Kitabı oku: «Nach Dem Fall (Gefallener Engel #2)», sayfa 3

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4

Ein Sturm aus Gefühlen tobte in Lash, als er Jeremy ins Zimmer treten sah. Er holte tief Luft und erinnerte sich selbst daran, das dies sein Bruder war – und sein langjähriger bester Freund. Er tat sein Bestes, um die Vision – nein, die Erinnerung, die er von Jeremy und Naomi hatte – abzuschütteln.

Es war eine Erinnerung, die sich wieder und wieder in seinem Kopf abspielte, selbst, nachdem Jeremy in seiner sogenannten Auszeit fortgegangen und Lash mit Naomi in ihr Zuhause am Berg gezogen war. Es war die Erinnerung daran, wie Jeremy Naomis Vater einen Trauring überreichte, ein Symbol aus vergangenen Zeiten, als der Erstgeborene einer Familie direkt beim Vater der Frau um ihre Hand anhielt. Raphael hatte nicht abgestritten, dass es sich um eine Erinnerung handelte.

Und Jeremy? Er musste gar nichts sagen – der Ausdruck auf seinem Gesicht sagte schon alles. Lash erinnerte sich an diesen Gesichtsausdruck, als er Naomi zum ersten Mal gesehen hatte. Lash konnte diesen Ausdruck nicht aus seinen Gedanken vertreiben. Da stand er nun und tat, als ob sich nichts verändert hätte.

Obwohl Naomi darauf beharrte, dass alle ihre Erinnerungen von Lash handelten, konnte er nicht anders, er fragte sich ob sie in der Vergangenheit – einer Vergangenheit, an die sie sich nicht erinnern konnte – Jeremy geliebt hatte. Würde sich das jetzt ändern, jetzt, da Jeremy zurück war und sie ihn besser kennenlernte? Es schien, als ob alle ihn mochten, selbst Gabrielle.

Nein. Er musste daran glauben, dass Naomi zu ihm halten würde, egal, was passieren mochte.

Als er gerade etwas sagen wollte, schwebe Raphael durch die Tür. Sein Lächeln verschwand, als ihm Lashs Gesichtsausdruck auffiel.

»Sind wir in einem ungünstigen Moment gekommen?«

Das kann man wohl sagen, dachte Lash. Seine Blicke folgten Jeremy, während der goldhaarige Engel auf die einzige Person zuging, die er ganz für sich allein haben wollte. Als Naomi zu ihm hoch lächelte, musste er gegen den Instinkt ankämpfen, sie zu packen und sie so weit von seinem Bruder wegzubringen wie möglich.

»Natürlich nicht«, antwortete Naomi und wandte sich dann an Jeremy. »Na, nun sag schon.«

Jeremy wurde blass und ein merkwürdiger Ausdruck flackerte über sein Gesicht. »Äh, sag was?«

»Die Stiefel«, entgegnete sie. »Rachel hat erzählt, dass du dir ein Paar zugelegt hast.« Sie sah erwartungsvoll auf seine Füße.

Jeremy stieß den angehaltenen Atem aus und sein immerwährendes Grinsen kehrte zurück. »Worauf du dich verlassen kannst.« Er streckte seinen Fuß vor. »Sind die hier nicht ziemlich cool?«

Sie lachte. »Du hast definitiv ein paar Veränderungen vorgenommen, als du weg warst. Ich vermisse dein Anzüge, obwohl mir deine Lederjacke gefällt. Bist du deshalb so lange weg gewesen? Zum Shoppen?«

»Wieso? Hast du mich vermisst?« Jeremy zwinkerte.

Lash machte einen Schritt nach vorn. Er mochte die Richtung nicht, in die das Ganze sich entwickelte – ganz und gar nicht.

Sofort trat Raphael vor Lash und versperrte ihm den Weg. »Wir haben dich alle vermisst, Jeremiel«, sagte er.

»Du bist so schnell verschwunden, nachdem du und Lash...« Naomi biss sich auf die Unterlippe und warf Lash einen nervösen Blick zu. »Na ja, ich hatte gehofft, ihr beide würdet euch aussprechen.«

»Deswegen sind wir hier«, warf Raphael ein. »Ich habe die Erlaubnis erhalten, euch einiges aus eurer Vergangenheit zu enthüllen. Wollen wir uns hinsetzen?«

Als sie im Wohnzimmer zusammenkamen, ergriff Lash fest Naomis Hand. Er sah Jeremy an, der ihnen gegenüber neben Raphael saß. Etwas stimmte an Jeremy nicht. Obwohl er lächelte, wirkte er nicht glücklich. Der besondere Funke, der sonst jeden zu ihm hinzog, war verschwunden. In all den Jahren, in denen er ihn gekannt hatte, hatte Jeremy noch nie so ausgesehen wie jetzt. Es war immer umgekehrt gewesen: Er war der Nachdenkliche gewesen und Jeremy war an seiner Seite, um ihn von dem abzulenken, was ihn bedrückte. Er schwankte zwischen dem Verlangen, seinen alten Freund aufzubauen und dem Wunsch, wütend auf ihn zu bleiben.

