Kitabı oku: «Die dunkle Seite des Balles», sayfa 2

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3. Spieltag – Der Bruder

Ein paar von den wartenden Fans hatten ihn erkannt und gewunken, als er vom VIP-Parkplatz des Vereinsgeländes herausgefahren war. Er hatte gelächelt und kurz überlegt, ob er zurückwinken sollte, aber dann hatte er sich daran erinnert, dass das uncool wäre und es gelassen. Also hatte er sich lediglich seine Sonnenbrille zurechtgerückt und aufs Gas getreten.

Sie hatten ein schönes Zuhause, weit weg von den Schloten und Kohlegruben. Hier gab es ein paar Hügel und sogar ein paar Felder, auf denen im Sommer goldenes Korn wuchs. Er musste zwar etwas weiter fahren als die anderen, wenn sie in ihre Designerwohnungen zu ihren Designerfrauen fuhren, aber dafür hatte er mehr Ruhe und Abstand.

Die Tür ging schon auf, bevor er den Schlüssel herauszog. Er lächelte, als Ralph ihm entgegenlief. „Mario Tor gemacht, Mario Tor gemacht.“ Er fing den stämmigen Zwerg auf, der sich gegen seine Brust geschmissen hatte. „Hab’ kein Tor gemacht, Ralph.“

„Mario Tor gemacht.“

„Schließ die Tür, es zieht.“ Drinnen duftete es nach den Kohlrouladen, die seine Mutter nach jedem gewonnenen Heimspiel machte. Irgendwann hatte Mutter dann angefangen, an jedem Spieltag Kohlrouladen zu machen, da alles andere von Mario als Vorwurf interpretiert werden könnte. Es wurde nie darüber gesprochen und Mario mochte auch den Hackbraten oder den Schweinehals, aber bei den Kohlrouladen fing Ralph nicht an zu weinen.

„Mario Tor gemacht.“

„Ralph, …“

Er war im Wohnzimmer angekommen, wo seine Mutter noch in einer Blümchenschürze auf dem Plüschsofa saß und den Videotext durchforstete, auf der Suche nach etwas, das nicht zu finden war.

Ihm einen Kuss auf die Wange gebend setzte er seinen Bruder ab. Die Mutter drehte ihm den Kopf zu und hob die linke Augenbraue. „Es war ein Foul“, versuchte er sich zu rechtfertigen, „ein klares Foul.“

„Du hättest rechts vorbei gehen können.“

„Da waren noch zwei Verteidiger.“

„Die waren schon auf dem Weg nach innen. Früher hättest du das gesehen.“

Früher war alles anders gewesen. Besser natürlich. „Mario Tor gemacht.“ Er bot dem Kleinen die Hand an: „Komm, wir gehen in die Küche.“

„Die Kartoffeln sind noch nicht fertig. Ich schaue noch das Abendspiel an.“

Mario seufzte und nahm seinen Bruder auf die Schulter. „Hopp, hopp, hopp, die Eisenbahn.“ Sie gingen durch die Terrassentür in den Garten, wo Ralph sich jubelnd vor das kleine Tor mit dem Aluminiumrahmen stellte und wild mit den Armen fuchtelte, so wie es die großen Torhüter machten. Mario überlegte sich manchmal, wie sein Leben aussehen würde, wenn sein Bruder kein Down-Syndrom hätte, ob er dann schon ausgezogen wäre und ein Leben wie die anderen führen würde. Er wusste ja, dass diese Gedanken nirgendwohin führten, aber manchmal schlichen sie sich einfach so ein in sein Gehirn. Er schoss einen leichten Ball in Ralphs Arme.

„Gehalten, gehalten, gehalten. Musst du besser machen, Mario.“

Also schoss er noch einmal und noch einmal, während drinnen die Kohlrouladen brutzelten und Mutter vor der Glotze hing.

„Gehalten, gehalten, gehalten.“

Eine Designerwohnung vielleicht und eine Designerfrau.

„Gehalten, gehalten, gehalten.“

Ein Leben, vielleicht.

