Kitabı oku: «Krieg und Frieden», sayfa 8

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»Heda, heda, lieber Freund! Komm doch mal her!« sagte sie mit gekünstelt sanfter, hoher Stimme. »Komm mal her, lieber Freund!« Dabei streifte sie, gleichsam drohend, ihre Ärmel noch höher auf.

Pierre trat heran und blickte sie durch seine Brille ohne Verlegenheit an.

»Komm nur heran, immer näher, lieber Freund. Auch bei deinem Vater bin ich die einzige gewesen, die ihm die Wahrheit sagte, als er hoch in Gunst stand; und nun fühle ich mich vor Gott verpflichtet, sie auch dir zu sagen.« Sie machte eine kleine Pause. Alle schwiegen in dem Gefühl, daß dies nur die Vorrede gewesen war, und in Erwartung dessen, was noch weiter kommen werde. »Ein nettes Bürschchen, das muß man sagen, ein nettes Bürschchen! Sein Vater liegt auf dem Sterbebett, und er amüsiert sich, indem er einen Reviervorsteher rittlings auf einen Bären setzt! Schäme dich, Verehrtester, schäme dich! Du würdest besser tun, in den Krieg zu gehen.«

Sie wandte sich von ihm weg und schob ihren Arm in den Arm des Grafen, der kaum das Lachen unterdrücken konnte. »Na also, wie ist's? Zu Tisch? Ich glaube, es ist Zeit!« sagte Marja Dmitrijewna.

Voran gingen der Graf und Marja Dmitrijewna; dann folgte die Gräfin, welche der Husarenoberst führte, ein Mann, der für die Familie von hoher Wichtigkeit war, da Nikolai mit ihm zusammen das Regiment einholen sollte; hierauf Anna Michailowna mit Schinschin. Berg hatte Wjera den Arm gereicht; die lächelnde Julja Karagina ging mit Nikolai zu Tisch. Hinter ihnen kamen in langer Reihe, die sich durch den ganzen Saal hinzog, die andern Paare, und ganz zum Schluß, einzeln gehend, die Kinder, der Hauslehrer und die Gouvernante. Die Diener gerieten in Bewegung; mit lautem Geräusch wurden die Stühle gerückt; auf der Galerie setzte die Musik ein, und die Gäste verteilten sich auf ihre Plätze. Die Töne des gräflichen Hausorchesters verstummten dann und wurden abgelöst von dem Klappern der Messer und Gabeln, dem Gespräch der Gäste und den leisen Schritten der Diener. An dem einen Ende des Tisches saß obenan die Gräfin, rechts von ihr Marja Dmitrijewna, links Anna Michailowna; dann schlossen sich daran die andern Damen. Am andern Ende saß der Graf, links von ihm der Husarenoberst, rechts Schinschin; weiterhin die übrigen Herren. An der einen Seite des langen Tisches hatte die schon erwachsene Jugend ihre Plätze erhalten: Wjera neben Berg, Pierre neben Boris; auf der andern Seite saßen die Kinder, der Hauslehrer und die Gouvernante. Der Graf blickte hinter den kristallenen Karaffen und den kristallenen Fruchtschalen hervor hin und wieder hinüber zu seiner Frau und ihrer hohen Haube mit den blauen Bändern; er goß seinen Nachbarn eifrig Wein ein, ohne sich selbst dabei zu vergessen. Die Gräfin warf ebenfalls hinter den prächtigen Ananas hervor, ohne die Pflichten der Wirtin zu vergessen, bedeutsame Blicke zu ihrem Mann hin, dessen Glatze und Gesicht, wie es ihr vorkam, durch ihre Röte immer schärfer von den grauen Haaren abstachen. An demjenigen Ende, wo die Damen saßen, war ein gleichmäßiges Geplauder im Gang; bei den Herren dagegen erschollen die Stimmen immer lauter und lauter, besonders die Stimme des Husarenobersten, welcher, immer röter werdend, so viel aß und trank, daß der Graf ihn schon den andern Gästen als Muster hinstellte. Berg sprach, zärtlich lächelnd, mit Wjera davon, daß die Liebe keine irdische, sondern eine himmlische Empfindung sei. Boris nannte seinem neuen Freund Pierre die am Tisch sitzenden Gäste und wechselte Blicke mit Natascha, die ihm gegenübersaß. Pierre redete nur wenig, betrachtete die neuen Gesichter und aß sehr viel. Von den beiden Suppen (er hatte sich für die Schildkrötensuppe entschieden) und der Fischpastete an bis zu den Haselhühnern ließ er kein einziges Gericht vorübergehen und ebenso keinen der Weine, die der Haushofmeister in sorgsam mit Servietten umwickelten Flaschen geheimnisvoll hinter der Schulter des Tischnachbarn zum Vorschein brachte, indem er dazu »Dry Madeira« oder »Ungarwein« oder »Rheinwein« murmelte. Pierre hielt das erstbeste der vier mit dem Monogramm des Grafen versehenen Kristallgläser hin, die bei jedem Gedeck standen, und trank mit Genuß; und je mehr er trank, mit um so freundlicherer Miene betrachtete er um sich her die andern Gäste. Natascha, die ihm gegenübersaß, blickte Boris so an, wie dreizehnjährige Mädchen eben einen jugendlichen Angehörigen des anderen Geschlechts anblickten, mit dem sie sich kurz vorher zum erstenmal geküßt haben und in den sie verliebt sind. Diesen selben Blick richtete sie mitunter auch auf Pierre, und unter dem Blick dieses lachlustigen, lebhaften jungen Mädchens bekam er selbst Lust zu lachen, ohne zu wissen worüber.

