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Kitabı oku: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», sayfa 15

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»Ich sah sie sterben, ich sah sie in jener Abendstunde die Hände nach dem glühenden Abendhimmel ausstrecken und mit einem Lächeln scheiden, als habe sie jemand aus dem Glanz des Sonnenuntergangs heraustreten und ihr entgegenkommen sehen. Ich mußte ihm, den sie geliebt hatte, ihren letzten Gruß überbringen. Ich sollte ihn bitten, ihr zu verzeihen, daß sie nicht seine Gattin werden könne. Der gute König habe es nicht erlauben wollen.

»Aber ich habe nicht den Mut gehabt, dem Manne zu sagen, daß er ihr Mörder sei. Ich habe nicht den Mut gehabt, ihm die Last einer solchen Qual auf die Schultern zu legen. Und doch – er, der sich ihre Liebe durch Lügen erschlichen, war er nicht ihr Mörder? War er das nicht, Elisabeth?« –

Die junge Gräfin hat schon lange aufgehört, mit den blauen Blumen zu spielen. Jetzt erhebt sie sich, und der Strauß fällt zu Boden.

»Anna, du führst mich die ganze Zeit hinters Licht. Du sagst, es sei eine alte Geschichte, der Mann sei bereits lange tot. Aber ich weiß sehr wohl, daß kaum fünf Jahre seit Ebba Dohnas Tode verstrichen sind, und du sagst ja, daß du selber alles erlebt hast. Du bist nicht alt! – Sage mir nun, wer der Mann ist!«

Anna Stjärnhök fängt an zu lachen.

»Du wolltest ja eine Liebesgeschichte haben! Nun hast du eine bekommen, die dir sowohl Tränen als auch Unruhe gekostet hat.«

»Ist die Geschichte denn nicht wahr?«

»Es ist ein Hirngespinst von Anfang bis zu Ende!«

»Du bist abscheulich, Anna!«

»Das mag sein. Ich bin auch nicht glücklich, damit du es nur weißt! – Aber die Damen sind erwacht, und die Herren sind in den Saal gekommen. Laß uns hineingehen!«

In der Tür hält Gösta Berling sie zurück, der gekommen ist, um nach den jungen Damen zu sehen.

»Sie müssen Geduld mit mir haben,« sagt er lachend. »Ich will Sie nicht länger als zehn Minuten quälen, aber jetzt müssen Sie einige Verse anhören!«

Er erzählt ihnen, daß er in der letzten Nacht so lebhaft geträumt habe wie nie zuvor, und zwar habe er geträumt, daß er Verse geschrieben habe. Er, den die Leute den »Poeten« nannten, obwohl er diesen Spottnamen bisher ganz unverschuldeterweise getragen, sei mitten in der Nacht aufgestanden und habe sich, halb im Schlaf, halb wach, hingesetzt, um zu schreiben. Und am Morgen habe er ein ganzes Gedicht auf dem Schreibtisch gefunden. Er habe sich selber nie so etwas zugetraut! Jetzt sollten die Damen es hören. Und er liest:

 
»Der Mond ging auf, und mit ihm kam die Stunde,
Die in der Seele weckt die träumenden Gedanken.
Von Mondeslicht bestrahlt, im hellen Silberscheine
Glänzt der Veranda Dach, umwebt von Weinlaubranken.
Im Winde schwankt der Lilie Kelch aus witterndem Gesteine.
Auf der Veranda Stufen, zur abendlichen Runde,
Sind jung und alt vereint, und alter Lieder Weise,
Die noch im Herzen lebt, ertönet sanft und leise,
Wie ferner Zeiten Gruß in weihevoller Stunde.
 
 
Vom Resedabeet her umwehn uns liebliche Düfte,
Schatten schweben empor aus der Büsche flüsternden Zweigen
Über des Grases Fläche, von nächtlichem Tau befeuchtet:
Also ringet der Geist, in des Himmels Höhen zu steigen
Aus des Leibes Nacht zum Licht, das ewig uns leuchtet
Aus dem hellen Gewölk, wo klarer und reiner die Lüfte
Und im unendlichen Raum die Sterne den Blicken entschwinden.
O, wer mag in der Stille der Nacht der Gefühle Drang überwinden,
Wenn sich Schatten ihm nahn und der Blumen berauschende Düfte!
 
