Kitabı oku: «Bis zum Nullpunkt des Seins», sayfa 2
»Vor uns den Tag und hinter uns die Nacht«, zitierte Magnet.
»Eigentlich müsste es bei uns umgekehrt heißen«, meinte Oxygen, »aber wir müssen die Alten verbrauchen, wie sie sind.«
»Dieser Ausfall sei dir verziehen, teurer Oxygen«, rief Magnet, »denn deine Idee ist wirklich brillant, grunzulettal! Freilich kommen wir auf diese Weise auch schon nach unserem Ziele, wenn es dort erst vier Uhr morgens ist.«
»Dafür, weiser Dichter, entgehen wir auch der Mittagshitze auf dem Lande. Um acht oder neun Uhr brechen wir dann auf, sechs Stunden zurück, das heißt relativ zwölf Stunden, da wir jetzt der Sonne mit derselben Geschwindigkeit entgegeneilen, als wir auf der Hinfahrt vor ihr herflogen, und um acht Uhr nach mittlerer Berliner Zeit sind wir wieder zu Hause, also noch bei Tageslicht.«
»Und für morgen bist du des Wetters ganz sicher?«, fragte Aromasia.
»Überzeuge dich selbst«, erwiderte Oxygen, indem er aus seinem Wagen den Wetteratlas holte und den betreffenden Tag aufschlug.
Im Wetteratlas findet sich auf ein halbes Jahr im Voraus für jeden Tag der Zustand der Atmosphäre auf der ganzen Erde angegeben. Bis auf die halbe Meile und die Viertelstunde bestimmte die Meteorologie die Witterung mit mathematischer Genauigkeit. Auf kolorierten Erdkarten in großem Maßstabe waren diese wissenschaftlichen Ergebnisse verzeichnet, jedem Tage gehörte eine Karte.
»Ihr seht«, fuhr Oxygen fort und blätterte in den Karten, »Regenstreifen überall im Westen – nur morgen prachtvollstes Wetter. Also abgemacht?«
»Abgemacht! Vorbereitungen sind ja nicht nötig.«
»Gut, so fahren wir morgen früh vier Uhr in meinem neuen Motor.«
»Das muss ich gestehen«, fügte Aromasia hinzu, »dieses Verdienst der Wissenschaft erkenne ich an, welches sie sich um unsere Garderoben erworben hat. Wie grässlich muss es gewesen sein, als man von solchen Zufälligkeiten, wie es ein Regenguss, ein Windstoß scheinbar sind, in allen seinen Bestimmungen abhängig war.«
»Nur von einem Naturzwange konnten wir uns vorläufig nicht befreien«, sagte Oxygen lächelnd, »nämlich vom Hunger. Und ich muss gestehen, es wäre mir lieb, wenn…«
»Wir sind bereit«, rief Aromasia, indem sie einen kräftigen Bratengeruch auf dem Ododion anschlug.
Und die Gesellschaft bestieg den Luftmotor Oxygens, um sich in das Speisehaus zu begeben.
II. Im Pyramidenhotel
Im großen Speisesaale des Pyramidenhotels herrschte ein reges Leben. Luftdroschken fuhren ab und zu; an den Büfetts, welche sich längs der Wände hinzogen, drängten sich die Geschäftsleute und die Durchreisenden, im Vorbeigehen die Universal-Kraft-Extraktpillen dieser oder jener Speise einzunehmen, welche sie in den Stand setzten, in wenigen Sekunden eine Mahlzeit von mehreren Gängen zu genießen. Diejenigen, welche mit ihrer Zeit in gleichem Maß zu sparen nicht nötig hatten, saßen an den geschmückten Tafeln in der Mitte des Saales. An jedem Platze befand sich eine Anzahl Knöpfe, deren Aufschriften die Speisekarte darstellte, und ein Druck auf dieselbe zauberte, dem »Tischlein, deck dich« gleich, die verlangte Schüssel unter der Tischplatte hervor.