Er sah, wie Jeremys Blick sich auf Naomis Hand richtete, die seine festhielt. Dann, als er bemerkte, dass Lash ihn beim Starren erwischt hatte, sah er schnell woanders hin.

Es ist leichter, wütend auf ihn zu sein, dachte er.

»Bevor Jeremiel zu seinem« – Raphael sah zu Jeremy und räusperte sich – »verlängerten Auftrag aufgebrochen ist, habe ich ihm die gleichen Informationen gegeben, die ich dir auch gab, Lahash.«

»Hermano!« Jeremy streckte ihm grinsend eine Faust entgegen. »Lass mich nicht länger zappeln, Bro.«

Lash fühlte, wie Naomi ihm in die Rippen stieß. Seit wann hat sie einen derart spitzen Ellbogen?

Er seufzte und streckte seine Hand für einen Fist-Bump aus.

Naomi strahlte. »Das würde erklären, weshalb ihr zwei über all die Jahre so gute Freunde wart.«

»Waren«, murmelte Lash leise.

Jeremy runzelte leicht die Stirn und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Du weißt, dass ich dir von meinem Auftrag erzählt hätte, wenn es mir erlaubt gewesen wäre.«

»Ja, klar. Wie auch immer.«

»Lash«, sagte Naomi warnend.

Er ließ ihre Hand los und sein Blick verfinsterte sich. »Ich dachte, du traust ihm nicht, und jetzt auf einmal findest du, wir sollen alle eine glückliche Familie sein. Ich weiß nicht. Vielleicht ist es für mich besser, wenn ich mich nicht an die Vergangenheit erinnere.«

»Wie kann es besser sein, keine Erinnerung an deine Familie zu haben?«, erwiderte sie. »Sie ist ein Teil von dem, was du bist«

»Das sind weise Worte, Naomi«, pflichtete Raphael ihr bei. Seine Stimme war leise und strahlte Autorität aus. Er wandte sich an Lash und sah im direkt in die Augen. »Der, der du heute bist, stammt von dem, der du gestern warst. Deine Vergangenheit beeinflusst die Gegenwart und es ist die Familie, die dein Wachstum lenkt.«

»Seht ihr, das ist genau das, was ich meine. Wir wissen alle, dass ich ein schwarzes Schaf bin.« Lash stand auf und schritt auf und ab. »Ich habe nur wenige Erinnerungen zu sehen bekommen, aber das war für mich genug, um zu wissen – um selbst damals zu erkennen – dass ich der Zweitbeste war – nach dir.« Er deute auf Jeremy.

»Lahash.« Raphael stand auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Luzifer hat dir nur gezeigt, was für ihn von Vorteil war.«

Lash schüttelte seine Hand ab. »Nein, Raphael. Es war mehr als das. Selbst vor den Erinnerungen habe ich es gefühlt. Ich weiß, dass du enttäuscht warst, weil ich ein Seraph geblieben bin und nach fast jedem Auftrag verwarnt wurde. Jeremy und ich haben beide als Seraphim angefangen und innerhalb eines Jahres hat er eine Position als Erzengel erhalten. Und ich, na ja...«

»Bleib aber fair, Lash«, warf Jeremy ein. »Du hast in Gabrielle von Anfang an eine Feindin gesehen.«

Lash fuhr herum. »Halte du die Klappe!«

Naomi keuchte auf. »Lash«!

»Nein, Naomi. Du warst nicht dabei, du weißt es nicht.« Er atmete schwer. Er war es leid, dass alle für Jeremy Partei ergriffen. »Damals habe ich es nicht erkannt. Aber jetzt tue ich es. Jeder Schritt, den ich tat, wurde hinterfragt. Und Jeremy? Niemals. Wir haben dieselben Dinge gemacht, aber Jeremy kam immer davon. Und ich? Ich war derjenige, der in Schwierigkeiten geriet. Es war immer, als könnte er nichts falsch machen.«

»Das ist nicht wahr!« Jeremy war aufgesprungen.

