Kitabı oku: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», sayfa 27
Ein anderes großes Ereignis, das gerade um dieselbe Zeit geschah, trug auch dazu bei, daß Gösta Berlings Ehe nicht mehr beredet wurde. Major Samzelius wurde von einem Unglück betroffen. Er war mehr und mehr sonderlich und menschenscheu geworden. Er verkehrte fast ausschließlich mit Tieren und hatte auf Sjö einen ganzen kleinen Tierpark um sich versammelt. Gefährlich war er auch, denn er hatte stets eine geladene Flinte bei sich und feuerte sie einmal über das andere ab, ohne darauf zu achten, wohin der Schuß ging. Eines Tages wurde er von einem zahmen Bären gebissen, den er versehentlich angeschossen hatte. Das verwundete Tier stürzte sich über ihn, während er dicht vor dem Gitter stand, und biß ihn in den Arm. Dann brach es aus der Gefangenschaft aus und flüchtete in den Wald.
Der Major wurde bettlägerig und starb an dieser Wunde, aber erst kurz vor Weihnachten. Hätte die Majorin gewußt, daß er krank daniederlag, so hätte sie die Herrschaft über Ekeby wieder übernehmen können. Aber die Kavaliere wußten, daß sie nicht kommen würde, ehe ihr Jahr verstrichen war.
Amor vincit omnia
Unter der Treppe zu der Pulpitur in der Svartsjöer Kirche befindet sich eine Rumpelkammer, die ganz angefüllt ist mit allerlei altem Gerümpel: mit zerbrochenen Grabscheiten, unbrauchbaren Kirchenbänken und dergleichen.
Da drinnen, wo der Staub dick liegt und sie gleichsam vor jedem menschlichen Auge verbirgt, steht eine mit dem reichsten Perlmuttermosaik eingelegte Truhe. Wischt man den Staub davon ab, so scheint sie zu schimmern und zu strahlen wie eine Felswand in einem Märchen. Die Truhe ist verschlossen, und der Schlüssel ist gut verwahrt. Sie darf nicht geöffnet werden; kein Sterblicher darf einen Blick dahinein werfen. Niemand weiß, was darin ist. Erst wenn das neunzehnte Jahrhundert verstrichen ist, darf der Schlüssel in das Schloß gesteckt, der Deckel aufgehoben, dürfen die Schätze, die hier verschlossen liegen, von Menschen erblickt werden. Also hat er es angeordnet, der einst diese Truhe besaß.
Auf der Messingplatte des Deckels steht eine Inschrift: »Labor vincit omnia«. Aber eine andere Inschrift würde besser gepaßt haben: »Amor vincit omnia« hätte dort stehen sollen. Denn sogar die alte Truhe in der Rumpelkammer ist ein Zeugnis von der Allmacht der Liebe.
O Eros, du alles beherrschender Gott!
Du, o Liebe, bist der in Wahrheit Ewige. Alt ist das Menschengeschlecht auf Erden, du aber gabst ihm durch alle Zeiten das Geleite.
Wo sind die Götter des Ostens, die starken Helden, deren Waffe der Blitzstrahl war, sie, die an den Ufern der heiligen Flüsse Opfer aus Milch und Honig in Empfang nahmen? Tot sind sie. Tot ist Bel, der mächtige Krieger, und Thoth, der Riese mit dem Ibiskopf. Tot sind die Herrlichen, die auf den Wolkenlagern des Olymps ruhten, wie auch die Tatenreichen, die in dem schildgedeckten Walhall wohnten. Alle die alten Götter sind tot, mit Ausnahme von Eros – von Eros, dem Allbeherrschenden.
Alles, was du siehst, ist sein Werk. Er erhält die Geschlechter. Siehe ihn überall! Wo kannst du gehen, ohne eine Spur seines Fußes zu finden? Was hat dein Ohr vernommen, in dem nicht das Sausen seiner Schwingen der Grundton war? Er wohnt in dem Herzen der Menschen und in dem schlummernden Samenkorn. Fühle mit Beben seine Nähe in den toten Dingen!
Was gibt es wohl, das sich nicht sehnt, das sich nicht hingezogen fühlt? Alle Götter der Rache werden fallen, alle Götter der Stärke und Macht. Du, o Liebe, bist der in Wahrheit Ewige!
Der alte Onkel Eberhard sitzt an seinem Schreibtisch, einem prächtigen Möbel mit hundert Schubfächern, mit einer Marmorplatte und mit Beschlag aus dickem Messing. Er arbeitet mit Eifer und Fleiß allein oben im Kavalierflügel.
