Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», sayfa 7

Yazı tipi:

Zum erstenmal in ihrem Leben trat ihr Unbarmherzigkeit und Härte entgegen. Ihre Mutter wollte nicht einmal aus ihrem Bette aufstehen, um sie zu erretten. Alte, treue Diener, die ihre ersten Schritte geleitet hatten, hörten sie und rührten keine Hand für sie.

Für welch ein Verbrechen wurde sie denn gestraft? Wo durfte sie auf Barmherzigkeit hoffen, wenn nicht an dieser Tür? Wenn sie einen Menschen gemordet hätte, würde sie dennoch angepocht haben im festen Glauben, daß die da drinnen ihr verzeihen würden. Wenn sie zu dem erbärmlichsten von allen Wesen herabgesunken und elend in Lumpen verkommen wäre, so würde sie dennoch an diese Tür geklopft und einen liebevollen Empfang erwartet haben. Diese Tür war der Eingang zu ihrem Heim – hinter dieser Tür konnte ihrer nur Liebe harren.

Hatte ihr Vater sie denn jetzt nicht genugsam geprüft? Würde er ihr nicht bald öffnen?

»Vater, Vater!« rief sie. »Laß mich ein! Mich friert, ich zittere vor Kälte. Es ist entsetzlich hier draußen!«

»Mutter, Mutter! Die du so viele Schritte mir zuliebe getan, die du so viele Nächte meinetwillen gewacht hast, weshalb schläfst du jetzt? Mutter, Mutter, so wache doch noch diese eine Nacht, und ich will dir nie wieder Kummer bereiten.«

Sie ruft und versinkt dann in atemloses Schweigen, um einer Antwort zu lauschen. Niemand aber hörte sie, niemand gehorchte ihr, niemand antwortete.

Da ringt sie die Hände in wilder Angst, aber ihre Augen haben keine Tränen.

Das lange dunkle Haus mit seinen verschlossenen Türen und schwarzen Fenstern liegt unheimlich, unbeweglich da in der Nacht. Was sollte jetzt nur aus ihr werden, heimatlos wie sie war? Gebrandmarkt, entehrt war sie, solange der Himmel dieser Erde sich über ihr wölbte. Und ihr Vater selber drückte ihr dies glühende Eisen auf die Schulter!

»Vater!« rief sie noch einmal, »was soll aus mir werden? Die Menschen werden das Schlimmste von mir glauben.«

Sie weinte und jammerte, ihr Körper war starr vor Kälte.

Ach, daß ein solcher Jammer über einen Menschen hereinbrechen kann, der eben noch so hoch stand! Ach, es gehört nicht viel dazu, um in das tiefste Elend gestürzt zu werden! Muß uns nicht bange werden vor dem Leben? Wer sitzt in einem sicheren Fahrzeug? Rings um uns her wogt die Sorge gleich einem stürmischen Meer; begehrlich lecken die Wogen an den Seiten des Schiffleins herauf, siehe, sie brausen auf, um es zu überwältigen. Kein sicherer Halt, kein fester Boden, kein zuverlässiges Fahrzeug, soweit das Auge reicht, nur ein unbekannter Himmel über einem Meer von Kummer. –

Aber horch! endlich, endlich! Über die Diele nahen leichte Schritte.

»Bist du es, Mutter?« fragt Marianne.

»Ja, mein Kind.«

»Kann ich jetzt hineinkommen?«

»Der Vater will dich nicht einlassen.«

»Ich bin in meinen dünnen Schuhen von Ekeby bis hierher durch den Schnee gelaufen. Ich habe hier eine Stunde gestanden und gerufen. Ich friere tot hier draußen. Weshalb seid ihr mir fortgefahren?«

»Mein Kind, mein Kind, weshalb küßtest du Gösta Berling?«

»Aber so sage dem Vater doch, daß ich ihn deswegen nicht liebe. Es war ja ein Spiel. Glaubt er, daß ich Gösta heiraten will?«

»Geh auf den Pachthof hinab, Marianne, und bitte, daß sie dich dort für die Nacht aufnehmen. Der Vater ist trunken. Er will keine Vernunft annehmen. Er hat mich oben gefangen gehalten. Ich schlich hinaus, als ich glaubte, daß er schliefe. Er schlägt dich tot, wenn du ins Haus kommst.«

»Mutter, Mutter, soll ich zu Fremden gehen, wenn ich ein Heim habe? Ist denn meine Mutter ebenso hart wie mein Vater? Wie kannst du es nur zugeben, daß ich ausgeschlossen werde? Ich lege mich hier draußen in den Schnee, wenn du mich nicht einläßt!«

Da legte Mariannens Mutter die Hand auf das Schloß, um zu öffnen. Im selben Augenblick aber wurden schwere Tritte auf der Treppe hörbar, und eine scharfe Stimme rief nach ihr.