Die Verkehrsmittel des 24. Jahrhunderts ließen jedes Land seine Tribute darbringen. Dieses Schnabeltier hatte noch vorgestern in van Diemens Land die Ameisen in Schrecken versetzt; der Singschwanflügel, den Aromasia eben zerlegte, war erst gestern in Nowaja-Semlja vom Schlage des elektrischen Jagdgewehrs gelähmt worden. Die Zeit der Reise schien keinen Einfluss mehr auf den Verbrauch der Früchte zu üben. Auf dem unendlichen Streifen, welcher in der Mitte des Tisches alle auf ihm niedergestellten Tafelzierden in steter Bewegung an den Gästen vorüberführte, prangten die schönsten ungarischen Trauben neben deutschen Erdbeeren, Apfelsinen, vor einer Stunde in Sardinien vom Baume gepflückt, daneben fleischige Acaju-Nüsse aus Brasilien und in kleinen Kristallschalen frische Kokosmilch von den Nikobaren.
Gemischt aus allen Zonen, wie das Menü, waren auch die Scharen der Speisenden. Denn die ganze Menschheit war in einem ewigen Wandern und Strömen durcheinander begriffen. Ob dies gleich mehr an den Büfetts, weniger an den Tafeln hervortrat, wo fast nur die einheimischen Familien speisten, war doch auch hier der kosmopolitische Zug des Jahrhunderts wohl zu merken. Mit Ausnahme des allerreichsten Teiles der Bevölkerung, welcher es durchsetzen konnte, seinen eigenen Tisch zu haben, war jeder darauf angewiesen, in den öffentlichen Garküchen zu speisen. Denn mit der Vermehrung der Bevölkerung konnte die Produktion der Nahrungsmittel nur mühsam Schritt halten, und die Verteuerung der Rohstoffe ließ sich nur dadurch ausgleichen, dass die Kosten der Zubereitung durch die Speisegenossenschaften auf ein Minimum reduziert wurden. Die Güte und Reichhaltigkeit der Gerichte konnte dadurch natürlich nur gewinnen, leider aber verlor der Familienzusammenhang und die Poesie des Hauses umso mehr durch die nivellierende Öffentlichkeit. Schwarzseher prophezeiten wohl schon den Untergang der Sitte und Kultur; aber das ist allezeit geschehen, und jeder Vorurteilsfreie musste eingestehen, dass trotz manch wunderlicher Gegensätze zu gleicher Höhe sittlicher Freiheit und allgemeinen Glücks die Menschheit sich noch nie erhoben hatte.
Mit Eifer blickte man nach den großen Tafeln der Drucktelegrafen im Hintergrund des Saales, auf welchen die mannigfaltigen Nachrichten aus allen Weltgegenden sofort selbsttätig in stenografischer Schrift sich verzeichneten. Das Tagesgespräch bildete der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und dem chinesischen Kaiserreich, welches ihnen das Durchflugsrecht zu wehren versuchte. Doch wollte man an einen Krieg nicht glauben, da man sich von der Hoffnung nicht trennen konnte, der so genannte Eisenbahnkrieg zwischen Russland und China im Jahre 2005 möge der letzte Krieg der zivilisierten Erde gewesen sein. Die Chinesen waren durch denselben gezwungen worden, ihr Land dem europäischen Eisenbahnverkehr zu eröffnen; aber in demselben Jahr, in welchem die mittelasiatische Pazifik-Bahn vollendet war, erlitt das Verkehrswesen durch die Erfindung des Luftmotors eine derartige Umwälzung, dass die russischen Errungenschaften bald ihre Bedeutung verloren.
Auch an Aromasias Tische sprach man von den politischen Verhältnissen, und es war natürlich, dass man sich zu einem Vergleiche mit den Zuständen vor dem Eisenbahnkriege geführt fand. Magnet konnte unmöglich von seiner Lieblingsepoche reden hören, ohne sich mit einer Lobrede auf dieselbe am Gespräch zu beteiligen; und Oxygen wurde dadurch unwillkürlich herausgefordert, die Gegenwart der Vergangenheit gegenüber in Schutz zu nehmen.