Aber Eberhard, warum streifst du nicht umher in Wald und Feld in diesen letzten flüchtigen Sommertagen, so wie die andern Kavaliere? Niemand, das weißt du, darf ungestraft der Göttin der Weisheit huldigen. Dein Rücken ist gebeugt, obwohl du nur sechzig Jahre alt bist, das Haar, das deinen Scheitel bedeckt, ist nicht dein eigenes, die Runzeln scharen sich auf deiner Stirn, die sich über den eingefallenen Augenhöhlen wölbt, und alle die vielfältigen Stellungen, die die Degen zweier Fechter in einem Duell einnehmen können, zeichnen sich in den tausend Runzeln um deinen zahnlosen Mund ab. Eberhard, Eberhard, warum streifst du nicht umher in Wald und Feld? Der Tod wird dich nur um so schneller von deinem Schreibpult trennen, dich, der du das Leben dich nicht von ihm fortlocken läßt.
Onkel Eberhard macht einen dicken Tintenstrich unter die letzte Linie. Und dann entnimmt er den unzähligen Schubfächern des Pultes alte vergilbte Haufen dichtbeschriebenen Papiers, alle die verschiedenen Teile seines großen Werkes, des Werkes, das Eberhard Berggrens Namen durch alle Zeiten tragen soll. Aber gerade als er den einen Haufen auf den andern gestapelt hat und sie in stummem Entzücken anstarrt, tut sich die Tür auf und die junge Gräfin tritt herein.
Da ist sie, die junge Herrin der alten Herren. Sie, der sie mehr dienen, die sie mehr anbeten, als Großeltern den ersten Enkel anbeten und ihm dienen. Da ist sie, die sie in Armut und Krankheit gefunden und der sie nun alle Herrlichkeiten der Welt geschenkt haben, wie es der König im Märchen mit dem armen Mädchen machte, das er im Walde fand. Für sie ertönen Waldhorn und Violinen auf Ekeby. Für sie atmet, regt sich und arbeitet alles auf dem großen Gut.
Sie ist jetzt wieder gesund, wenn auch noch sehr schwach. Die Einsamkeit in dem großen Haus bedrückt sie ein wenig, und da sie weiß, daß die Kavaliere weg sind, will sie sehen, wie es in dem Kavalierflügel, diesem berüchtigten Ort, aussieht.
Also kommt sie leise herein und sieht sich um, betrachtet die weißgetünchten Wände und die gelbgewürfelten Bettvorhänge. Sie sieht Göstas Drechselbank, Löwenbergs Tisch, an dem er seinen Beethoven auf gemalten Tasten spielt, die ausgestopfte Krähe über Kristian Berghs Bett und das Bärenfell vor Major Fuchs’ Ruhestatt. In der einen Ecke sieht sie die sonderbare Webarbeit, die Beerencreutz’ Zeitvertreib ist. Er hat die Kette auf dem Fußboden ausgespannt und schlägt den Eintrag ohne Hilfe von Webstuhl oder Schiffchen auf. Sie sieht den Stuhl am Ofen, auf dem Vetter Kristoffer das Leben ohne Taten und ohne Namen verträumt. Patron Julius’ geschnitzte Vorratstruhe, Liliencronas Violinkasten, Kevenhüllers Ranzen und Knotenstock, Rusters Punschlöffel – alles sieht sie, aber sie wird verlegen, als sie entdeckt, daß das Zimmer nicht leer ist.
Onkel Eberhard geht ihr feierlich entgegen und führt sie an den großen Haufen betriebenen Papiers.