Marianne lauschte, ihre Mutter eilte von dannen, die scharfe Stimme schalt sie aus – und dann –

Marianne hörte etwas Entsetzliches – sie konnte jeden Ton hören in dem stillen Haus.

Sie hörte den Schall eines Schlages, eines Stockschlages oder einer Ohrfeige, dann vernahm sie ein schwaches Geräusch und dann abermals einen Schlag.

Er schlug ihre Mutter, der schreckliche, der riesenhafte Melchior Sinclaire schlug seine Frau!

Und in bleichem Entsetzen warf sich Marianne auf die Türschwelle nieder und wand sich in ihrer Angst. Jetzt weinte sie und ihre Tränen gefroren zu Eis auf der heimatlichen Schwelle.

Gnade und Erbarmen! Öffnet, öffnet, damit sie hineinkommen und ihren Rücken unter den Schlägen beugen kann! Ach, daß er ihre Mutter schlagen kann, weil sie ihre Tochter nicht im Schnee erfrieren lassen will, weil sie ihr Kind trösten wollte!

Tief erniedrigt ward Marianne in jener Nacht. Sie hatte geträumt, daß sie eine Königin sei, und lag nun dort, nicht viel besser als eine gepeitschte Sklavin.

Aber sie erhob sich in kaltem Zorn. Noch einmal schlug sie ihre blutige Hand gegen die Tür und rief: »Höre, was ich dir sage, du, der du meine Mutter schlägst. Du sollst weinen, Melchior Sinclaire, weinen sollst du!«

Dann ging die schöne Marianne hin und legte sich in den Schnee zur Ruhe. Sie warf den Pelz ab und lag dort in ihrem schwarzen Sammetkleide, das sich von dem weißen Schnee grell abhob. Sie lag da und malte es sich aus, wie ihr Vater am nächsten Tage bei seiner frühen Morgenwanderung herauskommen und sie dort finden würde. Sie hatte nur den einen Wunsch, daß er selber sie finden möge.

O Tod, bleicher Freund, ist es denn ebenso wahr, wie es tröstlich ist, daß ich nie umhin kann, dir zu begegnen. Auch zu mir, dem saumseligsten von den Arbeitern der Erde, kommst du einmal, ziehst den verschlissenen Lederschuh von meinem Fuß, reißest mir den Breilöffel und die Mehltonne aus der Hand, nimmst mir die Arbeitskleider vom Leibe. Mit sanfter Hand streckst du mich auf das spitzenverzierte Lager und schmückst mich mit langen, gestickten Linnenkleidern.

Meine Füße bedürfen der Schuhe nicht mehr, aber meine Hände werden mit schneeweißen Handschuhen bedeckt, die keine Arbeit beschmutzen soll. Von dir der süßen Ruhe geweiht, schlafe ich einen tausendjährigen Schlaf.

O Erlöser! der saumseligste von den Arbeitern der Erde bin ich, und ich träume mit einem Schaudern von Wollust von dem Augenblick, in dem ich in dein Reich aufgenommen werden soll.

Bleicher Freund, an mir kannst du gern deine Kraft üben, aber ich sage dir, härter war der Kampf gegen die Frauen entschwundener Zeiten! Die Lebenskräfte waren stark in ihren schlanken Körpern, keine Kälte konnte ihr warmes Blut kühlen.

Du hattest die schöne Marianne auf dein Lager gelegt, o Tod, und du saßest an ihrer Seite, wie ein altes Kindermädchen an der Wiege sitzet, um das Kind in Schlaf zu lullen. Du treue alte Amme, die du weißt, was gut ist für die Kinder der Menschen, wie muß es dich nicht erbosen, wenn die Spielgefährten mit Lärm und Getöse kommen und dein halbschlummerndes Kind aufwecken. Wie konntest du anders als zürnen, als die Kavaliere die schöne Marianne von dem Lager aufhoben, als ein Mann sie an seine Brust preßte und warme Tränen aus seinen Augen auf ihr Antlitz fielen.

Auf Ekeby waren alle Lichter gelöscht, alle Gäste hatten sich verabschiedet. Die Kavaliere standen oben im Kavalierflügel allein um die letzte, halbgeleerte Punschbowle.