 
Gleich dem welkenden Blatt, das müde zur Erde sich senket,
Leise flatternd dahin, wenn ihr Blühen die Rose vollendet,
Nicht vom Sturme geknickt: so wollen dahin wir gehen,
Wie verhallet der Töne Klang, wenn unser Leben sich endet,
Still und stumm, wie im Herbst die Blätter im Winde verwehen.
Und zufrieden mit dem, wie Gott es weise gelenket,
Unsrer Jahre Ziel und den Pfad, den wir wandern sollen hienieden:
Der Tod ist des Lebens Lohn; so laß uns scheiden in Frieden,
Wie der Rose welkendes Blatt zur Erde leise sich senket.
 
 
Vorüber flog die Fledermaus lautlos auf ihren Schwingen
Und kehrt zurück im Mondenschein in schnellem Zickzackfluge,
Und wie sie flattert hin und her, steigt auf in unsere Herzen
Das alte Rätsel, ungelöst für Toren wie für Kluge,
Das Rätsel, schwer wie Gram und Leid, alt wie der Liebe Schmerzen:
Wohin geht unser Lebensweg, wohin wird er uns bringen,
Wenn wir nicht mehr auf Erden hier in Wald und Wiese wandern?
Ach, keiner kann des Geistes Pfad geleiten wohl den andern;
Viel eher zeigt’ er noch den Weg des Vogels leichten Schwingen.
 
 
Und schmiegend fest sich an mich an, legt sie mir Haar und Wangen,
Sie, die mich liebt, an meine Brust und spricht in leisem Flüstern:
‘In ferne Welten sollen nie die Seelen ganz entschweben,
Und ob des Todes Schatten auch mein Auge mag verdüstern,
Für dich, du Heißgeliebter, will ich dennoch weiterleben:
Von eines guten Menschen Herz ist dann mein Geist umfangen!’
O welche Qual, so schweres Leid, so bangen Schmerz zu tragen!
Sie sterben! – Und zum letztenmal soll ich ihr heute sagen:
‘Ich hab dich lieb!’ und küssen sie auf Mund und Haar und Wangen!
 
 
Jahre schwanden dahin – noch oft in nächtlicher Stunde
Such ich die Stätte mir auf, wo einst ich kosend gesessen,
Wo mein Mund sie geküßt; doch seh ich vom Monde beleuchtet
Hell der Veranda Dach, dann kann ich es nimmer vergessen,
Wie der Mond es gesehn, daß Tränen ihr Auge gefeuchtet,
Als vom Scheiden sie sprach, die Geliebte, mit zitterndem Munde.
Qual! Wie soll ich sühnen die Sünde,
Daß den Sturm ich erregt in der Brust dem schuldlosen Kinde
Und es gefesselt an mich in jener unseligen Stunde!«
 

»Gösta!« sagt Anna in scherzendem Ton, während die Angst ihr die Kehle zusammenschnürt. »Man sagt von dir, daß du mehr Gedichte erlebt hast, als andere geschrieben haben, die sich doch ihr Leben lang mit nichts weiter beschäftigen; aber du tust sicher am besten, auf deine eigene Art und Weise zu dichten: das Gedicht da ist Nachtarbeit!«

»Du bist kein milder Richter.«

»Und so etwas von Tod und Elend vorzulesen! Schämst du dich nicht?«

Gösta hört nicht mehr auf ihr Reden; unverwandt sieht er die junge Gräfin an. Sie sitzt starr und unbeweglich wie eine Bildsäule. Er glaubt, daß sie kurz davor ist, in Ohnmacht zu fallen.

Aber mit unendlicher Mühe bringt sie ein Wort hervor: »Geh!« sagt sie.

»Wer soll gehen? Soll ich gehen?«

»Der Pfarrer soll gehen«, stammelt sie.

»Elisabeth! So schweig doch.«

»Der vertrunkene Pfarrer soll mein Haus verlassen!«

»Anna! Anna!« fragt Gösta. »Was meint sie nur?«

»Es ist am besten, wenn du gehst, Gösta.«

»Weshalb soll ich gehen? Was hat dies alles zu bedeuten?«

»Anna,« sagt Gräfin Elisabeth, »sag es ihm, sag es ihm.«

»Nein, Gräfin, sagen Sie es selber!«

Die Gräfin beißt die Zähne zusammen und sucht ihrer Bewegung Herr zu werden.

