Kitabı oku: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», sayfa 25
Der Tod, der Befreier
Mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, kam im August, als die Nächte bleich vom Mondschein waren, zu Hauptmann Ugglas Heim. Aber er wagte es nicht, geradeswegs in das gastfreie Haus zu treten; denn derer, die ihn lieben, sind nur gar wenige.
Mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, hat ein mutiges Herz. Es ist seine Lust, von glühenden Kanonenkugeln getragen durch die Luft zu reiten. Er nimmt die pfeifende Granate auf den Nacken und lacht, wenn sie springt und die Splitter umherfliegen. Er schwingt sich im Gespenstertanz auf den Kirchhöfen und scheut nicht die Pestsäle der Hospitäler, aber er zittert an der Schwelle des Redlichen, an der Tür des Guten. Denn er will nicht mit Tränen, sondern mit Freuden begrüßt werden, er, der die Geister aus den Banden des Schmerzes befreit, der sie von dem bedrückenden Staub befreit, der sie das freie, herrliche Leben im Weltenraum erproben läßt.
In den alten Hain hinter dem Wohnhause, wo noch heutzutage schlanke, weißstämmige Birken wetteifern, den dünnen Laubbüscheln an ihren Wipfeln das Licht des Himmels zu verschaffen, dort schlich der Tod sich ein. In diesem Hain, der damals jung und voll verbergenden Grüns war, versteckte mein bleicher Freund sich, während die Sonne am Himmel stand; in der Nacht aber stand er am Waldesrande, weiß und bleich, mit seiner Sense, in der der Mond sich spiegelte.
O Eros! Du warst der Gott, dem damals der Hain gehörte. Die Alten wissen davon zu erzählen, wie ehedem die liebenden Paare seine Ruhe aufsuchten. Und noch heutzutage, wenn ich an Berga vorübergehe, ärgerlich über die lästigen Hügel und den erstickenden Staub, so freue ich mich über den Anblick des Hains mit den jetzt spärlichen weißen Stämmen, der von der Erinnerung an die Liebe junger, schöner Menschen widerstrahlt.
Nun aber war es der Tod, der dort stand, und die Tiere der Nacht sahen ihn. Abend für Abend hörten die Bewohner von Berga, wie der Wolf heulte, um sein Kommen zu melden. Die Natter schlängelte sich auf den Kieswegen bis an das Wohnhaus hinan. Sie konnte nicht sprechen, aber sie verstanden wohl, daß sie kam als Vorbote des Gewaltigen. Und im Apfelbaum unter Frau Ugglas Fenster ließ die Eule ihr Geschrei ertönen. Denn alles in der Natur kennt den Tod und erbebt.
So geschah es denn, daß der Amtmann und seine Frau aus Munkerud, die im Broer Pfarrhof zum Gastmahl gewesen waren, gegen zwei Uhr in der Nacht an Berga vorüberkamen und ein Licht im Fenster des Fremdenzimmers stehen und brennen sahen. Sie sahen ganz deutlich die gelbe Flamme und das weiße Licht und erzählten später voller Verwunderung von dem Licht, das in der Sommernacht gebrannt hatte.
Da lachten die fröhlichen jungen Damen auf Berga und sagten, Amtmanns hätten Gespenster gesehen, denn die Talglichter daheim bei ihnen seien schon seit dem März aufgebraucht; und der Hauptmann schwur heilig und teuer, daß seit Wochen und Tagen niemand im Fremdenzimmer gewohnt habe; aber die Frau des Hauptmanns schwieg und erbleichte, denn dies weiße Licht mit der klaren Flamme pflegte sich stets zu zeigen, wenn jemand in ihrer Familie von dem Tode, dem Befreier, erlöst werden sollte.
Bald darauf, eines Tages im strahlenden August, kam Ferdinand von seinem Vermessungsdienst in den nördlichen Wäldern heim. Er kam bleich und krank zurück mit einem unheilbaren Lungenleiden, und sobald seine Mutter ihn sah, wußte sie, daß er sterben müsse.
So sollte er denn von hinnen gehen, dieser gute Sohn, der seinen Eltern niemals den geringsten Kummer bereitet hatte. Der Jüngling sollte die Luft und die Freude dieser Welt verlassen und seine schöne, geliebte Braut, die seiner harrte, und die reichen Besitzungen, die dröhnenden Eisenwerke, die sein Eigentum hatten werden sollen.