Nikolai saß ziemlich weit von Sonja neben Julja Karagina und unterhielt sich wieder mit ihr über irgend etwas mit demselben unwillkürlichen Lächeln. Sonja lächelte um der Etikette willen, wurde aber offenbar von arger Eifersucht gequält: sie wurde bald blaß, bald rot und strengte ihr Gehör aufs äußerste an, um etwas von dem aufzufangen, was Nikolai und Julja miteinander sprachen. Die Gouvernante blickte unruhig um sich, als ob sie sich zur Gegenwehr bereitmachte, falls jemand sich beikommen ließe, den Kindern etwas zuleide zu tun. Der deutsche Hauslehrer gab sich Mühe, die Namen der einzelnen Gerichte und Weine sowie der verschiedenen Arten von Dessert seinem Gedächtnis einzuprägen, um seinen Angehörigen in Deutschland brieflich alles recht genau schildern zu können, und fühlte sich sehr beleidigt, daß der Haushofmeister mit einer Flasche in der Serviette an ihm vorbeiging. Der Deutsche zog ein finsteres Gesicht und suchte durch seine Miene anzudeuten, es habe ihm eigentlich gar nichts daran gelegen, von diesem Wein zu bekommen; aber es war ihm ärgerlich, bei niemand ein Verständnis für seine Versicherung zu finden, daß er Wein überhaupt nicht trinke, um den Durst zu stillen, nicht aus Gierigkeit, sondern aus reiner Wißbegierde.

XIX

An demjenigen Ende des Tisches, wo die Herren saßen, wurde das Gespräch immer lebhafter. Der Oberst erzählte, daß das Manifest über die Kriegserklärung in Petersburg bereits erschienen und ein Exemplar, welches er selbst gesehen habe, heute durch einen Kurier dem Oberkommandierenden von Moskau zugestellt worden sei.

»Wozu plagt uns denn der Teufel, mit Bonaparte Krieg zu führen?« sagte Schinschin. »Er hat den Österreichern schon ihren Dünkel benommen, und ich fürchte, jetzt kommen wir an die Reihe.«

Der Oberst war ein großgewachsener, stämmiger, vollblütiger Deutscher, offenbar mit Leib und Seele Soldat und ein guter Patriot. Er fühlte sich durch Schinschins Worte verletzt.

»Warum wir das tun, mein Herr?« sagte er; man hörte seiner Aussprache des Russischen den Deutschen an. »Ganz einfach, weil unser Kaiser es will. Er hat in dem Manifest gesagt, er könne der Gefahr gegenüber, welche Rußland bedrohe, nicht gleichgültig bleiben, und durch die Rücksicht auf die Sicherheit und Würde des Reiches und auf die Heiligkeit der Bündnisse ...« (er legte auf das Wort Bündnisse einen ganz besonderen Nachdruck, als ob darin der eigentliche Kern der Sache läge. Und mit seinem unfehlbaren Gedächtnis in Dienstsachen zitierte er den einleitenden Satz des Manifests weiter) »sowie durch den das einzige und unverrückbare Ziel Seiner Majestät des Kaisers bildenden Wunsch, den Frieden Europas auf feste Fundamente zu gründen, sehe er sich heute veranlaßt, einen Teil seiner Kriegsmacht über die Grenze rücken zu lassen und neue Anstrengungen zur Erreichung dieser seiner Absicht zu machen. Sehen Sie: darum, mein Herr!« schloß er, goß zu größerer Bekräftigung ein Glas Wein hinunter und blickte den Grafen an, um diesen zu einer Beifallskundgebung zu veranlassen.