„Gehalten.“

Er schoss, diesmal so wie vorhin im Spiel. Er sah seinen Schuss nicht, er sah irgendetwas anderes in einer unbekannten Ferne, doch als er wieder im Garten angekommen war, lag Ralph auf dem Boden und schrie und wälzte sich und hielt sich seine blutende Nase, während die Mutter mit einer universellen Muttergeste, nämlich den über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen, hinausgebraust kam und jaulte.

Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Mario Tor gemacht“, flüsterte er, so leise, dass es niemand hören konnte.

4. Spieltag – Rituale

Es war die Standardausrede: Das Spielfeld inspizieren. Helmgaard lief über den Rasen, tat so, als trete er ab und zu einen Erdhügel platt. Die Spieler hielten es für eine Marotte, was es zugegebenermaßen auch war, allerdings in einem ganz anderen Ausmaß, als es alle anderen ahnten. Die heikle Stelle befand sich am Tor, wo er den alten Groschen genau in der Mitte mit der Bäumchenseite nach vorne, direkt hinter der Kreidelinie eindrücken musste. Nachdem er mit der Mannschaft aufgestiegen war, hatte er zunächst nicht genau auf die Seite geachtet, doch als sie dreimal hintereinander verloren und gegen den Tabellenletzten nur ein Unentschieden zustande gebracht hatten, war ihm klar geworden, dass er ein Detail übersehen hatte. Der Glücksgroschen musste mit der Bäumchenseite nach oben hinter die Linie und der Baum musste aufrecht stehen.

Die Leute, die keine Ahnung hatten, hielten den Trainerberuf für deswegen schwierig, weil man sich gleichzeitig mit den Vorgaben des Vereins, den Macken der Spieler, den Fans und dem nächsten Gegner auseinandersetzen muss. Für Helmgaard waren diese Dinge Kleinigkeiten, keinesfalls Auslöser von schlaflosen Nächten oder ein Grund, den Job demnächst an den Nagel zu hängen. Es stimmte schon – die Dummheit und Ignoranz einiger Fußballer war haarsträubend, die Vorstellungen der Vereinsleitung grenzten an Größenwahn und aus diesen zwei instabilen Konstanten eine Taktik zu schmieden, war nahezu unmöglich. Aber das war alles irrelevant, wenn er es nicht hinbekam, die spirituellen Vektoren, die zum Erfolg führten, akribisch auszurichten. Mittlerweile war er sich sicher, wie es funktionierte, doch es hatte Jahre gebraucht. Und er wünschte sich, dass er sein Wissen mit jemandem teilen könnte, doch das war in einer Welt, die so überaus materiell veranlagt war, unmöglich.

Er blickte sich um. Das Stadion war fast verlassen, ein einsamer Ordner fegte irgendwo weit hinten auf der Haupttribüne ein paar herabgefallene Blätter von den Sitzen. Es war erst Mitte September und dennoch wirbelten überall braune Blätter durch die Luft. Der Groschen war versorgt. Jetzt nahm er die Asche, die er in einer Plastiktüte in seiner Innenjacke trug, und verstreute sie über das Torwartnetz. Gleichzeitig zog er an dem Netz, was den Anschein haben sollte, dass er die Haltbarkeit überprüfte. Dann spazierte er langsam hinüber auf die andere Seite des Feldes, wo er dasselbe Ritual erneut vollzog, mit einem neuen Groschen und weiterer Asche.

Die Asche zu bekommen, war nicht leicht gewesen. Genau genommen war es diesmal nicht die richtige Asche. Das war erst fünfmal passiert und dreimal war es gutgegangen. Er brauchte ein benutztes Jersey, jeweils eins von seiner Mannschaft und eins von der gegnerischen. Das mit der eigenen war mittlerweile kein Problem mehr. Er hatte seiner Mannschaft glaubhaft erläutert, dass er nach jedem Spiel ein Trikot für eine karitative Einrichtung einsammeln würde. Keiner hatte Fragen gestellt. Das war der Vorteil von der Verlegenheit, die das Thema Behinderung bei Leuten auslöste –es gab keine Fragen. Er erinnerte sich daran, wie er noch den jungen Teffel trainiert hatte, den mit dem behinderten Bruder. Keine blöden Sprüche, wenn er vorzeitig vom Mannschaftsabend nach Hause ging, kein Gemoser der anderen, wenn der Sieg nicht ausreichend zelebriert wurde.

