll.

„Und dann haben wir Afrika umrundet. Southampton, Madeira, einmal unten rum und am Ende wieder Malta und Marseille.“

„Aber hatten Sie denn keine Schule?“

„Doch“, sinnierte sie, „sie hat mir sogar angefangen Spaß zu machen. Aber wenn die Pflicht ruft … Mein Vater ist krank, wissen Sie?“

Fischer nickte und war zu höflich, weiter zu fragen. Er wusste, dass er nun an der Reihe war, Licht in seine Person zu bringen.

„Ich bin mir auch noch nicht so sicher, ob ich hier das Richtige tue.“

„Wieso?“, lachte sie. „Sie können morgens schwimmen gehen. Was Sie anscheinend heute zum ersten Mal getan haben. Warum also nicht die letzten zwei Tage, seit Sie an Bord sind?“

„Ich habe … nicht so gut geschlafen in den Nächten davor“, erläuterte Fischer. „Sie scheinen ein detektivisches Denken zu haben.“

„Wieso?“, fragte Billy, die sich etwas ertappt fühlte.

„Sie wussten, dass ich die letzten zwei Tage kein morgendliches Bad genommen habe.“

„Nun, das war offensichtlich. Sie hatten ja nichts von der Schutzplane gewusst.“

„Stimmt“, sagte er. Und nach einer Weile: „Ein detektivischer Geist wäre momentan ganz gut.“

„Wieso?“, fragte sie mit angestachelter Neugier.

„Ach …“ Er blickte hinaus und dann hinter sich, obwohl außer den beiden niemand im großen Saal war.

„Es ist etwas Schreckliches passiert auf diesem Schiff“, erklärte Fischer, dessen Miene auf einmal sehr ernst geworden war.

2.

Fischer erzählte Billy von dem seltsamen Erlebnis mit Pupo, dem Maschinisten. Billy war eine aufmerksame Zuhörerin, die ihn nicht mit nervigen Zwischenfragen belästigte, aber dennoch wirkliches Interesse für das, was er zu erzählen hatte, zeigte. Sie saß ihm gegenüber und sah ihn mit durch ihre Brille größer wirkenden Augen an, während sie ab und zu an ihrer Tasse nippte, was langsam vergehende Wasserdampfwolken auf ihren Brillengläsern produzierte. Der junge Ober, der fast unsichtbar im Hintergrund stand, um vielleicht eine weitere Tasse eines dampfenden Getränks zu besorgen, stand still wie eine Statue – weit genug, um nichts von dem Gespräch mitzubekommen.

„Ein schrecklicher Unfall, habe ich zunächst gedacht, selbst als Pupo von einem Mord gesprochen hatte. Ich habe das seiner Verzweiflung und seiner Trauer um seinen Freund zugesprochen. Tragisch, ja, aber eben doch ein Unfall, habe ich gedacht. Dann erzählt mir einer der rumänischen Spieler, dass die seit dem Vortag einen Spieler vermissen. Und ich denke, oh mein Gott, vielleicht gehörte die Hand gar nicht dem Maschinisten, sondern dem Spieler. Also gehe ich noch einmal zum Kapitän. Darf ich Ihnen das überhaupt erzählen?“

Erneut schaute sich Fischer um. Billy tat ihm den Gefallen, ihn nicht davon überzeugen zu wollen, dass er weitererzählen müsse. Das nahm er zum Anlass, fortzufahren.

„Egal. Also. Der Kapitän führt mich in den Sanitätsraum und zeigt mir eine Leiche.“

„Was?“

„Richtig. Eine Leiche. Aber es kommt noch schlimmer. Die Kehle war durchgeschnitten. Das war also definitiv ein Mord.“

„Und wer war der Mann?“

Fischers Stimme wurde zu einem Flüstern. „Gheorghe Moldoveanu. Der vermisste Spieler.“

Zwei Paare betraten nun den Speisesaal. Man begrüßte sich freundlich aus sicherer Entfernung. Die Vier setzten sich an einen Tisch am anderen Ende des Saales, von dem aus man einen Blick auf die Landseite hatte. Der junge Ober setzte sich in Bewegung, ein weißes Tuch an seinem rechten Unterarm schaukelnd.

Billy starrte Fischer intensiv an. Sie empfand es als entspannend, einem Mann zuzuhören, der seine Gesprächspartner nicht offensichtlich von seiner eigenen Großartigkeit überzeugen musste. Im Gegenteil, es schien ihr so, als sei Fischer Manns genug, innezuhalten, zu zweifeln, und auf Fragen seines Gegenübers einzugehen. Ihr Vater hatte immer schnell geredet, um keine Einwände zu seinen Monologen zuzulassen. Fischer nahm er einen tiefen genießerischen Schluck aus seiner Teetasse.