»Seht, Gräfin,« sagt er, »jetzt ist mein Werk beendet. Jetzt soll das, was ich geschrieben habe, in die Welt hinaus. Jetzt werden große Dinge geschehen.«
»Was wird denn geschehen, Onkel Eberhard?«
»Ja, Gräfin, es wird niederschlagen wie ein Blitz, wie ein Blitz, der leuchtet und tötet. Seit ihn Moses aus der Donnerwolke des Berges Sinai hervorgezogen und ihn in dem Allerheiligsten des Tabernakels auf den Gnadenstuhl gesetzt hat, seit der Zeit hat er sicher und ruhig dagesessen, der alte Jehova; aber jetzt sollen die Menschen sehen, was er ist: Einbildung, Leere, Dunst, die totgeborene Ausgeburt unseres eigenen Gehirns. Er soll zu nichts zusammensinken!« rief der Greis aus und legte seine runzelige Hand auf den Papierhaufen. »Hier steht es, und wenn die Menschen es erst lesen, dann müssen sie es glauben. Sie werden auffahren und ihre eigene Dummheit sehen; sie werden das Kreuz als Brennholz, die Kirchen zu Kornspeichern gebrauchen, und die Geistlichen werden den Erdboden pflügen.«
»O Onkel Eberhard,« sagt die Gräfin mit einem leichten Schaudern, »stehen da wirklich so schreckliche Dinge?«
»Schrecklich?« wiederholt der Alte. »Das ist ja die Wahrheit. – Aber wir sind wie die Kinder, die den Kopf in dem Rock einer Frau verbergen, sobald sie einem Fremden begegnen; wir haben uns daran gewöhnt, uns vor der Wahrheit zu verstecken, vor dem ewig Fremden. Aber nun wird sie kommen und unter uns wohnen, nun wird sie von allen gekannt sein.«
»Von allen?«
»Nicht nur von den Philosophen, sondern von allen, verstehen Frau Gräfin, von allen.«
»Und dann soll Jehova sterben?«
»Er und alle Engel, alle Heiligen, alle Teufel, alle Lügen.«
»Wer soll dann die Welt regieren?«
»Glauben Frau Gräfin, daß jemand sie bisher regiert hat? Glauben Frau Gräfin an diese Vorsehung, die acht gibt auf die Sperlinge und auf das Haar auf dem Haupte? Niemand hat sie regiert, und niemand wird sie regieren.«
»Aber wir, wir Menschen, was wird denn aus uns?«
»Dasselbe, was immer aus uns geworden ist: Staub. Wer ausgebrannt ist, kann nicht mehr brennen; er ist tot. Wir sind Brennmaterial, das von den Flammen des Lebens umflackert wird. Der Funke des Lebens fliegt von dem einen zu dem andern. Er wird angezündet, flammt auf und erlischt. Das ist das Leben.«
»O Eberhard, gibt es denn kein ewiges Leben?«
»Keins.«
»Nichts jenseits des Grabes?«
»Nichts.«
»Nichts Gutes, nichts Böses, kein Ziel, keine Hoffnung?«
»Nichts!«
Die junge Gräfin tritt an das Fenster. Sie sieht hinaus auf das gelbwerdende Laub des Herbstes, auf Georginen und Astern, die die schweren Köpfe auf den vom Herbstwind geknickten Stengeln hängen lassen. Sie sieht die schwarzen Wellen des Löfsees, den finsteren Gewitterhimmel des Herbstes, und einen Augenblick gibt sie sich der Verleugnung hin.
»Onkel Eberhard,« sagt sie, »wie grau und häßlich die Welt ist, wie unnütz und eitel alles ist. Ich will mich hinlegen und sterben.«
Aber da hört sie gleichsam eine Klage in ihrer eigenen Seele. Die starken Kräfte des Lebens und die warmen Gefühle schreien laut nach dem Glück zu leben.
»Gibt es denn nichts,« ruft sie aus, »was dem Leben Schönheit verleihen kann, wenn ihr mir Gott und die Unsterblichkeit genommen habt?«
»Die Arbeit!« antwortet der Alte.
Sie aber sieht wieder hinaus, und ein Gefühl der Verachtung vor dieser armseligen Welt beschleicht sie. Das Unergründliche erhebt sich vor ihr, sie sieht den Geist in allem wohnen, sie fühlt die Kraft, die in der scheinbar toten Materie gebunden liegt, die sich aber zu tausendfältig wechselndem Leben entwickeln kann. Mit schwindelnden Gedanken sucht sie nach einem Namen für das Vorhandensein von Gottes Geist in der Natur.
»Ach, Eberhard,« sagt sie, »was ist Arbeit? Ist das ein Gott? Hat sie ein Ziel in sich selbst? Nenne etwas anderes!«
»Ich weiß nichts anderes«, erwidert der Alte.
Aber nun hat sie den Namen gefunden, den sie sucht, einen armen, oft geschändeten Namen.
»Onkel Eberhard, warum nennst du nicht die Liebe?«
Da gleitet ein Lächeln über den zahnlosen Mund, um den sich die vielen Runzeln kreuzen.
»Hier,« sagt der Philosoph und schlägt mit der geballten Faust auf den großen Haufen, »hier werden alle Götter gemordet, und ich habe Eros nicht vergessen. Was ist die Liebe anders als das Bedürfnis des Fleisches? Warum sollte sie höher stehen als andere Forderungen des Körpers? Mache den Hunger zu einem Gott! Mache die Müdigkeit zu einem Gott! Sie sind ebenso würdig. Aber diese Torheiten sollen ein Ende haben! Die Wahrheit soll leben!«
Da senkt die junge Gräfin das Haupt. So ist es nicht. Es ist nicht wahr, dies, aber sie kann nicht mit ihm streiten.