Das Problem waren die Jerseys der gegnerischen Mannschaft. Er gab einen nicht geringen Teil seines Trainergehaltes für den Kauf gebrauchter Trikots bei Ebay aus. In Hamburg hatte er sich sogar schon in der Kabine der Hansestädter an die Spinds gemacht und tatsächlich einen ganzen Satz neuer Heimtrikots geklaut. Außerdem bestellte er regelmäßig neue Trikots bei den Herstellern. Doch wenn die Dinger nicht vom Gegner getragen waren, war die Wirkung nicht ansatzweise so groß. Grundsätzlich hatte er folgende Wirkungsgrade feststellen können:

 Von Spielern getragene Trikots sind am besten. Je mehr Schweißpartikel, Hautschuppen oder Haare auf oder an dem Trikot sind, desto besser.

 Die Trikots sollten idealerweise genau diejenigen sein, mit denen die Mannschaft am Spieltag aufläuft. Wenn die Mannschaft ein grünes Auswärtstrikot trägt, er aber ein blaues verbrannt hatte, sind die Chancen auf einen Sieg schlechter.

 Je wichtiger ein Spieler für seine Mannschaft ist, desto wirksamer ist die Asche des Trikots.

 Das Verbrennen mehrerer Trikots erhöht die Wirkung NICHT.

 Die Trikots sollten von der aktuellen Saison stammen.

 Ein Trikot mit einem falschen Ligenaufdruck (Bundesliga, Pokal, Champions League, Europaleague) kehrt die Wirkung um (in 7 von 8 Fällen).

 Es ist besser, irgendein Trikot zu verbrennen, selbst wenn es das von der Jugendmannschaft, eines Spielers, der gar nicht mehr für die Mannschaft spielt oder ein Trikot von einer vergangenen Saison ist. Ohne Asche geht das Spiel mit Sicherheit verloren (in 9 von 9 Fällen).

Manchmal wünschte er sich, die immateriellen Bedingungen für einen Sieg nie kennen gelernt zu haben. Er würde ganz einfach trainieren, aufstellen und gewinnen oder verlieren. Er würde sich irgendwo in der zweiten Liga rumtreiben. Ein schlechter Trainer war er nicht. Aber so ging er zur gegnerischen Bank, spuckte einmal auf jeden der Plastiksitze und verrieb die Spucke mit seinem Glücksschlips. Gut, dass der Schlips anthrazit war, so wären die Reste von Dreck, Speichel und Staub kaum auszumachen, wenn er an der Seitenlinie stehen würde. Er hatte diesen Schlips einmal gewaschen – mit einem desaströsen Ergebnis, eine 0:6-Niederlage zuhause. Okay, es war gegen die Bayern gewesen, aber Helmgaard konnte die Höhe der Niederlage in die Gesamtkonstellation einordnen.

Als er in den Kabinengang trat, kam ihm der sportliche Leiter entgegen. Sie nickten sich zu und grüßten sich. „Morgen.“ „Morgen.“ Gänswein nahm ihm freundschaftlich am Arm. „Sie müssen entspannen, Herr Helmgaard. Für die Inspektion sorgt schon der Schneiz.“ Helmgaard winkte ab. Für solche Situationen hatte er genug Ausreden parat. „Wollte mir noch einmal die Platzverhältnisse ansehen. Wegen der Stollen.“

„Schon recht, Helmgaard. Habe übrigens noch nichts vom Berater von Vadale gehört. Aber der wird sich schon melden. Ich denke nur, dass wir hinten noch was machen müssen.“ Sie gingen durch den Innenbereich des Stadiongebäudes, Gänswein würde sicher in sein Büro wollen. Helmgaard blieb stehen. „Ach, hab’ noch was vergessen.“ Herablassend lächelnd und kopfschüttelnd ging Gänswein weiter. Helmgaard kannte die Blicke und die Gesten und er hatte gelernt, sie zu übersehen. Wo wärst du ohne mich, dachte er nur leicht verbittert.