Endlich, als mein bleicher Freund einen Mondwechsel gewartet hatte, faßte er Mut und begab sich eines Nachts nach dem Wohnhause. Er wußte, daß die Bewohner dort dem Hunger und der Not fröhlich ins Auge sahen, weshalb sollten sie ihn denn nicht mit Freuden empfangen?
Leise ging er den Kiesweg hinauf und warf einen dunklen Schatten über den Rasenplatz, wo die Tauperlen im Mondschein glitzerten. Er kam nicht als fröhlicher Schnitter mit Blumen um den Hut und den Arm um die Taille eines jungen Mädchens geschlungen. Er ging gebeugt und sah abgezehrt aus und hielt die Sense in den Falten des Mantels verborgen, während Eulen und Fledermäuse ihn umflatterten.
In jener Nacht hörte Frau Uggla, die wach lag, daß jemand ans Fenster pochte, und sie richtete sich im Bett auf und fragte: »Wer klopft da?«
Und die Alten erzählen, daß der Tod ihr antwortete: »Der Tod klopft.«
Da stand sie auf und öffnete das Fenster und sah Fledermäuse und Eulen im Mondlicht flattern, den Tod aber sah sie nicht.
»Komm«, sagte sie halblaut; »Freund und Befreier, weshalb hast du so lange gezögert? Ich habe gewartet, ich habe gerufen. Komm und erlöse meinen Sohn.«
Da glitt der Tod ins Haus, froh wie ein entthronter König, der in seinem Greisenalter seine Krone zurückerhält, froh wie ein Kind, das zum Spielen gerufen wird.
Am nächsten Tage setzte Frau Uggla sich an das Krankenbett ihres Sohnes und sprach mit ihm über die Seligkeit der befreiten Geister und über ihr herrliches Leben.
»Sie arbeiten«, sagte sie, »sie wirken. Welche Künstler, mein Sohn, welche Künstler! Wenn du zu ihnen hinaufgelangst, so sage mir, was du dann werden willst? Einer der Bildhauer ohne Meißel, die Rosen und Lilien bilden, einer der Meister des Abendrots? Und wenn die Sonne in all ihrer Schönheit untergeht, will ich dasitzen und denken: das ist Ferdinands Werk!
»Mein teurer Sohn, bedenke, wie viel da zu sehen, wie viel da zu tun ist! Denke an alle die Samenkörner, die im Frühling zum Leben erweckt werden sollen, an alle die Stürme, die gelenkt werden, an die Träume, die entsendet werden sollen! Und denke an die langen Reisen durch den Himmelsraum, von Welt zu Welt!
»Denke an mich, mein teurer Junge, wenn du so viel Schönes zu sehen bekommst! Deine arme Mutter bekommt niemals etwas anderes zu sehen als Wermland.
»Aber eines Tages gehst du zum lieben Gott hinein und bittest ihn, ob er dir nicht eine der kleinen Welten geben will, die im Himmelsraum umherrollen, und er wird sie dir geben. Wenn du sie erhältst, so ist sie finster und kalt, voller Abgründe und Felsblöcke, und es wachsen dort keine Blumen, es leben dort keine Tiere. Aber du arbeitest auf dem Stern, den Gott dir gegeben hat. Du schaffst ihm Licht und Wärme und Luft, du bringst Pflanzen und Nachtigallen und helläugige Gazellen dahin, du läßt Gießbäche in die Abgründe strömen, du türmst Berge auf und besäest die Ebenen mit den schönsten roten Rosen.
»Und wenn ich einst sterbe, Ferdinand, wenn meine Seele vor der langen Reise erbebt und sich vor dem Abschied von den bekannten Gegenden fürchtet, da sitzest du und wartest vor dem Fenster in einem mit Paradiesvögeln bespannten Wagen, in einem Wagen aus schimmerndem Gold, mein Ferdinand.
»Und meine arme, unruhige Seele wird in deinen Wagen aufgenommen und sitzet nun neben dir, geehrt wie eine Königin. Und dann fahren wir durch den Himmelsraum, vorbei an den strahlenden Welten, und wenn wir in die Nähe dieser Himmelswohnungen kommen und sie immer herrlicher werden, da frage ich, die ich es nicht besser weiß: Wollen wir nicht hier oder dort bleiben?
»Aber du lachst still für dich und treibst das Vogelgespann an. Endlich kommen wir zu dem kleinsten von allen Weltkörpern, aber zu dem schönsten, den ich je gesehen habe, und dort halten wir vor einem goldenen Schloß, und du läßt mich eintreten in das ewige Heim der Freude.