»Deine Worte haben meine Seele verwundet,« sagt sie, »aber noch glaube ich dir nicht. Die Götter des Hasses und der Rachsucht könnt ihr töten, aber nur sie.«
Aber der Alte ergreift ihre Hand, legt sie auf das Buch und erwidert mit dem Fanatismus des Unglaubens:
»Wenn du dies gelesen hast, mußt du glauben!«
»Dann möge es mir niemals vor Augen kommen,« sagt sie, »denn wenn ich es glaube, kann ich nicht leben.«
Und sie verläßt den Philosophen, in Kummer versunken. Er aber sitzt lange da und grübelt, nachdem sie gegangen ist. –
Diese alten Hefte, dicht beschrieben mit gotteslästerlichen Worten, sind noch nicht von der Welt geprüft. Noch hat Onkel Eberhards Name die Zinnen des Ruhmes nicht erklommen.
Sein großes Werk liegt verwahrt in einer Truhe in der Rumpelkammer unter der Pulpiturtreppe in der Svartsjöer Kirche; erst am Ausgang des Jahrhunderts soll es ans Licht kommen.
Aber warum hat er das getan? Fürchtete er seine Behauptungen nicht beweisen zu können? War er bange vor Verfolgungen? Ach – ihr kennt Onkel Eberhard nicht.
So sollt ihr es denn wissen! Die Wahrheit hat er geliebt, nicht seine eigene Ehre; darum hat er diese, nicht jene geopfert, damit das Kind, das er wie ein Vater geliebt hat, im Glauben an das sterben kann, was es geliebt hat!
O Liebe, du bist der in Wahrheit Ewige!
Das Mädchen aus Nygaard
Niemand kennt den Fleck unter dem Berge, wo die Tannen am dichtesten wachsen und wo eine dicke Schicht aus weichem Moos die Erde bedeckt. Wie sollte auch wohl jemand den kennen? Er ist nie zuvor von Menschen betreten worden. Kein Fußpfad führt zu dem verborgenen Fleck. Felsblöcke türmen sich ringsumher auf, engverflochtene Wacholderzweige bewachen ihn, dürres Reisig und umgestürzte Baumstämme versperren den Weg, der Hirte kann ihn nicht finden, der Fuchs verachtet ihn. Es ist der einsamste Fleck im Walde, und nun suchen Tausende von Menschen danach.
Welch ein unendlicher Zug von Suchenden! Sie würden die Kirche von Bro füllen und die von Löfviks und von Svartsjö noch obendrein. Welch ein unendlicher Zug von Suchenden!
Kinder, die keine Erlaubnis erhalten, sich dem Zuge anzuschließen, stehen am Wege oder sitzen auf den Zäunen und Hecken, überall, wo der Zug vorüberkommt. Die Kleinen haben gar nicht geglaubt, daß es so viele Menschen auf der Welt gibt, so eine unendliche Menge. Wenn sie groß sind, werden sie sich noch dieser langen, wogenden Menschenflut erinnern. Ihre Augen werden sich mit Tränen füllen nur bei der Erinnerung an das Überwältigende, diesen unendlichen Zug den Weg entlang ziehen zu sehen, wo man sonst den ganzen Tag hindurch nichts zu sehen pflegte als einige einsame Wanderer, Bettler oder einen Bauernwagen.
Alle, die am Wege wohnen, fahren auf und fragen: »Ist ein Unglück über das Land hereingebrochen? Ist der Feind hereingerückt? Wohin geht ihr, ihr Wandersleute, wohin geht ihr?«
»Wir suchen!« antworten sie. »Wir haben zwei Tage gesucht. Wir wollen auch heute noch suchen; länger können wir es nicht aushalten. Wir wollen den Wald von Björne durchsuchen und die tannenbewachsenen Höhen westlich von Ekeby.«
Der Zug ist von Nygaard, einem armen Dorf in den östlichen Bergen, ausgegangen. Das hübsche junge Mädchen mit dem dicken schwarzen Haar und den roten Wangen ist seit acht Tagen verschwunden gewesen. Das Besenmädchen, das Gösta Berling zu seiner Braut machen wollte, hat sich in den großen Wäldern verirrt. Seit acht Tagen hat niemand sie gesehen. Da brachen die Leute aus Nygaard auf, um sie zu suchen. Und alle Menschen, denen sie begegneten, gingen mit, um zu suchen. Aus jedem Hause kamen Menschen, um sich dem Zug anzuschließen.
