Kitabı oku: «Liljecronas Heimat», sayfa 5
Ja, sie tat sogar noch mehr als das. Sie hütete die Äpfel auch vor den Hausbewohnern. Die Gattertüren wurden mit Vorlegschlössern versehen, und die Schlüssel dazu verwahrte die Pfarrfrau in ihrer eigenen Tasche. Wenn sie dann einen recht süßen schimmernden Astrachaner fand, brach sie ihn wohl für den Vater; aber weder Großmutter Beata noch Schneewittchen bekamen je auch nur einen einzigen Apfel zu kosten.
Ach, in den andern Jahren hatte man zwar keine so schönen Äpfel, aber mehr Freude davon gehabt! Da war niemand auf den Hof gekommen, der seine Lust nach einem Apfel nicht hätte stillen dürfen. Und man gab nicht nur den eigenen Hausbewohnern, sondern wer nur zu Besuch kam, durfte die Äpfel versuchen, und die meisten erhielten auch ein Bündelchen mit auf den Weg.
Aber nicht einmal dann bekam irgend jemand einen davon zu essen, als die Äpfel von den Bäumen gebrochen wurden, denn diese Arbeit besorgte die Pfarrfrau ganz allein. Sie zog Handschuhe an und brach jeden einzelnen Apfel sehr fürsorglich von seinem Ast, damit keiner angestoßen oder verletzt wurde.
Schneewittchen kam es freilich ein wenig bitter vor, daß sie gar keine von den Äpfeln bekam, während sie noch die erste Sommersüße hatten; aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, wie schön es dann sein würde, wenn sie im Spätjahr und den ganzen Winter hindurch Äpfel zu essen hätten. Die Stiefmutter verstand sie auch sicher so gut aufzubewahren, daß sie nicht faulten.
Aber die Mutter hatte andere Pläne mit den Äpfeln, das mußte Schneewittchen bald merken. Nein, nicht im Pfarrhaus sollte all das schöne Obst gegessen werden, daran dachte die Pfarrfrau keinen Augenblick.
Der Pfarrer hätte gewiß auch seine Äpfel gerne daheim behalten wie in den andern Jahren. Aber die Pfarrfrau hatte ausgerechnet, daß man Geld damit verdienen könnte, und so wollte sie die ganze schöne Obsternte auf dem Brobyer Markt verkaufen.
Und es geschah, wie die Mutter es wollte. Mit zwei schwerbeladenen Wagen voll Äpfel nebst einem Knecht und einer Magd, die ihr beim Verkauf helfen sollten, fuhr sie zu Markte.
Als sie auf dem Marktplatz angekommen war, stellte sie einen Tisch auf, öffnete die Kisten und Fässer und legte die Äpfel zum Verkauf aus. Nein, sie fürchtete sich wirklich vor keiner Arbeit! Grobe Handschuhe an den Händen und einen großen Schal umgebunden, stand sie hinter dem Tisch und bot die Äpfel feil. Sie konnte sich einfach nicht dazu entschließen, jemand anders mit dieser Sache zu betrauen. Und ich muß sagen, die Ware konnte sich sehen lassen, und die Pfarrfrau konnte stolz darauf sein. Wundervoll im herrlichsten Rot und Grün und Gelb und Weiß leuchtete es von ihrem Stand, und die Leute strömten schon der Augenweide wegen herbei. Auf den großen Brobyer Markt kamen immer die Gärtner von den sörmländischen Schlössern und von den großen Herrenhöfen von Nässet; aber keiner von allen konnte so schönes Obst auslegen wie die Pfarrfrau.
Sobald sie alles zum Verkauf bereit hatte, eilte auch gleich eine Menge Leute herbei und fragte nach dem Preise der Äpfel. Aber da verlangte sie einen so hohen Preis, daß die Leute ganz bestürzt wurden und nicht kaufen wollten.
Und siehe, schließlich mußte die Pfarrfrau wirklich trotz ihrer wundervollen Auslage sehen, wie die Marktbesucher ihre Einkäufe bei ihren Nachbarn machten! Aber sie gab nicht nach und setzte ihren Preis nicht um einen einzigen Heller herunter, ja, sie verlangte gerade doppelt soviel wie alle andern. Sie dachte wohl, später am Tage, wenn die Fremden ihr Obst verkauft hätten, würden ihre Äpfel schon an die Reihe kommen.