»Herr Berling,« sagt sie und geht auf ihn zu, »Sie haben ein merkwürdiges Talent, die Leute vergessen zu machen, wer Sie sind. Ich habe es bis auf den heutigen Tag nicht gewußt. Ich habe soeben von Ebba Dohnas Tode erzählen hören und habe erfahren, daß nur die Gewißheit, daß der Mann, den sie liebte, ihrer nicht wert war, sie in den Tod getrieben hat. Aus Ihrem Gedicht ersehe ich, daß Sie dieser Mann sind. Ich begreife nicht, wie ein Mann mit Ihrer Vergangenheit sich vor den Augen einer anständigen Frau sehen lassen darf. Ich verstehe das nicht, Herr Berling. Bin ich jetzt deutlich genug geworden?«

»Frau Gräfin sind deutlich genug geworden. Ich will nur ein einziges Wort zu meiner Verteidigung sagen. Ich habe in dem festen Glauben gelebt, daß Sie alles von mir wußten. Ich habe nie versucht, etwas zu verbergen; aber es ist nicht angenehm, das bitterste Unglück seines Lebens auf Straßen und Gassen ausschreien zu hören, geschweige denn, es selbst auszuposaunen.«

Er geht, und im selben Augenblick setzt Gräfin Dohna den schmalen Fuß auf den Strauß blauer Sterne.

»Jetzt hast du getan, was ich wollte,« sagte Anna Stjärnhök hart zu der Gräfin, »aber jetzt hat es auch ein Ende mit unserer Freundschaft. Du mußt nicht glauben, daß ich dir deine Grausamkeit gegen ihn verzeihen werde. Du hast ihn von dir gewiesen, hast ihn verhöhnt und verletzt und ich folgte ihm gern ins Gefängnis und auf die Bettelbank, wenn es sein müßte. Ich will ihn bewachen und bewahren. Du hast getan, was ich wollte, aber ich verzeihe es dir niemals!«

»Aber Anna, Anna!«

»Als ich dir das alles erzählte, glaubst du, daß ich es mit fröhlichem Sinn getan? Habe ich nicht hier gesessen und mir das Herz Stück für Stück aus der Brust gerissen?«

»Weshalb tatest du es denn aber?«

»Weshalb? Weil ich nicht wollte – weil ich nicht wollte, daß er der Geliebte einer verheirateten Frau werden sollte.«

Mamsell Marie

Ah, stille! St!

Es summt über meinem Kopf! Das muß eine Biene sein, die geflogen kommt.

Aber nein, so sei doch nur still! Welch ein Duft! So wahr ich lebe, sind das nicht Levkoien und Lavendel und Flieder und Narzissen? Das ist eine wahre Wohltat an diesem grauen Herbstabend mitten in der Stadt. Wenn ich nur an das entzückende Fleckchen Erde denke, so fängt es rings um mich her gleich an zu duften und zu summen, und ehe ich michs versehe, befinde ich mich mitten in einem kleinen, viereckigen Rosengarten voller Blumen, von einer Ligustrumhecke eingeschlossen. In den Ecken stehen Fliederlauben mit schmalen, hölzernen Bänken, und rings um die Blumenbeete, die wie Sterne und Herzen geformt sind, läuft der schmale, mit weißem Sand bedeckte Steig. An drei Seiten ist der Rosengarten von Wald umgeben. Ebereschen und Faulbäume, die halb zivilisiert sind und schöne Blumen haben, stehen dem Garten zunächst und vermischen ihren Duft mit dem der Fliederbüsche. Hinter ihnen kommt die Birke, und dann beginnt der Tannenwald, der richtige Wald, still und finster, hochaufragend und bärtig.

Und an der vierten Seite liegt ein kleines, graues Haus.

Der Rosengarten, an den ich jetzt denke, war vor sechzig Jahren das Eigentum der alten Frau Moräus, die sich durch Sticken ernährte. Daneben ging sie auch als Kochfrau auf die umliegenden Bauernhöfe.

Liebe Freunde! Von allem Guten, was ich euch wünsche, möchte ich in erster Linie einen Stickrahmen und einen Rosengarten nennen. Einen großen, altmodischen Stickrahmen von der Art, an denen fünf, sechs Personen auf einmal arbeiten können, wo man wetteifert, wer am geschwindesten ist und wessen Kehrseite die hübschesten Stiche aufzuweisen hat, wo man Bratäpfel ißt und gesellige Spiele spielt und so dabei lacht, daß die Eichhörnchen vor Schrecken aus den Bäumen herabfallen. Einen Stickrahmen für den Winter und einen Rosengarten für den Sommer! Keinen großen Garten, in den man mehr Geld hineingraben muß, als Vergnügen wieder daraus emporsproßt, nein, einen kleinen Rosengarten, den man mit den eigenen Händen pflegen kann. Es müssen kleine Rosenbüsche mitten zwischen den Beeten stehen, und ein Kranz von Vergißmeinnicht müßte sich um ihren Fuß schlingen, der großblumige Mohn, der sich selbst sät, müßte überall aufschießen, sowohl in der Rasenkante als in dem Kieswege, und da müßte eine von der Sonne braungesengte Rasenbank sein, auf deren Sitz und Lehne Akelei und Kaiserkronen wachsen.

