Kitabı oku: «Liljecronas Heimat», sayfa 3
Schneewittchen
I
In der Küchenkammer zu Lövdala wurde so gekichert und geplaudert, daß die Kleine kein Auge schließen und unmöglich einschlafen konnte, obgleich sie in dieser Nacht in einem richtigen kleinen Bett schlief, das ihretwegen hereingestellt worden war.
Anna Brogren, Mamsell Maja Lisas Pflegeschwester, die den Propst Lövstedt in Ransäter geheiratet hatte, war auf Besuch gekommen und wollte über Nacht dableiben. Sie sollte eigentlich droben im Giebelzimmer schlafen; aber kaum waren der Pfarrer und die Pfarrfrau zur Ruhe gegangen, als sie auch schon in die Küchenkammer heruntergeschlichen kam.
Sie hatte wohl allein mit Mamsell Maja Lisa plaudern wollen und war höchst bestürzt, als sie die Kleine in der Küchenkammer in ihrem Bett liegen sah.
Einmal ums andere kam sie herbei, um zu sehen, ob sie schlafe. Schließlich schloß die Kleine die Augen und lag mäuschenstill, denn es war ihr sehr zuwider, daß sie den andern ein Hindernis sein sollte.
»Jetzt schläft sie ganz bestimmt«, sagte die Pröpstin, indem sie wieder das Licht ergriff und damit abermals an Noras Bett trat.
»Nein, das tut sie nicht«, versetzte die Pfarrerstochter. »Wie kannst du dir einbilden, sie habe einschlafen können, während wir immerfort geschwatzt haben?«
»Es wäre vielleicht am besten, wir verhielten uns eine Weile ganz still«, schlug Anna Brogren vor.
Nachdem sie dann kaum ein paar Minuten geschwiegen hatten, war Anna Brogren ihrer Sache sicher. Sie behauptete, das Mädchen jetzt ganz deutlich schlafen zu hören.
»Und das ist gut,« fuhr sie fort, »denn ich reise nicht eher von Lövdala weg, bis ich erfahren habe, wie hier alles steht und geht, und sollte ich auch die ganze Nacht wach bleiben müssen.«
»Sie schläft nicht, dessen bin ich ganz sicher«, sagte Mamsell Maja Lisa. »Aber wir können es auf andere Weise machen. Während wir warten, erzähle ich dir ein Märchen. Du wirst dich wohl noch an viele von den Märchen erinnern, die ich dir in früheren Zeiten erzählt habe.«
»Ich fürchte nur, daß sie dann erst recht wach wird«, erwiderte Anna Brogren; »aber mach’ es nur, wie du willst. Was für ein Märchen soll es denn sein?«
»Ich glaube, ich will dir das Märchen vom Schneewittchen erzählen.«
»Ach ja, erzähle mir das!« rief die Pröpstin, und sie sah durchaus nicht unbefriedigt aus. »Es ist lange, lange her, seit ich es zum letztenmal gehört habe.«
»Du weißt, es war einmal eine Pfarrfrau,« begann die Pfarrerstochter, »die war tiefbetrübt, weil sie keine Kinder hatte.«
»Nein, da täuschst du dich sicher«, warf die Pröpstin ein. »Es war ja eine Königin.«
»Ich habe immer gehört, es sei eine Pfarrfrau gewesen, und ich kann das Märchen nicht anders erzählen, als es lautet«, beteuerte Mamsell Maja Lisa.
Und dann erzählte sie weiter von der Pfarrfrau, die sich sosehr ein Töchterchen gewünscht hatte, das rot wie Blut und weiß wie Schnee sein sollte, die aber dann starb, sobald ihr großer Herzenswunsch in Erfüllung gegangen war.
»Ich meine aber doch, wir könnten von etwas Fröhlicherem sprechen«, sagte die Pflegeschwester.
»Ich nehme an, daß dir das Märchen wohl noch im Gedächtnis ist, deshalb spreche ich nicht weiter davon, wie es Schneewittchen in ihrer Kindheit gegangen ist. Du weißt ja, daß es ihr an nichts gebrach und sie keine Not litt, obgleich ihre Mutter tot war, denn sie hatte eine gute Muhme, die das Haus versorgte, und eine liebe Pflegeschwester und einen guten Bruder, obgleich dieser zu der Zeit meist auswärts war und studierte, und überdies auch eine liebe alte Großmutter. Wer aber am allergütigsten gegen sie war, war ihr Herr Vater. Er war Schneewittchens zärtlichster Spielkamerad, und ihm vertraute sie alle ihre Sorgen an. Er erlaubte nicht, daß sie wie andere Kinder unter strenger Aufsicht stand, sondern sie durfte tun, was ihr beliebte. Die Leute meinten natürlich, er verwöhne das Kind, aber davon wollte er nichts hören.«
»Schneewittchen war vielleicht ein besonders artiges Kind, das gar nicht verwöhnt werden konnte«, sagte die Pröpstin, und ihre Stimme klang jetzt auf einmal außerordentlich ernst.
