Kitabı oku: «Der Erbe des Riesen», sayfa 8

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»Oh«, entfuhr es ihr, nachdem sie den Kleinen gesehen hatte. Alle Lobesworte erstarben ihr auf der Zunge. Das Gerücht von der Hässlichkeit des Kindes machte bereits die Runde, aber niemand glaubte, dass es wirklich so schlimm war, bis er Sorayn selbst gesehen hatte. Schnell wandte Fanes sich Ilinias zu und fragte sie nach ihrem Befinden, und wie die Besucher vor ihr fand sie recht schnell wieder hinaus. Kurze Zeit danach ließ Blitz den Kaiser ins Zimmer.

Er beugte sich über die Wiege und betrachtete Sorayn, ohne eine Miene zu verziehen.

»Nun, Majestät?«, fragte Ilinias und verzog spöttisch das Gesicht. »Wie gefällt Euch mein Kind, auf dem Rins Segen ruht?«

Der Kaiser zögerte mit seiner Antwort.

Sie lachte leise. »Wunderbar und einzigartig, in der Tat.« Der außergewöhnliche Name ihres Sohnes kam ihr nun vor wie ein Hohn. »Der Einzigartige, ha! In ganz Kirifas, nein, im ganzen Kaiserreich«, sagte Ilinias laut, »gibt es wohl kein Kind, das so hässlich ist wie dieses. Es sieht gar nicht aus wie ein Kind. Es sieht aus wie eine Puppe, die ein ungeschickter Spielzeugmacher aus den Resten verschiedener kaputter Puppen zusammengebastelt hat. Von jener einen Arm, von einer anderen das Bein, von dieser den Kopf, aber natürlich nicht den ganzen. Nehmen wir von dieser hübschen Mädchenpuppe die schönen blauen Augen. Dort, jene mit dem Erwachsenengesicht, berauben wir ihrer Nase. Von jener nehmen wir die Ohren, und von der dort den Mund. Und das Kinn – ach, wozu brauchen wir ein Kinn? Das lassen wir gleich fort. Mit Haaren brauchen wir nicht geizig zu sein, reißen wir der schwarzen Katze dort einfach ein paar aus. So, fertig. Ein einzigartiges Kind. Sollten wir uns denn mit weniger zufrieden geben? Mit einem ganz gewöhnlichen Balg, das vielleicht sogar andere Leute niedlich finden könnten?«

Kanuna wandte sich zu ihr hin. »Ilinias …«

»Ja, Majestät?« Ihre blauen Augen funkelten ihn angriffslustig an.

»Ich hatte nicht vor, irgendetwas Schlechtes über dein Kind zu sagen.«

Betreten senkte sie den Blick. »Verzeiht, Majestät.«

»Ich weiß, das ist kein Trost«, sagte er, »aber immer wieder werden Kinder geboren, die anders sind, schwach und krank, und die nie so werden wie andere Menschen. Niemand weiß, warum Rin uns auch solche Kinder schickt. Niemand weiß, was daraus vielleicht noch Gutes entstehen könnte.«

»Habt Ihr auf seine Augen geachtet?«, fragte Blitz. »Er hat die gleichen Augen wie Ilinias, blau und schön.«

»Aber er macht sie kaum auf«, klagte Ilinias.

Das Kind lag in seiner Wiege und rührte sich nicht. Wenn es wach war, starrte es vor sich hin, ohne etwas zu sehen. Blitz kam es manchmal vor, als sei dieses Kind von seiner eigenen Geburt so überrascht worden, dass es erst einmal zu sich kommen musste. Das Kind. Sie nannten es alle »das Kind«, sie vermieden es, seinen Namen auszusprechen, als wäre sein Name eine Krone, die nicht zu diesem Kopf passte. Und wenn einer von ihnen es sagte – sie selbst oder ein Besucher –, erschraken sie alle gemeinsam über diesen Namen, in dem so viel Segen und Verheißung lagen. Sorayn, der Einzigartige.

Einmal, nachdem sie etwas länger geschlafen hatte und nicht schon nach zwei, drei Stunden von dem Kind geweckt wurde, erwachte Ilinias und es kam ihr vor, als sei dies alles nur ein Albtraum. Irgendwann würde sie erwachen, zu ihrem richtigen Leben, das irgendwo ohne sie stattfand, und würde feststellen, dass nichts von dem hier wirklich passiert war. Sie hatte kein Kind bekommen, das aussah wie ein groteskes Ungeheuer. Sie war immer noch schwanger und irgendwann würde ihr Sohn zur Welt kommen, klein und fein und niedlich, ein Junge, der aussah wie Blitz. Sie konnte sich vorstellen, dass es möglich war, ein Kind, das Blitz glich, innig zu lieben. Schwarzes Haar. Ein Kind, das lächeln konnte, ein Kind, über das sich die anderen Leute beugten und Ausrufe des Entzückens von sich gaben.