Er stieg die Stufen hinab zu den Kabinen und klopfte dreimal an die Tür der Gästekabine und fünfmal an die Tür seiner Mannschaft. Dann lief er durch die Gänge, bis er an der vorderen Pforte hinauskam, wo er einmal hustete, sich beide Füße an der Matte abwischte (zweimal links, einmal rechts) und zu seinem Auto stiefelte. Er hatte es, wie immer, rückwärts eingeparkt und als er herausfuhr, umkreiste er einmal den ganzen Platz, bevor er durch die Schranke nach draußen fuhr. Zuhause würde es, wie immer, Erbseneintopf geben.

Der Tag war wunderbar verlaufen. Die Sonne schien, kein Wölkchen zierte den Himmel, die Spieler waren alle pünktlich gewesen und die gegnerische Mannschaft war wegen einer Panne eine halbe Stunde zu spät erschienen. Alles so wie es sein sollte. Er saß auf der Bank in seinem dunkelblauen Anzug und beobachtete vergnügt, wie der Schiedsrichter das Spiel anpfiff. Die Anfangsbuchstaben der vier Offiziellen hatten als Quersumme 7 ergeben, er hatte den Schiri siebenmal mit der Hand irgendwo berührt, als sie sich vorgestellt hatten. Alles war perfekt. Er setze sich und blickte sich zufrieden um.

Doch dann tat sich vor ihm unendliche Dunkelheit auf. Er sah die Frau. Sie stand an der Seitenauslinie links von ihm, hinter der Kamera. Eine Kamerafrau. Er schnappte nach Luft. Stand auf. Setzte sich wieder. Sein Co schaute ihn verwundert an. Er schaukelte mit dem Oberkörper hin und her. Eine Frau. Er hätte …

Das Spiel war verloren.

5. Spieltag – Nemesis

Der Ball lief durch die gegnerischen Reihen wie ein heißes Messer durch Butter. Diese Passgenauigkeit war atemberaubend und vollkommen atypisch für die Mannschaft. Es war schon fast Tiki-Taka, was die Ruhrpottjungs da spielten. Heller auf Duzman, Duzman auf Berg, Berg auf Sahaler und Tor. 3:0 nach 24 Minuten. Er schaute auf die Stadionanzeige und las dreimal denselben Torschützen hinter den Toren: Sahaler. Er sprang auf, noch gerade rechtzeitig, jubelnd und die Fäuste nach oben reckend. Ein kurzes aber heftiges „Ja“ entfuhr seinen Lippen. Alle sahen, dass er sich mitfreute. Dann setzte er sich wieder und versank in eine trübe Schockstarre, die er in all den Jahren mit einem steifen Lächeln zu garnieren gelernt hatte. Toll, wieder Anschluss nach oben, sagte das eingefrorene Grinsen. Ich freue mich für die anderen, sagte das Grinsen. Wir sind alle ein Team. Die Mannschaft ist alles, was zählt. Auch die Ersatzspieler sind wichtig. Er spuckte aus.

Sahaler war sein Fluch, seine Nemesis. Er verfolgte ihn, hatte seine Krallen tief in die Karriere von Holtzer geschlagen. Es war geradezu absurd, wie die Handlung eines antiken Dramas. Seitdem Holtzer Bundesliga spielte, war er dem Wahnsinn einer Verfolgung durch Sahaler ausgesetzt gewesen. In Bochum, in Frankfurt und nun hier. Immer wieder hatten die Trainer und die sportliche Leitung ihm das Gleiche erzählt: dass sie fest mit ihm planten und er als erster Stürmer gesetzt wäre. Irgendwann hatten sie aber jedes Mal noch einen „Backup“ geholt, falls Holtzer sich mal verletzen sollte, man konnte ja nie wissen. Dass er in 7 Jahren Bundesliga noch nicht die kleinste Verletzung hatte und noch nicht einmal aufgrund einer Grippe ausgefallen war, interessierte wohl niemanden. In Bochum war er noch relativ gelassen gewesen. Er war gesetzt. Er spielte. Irgendwann im Frühjahr wurde er einmal in der 80. ausgewechselt. Sahaler machte ein Tor. Machte nichts, er hatte ja vorher selber eins gemacht. Dann wurde er in der 75. ausgewechselt. Sahaler machte ein Tor, diesmal hatte Holtzer vorher keins gemacht.