»Auf der ganzen Welt war niemand glücklicher als Schneewittchen«, fuhr die Pfarrerstochter fort. »Ganz besonders befriedigt fühlte sie sich, als sie, nachdem die Muhme weggezogen war, ganz allein die Wirtschaft führen und für ihren geliebten Vater sorgen durfte. Ich glaube, sie hatte mehrere Jahre lang keinen anderen Kummer als die Trennung von ihrer Pflegeschwester, die sich verheiratete und in ein anderes Kirchspiel zog. Und wenn ihr damals jemand gesagt hätte, ihr Vater würde einmal sein Herz von ihr wenden, hätte sie hell hinausgelacht. Wie hätten sie sich entzweien sollen, sie und der geliebte Vater? Nicht einmal im Schlaf wäre ihr ein so unsinniger Gedanke gekommen.«
»Und überdies hätte auch niemand anders geglaubt, daß es je so ginge«, versicherte Anna Brogren mit derselben ernsten Stimme wie zuvor.
»Und niemals dachte Schneewittchen weniger daran, daß ihr ein so großes Unglück widerfahren könnte, als an einem schönen Sommermorgen im vorigen Jahre, wo sie mit ihrem Herrn Vater zu den Mähern hinausging.«
»War das im vorigen Sommer?« fiel Anna Brogren rasch ein. »Ich glaubte, Schneewittchen habe vor tausend Jahren gelebt.«
»Ich aber habe nie anders gehört, als daß Schneewittchen heute noch lebt,« erwiderte die Pfarrerstochter, »und an jenem Tag, wo sie mit ihrem Vater zur Heuernte hinausging, war sie eben neunzehn geworden; ihr Vater aber war fünfzig Jahre alt, obgleich man ihm das kaum ansehen konnte. Er trug eine Perücke, ging aber ohne Hut, hatte eine weiße Hemdenbrust mit einer Busenkrause und große Schnallen auf den Schuhen. Schneewittchen dachte in ihrem Herzen, er sehe außerordentlich vornehm aus. Sie selbst trug ein altes Kattunkleid und einen großen Schutenhut. Neben ihrem Vater sah sie gar nichts gleich.«
»Ich habe jedoch immer gehört, Schneewittchen sei schöner gewesen als alle andern im ganzen Land«, warf die Pröpstin ein.
Aber die Pfarrerstochter erzählte weiter, ohne sich um die Unterbrechung zu kümmern.
»Der Schutenhut war jedenfalls recht am Platz, denn er verdeckte das Gesicht. Sonst hätte der Vater gesehen, daß sie mißvergnügt aussah. Ach, ach! Schneewittchen hatte wohl Grund, mißvergnügt zu sein, weil sie um diese Zeit mit ihrem Vater spazierengehen sollte; wo sie doch viel lieber an ihrem Webstuhl sitzengeblieben wäre, um ihre Leinwand fertig zu weben. Aber da ihr Vater selbst von außen ans Küchenkammerfenster getreten war, geklopft und ihr gerufen hatte, war es ihr nicht möglich gewesen, nein zu sagen.«
»Ich glaube, sie konnte ihrem Vater niemals etwas abschlagen«, sagte die Pflegeschwester.
»Sie gingen an den Ställen und an der Viehweide vorüber, denn sie wollten nach dem südlichen Anger, wo der lange Bengt und die beiden Vettersbuben beim Mähen waren. Es war gerade kein weiter Weg, aber es kostete doch immer viel Zeit, wenn Schneewittchen mit ihrem Vater ausging.
Er blieb stehen und sah sich das Getreide an, und er blieb stehen und unterhielt sich mit der Stallmagd. Als sie den Hügel mit dem Birkengehölz erreicht hatten, hielt er wieder an, schaute zurück, um das neue Wohnhaus zu betrachten, das er selbst hatte bauen lassen. Und noch weiterhin gab es wieder einen neuen Aufenthalt, weil er eine junge Tanne aufrichten mußte, die umgestürzt am Wege lag.
