Kitabı oku: «Krieg und Frieden», sayfa 34

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XII

Zwischen neun und zehn Uhr abends kam Weyrother mit seinen schriftlichen Plänen in Kutusows Quartier, wo ein Kriegsrat angesetzt war. Alle höheren Offiziere waren aufgefordert worden, zum Oberkommandierenden zu kommen, und außer dem Fürsten Bagration, der ausrichten ließ, daß er nicht kommen könne, waren alle zur bestimmten Stunde erschienen.

Weyrother, der die gesamte Disposition für die bevorstehende Schlacht entworfen hatte, bildete mit seiner Lebhaftigkeit und Raschheit einen scharfen Gegensatz zu dem verstimmten, schläfrigen Kutusow, der nur ungern die Rolle des Vorsitzenden und Leiters im Kriegsrat übernommen hatte. Weyrother fühlte sich offenbar als das Haupt der Bewegung, die bereits eine unaufhaltsame geworden war. Er hatte Ähnlichkeit mit einem eingespannten Pferd, das mit einer Fuhre bergab läuft. Ob er zog oder vorwärts gedrängt wurde, wußte er selbst nicht; aber er jagte mit größtmöglicher Schnelligkeit dahin, ohne daß er jetzt noch Zeit gehabt hätte, zu überlegen, wohin diese Bewegung führen werde. Weyrother war an diesem Abend zweimal zum Zweck persönlicher Rekognoszierung bei der feindlichen Vorpostenkette gewesen, zweimal bei den Kaisern von Rußland und von Österreich, um ihnen Bericht zu erstatten und die nötigen Mitteilungen zu machen, und dann noch in seiner Kanzlei, wo er die Disposition in deutscher Sprache diktiert hatte. Sehr erschöpft kam er jetzt zu Kutusow.

Er war offenbar so sehr mit seinem Plan beschäftigt, daß er sogar den schuldigen Respekt gegen den Oberkommandierenden vergaß: er unterbrach ihn mehrmals und sprach hastig und undeutlich, ohne ihm ins Gesicht zu sehen und ohne auf die Fragen, die jener an ihn richtete, zu antworten. Auch war er mit Schmutz bespritzt und sah leidend, angegriffen und zerstreut, dabei aber doch selbstbewußt und stolz aus.

Kutusow bewohnte ein kleines, einem Edelmann gehöriges Schloß bei Ostralitz. In dem großen Salon, der zum Arbeitszimmer des Oberkommandierenden umgestaltet war, waren Kutusow selbst, Weyrother und die übrigen Mitglieder des Kriegsrates versammelt. Sie tranken Tee und warteten nur noch auf den Fürsten Bagration, um die Beratung zu beginnen. Aber statt Bagration kam einer seiner Ordonnanzoffiziere mit der Nachricht, der Fürst könne nicht kommen. Fürst Andrei ging in das Sitzungszimmer, um dies dem Oberkommandierenden zu melden, und Gebrauch machend von der Erlaubnis, die ihm Kutusow vorher erteilt hatte, bei dem Kriegsrat anwesend zu sein, blieb er im Zimmer.

»Da Fürst Bagration nicht kommt, können wir an fangen«, sagte Weyrother, erhob sich rasch von seinem Platz und trat an den Tisch, auf dem eine gewaltige Karte der Umgegend von Brünn ausgebreitet war.

Kutusow saß in aufgeknöpfter Uniform, aus welcher, wie nach Freiheit trachtend, sein fetter Hals über den Kragen hervorquoll, auf einem Lehnstuhl, hatte seine dicken, alten Hände symmetrisch auf die Armlehnen gelegt und schlief beinah. Beim Ton von Weyrothers Stimme öffnete er mit Anstrengung sein einziges Auge.

»Ja, ja, bitte; es wird sonst gar zu spät«, sagte er, nickte mit dem Kopf, ließ ihn von neuem hinabsinken und schloß wieder die Augen.