Da schlug Gösta an die Bowle und hielt eine Rede auf euch, ihr Frauen entschwundener Zeiten. Von euch zu reden, sagte er, sei, als rede man vom Himmelreich, eitel Schönheit wäret ihr, eitel Licht. Ewig jung, ewig schön wäret ihr und milde wie die Augen einer Mutter wenn sie ihr Kind anschaut. Weich wie die jungen Eichhörnchen hinget ihr an dem Halse des Gatten. Niemals hörte man eure Stimme im Zorn erbeben, niemals legte sich eure Stirn in Falten, eure weiche Hand wurde niemals rauh und hart. Sanfte Heilige wäret ihr, geschmückte Bildsäulen im Tempel des Hauses. Die Männer lägen euch zu Füßen, opferten euch Räucherwerk und Gebete. Durch euch verrichte die Liebe ihre Wunder, um eure Stirn schlänge die Poesie ihren goldstrahlenden Glorienschein.

Und die Kavaliere sprangen auf, wirr vom Wein, wirr von seinen Worten, ihr Blut wallte auf vor Festesfreude. Der alte Onkel Eberhard und der träge Vetter Kristoffer hielten sich nicht zurück von dem Scherz. In fliegender Eile spannten die Kavaliere Pferde vor die Schlitten und eilten hinaus in die kalte Nacht, um denen noch eine Huldigung zu bringen, denen man niemals genügend huldigen kann, um einer jeden von denen, deren rote Wangen und helle Augen vor wenigen Stunden in Ekebys großen Sälen gestrahlt hatten, eine Serenade zu bringen.

Aber die Kavaliere kamen nicht weit auf diesem Zuge, denn gleich, als sie nach Björne kamen, fanden sie die schöne Marianne an der Türe ihres Heims im Schnee liegen.

Sie schauderten und ergrimmten, als sie sie daliegen sahen. Es war, als hätten sie ein angebetetes Heiligenbild zertrümmert und beraubt vor der Kirchentür gefunden, es war, als habe ein Missetäter den Bogen einer Stradivarius-Geige zerbrochen und die Saiten zerrissen.

Gösta drohte mit geballter Faust in der Richtung nach dem dunklen Hause zu. »Ihr Kinder des Hasses!« rief er; »ihr Hagelschauer, ihr Nordwinde, ihr Zerstörer von Gottes Paradies!«

Beerencreutz zündete seine Hornlaterne an und beleuchtete das totenbleiche Antlitz. Da sahen die Kavaliere Mariannens zerfleischte Hände und die Tränen, die in ihren Wimpern gefroren waren, und sie jammerten wie die Weiber; denn sie war doch nicht nur ein Heiligenbild und ein Saitenspiel, sondern eine schöne Frau, die ihrem alten Herzen eine Freude gewesen war.

Gösta Berling warf sich neben sie auf die Knie.

»Hier liegt sie nun, meine Braut!« sagte er. »Vor wenigen Stunden gab sie mir den Brautkuß, und ihr Vater hat mir seinen Segen versprochen. Sie liegt und wartet, daß ich kommen und ihr weißes Bette teilen soll.«

Und Gösta hob die Leblose auf seine starken Arme.

»Heim, mit ihr nach Ekeby!« rief er. »Jetzt ist sie die Meine! Im Schnee habe ich sie gefunden, jetzt soll niemand sie mir wieder nehmen. Die da drinnen wollen wir nicht wecken. Was hat sie hinter den Türen zu tun, gegen die sie ihre Hände blutig geschlagen hat?«

Und sie willfahrteten ihm. Er legte Mariannen in den ersten Schlitten und setzte sich neben sie. Beerencreutz stellte sich hinten auf und ergriff die Zügel.

»Nimm Schnee und reibe sie damit, Gösta!« befahl er.

Die Kälte hatte ihre Glieder gelähmt, das war alles. Das wilde, unbändige Herz schlug noch. Sie hatte nicht einmal das Bewußtsein verloren, sie war sich ganz klar darüber, wie die Kavaliere sie gefunden hatten, aber sie konnte sich nicht rühren. So lag sie steif und unbeweglich im Schlitten, während Gösta Berling sie mit Schnee rieb und abwechselnd weinte und sie küßte. Sie empfand ein unsagbares Verlangen, nur eine Hand so weit erheben zu können, um seine Liebkosung zu erwidern.

Sie erinnerte sich alles dessen, was geschehen war, lag starr und unbeweglich da und dachte so klar wie nie zuvor. Liebte sie Gösta Berling? Ja, das tat sie. War es nur eine Laune, die mit dem heutigen Abend gekommen war und ebenso schnell wieder schwinden würde? Nein, sie hatte ihn schon lange geliebt – seit vielen Jahren.