Aber jetzt muß ich etwas einfügen; Schneewittchen konnte in Gesellschaft ihres Vaters nie lange verdrießlich sein, denn wenn sich ihr so seine ganze Art und Weise offenbarte, wurde ihr Herz immer von Bewunderung für ihn erfüllt.
Und ich meine auch, Schneewittchen habe ganz und gar nicht unrecht gehabt, es schön und rührend zu finden, daß ihr guter Vater sein Leben lang als Hilfsgeistlicher in einer kleinen armen Gemeinde weit droben im Värmland geblieben war. Er, der so hochgelehrt und von unwiderstehlicher Beredsamkeit war und überdies so stattlich und liebenswürdig, wäre gewiß Dompropst oder Bischof geworden, wenn er nur gewollt hätte. Glaubst du das nicht auch?«
»Für mich ist es nicht leicht, etwas über Schneewittchens Vater zu sagen«, antwortete die Pröpstin; »aber ich bin überzeugt, er hätte alles erreichen können, was er nur gewollt hätte.«
»Ich kann es nicht so genau ausdrücken, wie Schneewittchen es fühlte. Aber ich glaube, sie sagte in ihrem Herzen: ‘Du, Schneewittchen, du bist nichts und kannst nichts und hast nichts erlebt, schämst du dich nicht, schlechter Laune zu sein? Denk an deinen guten Vater, der nie klagt und sich nie etwas wünscht, und der der Welt immer ein freundliches Gesicht zeigt!’ – Vor sich selbst entschuldigte sich Schneewittchen indes damit, daß sie eben gar zu gern die Leinwand am Webstuhl fertiggebracht hätte, ehe sie von Hause wegreiste; denn sie sollte mit der Großmutter diesen Sommer nach Loko ins Bad gehen, das war fest ausgemacht. Großmutter hatte im letzten Winter schrecklich an Gicht gelitten, diese hatte ihr die Hände zum Erbarmen zugerichtet. Nun hatte sie das ganze Frühjahr hindurch versprochen, diese Reise zu machen; aber Schneewittchen wußte wohl, daß die Großmutter nicht fort kam, wenn sie nicht mitging.
Jetzt dachte sie daran, den Vater zu bitten, den Tag der Abreise zu bestimmen. Aber wie merkwürdig, sie hatte gar nicht das Herz dazu! Fühlte sie, wie schwer es ihrem Vater würde, sein Kind sechs Wochen lang entbehren zu müssen, und wollte er es deshalb soweit wie möglich hinausschieben? Während sie nun so dahinwanderte, beschloß sie in ihrem Herzen: Wenn das Gras auf dem südlichen Anger so prächtig stand, daß Vater recht befriedigt war, dann wollte sie sich ein Herz fassen und von der Reise anfangen.
Und wirklich, es sah nicht danach aus, als sollte sie nicht bald auf die Reise dürfen, denn als sie den südlichen Anger erreichten, gab es da eine ganz außerordentlich gute Heuernte. Schneewittchen merkte bald, wie hochbefriedigt ihr Vater war, denn er neckte den langen Bengt, der der größte Mann im ganzen Kirchspiel war, und sagte, er müsse noch ein wenig wachsen, er sei gar nicht groß, das Gras schlage ihm ja über dem Kopf zusammen.
Der lange Bengt war nicht faul zu antworten. Er sagte, wenn der Herr Pfarrer seine Länder noch weiter so gut bebaue, so werde er bald niemand mehr bekommen, der ihm sein Heu mähe. Es sei eine wahre Not, bis man sich durch solch einen Wall hindurchgeschafft habe. Und die beiden Vettersbuben hielten es natürlich mit Bengt und versicherten auch, lieber wollten sie es auf dem Brobyer Markt mit allen Westgöten aufnehmen als in einem andern Jahr wieder solches Gras mähen.
Darauf mußte Vater natürlich eine ebenso höfliche Antwort geben; alle standen schweigend um ihn her und warteten darauf. Ach! ich glaube, Schneewittchen wird immer an ihren Vater denken, gerade wie er jetzt so vergnügt und freundlich mitten unter seinen Leuten stand und tat, als sinniere er über die Antwort nach, damit sie, wenn sie erfolgte, einen um so größeren Eindruck mache.
Aber wie es gehen kann! Diese Antwort bekamen sie niemals zu hören, denn jetzt geschah etwas Unerwartetes, das aller Gedanken nach einer andern Seite hinlenkte.
Wer war denn das, der da durch das hohe Gras auf sie zukam? Wer konnte es sein, der nicht ging, sondern taumelte, und der nicht einen Augenblick schwieg, sondern die ganze Zeit schrie und laut vor sich hin redete?