Wenn die Mitglieder des Kriegsrates zunächst gedacht hatten, daß Kutusow sich nur schlafend stelle, so bewiesen die Töne, die er während der nun folgenden Vorlesung mit der Nase hervorbrachte, daß es sich in diesem Augenblick für den Oberkommandierenden um etwas weit Wichtigeres handelte, als um den Wunsch, seine Geringschätzung für die Schlachtdisposition oder für sonst irgend etwas zum Ausdruck zu bringen; es handelte sich für ihn um die unabweisbare Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses: des Schlafes. Er schlief wirklich. Weyrother warf, wie wenn er viel zu sehr beschäftigt wäre, als daß er auch nur einen Augenblick Zeit verlieren dürfte, einen schnellen Blick auf Kutusow, und als er sich überzeugt hatte, daß dieser schlief, begann er mit lauter, eintöniger Stimme die Disposition für die bevorstehende Schlacht vorzulesen, unter der Überschrift, die er gleichfalls vorlas:

»Disposition zum Angriff auf die feindliche Position hinter Kobelnitz und Sokolnitz, den 30. November 1805.«

Die Disposition war sehr kompliziert und sehr schwer zu verstehen. Eine Stelle darin lautete wörtlich folgendermaßen:

»Da der Feind mit seinem linken Flügel an die mit Wald bedeckten Berge lehnt und sich mit seinem rechten Flügel längs Kobelnitz und Sokolnitz hinter die dort befindlichen Teiche zieht, wir im Gegenteil mit unserem linken Flügel seinen rechten sehr debordieren, so ist es vorteilhaft, letzteren Flügel des Feindes zu attackieren, besonders wenn wir die Dörfer Sokolnitz und Kobelnitz im Besitz haben, wodurch wir dem Feind zugleich in die Flanke fallen und ihn auf der Fläche zwischen Schlapanitz und dem Turaser Wald verfolgen können, indem wir den Defileen von Schlapanitz und Bellowitz ausweichen, welche die feindliche Front decken. Zu diesem Endzweck ist es nötig ... Die erste Kolonne marschiert ... die zweite Kolonne marschiert ... die dritte Kolonne marschiert ...« usw. So las Weyrother vor.

Die Generale hörten, wie es schien, die schwierige Disposition nur widerwillig mit an. Der blonde, hochgewachsene General Buxhöwden stand, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, da, richtete die Augen starr auf eine brennende Kerze und schien nicht zuzuhören, ja nicht einmal zu wollen, daß die anderen dächten, er höre zu. Dem lesenden Weyrother gerade gegenüber, die glänzenden, weitgeöffneten Augen unverwandt auf ihn geheftet, saß in kriegerischer Haltung, die Hände mit auswärts gekehrten Ellbogen auf die Knie gestützt, der rotwangige Miloradowitsch mit hinaufgestrichenem Schnurrbart und emporgezogenen Schultern. Er schwieg hartnäckig, sah Weyrother ins Gesicht und wandte die Augen nur dann von ihm weg, wenn der österreichische Generalstabschef einmal schwieg. In solchen Augenblicken ließ Miloradowitsch seine Augen mit ernstem Ausdruck bei den anderen Generalen umherwandern; aber ob er mit der Disposition einverstanden war oder nicht, sie billigte oder nicht, das war aus diesen ernsten Blicken nicht zu entnehmen. Am nächsten von allen bei Weyrother saß Graf Langeron; ein feines Lächeln wich während der ganzen Dauer der Vorlesung nicht von seinem südfranzösischen Gesicht; er blickte auf seine schlanken Finger, die eine goldene, mit einem Porträt verzierte Tabaksdose an den Ecken rasch herumdrehten. In der Mitte einer der längsten Perioden hemmte er die rotierende Bewegung der Dose und hob den Kopf in die Höhe; in den äußersten Winkeln seiner schmalen Lippen erschien der Ausdruck einer unangenehm wirkenden Höflichkeit; er unterbrach Weyrother und wollte etwas sagen; aber der österreichische General runzelte, ohne im Vorlesen innezuhalten, ärgerlich die Stirn und machte eine Bewegung mit den Ellbogen, wie wenn er sagen wollte: »Nachher! Nachher können Sie mir Ihre Gedanken sagen; jetzt, bitte, sehen Sie auf die Karte, und hören Sie zu.« Langeron hob mit dem Ausdruck höchster Verwunderung die Augen nach der Zimmerdecke empor und blickte dann Miloradowitsch an, wie wenn er eine Erklärung für dieses Verhalten suchte; als er jedoch dessen ernstem, aber nichtssagendem Blick begegnete, schlug er mit trüber Miene die Augen nieder und begann wieder, seine Tabaksdose herumzudrehen.

»Eine Geographiestunde«, sagte er wie für sich, aber laut genug, um gehört zu werden.