Sie merkte, dass Blitz wach war. Auch er horchte wohl darauf, dass der Kleine sich meldete. Diese Nacht war ungewöhnlich ruhig gewesen.

»Ilinias.« Er streckte die Hand aus und streichelte ihre Wange.

Es war ein herrlicher Traum: sich vorzustellen, dass es nur sie beide gab. Dass dieses Kind nicht zu ihnen gehörte, dass Rin ihnen gnädig gewesen war und ihnen ein anderes Kind geschenkt hatte, ein richtiges Kind.

»Es tut mir so leid«, flüsterte sie unter Tränen.

»Was?«, fragte er und blickte sie voller Zärtlichkeit an. Im Schein der kleinen Lampe sah er älter und gereifter aus, ein erwachsener Mann, aber sie fühlte sich wie ein kleines, verlorengegangenes Mädchen.

Sie wischte sich über die Augen. »Das«, flüsterte sie und wies in Richtung Wiege. »Ich wollte dich stolz machen. Ich wollte, dass du dich freust und es lieb hast, so wie du Manina lieb hast. Bitte, sei mir nicht böse, verachte mich nicht …«

»Was machst du dir nur für Gedanken?«, wunderte Blitz sich. »Ich habe ihn lieb, glaub mir. Das ist unser Sohn!«

Aber Ilinias weinte. »Ich wollte nie, dass es so wird, glaub mir …«

»Aber ich gebe dir doch nicht die Schuld! Kein Mensch gibt dir die Schuld daran!«

»Das stimmt nicht«, sagte sie. »Das stimmt nicht und du weißt das. Im Palast zerreißen sie sich das Maul darüber, wer wohl der Vater von diesem Monstrum ist. Hast du das wirklich nicht mitbekommen? Sie reden darüber, wer der hässlichste Mann von Kirifas ist. Manche haben sich sogar an diesen komischen Zwerg erinnert, und behaupten, er wäre der Vater!«

»Kroa?«, fragte Blitz verständnislos.

»Sie sagen, wenn ich immer nur dich angesehen hätte, müsste mein Kind so aussehen wie du. Und ich habe nur dich angesehen, wirklich! Ich habe nie auch nur an einen anderen Mann gedacht! Ach, Blitz … Sie sagen sogar, wenn eine Schwangere Hässliches denkt, dann kann ihr Kind davon hässlich werden.«

»Lass sie doch reden, sie haben keine Ahnung. Du bist so eine wundervolle Frau, Ilinias. Du hast bestimmt nie etwas Hässliches gedacht.«

»Doch.« Ihr Weinen wurde stärker. »Ich hab die ganze Zeit gedacht, dass ich dieses Kind eigentlich gar nicht möchte. Ich hab nur ans Kämpfen gedacht und daran, wie ich möglichst schnell wieder meine Übungen aufnehmen kann. Ich habe keine Socken gestrickt und mit Blümchen verziert oder was die anderen Frauen so machen, wenn sie schwanger sind. Ich wollte kein Kind und deshalb ist es auch kein richtiges Kind geworden, sondern so ein schreckliches Ding.«

»Du bist nicht schuld.« Er nahm sie in den Arm und wiegte sie sanft hin und her. »Lass dir das von niemandem einreden.«

»Es tut mir so leid.«

»Oh meine Liebe, weine nicht.«

Schon lange hatten sie einander nicht mehr innig umarmt, nicht wie Liebende miteinander geflüstert. Seit sie in Kirifas waren, war ihnen auch ein guter Teil der Leidenschaft verloren gegangen, die sie auf ihrer Flucht vor Zukata empfunden hatten, angefacht von Gefahr und Wagnis. Hier, im Palast, war jeder seinen eigenen Geschäften nachgegangen – Blitz kümmerte sich um Manina und verbrachte darum viel Zeit mit der kaiserlichen Familie, Ilinias hielt sich bei den Wächterinnen auf. Jeder lebte sein eigenes Leben. Es war, als hätte diese kurze Zeit, in der Mino in Kirifas gewesen war, einen Schatten über ihre Liebe geworfen oder eine Schlucht zwischen ihnen aufgerissen. Doch nun, als er sie zu trösten versuchte, war die alte Verbundenheit wieder da. Ilinias kuschelte sich in seine Umarmung. In diesem Moment der Ehrlichkeit wagte sie es, etwas zu sagen, was ihr schon lange auf dem Herzen lag: »Mino hätte dir bestimmt ein richtiges Kind geschenkt.«

»Denk nicht an Mino«, sagte er leise. »Du bist es, die ich geheiratet habe.«

Mehr als alles andere wünschte sie sich, sie hätte in sein Herz hineinsehen können, aber zugleich fürchtete sie sich vor dem, was sie dort vielleicht zu sehen bekäme.