»Dort sind die Vorratskammern gefüllt und die Bücherschränke. Der Tannenwald steht dort nicht wie hier auf Berga und beschattet die ganze schöne Welt, sondern ich schaue hinaus über große Meere und sonnenbeschienene Ebenen, und tausend Jahre sind wie ein Tag.«
Und dann starb Ferdinand, schwelgend in lichten Bildern, der künftigen Herrlichkeit entgegenlächelnd.
Mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, hatte nie etwas so Schönes erlebt. Denn wohl war Ferdinand Ugglas Todeslager von weinenden Menschen umstanden, der Kranke selber aber lächelte dem Manne mit der Sense zu, als er sich auf den Rand seines Bettes setzte, und seine Mutter lauschte seinem Todesröcheln wie einer süßen Musik. Sie zitterte, daß der Tod nicht imstande sein würde, sein Werk zu vollenden, und als alles vorbei war, traten ihr Tränen in die Augen, aber es waren Freudentränen, die auf die erstarrten Züge ihres Sohnes fielen.
Niemals ward meinem bleichen Freund so viel Ehre erzeigt wie bei Ferdinand Ugglas Begräbnis. Hätte er es gewagt, sich zu zeigen, da wäre er in federgeschmücktem Barett und mit goldgesticktem Mantel erschienen und hätte vor dem Leichenzug her den Kirchhofsgang entlang getanzt, nun aber saß er, der Alte, Einsame, in seinem verschlissenen schwarzen Mantel zusammengekauert auf der Kirchhofsmauer und sah den Zug kommen.
O, es war ein wunderliches Leichenbegängnis! Sonne und lichte Wolken machten den Tag strahlend, lange Reihen von Roggenhocken schmückten die Felder. Die Sommeräpfel im Garten des Propsthofes schimmerten durchsichtig und klar, und im Garten des Küsters strahlten Nelken und Georginen.
Es war ein wunderlicher Leichenzug, der die Lindenallee hinabging. Vor dem blumengeschmückten Sarge schritten schöne Kinder einher und streuten Blumen. Da waren keine Trauerkleider, keine Kreppflore, keine Schneppenhauben zu erblicken, denn die Mutter hatte es so gewollt, daß er, der heiter gestorben, nicht von einem traurigen Leichenzuge, sondern von einem glänzenden Hochzeitszuge nach der guten Freistätte geleitet werden sollte.
Dem Sarge zunächst ging Anna Stjärnhök, die schöne, strahlende Braut des Verstorbenen. Sie hatte den Brautkranz auf ihr Haupt gesetzt, sich in den Brautschleier gehüllt und ein Brautgewand von weißer, schimmernder Seide mit langer Schleppe angelegt. So geschmückt ging sie, um dem Grabe, um einem dahingeschiedenen Bräutigam geweiht zu werden.
Und nach ihr kam Paar auf Paar, stattliche alte Damen und Herren. Die schönen, vornehmen Frauen kamen mit schimmernden Spangen und Broschen, mit milchweißen Perlhalsgeschmeiden und Armbändern aus Gold. Die Federn in ihren Turbanen ragten hoch auf zwischen dem Seidenstoff und den Spitzen, und von ihren Schultern wogten die dünnen seidenen Schals, die sie einst als Brautgeschenk erhalten hatten, über bunte, seidene Kleider hinab. Und die Männer kamen in ihrem schönsten Staat mit bauschenden Jabots, in Leibröcken mit hohen Kragen und vergoldeten Knöpfen und mit Westen aus steifem Brokat oder reich gesticktem Samt. Es war ein Hochzeitszug: die Herrin von Berga hatte es so gewollt.
Sie selber ging dicht hinter Anna Stjärnhök am Arme ihres Gatten. Hätte sie ein Kleid aus schimmerndem Brokat besessen, sie würde es angelegt haben, hätte sie Geschmeide und einen prachtvollen Turban ihr eigen genannt, sie würde sie getragen haben an dem Ehrentage ihres Sohnes. Nun aber hatte sie nichts als dies schwarzseidene Kleid und diese gelben Spitzen, die sie auf so vielen Festen getragen hatte, und die trug sie auch auf diesem Fest.
Obwohl die Gäste mit Pomp und Pracht zum Begräbnis kamen, blieb doch kein Auge trocken, während sie bei leisem Glockengeläute zum Grabe hinauswanderten. Männer und Frauen weinten, nicht so sehr über den Toten wie über sich selbst. Siehe, da ging die Braut, dort trug man den Bräutigam, da wanderten sie selber festlich geschmückt – wo ist der Mensch, der auf Gottes grüner Erde wandelt und nicht weiß, daß er dem Kummer, der Sorge, dem Unglück, dem Tode anheimgefallen ist? Sie gingen einher und weinten bei dem Gedanken, daß nichts in der Welt imstande sei, sie zu beschützen.
