Kitabı oku: «Anna Karenina», sayfa 23
Trotzdem irrte sie sich in der Annahme, daß er die Bedeutung dieser Nachricht in derselben Weise verstehe, wie sie sie als Frau verstand. Bei dieser Mitteilung hatte er mit verzehnfachter Stärke einen Anfall jenes sonderbaren, ihn mitunter überkommenden Gefühls des Ekels gegen irgend jemand erlitten; aber zugleich hatte er erkannt, daß jene Krisis, die er herbeigewünscht hatte, jetzt eingetreten war, daß es unmöglich war, die Sache länger vor dem Ehemanne zu verheimlichen, und daß mit Notwendigkeit dieser unnatürlichen Lage bald auf die eine oder andere Weise ein Ende gemacht werden müsse. Aber außerdem war ihre Erregung in physischer Hinsicht auch auf ihn übergegangen. Er sah sie mit einem Blicke voll Rührung und Ergebenheit an, küßte ihr die Hand, stand auf und ging schweigend auf der Terrasse auf und ab.
»Ja«, sagte er dann, indem er entschlossen zu ihr trat. »Weder Sie noch ich haben unser Verhältnis als eine Spielerei betrachtet, und jetzt ist unser Schicksal entschieden. Diesem Lügenspiel, in dem wir leben, müssen wir unbedingt ein Ende machen«, äußerte er, sich nach allen Seiten umschauend.
»Ein Ende machen? Wie sollen wir ein Ende machen, Alexei?« fragte sie leise. Sie hatte sich jetzt beruhigt, und auf ihrem Gesichte strahlte ein zärtliches Lächeln.
»Du mußt deinen Mann verlassen und dein Leben mit dem meinen vereinigen.«
»Es ist auch so schon vereinigt«, antwortete sie kaum hörbar.
»Ja, aber völlig, völlig.«
»Aber wie soll ich das machen, Alexei? Belehre mich, wie ich das machen soll«, sagte sie mit trübem Spott über die Trostlosigkeit ihrer Lage. »Gibt es denn einen Ausweg aus einer solchen Lage? Bin ich denn nicht die Frau meines Mannes?«
»Aus jeder Lage gibt es einen Ausweg«, erwiderte er. »Man muß sich nur zu einem Entschlusse aufraffen. Alles ist besser als die Lage, in der du jetzt lebst. Ich sehe ja, wie du dich um alles quälst, um die Meinung der Welt und um deinen Sohn und um deinen Mann.«
»Ach, um meinen Mann nicht«, sagte sie mit einem ungezwungenen Lächeln. »Ich weiß nicht, wie es kommt; aber ich denke gar nicht an ihn. Er ist für mich nicht vorhanden.«
»Du sprichst nicht aufrichtig. Ich kenne dich. Du quälst dich auch um ihn.«
»Aber er weiß ja von nichts«, erwiderte sie, und plötzlich stieg ihr eine tiefe Röte ins Gesicht; Wangen, Stirn und Hals wurden dunkelrot, und Tränen der Scham traten ihr in die Augen. »Wir wollen gar nicht von ihm sprechen.«
23
Wronski hatte schon mehrmals, wenn auch nicht mit solcher Entschiedenheit wie jetzt, den Versuch gemacht, sie zu einer ernstlichen Prüfung ihrer Lage zu veranlassen, und war jedesmal bei ihr auf die gleiche Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit der Beurteilung gestoßen, die sie auch jetzt seiner Aufforderung gegenüber bekundet hatte. Es war, als ob in ihrer Lebenslage etwas enthalten sei, was sie sich nicht klarmachen könne oder nicht klarmachen wolle; es war, als ob sie, die wahre Anna, sich in sich selbst zurückzöge und dafür eine andere hervorträte, ein seltsames, ihm fremdes Weib, das er nicht liebte, sondern fürchtete, und das sich ihm widersetzte. Aber heute war er entschlossen, alles freiheraus zu sagen.
»Ob er es weiß oder nicht«, sprach Wronski in seinem gewöhnlichen festen, ruhigen Tone, »ob er es weiß oder nicht, das ist für uns nicht von Wichtigkeit. Wir können nicht . . . Sie können nicht in dieser Lage bleiben, namentlich jetzt nicht.«
»Was soll ich also nach Ihrer Ansicht tun?« fragte sie mit demselben leisen Anfluge von Spott.