»Kennen Sie das Sprichwort: ›Bleib zu Hause, dann passiert dir nichts‹?« erwiderte Schinschin, indem er die Stirn runzelte und zugleich lächelte. »Das paßt auf uns ganz ausgezeichnet. Ich denke da an Suworow: auch dem ist es schließlich schlimm genug gegangen, und wo haben wir jetzt Heerführer, wie er einer war, frage ich Sie?« sagte er, indem er unaufhörlich vom Russischen ins Französische und vom Französischen wieder ins Russische übersprang.

»Wir müssen kämpfen bis zum letzten Blutstropfen«, erwiderte der Oberst, kräftig auf den Tisch schlagend, »und ster-r-rben für unsern Kaiser; dann wird alles gut werden. Und mit unserm eigenen Kopf urteilen, sollen wir mö-ö-öglichst wenig«, er zog das Wort möglichst unnatürlich in die Länge und wandte sich beim Ende dieses Satzes wieder zum Grafen hin. »So denken wir alten Husaren, und damit basta! Und wie denken Sie darüber, Sie junger Mann und junger Husar?« fügte er, zu Nikolai gewendet, hinzu, der, sobald er hörte, daß vom Krieg die Rede war, das Gespräch mit seiner Nachbarin abgebrochen hatte und mit leuchtenden Augen den Oberst anschaute und jedes seiner Worte verschlang.

»Ich bin vollständig derselben Ansicht wie Sie«, antwortete Nikolai. Er war blutrot geworden, drehte an seinem Teller und stellte seine vier Gläser mit so grimmiger, entschlossener Miene in andere Ordnung, als ob er schon in diesem Augenblick einer großen Gefahr gegenüberstände. »Nach meiner Anschauung müssen die Russen siegen oder sterben«, sagte er, hatte aber, gleich nachdem er diese Worte gesprochen hatte, ebenso wie die Hörer, die Empfindung, daß dieser Satz unter den vorliegenden Umständen zu schwärmerisch und zu schwülstig und darum nicht recht angebracht war.

»Ganz vortrefflich! Was Sie soeben gesagt haben, ist ganz vortrefflich!« sagte die neben ihm sitzende Julja mit einem Seufzer der Bewunderung. Sonja hatte, während Nikolai sprach, zu zittern angefangen und war bis an die Ohren, hinter den Ohren und bis zum Hals und den Schultern rot geworden. Pierre hatte die Reden des Obersten aufmerksam mitangehört und beifällig mit dem Kopf genickt.

»Vorzüglich gesprochen«, bemerkte er.

»Nun, Sie sind ein echter Husar, junger Mann!« rief der Oberst und schlug wieder auf den Tisch.

»Worüber redet ihr denn da, daß ihr solchen Lärm macht?« erscholl plötzlich vom andern Ende des Tisches her Marja Dmitrijewnas tiefe Stimme. »Warum haust du so auf den Tisch?« wandte sie sich an den Husaren. »Auf wen bist du denn so grimmig? Du meinst wohl, du hättest hier schon die Franzosen vor dir?«

»Ich rede die Wahrheit«, erwiderte der Husar lächelnd.

»Wir reden hier immer nur vom Krieg!« rief der Graf über die ganze Länge des Tisches hin. »Mein Sohn geht ja auch in den Krieg, Marja Dmitrijewna, mein Sohn geht auch hin.«

»Ich habe vier Söhne bei der Armee; aber aufregen tue ich mich darüber dennoch nicht. Es geschieht alles nach Gottes Willen: man kann sterben, wenn man auf dem Ofen liegt, und umgekehrt kann Gott in der Schlacht Erbarmen mit einem haben«, so tönte Marja Dmitrijewnas kräftige Stimme ohne jede Anstrengung vom andern Ende des Tisches herüber.