Ich muß gestehen, Schneewittchen war nie Zeuge von etwas so Aufregendem gewesen. Wie schrecklich, ein Frauenzimmer so furchtbar zugerichtet zu sehen! Die Kleider hingen ihr naß und lehmig um den Körper. Das Haar hatte sich vom Kamm gelöst und fiel ihr in Strähnen den Rücken hinab. Aber am schrecklichsten war doch, daß ihr Gesicht und ihre Hände ganz blutrünstig waren.
Der lange Bengt und die Knechte wendeten sich ab und spuckten dreimal aus, als sähen sie eine Hexe, und es fehlte wohl nicht viel, so hätte der Herr Vater dasselbe getan.
Aber plötzlich glaubte Schneewittchen zu erkennen, wer es war; sie eilte zum Vater hin und flüsterte ihm ins Ohr, es müsse die Jungfer sein, die der Gräfin auf Borg die Wirtschaft führte.
Der Vater gab ihr recht in dieser Annahme. Er trat zu der Jungfer und fragte sie, was ihr denn geschehen sei, daß sie sich so früh am Morgen nach seinem Haus auf den Weg gemacht habe. Aber sie war ganz verwirrt und erkannte den Pfarrer gar nicht. Sie rief nur, sie könne es bei der Gräfin nicht mehr aushalten und sei auf dem Wege nach der Pfarrei, damit man ihr helfe.
Da nahmen sie der Pfarrer und Schneewittchen mit nach Hause, und nach einiger Zeit war sie wieder so weit vernünftig, daß sie erzählen konnte, was ihr geschehen war. Sie war von der Gräfin gehetzt und geplagt worden, bis sie es nicht mehr aushalten konnte, und so war sie nachts um zwei Uhr von Borg auf und davon gegangen. Sie war ganz verwirrt gewesen und hatte noch gar nicht überlegen können, wohin sie sich wenden wollte, als sie auch schon auf der Landstraße stand.
Da hatte sie gedacht, sie wolle nach der Pfarrei gehen, weil sie gehört hatte, wie barmherzig die Familie dort sei. Aber die Ärmste hatte den Feldweg durch die Wiesen eingeschlagen und konnte nicht über den Steg wegkommen, sondern stürzte in den Bach, stieß mit dem Kopf an einen Stein und zerriß und beschmutzte sich ihre Kleider. Danach war sie wie nicht recht bei sich gewesen, hatte den Weg nicht mehr finden können und war dann den ganzen Morgen auf den Getreideäckern und auf den Wiesen umhergeirrt.
Nun bat sie flehentlich, man solle sie doch im Pfarrhaus behalten, bis das Blut gestillt und ihre Kleider trocken seien und sie ein wenig überlegt habe, wohin sie sich wenden wollte.
Natürlich hieß es, sie solle nur dableiben. Ach, wer hätte wohl das Herz gehabt, eine so notleidende Person hinauszuweisen!
Aber wie empört waren auch Schneewittchen und ihr Vater über die Gräfin! Sie war so schön und heiter, und nun sollte sie so grausam gegen ihre Untergebenen sein! Nicht zum ersten Male hörten sie so etwas über sie. Was soll ich sagen? Ja, es war gut für die Gräfin, daß sie an diesem Tage nicht mit Schneewittchen zusammenkam. Diese hätte sie gestellt und kein Blatt vor den Mund genommen. Diese Jungfer – ja, wie soll ich sie nun nennen?«
»Du kannst sie ja Vabitz nennen«, schlug die Pröpstin vor.
»Gut, also diese Jungfer Vabitz war eine überaus wohlbeleumdete, ausgezeichnete Person, und die Gräfin hätte wohl etwas Besseres tun können, als sie zu plagen, bis sie den Verstand verlor.
Aber siehe! Noch am selben Tage kam Schneewittchen auf einen Gedanken, der sie ganz beglückte. Sie wollte Jungfer Vabitz bitten, im Pfarrhaus zu bleiben und für den Vater zu sorgen, während sie selbst mit der Großmutter im Bad war. Wenn sich das einrichten ließ, konnte sie ruhig fort sein, dann ging alles in schönster Ordnung und ebensogut, wie wenn sie selbst zu Hause wäre.«
»Ach du lieber Gott!« rief die Pflegeschwester. »Bist du es gewesen, die – das heißt, ich meine, ob es Schneewittchen selbst gewesen?«
»Ja, ja, die selbst war’s, niemand anders; und sie war überaus glücklich über diesen Einfall. Sie fragte gleich die Jungfer, ob sie bei ihnen bleiben wolle. Die Jungfer zierte sich auch keinen Augenblick, sondern sagte, jawohl, sie tue ihr gerne den Gefallen. Aber das wolle sie gleich feststellen, wenn sie indessen eine Stelle bei einer Herrschaft finde, dann reise sie sofort ab. Sie sei eine arme Person, die in erster Linie an sich selbst denken müsse.