»Vor allen Dingen können Sie doch nicht leugnen«, sagte er zu Magnet, »dass in allem, was den Komfort des Lebens und das physische Wohlbefinden der Menschheit – ohne Bevorzugung der Einzelnen – anbetrifft, unsere Zeit alle früheren Epochen ungemein überragt. Wie wäre es möglich gewesen, dass alle Schichten der Bevölkerung in gleichem Maße an den Vorteilen der Kultur partizipierten, hätte nicht der Fortschritt der Wissenschaften die Naturkräfte in so reichem Masse dienstbar gemacht und ihnen den Mechanismus der Arbeit so ausschließlich aufgebürdet, dass ein jeder ein menschenwürdiges Dasein zu führen vermag? Wie wäre es möglich gewesen, die blutigen Revolutionen der verschiedenen Stände gegeneinander zu vermeiden, wäre nicht überall die Erkenntnis eingedrungen, dass nur im friedlichen Zusammenwirken aller Berufskreise der Ausgleich jener Unterschiede zu ermöglichen ist, welcher durch die individuelle Verschiedenheit der menschlichen Natur immer aufs Neue gesetzt wird. Nur die Einsicht in den Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft und das Ineinandergreifen der Wirkungssphären kann den ungünstiger Situierten veranlassen, sich mit dem zufriedenzugeben, was er seiner Kraft nach zu leisten vermag; und dieselbe Einsicht allein kann den Reichen und Mächtigen zwingen, seine Obermacht nicht zu missbrauchen und aus freien Stücken bei einer gewissen Grenze des Erwerbes sich zu bescheiden, so dass die Vorteile der modernen Industrie und Technik wirklich der Gesamtheit zugute kommen. Und…«
»Erlaube«, unterbrach ihn Magnet, »die Tatsache muss ich zwar anerkennen, dass wir die Klippe der sozialen Frage in ihrer krassen Form nach den großen Kämpfen des zwanzigsten Jahrhunderts glücklich umschifft haben. Deiner Hervorhebung der Ursache, die du in der vernunftgemäßen Überlegung finden willst, kann ich aber in nur sehr geringem Maße zustimmen. All diese Einsicht, alle theoretische Erkenntnis ist machtlos gegenüber der Gewalt des Erhaltungstriebes im Kampfe ums Dasein, gegenüber der aufgestachelten Lust an Besitz und Genuss und der Leidenschaft des Moments. Diese Kräfte konnten nur gebändigt werden durch eine Kraft des Gemütes, welche unsern Willen in gleich mächtiger Weise zu erregen und zu binden vermag. Sie konnten nur überwunden werden durch ein Ideal, wie es in jener herrlichen Zeit aufflammte und mit der Macht einer neuen Religion die Geister umfing, einer Religion, welche alle unhaltbaren und unzeitgemäßen Formen und Dogmen ausschied und jenen unsterblichen Kern des Christentums enthüllte, den ein Kant, ein Schiller vorahnend empfunden. Vielleicht hat die Überlegung, dass der Einzelne nur im Ganzen zu existieren und zu wirken vermag, dass die heilige Ordnung allein Staaten und Menschen erhalten kann, dass nicht das erreichte Ziel, sondern das Streben und Ringen allein das Glück enthält und dass ein jeder nur sich zufrieden fühlen kann in dem beschränkten Kreise, der die volle Betätigung seiner Energien zulässt und abgrenzt – vielleicht hat diese Überlegung jenes Ideal allmählich erzeugt. Aber sie musste erst in einer Reihe von Generationen durch fortschreitende Vererbung in Fleisch und Blut übergehen, das heißt aus einem Schlusse des Verstandes sich verwandeln in ein Axiom der sittlichen Anschauung; sie musste zu einem Ideale werden, das hoch über allen Wechselfällen der Wirklichkeit als ein unverrückbarer Leitstern jede Entschließung bestimmt, jeden Widerspruch verstummen macht.«