Sie verglich sich selber mit ihm und mit den andern Menschen in Wermland. Sie waren alle unmittelbar wie die Kinder. Jedem Gelüst, das sie ankam, gaben sie nach. Sie lebten nur ein äußerliches Leben, hatten nie die Tiefen ihrer Seele erforscht. Sie aber war so geworden, wie man zu werden pflegt, wenn man sich in der Fremde unter Menschen bewegt; sie konnte sich nie ganz hingeben. Wenn sie liebte – ja, sie mochte sich noch so sehr bemühen –, so stand die eine Hälfte ihres Ich gleichsam da und schaute mit einem kalten, höhnischen Lächeln zu. Sie hatte sich nach einer Leidenschaft gesehnt, die kommen und sie in wilder Besinnungslosigkeit mit fortreißen würde. Und nun war er, der Gewaltige, gekommen. Als sie Gösta Berling auf dem Balkon küßte, da hatte sie sich selbst zum erstenmal vergessen.

Und jetzt überkam sie die Leidenschaft von neuem, ihr Herz arbeitete, so daß sie sein Pochen hören konnte. Erhielt sie denn noch immer nicht die Herrschaft über ihre Glieder zurück? Sie empfand eine wilde Freude bei dem Gedanken, aus ihrem Heim verstoßen zu sein. Jetzt wollte sie ohne Bedenken Göstas Gattin werden. Wie dumm war sie doch gewesen, wie viele Jahre hatte sie nicht ihre Liebe bekämpft. Ach, herrlich, herrlich ist es, der Liebe nachzugeben, das Brausen des Blutes zu fühlen! Würde sie denn aber nimmer, nimmer die Eisfesseln abschütteln! Bisher war sie im Innern Eis gewesen, und Feuer nach außen hin, jetzt war das Gegenteil eingetreten – in einem Eiskörper brannte eine Feuerseele.

Da fühlte Gösta, wie sich zwei Arme um seinen Hals legten, er empfand einen schwachen, kraftlosen Druck.

Er konnte ihn nur eben empfinden, Marianne aber glaubte, daß sie der in ihrem Innern eingeengten Leidenschaft in einer heftigen Umarmung Luft gemacht habe.

Als aber Beerencreutz dies sah, ließ er das Pferd auf dem wohlbekannten Wege laufen, wie es wollte. Er erhob den Blick und starrte hartnäckig und unverwandt zu dem Siebengestirn empor.

Die alten Gefährte

Freunde, Menschenkinder! Sollte der Zufall es so fügen, daß ihr dieses in später Nacht leset, so wie ich es jetzt in den stillen Nachtstunden niederschreibe, da sollt ihr nicht erleichtert aufseufzen und denken, daß die guten Herren Kavaliere sich eines ungestörten Schlafes erfreuen durften, nachdem sie mit Mariannen nach Hause gekommen und sie in ein gutes Bett in dem besten Fremdenzimmer neben dem großen Saal zur Ruhe hatten bringen lassen.

Zu Bett gingen sie freilich und in Schlaf fielen sie auch, aber es sollte ihnen nicht vergönnt sein, bis zum Mittag ruhig zu schlafen.

Denn man darf nicht vergessen, daß die alte Majorin inzwischen mit dem Bettelsack und Stab das Land durchschweifte und daß es nie ihre Art gewesen war, Rücksicht auf die Bequemlichkeit müder Sünder zu nehmen. Jetzt konnte sie das um so weniger tun, als sie beschlossen hatte, in dieser Nacht die Kavaliere aus Ekeby zu vertreiben.

Die Zeit, wo sie in Glanz und Herrlichkeit auf Ekeby gesessen und Freude über die Welt ausgestreut hatte, wie Gott Sterne über den Himmel ausstreut, die war dahin. Und während sie heimatlos im Lande umherzog, waren die Macht und die Ehre der großen Besitztümer den Händen der Kavaliere überlassen, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wind die Asche hütet, wie die Lenzsonne den Schnee hütet.

Zuweilen geschah es, daß die Kavaliere in einem langen Schlitten mit fröhlichem Schellengeläute ausfuhren. Begegnete ihnen dann die Majorin, die gleich einer Bettlerin auf der Landstraße einherwankte, so schlugen sie die Augen nicht nieder. Die lärmende Schar streckte ihr die geballten Fäuste entgegen. Durch eine schnelle Wendung des Schlittens zwangen sie sie in die hohen Schneeschanzen hinein, und Major Fuchs, der Bärenjäger, versäumte es niemals, dreimal auszuspucken, damit eine solche Begegnung keine böse Folgen habe.