Wer aber nur schwer zu überreden war, das war Schneewittchens Vater. Sollte er die Jungfer volle sechs Wochen lang da haben und überdies gezwungen sein, die Mahlzeiten mit ihr einzunehmen?
Du kannst dir nicht denken, wie schwer es war, bis Schneewittchen und die Großmutter endlich fort kamen. Mit dem Vater und Jungfer Vabitz wollte es absolut nicht gehen. Der Vater scherzte und neckte sich mit allen Menschen; die Jungfer aber war streng und ernst und nur immer darauf bedacht, ihre Würde aufrechtzuerhalten.
Meistens gelang es Schneewittchen auch, es so einzurichten, daß sie nur bei den Mahlzeiten zusammentrafen; aber kaum hatte sich der Vater zu Tische gesetzt, als er auch schon von etwas zu reden anfing, womit er, wie er wußte, bei der Jungfer Anstoß erregte. Und am komischsten deuchte es ihn, mit ihr von Liebe und Heirat zu sprechen.
Er sei sehr froh, daß er die Jungfer ins Haus bekommen habe, denn jetzt könne sie ihm einen guten Rat geben. Er habe schon lange daran gedacht, sich wieder zu verheiraten. Was würde sie wohl zur Gräfin auf Borg sagen?
Aber kaum hatte der Vater das gesagt, als die Jungfer ganz starr vor Schrecken wurde. Sie legte Messer und Gabel nieder und sah ihn sprachlos an.«
Die Pflegeschwester lachte hell hinaus. »Denk dir, wie lustig er es da gehabt hätte!« sagte sie.
»Ja, das ist klar, der Herr Vater fuhr ordentlich ins Zeug. Es passierte ihm nicht alle Tage, daß er mit jemand zusammen kam, der es nicht verstand, wenn er scherzte. Jetzt erklärte er, er könne absolut nicht begreifen, warum Jungfer Vabitz so erstaunt aussehe. Ob sie meine, die Gräfin werde ihn nicht haben wollen? Aber er wisse ganz bestimmt, daß ihn die Gräfin für einen schönen Mann halte. Solange sie auf Borg sei, besuche sie die Kirche jeden Sonntag, und sie habe selbst einmal gesagt, einen häßlichen Pfarrer könnte sie nicht predigen hören.
Das war doch zu komisch! Als Schneewittchens Vater dieses sagte, zeigten sich auf Jungfer Vabitz’ Wangen zwei brennend rote Flecke. Sie hatte gewiß, solange als es ihr möglich war, geschwiegen, aber jetzt mußte sie ihrem Zorn Luft machen.
‘Und das will ein Pfarrer und ein Diener Gottes sein!’ brach sie los.
Aber die Jungfer hatte eine sehr scharfe, rauhe Stimme. Sie war klein von Gestalt und hatte ein kleines feines Gesicht und ganz kreideweiße Haare, obgleich sie kaum in den Vierzigern war. Auch sah sie sanft wie eine Taube aus. Aber gerade deshalb erschrak man, wenn sie zu sprechen anfing.
Nachdem die Jungfer mit dieser tiefen Grabesstimme ihr Urteil über den Vater gefällt hatte, brach er in helles Lachen aus; da sprach die Jungfer während des ganzen Essens kein einziges Wort mehr.«
Die Pflegeschwester lachte auch; aber die Pfarrerstochter seufzte nur, ehe sie fortfuhr.
»Ich brauche wohl kaum zu sagen, wie sehr Schneewittchen ihren Vater anflehte, das Necken zu lassen, und wie betrübt sie war, als alles nichts half. Sie lebte in beständiger Angst, die Jungfer werde aus dem Pfarrhaus auf und davon gehen, wie sie von Borg auf und davon gegangen war.«
»Oh, sie wird schon geblieben sein«, sagte die Pflegeschwester.
»Allerdings, sie blieb, und darüber war Schneewittchen unbeschreiblich froh. Überdies machte sich die Jungfer nun auch im Haushalt nützlich. Sie wolle nicht da sein, ohne etwas zu arbeiten, erklärte sie. Hast du je so was gehört?