Die alte Frau Moräus besaß allerlei. Sie hatte drei fröhliche, fleißige Töchter und ein kleines Haus am Wegesrande. Sie hatte einen Notschilling auf dem Boden ihrer alten Truhe, dicke seidene Schals, hochlehnige Stühle und Erfahrung in mancherlei Dingen, die nützlich für denjenigen sind, der sich sein Brot selber verdienen muß. Das beste aber, was sie besaß, war der Stickrahmen, der ihr das ganze Jahre hindurch Arbeit gab, und der Rosengarten, der ihr Freude machte, solange der Sommer währte.

Dann ist noch zu vermelden, daß sich in Frau Moräus’ kleinem Häuschen eine Mieterin befand, eine kleine, verdörrte alte Jungfer von ungefähr vierzig Jahren, die ein Giebelzimmer auf dem Boden bewohnte. Mamsell Marie, wie sie allgemein genannt wurde, hatte ihre eigenen Anschauungen über mancherlei, wie sie derjenige leicht bekommt, der viel allein sitzt und dessen Gedanken alles das umkreisen, was das Auge einmal gesehen hat.

Mamsell Marie glaubte, daß die Liebe die Wurzel und der Ursprung zu allem Bösen hier in dieser traurigen Welt sei.

»Es würde ja das reine Elend werden«, sagte sie. »Ich bin alt und häßlich und arm. Nein, Gott bewahre mich nur davor, daß ich mich verliebe.«

Sie saß tagaus, tagein auf der Bodenkammer in Frau Moräus’ kleinem Häuschen und filierte Gardinen und Decken. Die verkaufte sie dann an die Bauern und auf den Gütern in der Umgegend. Sie hatte sich bald ein ganzes kleines Haus zusammenfiliert, denn ein kleines Haus auf dem Aussichtshügel, der Svartsjöer Kirche gegenüber, das war ihr höchster Wunsch, ein Haus, das hoch oben auf einem Hügel lag, so daß man weit in die Ferne hinausschauen konnte, das war ihr Traum. Von der Liebe wollte sie aber nichts wissen.

Wenn sie an Sommerabenden die Violine vom Kreuzwege herüberschallen hörte, wo der Spielmann auf dem Zaun saß und die Jugend sich zu den Takten der Polka schwang, daß ihnen der Staub um die Ohren wirbelte, da machte sie einen langen Umweg durch den Wald, um nur nichts davon zu hören und zu sehen.

Am zweiten Weihnachtstage, wenn die Bauernbräute kamen, oft fünf bis sechs an der Zahl, um von Madame Moräus und ihren Töchtern angekleidet zu werden, wenn sie mit Myrtenkränzen und hohen, mit Glasperlen verzierten Kronen, mit Gürteln aus Seide und selbstgemachten Rosen geschmückt wurden und das Kleid unten mit einer Girlande aus Stoffblumen besetzt wurde, da schloß sie sich auf ihrem Zimmer ein, um nur nicht zu sehen, wie man sie der Liebe zu Ehren herausputzte.

Wenn die Schwestern Moräus an Winterabenden am Stickrahmen saßen und das große Zimmer von Gemütlichkeit strahlte, wenn die Bratäpfel im Ofen prasselten und wenn der schöne Gösta Berling oder der gute Ferdinand, die zu Besuch gekommen waren, die Mädchen neckten, indem sie ihnen den Faden aus der Nadel zogen oder sie verwirrten, so daß sie schiefe Stiche machten, und das Zimmer von Gelächter, Geschwätz und Neckereien widerhallte und die Hände sich unter dem Stickrahmen begegneten, da rollte sie ärgerlich ihre Filetarbeit auf und ging hinauf, denn sie haßte die Liebe und alles, was dazu gehörte.

Aber die Übeltaten der Liebe, die kannte sie, und davon wußte sie zu erzählen. Sie konnte nicht begreifen, daß Gott Amor es noch wagte, sich auf der Erde zu zeigen, daß er sich nicht hatte verscheuchen lassen durch die Klagen der Verlassenen, durch die Verfluchungen derer, die er zu Missetätern gemacht, durch die Weherufe aller, die er in verhaßte Fesseln geschmiedet hatte. Sie konnte es nicht begreifen, daß seine Flügel ihn so leicht und frei zu tragen vermochten, daß er nicht in eine unendliche Tiefe hinabgesunken war, bedrückt von Sorge und Scham.