Vielleicht rechnete sie auch noch mit etwas anderem. Sie wußte wohl, wieviel Branntwein immer auf dem Brobyer Markt getrunken wurde, und daß mittags um zwölf Uhr kaum noch ein nüchterner Mann da zu finden war, und so meinte sie, die Bauersleute würden es am Nachmittag nicht mehr so genau mit dem Gelde nehmen.
Und es sah auch aus, als sollte Schneewittchens Stiefmutter recht behalten. Je später es wurde, desto mehr Leute versammelten sich um ihren Stand. In erster Linie alle Kinder, Jungen und Mädchen, die auf dem Markt waren. Diese standen um den Tisch herum, mit einem Finger im Mund, und schauten gar sehnsüchtig nach den Äpfeln hinüber, es hätte einem wirklich das Herz rühren können. Die Kinder hatten natürlich nichts, um zu kaufen, aber es standen auch Erwachsene herum, die ihre Augen nicht von dem schönen Obst abwenden konnten.
Immer wieder trat der eine oder der andere näher und fragte nach dem Preis. Aber die Pfarrfrau blieb dabei und verlangte ebensoviel wie am Morgen. Jetzt, wo alle andern Äpfel verkauft waren, wollte sie nicht abschlagen, denn sie war fest überzeugt, daß sie nun doch noch an die Reihe käme.
Schneewittchens Stiefmutter sah wohl, wie aller Gesichter um sie her vor Verlangen nach den Äpfeln glühten, und jeden Augenblick dachte sie: ‘Jetzt können sie nicht mehr widerstehen, es muß nur erst einer anfangen.’
Aber es währte länger und immer länger, und schließlich glaubte sie selbst, sie müsse am Ende mit ihren schönen Äpfeln wieder heimfahren.
Doch nun wollte sie einen letzten Versuch machen, und so trug sie der Magd auf, Fräulein Schneewittchen zu holen, die zwischen den Marktbuden umherging, um für alle daheim, die nicht mit auf den Jahrmarkt gedurft hatten, kleine Geschenke einzukaufen.
Als Schneewittchen zu ihrer Stiefmutter hinkam, sagte diese, Schneewittchen solle jetzt eine Weile ihre Stelle einnehmen und die Äpfel verkaufen; sie habe nun solange auf einem Fleck gestanden und ganz kalte Füße bekommen, sie müsse sich deshalb ein wenig Bewegung machen.
Ach, Schneewittchen war es außerordentlich zuwider, da auf dem Brobyer Markt verkaufen zu sollen! Aber sie wagte sich der Mutter nicht zu widersetzen. So zog sie denn deren Handschuhe an, band sich den Schal um und nahm den Platz hinter dem Tisch ein. Und nach vielen Ermahnungen, sich streng an den festgesetzten Preis zu halten, durchaus nicht mit sich handeln zu lassen und selbst keine Äpfel zu essen, ging die Stiefmutter ihres Wegs.
Aber wenn die Mutter gedacht hatte, die Leute würden von ihrer Stieftochter eher kaufen als von ihr, dann hatte sie sich verrechnet.
Das Fräulein mußte hinter ihrem Tisch stehen und ihre Äpfel bewachen, konnte jedoch nicht einen einzigen davon verkaufen. Es ging ihr genau wie der Mutter; der dichte Kreis von großen und kleinen Leuten verringerte sich zwar nicht, aber niemand kaufte.
Doch nun kamen zwei halbbetrunkene Bauernburschen mit ihren Mädchen am Arm daher und drängten sich durch den Haufen der Herumstehenden vor. Es war eine laute, ausgelassene Gesellschaft, die Burschen hatten Geld in der Tasche, mit dem sie klimperten, und sie waren in der richtigen Laune, etwas draufgehen zu lassen. Schneewittchen bekam zwar Angst vor ihnen und wäre am liebsten davongelaufen, blieb dann aber doch stehen, in der Hoffnung, nun endlich etwas zu verkaufen.
Die jungen Leute drängten sich auch ganz bis zum Tisch hin, und der vorderste fragte gar nicht nach dem Preis, sondern legte sofort seine große Faust auf einen Haufen der schönsten Äpfel. Zugleich sah er die Pfarrerstochter an und versuchte so nüchtern und bieder wie nur möglich auszusehen.
‘Woher sind denn diese Äpfel?’ fragte er.
Und die Pfarrerstochter antwortete, sie seien aus ihres Vaters Garten.