Sie hatten kein Mitleid mit ihr, sie betrachteten sie wie eine böse Hexe. Wäre ihr ein Unglück zugestoßen, sie würden sich deswegen nicht mehr gegrämt haben wie jemand, der in der Walpurgisnacht eine mit Messingknöpfen geladene Büchse abfeuert, sich darüber grämt, wenn er zufällig eine vorbeifliegende alte Hexe trifft. Es war für die armen Kavaliere, als hinge ihrer Seelen Seligkeit davon ab, daß sie die Majorin verfolgten. Die Menschen haben einander oft auf das grausamste gepeinigt, wo es sich um ihrer Seelen Seligkeit handelte.

Wenn die Kavaliere spät in der Nacht vom Trinktische nach dem Fenster schwankten, um zu sehen, ob die Nacht ruhig und sternenklar war, sahen sie oft einen dunklen Schatten über den Hofplatz gleiten, dann wußten sie, daß die Majorin gekommen war, um sich nach ihrem geliebten Heim umzusehen. In solchen Augenblicken hallte der Kavalierflügel wider von dem Hohngelächter der alten Sünder, und spöttische Bemerkungen flogen durch die geöffneten Fenster bis zu ihr hinab.

Wahrlich – Herzlosigkeit und Hochmut hatten angefangen, ihren Einzug bei den armen Abenteurern zu halten. Sintram hatte Haß in ihre Herzen gesät. Wenn die Majorin ruhig in Ekeby geblieben wäre, hätten ihre Seelen nicht in größere Gefahr geraten können. Es fallen mehr Krieger auf der Flucht als in der Schlacht.

Die Majorin hegte keinen weiteren Zorn gegen die Kavaliere. Hätte sie ihre alte Macht noch gehabt, so würde sie ihnen die Rute gegeben haben wie ungezogenen Knaben, um ihnen dann hinterher wieder gut zu sein. Jetzt aber war sie in Sorge um ihr geliebtes Besitztum, das den Kavalieren preisgegeben war, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wolf die Schafe hütet.

Gar mancher hat denselben Kummer durchmachen müssen. Sie ist nicht die einzige, die es mit angesehen hat, wie sich der Verfall über ein geliebtes Heim ausbreitet, die fühlt, was es heißt, wenn uns das Heim unserer Kindheit anschaut wie ein verwundetes Wild. Manch einer fühlt sich wie ein Verbrecher, wenn er sieht, wie die Bäume von Flechten überwuchert, wie die Kiesgänge mit Gras bewachsen sind. Er möchte sich auf die Knie werfen auf diesen Feldern, die einstmals im reichen Saatenschmucke prangten, und sie bitten, ihm die Schmach nicht anzurechnen, die man ihnen angetan hat. Er wendet sich ab von den armen Pferden, es fehlt ihm an Mut, ihrem Blick zu begegnen. Er wagt es nicht, am Zauntor zu stehen, wenn die Herde von der Weide heimkehrt. Kein Fleck auf der Welt erweckt so viel bittere Regungen wie ein verfallendes Heim.

Ach, ich bitte euch alle, die ihr Felder und Wiesen und freudespendende Blumengärten habt, Sorge dafür zu tragen, sie wohl zu pflegen. Pflegt sie mit Liebe, mit Arbeit! Es ist nicht gut, wenn die Natur über die Menschen trauern muß.

Wenn ich daran denke, was das stolze Ekeby unter dem Regiment der Kavaliere leiden mußte, da wünsche ich, daß die Majorin ihr Ziel erreicht hätte, daß Ekeby den Kavalieren entrissen wäre.

Es war nicht ihre Absicht, selber wieder zur Macht zu gelangen. Sie hatte nur ein Ziel, ihr Heim von diesen Tollen zu befreien, von diesen Heuschrecken, diesen Räubern, unter deren Schritten kein Gras wächst.

Während sie bettelnd das Land durchstreifte und von Almosen lebte, mußte sie unausgesetzt an ihre Mutter denken, und in ihrem Herzen faßte der Gedanke Wurzel, daß niemals bessere Zeiten für sie kommen würden, ehe nicht ihre Mutter das Joch des Fluches von ihren Schultern genommen hatte. Niemand hatte ihr bisher den Tod der Alten vermeldet, folglich mußte sie noch da oben in den Wäldern leben. Trotz ihrer neunzig Jahre lebte sie noch in unablässiger Arbeit, sorgte im Winter für ihre Milchschüsseln und im Sommer für ihre Kohlenmeiler, bis zur Ermüdung arbeitend, sehnsuchtsvoll den Tag erwartend, an dem ihr Lebensberuf erfüllt sein würde.

Und die Majorin dachte, wenn die Alte so lange lebe, so habe das sicher den Zweck, daß sie den Fluch wieder von ihr nehmen solle. Die Mutter, die ein solches Elend über ihr Kind gebracht hatte, konnte unmöglich sterben.