Nein, auch sie war jung gewesen wie andere, aber die Liebe hatte sie niemals geliebt. Niemals hatte sie sich zu Tanz und Liebkosungen verlocken lassen. Verstaubt und ohne Saiten hing die Gitarre ihrer Mutter auf dem Boden. Niemals sang sie Liebeslieder zu ihren Tönen.

Die Rosenbäume ihrer Mutter standen in ihrem Fenster. Sie begoß sie kaum. Sie liebte die Blumen nicht, diese Kinder der Liebe! Die Blätter hingen staubig herab, die Spinnen spannen ihre Gewebe zwischen den Zweigen, und die Knospen brachen niemals auf. Und in Madame Moräus’ Rosengarten, wo die Schmetterlinge flatterten und Vögel sangen, wo duftende Blumen den schwärmenden Schmetterlingen Liebesgrüße sandten, wo alles von dem Verhaßten sprach – da hinein setzte sie nur selten den Fuß.

Da geschah es einstmals, daß die Gemeinde von Svartsjö eine Orgel in ihrer Kirche setzen ließ. Es war in dem Sommer vor dem Jahr, in welchem die Kavaliere regierten. Ein junger Orgelbauer kam in den Ort. Auch er mietete sich bei Frau Moräus ein und bewohnte das zweite kleine Giebelstübchen auf dem Boden.

Und dann stellte er die Orgel auf, die so wunderliche Töne hat, deren gewaltige Posaunenstimme plötzlich hervorbricht, niemand weiß, woher oder wodurch; mitten in einem friedlichen Gesang erschallt sie, so daß die Kinder in der Kirche anfangen zu weinen.

Daß der junge Orgelbauer kein Meister in seiner Kunst war, mag ja sein. Aber ein lustiger Bursch war er, mit Sonnenschein in den Augen. Er hatte freundliche Worte für einen jeden, reich oder arm, alt oder jung. Er ward bald der gute Freund seiner Hausgenossen – ach, mehr als ein Freund!

Wenn er des Abends von seiner Arbeit heimkehrte, hielt er Madame Moräus das Garn und arbeitete an der Seite der jungen Mädchen im Rosengarten. Da deklamierte er »Axel« und sang »Frithjof«. Da nahm er Mamsell Mariens Knäuel auf, wie oft sie es auch fallen ließ, ja brachte sogar ihre alte Tafeluhr so weit, daß sie wieder ging.

Niemals verließ er einen Ball, ohne mit allen getanzt zu haben, von der ältesten Frau bis zu dem jüngsten kleinen Mädchen; und wenn ihn ein Mißgeschick betraf, setzte er sich neben das erste weibliche Wesen und machte es zu seiner Vertrauten. Ja, er war ein Mann, wie ihn die Frauen in ihren Träumen erschaffen. Ich will nicht sagen, daß er zu irgendeiner von Liebe sprach. Als er aber einige Wochen in Madame Moräus’ kleinem Giebelstübchen gewohnt hatte, waren alle Töchter in ihn verliebt, und selbst die arme Mamsell Marie wußte, daß sie alle ihre Gebete umsonst gebetet hatte.

Es war eine Zeit des Kummers und eine Zeit der Freude. Tränen fielen auf den Stickrahmen und löschten die Kreidestriche aus. Zur Abendzeit saß oft eine bleiche Träumerin in der Fliederlaube, und oben in Mamsell Mariens kleiner Kammer wurden neue Saiten an die Gitarre befestigt und zu deren Tönen altmodische Liebeslieder gesungen, die sie von ihrer Mutter gelernt hatte.

Der junge Orgelbauer aber ging sorglos und fröhlich umher, streute Lächeln und Dienstleistungen unter diese sehnsuchtsvollen Frauen aus, die sich um ihn stritten, wenn er fern vom Hause bei seiner Arbeit war. Und endlich kam der Tag, an dem er reisen mußte.

Der Wagen stand vor der Tür, das Gepäck war schon aufgeladen, und der junge Mann sagte Lebewohl. Er küßte Madame Moräus die Hand, umarmte die weinenden Mädchen und küßte sie auf die Wangen. Er weinte selber, weil er gezwungen war zu reisen, denn er hatte einen sonnenhellen Sommer in dem kleinen Hause verlebt. Zu allerletzt sah er sich nach Mamsell Marie um.

Da kam sie in ihrem besten Staat die enge Bodentreppe herab. Die Gitarre hing ihr an einem breiten, grünen, seidenen Bande um den Hals, und in der Hand hielt sie einen Strauß Monatsrosen, denn in diesem Jahre hatten die Rosenbäume ihrer Mutter Blüten getragen.