»Du hast vermutlich recht.«, sagte Raphael sanft.

Jeremy erstarrte und Lash klappte der Unterkiefer herunter.

Einen Moment lang herrschte eine angespannte Stille im Raum, bevor Raphael fortfuhr. »Bitte setzt euch hin und lasst es mich erklären.«

Naomi zog an Lashs Arm. Er brauchte nur einen Blick auf die Tränen zu werfen, die in ihren Augen schimmerten, und schmolz dahin. Er hatte nicht vorgehabt, sie anzuherrschen. »Tut mir leid. Vergibst du mir?«

Sie nickte.

Er setzte sich wieder neben sie, legte einen Arm um sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Raphael zu.

»Wie du weißt ist Jeremiel dein älterer Bruder. Wie es damals üblich war, hatte der Erstgeborene mehr Rechte, als alle anderen Familienmitglieder. Er war der Erbe dessen, was unsere Familie besaß. Sein Recht als Erstgeborener erlaubte ihm vor Lash zu heiraten – und hier kommt deine Familie ins Spiel.« Er sah Naomi an, als er das sagte.

Sie presste sich eine Hand an die Brust. »Meine Familie?«

»Naomi.« Raphael streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. »Deine Familie ist aus der Stadt Ai. Dein Vater besaß ein Gasthaus und war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Man sagte von ihm, dass er als einer der Räte der Stadt geschätzt wurde.« Er ließ ihre Hand los und sah Jeremy und Lash an. »Ihr beide seid Sprösslinge einer menschlichen Mutter mit einem Engel als Vater.«

»Rebecca«, sagte Lash.

Raphael nickte und beim Klang des Namens wurde sein Gesicht traurig.

»Also sind wir Nephilim« sagte Jeremy und setzte sich wieder hin.

»Was?« Naomi verschlug es den Atem. »Sind Nephilim nicht bösartige Riesen?«

»Manche der Geschichten, die über die Zeiten hinweg erzählt wurde, sind nicht ganz zutreffend.«, erklärte Raphael. »Genau, wie es bösartige Menschen gibt, gab es auch Nephilim, die ihr Erbe ausnutzten. Meinen Söhnen brachte ich Bescheidenheit und Respekt gegenüber allen anderen in ihrem Umfeld bei. Und damals wussten sie noch nicht, dass sie geborene Halbengel waren.«

»Ich dachte, alle Nephilim seien ausgelöscht worden.«, wandte Naomi ein.

Raphael lächelte. »Du bist mit der Bibel gut vertraut.«

»Katechismus-Unterricht jeden Mittwoch. Ich habe einmal geschwänzt, aber Chuy hat mich bei Belita verpetzt. Ich konnte eine Woche lang nicht sitzen.« Mit einem Lächeln auf dem Gesicht seufzte Naomi, als sie sich daran erinnerte.

Raphael atmete tief ein, als ob das, was er als nächstes sagen musste, ihm schwer fiel. »Unter den Menschen zeichneten sich die Nephilim durch ihre Schönheit und Stärke aus. Viele Menschen in der Stadt verehrten sie, als seien sie Götter. Jeremiel« – er warf Lash einen vorsichtigen Blick zu – »war wegen seiner Kraft und Geschicklichkeit sowohl bei den Menschen als auch bei den Nephilim besonders beliebt. Es gab viele Familien, die ihre Töchter mit ihm verloben wollten, einschließlich deiner Familie, Naomi.«

»Das passt«, murmelte Lash.

Naomi tätschelte sein Bein. »Das liegt alles in der Vergangenheit. Ich bin jetzt hier bei dir.«

Lash sah zu ihr hoch und strich ihr mit einem Finger über die Wange. »Ja, das bist du.« Er wandte sich wieder Raphael zu und nahm wieder einen merkwürdigen Ausdruck auf Jeremys Gesicht wahr. Er ignorierte es, weil er Naomi nicht erneut verärgern wollte.