Ganz natürlicherweise begnügte sich auch so eine wie diese Jungfer nicht damit, die gewohnte einfache Hausmannskost zu kochen, sondern sie richtete nach französischer Art an, wie es in einem Grafenhaus verlangt wurde. Und der Vater, der mehrere Jahre Hauslehrer in vornehmen Familien gewesen war, lebte wieder in seiner Jugendzeit, wo er Fleischfarcen und Pasteten und gewürzte Soßen zu essen bekommen hatte. Soviel war gewiß, während Schneewittchens Abwesenheit würde er sicherlich keine Not leiden. Auch war es der Tochter eine Beruhigung, als sie merkte, daß ihr Vater die Jungfer mit seinen Neckereien nicht so scharf aufs Korn nahm, wenn sie ihm ein besonders gutes Gericht vorgesetzt hatte. Und etwas anderes war noch befriedigender: der Vater und die Jungfer hatten nämlich alle beide besonders große Freude am Gartenbau. Der Vater konnte, solange er wollte, über die Archiater Linné und Hummarby und den Botanischen Garten in Upsala reden, nie wurde es die Jungfer müde, ihn anzuhören.
Der Gartenbau war es auch sicherlich, der den Vater mit dem Dableiben der Jungfer aussöhnte. Sonst wäre es niemals gegangen. Diesem Umstand hatte es Schneewittchen zu verdanken, daß sie ohne Sorge abreisen konnte. Nun hoffte sie fast sicher, Jungfer Vabitz und ihr Herr Vater würden es miteinander aushalten, bis sie wieder zurück kam.
Und doch! Obgleich sie jetzt wirklich beruhigt war, weilten ihre Gedanken während der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit doch alle Tage daheim bei dem geliebten Vater, und sie fragte sich oftmals, ob er die arme Vabitz nicht doch ab und zu mit seinen Neckereien plagte.
Als Schneewittchen vierzehn Tage abwesend war, erhielt sie von ihrem Vater einen unbeschreiblich komischen Brief, der von Anfang bis zu Ende davon handelte, wie es ihm und Jungfer Vabitz miteinander ging. Eines Abends seien Leutnant Bergh und Patron Julius zu Besuch gekommen, da hätten sie Karten gespielt und Bellmansche Lieder gesungen. Und siehe! am nächsten Tag habe die Jungfer gar nicht mit ihm sprechen wollen, und die ganze Woche hindurch habe er nur Blutklöße mit Speck oder Meerrettich mit Hering zu Mittag bekommen. Gestern jedoch seien Krustaden und gebratener Lachs aufspaziert, nun sei er also wieder zu Gnaden angenommen.
Schneewittchen mußte hell auflachen; das gute Väterchen war ganz närrisch. Doch beruhigte sie dieser Brief nicht vollständig. Der nächste dagegen klang besser. Da berichtete der Vater, der lange Bengt habe erklärt, er wolle seine alte Liebste, die lustige Maja, heiraten. Und wer habe ihn dazu gebracht? Niemand anders als Jungfer Vabitz; die hätte ihm vorgepredigt, wie unrecht es sei, daß er ein Frauenzimmer vierzehn Jahre lang auf sich warten lasse; und schließlich habe das gewirkt.
Schneewittchen konnte wohl merken, wie vergnügt der Vater war. In diesem Brief schrieb er auch nicht von der ‘Vabitza’, sondern von Jungfer Vabitz. Das war ein sicheres Zeichen, daß der gute Vater jetzt herausgebracht hatte, welch vorzügliches Frauenzimmer sie war. Danach bekam Schneewittchen keinen Brief mehr von ihrem Vater, sondern nur noch kurze Billette, in denen er sagte, er habe sehr viel zu tun und deshalb keine Zeit zum Briefschreiben. Von der Jungfer stand kein Wort mehr darin. Er hatte sich also jetzt wohl an sie gewöhnt und beschäftigte sich in seinen Gedanken mit ihr nicht mehr als mit den andern Dienstboten.