Die Mutter weinte nicht, sie war aber auch die einzige, deren Augen trocken blieben.
Als das Ritual verlesen und das Grab zugeschüttet war, kehrten alle zu den Wagen zurück. Nur Frau Uggla und Anna Stjärnhök blieben am Grabe zurück, um dem Toten ein letztes Lebewohl zu sagen. Die Alte hockte sich auf den Grabhügel, und Anna setzte sich neben sie.
»Siehe,« meinte Frau Uggla, »ich habe zu Gott gesagt: Laß den Tod, den Befreier, kommen und meinen Sohn holen, laß ihn den, den ich am heißesten geliebt habe, mit sich in die stillen Wohnungen des Friedens nehmen, es sollen nur Freudentränen in meine Augen kommen; mit Hochzeitsgepränge will ich ihn zu Grabe geleiten, und meinen roten Rosenbusch, den reichblühenden, der vor meinem Schlafstubenfenster steht, will ich ihm auf den Friedhof pflanzen! Und nun ist es geschehen, mein Sohn ist tot. Ich habe den Tod wie einen Freund begrüßt, habe ihn bei den zärtlichsten Namen gerufen, ich habe Freudentränen über das erstarrte Antlitz meines Sohnes geweint, und im Herbst, wenn die Blätter fallen, pflanze ich ihm meinen roten Rosenbusch aufs Grab. Aber du, die du hier an meiner Seite sitzest, weißt du, weshalb ich solche Gebete zu Gott emporgesandt habe?«
Sie sah Anna Stjärnhök an, das junge Mädchen aber saß still und bleich an ihrer Seite. Vielleicht kämpfte sie, um die innere Stimme zur Ruhe zu bringen, die schon dort, auf dem frischen Grabe des Toten, ihr zuzuflüstern begann, daß sie nun endlich frei sei.
»Du trägst schuld daran«, sagte Frau Uggla.
Da sank das junge Mädchen zusammen wie unter einem Keulenschlag. Sie erwiderte kein Wort.
»Anna Stjärnhök, du warst einstmals stolz und eigensinnig, da spieltest du mit meinem Sohn, nahmst ihn und verstießest ihn. Was war dazu zu sagen? Er mußte sich dareinfinden so gut wie alle die andern. Vielleicht haben auch wir so wie er dein Geld ebensosehr geliebt wie dich. Aber du kamst wieder zurück, du kamst mit reichem Segen in unser Heim, du warst milde und sanftmütig, stark und gut, als du wiederkamst. Du umgabst uns mit Liebe, du machtest uns so glücklich, Anna Stjärnhök, und wir armen Menschen lagen dir zu Füßen.
»Und doch, und doch habe ich gewünscht, daß du nicht gekommen wärest. Da hätt ich Gott nicht zu bitten brauchen, daß er das Leben meines Sohnes verkürzen möge. Um die Weihnachtszeit hätte er deinen Verlust überwinden können, aber nachdem er dich kennen gelernt hatte, so wie du nun bist, hatte er nicht die Kraft dazu.
»Du mußt wissen, Anna Stjärnhök, du, die du heute dein Brautgewand angelegt hast, um meinem Sohn das Geleite zu geben, du würdest niemals in dem Gewande mit ihm vor dem Traualtar gestanden haben, denn du liebtest ihn nicht.
»Ich sah es, du kamst nur aus Barmherzigkeit, denn du wolltest unser hartes Schicksal mildern. Du liebtest ihn nicht. Glaubst du nicht, daß ich die Liebe kenne, daß ich sie sehe, wo sie vorhanden ist, daß ich es fühle, wenn sie fehlt? Da dachte ich: Möge Gott meinen Sohn zu sich nehmen, ehe ihm die Augen geöffnet sind!
»Ach, hättest du ihn doch geliebt! Wärest du doch niemals zu uns gekommen, um unser Leben zu versüßen, wenn du ihn nicht liebtest! Ich kannte meine Pflicht: wenn er nicht gestorben wäre, hätte ich ihm sagen müssen, daß du ihn nicht liebtest, daß du dich mit ihm verheiraten wolltest, weil du die Barmherzigkeit selbst bist. Ich hätte ihn zwingen müssen, dich freizugeben, und dann wäre sein Lebensglück vernichtet gewesen. Siehst du, deswegen bat ich Gott, daß er sterben möge, damit ich den Frieden seines Herzens nicht zu zerstören brauchte. Und ich habe mich über seine eingefallenen Wangen gefreut, habe mich über seine schweren Atemzüge gefreut, habe gezittert, daß der Tod sein Werk nicht vollenden würde.«
Sie schwieg und wartete auf Antwort; aber Anna Stjärnhök konnte noch nicht sprechen, sie lauschte noch zu vielen Stimmen in der Tiefe der Seele.