»So ist es!«

Und dann bildeten sich in der Unterhaltung wieder zwei geschlossene Kreise; die Damen redeten unter sich an dem einen Ende des Tisches, die Herren unter sich am andern.

»Du wirst doch nicht fragen«, sagte der kleine Bruder zu Natascha, »du wirst doch nicht fragen.«

»Ich werde doch fragen«, antwortete Natascha.

Ihr Gesicht erglühte plötzlich, und es prägte sich auf ihm eine kühne, heitere Entschlossenheit aus. Sie erhob sich ein wenig, forderte durch einen Blick den ihr gegenübersitzenden Pierre auf, zuzuhören, und wandte sich an ihre Mutter.

»Mama!« tönte ihre kindliche Bruststimme über den ganzen Tisch.

»Was hast du?« fragte die Gräfin erschrocken; aber da sie dann an dem Gesicht der Tochter merkte, daß diese nur einen ausgelassenen Streich vorhatte, so winkte sie ihr streng mit der Hand und machte eine drohende, verbietende Bewegung mit dem Kopf.

Das Gespräch verstummte überall.

»Mama, was gibt es heute als süße Speise?« rief Nataschas helles Stimmchen in noch entschlossenerem, festerem Ton.

Die Gräfin wollte ein finsteres Gesicht machen, aber es gelang ihr nicht. Marja Dmitrijewna drohte der Kleinen mit ihrem dicken Finger.

»Ei, ei, Kosak!« rief sie tadelnd.

Die meisten Gäste wußten nicht recht, wie sie diese Keckheit aufnehmen sollten, und blickten nach den älteren und vornehmeren hin.

»Na, warte du nur!« sagte die Gräfin.

»Mama! Was gibt es als süße Speise?« rief Natascha nun schon ganz kühn und mit lustigem Eigensinn, da sie vorhersah, daß ihre Keckheit gut aufgenommen werden würde.

Sonja und der kleine dicke Peter versteckten ihre Gesichter, weil sie das Lachen nicht unterdrücken konnten.

»Siehst du wohl, ich habe doch gefragt!« flüsterte Natascha ihrem kleinen Bruder und ihrem Gegenüber Pierre zu, auf den sie wieder ihren Blick richtete.

»Es wird wohl Eis geben; aber du wirst nichts davon bekommen«, sagte Marja Dmitrijewna. Natascha sah, daß sie keine Angst zu haben brauchte, und fürchtete sich darum auch vor Marja Dmitrijewna nicht.

»Marja Dmitrijewna! Was für Eis? Sahneeis mag ich nicht!«

»Mohrrübeneis!«

»Nein, was für welches? Marja Dmitrijewna, was für welches?« wiederholte Natascha fast schreiend. »Ich will es wissen!«

Marja Dmitrijewna und die Gräfin fingen an zu lachen, und ihrem Beispiel folgten alle Gäste. Alle lachten nicht über Marja Dmitrijewnas Antwort, sondern über die unbegreifliche Keckheit und Gewandtheit dieses kleinen Mädchens, das so mit Marja Dmitrijewna umzugehen verstand und umzugehen wagte.

Natascha hörte erst dann mit ihren hartnäckigen Fragen auf, als man ihr sagte, es werde Ananaseis geben.

Vor dem Eis wurde Champagner gereicht. Die Musik setzte wieder ein; der Graf und die Gräfin küßten sich, und die Gäste standen auf, gratulierten der Gräfin und stießen über den Tisch weg mit dem Grafen, mit den Kindern und miteinander an. Wieder kamen die Diener herbeigelaufen, die Stühle wurden gerückt, und in derselben Reihenfolge, aber mit röteren Gesichtern, kehrten die Gäste in den Salon und in das Herrenzimmer zurück.

XX

Die Bostontische wurden ausgezogen, die einzelnen Partien fanden sich zusammen, und die Gäste des Grafen verteilten sich in die beiden Salons, das Sofazimmer und die Bibliothek.