Przebyszewski bog, indem er eine respektvolle, aber würdige Höflichkeit an den Tag legte, sein Ohr mit der Hand zu Weyrother hin und gab sich das Aussehen, als höre er mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Der kleine Dochturow saß mit bescheidener, eifriger Miene Weyrother gerade gegenüber und prägte sich, über die ausgebreitete Karte gebeugt, gewissenhaft die Disposition und das ihm unbekannte Terrain ein. Ein paarmal, wenn er nicht genau verstanden hatte, bat er Weyrother, die betreffenden Worte, besonders auch schwierige Namen von Dörfern, zu wiederholen. Weyrother erfüllte seinen Wunsch, und Dochturow machte sich Notizen.

Als das Vorlesen, das mehr als eine Stunde gedauert hatte, beendet war, hielt Langeron seine Tabaksdose wieder still und bemerkte, ohne Weyrother oder sonst jemand einzeln anzusehen, es werde doch seine Schwierigkeiten haben, eine solche Disposition durchzuführen, bei der die Stellung des Feindes als bekannt vorausgesetzt werde, während sie uns vielleicht in Wirklichkeit unbekannt sei, da der Feind sich in Bewegung befinde. Langerons Einwendung war begründet; aber es war offensichtlich, daß der Hauptzweck dieser Einwendung der war, dem General Weyrother, der seine Disposition mit solcher Selbstgefälligkeit vorgelesen hatte, als ob Schulknaben vor ihm säßen, zum Bewußtsein zu bringen, daß er nicht etwa lauter Dummköpfe, sondern Männer vor sich habe, von denen auch er in Kriegssachen etwas lernen könne.

Als der einförmige Klang der Stimme Weyrothers verstummt war, hatte Kutusow die Augen aufgemacht, wie ein Müller, der aufwacht, sobald der einschläfernde Ton der Mühlenräder eine Unterbrechung erfährt. Er horchte auf Langerons Äußerung hin, und als ob er sagen wollte: »Habt ihr immer noch diese Dummheiten vor?« schloß er schnell wieder die Augen und ließ den Kopf noch tiefer hinabsinken.

In der Absicht, Weyrother in seinem Stolz auf den von ihm entworfenen Schlachtplan recht tief zu verletzen, wies Langeron nach, daß Bonaparte, statt sich angreifen zu lassen, leicht selbst angreifen und dadurch diese ganze Disposition völlig wertlos machen könne. Weyrother antwortete auf alle Einwürfe mit einem überlegenen, geringschätzigen Lächeln, das er offenbar schon im voraus für jeden Einwurf in Bereitschaft hielt, ganz gleich, was jemand zu ihm sagen werde.

»Wenn er uns angreifen könnte, hätte er es heute getan«, sagte er.

»Sie meinen also, daß er nicht genug Streitkräfte besitzt?« fragte Langeron.

»Er kann höchstens vierzigtausend Mann haben«, antwortete Weyrother mit dem Lächeln eines Arztes, dem ein Quacksalber ein Heilmittel empfiehlt.

»Dann wird er also wohl unseren Angriff abwarten und seinem Verderben nicht entgehen«, erwiderte Langeron mit einem feinen, ironischen Lächeln und blickte wieder zum nahe bei ihm sitzenden Miloradowitsch hin, als suche er dessen Beistimmung.

Aber Miloradowitsch dachte in diesem Augenblick offenbar an nichts weniger als an das, worüber sich hier die Generale stritten. »Ei nun«, sagte er, »morgen auf dem Schlachtfeld werden wir über all diese Dinge ins klare kommen.«

Weyrother verzog wieder das Gesicht zu einem Lächeln, welches besagte, daß es ihm seltsam und komisch vorkomme, auf Einwendungen bei den russischen Generalen zu stoßen und ihnen Dinge beweisen zu müssen, von deren Richtigkeit er nicht nur selbst vollkommen überzeugt sei, sondern auch die Kaiser überzeugt habe.

»Der Feind hat seine Biwakfeuer ausgelöscht, und es ist von seinem Lager her ein ununterbrochenes Getöse zu hören«, sagte er. »Was bedeutet das? Entweder entfernt er sich (und das wäre das einzige, was wir zu fürchten hätten), oder er ändert seine Stellung.« Er lächelte. »Aber selbst wenn er eine Stellung bei Turas einnehmen sollte, würde er uns nur viel Mühe und Umstände ersparen, und alle unsere Anordnungen würden bis auf die geringsten Kleinigkeiten dieselben bleiben.«

»Wieso denn ...?« fragte Fürst Andrei, der schon lange auf eine Gelegenheit gewartet hatte, seine Bedenken auszusprechen.