»Es war nicht so, als ob du ungeschickt gewesen wärst oder es dir an Kraft gefehlt hätte, mein Sohn. Ich fürchte, ich habe die Aufmerksamkeit der Leute auf Jeremiel verstärkt und von dir abgelenkt. Von dem Tag an, an dem ihr beide euch begegnet seid, war es klar, dass Naomi nur dich wollte. Und ich...« Er schluckte schwer. »Ich tat alles in meiner Macht Stehende, um Naomi von dir abzuwenden.«

Er sah Lash mit gequältem Blick an. »Das ist eine Erinnerung, von der ich wünschte, ich könnte sie vergessen. Glaub mir, wenn ich es dir sage, Lahash – es vergeht kein Tag, an dem ich mein Handeln nicht bereue.«

»Wieso hast du das getan?«, fragte Naomi. Ihre stimme klang heiser vor Schmerz. »Wieso hättest du deinem eigenen Sohn so wehtun sollen?«

Rapahel warf einen Blick auf Jeremy und wandte sich dann ihr zu. »Weil ich… weil ich Jeremiel besonders liebte.« Er hielt inne, seine Augen starr zu Boden gerichtet. Die Worte kamen langsam, vorsichtig. »Und er… liebte dich besonders.«

Lash sprang auf und brüllte Jeremy an: »Raus!«

»Komm schon, Lash«, sagte Jeremy mit leiser Stimme und sah zu ihm hoch. »Das war vor langer Zeit.«

Lash machte einen drohenden Schritt auf ihn zu und sah auf den goldenen Engel herab, der ihm alles, was er liebte, zu nehmen drohte. Er hatte es in der Vergangenheit getan. Was sollte ihn davon abhalten, es noch einmal zu tun? »Seit du dieses Haus betreten hast, verhältst du dich merkwürdig. Wieso?«

Jeremy schluckte. »Wir sind nicht gerade in bestem Einvernehmen auseinander gegangen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich war mir nicht sicher, was ich zu erwarten hatte.«

Mit festem Blick sah er Lash an und gab sich alle Mühe, ihn zu überzeugen.

Lash sah ihm forschend ins Gesicht und versuchte, darin zu lesen. Jeremy hatte seine Pokermiene aufgesetzt. Verflucht nochmal! Er verbirgt etwas.

»Was verschweigst du mir?«

»Bitte, Lash. Das alles ist doch nicht mehr wichtig.« Naomis sanfte Hände berührten seinen angespannten Arm und drehten ihn um, so dass er sie ansah. »Hat er in der ganzen Zeit, in der du ihn gekannt hast, soweit du dich erinnern kannst, jemals versucht, dir etwas wegzunehmen?«

»Ja. Er hat dich sterben lassen. Er hätte dich retten können.«

»Das war was anderes. Seine Aufgabe war, mich hierher zu bringen. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, hast zu mir gesagt, er sei dein Freund. Und wenn du dich mal erinnerst, wollte ich ihn mit einer Eisenstange erschlagen.«

Lash grinste. »Die guten alten Zeiten.«

Naomi sah ihn erwartungsvoll an.

Er seufzte. »Oh, schon gut. Nein, Jeremy hat mir nie irgendwas weggenommen.«

»Und?«

»Und er war immer ehrlich zu mir.«

»Also, weshalb solltest du jetzt davon ausgehen, dass sich irgendwas verändert hat?«

Was sie sagte, ergab zu viel Sinn und es gefiel ihm nicht. Erinnerungen hin oder her, er konnte einfach das Gefühl nicht loswerden, das Jeremy sie immer noch wollte. Er sah in Naomis hellblaue Augen, die von dichten Wimpern eingerahmt wurden. Sie war so wunderschön. Wie konnte er es irgendeinem Menschen oder Engel vorwerfen, wenn er sie begehrte?

»Du hast recht. Ich denke, ich bin einfach paranoid.«

Sie gab ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange und drehte sich dann zu Raphael um. »Ich erinnere mich an nichts von alldem, und die wenigen Erinnerungsbruchstücke, die in mir hochgekommen sind, haben immer von Lash gehandelt. Jetzt verstehe ich, wieso. Ich liebe ihn und nichts, niemand, kann jemals meine Liebe zu ihm auslöschen. Deshalb wollen wir uns trauen lassen, sobald er alles arrangieren kann.«

Raphaels Gesicht leuchtete auf. »Das sind wunderbare Neuigkeiten!«

»Du freust dich darüber?«, vergewisserte sich Lash.

»Selbstverständlich. Ich bin nicht mehr der, den Luzifer dir in deinen Erinnerungen gezeigt hat. Vielleicht war es notwendig, dich und Jeremiel zu verlieren, damit mir klar werden konnte, wie falsch ich mich damals verhalten habe. Kannst du mir für meine Vergangenheit vergeben? Für meine Unfähigkeit, dir ein guter Vater zu sein?«

Lash blickte in Raphaels flehende Augen. In all der Zeit, in der er ihn gekannt hatte, zumindest in der Zeit, an die er sich erinnern konnte, war Raphael immer an seiner Seite gewesen, um ihn zu führen und ihm zu helfen. Selbst, wenn er sein Bestes getan hatte, um Raphael von sich zu stoßen, hatte er ihn nie verlassen. Und jetzt wusste er, weshalb. Raphael tat sein Bestes, um sich mit ihm zu versöhnen und ein besserer Vater zu sein. »Ja… Vater.«

Raphaels Miene hellte sich auf. »Ihr macht mich stolz – ihr beide.«

Er stand auf und zog Lash in seine Arme. Überrascht sah Lash zu Naomi hinüber. Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie sie ansah.