Sie stand vor dem jungen Manne still, klimperte auf der Gitarre und sang:

 
»Du reisest nun von uns. Ach, kehr einst zurück,
Wir sehen dich scheiden mit Schmerzen.
Vergiß nicht die Freunde in deinem Glück,
Wir tragen dich treulich im Herzen.«
 

Darauf befestigte sie die Blumen in seinem Knopfloch und küßte ihn gerade auf den Mund. Ja, und dann floh sie die Bodentreppe hinauf – die arme Alte!

Die Liebe hatte sich an ihr gerächt und sie zum Gespött für alle gemacht. Sie aber hat nie wieder auf die Liebe gescholten. Sie legte die Gitarre nicht wieder beiseite und hat es nie wieder verlernt, die Rosenbäume ihrer Mutter zu pflegen.

»Lieber traurig mit der Liebe, als fröhlich ohne sie«, pflegte sie zu sagen.

Die Zeit ging dahin. Die Majorin wurde von Ekeby fortgejagt, die Kavaliere kamen ans Ruder und es geschah, wie vorhin erzählt ist, daß Gösta Berling eines Abends der jungen Gräfin auf Borg ein Gedicht vorlas und daß sie ihm darauf die Tür wies.

Man erzählt, daß, als Gösta Berling die Tür hinter sich schloß, er einige Schlitten vor der Freitreppe vorfahren sah. Er warf einen Blick auf die kleine Dame, die in dem ersten Schlitten saß. Wie dunkel auch die Stunde für ihn war, wurde sie bei diesem Anblick doch noch dunkler. Er eilte von dannen, um nicht erkannt zu werden, aber eine Vorahnung von kommendem Unheil erfüllte seinen Sinn. Hatte die Unterhaltung da drinnen diese Frau herbeigezaubert? Ein Unglück hat stets ein anderes im Gefolge.

Diener kamen herbeigeeilt, Fußsäcke wurden aufgeknöpft, Decken beiseite geworfen. Wer war denn gekommen? War es wirklich Märta Dohna selber, die weitberühmte Gräfin?

Sie war die heiterste und leichtsinnigste von allen Frauen. Die Weltluft hatte sie auf ihren Thron erhoben und sie zu ihrer Königin gemacht. Spiele und Scherze waren ihre Untertanen. Spiel und Tanz und Abenteuer waren ihr als Anteil zugefallen, als die Lebenslose verteilt wurden. Sie war jetzt nicht weit von den Fünfzigern, aber sie gehörte zu den weisen Menschen, die nicht die Zahl der Jahre zählen. »Wer den Fuß nicht mehr zum Tanz, den Mund nicht mehr zum Lächeln bewegen kann,« pflegte sie zu sagen – »der ist alt. Der kennt die schwere Last der Jahre – nicht ich.«

In den Tagen ihrer Jugend saß die Freude nicht ungestört auf ihrem Thron, aber die Unsicherheit und das Schwankende machten das lustige Dasein Ihrer Majestät nur noch lustiger. Ihre Majestät mit den Schmetterlingsflügeln gab den einen Tag eine Kaffeegesellschaft in den Hofdamenzimmern auf dem Stockholmer Schloß, tanzte den nächsten Tag im Frack und mit dem Knotenstock bewaffnet in Paris, besuchte Napoleons Feldlager, segelte auf Nelsons Flotte über das blaue Mittelmeer, wohnte einem Kongreß in Wien bei, wagte sich am Tage vor einer berühmten Schlacht auf einen Ball nach Brüssel. Und wo die Freude war, da war Gräfin Märta ihre auserwählte Königin. Tanzend, spielend, scherzend durchflog Gräfin Märta die Welt. Was hatte sie nicht gesehen, was hatte sie nicht erlebt? Sie hatte Throne umgetanzt, um Fürstentümer im Ecarté gespielt, hatte darüber gelacht, wenn verheerende Kriege über Europa dahingebraust waren.