‘Ja, da bin ich schon oft gewesen, ich kenne Euren Vater und auch Euch recht wohl. Das ist ein guter Mann, Euer Vater.’
Schneewittchen erwiderte einige freundliche Worte, denn es gefiel ihr, daß der Bursche so gut von ihrem Vater sprach.
‘Ja, Ihr und Euer Vater seid alle beide gute Leute’, fuhr der Bursche fort. ‘Ja, Ihr seid so gut, daß Ihr es einem armen Burschen wohl gönnet, Eure Äpfel zu versuchen, ohne dafür zu bezahlen.’
Und ehe Schneewittchen recht begriff, was er im Schilde führte, hatte er eine Handvoll der schönen Äpfel ergriffen und war auf und davon gelaufen.
Und das Mädchen, das er am Arm gehabt hatte, packte auch rasch ein paar Äpfel und lief hinter ihm drein. Ganz ebenso machte es dann auch das nächste Paar.
Aber Schneewittchen war auf so etwas natürlich gar nicht gefaßt gewesen. Wie hätte sie sich das denken können! Sie war ganz außer sich, als diese Burschen und Mädel sich mit so vielen Äpfeln, für die sie kein Geld bekommen hatte, aus dem Staube machten. Im ersten Augenblick wollte sie ihnen nachlaufen, um ihnen die Äpfel wieder abzujagen; sie wagte es aber doch nicht, sondern schickte den Knecht und die Magd nach, die hinter ihr standen. Zugleich aber sah sie, daß der ganze Volkshaufen sich noch näher an den Tisch herandrängte.
‘Jetzt kaufen sie doch noch’, dachte sie, und ihr gesunkener Mut hob sich wieder.
Aber die und kaufen! Oh, kein Gedanke, sondern sie sprangen vor, packten so viele Äpfel, als sie konnten, und riefen zugleich, sie und ihr Vater seien ja so gut, da verlangten sie sicher nicht, daß arme Leute so ein paar Äpfel bezahlten. Und alle die kleinen Jungen, die sich den ganzen Tag lang an den Äpfeln fast blind gesehen hatten, rissen ihre Mützen herunter und füllten sie sich; und alle die kleinen Mädchen, denen vor lauter Begierde das Wasser im Munde zusammengelaufen war, stürzten auch vor und strichen sich die Äpfel ungezählt in ihre Schürzen.
Schneewittchen legte sich weit über die Äpfel vor, um sie mit ihrem Körper zu beschützen. Aber was half das? Sie weinte und bat und rief, sie machten sie unglücklich. Aber wer fragte danach? Es waren nicht nur kleine Buben und Mädel, die die Äpfel an sich rissen, sondern auch Erwachsene, und alle lachten vergnügt und hielten die ganze Sache nur für einen kleinen Jahrmarktsscherz. Und sooft wieder jemand einen Apfel packte, rief er ihr zu, sie und ihr Vater seien ja so gute Leute, daß sie ihnen wohl ein paar Äpfel gönnten.
Schneewittchen schlug um sich, und Schneewittchen rief nach Hilfe, aber die Äpfel waren verloren. Die Marktleute stülpten den Tisch um, wälzten die Kisten und Fässer herbei und rissen die Äpfel an sich. Es waren auch viele Raufbolde auf dem Markt, die sich nun mit in den Tumult mischten. Da gab es Streit und eine wilde Schlägerei, und Schneewittchen mußte sich zurückziehen und ihre Äpfel im Stich lassen, sonst wäre sie zertreten worden.
Gerade da kam die Mutter zurück und fand die Stieftochter ausgeplündert, verlassen und vor Zorn und Entsetzen laut weinend. Die Stiefmutter faßte sie am Arm und schüttelte sie. ‘Warte nur, bis wir heute abend nach Hause kommen,’ sagte sie, ‘da werde ich dich lehren, meine Äpfel zu verschenken!’
Und man konnte sich ja über den Ärger der Stiefmutter nicht wundern; aber Schneewittchen war es recht schwer, daß die Mutter glaubte, sie habe es mit Absicht getan.