»Denkst du denn an sie?«, fragte sie.

»Ilinias«, sagte Blitz nur und küsste sie auf ihr tränennasses Gesicht.

In diesem Moment begann Sorayn sich unruhig zu bewegen, und Blitz sprang aus dem Bett, um ihn zu ihr zu bringen, bevor er mit seinem Geschrei den ganzen Palast aus dem Schlaf riss.

»Mino ist eine Erinnerung an eine schöne Kindheit«, sagte er, als er ihr das Kind an die Brust legte. »Du bist hier. Du bist meine Frau. Und das ist mein Sohn.« Er streichelte das haarige Köpfchen. »Unser kleiner Sohn. Mach ihn nicht schlechter, als er ist, Ilinias. Muss denn jeder Mensch hübsch sein?«

Ja, dachte sie nur. Das Gesicht des Kleinen lag im Schatten. Sie sah es nicht an, sie schaute auf Blitz, der an der Bettkante saß. Vielleicht, wenn wir blind wären, wenn wir in einer dunklen Welt lebten, in der nur unsere Worte und unsere Taten und unsere Gedanken zählten … Aber, hätte sie am liebsten gefragt, würdest du mich dann lieben, Blitz? Würdest du mich lieben, in einer dunklen Welt? Du Lügner.

Wenn Ilinias den Kleinen an ihre Brust legte, schloss sie die Augen, um ihn nicht dabei ansehen zu müssen. Sie versuchte sich vorzustellen, dass sie ein anderes Kind im Arm hielt, ein hübsches, freundliches Kind, das ihren Blick suchte. Sorayn war dagegen nicht freundlich. Er trank mit einer Gier, die sie überraschte und die ihr Schmerzen bereitete. Schließlich fragte sie die Hebamme, ob das Stillen allen Frauen so wehtat. Die erfahrene Heilerin betrachtete verwundert Ilinias’ gerötete Brust und sah sich daraufhin das Kind noch einmal an.

»Das gibt es doch nicht! Er hat schon einen Zahn! Kein Wunder, dass er dir wehtut.«

Es bereitete Ilinias ungeahnte Qualen, ihr Kind zu versorgen. Er trank so viel, dass ihre Brüste Unmengen an Milch bildeten – dann wieder schlief er so lange, dass sie sich sehnlichst wünschte, er würde trinken, doch er war nicht wachzubekommen. An die Wiederaufnahme ihrer Übungen bei den Amazonen war nicht zu denken. Mit kühlenden Umschlägen auf ihrer Brust lag sie im Bett, während der Kleine sich nicht darum scherte, ob seine Ansprüche ihr bekamen oder nicht. Alle Ratschläge der Hebamme, wie sie ihn zu regelmäßigen Fütterungszeiten erziehen könnte, schlugen fehl. Wenn er schlief, ließ er sich nicht wecken, und wenn er Hunger hatte, brüllte er mit einer Lautstärke, die fast im ganzen Palast zu hören war und es nicht zuließ, ihn warten zu lassen. Und doch waren diese ersten beiden Wochen nichts gegen das, was noch kommen sollte; später wünschten sie sich diese Zeit zurück.

Bei seinem ersten Anfall glaubte Ilinias, ihr Kind würde ersticken. Es rang nach Luft und lief blau an, es krümmte sich und zuckte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, was sie tun konnte, und schließlich lief sie los, den Kleinen im Arm, um nach dem kaiserlichen Heiler, dem Arzt Rugan, zu suchen. Noch bevor sie ihn gefunden hatte, hatte das Kind wieder Luft geholt und begann zu schreien. Es waren solche lauten, qualvollen Schreie, dass ihr schien, er würde jetzt sofort in ihren Armen sterben, und Ilinias lief weinend durch den Palast und hoffte, Rugan rechtzeitig zu finden.

Schließlich fand er sie, von dem Geschrei herbeigerufen, aber er war genauso hilflos wie sie.