„Von links nach rechts sauber durchgeschnitten.“ Er lächelte absurd. „Vor drei Tagen hat er mir einen Koffer auf das Schiff getragen. Und nun hatte seine Haut eine bleiche, wächserne Färbung. Das ist so …“

Immer noch schwieg Billy. Sie hob eine Hand, um den jungen Ober heranzuwinken und bestellte für sich einen Kaffee. Der makellose Mann fragte, ob die beiden nun ein Frühstücksgedeck wünschten und nach einem kurzen Blick in das Gesicht des anderen nickte sie und bestellte zwei englische Frühstücke.

„Also haben wir zwei Leichen“, konstatierte Billy. Fischer nickte.

„Wie hat man denn den Fußballspieler gefunden? Und wo?“

Wieder blickte sich Fischer um.

„Nachdem mir der Kapitän Moldoveanu gezeigt hat, hat er mich in seine Privatkajüte geführt. Ich habe mich auf einen Ledersessel gesetzt, er zog es vor, stehen zu bleiben. Während er vor mir auf und ab marschierte, erklärte er mir, dass man, bevor man eine Ozeanüberquerung macht, zur Sicherheit noch einmal den Kohleantrieb überprüft. Normalerweise fährt das Schiff mit Diesel, aber es kann auch mit Kohle betrieben werden. Also wurde der Dieselmotor ausgestellt. Dann wurden Pupo und ein weiterer Arbeiter in den Kohleraum geschickt, welcher sich im Gang vor der Antriebsdüse befindet. Der ganze Raum besteht aus aufgeschichteter Kohle und einer Eisentür in der Wand, durch die man die Kohle in die Brennkammer schaufelt. Die zwei Arbeiter gehen also in diesen Kohleraum, nehmen sich die schweren Schaufeln von den Haken an der Wand und fangen an, zu schaufeln. Auf einmal stößt Pupo auf etwas. Die Schaufel greift nicht mehr. Er sticht ein zweites Mal zu, aber immer noch greift die Schaufel keine Kohle. Er merkt, dass etwas nicht stimmt und schiebt mit den Händen die Kohlen zur Seite. Darunter findet er erst ein Bein. Dann einen ganzen Mann – unseren Toten.“

„Macht insgesamt zwei.“

„Ja, insgesamt zwei.“

„Was wird der Kapitän nun tun?“

„Genau die Frage hat er mir auch gestellt. Er schaute mich an, die Hände in den Seitentaschen seiner Admiralsjacke, und fragte: ‚Was soll ich tun, Herr Fischer?‘ Ich fühlte mich natürlich leicht geehrt. Offensichtlich hatte er mich irgendwie in sein Vertrauen gezogen. So wie ich Sie jetzt in mein Vertrauen ziehe. Aber Sie können schon mal nicht die Mörderin sein, da Sie ja erst gestern an Bord gekommen sind und die Morde wohl schon vor der Landung in Villefranche-Sur-Mer ausgeübt wurden.“

Billy lächelte. Fischer schaute sie verträumt an, was sie etwas verlegen werden ließ.

„Auf der anderen Seite fühlte ich mich auch überfordert. Was macht man da, wenn jemand getötet wird?“

„Polizei?“, entgegnete Billy.

„Das habe ich dem Kapitän auch gesagt. Und da wurde sein Blick noch trauriger. Er nickte mir zu und erklärte mir dann, dass dies ein Problem sei. Welche Polizei sei da wohl zuständig, fragte er mich, und ich wusste natürlich keine Antwort. Das Schiff sei italienisch, also müsse es die italienische Polizei untersuchen. Aber dazu müsse er umkehren. Als er mein erschrockenes Gesicht sah, lachte er auf. „Keine Angst“, sagte er. „Ich weiß, dass Sie einen strengen Zeitplan haben“. „Strengen Zeitplan“, sagte er. Das fand ich noch lustig. Streng im Zusammenhang mit Zeitplan. Aber das brachte mich auf eine Idee, welche ich ihm sogleich mitteilte. „Kapitän“, sagte ich, „es gibt doch eine internationale Polizei“. Er nickte. „Ja“, sagte er. „Die ICPC – die internationale kriminale Polizeikommission“. Aber dann schüttelte er wieder den Kopf. Unsere nächsten Anlegehäfen seien Barcelona und Lissabon. Aber weder Spanien noch Portugal seien Mitglieder dieser Kommission. Frankreich sei Mitglied, aber das läge ja nun hinter uns.“

„Schlecht“, sagte Billy.

„Sehr schlecht. Sehr schlecht.“

Der weißbefrackte Ober kam mit einem goldenen Servierwagen an den Tisch und deckte neben den Tellern und dem Besteck verschiedene Schalen, Töpfe und Pfannen mit Spiegeleiern, Rührei, Bohnen, Würstchen, Pilzen und Tomaten auf. Frisch getoastete Scheiben lagen neben einem lecker dampfenden, unberührten Laib Weißbrot. Eine frische Kanne Tee zierte die weiße Tischdecke, die Goldränder glänzten in der aufgehenden Sonne.