»Nimm ihn auch in den Arm«, formten ihre Lippen stumm.

Er nickte und legte eine Hand auf Raphaels Rücken, um ihn sanft an sich zu drücken. Er fühlte, wie sich Wärme in seinem Inneren ausbreitete und ein Frieden, den er lange nicht mehr gefühlt hatte.

»Ich werde mit dir mitkommen, wenn du bei Michael vorsprichst«, erklärte Raphael, als sie sich von einander lösten. »Endlich habe ich meine Familie wieder um mich. Das ist ein freudiger Anlass. Oder, Jeremiel?«

Jeremy erhob sich und kam auf Lash zu. Er streckte ihm eine Hand entgegen. »Herzlichen Glückwunsch. Ich wünsche euch beiden immerwährendes Glück.«

Lash sah auf seine Hand hinab und dann wieder in sein Gesicht. Das Einzige, was er in seinem Blick erkennen konnte, war Aufrichtigkeit. Er war wirklich glücklich für ihn.

Er ergriff Jeremys Hand und einen Moment lang hatte er das Gefühl, dass er vielleicht, nur vielleicht, seinen alten Freund wiedergefunden hatte.

Und dann sah er zu, wie Jeremy sich zu Naomi umdrehte. Er brachte es kaum fertig sie anzusehen, als er seine Glückwünsche murmelte und sie Schwägerin nannte.

5

»Bist du dir ganz sicher?« Naomi suchte die Umgebung des Bachs ab, um sicherzugehen, dass niemand in der Nähe war und sah, wie sie und Lash die Brücke betraten. Ihr Herz pochte heftig vor Aufregung bei dem Gedanken daran, dass sie Belita und Chuy wiedersehen würde, obwohl sie wünschte, Lash würde sie das allein tun lassen.Wenn sie dabei erwischt wurde, wie sie Gabrielles Anordnungen missachtete, würde man es ihr vielleicht durchgehen lassen, weil sie neu war. Aber wenn Lash erwischt wurde, konnte er in Schwierigkeiten geraten, weil er ihr geholfen hatte.

»Ganz sicher.« Er ergriff ihre Hand, als sie zur Mitte der Brücke gingen. »Ich werde für dich Schmiere stehen.«

Naomi biss sich auf die Unterlippe. Nur Sekunden trennten sie noch vom Blick auf Belita – nach all diesen Wochen. Wieso fürchtete sie sich auf einmal davor, nach ihr zu sehen?

»Was ist los?«

Sie blickte in seine schönen haselnussbraunen Augen. Wie konnte sie mit ihm an ihrer Seite überhaupt Angst haben? Sie benahm sich lächerlich. »Gar nichts. Ich werde ganz schnell sein.«

Sie ging zu der Stelle, von der sie wusste, dass sie den besten Blick auf Belitas Haus haben würde. Ihre Hand fuhr über das vertraute Geländer. Wieder raste ihr Herz vor lauter Vorfreude.

Hör schon auf, sagte sie sich. Hör auf, eine große Sache daraus zu machen. Du hast schon oft nach Belita gesehen.

Sie holte tief Luft und beugte sich über das Geländer. Still lag das Wasser da. Es war, als sähe sie durch eine gleichmäßige Glasoberfläche. Einen Moment lang sah sie nichts als klares Wasser. Dann tauchte das vertraute kleine weiße Haus langsam auf.

Das Herz schlug ihr in der Brust. Irgendetwas war verkehrt. Etwas stimmte nicht.

Die einst sattgrüne und perfekt getrimmte Wiese war dicht besiedelt von kniehohem Unkraut. Die Blumenbeete, die Belita immer penibel gepflegt hatte, ihr Stolz und ihre Freude, waren überwuchert von Knöterich und mit Bierdosen zugemüllt.

Sie schloss schnell die Augen. Das konnte nicht Belitas Haus sein. Sie atmete tief ein und versuchte, sich zu beruhigen. Mach dich nicht verrückt.

Sie blickte ganz offensichtlich in die verkehrte Richtung. Sie musste einfach besser aufpassen.