Ach, war das eine schwere Heimfahrt vom Markte! Sie saßen miteinander im Wagen, der Vater, die Mutter und Schneewittchen. Im Anfang versuchte der Vater, die andern wie sonst freundlich zu unterhalten. Aber die Mutter saß stocksteif mit fest zusammengekniffenen Lippen in der Wagenecke und erwiderte kein Wort. Schneewittchen aber weinte nur immerfort. Der gute Vater konnte sich gar nicht einmal sosehr grämen; auch ergötzte er sich wohl ein wenig darüber, daß die Leute gerufen hatten, er sei gar so gut und gönne ihnen die Äpfel gewiß auch ohne Bezahlung. Außerdem versuchte er wohl auch, sich den Mut aufrechtzuerhalten, indem er alle Marktleute, an denen sie vorüberfuhren, anredete und sie fragte, ob sie ihre Kühe gut verkauft, was sie für ihre Schafe bekommen und ob sie nicht auch einige von seinen Äpfeln gesehen hätten.
Aber nach einiger Zeit wurde Vater sonderbar still; er wendete sich nach der Mutter um und sah sie lange unverwandt an. Dann starrte er wieder lange vor sich hin, und da sah er plötzlich alt und müde aus.
Wieder nach einer Weile merkte ich, daß Vater jetzt auch mich lange und betrübt ansah. Es war, als wolle er mir ganz bis auf den Grund meines Herzens sehen.
Dann sagte er plötzlich: ‘Du wirst deiner Mutter sehr ähnlich’, und er nahm meine Hand zwischen seine beiden und streichelte sie ganz sachte.
Es war, als wollte mich der gute Vater beruhigen und mich fröhlich machen. Und ich dachte: ‘Der Herr Vater versteht, daß ich es nicht mit Absicht getan habe; er weiß, daß ich nicht so bin.’
Er behielt meine Hand in der seinigen, bis wir zu Hause ankamen. Aber er beugte sich immer weiter vor, und als wir daheim waren, sank er ganz zusammen und machte keinen Versuch, auszusteigen, als Mutter und ich aufstanden. Ich glaubte, er sei tot.
Aber so schlimm war es doch nicht, obgleich es wohl nahe genug daran gewesen war.«
Hier machte die Pfarrerstochter eine Pause. Ihre Stimme bebte, und sie brauchte Zeit, sich zu beruhigen, ehe sie weitersprechen konnte.
»So, nun weißt du, wie es mir hier geht«, sagte sie dann. »Die Stiefmutter mag mit mir machen, was sie will, ich kann bei Vater nicht klagen, denn ich fürchte, der Schlag könnte ihn dann wieder treffen wie damals, als er vom Brobyer Markt nach Hause fuhr und an unseren Unfrieden dachte.«
»Aber sieht er es denn nicht selbst?«
»Das ist wohl möglich, aber er kann nichts mehr tun. Es sieht jetzt aus, als sei er wieder gesund, aber ich weiß wohl, wie schwach er ist. Niemals kann Vater wieder so werden, wie er an jenem Morgen war, als wir miteinander zu den Mähern auf den südlichen Anger hinausgingen.«
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Der Pfarrer von Svartsjö
Der Silvesterabend war herangekommen, und am Vormittag steckte der Pfarrer den Kopf durch die Küchentüre herein und fragte:
»Was ist denn aus dem kleinen Sausewind geworden? Ich habe sie nicht auf der Schlittenbahn gesehen. Sie wird doch nicht mit euch andern Frauenzimmern vom Morgen bis Abend daheim sitzen sollen?«
Nach der Kleinen fragte er. Gleich am ersten Tage nach ihrer Ankunft auf Lövdala hatte er sie mit sich genommen und ihr in der Geschirrkammer einen Schlitten hervorgesucht, und seither kam er jeden Vormittag und ermahnte sie, doch hinauszugehen und Schlitten zu fahren.
Jetzt nahm er gleich auch die Gelegenheit wahr, die Haushälterin und die Mägde ein wenig zu necken, indem er sagte, sie wollten offenbar am liebsten den ganzen Tag in der Küche schmoren.
Da erhielt er zur Antwort, die Kleine wäre sicherlich wie gewöhnlich mit dem Schlitten draußen, wenn nicht heute ihre Mutter gekommen wäre, um zu sehen, wie es ihr gehe. Marit sei hinüber in den Stall zu den Kühen gegangen, und die Kleine habe sie begleitet.
Darauf zog sich der Pfarrer zurück und machte die Türe hinter sich zu. Er überlegte ein paar Augenblicke, dann schlug er den Weg nach dem Stalle ein.