»Ich weiß nicht, was er hat«, musste der Arzt zugeben, nachdem er das Kind kurz untersucht hatte. Er tastete es ab, um festzustellen, ob irgendetwas gebrochen war, und fragte sie etwas verlegen, ob sie es vielleicht fallengelassen hatte. »Ruf mich noch einmal, wenn er schläft, vielleicht kann ich ihn dann besser untersuchen.«

Ilinias kam es unwahrscheinlich vor, dass ihr Sohn jemals wieder schlafen würde, geschweige denn, dass er diesen Tag überhaupt überlebte. Eine Menge Leute waren zusammengelaufen, um zu sehen, was es gab. Es wäre Ilinias peinlich gewesen, so viel Aufsehen zu erregen, wenn sie nicht so benommen von dem Lärm gewesen wäre, dass ihr bald alles gleich war, wenn es nur aufhörte. Die neugierigen Fürstinnen, die darauf hofften, auch einmal einen Blick auf das sagenhaft hässliche Kind werfen zu können, überboten sich mit weisen Ratschlägen.

»Das ist Bauchweh, das hatte meine Tochter auch in dem Alter.«

»Nein, das sind Schüttelkrämpfe, hast du nicht gesehen, wie es zuckt?«

»Solche Kinder leben sowieso nicht lange.«

Ilinias legte Sorayn ein Tuch über das Gesicht, damit niemand ihn sah, während sie zurück in ihr Zimmer ging. Die Dunkelheit schien ihn ein wenig zu beruhigen, aber vielleicht war er auch nur erschöpft. Irgendwann wurde er tatsächlich ruhiger und schlief ein. Wieder brauchte sie den Arzt nicht zu rufen – am abebbenden Gebrüll hatte er selbst erkannt, dass er nun zu der Untersuchung kommen konnte. Hinter ihm erschien die übergroße Gestalt des Riesenkaisers in der Tür.

»Es tut mir so leid, dass wir hier solchen Lärm machen«, begann Ilinias, aber Kanuna winkte ab. »Lass uns mal sehen, was er hat.«

Rugan hatte sein Hörrohr an die Brust des Kleinen gelegt, der im Schlaf nur noch hin und wieder leise aufschluchzte.

»Sein Herz schlägt aber laut«, fand er verwundert. »Laut und – ja, unregelmäßig. Zu schnell. Einmal laut, dann leise, dann …« Er runzelte die Stirn. »Hat er etwa zwei Herzen? Ein kleines und ein großes?«

»Und das erklärt, warum er so schreit?«

Rugan versuchte, seine hilflose Miene durch ein gelehrtes Gesicht zu ersetzen, aber es gelang ihm nur schlecht.

»So ein Fall ist mir noch nie begegnet. Nein, ich weiß nicht, was mit ihm ist. Vielleicht würde ihm eine Luftveränderung gut tun? Wärme und Sonne?«

»Ja, vielleicht«, sagte Ilinias ohne Überzeugung.

Nun trat der Kaiser an die Wiege.

»Wenn Keta hier wäre«, sagte er leise. »Was immer es ist, ich bin sicher, er könnte es heilen. Seine Hände vermögen Unglaubliches … Aber ich tue, was ich kann.«

Er legte seine Hände auf das schlafende Kind. Sofort öffnete es die Augen und sah ihn an.

»So haben mich meine Söhne angeblickt, als sie klein waren«, sagte Kanuna. »Mit ebensolchen blauen, wissenden Augen …«

»Eure Söhne waren gesund und kräftig«, bemerkte Rugan. »Wir wissen beide, dass es nicht möglich ist, jedes Kind zu retten.«

Kanuna ließ sich nicht beirren. Er berührte den missgestalteten Körper mit seinen großen Händen, die Segen verteilen konnten und Heilung – wenn auch nicht im selben Maße wie die seines Sohnes –, und er murmelte irgendetwas, vielleicht ein Gebet.

»Mehr kann ich nicht tun«, sagte er zu Ilinias. »Vielleicht wird es besser, vielleicht auch nicht.«

Es wurde nicht besser. Bereits am nächsten Tag ereilte Sorayn der nächste Anfall, und er schrie so laut, dass niemand im Palast seiner Arbeit nachgehen konnte und mehrere Beschwerden beim Kaiser eingingen.

»Er ist gewachsen«, stellte Ilinias verwundert fest, als Blitz zusammen mit Manina nachsehen kam, was los war; bei dem Gebrüll war es unmöglich, sie zu ihrem Mittagsschlaf zu bewegen. »Sein rechter Arm ist jetzt länger als der linke. Das war gestern noch nicht so. Und schau dir seine Nase an. Ist sie nicht noch dicker als vorher?«

»Du meinst, er schreit, wenn er wächst? Aber so schnell wächst niemand.«

»Sieh es dir an, wenn du mir nicht glaubst.«

Blitz musste zugeben, dass Sorayn noch merkwürdiger aussah als sonst.