Da rief Frau Uggla ganz verzweifelt aus: »O, wie glücklich sind doch die, die über ihre Toten trauern, die Ströme von Tränen vergießen können. Ich muß mit trocknen Augen am Grabe meines Sohnes stehen, ich muß mich über seinen Tod freuen. Wie unglücklich bin ich doch!«
Da preßte Anna Stjärnhök die Hände hart gegen ihre Brust. Sie gedachte jener Winternacht, da sie bei ihrer jungen Liebe geschworen hatte, diesen armen Menschen ein Trost und eine Stütze zu sein, und sie erbebte. War denn alles vergebens gewesen, war ihr Opfer eines von denen, das Gott nicht wohlgefällig ist? Sollte sich alles zum Fluch wenden?
Aber wenn sie alles opferte, würde Gott da nicht dem Werke seinen Segen geben und sie zur Glücksspenderin, zur Stütze, zur Hilfe für Menschen machen?
»Was ist denn erforderlich, damit du über deinen Sohn trauern kannst?« fragte sie.
»Es ist erforderlich, daß ich meinen Augen nicht mehr glaube. Wenn ich glaubte, daß du meinen Sohn liebtest, da würde ich über seinen Tod trauern.«
Da erhob sich das junge Mädchen mit von Begeisterung strahlenden Augen. Sie riß ihren Brautschleier ab und breitete ihn über das Grab, sie nahm Kranz und Krone ab und legte beides auf den Schleier.
»Sieh jetzt, wie ich ihn liebe!« rief sie aus. »Ich schenke ihm meinen Kranz und meine Krone. Ich weihe mich ihm! Niemals will ich einem andern angehören!«
Da erhob sich auch Frau Uggla. Sie stand eine Weile schweigend da; ihr ganzer Körper bebte, ihr Antlitz verzog sich, aber schließlich kamen die Tränen, die Tränen des Schmerzes.
Doch mein bleicher Freund, der Tod, der Befreier, schauderte, als er diese Tränen erblickte; so war er denn auch hier nicht mit Freude begrüßt, nicht einmal hier hatte man sich von Herzen über ihn gefreut.
Er zog die Kapuze tief über das Gesicht, glitt leise von der Kirchhofsmauer herunter und verschwand zwischen den Kornhocken auf dem Felde.
Die Dürre
Wenn tote Dinge lieben können, wenn Erde und Wasser einen Unterschied zwischen Freunden und Feinden machen können, dann möchte ich gern ihre Liebe besitzen. Ich möchte gern, daß die grüne Erde meine schweren Schritte nicht als schwere Last empfände. Ich möchte gern, daß sie es mir leichten Herzens verziehe, daß sie um meinetwillen mit Pflug und Egge verwundet wird, daß sie sich meinem toten Körper willig öffnete. Und ich möchte gern, daß die Welle, deren blanken Spiegel meine Ruder zertrümmern, dieselbe Geduld mit mir hätte, wie eine Mutter sie mit einem unruhigen Kinde hat, wenn es auf ihren Schoß klettert, ohne sich daran zu kehren, daß es ihr seidenes Sonntagskleid zerknittert. Ich möchte in freundschaftlichem Verhältnis zu der klaren Luft stehen, die über den blauen Bergen zittert, und zu der strahlenden Sonne und den schönen Sternen. Denn es will mir oft scheinen, als wenn die toten Dinge mit den lebenden fühlen und leiden. Die Schranke zwischen ihnen und uns ist nicht so groß, wie die Menschen glauben. Wo ist der Teil von dem Staub der Erde, der nicht mit im Kreislauf des Lebens gewesen ist? Ist nicht der wirbelnde Staub der Landstraße einstmals als weiches Haar geliebkost, als gute, hilfreiche Hände geliebt worden? Ist nicht das Wasser in der Wagenspur ehedem als Blut durch pochende Herzen geströmt?
Der Geist des Lebens wohnt noch in den toten Dingen. Was hört er, während er in traumlosem Schlaf schlummert? Gottes Stimme hört er – achtet er auch auf die der Menschen?