Sie, die eben noch so gefürchtet hatte, er könne ihre Schwangerschaft leichtnehmen, war jetzt unzufrieden damit, daß er aus diesem Ereignisse die Notwendigkeit folgerte, etwas zu unternehmen.
»Ihm alles offen darlegen und ihn verlassen.«
»Sehr wohl. Nehmen wir an, daß ich das tue«, antwortete sie. »Wissen Sie, was er darauf antworten wird? Ich kann alles voraussagen«, und in ihren Augen, die noch einen Augenblick vorher einen so zärtlichen Ausdruck hatten, flammte ein boshafter Glanz auf. »›Ah, Sie lieben einen anderen und haben sich mit ihm in ein verbrecherisches Verhältnis eingelassen?‹« (Sie machte ihren Mann nach und redete genauso, wie er zu reden pflegte: sie betonte stark das Wort ›verbrecherisch‹.) »›Ich habe Sie im voraus auf die Folgen in religiöser Hinsicht, in rechtlicher Hinsicht und in bezug auf das Familienleben aufmerksam gemacht. Sie haben nicht auf mich gehört. Jetzt kann ich nicht dulden, daß Unehre über meinen Namen gebracht werde‹« (›und über den Namen meines Sohnes‹, hatte sie hinzufügen wollen; aber es widerstand ihr, ihren Sohn in diese Spötterei mit hineinzubringen), »›daß Unehre über meinen Namen gebracht werde‹, und noch manches in diesem Stile«, fügte sie hinzu. »In Summa wird er mir in seinem Amtsstil mit aller Klarheit und Bestimmtheit sagen, daß er mich nicht freigeben könne, daß er aber alle in seiner Macht stehenden Maßregeln treffen werde, um ein Ärgernis zu verhüten. Und dann wird er mit Ruhe und Peinlichkeit ausführen, was er angekündigt hat. So wird sich die Sache gestalten. Er ist eben kein Mensch, sondern eine Maschine, und eine boshafte Maschine, wenn er zornig wird«, fügte sie hinzu, indem sie sich in Gedanken Alexei Alexandrowitsch mit allen Einzelheiten seiner Gestalt und seiner Redeweise vergegenwärtigte und ihm alles, was sie an ihm nur irgend Unschönes finden könnte, als Schuld anrechnete und wegen des schweren Vergehens, das sie sich ihm gegenüber hatte zuschulden kommen lassen, ihm nichts verzieh.
»Aber Anna«, meinte Wronski in dem Bemühen, sie zu beruhigen, mit weicher, überredender Stimme. »Es ist doch trotzdem notwendig, es ihm zu sagen; dann werden wir je nach seiner Handlungsweise die unserige einrichten.«
»Was meinen Sie also? Soll ich fliehen?«
»Warum nicht auch das? Ich sehe keine Möglichkeit, in diesem Zustande zu verharren. Und ich meine das nicht mit Rücksicht auf mich, – ich sehe, daß Sie leiden.«
»Ja, ich soll fliehen und Ihre Geliebte werden«, sagte sie bitter.
»Anna!« erwiderte er in zärtlich vorwurfsvollem Tone.
»Ja«, fuhr sie fort, »Ihre Geliebte werden und alles zugrunde richten.«
Wieder hatte sie sagen wollen: ›meinen Sohn‹, aber sie konnte dieses Wort nicht herausbringen.
Wronski vermochte nicht zu begreifen, wie sie mit ihrer kraftvollen, ehrlichen Natur diesen Zustand steter Unwahrhaftigkeit ertragen und nicht den Wunsch hegen konnte, aus ihm herauszukommen; aber er erriet nicht, daß die Hauptursache ihres Verhaltens das Wort Sohn war, das sie sich nicht überwinden konnte, auszusprechen. Wenn sie an ihren Sohn dachte und an sein künftiges Verhältnis zu seiner Mutter, die seinem Vater davongegangen war, dann packte sie eine solche Angst vor diesem Schritte, daß sie nicht weiter überlegen konnte, sondern nach Frauenart sich nur mit unwahren Gedanken und Worten zu beruhigen suchte, damit nur ja alles beim alten bleibe und sie nicht an die entsetzliche Frage zu denken brauche, was aus ihrem Sohne werden solle.