Aber ein Rest von Besorgnis war doch immer noch vorhanden; und ich will gar nicht erst versuchen, dir zu beschreiben, wie froh Schneewittchen war, als sie sich endlich in den Wagen setzen und nach Hause reisen durfte. Sie hatte rechtzeitig geschrieben, wann der Vater sie zu Hause erwarten könnte, und in demselben Briefe hatte sie ihn auch gelobt, daß er es mit der Jungfer Vabitz solange ausgehalten habe. Von nun an werde er sich indes nie wieder mit Fremden behelfen müssen, nun würde ihn seine Tochter nie mehr verlassen.«
»Ach so, das schrieb sie auch?« fragte die Pflegeschwester. »Es muß ihr eine Befriedigung sein, wenn sie jetzt daran denkt.«
»O ja, vieles ist äußerst komisch in dieser Geschichte«, sagte die Pfarrerstochter. »Wenn man bedenkt, wie froh Schneewittchen war, als sie endlich auf der Straße dahinfuhr, so ist das eigentlich auch zum Lachen. Ja, sie war glückselig; alle Menschen, die ihr begegneten, leuchteten bei ihrem Anblick ordentlich auf. So war es wenigstens im Anfang der Reise. Als sie dann ihrem Heimatdorfe näher kam, wo die Leute schon von weitem den Wagen und die darin saß erkannten, meinte sie freilich, es sei fast, als falle allen, denen sie begegnete, plötzlich etwas Trauriges ein, denn ihre Gesichter wurden auf einmal ganz lang und ernst.
Ich muß sagen, Schneewittchen wurde es allmählich ganz unbehaglich zumute. Als sie an das letzte Gasthaus kam, wo sie mit den Wirtsleuten bekannt war, fragte sie nach ihrem Vater. Sie antworteten, er sei gesund und frisch wie bei ihrer Abreise. Schneewittchen hörte aber doch ihrer Stimme an, daß sie aus irgendeinem Grund doch nicht so recht mit der Sprache heraus wollten. Fragen wollte sie indes nicht; es war wohl irgend etwas Unangenehmes passiert, ja am Ende war die Jungfer doch auf und davon gegangen. Jedenfalls aber wollte sich Schneewittchen die Freude an ihrer Heimkehr nicht mit dem Gedanken an die Jungfer Vabitz verderben.«
»Es wäre rasend komisch, wenn es nur nicht so schrecklich betrübend wäre«, warf die Pflegeschwester mit einem kurzen Auflachen ein.
»Am letzten Halteplatz kam ihr der lange Bengt mit den Pferden des Pfarrhauses entgegen. Und da konnte sie sich nicht täuschen, auch er war sonderbar. Sonst mußte man jedes Wort aus ihm herauspressen, jetzt aber schwatzte er in einem fort. Und Schneewittchen merkte wohl, daß er von allem möglichen sprach, aber kein Wort von ihrem Vater und Jungfer Vabitz. Und jetzt wagte sie nicht mehr zu fragen. Wenn irgend etwas schief gegangen war, würde sie es von ihrem Vater selbst hören.«
»Und so wußte sie gar nichts, bis sie daheim ankam?« rief die Pflegeschwester.
»Nein, sie wußte nichts, gar nichts. Und nun will ich dir sagen, was ihr am schwersten dabei war. Ach, das schwerste war, daß ihr guter Vater meinte, er habe unbeschreiblich verständig gehandelt, und erwartete, sie solle sich auch noch darüber freuen.
Und er mußte es ja auch glauben. Denn wer anders als Schneewittchen hatte die Jungfer über die Maßen gelobt und zu ihm gesagt, er müßte sich glücklich preisen, eine so ausgezeichnete Person im Hause zu haben. Ach, sie selbst war es vielleicht gewesen, die ihm den ersten Gedanken eingegeben hatte, die Jungfer –
Du wirst vielleicht gar nicht verstehen, wie vergnügt der Vater aussah, als er auf der Freitreppe stand, um sie zu bewillkommnen, und wie vergnügt auch Jungfer Vabitz aussah, die da neben ihm stand. Der gute Vater konnte es fast nicht mehr erwarten, die große Neuigkeit mitzuteilen.
Aber ihr Vater brauchte gar nichts zu sagen, denn Schneewittchen sah es selbst. Sie wußte es schon, ehe sie aus dem Wagen gestiegen war. Und nun muß ich erzählen, wie schlimm es ihr ging. Sie wurde so zornig, daß sie sich nicht beherrschen konnte. Noch nie in ihrem Leben war sie so aufgeregt gewesen; sie fuhr zwar nicht auf die beiden los und schlug und kratzte, aber in Wirklichkeit hatte sie die größte Lust dazu.
Ihre Zunge konnte sie indes doch nicht ganz beherrschen, und so sagte sie das Schlimmste, was sie finden konnte. Nie, nie würde sie die Vabitz Mutter nennen, das war das erste; und das zweite war, daß dies eine höchst unpassende Heirat für ihren Vater sei. Die Vabitz sei die Tochter eines armen deutschen Trompeters, das wisse sie wohl, aber Schneewittchens Vater hätte die vornehmste Dame haben können, wenn er nur gewollt hätte. Und schließlich sagte sie auch noch, die beiden fühlten wohl, daß sie unrecht gehandelt hätten, sonst hätten sie nicht so im geheimen geheiratet.