War die Freude zeitenweise heimatlos in der zu einem Schlachtfeld verwandelten Welt, so pflegte sie auf längere oder auf kürzere Zeit nach dem alten Grafenschloß am Löfsee zu ziehen. Dahin war sie auch gezogen, als die Fürsten und ihr Hof ihr zur Zeit der Heiligen Allianz zu trübselig wurden. In einer solchen Zeit hatte sie es für gut befunden, Gösta Berling zum Hauslehrer ihres Sohnes zu machen. Sie pflegte sich wohl zu fühlen da oben. Niemals hatte die Freude ein herrlicheres Reich. Da waren Gesang und Spiel, zu Abenteuern aufgelegte Männer und schöne, lebensfrohe Frauen. Da fehlte es nicht an Gastmählern oder Bällen, an Segelfahrten auf mondbeschienenen Seen oder Schlittenfahrten durch dunkle Wälder oder an herzerschütternden Ereignissen oder an der Liebe Freuden und Schmerzen. Seit dem Tode ihrer Tochter aber hatte sie ihre Besuche auf Borg eingestellt; sie hatte das Schloß seit fünf Jahren nicht gesehen. Jetzt kam sie, um sich zu überzeugen, wie ihre Schwiegertochter das Leben da oben zwischen den Tannenwäldern, Schneeschanzen und Bären aushalten könne. Sie hielt es für ihre Pflicht, nachzusehen, ob der dumme Henrik sie nicht mit seiner Langweiligkeit zu Tode gepeinigt hatte. Jetzt wollte sie des Hauses milder Engel sein. Sonnenschein und Glück lagen wohlverpackt in ihren vierzig ledernen Koffern, Heiterkeit hieß ihre Kammerzofe, Scherz ihr Kutscher, Spiel ihre Gesellschaftsdame.

Und als sie die Treppe hinaufflog, wurde sie mit offenen Armen empfangen. Ihre alte Wohnung im unteren Stockwerk stand für sie bereit. Ihr Diener, ihre Kammerzofe, ihre Gesellschaftsdame, ihre vierzig ledernen Koffer, ihre dreißig Hutschachteln, ihre Necessaires, ihre Schals und Pelze, alles kam nach und nach ins Haus. Überall herrschte Lärm und geschäftiges Treiben. Türen wurden zugeschlagen, man lief treppauf und treppab. Es war nicht schwer zu merken, daß Gräfin Märta gekommen war.

Es war an einem Frühlingsabend, an einem wundervollen Abend, obwohl man sich erst im April befand und das Eis noch nicht geschmolzen war. Mamsell Marie saß oben auf ihrer Kammer vor dem offenen Fenster, klimperte auf der Gitarre und sang.

Sie war so vertieft in ihr Spiel und in ihre Erinnerungen, daß sie es nicht bemerkte, wie ein Wagen des Weges kam und vor dem kleinen Hause hielt. Im Wagen saß Gräfin Märta und die hatte ihren Spaß daran, Mamsell Marie zu beobachten, die am Fenster saß, die Gitarre an einem Bande um den Hals, die Augen gen Himmel gerichtet, und alte, längst abgedroschene Liebeslieder sang. Schließlich stieg die Gräfin vom Wagen und trat in das Zimmer, wo die jungen Mädchen um den Stickrahmen saßen. Hochmütig war sie nicht; der Wind der Revolution hatte sie umsaust und ihr frische Luft in die Lungen geblasen.

Sie bestellte Stickereien bei Madame Moräus und lobte die Töchter. Sie schaute sich im Rosengarten um und erzählte von ihren Reiseabenteuern. Sie erlebte stets Abenteuer. Schließlich wagte sie sich die Bodentreppe hinauf, die entsetzlich steil und schmal war, und besuchte Mamsell Marie auf ihrem Giebelstübchen.

Dort ließ sie ihre schwarzen Augen über das einsame kleine Wesen blitzen und ihre melodische Stimme einschmeichelnd in die Ohren der alten Jungfer klingen. Sie kaufte Gardinen von ihr. Sie könne nicht leben auf Schloß Borg, ohne filierte Gardinen vor allen Fenstern zu haben, und auf allen Tischen müsse sie von Mamsell Mariens filierten Decken haben.

Dann ergriff sie ihre Gitarre und sang ihr von Freude und Liebe. Sie erzählte ihr Geschichten, so daß sich Mamsell Marie mitten in die heitere, brausende Welt hinausversetzt fühlte. Und der Gräfin Lachen war eine solche Musik, daß die verfrorenen Vögel im Rosengarten zu singen begannen, als sie es hörten, und ihr Antlitz, das kaum mehr schön war – denn der Teint war durch Schminke verdorben, und um den Mund lagen Züge roher Sinnlichkeit –, erschien Mamsell Marie so schön, daß sie nicht begriff, wie der kleine Spiegel es verschwinden lassen konnte, wenn er es einmal auf seiner blanken Fläche aufgefangen hatte. Als sie ging, küßte sie Mamsell Marie und bat sie, nach Borg zu kommen.

Mamsell Mariens Herz stand leer, wie die Schwalbennester zur Weihnachtszeit. Sie war frei, aber gleich dem alten, freigelassenen Sklaven seufzte sie nach Ketten.