»Ich bitte dich, ich bitte dich flehentlich«, sagte sie in plötzlich ganz anderem, aufrichtigem, zärtlichem Tone und ergriff seine Hand, »rede nie wieder mit mir davon!«
»Aber Anna . . . «
»Nie wieder. Überlaß das mir! Ich kenne in vollem Umfange das Unwürdige und Entsetzliche meiner Lage; aber da einen Ausweg zu finden, ist nicht so leicht, wie du denkst. Überlaß das mir und höre auf mich! Rede nie wieder mit mir davon! Versprichst du mir das? – Nein, nein, versprich es mir!«
»Ich verspreche dir alles; aber ruhig kann ich nicht sein, besonders nach dem, was du mir gesagt hast. Ich kann nicht ruhig sein, wenn du nicht ruhig sein kannst.«
»Ich?« erwiderte sie. »Ja, ich quäle mich manchmal; aber das wird vorübergehen, wenn du nie wieder mit mir davon reden wirst. Nur dann, wenn du mit mir davon redest, nur dann quält es mich.«
»Das verstehe ich nicht«, antwortete er.
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrlichen Natur wird, zu lügen, und du tust mir leid deswegen. Ich denke oft, daß du dir um meinetwillen dein Leben zerstört hast.«
»Genau dasselbe habe auch ich diesen Augenblick gedacht: Wie du nur hast um meinetwillen alles opfern können!« erwiderte er. »Ich kann es mir nicht verzeihen, daß du unglücklich bist.«
»Ich wäre unglücklich?« versetzte sie, indem sie zu ihm hintrat und ihn mit einem entzückten Lächeln der Liebe anblickte. »Ich bin wie ein Hungriger, dem man zu essen gegeben hat. Vielleicht friert er noch, vielleicht sind seine Kleider zerrissen, und er schämt sich; aber unglücklich ist er nicht. Ich wäre unglücklich? Nein, hier ist mein Glück . . . «
In diesem Augenblick hörte sie die Stimme ihres Sohnes, der sich dem Hause näherte; sie schaute sich mit einem schnellen Blicke auf der Terrasse um und erhob sich hastig. In ihren Augen leuchtete das ihm wohlbekannte Feuer auf; mit einer schnellen Bewegung hob sie ihre schönen, mit Ringen geschmückten Hände in die Höhe, faßte seinen Kopf, schaute ihn mit einem langen Blicke an, näherte ihm ihr Gesicht mit den geöffneten, lächelnden Lippen, küßte ihn schnell auf den Mund und auf beide Augen und schob ihn dann von sich. Sie wollte fortgehen, aber er hielt sie zurück.
»Wann?« fragte er flüsternd und blickte sie entzückt an.
»Heute nacht um eins«, flüsterte sie, seufzte tief und ging dann mit ihrem leichten, schnellen Schritt ihrem Sohne entgegen.
Diesen hatte der Regen im Großen Garten überrascht, und er hatte mit der Kinderfrau längere Zeit in einer Laube gesessen.
»Also auf Wiedersehen!« sagte sie zu Wronski. »Ich muß jetzt bald zum Rennen fahren. Betsy hat versprochen, mich abzuholen.«
Wronski warf einen Blick auf die Uhr und brach eilig auf.
24
Als Wronski auf der Terrasse des Kareninschen Landhauses nach der Uhr gesehen hatte, war er so aufgeregt und mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, daß er zwar die Zeiger auf dem Zifferblatte gesehen hatte, aber nicht zur Erkenntnis hatte kommen können, wieviel Uhr es war. Er ging auf die Landstraße hinaus und begab sich, vorsichtig durch den Schmutz schreitend, zu seinem Wagen. Er war von seinem Gefühl für Anna so erfüllt, daß er gar nicht daran dachte, wieviel Uhr es sei und ob er noch Zeit habe, zu Brjanski zu fahren. Es war ihm, wie das nicht selten vorkommt, nur eine äußere Erinnerungsfähigkeit geblieben, die ihm angab, in welcher Reihenfolge er sich vorgenommen hatte, die einzelnen Handlungen zu verrichten. Er trat zu seinem Kutscher, der auf dem Bocke in dem schon schräg fallenden Schatten einer dichten Linde eingeschlummert war, betrachtete einen Augenblick die schillernden Mückenschwärme, die über den schweißbedeckten Pferden umherschwirrten, weckte dann den Kutscher, sprang in den Wagen und befahl ihm, zu Brjanski zu fahren. Erst als er bereits sieben Werst zurückgelegt hatte, kam er wieder so weit zur Besinnung, daß er nach der Uhr sah und begriff, daß es halb sechs und somit schon sehr spät war.