Sahaler hatte ihn damals Stück für Stück verdrängt. Erst hatte er nur gebrochen Deutsch gesprochen, hatte sein Spind direkt an der Tür der Kabine. Dann fing er an besser und besser zu werden, machte Scherze und Witzchen mit den anderen. Doofe Scherze. Schlechte Witze. Er kam mit auf die Touren durch die Promidiskos. Lachte, bandelte mit Frauen an. Sein schwarzer Dreitagebart, seine blitzenden Zähne, die schwarzen Augen, das zog bei den Frauen. Er gab die Drinks aus, kam mit Getränken und Frauen an den Tisch und die anderen jubelten ihm zu. Ein Teamplayer hieß es unisono.

Holtzer war genervt gegangen, hatte seinen Berater kontaktiert. Es hatte viele Interessenten gegeben, schließlich war er auf dem Weg in die Nationalmannschaft gewesen.

Frankfurt war sein großer Durchbruch, 12 Tore in der Hinrunde. Die anderen Stürmer waren Flaschen. Er war der Held. Jogi hatte ihn eingeladen zu einem Testspiel. Dann verletzten sich gleich drei Sturmpartner. Sahaler kam. Holtzer sah, wie sich die eigene Geschichte wiederholte. Er beobachtete den anderen genau. Konnte es sein, dass der Franzose wieder so tat, als könne er kein Deutsch? Er sprach gebrochen am Anfang und belegte wieder den Platz hinten am Ende der Bank. Wenn die anderen ihn unwillig fragten, ob er mit auf die Tour kommen wollte, lehnte er höflich ab. Dafür trainierte er, drehte Extrarunden und machte zusätzliches Elfmetertraining. Er lächelte den Trainer an, mit seinem Dreitagebart und seinen weißen Zähnen. Wurde eingewechselt, früher und früher. Holtzer wurde unsicherer. Dann traf er die einfachen Dinger nicht mehr, versemmelte drei Elfer hintereinander, sein letzter ging so hoch in die Wolken, dass kein Mitspieler kam, um ihn zu trösten. Keine Nationalmannschaft mehr, man munkelte von einem Formtief, aber er war immer noch in der Bundesliga untergekommen, wenn auch weniger ambitioniert.