Ihr Kinder später Zeiten, habt ihr es nicht gesehen? Wenn Unfriede und Haß auf Erden herrschen, müssen auch die toten Dinge vielfach leiden. Da wird die Welle wild und raubgierig wie ein Wegelagerer, da wird das Feld geizig wie ein Geizhals. Aber wehe dem, um dessentwillen der Wald seufzt und die Berge weinen.
Es war ein merkwürdiges Jahr, in dem die Kavaliere regierten. Es sieht mir fast so aus, als wenn die Unruhe der Menschen damals die Ruhe der toten Dinge zerstört hätte. Wie soll ich die Ansteckung bezeichnen, die sich in jenen Tagen über das Land verbreitete? Sollte man nicht glauben, daß die Kavaliere die Götter der Umgegend waren, daß alles von ihrem Geist beseelt war? Von dem Geist des Abenteuers, der Sorglosigkeit, der Zügellosigkeit.
Könnte man das alles erzählen, was sich in jenem Jahr unter den Menschen zutrug, die am Ufer des Löfsees wohnten, da würde die Welt sich wundern. Denn da erwachte alte Liebe, aber auch alter Haß entzündete sich aufs neue. Da flammten alle auf in Begierde nach der Schönheit des Lebens: Tanz und Scherz, Spiel und Trunk ergriffen sie. Da offenbarte sich alles das, was im tiefsten Innern der Seele verborgen liegt.
Von Ekeby ging die Ansteckung dieser Unruhe aus; sie verbreitete sich erst über die Eisenwerke und Begüterungen und verleitete die Menschen zu Unrecht und Sünde. So weit haben wir sie bis zu einem gewissen Grad verfolgen können, weil die Alten die Erinnerung an die Begebenheiten auf einigen der größeren Güter bewahrt haben, wie sie sich aber weiter unter der Bevölkerung verbreitete, davon wissen wir nur wenig. Niemand aber kann daran zweifeln, daß die Unruhe der Zeit von Dorf zu Dorf, von Hütte zu Hütte schlich. Wo ein Laster verborgen glimmte, da kam es zum Ausbruch; wo ein kleiner Riß zwischen Mann und Frau vorhanden war, da gestaltete er sich zur Kluft; wo sich eine große Tugend oder ein starker Wille verbargen, da mußten die ebenfalls ans Licht. Denn nicht alles, was geschah, war schlecht; aber die Zeit war derartig, daß das Gute zuweilen ebenso verderblich ward wie das Schlechte. Es war so, als wenn der Sturm tief in den Wald einhaut – ein Baum stürzt über den andern, eine Tanne reißt im Fallen die andere mit um, und selbst das Unterholz wird von den stürzenden Riesen mit ins Verderben gezogen.
Ja, wahrlich, die Tollheit griff auch unter den Bauern und dem Gesinde um sich. Überall wurden die Herzen wild und die Köpfe verwirrt. Niemals war es beim Tanz am Kreuzwege so munter hergegangen, niemals war die Biertonne so schnell geleert worden, niemals hatte der Branntweinkessel so viel Korn verschlungen. Niemals waren die Gastmähler so zahlreich, niemals war der Raum zwischen dem bösen Wort und dem Messerstich kürzer gewesen.
Es war eine starke Hand, die die Zügel fallen ließ, als die Majorin Ekeby verließ. Berauscht von der Freiheit stürmten die Menschen dahin zu Zerstörung und Verwirrung. Ein Herr und Meister war ihnen noch geblieben. Ein Herr, den sie liebten – das war der Branntwein. Denn dies war in den schweren Jahren, als man noch keine Rettung, keine Hoffnung für die Bauern erblickte, als man zu glauben begann, daß der Branntwein sie vernichten, sie von der Erde ausrotten werde.
Aber die Unruhe beschränkte sich nicht auf die Menschen. Sie verbreitete sich auf alles Lebende. Niemals hatten Wölfe und Bären schlimmer gehaust, niemals hatten Füchse und Eulen unheimlicher geschrieen oder frecher geraubt, niemals hatten sich die Schafe häufiger im Walde verirrt, niemals hatten so viele Krankheiten unter dem kostbaren Vieh geherrscht.