Es fanden an diesem Tage mehrere Rennen statt: ein Rennen der Leibwache, dann ein Offiziersrennen über zwei Werst, eines über vier Werst und das, bei dem er selbst mitritt. Zu seinem Rennen kam er, wenn er sogleich hinfuhr, völlig zur rechten Zeit; aber wenn er erst noch zu Brjanski fuhr, so kam er erst im allerletzten Augenblick hin und erst dann, wenn schon der ganze Hof da war. Das war übel. Aber er hatte Brjanski sein Wort gegeben, noch zu ihm zu kommen, und daher entschloß er sich, weiterzufahren, und befahl dem Kutscher, die Pferde scharf anzutreiben.
Er kam bei Brjanski an, blieb fünf Minuten bei ihm und jagte zurück. Diese schnelle Fahrt beruhigte ihn. Alles Bedrückende, das in seinem Verhältnisse zu Anna lag, die ganze Ungewißheit, die nach ihrem Gespräche zurückgeblieben war, all das kam ihm jetzt aus dem Sinn und den Gedanken; mit heller Freude und lebhafter. Erregung dachte er nun an das Rennen und daran, daß er doch noch zur rechten Zeit kommen werde, und nur zuweilen flammte der Gedanke an die Wonne des für die heutige Nacht bevorstehenden Zusammenseins wie ein heller Lichtschein in seinem Inneren auf.
Das Gefühl der Spannung wegen des bevorstehenden Rennens wurde bei ihm immer stärker und stärker, je mehr er in die Umgebung der Rennen hinein kam und einen Wagen nach dem anderen überholte, die von den Landhäusern und aus Petersburg zu den Rennen fuhren.
In seinem Heim war niemand mehr zu Hause; alle waren sie schon auf der Rennbahn, und nur sein Diener wartete auf ihn am Torwege. Während er sich umkleidete, berichtete ihm der Diener, das zweite Rennen habe schon begonnen; es seien viele Herren gekommen, um sich nach ihm zu erkundigen, und der Stallbursche aus dem Rennstall sei schon zweimal dagewesen.
Nachdem Wronski sich ohne Hast umgekleidet hatte (er überhastete sich niemals und verlor nie die Selbstbeherrschung), fuhr er nach den Baracken. Schon von den Baracken aus erblickte er das Meer von Wagen, Fußgängern und Soldaten, das die Rennbahn umgab, und die von Menschen wimmelnden Tribünen. Wahrscheinlich begann gerade das dritte Rennen, da er in dem Augenblicke, als er in die Baracke trat, ein Glockenzeichen hörte. Als er sich dem Stalle näherte, begegnete er Machotins weißfüßigem Fuchse Gladiator, der, eingehüllt in eine gelb und blaue Decke mit gewaltig groß aussehenden, blau eingefaßten Ohren, nach der Rennbahn geführt wurde.
»Wo ist Cord?« fragte er den Stallburschen.
»Im Stall. Er sattelt.«
In der offenstehenden Box stand Frou-Frou schon gesattelt und sollte eben hinausgeführt werden.
»Ich komme doch nicht zu spät?«
»All right, all right!« antwortete der Engländer. »Seien Sie nur nicht aufgeregt.«
Wronski umfaßte noch einmal mit einem Blicke die prächtigen Formen des ihm so lieben Pferdes, das am ganzen Leibe zitterte; nur mit Überwindung riß er sich von diesem Anblicke los und ging aus der Baracke hinaus. Er kam zu den Tribünen gerade im geeignetsten Augenblick, als er niemandes Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Vier-Werst-Rennen ging eben zu Ende, und aller Augen richteten sich auf den führenden Chevaliergardisten und den an zweiter Stelle liegenden Leibhusaren, die beide mit letzter Kraft ihre Pferde antrieben und sich dem Pfosten näherten. Von der Mitte und von außen her drängte alles nach dem Pfosten hin, und die dort stehende Gruppe von Soldaten und Offizieren des Chevalier-Garderegiments drückte mit lautem Jubelgeschrei ihre Freude über den unerwarteten Sieg ihres Offiziers und Kameraden aus. Wronski mischte sich unbemerkt mitten unter die Menge, fast in demselben Augenblick, als das Glockenzeichen ertönte, das das Rennen als beendet erklärte, und der hochgewachsene, mit Schmutz bespritzte Chevaliergardist, der Erster geworden war, sich auf den Sattel zurücksinken ließ und seinem grauen, vom Schweiß ganz dunkel gewordenen, schwer atmenden Hengste die Zügel nachließ.