Da geschieht es denn häufig, daß ein Neuhinzugekommener fragt: »Ihr Männer von Nygaard, woher kommt dies alles? Weshalb ließet ihr das hübsche Mädchen allein auf fremden Wegen gehen? Der Wald ist tief, und Gott hat ihr ihren Verstand genommen.«
»Ihr fügt niemand ein Leid zu,« antworteten sie dann, »und sie tut niemand ein Leid. Sie geht so sicher wie ein Kind. Wer geht wohl sicherer als der, den Gott selber bewachen muß? Sie ist sonst stets zurückgekommen.«
So ist der suchende Zug durch die östlichen Wälder gezogen, die Nygaard von der Ebene trennen. Jetzt, am dritten Tage, zieht er an der Broer Kirche vorüber, den westlich von Ekeby gelegenen Wäldern zu.
Aber wohin der Zug kommt, braust ihnen auch ein Sturm des Staunens entgegen, stets muß ein Mann aus der Schar zurückbleiben, um die Fragen: »Was wollt ihr? Was sucht ihr?« zu beantworten.
»Wir suchen das blauäugige, schwarzhaarige junge Mädchen. Sie hat sich in den Wald gelegt, um zu sterben. Sie ist acht Tage lang fortgewesen.«
»Weshalb hat sie sich in den Wald gelegt, um zu sterben? War sie hungrig? War sie unglücklich?«
»Nein, Not hat sie nicht gelitten, aber ein Unglück hat sie in diesem Frühling betroffen. Sie hat den tollen Pfarrer, Gösta Berling, gesehen und ihn mehrere Jahre hindurch geliebt. Sie wußte es nicht besser. Gott hat ihr den Verstand genommen.«
»Ja, Gott hat sie ihres Verstandes beraubt, ihr Männer von Nygaard.«
»In diesem Frühling traf das Unglück ein. Bis dahin hatte er sie niemals gesehen. Da sagte er zu ihr, daß sie seine Braut sein solle. Es war nur ein Scherz; er ließ sie wieder laufen, aber sie konnte sich gar nicht trösten. Sie kam stets nach Ekeby zurück. Sie folgte ihm auf den Fersen, wohin er auch ging. Er ward ihrer überdrüssig. Als sie zuletzt da war, hetzten sie die Hunde auf sie. Seither hat niemand sie gesehen.«
Auf, ihr Männer! Es gilt ein Menschenleben. Ein Mensch hat sich in den Wald gelegt, um zu sterben. Vielleicht ist sie schon tot. Oder vielleicht wandert sie noch da draußen herum und kann den rechten Weg nicht finden. Der Wald ist groß, und ihr Verstand ist bei Gott.
Schließet euch dem Zuge an, kommt mit! Laßt den Hafer in Hocken stehen, bis die dünnen Körner aus den Ähren fallen, laßt die Kartoffeln in der Erde verfaulen; laßt die Pferde los, damit sie nicht im Stall verdursten; laßt die Tür zum Kuhstall offen stehen, so daß die Kühe die Nacht unter Dach kommen können; nehmt die Kinder mit, denn die Kinder gehören Gott. Gott ist mit den Kleinen; er leitet ihre Schritte. Sie sollen helfen, wo menschliche Klugheit zu Ende ist.
Kommt alle, Männer, Frauen und Kinder! Wer wagt es, zu Hause zu bleiben? Wer kann wissen, ob Gott sich nicht gerade seiner bedienen will? Kommt herbei, alle, die ihr der Barmherzigkeit bedürft, damit eure Seele nicht einstmals hilflos auf den dürren Stätten umherschwanken muß, ohne Ruhe finden zu können. Kommt! Gott hat ihr den Verstand genommen, und der Wald ist groß.
Ach, wer kann den Fleck finden, wo die Tannen am dichtesten stehen, wo das Moos am weichsten ist? Liegt dort nicht etwas Dunkles hart an der Bergwand? Ach, ein Ameisenhaufen. Gelobt sei, der den Weg der Toren lenkt! Es ist nichts anderes!
Welch ein Zug! Kein feierlich geschmückter Festzug, der den Sieger begrüßt, der Blumen auf seinen Weg streut und seine Ohren mit Jubelrufen erfüllt, kein Pilgerzug mit Psalmengesang und sausenden Geißelschlägen auf dem Wege nach dem Heiligen Grabe, kein Auswandererzug auf knirschenden Lastwagen, der auszieht, um neue Behausungen für die Menschen in ihrer Not zu suchen, keine Armee mit Trommeln und Waffen; es sind nur Bauern in Arbeitskleidern aus Beiderwand mit vertragenen Schurzfellen, nur ihre Frauen mit Strickstrümpfen in der Hand, die Kinder auf dem Rücken oder an den Röcken hängend.