»Ich hoffe nur, das gibt sich«, meinte er. »Ich dachte bisher immer, dieser Palast ist fest und sicher gebaut, aber langsam habe ich den Eindruck, die Wände sind nur aus Papier. Wie kann ein so kleines Kind eine so laute Stimme haben?«

Es gab sich nicht. Der Rat, Wärme und Sonne und vielleicht auch noch Seeluft könnten ihrem kranken Schreihals helfen, wurde ihnen so oft erteilt und von so vielen Seiten, dass sie es schließlich selbst für das Beste hielten, Kirifas zu verlassen und eine Reise zu machen.

»Wir fahren nach Arima«, sagte Blitz zum Kaiser. »Noch bevor der Winter kommt. Vielleicht wird es am Meer besser. In der milden Luft … Wir können dort den ganzen Tag über mit ihm draußen sein. Und ich möchte natürlich auch meinen Bruder und seine Frau wiedersehen. Ich hatte mir zwar gewünscht, Manina noch ein wenig Zeit zu geben, aber …«

»Wegen Manina mach dir keine Sorgen. Kümmere dich um deinen Sohn. Wir hoffen hier alle, dass ihr, wenn ihr wiederkommt, ein gut erholtes Kind mitbringt.«

Kanuna bat ihn nicht, bei Manina zu bleiben, er sorgte sogar dafür, dass sie möglichst schnell abreisen konnten. Der ganze Hofstaat atmete auf, als Blitz und Ilinias zusammen mit Sorayn die Stadt verließen. Endlich kehrte im Palast des Kaisers wieder Ruhe ein.

6. Auf der Insel

» D A SM E E RR U F T « ,sagte Mino. »Wusstest du das? An den meisten Tagen ist es nur ein Geräusch. Heute habe ich es wieder rufen hören. Norha?«

Er hatte ihr gesagt, dass er wieder eine Reise machen würde, und sie hatte bereits seine Sachen zusammengepackt. »Kann ich nicht mit?«

Norha, der hastig sein Frühstück in sich hineinschaufelte, sah erstaunt auf. »Du willst freiwillig mit?«

»Ja«, sagte sie, sie lachte, »warum nicht? Ins Kaiserreich. Auf die Wanderwege, durch die Wälder. Nimm mich mit.«

Er schüttelte den Kopf, eine unübersehbare Röte überzog sein Gesicht. Ihm wurde heiß, aber er tröstete sich damit, dass sie nicht wissen konnte, warum. »Reisen macht man, weil man sie machen muss. Ich muss nun eben mal ein paar Dinge verhandeln. Niemand nimmt die ganzen Strapazen auf sich, wenn er nicht dazu gezwungen ist. Wozu habe ich dir dieses schöne Haus gebaut? Lass es dir gutgehen, während ich fort bin.«

»Aber ich bin gerne unterwegs.«

»Nein«, beschied er schroff.

Sie bettelte nicht. Eher fassungslos als beleidigt sah sie seinem Aufbruch zu. Zum Abschied küsste er sie auf die Wange.

Den Mann, der vor der Tür wartete, um den Koffer zu tragen, hatte er nie zuvor gesehen. Wie ein windiger Geselle sah er eigentlich nicht aus, aber Norha wusste mittlerweile, dass die Leute, die Wikant ihm schickte, nicht ganz so waren wie andere Menschen.

»Das Schiff ist bereit«, verkündete der Fremde. »Das Königreich Henten wartet auf Euch.« Er grinste.

So lange wie möglich hatte Norha diese Reise hinausgezögert. Er wollte das nicht tun, und Wikant und Tinek hatten ihm versprochen, dass sie ihn nie wieder fragen würden. Und doch hatten sie es natürlich getan. Ihr Geld schien nie zur Neige zu gehen, aber seins schon. Der Umbau des Hauses hatte weitaus mehr verschlungen, als er sich je vorgestellt hatte. Vielleicht hatte er zu viele Arbeiter beschäftigt, aber es war ihm viel daran gelegen gewesen, die Sache rasch zu einem Abschluss zu bringen. Außerdem war es pompöser geraten, als er ursprünglich geplant hatte. Fast wie ein kleines Schloss sah es nun aus, mit zwei Erkern vorne, die sich rund wie die Türme einer Burg aus der Fassade herausschälten.