»Und sollte dies alles nicht auch durch einen Fortschritt der Erkenntnis zu erreichen sein? Durch die ausgebildete Fähigkeit, in einem Augenblicksschlusse, ähnlich den Schlüssen des Taktgefühls, die ganze Reihe der Möglichkeiten zu überblicken und daraus diejenige Bestimmung zu treffen, welche dem eigenen Anspruche und dem Recht der Allgemeinheit am besten entspricht? Das aber ist ein intellektueller Fortschritt, und wir befinden uns auf rein wissenschaftlichem Gebiete. Von diesem Fortschritt leite ich den Gesamtfortschritt der Menschheit ab. Wir alle sind einig darin, dass unser Zeitalter sich auszeichnet durch sein geistiges Gleichgewicht, durch seinen Edelmut, seine liberale Gesinnung, welche es unmöglich macht, in die Niederungen hämischen Streites, zur Absicht beleidigender Kränkung, zurückzukehren. Ich erkläre es geradezu für unmöglich, dass aus dem Streite entgegengesetzter Meinungen heutzutage ein persönlicher Hass, ja nur eine tatsächliche Anfeindung hervorgehen könne. Und wodurch haben wir das erreicht?«
»Durch die Ododik«, warf Aromasia ein.
»Nein, Liebste, allein durch die Erkenntnis und Beherrschung der Natur. Der Mensch, der sich seiner Stellung zum Ganzen der Welt bewusst ist, begreift auch zugleich das Verhältnis, in welches er sich gerechter Weise zu seinen Mitmenschen stellen muss, um auch ihnen die Freiheit der Bewegung zu garantieren. Er begreift, dass Freiheit nur bestehen kann in vernünftiger Unfreiheit, dass nur die gehorsame Unterwerfung unter das Gesetz frei zu machen vermag. Diese Einsicht macht uns gerecht, tolerant, neidlos, friedliebend, sie erhebt uns so hoch über jene düsteren Zeiten, in denen schon eine Verschiedenheit der metaphysischen Überzeugung genügte, die wildesten und zerstörendsten Affekte zu entfesseln. Ob man dabei Ododion räuchert oder nicht, das ist vollständig gleichgültig.«
»Oxygen«, sagte Aromasia, »du bist sehr unartig. Ich vermisse wieder einmal den Respekt, den du vor der Kunst haben solltest, welche meine Lebensaufgabe ausmacht.«
»Beste Aromasia, ich hoffe, du wirst deine Lebensaufgabe noch anders auffassen lernen.«
»Niemals, mein Oxygen! Ich kann und darf es nicht dulden, dass du durch deine absprechenden Theorien jedes innige Gefühl mit Füßen trittst. Wenn nicht einmal unsere innere Güte und Liebenswürdigkeit, unsere Vorurteilslosigkeit und Selbstlosigkeit aus der warmen Empfindung unseres Herzens stammen soll, dann musst du auch diese selbst leugnen, und jedes künstlerische Bestreben könnte sich zum Sirius scheren!«
»Ich muss Ihnen beistimmen«, sagte Magnet,
»Das tut mir Leid«, entgegnete Oxygen, »aber ich erhalte meine Geringschätzung eurer schönen Künste aufrecht. Der Schwerpunkt des modernen Lebens kann nur in dem Fortschritt des Erkennens liegen. Und ich behaupte noch mehr. Wir werden durch die Wissenschaft dazu kommen, überhaupt jede Kunst aufzuheben und diese Spielereien überflüssig zu machen.«
»Oh, oh!«