Aber jetzt trat die Großmutter dazwischen. Sie ergriff Schneewittchen bei der Hand und befahl ihr in strengem Ton, mit ihr auf ihr Zimmer zu kommen. Schneewittchen weigerte sich auch nicht, wendete sich aber vorher noch einmal an die Vabitz und sagte, diese habe sich bei ihrem Vater nur durch das gute Essen eingeschmeichelt, und er habe sie nur um dieser feinen Gerichte willen geheiratet.
Dann erst ging sie mit der Großmutter.«
»Das war schade«, sagte die Pflegeschwester. »Man hätte sie ruhig weiter machen lassen sollen.«
»Nein, Großmutter führte sie fort, und sobald Schneewittchen in deren Zimmer angekommen war, brach sie in Tränen aus. Das war wieder etwas Neues. Noch nie hatte sie so bitterlich geweint. Sie weinte stundenlang ununterbrochen fort, und die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, als sei etwas Fremdes, das sie in all den Jahren, die sie bisher gelebt hatte, im tiefsten Herzen verborgen getragen, nun erwacht und habe Gewalt über sie bekommen. Ja, sie fühlte es ganz deutlich: tief in ihrem Herzen wohnte ein alter Drache oder ein unheimliches Raubtier. Ach, ach! Sie fürchtete sich vor diesem Ungeheuer so sehr, daß sie das andere Unglück fast darüber vergaß. Die Erkenntnis, daß etwas so Ungezähmtes und Gefährliches in ihrem Herzen wohnte, jagte ihr einen furchtbaren Schrecken ein; das heißt, eigentlich konnte sie ja nichts dafür, daß es da war; sie durfte es nur nie, nie wieder zum Vorschein kommen lassen.«
»O du grundgütiger Himmel!« rief die Pflegeschwester mit zärtlicher Stimme. »War denn das Schneewittchen noch nie zornig gewesen?«
»Schließlich sank sie in einen tiefen Schlaf,« fuhr die Pfarrerstochter fort, »der ihr Vergessen brachte, und aus dem sie erst am nächsten Morgen erwachte, als die Sonne hinter dem Berg aufging und ihr ins Gesicht schien. Da fiel ihr das ganze Unglück wieder ein, und sie wußte nicht, was sie tun sollte.
Aber sie brauchte sich nicht lange zu besinnen, denn ein paar Minuten später trat das Zimmermädchen herein und richtete von der Frau Pfarrer aus, das Fräulein solle aufstehen und sich an den Webstuhl setzen.
Es war noch nicht einmal ganz vier Uhr, so früh war Schneewittchen sonst nie aufgestanden. Sie hatte freilich früher auch gearbeitet, aber nur nach ihrem eigenen Gutdünken, und wie es ihr selbst beliebte. Schon wollte sie wieder zornig werden; aber dann mußte sie an die Wildheit in ihrem Herzen denken, und sie bekam Angst, diese könnte wieder losbrechen.
Nachdem sie ein paar Stunden am Webstuhl gesessen hatte, verstand sie besser, wie alles gekommen war. Nicht eingeschmeichelt hatte sich Jungfer Vabitz bei ihrem Vater, sondern sie hatte ihm so lange die Wahrheit gesagt, bis ihm die Augen dafür aufgegangen waren, welch eine unschätzbare Stütze sie ihm und seiner Tochter sein würde. Und da ihr guter Vater nun hatte sehen müssen, wie wenig die Tochter sein kluges Vorgehen zu schätzen gewußt hatte, war er gewiß jetzt sehr empört über sie.
Als es sieben Uhr war, wurde Schneewittchen zu ihrem Herrn Vater hineingerufen, um verwarnt und ermahnt zu werden; und etwas anderes hatte sie ja auch nicht erwartet. Der gute Vater war indes schrecklich unbehilflich, als er sie ermahnte, und so wäre Schneewittchen fast aufs neue zornig geworden. Sie ließ es aber nicht soweit kommen, sondern bat die beiden herzlich um Verzeihung und küßte beiden, der Vabitz und dem Vater, die Hand. Ach, sie sah wohl, wie leicht es dem Vater ums Herz wurde, als dieses geordnet war und er wieder Frieden im Hause hatte!«
»Und so etwas kann geschehen, während andere Leute nur ein paar Meilen entfernt sind und nichts davon wissen!« rief die Pflegeschwester mit tränenerstickter Stimme. »Da hätte ich dabei sein sollen!«