Da wachte Kutusow auf, hustete und räusperte sich stark und blickte die Generale um sich herum an.

»Meine Herren, die Disposition für morgen, oder richtiger für heute, da es ja schon nach Mitternacht ist, kann nicht mehr geändert werden«, sagte er. »Sie haben sie gehört, und wir alle werden unsere Pflicht tun. Vor einer Schlacht ist aber nichts wichtiger ...« (er schwieg einen Augenblick) »als sich ordentlich auszuschlafen.«

Er machte Miene aufzustehen. Die Generale verbeugten sich und gingen. Auch Fürst Andrei ging weg.

Der Kriegsrat, bei dem es dem Fürsten Andrei nicht gelungen war, seine Meinung, wie er doch gehofft hatte, auszusprechen, hinterließ bei ihm eine peinliche Unklarheit und eine starke Unruhe. Wer recht hatte, Dolgorukow und Weyrother oder die Gegner des Angriffsplanes, Kutusow, Langeron und andere, das wußte er nicht. Aber war es denn wirklich dem Oberkommandierenden Kutusow nicht möglich gewesen, dem Kaiser direkt seine Meinung darzulegen? War das wirklich ein Zustand, an dem sich nichts ändern ließ? »Muß wirklich«, dachte er, »um solcher höfischen und persönlichen Rücksichten willen das Leben so vieler Tausende von Menschen und auch mein, mein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt werden?«

»Ja, sehr gut möglich, daß ich morgen falle«, sagte er sich. Und bei diesem Gedanken an den Tod wurde plötzlich eine ganze Reihe von Erinnerungen, von weit zurückliegenden, ihm überaus teuren Erinnerungen in seiner Seele wach: er dachte an seinen letzten Abschied von seinem Vater und von seiner Frau; er dachte an die ersten Zeiten seiner Liebe zu ihr! Er dachte an ihre Schwangerschaft, und er bedauerte seine Frau und sich selbst. In einem Zustand nervöser Rührung und Aufregung verließ er die Stube, in welcher er mit Neswizki wohnte, und ging vor dem Haus auf und ab.

Die Nacht war neblig, und durch den Nebel drang das Licht des Mondes geheimnisvoll hindurch. »Ja, morgen, morgen!« dachte er. »Morgen wird vielleicht das alles für mich zu Ende sein; alle diese Erinnerungen werden für mich nicht mehr vorhanden sein; alle diese Erinnerungen werden für mich keine Bedeutung mehr haben. Vielleicht werde ich morgen, ja, sicher werde ich morgen (das ahnt mir) zum erstenmal endlich die Möglichkeit haben zu zeigen, was ich leisten kann.« Und lebhaft vergegenwärtigte er sich die Schlacht und die schlimme Wendung, die sie nimmt, und die Konzentrierung des Kampfes auf einen Punkt und die Ratlosigkeit aller Befehlshaber. Und da ist nun endlich für ihn jener glückliche Augenblick gekommen, jenes Toulon, auf das er so lange gewartet hat. Fest und klar setzt er seine Meinung Kutusow und Weyrother und den Kaisern auseinander. Alle sind sie überrascht von der Richtigkeit seiner Kombination; aber niemand getraut sich, sie auszuführen; und da nimmt er nun ein Regiment, eine Division, macht aber zur Bedingung, daß niemand sich in seine Anordnungen einmischen dürfe; und nun führt er seine Division nach dem entscheidenden Punkt und erringt allein, er allein, den Sieg. »Aber der Tod und die Leiden?« fragte eine andere Stimme. Aber Fürst Andrei antwortete dieser Stimme nicht und schritt in Gedanken auf der Bahn des Erfolges weiter fort. Die Disposition der nächsten Schlacht entwirft er ganz allein. Der äußeren Stellung nach ist er erster Adjutant bei Kutusow; aber in Wirklichkeit wird alles von ihm allein ausgeführt. Diese nächste Schlacht gewinnt er auf diese Art ganz allein. Kutusow wird seines Amtes enthoben; an seine Stelle wird er ernannt ... »Nun, und dann?« fragte wieder die andere Stimme, »und dann, wenn du nicht vorher zehnmal verwundet, getötet oder um den Preis deiner Mühen betrogen bist, was dann?« – »Nun dann«, gab Fürst Andrei sich selbst zur Antwort, »ich weiß nicht, was dann weiter kommen wird; ich will es nicht wissen, und ich kann es nicht wissen; aber wenn ich nach solchen Zielen strebe, wenn ich nach Ruhm strebe, wenn ich von den Menschen gekannt, von den Menschen geliebt zu werden wünsche, so ist es ja doch nicht meine Schuld, daß ich danach strebe, einzig und allein danach strebe, einzig und allein dafür lebe. Ja, einzig und allein dafür! Ich werde das nie jemand sagen; aber, mein Gott, was soll ich dann anfangen, wenn ich nun ein mal keinen andern Wunsch habe, als mir Ruhm und die Liebe meiner Mitmenschen zu erwerben? Tod, Wunden, der Verlust meiner Angehörigen, nichts kann mich schrecken. Und wie lieb und teuer mir auch viele Menschen sind (als die teuersten mein Vater, meine Schwester, meine Frau), dennoch, mag es auch noch so entsetzlich und unnatürlich klingen, dennoch würde ich sie alle sofort hingeben für eine Minute des Ruhmes, würde sie alle hingeben, wenn ich dafür Menschen beherrschen und von Menschen geliebt werden könnte, die ich nicht kenne und nie kennenlernen werde, von Menschen geliebt werden könnte, wie diese hier«, dachte er, indem er nach einem Gespräch hinhorchte, das auf dem Hof von Kutusows Quartier geführt wurde.