Die in der Küche versammelten Mägde folgten ihm mit den Augen: seit seiner Krankheit im Herbst sah er alt und schwach aus; aber so viel war sicher, er mußte mit jedem Menschen, der auf den Hof kam, ein bißchen plaudern.
Es dauerte indes eine gute Weile, bis der Pfarrer Marit von Koltorp aufsuchen konnte. Denn zuerst kam der lange Bengt daher und rief ihm zu, es sei ein Mann mit einem kranken Pferd da, der den Herrn Pfarrer fragen wolle, ob er nicht helfen könne.
Und nachdem er sich mit dem kranken Pferd beschäftigt hatte, kamen zwei Bauern, die in Erbstreitigkeiten miteinander lagen und verlangten, der Herr Pfarrer solle ihnen sagen, wieviel jeder von ihnen von Rechts wegen bekomme, damit sie die Sache nicht vors Gericht bringen müßten.
Es verging dann wenigstens eine Stunde, bis er die beiden endlich so weit gebracht hatte, daß er sie zum Friedensbecher einladen konnte.
Indessen saß die Kleine drüben im Stalle in einem dunklen Winkel und schwatzte mit ihrer Mutter. Jedes hatte sich auf einen Melkschemel gesetzt, und Bubi saß auf dem Schoß seiner Schwester. Er war glückselig über das Wiedersehen und wollte sie keinen Augenblick loslassen.
Mutter und Bubi waren bis heute bei dem Oheim auf dem Nyhof gewesen. Jetzt gingen sie wieder heim, hatten aber den längeren Weg über Lövdala genommen, um zu sehen, wie es der Kleinen ginge.
Die Kleine war gewiß noch nie so froh gewesen, als da sie ihre Mutter in die Küche hereinkommen sah. Sie kam gerade recht, um ihr in ihrem großen Kummer beizustehen.
Als sie im Stall angekommen waren, hatte die Mutter ihr zuerst erklären müssen, wie es sich denn mit dem neuen Märchen vom Schneewittchen verhalte, das die Kleine in zwei Nächten hintereinander mit angehört hatte, und sie fragte, ob es denn möglich sei, daß die Pfarrerstochter von sich selbst gesprochen habe.
Nachdem sie dann alles, so gut sie konnte, erzählt hatte, schwieg die Mutter zuerst eine gute Weile, schließlich sagte sie: »Sie trauten dir wohl nicht so viel Verstand zu, daß du verstehen würdest, was sie sagten. Wenn du es nun aber doch begriffen hast, mußt du deinen Verstand auch dadurch beweisen, daß du darüber schweigst.«
Aber dies war nicht alles, was die Kleine auf dem Herzen hatte.
Gestern vormittag war die Pfarrfrau zu ihr hergekommen. Sie hatte gar sanft und freundlich ausgesehen und sie gefragt, wie es ihr hier gefalle, und ob sie kein Heimweh habe.
Jawohl, es gefalle ihr hier, und es gehe ihr gut, und die Hühner habe sie besonders gern.
»Ach so«, hatte die Pfarrfrau erwidert und ein wenig gelacht; »und ist sonst niemand auf dem Hofe, den du gern hast?«
»Doch,« hatte sie gesagt, »Mamsell Maja Lisa auch.«
Da hatte die Pfarrfrau wieder ein wenig gelacht und gefragt, warum sie denn gerade Mamsell Maja Lisa so gern habe.
Weil sie ihr soviel Schönes erzähle.
»Ei, sieh,« hatte die Pfarrfrau gesagt, »und kannst du begreifen, woher sie das alles weiß, was sie dir erzählt?«
»Es wird wohl in den Büchern stehen, die sie bei Nacht liest«, hatte die Kleine geantwortet.
»Ach so, sitzt sie bei Nacht auf und liest?« hatte die Pfarrfrau entgegnen »Dann zündet sie sich wohl einen Kienspan an?«
»Nein, nein, sie liest bei einer Kerze, das weiß ich«, lautete die Antwort der Kleinen.
Als es nun Nacht wurde und die Pfarrerstochter und die Kleine wie gewöhnlich schlafen gegangen waren, war die Pfarrfrau, sobald sie in ihren Betten lagen, wie gewöhnlich hereingekommen und hatte das Licht mitsamt dem Leuchter weggenommen.