Wer den Zusammenhang der Dinge sehen will, muß aus den Städten fortziehen und in einer einsamen Hütte am Waldesrande wohnen. Er muß die Nacht hindurch den Kohlenmeiler hüten oder Tag und Nacht, einen ganzen hellen Sommermonat hindurch, auf den langen Seen leben, während das Holzfloß langsam nach dem Wenersee hinabgleitet; da wird er alle Zeichen in der Natur kennen und beachten lernen, da wird er verstehen, wie abhängig die toten Dinge von den lebenden sind. Er wird sehen, daß der Friede der toten Dinge gestört wird, sobald Unruhe auf Erden herrscht. Das weiß der Bauer. In solchen Zeiten löschen böse Geister den Meiler aus, zertrümmert die Meerjungfrau das Boot, kommen Krankheiten über die Menschen und Seuchen über das Vieh. Und so geschah es auch in diesem Jahr. Niemals hatte der Eisgang im Frühling so viel Schaden angerichtet. Die Mühle und die Schmiede von Ekeby waren nicht seine einzigen Opfer. Kleine Bäche, die sonst, wenn der Frühling ihnen Kräfte verliehen hatte, allerhöchstens imstande gewesen waren, eine leere Scheune fortzuschwemmen, richteten ihre Angriffe jetzt gegen ganze Gehöfte und spülten sie fort. Niemals hatte man gehört, daß die Gewitter schon vor Johannis so viel Schaden angerichtet hatten – nach Johannis merkte man nichts mehr davon, da kam die Dürre.
Solange die langen Tage währten, kam kein Regen. Von Mitte Juni bis Anfang September lag die ganze Gegend in ununterbrochenen Sonnenschein gebadet da.
Der Regen wollte nicht fallen, die Erde wollte keine Nahrung geben, der Wind wollte nicht wehen. Nur der Sonnenschein strömte auf die Erde herab. Ach, der schöne Sonnenschein, der lebenerweckende Sonnenschein – wie kann ich nur von seinem bösen Werke erzählen? Der Sonnenschein gleicht der Liebe; wer kennt nicht die Missetaten, die sie begangen hat, und wer ist imstande, sie nicht zu verzeihen? Der Sonnenschein gleicht Gösta Berling – er erfreut alle Menschen, deswegen schweigen alle von dem Übel, das er ihnen zugefügt hat.
Eine solche Dürre nach Johannis würde kaum in einer andern Gegend so unheilschwanger sein als gerade in Wermland. Dort aber war der Frühling spät gekommen. Das Gras war noch nicht sehr hoch und wurde auch nicht hoch. Dem Roggen fehlte es an Nahrung gerade zu der Zeit, als er blühen und Körner ansetzen sollte. Die Frühlingssaat, die zu jener Zeit das meiste Brot lieferte, trug dünne, kleine Ähren auf Halmen, die nicht länger als eine viertel Elle waren. Die spät gesäten Rüben wollten gar nicht wachsen, nicht einmal die Kartoffeln vermochten aus dieser versteinerten Erde Nahrung zu saugen.
In solchen Jahren fingen sie droben in den Waldhütten an sich zu ängstigen, und von den Bergen verbreitete sich die Angst bis zu der ruhigeren Bevölkerung in den Ebenen.
»Gottes Hand sucht jemand!« sagen die Bauern.
Und ein jeder schlägt sich vor die Brust und sagt: »Bin ich es? – Ach, Mutter, ach, Natur, bin ich es? Bleibt der Regen aus Unwillen über mich fort? Wird die strenge Erde aus Zorn über mich hart und trocken? Und strömt dieser ewige Sonnenschein in seiner Klarheit jeden Tag von einem wolkenlosen Himmel herab, um glühende Kohlen auf mein Haupt zu sammeln? Oder, wenn ich es nicht bin, wen sucht denn da die Hand Gottes?«
Während die Roggenkörner in den kleinen Ähren verschmachten, während die Kartoffeln keine Nahrung aus der Erde saugen können, während sich das Vieh mit roten Augen und nach Luft schnappend um die fast ausgetrockneten Brunnen schart, während die Angst vor der Zukunft das Herz zusammenschnürt, werden dort in der Gegend wunderliche Reden geführt.
»Eine solche Heimsuchung kommt nicht ohne Grund«, sagen die Leute. »Wen sucht Gottes Hand?«
Es war an einem Sonntag im August. Der Gottesdienst war beendet. In kleinen Gruppen wanderten die Leute über die sonnenheiße Landstraße dahin. Ringsumher erblickten sie versengte Wälder und eine verdorbene Ernte. Der Roggen stand in Hocken, aber die Garben waren dünn und die Ähren klein. Das Urbarmachen durch Absengen war in diesem Jahr eine leichte Arbeit gewesen, aber es war auch gar oft geschehen, daß die dürren Wälder Feuer gefangen hatten. Und was der Waldbrand verschont hatte, das hatten die Insekten verzehrt; die Tannen hatten ihre Nadeln verloren und standen kahl da wie ein Laubwald im Herbst, die Blätter der Birken hingen ausgefranst herab mit bloßgelegten Rippen und zerfressenen Blattflächen.