»Du bist begabter darin, als du selbst glaubst«, hatte Tinek ihm versichert. »Deine Angaben über Sitra waren von unschätzbarem Wert. Die Königin hat … aber du hast ja gesagt, du wolltest nicht wissen, was daraus wird.«

»Das will ich auch nicht«, gab er trotzig zurück.

»Na ja, und falls du es dir doch überlegst … Henten ist so ein nettes kleines Land, um das es nie viel Gerede gibt. Was treiben sie dort so in ihren beschaulichen kleinen Schlössern und Herrenhäusern, die Adligen von Henten? Das würde ich doch zu gerne wissen.«

»Du irrst dich«, sagte er. »Ich habe gar nichts herausgefunden in Sitra. Liadett war’s.«

»Liadett?« Tinek zog die Brauen hoch. »Aber Norha, du Schlawiner, es gab in Sitra eine Liadett? Weiß Mino das?«

»Willst du mich auch erpressen?«, knurrte er.

Aber Tinek bohrte so lange, bis er ihr alles über die kurze Bekanntschaft mit der redseligen Gräfin erzählte.

Was erwartete sie? Dass er in Henten ebenfalls auf eine solche Frau stieß, die er dazu bringen konnte, ihm die Geheimnisse der Reichen zu verraten? Es war eine absolut sinnlose Reise, und dass sie ihn mit dem Schiff an die Küste von Henten bringen wollten, machte es nicht besser.

Missmutig schlurfte er dem Gepäckträger hinterher, über die Planke auf das kleine Schiff, das dort auf ihn wartete. Wikant hatte die Reise für ihn bezahlt, anscheinend kannte er den Kapitän.

»Hier hinunter. Eure Kajüte, Fürst Norha.« Mit ausgesuchter Höflichkeit brachte der Matrose ihn unter Deck. Er öffnete ihm sogar die Tür. Und dort, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, saß Liadett.

»Was machst du denn hier?«, fragte er, und er stellte sich vor, was passiert wäre, wenn er Mino erlaubt hätte, mitzukommen. Er hatte nicht gewollt, dass sie Zeugin seiner hilflosen Schnüffelversuche wurde, aber schlimmer als das hier hätte es kaum kommen können. »Um Himmels Willen, Liadett!«

»Sehr freust du dich aber nicht, mich zu sehen. Und das, obwohl du mich doch herbestellt hast. So geheimnisvoll haben sie alle getan! Lass dich umarmen, Nörchen!«

In der Kajüte war es zu eng, um ihr auszuweichen.

»Ich bin verheiratet!«

»Das macht mir nichts aus, ehrlich nicht.«

Das hatte er schon in Sitra erfahren, aus ihren Erzählungen. In so manch einer Geschichte von untreuen Gatten war Liadett eine der Hauptpersonen gewesen.

»Ich soll mit dir in Henten an den Königshof?«, fragte er. »Als was soll ich dich dort wohl vorstellen? Als meine Frau?«

Liadett lachte. »Ach, Norha! Dass du so um meine Ehre besorgt bist! Ich spiele deine Frau, wann immer und wie oft du es wünschst.«

Er drängte sich an ihr vorbei nach draußen und hastete die Stiege nach oben an Deck. Aber es war zu spät. Das Schiff hatte schon abgelegt, und Arima wurde bereits zu einem kleinen, bunten Fleck auf dem Wasser. Hinter ihm trat Liadett an die Reling.

»Wir werden eine wunderschöne Zeit haben«, prophezeite sie.

Es gab kein Entrinnen.

Der Aufenthalt in Henten wurde noch ergiebiger als sein Besuch in Sitra. Überall hieß man ihn und die fröhliche Liadett willkommen. Und Liadett fand heraus, was immer sie herausfinden wollte. Die adligen Damen zuckten zusammen, wenn sie lachte, aber die Dienstmädchen kannten keine Zurückhaltung, wenn es darum ging, über ihre Herrschaft herzuziehen. Mit ihnen verstand die quirlige Gräfin sich bestens. Und wo es nichts herauszufinden gab, schuf Liadett neue Tatsachen, denn schöner und aufregender als der Langweiler Norha waren die Männer überall.

Schließlich wurde es ihm zu bunt und er reiste einfach ab, ohne auf irgendjemandes Erlaubnis zu warten. Es zog ihn zurück zu Mino, zurück nach Arima, er sehnte sich nach dieser Insel, auf der alles so einfach schien, auf der es leicht war, alles, was er tat und getan hatte, zu vergessen. Er bestellte sich eine Kutsche und fuhr ab, ohne sich umzublicken.