Der Hengst mäßigte den schnellen Lauf seines großen Körpers, indem er mit Anstrengung die Füße gegen den Boden stemmte, und der Chevaliergardist blickte um sich, wie jemand, der aus einem schweren Traume erwacht, und lächelte mühsam. Ein Schwarm von Freunden und anderen Zuschauern umringte ihn.
Wronski vermied absichtlich die bevorzugte, besonders vornehme Schar von Zuschauern, die sich in gemessenem und doch ungezwungenem Benehmen vor den Tribünen bewegte und miteinander plauderte. Er hatte erkannt, daß sich dort auch Frau Karenina und Betsy und die Frau seines Bruders befanden, und ging geflissentlich nicht zu ihnen hin, um seine Gedanken nicht abzulenken. Aber fortwährend traf er auf Bekannte, die ihn anhielten, ihm Einzelheiten über die erledigten Rennen erzählten und ihn fragten, warum er erst so spät gekommen sei.
Während die Sieger zur Empfangnahme der Preise in die Loge gerufen wurden und die Augen aller sich dorthin wandten, trat Wronskis älterer Bruder Alexander, Oberst mit den Achselschnüren der Generaladjutanten, zu ihm, ein Mann von mittlerer Gestalt, ebenso stämmig wie Alexei, aber schöner und von frischerer Gesichtsfarbe, mit roter Nase und offenem, ehrlichem Trinkergesicht.
»Hast du mein Zettelchen bekommen?« fragte er. »Man trifft dich ja nie zu Hause.«
Alexander Wronski war trotz seinem lockeren Lebenswandel, wobei namentlich seine Trunksucht allgemein bekannt war, ein vollendeter Hofmann.
Jetzt, als er mit seinem Bruder über eine ihm äußerst unangenehme Angelegenheit sprach und wußte, daß die Augen vieler auf sie beide gerichtet sein konnten, zeigte er eine so freundlich lächelnde Miene, als ob er sich mit seinem Bruder über irgendwelchen unwichtigen Gegenstand scherzend unterhielte.
»Ja, ich habe deinen Zettel erhalten und begreife wirklich nicht, worüber du, gerade du, dir Sorge machst«, antwortete Alexei.
»Ich mache mir darüber Sorge, daß man mir soeben, wie etwas Bemerkenswertes, mitgeteilt hat, du seiest noch nicht hier, und man habe dich am Montag in Peterhof gesehen.«
»Es gibt Angelegenheiten, die nur der Beurteilung der unmittelbar Beteiligten unterliegen, und die Angelegenheit, um die du dir solche Sorge machst, ist von der Art.«
»Ja, aber dann darf man nicht Offizier oder Beamter sein und nicht . . . «
»Ich bitte dich, mische dich nicht in meine Angelegenheiten. Damit ist die Sache erledigt.«
Alexei Wronskis finsteres Gesicht war blaß geworden, und sein vorstehender Unterkiefer bebte, was bei ihm nur selten vorkam. Als sehr gutherziger Mensch wurde er selten zornig; aber wenn er es einmal wurde und sein Kinn zu zittern begann, dann war er gefährlich, und das wußte auch Alexander Wronski. Aber dieser lächelte heiter.
»Ich hatte dir ja nur den Brief unserer Mutter übermitteln wollen. Antworte ihr und rege dich jetzt vor dem Reiten nicht auf! Bonne chance!« fügte er lächelnd hinzu und ging von ihm weg.
Aber unmittelbar darauf wurde Wronski wieder durch eine freundschaftliche Anrede aufgehalten.
»Du willst wohl deine Freunde nicht kennen? Guten Tag, mon cher!« rief Stepan Arkadjewitsch, der auch hier, mitten in all dieser Petersburger Pracht und Vornehmheit, nicht minder als in Moskau durch seine frische Gesichtsfarbe und seinen glänzenden, auseinandergekämmten Backenbart auffiel. »Ich bin gestern angekommen und freue mich sehr, deinen Triumph mit anzusehen. Wann treffen wir uns?«
»Komm morgen in unser Kasino!« erwiderte Wronski, drückte ihm mit ein paar entschuldigenden Worten den Mantelärmel und ging in die Mitte der Rennbahn, wohin bereits die Pferde für das große Hindernisrennen geführt wurden.