Die Redenden waren Burschen und Diener Kutusows, die mit Einpacken beschäftigt waren. Einer von ihnen, wohl ein Kutscher oder Reitknecht, neckte den alten, dem Fürsten Andrei wohlbekannten Koch Kutusows, namens Tit, und sagte:

»Tit, he, Tit!«

»Was ist?« antwortete der Alte.

»Tit, Tit, Tit! Hast du Appetit, tit, tit?« sagte der Spaßmacher.

»Hol dich der Teufel!« rief der Gefoppte, dessen Stimme aber von dem Gelächter der Burschen und Diener fast übertönt wurde.

»Und doch ist das Ziel meiner Wünsche und meines Strebens nur die Herrschaft über all diese Menschen, und als das einzig Wertvolle erscheint mir die Macht und der Ruhm, die geheimnisvoll hier in diesem Nebel über meinem Haupt schweben.«

XIII

Rostow stand in dieser Nacht mit einem Beritt in der Vorpostenkette vor der Abteilung Bagrations. Seine Husaren waren paarweise auf einer ziemlich langen Linie verteilt; er selbst ritt an dieser Linie entlang, bemüht, den Schlaf von sich abzuwehren, dem er kaum mehr widerstehen konnte. Hinter sich erblickte er, über einen gewaltigen Raum ausgedehnt, die Lagerfeuer unseres Heeres, deren Glutschein im Nebel nur undeutlich zu sehen war; vor ihm lag neblige Dunkelheit. Soviel auch Rostow in diese neblige Ferne hineinspähte, er sah nichts: bald schien da etwas Graues oder Schwarzes vorhanden zu sein, bald schienen da, wo der Feind sein mußte, Lichter aufzublitzen, bald wieder meinte er, daß das alles nur ein Flimmern in seinen Augen sei. Mitunter fielen ihm die Augen zu, und dann führte ihm seine Einbildungskraft bald den Kaiser vor, bald Denisow, bald Moskauer Erinnerungen, und schnell riß er die Augen wieder auf und erblickte nahe vor sich den Kopf und die Ohren des Pferdes, auf dem er saß, und manchmal die schwarzen Gestalten seiner Husaren, wenn er auf sechs Schritt an sie herangekommen war, und in der Ferne immer dieselbe neblige Dunkelheit. »Warum nicht?« sagte Rostow, mit halbgeschlossenen Augen phantastische Ge danken ausspinnend, zu sich selbst. »Leicht möglich, daß der Kaiser, wenn er mich trifft, mir einen Auftrag gibt, wie er es ja auch bei andern Offizieren öfters tut. Er wird zum Beispiel sagen: ›Reite mal hin und bringe in Erfahrung, was da los ist.‹ Es gibt viele Geschichten darüber, wie er auf diese Weise ganz zufällig irgendeinen Offizier kennengelernt und ihn dann in seine Nähe gezogen hat. Wie, wenn er so auch mich in seine Nähe zöge! Oh, wie wollte ich ihn behüten und ihm die reine Wahrheit sagen und alle, die ihn zu betrügen suchen, entlarven!« Und um sich seine Liebe und Treue gegen den Kaiser recht lebhaft zu vergegenwärtigen, stellte sich Rostow einen Feind oder einen betrügerischen Deutschen vor, den er mit Hochgenuß nicht nur tötete, sondern auch vor den Augen des Kaisers ohrfeigte. Plötzlich schreckte ein fernes Geschrei Rostow aus seinem Halbschlaf auf. Er fuhr zusammen und öffnete die Augen.