Weit war er noch nicht gekommen, als der Kutscher hielt und zwei Männer einstiegen, die sich rechts und links von ihm setzten, und dann quetschte sich noch ein dritter in das Gefährt und nahm den Platz gegenüber ein.

Norha spürte sofort, dass das keine normalen Mitreisenden waren.

»Was wollt ihr?«, fragte er. »Ich habe nichts.«

»Oh, wir sind sicher, dass du eine Menge hast.« Der Sprecher, der ihm gegenüber saß, hatte nichts von einem Wegelagerer. Norha war noch nie überfallen worden und hatte sich Räuber immer ungepflegt, bärtig und etwas zerlumpt vorgestellt. Doch diese Männer hier wären nicht einmal in dem Schloss, das er gerade Hals über Kopf verlassen hatte, aufgefallen.

»Dann erzähl mal.«

»Hat mein Bruder euch geschickt?«, fragte er misstrauisch und wusste nicht, ob er das hoffen sollte oder ob er lieber einen Kampf mit Banditen ausfechten wollte, die vielleicht vorhatten, ihn zu ermorden. Wenn sie von Wikant kamen, hatte er wenigstens nichts zu befürchten. »Wenn, dann kommt ihr vergebens. Ich weiß nichts. Ich habe überhaupt nichts herausgefunden.«

»Und deine kleine Freundin?«

»Fragt sie doch selbst.« Er biss sich auf die Lippen. Nein, etwas Schlimmeres konnte gar nicht geschehen. Liadett kannte keine Grenzen, wenn es um ihren Spaß ging, aber sobald sie erfuhr, dass ihretwegen Leute erpresst wurden, würde sie ihn hassen. »Nein, nein, fragt sie nicht.«

Er zählte die Namen auf, die Taten, die Geheimnisse anderer. Und dabei wusste er zu gut, dass er selbst ebenfalls erpressbar war, dass Tinek, wenn er nicht mehr mitspielte, zu Mino hingehen und ihr alles berichten konnte.

Die Männer hörten zu. Sie lächelten nicht, nicht einmal ermutigend. Es war wie ein Verhör, in dem er alles sagen musste, ohne zu wissen, ob man mit ihm zufrieden war, ob es das Richtige war, ob er sich damit sein Leben oder seine Freiheit oder sogar einen Anteil der Beute erkaufen konnte.

»Das war alles«, sagte er schließlich, als ihm nichts mehr einfiel, überhaupt nichts mehr.

Sie sagten nichts. Sie stiegen einfach nur aus. Und ihr Anführer wandte sich noch einmal zu ihm um und sagte: »Du hörst von uns.«

Es klang wie eine Drohung.

Er kam nach Hause, auf seine Insel, und sah das große, prächtige Haus, und die Vorstellung, dass diese Männer ihm bis hierhin folgen konnten, jagte ihm einen kalten Schauer den Rücken hinab.

Mino trat vor die Tür, ihr helles Haar wurde vom Wind erfasst und wehte ihr ins Gesicht. Sie eilte ihm entgegen.

»Geh lieber rein«, sagte er. »Hier ist es nicht sicher. Wir sollten einen Zaun errichten. Oder lieber gleich eine Mauer. Und einen höheren Turm.«

»Hat deine Reise sich gelohnt?«, fragte sie. Ganz offensichtlich versuchte sie, seine ernsten Worte zu überhören.

»Das werden wir sehen«, murmelte er und begann voller Unbehagen darauf zu warten, dass er Besuch von ihnen bekam.

Sie hatten sich dafür entschieden, mit einem Frachtkahn den Fluss bis ans Meer hinunterzufahren; es schien ihnen der schnellste und sicherste Weg. Dass es die richtige Entscheidung gewesen war, merkten sie daran, dass Sorayn weniger schrie. Das Schaukeln des Bootes auf den Wellen beruhigte ihn. Blitz und Ilinias hatten befürchtet, dass der Kapitän sie irgendwann aussetzen würde, aber der Kleine benahm sich auf dieser Reise fast wie ein ganz normales Baby. Sie verdeckten sein Gesicht stets mit einem leichten Tuch und erklärten auf Anfragen, dass er sehr empfindlich auf Zugluft reagiere. Es war Herbst und in Aifa war es jetzt schon recht kühl, aber Blitz wusste, dass sie, wenn sie erst Arima erreichten, in einen angenehm warmen, goldenen Spätherbst eintauchen würden.