Es ist groß, Menschen zu großen Zielen vereint zu sehen. Laßt sie ausziehen, um ihre Wohltäter zu begrüßen, um ihren Gott zu preisen, um neuen Erdboden zu suchen, um ihr Land zu verteidigen; laßt sie ziehen! Diese Menschen aber hat kein Hunger, keine Gottesfurcht, kein Unfriede ausgetrieben. Ihre Mühe ist vergeblich, ihre Arbeit ohne Lohn, sie ziehen nur aus, um eine Irrsinnige zu finden. Wie viele Schweißtropfen, wie viele Schritte, wie viele Gebete dies auch kosten mag, sie haben doch keinen andern Lohn als den, eine arme Irrsinnige wiederzufinden, deren Verstand bei Gott ist.
Kann man umhin, dies Volk zu lieben? Müssen nicht jeden, der sie hat vorüberziehen sehen, die Tränen in die Augen treten, wenn er sie sich im Geiste zurückruft, diese Männer mit den scharfen Zügen und den harten Händen, Frauen mit vor der Zeit gefurchten Stirnen und diese Kinder, die Gott an den rechten Ort leiten sollte?
Er füllt die Landstraße, dieser Zug aus traurig Suchenden. Mit ernsten Blicken sehen sie den Wald an; mit finstern Mienen wandern sie dahin, denn sie wissen, daß sie mehr Aussicht haben, eine Tote zu finden als eine Lebende.
Ach, das Schwarze dort unter der Bergwand, ist es doch wohl kein Ameisenhaufen – aber vielleicht ein umgestürzter Baum? Gelobt sei Gott, es ist nur ein umgestürzter Baum. Aber so genau kann man es ja nicht sehen, da die Tannen so dicht nebeneinander stehen.
So lang ist der Zug, daß die Vordersten, die starken Männer, schon am Walde westlich von Björne angelangt sind, während die letzten, die Krüppel und die schwachen Greise und die Frauen, die ihre kleinen Kinder tragen, kaum an der Brobyer Kirche vorüber sind.
Und dann verschwindet dieser ganze wogende Zug in den finstern Wald. Die Morgensonne leuchtet ihm unter die Tannen – die sinkende Sonne des Abends wird den Scharen begegnen, wenn sie aus dem Walde kommen.
Es ist der dritte Tag, daß sie suchen. Sie sind an diese Arbeit gewöhnt. Sie suchen unter der steilen Felswand, wo der Fuß gleitet, unter den umgewehten Bäumen, wo man leicht Arm und Bein brechen kann, unter den Zweigen der dichten Tannen, die über das weiche Moos herabhängen und zur Ruhe einladen.
Das Versteck des Bären, die Höhle des Fuchses, der unterirdische Bau des Dachses, der schwarze Boden, auf dem der Kohlenmeiler gestanden hat, der rote Kronsbeerenberg, die Tanne mit den weißen Nadeln, der Berg, den der Waldbrand vor einem Monat heimgesucht hat, der Stein, der von dem Riesen dahin geworfen war, das alles haben sie gefunden, nicht aber den Fleck an der Bergwand, wo das Schwarze liegt. Niemand ist dort gewesen, um zu sehen, ob es ein Ameisenhaufen ist oder ein Baumstamm oder ein Mensch. Ach, es ist sicher ein Mensch, aber niemand ist dort gewesen, niemand hat sie gesehen.
Die Abendsonne sieht sie auf der anderen Seite des Waldes herauskommen, aber das junge Mädchen, dessen Verstand Gott genommen hat, ist nicht gefunden. Was sollen sie nun tun? Sollen sie den Wald noch einmal durchsuchen? Der Wald ist gefährlich im Dunkeln; dort liegen bodenlose Moore und steile Felsklüfte. Und was können sie, die nichts fanden, als die Sonne schien, wohl jetzt finden, wo sie fort ist?
»Laßt uns nach Ekeby gehen!« ruft einer aus der Schar.
»Laßt uns nach Ekeby gehen!« rufen sie alle. »Laßt uns nach Ekeby gehen!«
»Laßt uns diese Kavaliere fragen, weshalb sie die Hunde auf eine losließen, deren Verstand Gott genommen hatte, weshalb sie eine Irrsinnige zur Verzweiflung trieben. Unsere armen, hungrigen Kinder weinen, unsere Kleider sind zerrissen, das Korn steht in Hocken, bis die Kerne aus den Hülsen fallen, die Kartoffeln verfaulen in der Erde, unsere Pferde laufen wild umher, unsere Kühe sind ohne Pflege, wir selber sind nahe daran, vor Müdigkeit zu vergehen – und das alles ist ihre Schuld. Laßt uns nach Ekeby gehen und Gericht über sie halten! Laßt uns nach Ekeby gehen!