»Wo bin ich? Ja, bei den Vorposten; Losung und Parole: Deichsel, Olmütz. Wie ärgerlich, daß unsere Eskadron morgen in der Reserve bleibt!« dachte er. »Ich will bitten, mich am Kampf teilnehmen zu lassen. Das ist vielleicht für mich die einzige Möglichkeit, den Kaiser zu sehen. Jetzt wird es nicht mehr lange hin sein bis zur Ablösung. Ich will noch einmal entlangreiten, und wenn ich zurückkomme, will ich zum General gehen und ihm meine Bitte vorlegen.« Er setzte sich auf dem Sattel zurecht und trieb sein Pferd an, um noch einmal seine Husaren zu revidieren. Es kam ihm vor, als ob es heller geworden wäre. Zur Linken war ein vom Monde beschienener sanfter Abhang und ein ihm gegenüberliegender schwarzer Hügel zu sehen, der steil wie eine Wand erschien. Auf diesem Hügel war ein weißer Fleck, aus welchem Rostow nicht recht klug werden konnte: war es eine vom Mond beschienene Lichtung im Wald oder liegengebliebener Schnee oder weiße Häuser? Es wollte ihm sogar scheinen, als ob sich auf diesem weißen Fleck etwas bewegte. »Wahrscheinlich ist es Schnee, dieser Fleck; ein Fleck, une tache ... tache ... tache ... Natascha ... Natascha, meine Schwester, mit den schwarzen Augen. Die liebe Natascha. (Die wird sich wundern, wenn ich ihr erzähle, daß ich den Kaiser gesehen habe!) Natascha ... Die Tasche, da nimm die Säbeltasche ...« – »Bitte, mehr rechts, Euer Wohlgeboren; sonst geraten Sie ins Gebüsch«, sagte die Stimme eines Husaren, neben dem der im Einschlafen begriffene Rostow vorbeiritt. Rostow hob den Kopf in die Höhe, der ihm schon bis auf die Mähne des Pferdes hinabgesunken war, und hielt vor dem Husaren an. Der Schlaf überkam ihn unwiderstehlich, wie man es bei kleinen Kindern sieht. »Ja, ja, woran dachte ich doch noch? Das möchte ich nicht vergessen. Wie ich mit dem Kaiser reden werde? Nein, das war es nicht; das kommt erst morgen. Ja, ja! Auf die Tasche treten, darüber fallen ... überfallen, uns überfallen, wen? Die Husaren. Husaren und Schnurrbärte ... Bei uns in Moskau in der Twerskaja-Straße, da ritt so ein Husar mit einem Schnurrbart; ich habe noch neulich an ihn gedacht, gerade gegenüber dem Gurjewschen Haus ... Der alte Gurjew ... Ja, Denisow ist doch ein prächtiger Mensch! Aber das alles sind ja Kleinigkeiten. Die Hauptsache ist jetzt, daß der Kaiser hier ist. Wie er mich ansah; er wollte etwas sagen, aber er wagte es nicht ... Nein, der es nicht wagte, das war ich. Aber das ist Unsinn; die Hauptsache ist: ich darf nicht vergessen, was ich Wichtiges gedacht habe, ja. Auf die Tasche, darüber fallen, uns überfallen, ja, ja, ja. So ist's in Ordnung.« Er fiel wieder mit dem Kopf auf den Hals des Pferdes. Plötzlich schien es ihm, als würde auf ihn geschossen. »Was ist das? Was ist das ...? Einhauen! Was ist das ...?« rief Rostow, zu sich kommend. In dem Augenblick, wo er die Augen öffnete, hörte er vor sich, dort, wo der Feind stand, ein langgezogenes, tausendstimmiges Geschrei. Sein eigenes Pferd und das des Posten stehenden Husaren, neben dem er noch immer hielt, spitzten bei diesem Geschrei die Ohren. An der Stelle, von der das Geschrei herübertönte, leuchtete ein Lichtschein auf und erlosch wieder, dann ein zweiter, und in der ganzen Linie der französischen Truppen auf dem Berg flammten Feuer auf, und das Geschrei wurde immer stärker und stärker. Rostow hörte den Klang französischer Worte, konnte sie aber nicht verstehen. Es tönten zu viele Stimmen durcheinander. Man hörte nur: aaaa! und rrrr!