Den bekümmerten Gruppen fehlte es nicht an Unterhaltungsstoff. Gar manche konnten erzählen, wie es in den Notjahren 1808 und 1809 und in dem kalten Winter 1812 gewesen war, als die Sperlinge totfroren. Die Hungersnot war ihnen nicht fremd, sie hatten ihr schreckliches Antlitz schon gesehen. Sie wußten, wie man Brot aus Rinde buk und die Kühe daran gewöhnte, Moos zu fressen.
Eine Frau hatte einen neuen Versuch gemacht, Brot aus Kronsbeeren und Gerstenmehl zu backen. Sie hatte eine Probe davon mit und ließ die Leute kosten. Sie war stolz auf ihre Entdeckung. Über ihnen allen aber schwebte dieselbe Frage, sie starrte aus aller Augen, sie schwebte auf aller Lippen: »Wen, o Herr, suchet deine Hand? Du strenger Gott, wer hat dir die Opfer des Gebets und der guten Werke vorenthalten, da du uns unser armseliges Brot entziehst?«
Eine harte Strafe von Gott war es, daß die Majorin nun in der Ferne weilte. Infolge des reichlichen Verdienstes, den zu ihrer Zeit der Eisentransport, das Holzfällen und dergleichen ergaben, hatten die Bewohner der Heide ihre vielhundertjährige Gewohnheit, Arbeit fern von der Heimat zu suchen, fast gänzlich abgelegt. Jetzt mußten die Jungen auswandern, aber es blieben doch noch immer genug zurück, die daheim sitzen und hungern mußten.
Ein Mann aus den finsteren Schären, die westwärts über Sundsbroen gezogen waren und die Brobyer Hügel hinanschritten, blieb einen Augenblick an dem Wege stehen, der zu der Wohnung des geizigen Pfarrers führte. Er nahm einen trockenen Zweig von der Erde und warf ihn auf den Weg zum Pfarrhaus.
»Trocken wie dieser Zweig sind die Gebete gewesen, die er zu Gott emporgesandt hat«, sagte der Mann.
Der ihm zunächst Gehende blieb ebenfalls stehen. Auch er nahm einen trockenen Zweig auf und warf ihn neben den andern.
»Wie der Pfarrer, so das Opfer«, sagte er.
Der dritte in der Schar folgte dem gegebenen Beispiel. »Er ist gewesen wie die Dürre. Reisig und Stroh – das ist alles, was er uns hat behalten lassen.«
Der vierte sagte: »Wir geben ihm wieder, was er uns gegeben hat.«
Und der fünfte: »Zu ewiger Schmach werfe ich ihm dies hin. Möge er hinwelken und verdorren wie dieser Zweig.«
»Dürres Futter für den Pfarrer, der die Dürre über uns gebracht hat«, sagte ein sechster.
Die Leute, die hinterdrein kommen, sehen und hören, was sie tun und sagen. Jetzt wird ihnen Antwort auf das, wonach sie so lange gefragt haben.
»Gebt ihm, was ihm zukommt! Er hat die Dürre über uns gebracht!« heißt es unter der Menge.
In dem Winkel zwischen den Wegen lag bald ein Haufe von dürren Zweigen und Stroh – der Schandhügel für den Pfarrer von Broby!
Das war die einzige Rache der Bevölkerung. Niemand erhob die Hand wider den Pfarrer oder sagte ein böses Wort zu ihm selber. Verzweifelte Herzen erleichterten sich teilweise von ihrer Last, indem sie dürre Zweige auf diesen Hügel warfen. Sie nahmen selber keine Rache. Sie zeigten dem Gott der Wiedervergeltung nur den Schuldigen an.
»Haben wir dir nicht gedient, wie wir sollten, so ist es die Schuld dieses Mannes. Sei barmherzig, Herr, und laß ihn allein leiden! Wir brandmarken ihn mit Schande und Entehrung. Wir sind nicht eins mit ihm.«
Es wurde sehr bald Sitte, daß jeder, der an dem Wege zum Pfarrhof vorüberkam, einen trockenen Zweig auf den Schandhügel warf. »Mögen Gott und die Menschen es sehen«, dachte jeder Vorübergehende. »Auch ich verachte ihn, der den Zorn Gottes über uns gebracht hat.«