Als sie die Augen langsam öffnete, sah sie dasselbe kleine weiße Haus an derselben Stelle. Sie stöhnte.

Es ist Belitas Haus.

Zerbrochenes Glas lag auf der Vordertreppe und die Fliegengittertür schlug lose im Wind hin und her. Am schlimmsten war, dass jedes einzelne Fenster zerbrochen war.

Was war geschehen? Belita und Chuy würden nie zulassen, dass das Haus in einen solchen Zustand geriet. Es sei denn, das Haus stünde leer.

»Nein!«, schluchzte sie und warf sich gegen das Geländer, um sich so weit vorzulehnen, wie sie konnte. Das Haus war Belitas ganzer Stolz gewesen. Sie würde es nie verlassen. Ihr Vater war in diesem Haus aufgewachsen. Etwas musste geschehen sein – etwas so schreckliches, dass Belita keine andere Wahl geblieben war, als auszuziehen.

Angst schnürte ihr die Kehle zusammen, als sie an das Eine dachte, das ihre halsstarrige Großmutter aus dem Haus zwingen konnte.

Nein! Sicher nicht! Belita war nicht tot. Das konnte auf keinen Fall geschehen sein. Belita hatte sich bester Gesundheit erfreut, als sie sie vor einigen Wochen gesehen hatte. Es musste etwas anderes sein. Das musste es einfach.

Panisch lief sie am Rand der Brücke entlang und versuchte, einen besseren Blick auf die Umgebung zu bekommen. Verzweifelt suchte sie nach einem Hinweis, irgendetwas, das erklärte, was mit Belita und Chuy geschehen war.

»Was ist los?« Lash folgte ihr dicht auf den Fersen.

»Belita ist weg.« Sie schluchzte.

Sie sah sich die anderen Häuser in der Nähe von Belitas an. Sie erweckten alle denselben gespenstischen, heruntergekommenen Anschein. Es sah aus, als sei das ganze Viertel verlassen. »Sie sind alle weg!«

»Was? Bist du sicher?« Er beugte sich über das Geländer und spähte ins Wasser.

»I-ich verstehe das nicht. Es sind nur ein paar Wochen vergangen, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Es sah alles aus wie immer. Es standen Autos am Straßenrand. Die Nachbarskinder haben Basketball gespielt. Alles sah genauso aus, wie damals, als ich von dort weggegangen bin.«

»Das ist ein paar Wochen her«, murmelte er.

»Ja. Ein ganzes Stadtviertel kann nicht einfach innerhalb weniger Wochen wegziehen, oder? Ich meine, sieh dir das Gras an. Es ist fast kniehoch!«

Er rieb sich die Nasenwurzel und biss die Zähne zusammen. »Ein paar Wochen«, wiederholte er.

»Wieso sagst du das immer wieder?«

Er stöhnte auf und schlug dann mit der Hand gegen das Brückengeländer. »Scheiße!«

»Was? Was ist denn?«

Er schritt auf der Brücke auf und ab, fuhr sich mit den Händen durchs Haar und fluchte leise vor sich hin.

»Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren würde«, murmelte er und vergrub das Gesicht in den Händen. »Dämlich, dämlich, dämlich!«

»Lash, bitte erklär’s mir. Du weißt doch irgendwas.« Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Als er nicht antwortete, packte sie ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Jetzt sag’s mir schon!«

Gequält sah er ihr in die Augen. »Es waren nur ein paar Wochen… für dich.«

Sie blinzelte verwirrt. »Für mich? Was meinst du, für mich?«

»Na ja, genauer gesagt für uns.« Er wandte das Gesicht ab, unfähig sie anzusehen. »Ich kann nicht glauben, dass ich es dir nicht gesagt habe.«

Sie legte eine Hand unter sein Kinn und drehte es zu sich hin. »Mir was nicht gesagt hast?«

Er sog scharf die Luft ein und hielt den Atem an, bevor er ihn heftig ausstieß. »Die Zeit vergeht hier anders als auf der Erde.«

»Was soll das heißen? Die Zeit vergeht anders? Wie anders?«

Ihr sank das Herz. Oh Gott! Vielleicht sind sie alle tot!

Lashs Gesicht verschwamm vor ihren Augen und sie fühlte, wie sie fiel.

»Naomi!«, rief er, als er sie auffing.

»Wie lange?« Ihre Stimme klang leise, ängstlich.