Der Graf, dem es recht schwerfiel, sich das gewohnte Schläfchen nach Tisch versagen zu müssen, breitete auf den Spieltischen die Karten fächerartig aus und lachte über alles mögliche. Das junge Volk versammelte sich auf Anregung der Gräfin um das Klavier und die Harfe. Zuerst trug auf allgemeines Bitten Julja auf der Harfe ein Musikstück mit Variationen vor und richtete dann ihrerseits im Verein mit den andern jungen Mädchen an Natascha und Nikolai, die als sehr musikalisch bekannt waren, die Bitte, etwas zu singen. Natascha, an die sie sich mit dieser Aufforderung wie an eine Erwachsene wandten, war offenbar darauf sehr stolz, zugleich aber doch auch ein wenig ängstlich.

»Was wollen wir singen?« fragte sie.

»Den ›Quell‹«, antwortete Nikolai.

»Nun, dann wollen wir gleich anfangen. Boris, kommen Sie hierher, an diesen Platz«, sagte Natascha. »Aber wo ist denn Sonja?« Sie blickte sich nach allen Seiten um, und als sie sah, daß ihre Freundin nicht im Zimmer war, lief sie weg, um sie zu suchen.

Natascha lief zuerst in Sonjas Zimmer und, als sie ihre Freundin dort nicht fand, in das Kinderzimmer; aber auch dort war Sonja nicht. Da sagte sie sich, Sonja würde wohl im Korridor sein, auf dem Schlafkasten. Dieser Schlafkasten auf dem Korridor war der Ort, wo die jüngere weibliche Generation des Rostowschen Hauses immer ihr Leid hintrug. Und wirklich lag Sonja in ihrem leichten rosa Kleid, das dabei arg verdrückt wurde, mit dem Gesicht nach unten auf dem schmutzigen gestreiften Federbett der Kinderfrau auf dem Schlafkasten; die Hände vor das Gesicht haltend, weinte sie unter lautem Schluchzen, und ihre kleinen entblößten Schultern zuckten krampfhaft. Nataschas Gesicht, das heute im ganzen Verlauf ihres Namenstages so lebhaft und heiter gewesen war, veränderte sich plötzlich: ihre Augen wurden starr; dann ging ein Zucken über ihren breiten Hals, und ihre Mundwinkel zogen sich nach unten.

»Sonja! Was hast du denn ...? Was fehlt dir? Hu-hu-hu!« Und Natascha machte ihren großen Mund weit auf, wodurch sie ganz häßlich wurde, und heulte los wie ein kleines Kind, ohne selbst einen Grund dazu zu wissen, lediglich weil Sonja weinte. Sonja wollte den Kopf aufheben und ihr antworten; aber sie war dazu nicht imstande und versteckte ihr Gesicht nur noch mehr. Natascha kauerte sich weinend auf dem blauüberzogenen Bett nieder und umarmte ihre Freundin. Sonja nahm nun alle Kraft zusammen, richtete sich ein wenig auf und begann ihre Tränen abzuwischen und zu erzählen.

»Nikolai reist in acht Tagen ab, seine ... Order ... ist gekommen ... er hat es mir selbst gesagt. Trotzdem würde ich nicht weinen; aber du kannst dir gar nicht vorstellen« (sie zeigte der Freundin ein Blatt Papier, das sie in der Hand hielt: es waren die Verse, die Nikolai ihr aufgeschrieben hatte) »... und niemand kann sich vorstellen ... was er für eine herrliche Seele hat ...«

Und nun fing sie von neuem an darüber zu weinen, daß Nikolai eine so herrliche Seele hatte.

»Bei dir ist alles in bester Ordnung ... ich bin nicht neidisch ... ich liebe dich und deinen Boris auch«, sagte sie, nachdem sie einigermaßen wieder zu Kräften gekommen war, »er ist ein sehr liebenswürdiger Mensch ... für euch gibt es keine Hindernisse. Aber Nikolai ist mein Vetter ... da würde es nötig sein ... daß der Metropolit selbst ... und auch dann geht es nicht. Und dann, wenn es unserer lieben Mama« (Sonja betrachtete die Gräfin als ihre Mutter und nannte sie auch so) »... sie wird sagen, daß ich Nikolais Karriere verderbe, und daß ich kein Herz habe, und daß ich undankbar bin; aber wahrhaftig ... bei Gott ...« (sie bekreuzte sich), »ich habe Mama so lieb, und euch alle; bloß Wjera ist immer so zu mir ... Warum eigentlich? Was habe ich ihr getan? Ich bin euch so dankbar, daß ich mit Freuden alles für euch hingeben möchte; aber ich habe ja nichts ...«

Sonja war nicht mehr imstande weiterzusprechen und verbarg wieder ihren Kopf in den Händen und in dem Bett. Natascha begann zwar schon etwas ruhiger zu werden; aber an ihrem Gesicht war deutlich zu sehen, daß sie den Kummer ihrer Freundin in seiner ganzen Größe zu würdigen wußte.