Hier nun schien sich das Blatt zu wenden. Er hatte seine Ernährung umgestellt und einen Psychologen konsultiert. „Sahaler ist nicht dein Problem“, hatte dieser gesagt. „Die Frage ist: Glaubst du an dich selbst?“ Daran hatten sie gearbeitet. Er hatte Sonderschichten eingelegt, noch bevor der andere transferiert worden war. Hatte Elfmetersondertraining absolviert. Er hatte noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als tatsächlich das Unmögliche passierte und der Franzose zum ersten Mal im Mannschaftstraining auftauchte. Holtzer hatte ihn freundlich angesehen und ihn wie einen alten Kameraden empfangen. In der Kabine wies er ihn ein und zeigte ihm, wie man die Duschen einstellen musste, damit man sich nicht verbrühte und nicht im Eiswasser stand. Er hatte ihn auf die Touren mitgenommen und hatte allen anderen Getränke ausgegeben. Hatte gelacht. War gesetzt. Dann kam der eine Dienstag. Die Mannschaft hatte verloren und der Trainer war zum Alltag übergegangen nach den Sonderschichten am Sonntag und Montag. Das Training war um 16.00 Uhr beendet worden. Sahaler blieb, hielt den Ball mit seinem rechten Fuß in der Luft und schoss ihn dann mit zur Schau gestellter Leichtigkeit ins leere Tor. Holtzer blickte zum Kabinengang, der mit erbarmungsloser Verführungskraft lockte. Doch dann nahm er sich ebenfalls einen Ball, warf ihn in die Luft, köpfte ihn nach vorne und zimmerte ihn aus dreißig Metern in dasselbe Tor, knapp an Sahalers Kopf vorbei. Der Kampf war eröffnet. Sahaler drehte sich erschrocken um und für einen Moment glaubte Holtzer, einen Funken Angst in dessen Augen zu erkennen, dann war der Moment vorbei und Sahaler grinste diabolisch. Sie sprachen kein Wort. Holtzer hätte ihm gerne viele Dinge an den Kopf geworfen, aber er wollte sich nicht die Blöße geben, wollte nicht der Erste sein, der über diesen unausgesprochenen Kampf redete. Den Kampf zuzugeben, hätte schon geheißen, ihn zu verlieren. Es war eine lächerliche Szene. Wortlos, den anderen nicht beachtend, ballerten sie Bälle auf das Tor. Still beobachtete Holtzer seinen Konkurrenten, zählte dessen Treffer mit und zählte die eigenen. Sie fingen an zu schwitzen und obwohl sich immer mehr Verbissenheit einschlich, täuschten beide eine mühelose Gelassenheit vor. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaute Holtzer auf die Stadionuhr und sah, dass es bereits zehn nach fünf war. Sahaler schien den Blick gesehen zu habe. Sein Grinsen wurde noch breiter und er hämmerte einen Ball unter die Latte. Holtzer lächelte zurück und ließ sich auf den Boden fallen, wo er zwanzig Liegestütze machte, um wie ein junger Hüpfer nach dem letzten aufzuspringen und den nächsten Ball dribbelnderweise in Richtung Tor zu führen. Sein abschließender Heber tanzte auf der Oberkante der Latte und fiel dahinter auf die Oberseite des Netzes. Sahaler hustete und als Holtzer hinsah, hielt sich der Franzose die Hand vor den Mund, als müsse er sein Lachen verbergen. Dann ging er in Richtung Innenraum, kam danach mit einer Spielerfigur aus Hartplastik zurück, baute sich nach und nach einen Spielerparcours auf, legte sich acht Bälle an den Anfang des Parcours und umspielte die falschen Kollegen mit französischer Gelassenheit.

Holtzer wurde langsam unruhig. Wie lange wollte der das noch durchziehen? Es machte nicht den geringsten Anschein, als sei er müde. Monoton zog er weiter auf das Tor ab, schielte aber dabei immer wieder zu den Dribbelkünsten des Franzosen herüber. Dann hatte er eine Idee. Er stellte sich im Sechzehner auf, warf Sahaler einen Ball vor die Füße und rief: „Schieß mir mal ein paar von der Eckfahne drauf.“ Er wollte ihn zum Zulieferer degradieren. Aber Sahaler ließ sich nicht darauf ein. Er kickte den Ball wortlos zurück, sich nicht die Mühe machend, auch nur aufzublicken, und fuhr fort, die Plastikspieler zu umdribbeln.

Nach weiteren zwanzig Minuten Schusstraining war es Holtzer zu blöd. Er brauchte diese Spielchen nicht. Dr. Hartels hatte es ja gesagt, Sahaler war nicht sein Problem. Er musste sich und den anderen nichts beweisen. Er machte noch einmal zehn Liegestütze, ächzte beim Aufstehen und ging in die Kabine, ohne sich umzudrehen. War doch egal. Was für eine blöde Art, sich zu produzieren, das war nicht sein Niveau. Aber schon auf dem Weg in die Kabine fühlte es sich an wie eine Niederlage. Ich brauche das nicht, sagte er sich, doch eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf lachte über ihn.

Als er zehn Minuten unter der heißen Dusche gestanden hatte, kam Sahaler herein und sagte: „Pass auf, wenn du die abdrehst, die wird eiskalt.“ Holtzer duschte, bis seine Haut krebsrot war und er gehört hatte, wie Sahaler die Kabine wieder verlassen hatte.

Er saß in Gedanken versunken, als das 4:0 fiel. Allegri hatte es geschossen, Vorlage Sahaler. Holtzer blieb sitzen. Er hatte einen Plan. Im nächsten Training würde er dem anderen die Knochen brechen.

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