So beschloß denn die Majorin, zu der Alten zu gehen, damit sie beide Ruhe finden könnten. Sie wollte durch die finsteren Wälder wandern, an dem langen Fluß entlang, bis sie das Heim ihrer Kindheit erreicht hatte. Eher konnte sie keine Ruhe finden. Gar viele boten ihr in diesen Tagen ein trautes Obdach und die Gaben einer treuen Freundschaft an, sie aber hatte keine bleibende Stätte. Barsch und zornig ging sie von Gehöft zu Gehöft, denn der Fluch bedrückte sie.

Sie wollte zu ihrer Mutter ziehen, vorerst aber wollte sie für ihr geliebtes Ekeby sorgen. Sie wollte es nicht in den Händen leichtsinniger Taugenichtse, untüchtiger Zechbrüder, gleichgültiger Verschwender der Gaben Gottes lassen. Sollte sie gehen und wiederkommen, um ihr Erbe vergeudet, ihre Schmieden leer, ihre Pferde ausgehungert und ihre Dienstboten fern zu finden? Nein, noch einmal wollte sie alle ihre Kraft zusammenraffen und die Kavaliere vertreiben!

Wohl wußte sie, daß es ihrem Gatten eine Freude war, zu sehen, wie ihr Erbe vergeudet wurde. Aber sie kannte ihn hinreichend, um zu wissen, daß er, falls sie seine Heuschrecken vertrieb, zu träge sein würde, um für andere zu sorgen. Waren die Kavaliere erst einmal fort, da würde ihr alter Verwalter und Vogt die Leitung des ganzen Betriebes übernehmen und es wieder in die gewohnten Spuren lenken.

Deswegen war ihr finsterer Schatten viele Nächte lang auf den schwarzen Wegen, die die Eisenwerke umgaben, umhergeschlichen. Sie war bei den Häuslern ein und aus gegangen, sie hatte unten im untersten Raum der großen Mühle mit dem Müller und seinen Gesellen geflüstert sie hatte in dem dunklen Kohlenschuppen mit den Schmieden Rat gepflogen.

Und alle hatten geschworen, ihr zu helfen. Die Ehre und das Ansehen des großen Besitzes sollte nicht länger den Händen ruchloser Kavaliere überlassen werden, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wind die Asche hütet, wie der Wolf die Schafe hütet.

Und in dieser Nacht, in der die munteren Herren getanzt und getrunken haben, bis sie in todesmüdem Schlaf auf ihre Betten gesunken sind – in dieser Nacht sollen sie fort. Sie hat das Maß ihres Übermutes voll werden lassen. Finsteren Blickes hat sie in der Schmiede gesessen und gewartet, bis das Fest vorüber war. Sie hat noch länger gewartet, bis die Kavaliere von ihrer nächtlichen Fahrt zurückkamen, sie hat schweigend gewartet, bis man ihr vermeldete, daß das letzte Licht im Kavalierflügel erloschen sei, daß der große Hof schlummernd daliege. Da erhob sie sich und ging hinaus. Es war bereits fünf Uhr des Morgens, noch aber wölbte die dunkle, strahlende Februarnacht sich über der Erde.

Die Majorin hieß alle Leute sich am Kavalierflügel versammeln; sie selber betrat zuerst den Hof. Sie näherte sich dem Hauptgebäude, klopfte an die Tür und ward eingelassen. Die Tochter des Pfarrers von Broby, die sie zu einem tüchtigen Dienstmädchen erzogen hatte, nahm sie in Empfang.

»Die gnädige Frau sind herzlich willkommen«, sagte sie, ihr die Hand küssend.

»Lösche das Licht!« sagte die Majorin. »Glaubst du, daß ich hier den Weg nicht ohne Licht finden kann?«

Und dann begann sie ihre Wanderung durch das stille Haus. Sie ging vom Keller bis zum Boden, um Abschied zu nehmen. Leisen Schrittes schlich sie von einem Zimmer in das andere.

Die Majorin sprach mit ihren Erinnerungen. Das Mädchen seufzte und schluchzte nicht, doch Träne auf Träne rollte ihr von den Wangen herab, während sie ihrer Herrin folgte. Die Majorin ließ sie den Leinenschrank und den Silberschrank öffnen und strich mit der Hand über die feinen Damastgedecke und über die prächtigen silbernen Kannen. Auf der Bettenkammer ließ sie die Hand über die hochaufgetürmten Daunenbetten gleiten. Alles Hausgerät – Webstühle, Spinnrocken, Garnwinden mußte sie berühren. Prüfend steckte sie die Hand in die Gewürzlade und befühlte die Reihen von Talglichten, die unter der Decke hingen.