»Sonja«, sagte sie auf einmal, wie wenn sie nun die wahre Ursache der Traurigkeit ihrer Kusine erraten hätte, »gewiß hat Wjera nach dem Diner mit dir gesprochen, ja?«

»Ja, diese Verse hat mir Nikolai selbst aufgeschrieben, und ich hatte mir noch andere abgeschrieben; und Wjera hat sie in meiner Stube auf dem Tisch gefunden und hat gesagt, sie würde es Mama sagen; und dann hat sie noch gesagt, ich wäre undankbar, und Mama würde ihm niemals erlauben, mich zu heiraten, sondern er werde Julja heiraten. Du siehst ja auch, daß er den ganzen Tag über mit ihr zusammen ist ... Natascha! Womit habe ich das verdient ...?«

Sie begann wieder zu weinen, noch bitterlicher als vorher. Natascha richtete sie in die Höhe, umarmte sie und suchte, unter Tränen lächelnd, sie zu beruhigen.

»Sonja, glaube ihr kein Wort, mein Herzchen, glaube ihr kein Wort. Erinnerst du dich noch, wie wir beide und Nikolai im Sofazimmer über die Sache gesprochen haben? Erinnerst du dich wohl? Es war einmal nach dem Abendessen. Da haben wir ja doch alle drei festgesetzt, wie es werden soll. Wie es im einzelnen war, das weiß ich nicht mehr recht; aber du besinnst dich wohl noch, daß alles wunderschön war und alles ganz leicht ging. Sieh mal, ein Bruder von Onkel Schinschin ist ja doch auch mit seiner Kusine verheiratet, und Nikolai ist ja gar nicht einmal dein richtiger Vetter. Boris sagt auch, es würde gewiß gehen. Weißt du nämlich, ich habe ihm alles gesagt. Und der ist ein so kluger Mensch und ein so guter Mensch«, sagte Natascha. »Und nun weine nur nicht mehr, Sonja, du meine liebe, süße Sonja!« (Sie küßte sie lachend.) »Wjera ist ein Ekel; Gott verzeihe es ihr! Und es wird schon alles gut werden, und sie wird nichts zu Mama sagen. Nikolai wird es ihr selbst sagen, und an Julja hat er überhaupt nie gedacht.«

Sie küßte Sonja auf den Kopf. Sonja richtete sich in die Höhe, und das Kätzchen wurde wieder ganz lebendig, seine Äuglein glänzten, und es war, wie es schien, jeden Augenblick wieder bereit, mit dem Schwänzchen hin und her zu schlagen, auf die weichen Pfötchen zu springen und das Spiel mit dem Wollknäuel von neuem zu beginnen, wie das so in seiner Art lag.

»Meinst du? Wirklich? Glaubst du das wahrhaftig?« sagte sie und brachte schnell ihr Kleid und ihr Haar in Ordnung.

»Wirklich und wahrhaftig!« antwortete Natascha und schob ihrer Freundin eine kleine widerspenstige Haarsträhne unter den Zopf. Und beide brachen in ein helles Gelächter aus.

»Nun komm, wir wollen den ›Quell‹ singen.«

»Ja, komm.«

»Weißt du, dieser dicke Pierre, der mir gegenübersaß, ist so furchtbar komisch«, sagte Natascha auf einmal und blieb stehen. »Ach, ich bin so vergnügt!« Und sie rannte den Korridor entlang.

Sonja schüttelte sich die Federchen vom Kleid, schob sich das Blatt mit den Versen oben beim Hals mit den hervorstehenden Schlüsselbeinen in den Kleiderausschnitt und lief mit leichten, munteren Schritten, das Gesicht freudig gerötet, hinter Natascha her den Korridor entlang nach dem Sofazimmer. Auf die Bitte der Gäste sangen die jungen Leute ein Quartett »Der Quell«, welches allgemeinen Beifall fand; darauf sang Nikolai noch ein anderes Lied, das er neu eingeübt hatte:

»In tiefer Nacht, beim Schein der Sterne,

Bin ich mit Wonne mir bewußt:

Jetzt denket mein in weiter Ferne

Ein edles Herz in treuer Brust;

Jetzt stimmen holde Lippen leise

Ein Lied wohl an zum Harfenklang:

›Komm heim!‹ so tönt die süße Weise,

Mich rufend, ach, so sehnsuchtsbang.