Ilinias genoss es, jedenfalls zu Beginn ihrer Fahrt, wieder mit Blitz zusammen unterwegs zu sein. Obwohl er es sich nicht nehmen ließ, den Binnenschiffern zur Hand zu gehen, war er ihr wieder voll zugewandt und sie musste seine Aufmerksamkeit nicht mit Manina und dem Kaiser teilen. Sie hätte fast selbst daran glauben können, dass sie eine glückliche kleine Familie waren.

Doch je näher sie der Küste kamen, umso mehr wuchs die Angst in ihr. Arima. Auf Arima war all das, wovor sie sich fürchtete. Mino. Blitz würde sie wiedersehen, dieses weißhaarige Mädchen, diese andere, die zwischen ihnen stand. Und dann war da noch Blitz’ Familie. Sein Bruder und dessen Frau – auch davor, diese beiden zu treffen, schrak sie zurück. Sie wollte so gerne einen guten Eindruck auf ihre neue Verwandtschaft machen. Blitz hatte ihr erzählt, dass Alika eine Amazone war, und so sehr Ilinias Amazonen bewunderte, so sehr fürchtete sie sich vor dieser Begegnung. Mehr als alles in der Welt graute ihr vor dem Moment, in dem Blitz den beiden das Kind zeigen würde. Seht her, unser Sohn Sorayn. Und dann, wenn sie ihn sahen und erschraken und wenn ihre Blicke auf Ilinias fielen, fragend: Ist das wirklich Blitz’ Sohn, bist du sicher?

»Was hast du?«, fragte Blitz, dem auffiel, wie sie immer schweigsamer und düsterer wurde.

»Müssen wir …« Sie zögerte. »Können wir den Kleinen nicht irgendwo lassen und deinen Bruder erst alleine besuchen?«

»Und wo willst du ihn lassen?«

Das war das Problem. Sie konnten ihn nicht irgendwo abgeben, irgendeine Fremde darum bitten, auf ihn aufzupassen. Ilinias seufzte.

»Schämst du dich seiner?«, fragte Blitz.

Ja!, wollte sie rufen. Natürlich, was denkst du denn? Glaubst du, ich bin stolz auf ihn?

Manchmal hätte sie das eingewickelte Bündel am liebsten über Bord geworfen. Er war so erstaunlich ruhig geworden und schlief fast die ganze Zeit. Anders als andere Kinder in diesem Alter versuchte er nicht, sich umzudrehen; er kaute ja nicht einmal auf Spielsachen herum. Er lag nur da und in seinen blauen Augen lag ein verträumter Glanz.

»Es ist nicht nur das Aussehen, das weißt du«, sagte sie. »Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Nein, nicht irgendetwas. Alles. Es ist alles gänzlich falsch. Er ist sehr, sehr krank.«

»Mir kommt er nicht so krank vor«, meinte Blitz. Vielleicht bemühte er sich nur, sie aufzumuntern, aber Ilinias machte es nur wütend, wenn er das Offensichtliche so beharrlich leugnete.

»Ich mag mir gar nicht ausmalen, was dein Bruder dazu sagt.«

»Was soll er schon sagen? Gratuliere, Blitz, zu deinem Sohn. Und zu deiner wunderschönen Frau. Ich hatte ihm ja eine Überraschung angekündigt, nun gibt es zwei.«

»Eine schöne Überraschung.« Wie konnte er glauben, dass El Jati und Alika sie mit diesem Ungeheuer herzlich empfangen würden? Er glaubte sie zu kennen, aber was war, wenn er sich irrte? Ilinias schämte sich so sehr, mit diesem hässlichen, kranken, missgestalteten Kind die Familie zu besuchen, auf die sie einen guten Eindruck machen wollte, dass sie dem Ziel ihrer Reise nur noch mit Angst und Sorge entgegensah.

Blitz jedoch legte Sorayn auf die Bohlen des Frachtkahns.

»Fühl es«, sagte er zu ihm. »Das Boot. Die Wellen unter dir, den Fluss. Du stammst aus einer Familie von Seefahrern. Dein Großvater ist Matrose und auch ich kann ganz gut mit Booten. Nur dein Onkel El Jati will damit nichts zu tun haben. Es ist deine Entscheidung, Kleiner. Ah, ich sehe schon, du gerätst nach mir. Du liebst Boote, hab ich recht?«

Ilinias saß in der Nähe. »Leg ihm doch bitte wieder das Tuch über, bitte!« Es machte sie krank, wie unbefangen Blitz sich mit dem Kind unterhielt, als bestünde nicht die Gefahr, dass einer der Matrosen in ihre Nähe kam. Aber Blitz ließ sich nicht beirren.

»Das Blaue über uns ist der Himmel. Blau wie deine Augen, blau wie die Augen deiner Mutter.«

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