Als der Ober wieder gegangen war, flüsterte Billy: „Ich glaube, der hat sich zwischendurch seinen Frack erneut gebügelt. Keine einzige Falte im Stoff.“

„Vielleicht hat er einen eckigen Körper“, mutmaßte Fischer scherzhaft.

Billy prustete den Kaffee über den Teller und Fischer kicherte wie ein Schulmädchen. Die anderen Gäste blickten hinüber und ließen den Blick etwas länger auf den beiden ruhen, als es schicklich war. Das führte zu einem erneuten Lachanfall der beiden.

„Dieser Mangel an festem Boden unter den Füßen macht mich noch ganz mürbe“, kommentierte Fischer, was zu einem erneuten Kichern Billys führte.

„Hören Sie auf, Herr Fischer. Der Mordfall. Wir müssen ernst bleiben.“

Es dauerte sechs weitere Minuten, bis sie sich gefasst hatten. Dann ergriff Fischer wieder die Initiative: „Wenn Sherlock Holmes hier wäre. Der könnte uns helfen.“

„Also ich finde diesen Holmes immer ein wenig arrogant, Sie nicht, Herr Fischer?“

Einen Löffel Bohnen in seinem Munde kreisen lassend blickte Fischer nach oben an die mit Leuchtern behängte Decke. „Nun. Er ist eben mit seinem tadellosen Intellekt seinen Mitmenschen überlegen. Das lässt ihn natürlich überheblich wirken.“

„Was, wenn ich Ihnen sagte, …“, fing Billy an, stockte dann aber, als Fischer seine Liebeserklärung an den Detektiv aus der Baker Street weiter ausführte. „Nehmen Sie nur den Fall …“

Billy hörte ihm nicht zu. Sie blickte auf den großen, stämmigen Mann im beigefarbenen Wollmantel, der die Treppe hochgelaufen gekommen war und sich, nachdem er sich orientierend umgesehen hatte, direkt auf den Tisch der beiden zubewegte. Fischer war immer noch am Schwärmen, als der Mann direkt vor ihrem Tisch stand und sich verbeugte. Er hatte ein großes, kantiges Gesicht mit einer großen Nase und freundlich glänzenden Augen.

„Gestatten Sie, meine Dame, mein Herr. Mein Name ist Velg, Gunter Velg. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Der Mann war Deutscher. Er hatte die für Engländer nur schwer zu ertragende Eigenheit, selbstbewusst und ungeniert zu sein. Allerdings hatte er dadurch auch eine durchaus erfrischende Art, die Billy sympathisch fand. Außerdem, so sagte sie sich, war es ja nicht zuletzt die britische Verstocktheit, die sie an ihrem heimatlichen Umfeld so nervte. Er war Zahnarzt.

„Wir haben uns gestern Abend bei Tisch unterhalten“, erklärte Fischer fast entschuldigend. „Herr Velg, dies ist Billy, äh, ich meine Jean Doyle.“ Der Neue verbeugte sich nochmals.

„Ich will Sie nicht länger stören“, erklärte er, während er sich dazusetzte. „Es ist nur, ich habe das gerade gehört, dass da ein Mann …. Aber nein, Sie frühstücken ja.“

Er hatte sein kratziges Deutsch in ein stockendes Englisch getauscht und kostete es offenbar aus, Wörter so deutsch wie möglich zu betonen. Billy konnte den Impuls ihrer guten Erziehung nicht verhindern. „Sie stören nicht. Und von dem Mann haben wir schon gehört, falls Sie den Toten meinen.“

„Ach ja?“ Velg schaute sie mit großen Augen an.

„Bestellen Sie sich doch auch etwas“, unterbrach Fischer. Der Mann kam dem Vorschlag sogleich nach und erwies sich dann als äußerst geschwätziger Frühstücker. „Unglaublich. Auf diesem Schiff. Erschreckend.“ Nebenher stopfte er sich mit bewundernswerter Geschwindigkeit Marmeladenbrote in seinen großen Mund. Dann stand er ebenso unvermittelt, wie er gekommen war, wieder auf und verabschiedete sich höflich.

Billy und Fischer blickten ihm nach, wie er langsam unter dem roten Samt der Treppe entschwand.

„Ich habe nicht gedacht, dass das jetzt allgemein bekannt ist“, sagte Fischer nachdenklich. „Oder habe ich ihm gestern Abend bei Tisch irgendetwas gesagt, ohne es zu wollen?“

„Der arme Pupo“, sinnierte Billy. „Findet gleich alle zwei Leichen.“

„Ja, er war schon ganz verstört, als er Trampolini gefunden hatte“, ergänzte Fischer. „Aber wie kam er darauf, dass sein Freund ermordet wurde?“

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