»Ja, gewiss! Ihr wisst, dass wir durch die Natur unseres Erkenntnisvermögens gezwungen sind, alle Veränderungen in der Erscheinungswelt zurückzuführen auf die Bewegung von Atomen. Licht, Wärme, Elektrizität, chemische Verwandtschaft, Gravitation und wie immer die einzelnen Bewegungsarten des Stoffes heißen, sie alle unterscheiden sich nur durch die Größe und Zusammenordnung der schwingenden Atome und durch die Geschwindigkeit und Richtung derselben in ihren Bahnen. Nun kann man die meisten dieser Schwingungsarten in andere überführen, so dass jede Eigenschaft der Körper verändert und diese ineinander umgewandelt werden. Nehmen wir an, wir seien so weit gekommen, dass man jede beliebige Bewegungsform in jede andere überzuführen vermag – haben wir nicht dann das Weltall in unserer Hand? Dann gilt wirklich das Wort des alten Philosophen nicht mehr als ein Widerspruch, dass alles aus allem werden kann. Und was sollte dann die vorgeschrittene Menschheit hindern, jene Umgestaltung der Atom-Bewegungen hervorzurufen, durch welche die Atome ihre gegenseitigem Bewegungen selbst aufheben? Dann wird eine relative Ruhelage derselben entstehen, ein Gleichgewicht der Kräfte – die Körper müssen sich ihrem Wesen nach vernichten und die Welten aus der Existenz verschwinden, ehe der natürliche Verlauf von selbst zur Erstarrung des Alls führt.«
»Aber bester Freund, du weist doch, dass die Atome und ihre Bewegungen eben auch nur unsere Vorstellungen sind, dass die ganze Welt in der Form, wie du sie beschreibst, nur als unsere Erscheinung besteht.«
»Eben darum. Sie erscheint uns nun einmal nur in Form bewegter Atome – was sie an sich ist, bleibt gleichgültig; heben wir diese Bewegung auf, und die Erscheinung wird aufgehoben sein. Wir haben es ja nur mit einer phänomenalen Welt zu tun und kennen keine andere; diese aber muss vernichtet werden. Wenn die Welt für uns nicht mehr existiert, so ist es so gut, als existierte überhaupt nichts.«
»Und was wird aus unserer Empfindung, die doch offenbar als die innere Seite des Seins gar nichts mit der Bewegung zu tun hat?«
»Besteht nicht zwischen beiden ein vollständiger Parallelismus? Entspricht nicht tatsächlich jedem Empfindungsvorgang ein äußerer Bewegungsvorgang, welcher nur das Spiegelbild von jenem inneren ist, erzeugt durch unsere äußere Sinnesauffassung in Raum und Stoff? Hebe die Möglichkeit auf, dass das entsteht, was wir organisierte Wesen mit Zentralorganen des Bewusstseins nennen, und du hast auch das Bewusstsein in seinen höheren Formen aufgehoben. Glaubst du, dass der innere Bewusstseinsinhalt einer Welt, welche einem äußeren Zuschauer, wie uns, nur als eine unzählbare Summe geradlinig nebeneinander durch den Raum ziehender Atome erscheinen würde, dass dieser Bewusstseinsinhalt noch eine Welt genannt werden kann? In diese Form ohne wechselnden Inhalt muss die Welt umsetzbar sein!«
»Und wenn du selbst mit dieser Theorie einer möglichen Selbstvernichtung der Welt Recht hättest, die doch übrigens nur in einer unabsehbaren Zukunft zu realisieren wäre, wenn wir den leicht zu erhebenden Einwand ganz außer Acht lassen wollten, dass ja doch unser menschliches Bewusstsein nicht das Einzige seiner Art in der Welt sein dürfte und dass immer und immer Formen des Seins existieren werden – wie gesagt, abgesehen von all diesem, so bist du doch immer noch die Begründung deiner Geringschätzung unserer Kunst uns schuldig geblieben. Sind wir es denn nicht, die in diesem unentfliehbaren Mechanismus uns den Rest von Freiheit bewahren, der allein das Leben erträglich macht? Sind wir es nicht, die der Menschheit die Rettung aus der niederdrückenden Schwere der Wirklichkeit in das heitere Reich des Ideals allein ermöglichen, indem wir alle edleren und zarteren Regungen des Gemütes leiten und beherrschen? Nur durch die Kunst ist es möglich, Stimmung zu erzeugen, das heißt einen Gesamtzustand unseres Seelenlebens hervorzurufen, in welchem wir in dem Lustgefühl des in sich abgeschlossenen Empfindens gewissermaßen erfahren, was es heißt zu sein.«