»Die Lichte sind trocken«, sagte sie. »Sie können herabgenommen und verwahrt werden.«

In den Keller ging sie, klopfte an die Fässer und ließ die Hand über die Borde mit den Weinflaschen gleiten. Sie war in Speisekammer und Küche, sie befühlte, sie untersuchte alles. Sie streckte ihre Hand aus und nahm von allem in ihrem Hause Abschied.

Schließlich ging sie in die Zimmer. Im Speisesaal ließ sie die Hand über den großen Klapptisch gleiten.

»Gar mancher hat sich hier an diesem Tisch sattgegessen«, sagte sie.

Sie schritt durch alle Zimmer. Sie fand die langen, breiten Sofas an ihrem alten Platz, sie streichelte den kalten Marmor der Konsolen, die, von vergoldeten Greifen getragen, die kostbaren Spiegel stützten.

»Ein reiches Haus«, sagte sie. »Ein herrlicher Mann war der, der mich zur Herrin über dies alles setzte.«

In dem großen Saal, wo der Tanz noch soeben gewirbelt hatte, standen schon die hochlehnigen Armstühle wieder in steifer Ordnung an den Wänden.

Sie trat an das Klavier und schlug leise einen Ton an.

»Auch zu meiner Zeit gebrach es hier nicht an Freude und Frohsinn«, sagte sie.

Auch in das Fremdenzimmer hinter dem großen Saal ging die Majorin. Es war stockfinster. Sie tastete mit der Hand vor sich hin und berührte dabei das Gesicht des Mädchens.

»Weinst du?« fragte sie, denn ihre Hand wurde naß von Tränen.

Da schluchzte das junge Mädchen laut. »Ach, Herrin, teure Herrin,« rief sie aus, »sie zerstören alles! Weshalb ginget Ihr von uns und ließet die Kavaliere das ganze Haus zerstören?«

Die Majorin zog die Gardine zur Seite und zeigte in den Hof hinaus. »Habe ich dich gelehrt, zu weinen und zu jammern?« fragte sie. »Siehe, der Hof ist voll von Menschen; morgen wird sich nicht ein einziger Kavalier mehr in Ekeby befinden.«

»Kommt Ihr dann wieder?« fragte das Mädchen.

»Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, sagte die Majorin. »Die Landstraße ist meine Heimat, der Graben mein Bett. Aber du sollst an meiner Statt über Ekeby wachen, während ich fort bin, Mädchen.«

Und sie gingen weiter. Keins von beiden wußte oder dachte daran, daß Marianne gerade in diesem Zimmer schlief.

Sie schlief auch nicht. Sie war ganz wach, hörte alles und verstand alles. Sie hatte in ihrem Bett gelegen und eine Hymne auf die Liebe gedichtet.

»Du Herrliche, die du mich über mich selber erhoben hast«, sagte sie. »Ich lag in grenzenlosem Elend, und du hast es in ein Paradies verwandelt. An dem eisernen Schloß der verriegelten Tür hingen meine Hände fest, wurden sie mir wund gerissen; auf der Schwelle meines Hauses liegen meine Tränen zu Perlen von Eis gefroren. Die Kälte des Zornes durchschauerte mein Herz, als ich die Schläge auf den Rücken meiner Mutter hörte. In der kalten Schneeschanze wollte ich meinen Zorn verschlafen; aber da kamst du! O Liebe, du Kind des Feuers, du kamst – zu der von Kälte Durchschauerten kamst du. Wenn ich mein Elend mit der Herrlichkeit vergleiche, die mir daraus ersprossen ist, so erscheint es mir wie nichts. Losgelöst von allen Banden bin ich, habe weder Vater noch Mutter noch ein Heim mehr. Die Menschen werden alles mögliche Schlechte von mir glauben und sich von mir abwenden. Wohlan, so geschehe dein Wille, o Liebe, denn weshalb sollte ich höher stehen als mein Geliebter? Hand in Hand wollen wir in die Welt hinauswandern. Arm ist Gösta Berlings Braut. In der Schneeschanze hat er sie gefunden. So laß uns denn ein Heim zusammen gründen, nicht in den hohen Sälen, sondern in der Bauernhütte am Waldesrande. Ich will ihm helfen, den Meiler zu besorgen, ich will ihm helfen, dem Hasen und dem Birkhuhn Schlingen zu legen, ich will seine Speisen bereiten, seine Kleider flicken. O mein Geliebter, glaubst du wohl, daß ich trauern und mich sehnen werde, wenn ich allein am Waldesrande sitze und deiner harre? Das werde ich tun! Doch nicht nach den Tagen des Reichtums werde ich mich sehnen, nur nach dir will ich spähen und verlangen, nach deinen Schritten auf dem Waldpfade, nach deinem frohen Gesang, wenn du mit der Axt über dem Nacken daherkommst. O mein Geliebter, mein Geliebter! Solange mein Leben währt, könnte ich sitzen und deiner harren.« –

So hatte sie dagelegen und Hymnen an den allmächtigen Gott des Herzens gedichtet, sie hatte ihre Augen noch nicht geschlossen, als die Majorin eintrat.