Jetzt begann abermals eine Zeit der Freuden und der Sorgen für Mamsell Marie; sie währte aber nicht lange – nur acht kurze Tage. Die Gräfin holte sie jeden Augenblick nach Borg. Sie spielte ihr Komödie vor und erzählte von ihren Freiern, und Mamsell Marie lachte, wie sie nie im Leben gelacht hatte. Sie wurden die besten Freundinnen von der Welt. Bald wußte die Gräfin alles von dem jungen Orgelbauer und von dem stattgefundenen Abschied. Und in der Dämmerstunde brachte sie Mamsell Marie so weit, daß sie sich in dem kleinen blauen Kabinett in die Fensternische setzte, die Gitarre um den Hals hängte und Liebeslieder sang. Dann beobachtete die Gräfin, wie die trocknen, mageren Finger und der häßliche kleine Kopf der alten Jungfer sich gegen den roten Abendhimmel abhoben, und sie sagte, daß die arme Mamsell einem schmachtenden Burgfräulein gleiche. Aber alle Lieder handelten von verliebten Hirten und grausamen Hirtinnen, und Mamsell Mariens Stimme war so dünn, so dünn, und ein jeder wird begreifen können, daß eine solche Komödie für die Gräfin ein köstliches Vergnügen sein mußte.

Und dann ward ein Gastmahl auf Borg gegeben, was ganz selbstverständlich war, da ja die Mutter des Grafen heimgekehrt war. Wie gewöhnlich ging es munter her. Die Gesellschaft war nicht groß, es waren nur die Nachbarn.

Der Speisesaal lag im untern Stockwerk, und nach der Mahlzeit gingen die Gäste nicht wieder hinauf, sondern begaben sich in Gräfin Märtas Zimmer, die ebenfalls im Erdgeschoß lagen. Da ergriff die Gräfin Mamsell Mariens Gitarre und fing an, der Gesellschaft etwas vorzusingen. Sie war eine muntere Dame, Gräfin Märta, und sie konnte alle Menschen in Gebärden und Stimme nachahmen. Jetzt hatte sie den Einfall, Mamsell Marie zu spielen. Sie wandte den Blick gen Himmel und sang mit dünner, kreischender Kinderstimme.

»Ach nein, ach nein, Frau Gräfin!« flehte Mamsell Marie.

Aber Gräfin Märta machte es Vergnügen, und die meisten der Gäste konnten sich ebenfalls des Lachens nicht enthalten, obwohl sie fanden, daß es unrecht gegen Mamsell Marie sei.

Die Gräfin nahm eine Handvoll trockener Rosenblätter aus einer Potpourrikruke, trat unter tragischen Gebärden an Mamsell Marie heran und sang:

 
»Du reisest nun von uns; ach, kehr einst zurück,
Wir sehen dich scheiden mit Schmerzen.
Vergiß nicht die Freunde in deinem Glück!
Wir tragen dich stets im Herzen.«
 

Dabei streute sie ihr die Rosenblätter auf den Kopf. Die Gäste lachten, Mamsell Marie aber geriet ganz außer sich vor Zorn. Sie sah aus, als wolle sie der Gräfin die Augen auskratzen.

»Du bist ein schlechtes Geschöpf, Märta Dohna«, sagte sie. »Keine anständige Frau sollte mit dir verkehren.«

Aber nun ward Gräfin Märta ebenfalls zornig. »Heraus mit der Mamsell!« rief sie. »Ich habe genug von ihren Verrücktheiten.«

»Ja, ich will schon gehen,« sagte Mamsell Marie, »erst aber will ich das Geld für meine Gardinen haben.«

»Das alte Jux!« sagte die Gräfin. »Für solchen Bettel will sie noch Geld haben? Nimm es nur mit! Ich will den Schund nicht mehr vor Augen sehen.«

Und die Gräfin reißt die Gardinen herunter und wirft sie ihr hin, denn jetzt ist sie in voller Wut.

Am nächsten Tage bat die junge Gräfin ihre Schwiegermutter, sich doch mit Mamsell Marie zu versöhnen. Das wollte aber die Gräfin nicht. Sie war ihrer überdrüssig. Da fuhr Gräfin Elisabeth hin und kaufte Mamsell Marie ihr ganzes Gardinenlager ab und hängte sie in dem oberen Stockwerk auf. Das war eine große Genugtuung für Mamsell Marie.

Gräfin Märta neckte ihre Schwiegertochter mit ihrer Vorliebe für filierte Gardinen. Aber sie konnte ihren Zorn auch verbergen und ihn Jahre hindurch frisch und neu bewahren, denn Gräfin Märta war eine begabte Dame.

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Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
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