»Was ist das? Was meinst du dazu?« wandte sich Rostow an den neben ihm haltenden Husaren. »Das ist doch beim Feind?«

Der Husar gab keine Antwort.

»Na, hörst du es denn etwa nicht?« fragte Rostow wieder, nachdem er ziemlich lange auf eine Antwort gewartet hatte.

»Wer kann wissen, was das ist, Euer Wohlgeboren?« antwortete der Husar endlich gezwungen.

»Nach der Gegend zu urteilen, muß es wohl der Feind sein?« setzte Rostow seine Fragen fort.

»Vielleicht ist er's, vielleicht auch nicht«, sagte der Husar. »Bei Nacht ist das so eine Sache ... Na! Ruhig!« rief er seinem Pferd zu, das sich unter ihm regte.

Rostows Pferd wurde gleichfalls unruhig, schlug mit dem Huf gegen die gefrorene Erde, horchte auf die Töne und blickte nach den Feuern. Das Geschrei der vielen Stimmen wuchs immer stärker an und floß in ein allgemeines Gebrause zusammen, wie es nur ein Heer von vielen tausend Köpfen hervorbringen konnte. Die Feuer verbreiteten sich immer weiter und weiter, wahrscheinlich an der ganzen Linie des französischen Lagers entlang. Rostows Schläfrigkeit war verschwunden. Das frohe, triumphierende Geschrei im feindlichen Heer machte ihn wach und munter. »Vive l'empereur, l'empereur!« konnte Rostow jetzt deutlich hören.

»Es kann nicht weit sein, wahrscheinlich gleich jenseits des Baches«, sagte er zu dem Husaren.

Der Husar seufzte nur, antwortete nichts und räusperte sich verdrießlich. Längs der Vorpostenlinie der Husaren war ein herantrabender Reiter zu hören, und aus dem nächtlichen Nebel hob sich plötzlich, einen Augenblick lang einem gewaltigen Elefanten gleich, die Gestalt eines Husarenunteroffiziers heraus.

»Euer Wohlgeboren, die Generale!« sagte der Unteroffizier zu Rostow heranreitend. Rostow ritt mit dem Unteroffizier, indem er sich dabei immer noch nach den Feuern und dem Geschrei umsah, einer Anzahl von Reitern entgegen, die an der Vorpostenkette entlanggeritten kamen. Einer ritt auf einem Schimmel. Es waren Fürst Bagration und Fürst Dolgorukow nebst ihren Adjutanten; sie waren ausgeritten, um nach dieser seltsamen Erscheinung im feindlichen Lager, den Feuern und dem Geschrei, Ausschau zu halten. Rostow ritt an Bagration heran, stattete seinen Rapport ab und schloß sich dann den Adjutanten an, um zu hören, was die Generale sagen würden.

»Glauben Sie mir«, sagte Fürst Dolgorukow, zu Bagration gewendet, »das Ganze ist weiter nichts als eine List: er hat sich zurückgezogen und die Arrieregarde angewiesen, Feuer anzuzünden und Lärm zu machen, um uns zu täuschen.«

»Schwerlich«, erwiderte Bagration. »Ich habe sie noch abends auf jenem Hügel gesehen; zöge der Feind sich zurück, so wären sie auch von dort schon verschwunden ... Herr Offizier«, wandte sich Fürst Bagration an Rostow, »stehen dort noch seine Vorposten?«

»Am Abend standen sie noch da; wie es jetzt ist, weiß ich nicht, Euer Durchlaucht. Wenn Sie befehlen, werde ich mit ein paar Husaren hinreiten«, erwiderte Rostow.

Bagration hielt an; ohne zu antworten, suchte er in dem Nebel Rostows Gesicht zu erkennen.

»Nun gut, sehen Sie einmal zu«, sagte er nach kurzem Stillschweigen.