Doch eh' des Glückes Stunde schlägt,

Hat mich der Tod ins Grab gelegt.«

Er hatte noch nicht die letzten Worte gesungen, als im Saal die Jugend sich schon zum Tanzen anschickte und die Musikanten mit Gepolter auf die Galerie gingen und sich räusperten.

Pierre saß im Salon, wo Schinschin, veranlaßt dadurch, daß Pierre erst vor kurzem aus dem Ausland zurückgekommen war, mit ihm ein für Pierre recht langweiliges Gespräch über Politik führte, an dem sich auch andere beteiligten. Sowie jedoch die Musik zu spielen begann, trat Natascha in den Salon, ging geradewegs auf Pierre zu und sagte lachend und errötend:

»Mama hat mir befohlen, Sie zum Tanz zu bitten.«

»Ich fürchte nur, daß ich Unordnung in die Figuren bringen werde«, erwiderte Pierre. »Aber wenn Sie meine Lehrerin sein wollen ...« Damit reichte er dem kleinen, zierlich gebauten Mädchen seinen dicken Arm, den er tief herunterhalten mußte.

Während sich die Paare aufstellten und die Musikanten ihre Instrumente stimmten, setzte sich Pierre mit seiner kleinen Dame hin. Natascha war selig: sie tanzte mit einem Erwachsenen, und noch dazu mit einem, der eben aus dem Ausland zurückgekommen war. Sie saß vor aller Augen da und unterhielt sich mit ihm wie eine erwachsene Dame. In der Hand hatte sie einen Fächer, den ihr eine der tanzenden jungen Damen zum Halten gegeben hatte. Sie nahm eine elegante Pose an, die durchaus den Regeln der feinsten Etikette entsprach (Gott mochte wissen, wo und wann sie das gelernt hatte), gestikulierte mit dem Fächer, lächelte über ihn hinweg und machte mit ihrem Kavalier Konversation.

»Was sagen Sie nur zu der hier? Sehen Sie nur, sehen Sie nur!« sagte die alte Gräfin, die mit ein paar andern Damen durch den Saal ging, und zeigte dabei auf Natascha. Natascha wurde rot und lachte.

»Nun, aber was denn, Mama? Was meinen Sie denn eigentlich? Was ist denn hier so Wunderbares?«

Während die dritte Ecossaise getanzt wurde, wurden in dem Salon, wo Marja Dmitrijewna und der Graf Karten spielten, die Stühle gerückt, und die meisten der vornehmen und älteren Gäste erhoben sich, reckten nach dem langen Sitzen die Glieder, steckten die Brieftaschen und Geldbörsen in die Tasche und begaben sich nach dem Saal, in dem getanzt wurde. Voran gingen Marja Dmitrijewna und der Graf, beide mit vergnügten Gesichtern. Der Graf bot mit scherzhafter Höflichkeit, etwa wie beim Ballett, Marja Dmitrijewna seinen rundgebogenen Arm. Er richtete sich ganz gerade auf; sein Gesicht leuchtete ordentlich von einem eigenartig schlauen, unternehmenden Lächeln, und sowie die letzte Figur der Ecossaise zu Ende getanzt war, klatschte er in die Hände, um sich den Musikanten bemerkbar zu machen, und rief, sich an die erste Violine wendend, zur Galerie hinauf: »Semjon, den Danilo Kupor! Weißt du wohl?«

Dies war des Grafen Lieblingstanz; er hatte ihn getanzt, als er noch ein junger Mann gewesen war. Der Danilo Kupor war eigentlich nur eine einzelne Figur der Anglaise.