Aber als es still im Hause geworden war, stand die Pfarrerstochter wieder auf, holte ein Talglicht herbei, das sie unten in der großen Kastenuhr verborgen hatte, schlich damit in die Küche hinaus, blies eine Kohle auf dem Herd an, um ihr Licht anzuzünden, und begann zu lesen. Die Pfarrerstochter hatte einen Bruder in Upsala, der ihr öfters Gedichte machte und sie ihr schickte, weil er wußte, daß sie so etwas über alle Maßen liebte. Und diese Gedichte lernte sie bei Nacht auswendig.
Es war wohl etwas sehr Schönes, was sie eben las, denn sie hörte nicht, daß die Saaltüre aufgemacht wurde, und schaute nicht auf, bis die Pfarrfrau vor ihr stand, eine Hand ausstreckte und das Licht aus dem Leuchter nahm.
»Du willst uns wohl alle miteinander an den Bettelstab bringen,« grollte die Pfarrfrau, »daß du hier aufbleibst und die ganze Nacht Licht brennst. Woher hast du das Licht?«
»Es sind nicht deine Lichte«, antwortete die Pfarrerstochter.
»Ob sie mein sind oder nicht, so werde ich doch achtgeben, daß du nicht hier sitzst und uns alle an den Bettelstab bringst«, entgegnete die Stiefmutter. »Ich werde dich lehren, die Kerzen zu verschwenden, ja, das werde ich.«
Darauf ging die Pfarrfrau hinaus, kam aber gleich wieder mit einem Stück Leinwand zurück.
»Da du nun doch einmal bei Nacht aufsitzen willst, so sollst du wenigstens etwas Nützliches tun«, sagte sie. »So, hier der Hohlsaum an diesem Leintuch muß bis morgen früh fertig sein.«
Dann ging sie, und Mamsell Maja Lisa mußte die ganze Nacht an ihrer Arbeit sitzen.
Wer aber kein Auge zutat, das war die Kleine. Ach, sie war tief unglücklich, weil sie es gewesen war, die verraten hatte, daß die Pfarrerstochter bei Nacht zu lesen pflegte.
Und deshalb war sie so froh, als ihre Mutter kam.
Ach, wenn nun die Pfarrerstochter erführe, was sie getan hatte! Etwas Schrecklicheres konnte sie sich gar nicht denken, und so flehte sie die Mutter an, sie doch mit nach Hause zu nehmen, sie wolle nicht im Pfarrhaus bleiben.
Die Mutter redete ihr zu, so gut sie konnte; aber die Kleine nahm keine Vernunft an und sagte nur immer wieder, es sei ihr einerlei, ob sie auch hungern und frieren müsse, wenn sie nur fortkomme, ehe die Pfarrerstochter böse auf sie geworden sei.
Aber die Mutter blieb fest dabei, sie müsse bleiben, wo sie sei. »Und ich sage dir, die Raclitza wird es auch nicht mehr lange so weitertreiben. Ich selbst werde mit dem Pfarrer reden, denn mich kennt er ja aus alter Zeit, und mir wird er wohl glauben.«
In diesem Augenblick deutete Bubi nach der Stalltüre. »Dort drüben steht jemand«, sagte er.
Mutter und die Kleine drehten sich zugleich um. Ja, dort im tiefen Schatten stand der Pfarrer, nur ein paar Schritte von ihnen entfernt. Er lehnte sich an die Wand und rührte sich nicht.
Beide erschraken über die Maßen, und keines wagte aufzustehen, ihn zu begrüßen. Wann mochte er gekommen sein, und wieviel mochte er gehört haben?
»Marit, bring mir deinen Melkschemel her«, sagte er mit schwacher Stimme.
Rasch eilte Marit mit dem niederen Stühlchen zu ihm hin, und er sank schwer darauf nieder.
»Ruf niemand herbei«, sagte er. »Es ist nur ein Schwindel. Du weißt, ich habe von jeher daran gelitten.«
Marit und die Kleine standen ratlos vor ihm, und Marit verwunderte sich sehr, wie alt er geworden war. Bei dem Weihnachtsessen auf dem Nyhof hatte sie es nicht so gemerkt; aber jetzt fiel es ihr auf, wie mager und zusammengefallen er war.
»Nein, es ist nichts Gefährliches, aber es überfällt mich jetzt recht oft«, sagte er. »Es ist aus mit mir, Marit, verstehst du?«
Doch schon nach einem ganz kleinen Weilchen stand er wieder auf.
»Sag’ drüben nichts davon«, gebot er; und dann ging er langsam und gebückt zum Stalle hinaus.