»Du hast einen Schock. Lass mich dich nachhause bringen. Es tut mir so leid, dass ich vergessen habe, es dir zu sagen. Ich kann es dir alles erklären und dann können wir herausfinden – «

»Nein.« Sie atmete tief ein und zwang sich, aufrecht zu stehen. Jetzt war nicht der Moment für Schwäche. Jetzt war der Moment gekommen, der Erzengel zu sein, der zu sein sie trainierte. Sie tat einen weiteren kräftigenden Atemzug und sagte: »Sag’s mir. Wie viel Zeit ist vergangen?«

»Ich habe nie wirklich auf die Zeit geachtet. Wir messen die Zeit hier nicht so wie auf der Erde. Ich würde sagen, etwa« – er schluckte und warf ihr einen besorgen Blick zu – »ein Jahr.«

»Ein Jahr! Ich bin seit einem Jahr weg?«

»Vielleicht weniger«, sagte er hastig.

Sie stieß den Atem aus. Sie sollte dankbar sein, dass es erst ein Jahr gewesen war. Sie drehte sich um und starrte auf Belitas Haus. Sie hatte vorgehabt, einen heimlichen Besuch zu wagen, wenn sie ihren ersten Auftrag erhielt. Sie hatte Belita eine Art Zeichen geben wollen, dass sie immer noch bei ihr war. Selbst wenn sie sie nicht hätte sehen können, wusste sie, dass Belita gewusst hätte, dass sie es war. Sie hatte sogar vorgehabt, einen Blick auf Chuy zu werfen, wohl wissend, dass er mittlerweile daran glaubte, dass Engel existierten. Jetzt waren sie fort.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Erzengel sind mächtig. Sie können so ziemlich alles tun, oder?«

»Alles würde ich nicht sagen, aber ja, sie haben mächtige Fähigkeiten. Wieso?«

»Ich kann sie finden.«

»Du wirst nicht dazu in der Lage sein, auf die Erde zu gehen, es sei denn, du hast einen Auftrag erhalten oder einer der Erzengel erteilt dir die Erlaubnis dazu.«

»Aber ich bin ein Erzengel.«

»Technisch gesehen schon, aber du bist noch in der Ausbildung. Du brauchst immer noch die Zustimmung von Michael oder Gabrielle, und die würden sie dir nie geben, außer es würde einem höheren Zweck dienen.«

Ihr Gesicht verfinsterte sich. Welchen Sinn hatte es, ein Erzengel mit besonderen Kräften zu sein, wenn man sie nicht einsetzen konnte? Was sollte sie jetzt tun? Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ich dachte, der Himmel sollte ein Ort des Glücks sein.«

Er schloss sie in die Arme. »Naomi, bitte weine nicht.«

Sie konnte nichts dagegen tun. Sie wollte tapfer sein – der mächtige Erzengel sein, von dem alle erwarteten, dass sie es war. Sie konnte es nicht. Es war schwer, so unglaublich schwer einen Teil von ihr zurückzulassen, den Teil, der sie zu dem gemacht hatte, was sie war: ihre Familie – Belita, Chuy, ihre Eltern. Solange sie sie hatte, fühlte sie sich, als ob sie alles schaffen konnte. Als ihre Eltern gestorben waren, hatte sie das Gefühl gehabt, sie hätte einen Teil davon verloren. Und jetzt, wo Belita und Chuy fort waren, fühlte es sich an, als ob ein Loch in ihrer Brust klaffte.

Lash legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, so dass sich ihre Blicke trafen. »Ich nehme dich mit, um Belita zu finden.«

»Wie denn?«, schniefte sie. »Du weiß doch nicht, wo sie sind.«

»Ich habe einen Plan. Geh zurück nachhause. Wenn ich wiederkomme, habe ich die Erlaubnis. Du und ich müssen auf die Erde.«

Ihre Augen weiteten sich. »Ich will nicht, dass du irgendwas tust, was dich aus dem Himmel werfen kann. Ich kann dich nicht auch noch verlieren.« Sie wollte unbedingt ihre Familie finden, aber nicht auf seine Kosten.

»Es ist völlig gesetzmäßig. Ich versprech’s. Ich kann es dir jetzt nicht erklären. Du musst einfach nur wissen, dass ich das für dich hinkriege. Vertraust du mir?«

Sie sah in sein herrliches Gesicht. Seine Augen sahen sie liebevoll an. Sie seufzte und Hoffnung regte sich in ihr. Mit Lash an ihrer Seite konnte sie alles schaffen.

»Ja.«


Lash marschierte einen ausgetretenen Pfad am Bach entlang, einen Pfad, den er über die Jahre schon hunderte Male genommen hatte. Ich kann nicht glauben, dass ich es tatsächlich tue.