»In diesem Jahr der Verdammung müssen wir Bauern alles ausbaden. Gottes Hand ruht schwer auf uns; der Winter wird uns Hungersnot bringen. Wen suchet Gottes Hand? Der Pfarrer von Broby war es nicht. Seine Gebete konnten noch zu dem Thron des Höchsten hinaufdringen. Wer kann es wohl anders sein als diese Kavaliere? Laßt uns nach Ekeby gehen!
»Sie haben das Gut ruiniert, sie haben die Majorin als Bettlerin auf die Landstraße getrieben. Es ist ihre Schuld, daß wir ohne Arbeit sind. Es ist ihre Schuld, daß wir hungern müssen. Die Not ist ihr Werk. Laßt uns nach Ekeby gehen!«
Und dann eilen finstere, erbitterte Männer gen Ekeby, hungrige Frauen mit weinenden Kindern auf dem Arm folgen ihnen, zuletzt kommen die Krüppel und die schwachen Alten. Und die Erbitterung fließt wie ein wachsender Strom durch die Reihen, von den Alten geht er auf die Frauen und von den Frauen auf die starken Männer an der Spitze des Zuges über.
Die Herbstflut kommt! Entsinnt ihr euch der Frühlingsflut, Kavaliere? Jetzt kommen neue Wogen von den Bergen herabgebraust, jetzt geht eine neue Zerstörung über Ekebys Ehre und Macht dahin.
Ein Tagelöhner, der das Feld am Wege pflügt, hört das wütende Schreien der Menge. Er spannt eins der Pferde aus, setzt sich darauf und sprengt von dannen nach Ekeby. »Das Unglück kommt!« ruft er. »Die Bären kommen! Die Wölfe kommen! Die bösen Geister kommen und nehmen Ekeby!«
Er reitet im Hofe umher, außer sich vor Entsetzen. »Alle bösen Geister des Waldes sind los!« ruft er. »Sie kommen und stecken den Hof in Brand und schlagen die Kavaliere tot.« Und hinter ihm hört man das Getöse und das Gebrüll der vorwärtsstürmenden Menschenscharen. Die Herbstflut braust herab gen Ekeby!
Weiß sie denn, was sie will, diese vorwärtsstürmende Flut der Erbitterung? Will sie Feuer, will sie Mord, will sie Plünderung?
Es sind keine Menschen, die kommen, es sind die bösen Geister des Waldes, die wilden Tiere der Einöde. Wir finsteren Mächte, die wir uns unter der Erde verborgen halten müssen, wir sind eine einzige, selige Stunde frei. Die Rache hat uns losgelöst.
Es sind die Geister der Berge, die das Erz gebrochen haben; es sind die Geister des Waldes, die Bäume gefällt, die den Meiler bewacht haben; es sind die Geister des Feldes, die das Korn wachsen ließen: sie sind frei, sie gebrauchen ihre Kräfte zur Zerstörung. Tod über Ekeby! Tod über die Kavaliere!
Hier fließt der Branntwein in Strömen. Hier liegt das Gold in den Kellergewölben aufgestapelt. Hier sind die Vorratskammern voll Korn und Fleisch. Weshalb sollen die Kinder der Gerechten hungern und die Übeltäter im Überfluß leben?
Jetzt aber ist ihre Zeit vorbei. Das Maß ist voll, Kavaliere! Ihr Lilien, die ihr niemals gesponnen habt, ihr Vögel, die ihr nie in die Scheuer gesammelt habt, das Maß ist voll! Im Walde liegt sie, die richtet; wir sind ihre Gesandten. Es ist kein Amtmann, kein Hardesvogt, der euer Urteil fällt. Sie, die im Walde liegt, hat euch gerichtet.
Die Kavaliere stehen oben im Hauptgebäude und sehen die Leute kommen. Sie wissen schon, wessen sie angeklagt sind. Ausnahmsweise sind sie einmal unschuldig. Wenn sich das arme Mädchen im Walde hingelegt hat, um zu sterben, so geschah das nicht, weil sie die Hunde auf sie hetzten – das haben sie niemals getan –, sondern weil Gösta Berling sich vor acht Tagen mit Gräfin Elisabeth verheiratet hat.
Aber was kann es nützen, mit diesen rasenden Menschen zu reden? Sie sind müde, sie sind hungrig, die Rache reizt sie, die Raublust spornt sie an. Sie kommen mit wilden Rufen herbeigestürzt, und vor ihnen her reitet der Tagelöhner, den der Schreck wahnsinnig gemacht hat. »Die Bären kommen, die Wölfe kommen, die bösen Geister kommen und nehmen Ekeby!«
Die Kavaliere haben die junge Gräfin in dem innersten Zimmer verborgen. Löwenberg und Onkel Eberhard sollen dort sitzen und sie bewachen; die übrigen gehen hinaus zu der Volksmenge. Sie stehen auf der Treppe vor dem Hauptgebäude, unbewaffnet und lächelnd, als der erste lärmende Schwarm bis zu ihnen herandringt.