Nachdem sie gegangen war, stand Marianne auf und kleidete sich an. Noch einmal mußte sie das schwarze Sammetkleid und die dünnen Ballschuhe anlegen. Sie hüllte sich in ihre Decke wie in einen Schal und eilte noch einmal in die schreckliche Nacht hinaus.

Ruhig, sternenklar und beißend kalt ruhte die Februarnacht noch über der Erde; es war, als solle sie niemals ein Ende nehmen. Und die Finsternis und die Kälte, die diese lange Nacht verbreitete, ruhte noch lange, lange, nachdem die Sonne aufgegangen war, über der Erde, noch lange, lange, nachdem die Schneeschanzen, die die schöne Marianne durchwandert hatte, zu Wasser geworden waren. –

Marianne eilte von Ekeby fort, um Hilfe zu schaffen. Sie konnte es nicht geschehen lassen, daß die Männer, die sie aus dem Schnee aufgehoben und ihr Haus und Herz geöffnet hatten, vertrieben werden sollten. Sie wollte nach Sjö hinabgehen, zu Major Samzelius. Sie mußte sich beeilen. Erst in einer Stunde konnte sie wieder zurück sein.

Als die Majorin von ihrem Heim Abschied genommen hatte, ging sie auf den Hofplatz hinaus, wo die Leute sie erwarteten, und der Kampf um den Kavalierflügel begann.

Die Majorin stellte die Leute rings um das hohe, schmale Gebäude auf, dessen oberes Stockwerk das berüchtigte Heim der Kavaliere ist. In dem großen Zimmer da oben mit den getünchten Wänden, den rotgemalten Kisten und dem großen Klapptisch, auf dem die Rabougekarten in dem verschütteten Branntwein schwimmen, wo die breiten Betten von gelbgewürfelten Vorhängen verhüllt sind, da schlafen die Kavaliere. Die Sorglosen!

Und im Stall, vor gefüllten Krippen, schlafen die Kavalierpferde und träumen von den Fahrten ihrer Jugend. Es ist schön, in Tagen der Ruhe von den wilden Taten der Jugend zu träumen, von Jahrmarktreisen, wo sie Tage und Nächte unter offnem Himmel stehen mußten, von Wettfahrten heimwärts von der Frühmesse am Weihnachtsmorgen, von der Probefahrt vor dem Pferdetausch, wenn tolle Kavaliere, die losen Zügel in der Hand, sich über den Wagen hinausbogen, über ihre Rücken und ihnen Flüche in die Ohren brüllten. Es ist schön zu träumen, wenn sie wissen, daß sie nie mehr Ekebys volle Krippen verlassen werden. Die Sorglosen!

In einem alten, verfallenen Wagenschuppen, wo unbrauchbare Wagen und abgedankte Schlitten hineingeworfen werden, befindet sich eine drollige Sammlung alter Gefährte.

Da stehen grünbemalte Korbschlitten und rot und gelb bemalte Lattenwagen. Da steht das erste Karriol, das man in Wermland gesehen hat, das Beerencreutz im Jahre 1814 als Kriegsbeute gewann. Da stehen alle erdenklichen Arten von Einspännerwagen, Giggs auf schaukelnden Schwanenhalsfedern, und da stehen Postkarren, lächerliche Martergerätschaften, deren Bock auf hölzernen Federn ruht. Da findet man sie, alle die rumpelnden Karren und Kutschen und Gefährte, mit denen unsere Großeltern auf den Landstraßen durchgerüttelt wurden. Und da steht der lange Schlitten, der zwölf Kavaliere faßt, und der Kaleschenschlitten des verfrorenen Vetters Kristoffers, und Örneclous alter Familienschlitten mit dem mottenzerfressenen Bärenfell und dem verschlissenen Familienwappen auf dem Schlag, sowie Spitzschlitten. Eine wahre Unendlichkeit von Spitzschlitten!

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
540 s. 1 illüstrasyon
Tercüman:
Telif hakkı:
Public Domain