»Diese Rolle eben, welche die Künstler jetzt spielen, werden künftighin die Physiologen übernehmen. Wenn ihr mit euren Kunstwerken die Menschen in eine Stimmung versetzen wollt, kommt ihr mir vor wie ein Arzt, der die Aufgabe hat, einen Patienten von einer unverdaulichen Speise zu befreien, und ihn zu diesem Zwecke eine Seereise unternehmen lässt, damit er die Seekrankheit bekomme. Wie würde dir ein solcher Arzt gefallen? Du würdest sagen, warum gibt der Mann nicht lieber ein direktes Brechmittel? Ihr Künstler seid in derselben Lage, nur kennt ihr eben das einfache, von innen wirkende Mittel nicht. Wir werden es auffinden, das heißt, wir werden zeigen, wie man das Gehirn unmittelbar in jenen Zustand versetzen kann, den ihr nach großer Mühe vermittels der Sinne durch eure Kunstwerke hervorzurufen versucht. Und darum brauchen wir weder dein Grunzulett noch deine Riechstückchen.«
»Dann muss ich dir freilich überflüssig vorkommen«, erwiderte Aromasia gereizt. »Du redest, als wärest du ein Zauberer, der ohne weiteres geschehen lässt, was er will. Es soll mich nicht wundern, wenn du nächstens behauptest, man werde noch lernen, sich unsichtbar zu machen!«
»Und das behaupte ich auch.«
»Ich verstehe dich nicht mehr.«
Oxygen zuckte die Achseln. Dann sagte er: »Von meiner Überzeugung kann ich nicht abgehen; und so gut ich an die dereinstige Selbstvernichtung der Welt und an die Zukunftslosigkeit der Ododik glaube, ebenso gut glaube ich, dass die Zukunft die Kunst des Unsichtbarwerdens erfinden wird.«
»So wünschte ich, wir lebten in dieser Zukunft; dann würde ich mich sofort unsichtbar machen, wenn du so abscheulich sprichst.«
»Aromasia, jetzt verstehe ich dich nicht mehr. Ich hoffe, du scherzest nur.«
»Es scheint, dass wir uns nie verstehen werden. Solche Behauptungen kann ich nicht ertragen. Sie widersprechen meinem innersten Wesen.«
»Ich begreife dich auch nicht mehr«, fiel Magnet ein. »Wie kannst du im Ernste solche Ansichten aussprechen? Jede bürgerliche Existenz müsste dann aufhören, seiner Person, seines Eigentums wäre niemand sicher. Ich sehe in eine Sittenverderbnis ohnegleichen! Wenn ihr ›Nüchternen‹ doch nicht in so törichter Weise glaubtet, das Geheimnis des Seins von seinem Schleier befreien zu können. Sich unsichtbar machen! Merkt ihr denn nicht, dass ihr dem Reiche der Märchen und Hexereien zusteuert? Dass ihr in selbstverschuldetem Kreise dazu gelangt, eure eigenen Behauptungen von der Gesetzmäßigkeit der Natur aufzuheben? Ihr vernichtet euch selbst, ihr Kurzsichtigen!«
»Wo ist nun die Kurzsichtigkeit«, rief Oxygen in heftigem Tone, »bei euch, die ihr glaubt, mit Ododion-Gestänker die Welt glücklich zu machen, oder bei uns, die wir bewusst sie der Menschheit zu Füßen legen? Allerdings muss es unser letzter Zweck sein, die Natur aufzuheben, die Atome in ihre relative Ruhelage zu bringen und zum ursprünglichen Nichts, zum Nullpunkt des Seins, zurückzukehren.«
»Das ist eine Rohheit der Gesinnung«, fuhr Magnet auf, »mit der du Aromasia, mit der du mich beleidigst! Seit wann ist es Sitte, so rücksichtlos sich zu äußern?«