Er hatte Naomi versprochen, dass er sie auf die Erde bringen würde, um Belita und Chuy zu finden. In der Annahme, dass sie sicher einfühlsam auf Naomis Situation reagieren würden, war sein erster Gedanke gewesen, Rachel oder Uri um Erlaubnis zu fragen. Er hatte die Idee verworfen, als er sich an all das erinnerte, was sie hatten durchmachen müssen und an die Jahrhunderte der Trennung von einander. Es wäre nicht fair, sie zu fragen, nur damit sie in Schwierigkeiten gerieten. Erzengel waren keineswegs vor Bestrafungen geschützt. Das konnte Raphael bezeugen.

Damit blieb nur noch eine Person, die ihm helfen konnte und es ärgerte Lash maßlos, dass er ihn um Hilfe bitten musste.

Langsam schlurfte er den blumengesäumten Pfad entlang bis zu Jeremys Tür. Jeremy lebte in einem Ein-Zimmer-Cottage am Bach, einige Meilen von der Brücke entfernt, die das Tor zur Erde war. Wie seine Kleidung hielt Jeremy auch seine Wohnung makellos, was ein schwieriges Unterfangen war, besonders nach einem Pokerabend. Selbst, wenn Lash vorschlug, dass sie bei ihm spielen sollten, lehnte Jeremy ab und behauptete, niemand würde es durch seine Haustür schaffen bei der sich türmenden Unordnung in seinem Zimmer.

Jeremy machte seinen Job genauso, wie er sein Leben führte. Alles hatte seinen Platz und seinen Zweck. Obwohl er neuerdings nicht ganz er selbst zu sein schien.

Lash versuchte, die Erinnerung an die Art, wie Jeremy sich am Vorabend in Naomis Gegenwart verhalten hatte, abzuschütteln. Tief im Innern wusste er, dass Jeremy wirklich glücklich für ihn war und über seine Ankündigung, dass er bald mit Naomi verbunden sein würde. Dann wiederum – weshalb hatte er das Gefühl, dass er Jeremy in ihrer Nähe nicht trauen konnte?

Es wurde dadurch nicht besser, dass er Jeremy um einen Gefallen bitten musste. Früher hatte ihn das nicht gestört, aber jetzt lagen die Dinge anders.

Er wusste, dass Jeremy daran gelegen war, sich als wahrer Freund und Bruder zu beweisen, und er war zuversichtlich, dass Jeremy zustimmen würde. Und da lag das Problem. Er wollte derjenige sein, der Naomi gab, was sie brauchte, um glücklich zu sein. Nicht Jeremy.

Er wollte gerade an die Tür des Häuschens klopfen, als er in der Ferne einen Pfeifton hörte, gefolgt von einem lauten Platschen. Das konnte nur eines bedeuten: Jeremy war schwimmen gegangen.

Als er sich dem Bach näherte, hielt er an und lehnte sich gegen einen Baum, um Jeremy beim Schwimmen zuzusehen. Er dachte daran, was Raphael ihm darüber erzählt hatte, dass Jeremy von anderen besonders geliebt wurde. Jetzt sah er ihn mit anderen Augen.

Auf Jeremys Körper lag eine goldene Bräune von den Strahlen der Sonne, wohingegen Lash im Vergleich blass war. Jeremys kräftige Arme glitten mühelos durch das Wasser und Lash knirschte mit den Zähnen, als ihm ihr Umfang auffiel. Während Lash hochgewachsen und geschmeidig war, war Jeremy kräftig und muskulös. In den ganzen Jahren, in denen er Jeremy gekannt hatte, war ihm das nie aufgefallen und es hatte ihn nicht einmal interessiert. Weshalb also jetzt auf einmal?

»Lash!«, rief Jeremy, als er ihn sah. »Was bringt dich denn hierher?«

Lashs Magen verkrampfte sich vor Neid, als er zusah, wie Jeremy aus dem Bach stieg und auf ihn zukam. Perfekte weiße Zähne leuchteten ihn in einem Lächeln an. Er war größer, stärker und wurde von allen anderen Engeln geliebt. Lash würde sich nie mit ihm messen können und einen kurzen Moment lang wunderte er sich, was Naomi in ihm selbst gesehen hatte. Waren ihre Gefühle für Jeremy nur mir ihren Erinnerungen verschüttet? Was, wenn sie sie zurückerlangte?

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Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
14 aralık 2019
Hacim:
231 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9788893988568
Tercüman:
Telif hakkı:
Tektime S.r.l.s.
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Metin
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