»Nein, sehen Sie nur unsern Papa!« rief Natascha durch den ganzen Saal hin; sie hatte ganz vergessen, daß sie mit einem Erwachsenen tanzte, bog ihr Lockenköpfchen bis zu den Knien herunter und brach in ein helles weitschallendes Lachen aus. Und wirklich, alle, die im Saal anwesend waren, blickten mit fröhlichem Lächeln nach dem vergnügten alten Herrn, der da neben seiner Dame, der stattlichen Marja Dmitrijewna, die ihn an Größe überragte, sich gar wunderlich gebärdete. Er krümmte die Arme bogenförmig, schüttelte sie nach dem Takt, reckte die Schultern, stellte die Füße auswärts, stampfte ein wenig mit ihnen und bereitete durch ein Lächeln, das immer glänzender sein rundliches Gesicht überzog, die Zuschauer auf das, was nun kommen sollte, vor. Sowie die heiteren auffordernden Klänge des Danilo Kupor ertönten, die eine große Ähnlichkeit mit der Melodie des lustigen Bauerntanzes Trepak hatten, erschienen auf einmal in allen Saaltüren die lächelnden Gesichter auf der einen Seite des männlichen, auf der andern des weiblichen Hausgesindes, welches herbeigelaufen war, um zu sehen, wie fidel der Herr des Hauses tanzte.

»Nein, unser Väterchen! Wie ein Hirsch!« sagte laut von der einen Tür her die Kinderfrau.

Der Graf tanzte gut und war sich dessen bewußt; seine Dame hingegen konnte nicht gut tanzen und strebte auch gar nicht danach, etwas Besonderes zu leisten. Ihr kolossaler Körper stand gerade, während die mächtigen Arme schlaff herabhingen (ihren Ridikül hatte sie der Gräfin übergeben); es tanzte eigentlich nur ihr ernstes, aber hübsches Gesicht. Was bei dem Grafen in seiner ganzen rundlichen Figur zum Ausdruck kam, sprach sich bei Marja Dmitrijewna nur in dem allmählich immer deutlicher lächelnden Gesicht und in der sich immer mehr in die Höhe hebenden Nase aus. Aber wenn der Graf, der immer mehr in Zug kam, die Zuschauer durch die überraschende Gewandtheit seiner Fußstellungen und die behenden Sprünge seiner geschmeidigen Beine entzückte, so brachte demgegenüber Marja Dmitrijewna trotz des nur sehr geringen Eifers, den sie in den Bewegungen der Schultern oder in der runden Haltung der Arme bei Umdrehungen und beim Aufstampfen bewies, doch einen nicht minderen Eindruck hervor, indem ein jeder bei der Würdigung ihrer Leistungen verdientermaßen ihre Beleibtheit und ihr sonst so ernstes Wesen berücksichtigte. Der Tanz wurde immer lebhafter. Ein den beiden vis-à-vis tanzendes Paar konnte auch nicht für einen Augenblick die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und versuchte es nicht einmal. Das allgemeine Interesse konzentrierte sich auf den Grafen und Marja Dmitrijewna. Natascha zupfte alle in der Nähe Stehenden an den Ärmeln und Kleidern, obgleich diese auch so schon kein Auge von den Tanzenden wandten, und verlangte, sie sollten doch ihr Papachen ansehen. In den kurzen Pausen des Tanzes schöpfte der Graf mit Anstrengung wieder Luft, aber er winkte den Musikanten und rief ihnen zu, sie sollten schneller spielen. Immer schneller und schneller, immer kunstvoller und kunstvoller drehte und schwenkte sich der Graf; bald tanzte er auf den Fußspitzen, bald auf den Hacken um Marja Dmitrijewna herum. Endlich drehte er seine Dame so um, daß sie wieder auf ihren ursprünglichen Platz zu stehen kam, und führte den letzten Pas aus, indem er sein geschmeidiges Bein nach hinten in die Höhe hob, den von Schweiß bedeckten Kopf mit dem lächelnden Gesicht tief hinabbeugte und mit dem rechten Arm eine große runde Bewegung machte – unter lautschallendem Händeklatschen und Lachen der Zuschauer, wobei sich Natascha besonders hervortat. Die beiden Tanzenden standen still, rangen mühsam nach Atem und trockneten sich mit ihren Batisttüchern das Gesicht.

»Ja, ja, so tanzte man zu unserer Zeit, meine Teuerste!« sagte der Graf.

»Ein famoser Tanz, dieser Danilo Kupor!« erwiderte Marja Dmitrijewna, indem sie schwer und langsam aus- und einatmete, und streifte sich die Ärmel in die Höhe.

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