Und die Leute stehen still vor dieser kleinen Schar ruhiger Männer. Es sind einzelne unter ihnen, die sie in ihrer glühenden Erbitterung gern zu Boden geworfen und mit ihren eisenbeschlagenen Absätzen totgetreten hätten, wie die Leute im Bergwerk zu Sund es vor fünfzig Jahren mit dem Verwalter und dem Inspektor getan haben; aber sie waren auf verschlossene Türen, auf kühn erhobene Waffen gefaßt gewesen, sie hatten Widerstand und Streit erwartet.
»Liebe Freunde,« sagen die Kavaliere, »liebe Freunde, ihr seid müde und hungrig, eßt einen Bissen Brot und kostet vor allen Dingen den auf Ekeby gebrauten Branntwein.«
Der Schwarm will nicht von dergleichen hören, man heult und droht; die Kavaliere aber nehmen es nicht übel.
»Wartet nur,« sagen sie, »wartet nur einen Augenblick! Seht, Ekeby steht euch offen, die Kellertür ist geöffnet, das Vorratshaus ist offen, die Milchstube steht offen. Eure Frauen sind nahe daran, vor Müdigkeit umzusinken, die Kinder schreien. Erst wollen wir ihnen Speise und Trank schaffen, hinterdrein könnt ihr uns totschlagen. Wir laufen euch nicht weg. Aber wir haben den ganzen Boden voller Äpfel, die wollen wir für eure Kinder holen.«
Eine Stunde später ist das Fest auf Ekeby in vollem Gange; das größte Fest, das je auf dem stolzen Gut stattgefunden hat, wird in der Herbstnacht beim Schein des großen, hellen Vollmonds gefeiert.
Die Holzstapel sind herabgerissen und angezündet; über dem ganzen Hof flammt ein Feuer neben dem andern. Die Leute sitzen in Gruppen da und genießen die Wärme und die Ruhe, während alle Güter der Erde über sie ausgegossen werden.
Tüchtige Männer sind in die Scheunen und Ställe gegangen und haben geholt, was man nötig hatte. Kälber und Schafe sind geschlachtet und im Handumdrehen gebraten. Diese Hunderte von hungrigen Menschen verschlingen die Speisen. Ein Tier nach dem andern wird herausgeführt und geschlachtet. Es sieht so aus, als sollten alle Ställe über Nacht geleert werden.
Man hatte gerade in den Tagen große Herbstbäckerei auf Ekeby gehalten. Seit die junge Gräfin dort weilte, waren die häuslichen Arbeiten in vollem Gange. Es war, als denke die junge Frau keinen Augenblick daran, daß sie jetzt die Gattin Gösta Berlings sei. Weder er noch sie sprachen ein Wort darüber, dahingegen machte sie sich zur Herrin von Ekeby. Sie suchte, wie jede gute, tüchtige Frau es tut, mit brennendem Eifer der Verschwendung und der Nachlässigkeit abzuhelfen, die auf dem Hofe herrschte. Und man gehorchte ihr. Die Leute empfanden ein gewisses Wohlbehagen, wieder unter einer Hausfrau zu stehen.
Aber was half es jetzt, daß sie den Küchenboden hatte mit Brot anfüllen lassen, daß sie für Butter und Bier gesorgt hatte, daß man den ganzen September hindurch, solange sie dort war, Käse bereitet hatte? Was half das alles jetzt?
Herausgerückt mit allem, was da ist, damit die Leute Ekeby nicht abbrennen und die Kavaliere nicht totschlagen. Her mit Tonnen und Fässern, her mit den Schinken vom Rauchboden, mit den Branntweinfässern, mit den Äpfeln!
Wie kann Ekebys ganzer Reichtum wohl verschlagen, um den Zorn der Bauern zu mildern? Können wir sie von hier fortbekommen, ohne daß eine Missetat geschehen ist, so müssen wir uns freuen.
Alles, was geschieht, geschieht doch schließlich nur um derer willen, die jetzt Herrin in Ekeby ist. Die Kavaliere sind mutige und waffenkundige Männer; sie würden sich verteidigt haben, wenn es nach ihrem eigenen Kopf gegangen wäre. Sie würden diese raubgierigen Scharen lieber mit einigen scharfen Schüssen abgeschreckt haben – wäre es nicht um ihretwillen unterblieben, die mild ist und sanft, die für die Leute bittet.