»Zu Befehl.«

Rostow gab seinem Pferd die Sporen, rief den Unteroffizier Fedtschenko und noch zwei Husaren herbei, befahl ihnen, hinter ihm herzureiten, und ritt im Trab bergab auf das immer noch fortdauernde Geschrei zu. Es war ihm ängstlich und froh zugleich zumute, wie er da so allein mit seinen drei Husaren dahinritt in diese geheimnisvolle, gefährliche, neblige Ferne, wo vor ihm noch niemand gewesen war. Bagration rief ihm von oben her noch nach, er solle nicht weiter als bis an den Bach reiten; aber Rostow tat, als hätte er diese Weisung nicht mehr gehört, und ritt, ohne anzuhalten, weiter und weiter, wobei er sich fortwährend irrte, indem er Büsche für Bäume und Wasserrinnsale für Menschen hielt, und dann fortwährend seines Irrtums innewurde. Als er im Trab am Fuße des Berges angelangt war, sah er weder die Lagerfeuer der Unsrigen noch die der Feinde mehr, hörte aber das Schreien der Franzosen lauter und deutlicher. Im Talgrund erblickte er etwas vor sich, was wie ein Fluß aussah; aber als er hingelangt war, sah er, daß es ein Fahrweg war. Er ritt auf den Weg und hielt unschlüssig sein Pferd an: sollte er den Weg verfolgen oder ihn kreuzen und über das schwarze Feld bergauf reiten? Auf dem im Nebel hellschimmernden Weg zu reiten war minder gefährlich, weil es hier eher möglich war, menschliche Gestalten zu unterscheiden. »Mir nach!« kommandierte er, kreuzte den Weg und ritt im Galopp bergauf nach dem Ort hin, wo am Abend ein französisches Pikett gestanden hatte.

»Euer Wohlgeboren, da ist er«, sagte hinter ihm einer der Husaren.

Und Rostow hatte noch nicht Zeit gehabt, einen schwärzlichen Gegenstand, der plötzlich im Nebel sichtbar wurde, zu erkennen, als ein Feuerschein aufblitzte, ein Schuß knallte und die Kugel mit einer Art von klagendem Pfeifen oben durch den Nebel flog und sich aus der Hörweite verlor. Ein zweites Gewehr ging nicht los; es blitzte nur das Pulver auf der Zündpfanne auf. Rostow warf sein Pferd herum und ritt im Galopp zurück. Noch vier Schüsse ertönten in verschiedenen Zeitabständen, und mit verschiedenartig singenden Tönen flogen die Kugeln irgendwo durch den Nebel. Rostow hielt sein Pferd zurück, das, ebenso wie er selbst, durch die Schüsse in eine fröhliche Erregung gekommen war, und ritt im Schritt weiter. »Schießt nur immer weiter, immer weiter!« sagte eine vergnügte Stimme in seinem Innern. Aber es erfolgten keine weiteren Schüsse mehr.

Erst als er sich dem Fürsten Bagration näherte, setzte Rostow sein Pferd wieder in Galopp und ritt, die Hand an den Mützenschirm legend, zu ihm heran.

Dolgorukow hatte inzwischen immer noch hartnäckig seine Ansicht verfochten, daß die Franzosen abgezogen wären und nur um uns zu täuschen, Feuer angezündet hätten.

»Was beweist denn das?« sagte er gerade in dem Augenblick, als Rostow zu ihnen herangeritten kam. »Sie werden abgezogen sein und ein paar Piketts zurückgelassen haben.«

»Es scheint doch, daß sie noch nicht alle abgezogen sind, Fürst«, erwiderte Bagration. »Warten wir bis morgen früh; morgen werden wir über alles ins klare kommen.«

»Euer Durchlaucht, das Pikett steht auf dem Berg immer noch an derselben Stelle, wo es am Abend stand«, meldete Rostow sich vorbeugend und die Hand an den Mützenschirm haltend; er war nicht imstande, ein fröhliches Lächeln zu unterdrücken, das sein Rekognoszierungsritt und besonders das Pfeifen der Kugeln auf seinem Gesicht hervorgerufen hatten.

»Gut, gut«, antwortete Bagration. »Ich danke Ihnen, Herr Offizier.«

»Euer Durchlaucht«, sagte Rostow, »gestatten Sie mir eine Bitte.«

»Nämlich?«

»Meine Eskadron ist morgen zur Reserve bestimmt; gestatten Sie mir die Bitte um Abkommandierung zur ersten Eskadron.«

»Wie ist Ihr Name?«

»Graf Rostow.«

»Ah, schön. Sie können als Ordonnanzoffizier bei mir bleiben.«

»Ein Sohn von Ilja Andrejewitsch?« fragte Dolgorukow.

Aber Rostow gab ihm keine Antwort.

»Also darf ich hoffen, Euer Durchlaucht?«

»Ich werde Befehl geben.«

»Morgen kann es leicht so kommen«, dachte Rostow, »daß ich mit irgendeiner Meldung zum Kaiser geschickt werde. Gott sei Dank!«

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