Die schweißbedeckten, abgematteten Pferde, die soeben gelaufen waren, wurden von Stallknechten in den Stall geführt, und eines nach dem anderen er schienen die neuen, frischen Pferde für das bevorstehende Rennen. Sie waren größtenteils englischer Herkunft. In ihren Kappen und mit den eingezogenen Bäuchen sahen sie seltsamen, riesigen Vögeln ähnlich. Rechts wurde die schmächtige, schöne Frou-Frou herbeigeführt, die auf ihren elastischen, ziemlich langen Fesseln wie auf Sprungfedern einherschritt. Nicht weit von ihr wurde gerade dem großohrigen Gladiator die Decke abgenommen. Die mächtigen, schönen, völlig regelmäßigen Formen des Hengstes mit dem wundervollen Hinterteil und den ungewöhnlich kurzen, unmittelbar über den Hufen sitzenden Fesseln zogen unwillkürlich Wronskis Aufmerksamkeit auf sich. Er wollte soeben an sein eigenes Pferd herantreten, da hielt ihn wieder ein Bekannter auf.
»Da ist ja auch Karenin«, sagte der Bekannte, nachdem sie einige Worte gewechselt hatten. »Er sucht seine Frau; sie sitzt aber in der Mitte der Loge. Haben Sie sie nicht gesehen?«
»Nein, ich habe sie nicht gesehen«, antwortete Wronski und ging zu seinem Pferde, ohne auch nur nach der Stelle hinzusehen, wohin, als nach Annas Platz, der andere gewiesen hatte.
Kaum hatte Wronski den Sattel besichtigt, über den er noch eine Anordnung geben mußte, als schon die Reiter zur Loge gerufen wurden, um ihre Nummern zu ziehen und zum Start abgefertigt zu werden. Mit ernsten, strengen, zum Teil sogar mit bleichen Gesichtern versammelten sich die Offiziere, siebzehn an der Zahl, bei der Loge und zogen ihre Nummern. Wronski erhielt Nummer sieben. Dann erscholl der Ruf: »Aufsitzen!«
Wronski war sich bewußt, daß er und die anderen Reiter jetzt den Mittelpunkt bildeten, auf den alle Blicke gerichtet waren, und in einem Zustande seelischer Spannung, in dem er gewöhnlich besonders langsam und ruhig in seinen Bewegungen wurde, trat er an sein Pferd heran. Cord hatte, um den Glanz des Rennens zu erhöhen, seinen Paradeanzug angelegt: schwarzen, zugeknöpften Oberrock, steif gestärkten Kragen, bis an die Backen reichend, runden, schwarzen Hut und Stulpstiefel. Er war wie immer ruhig und würdevoll und hielt selbst das Pferd, davorstehend, an beiden Zügeln. Frou-Frou zitterte immer noch wie im Fieber. Ihr blitzendes Auge schielte nach dem herantretenden Wronski hin. Wronski steckte einen Finger unter den Sattelgurt. Das Pferd schielte noch stärker, entblößte die Zähne und legte das eine Ohr an. Der Engländer verzog seinen Mund, um ein Lächeln darüber zu zeigen, daß eine von ihm ausgeführte Sattelung erst noch nachgesehen werde.
»Sitzen Sie auf; Sie werden dann weniger aufgeregt sein.«
Wronski sah sich zum letzten Male nach seinen Gegnern um. Er wußte, daß er sie während des Reitens selbst nicht mehr sehen werde. Zwei von ihnen waren schon zum Startplatz vorausgeritten. Wronskis Freund Galzin, ein gefährlicher Gegner, bewegte sich im Kreise um seinen braunen Hengst herum, der ihn nicht aufsitzen ließ. Dort galoppierte ein kleiner Leibhusar in engen Reithosen, wie eine Katze zusammengekrümmt auf der Kruppe sitzend, die Engländer nachahmend. Fürst Kusowlew saß ganz blaß auf seiner Vollblutstute aus dem Grabower Gestüt, die ein Engländer am Zaume führte. Wronski und alle seine Kameraden kannten Kusowlew und seine Besonderheiten: seine »schwachen Nerven« und seinen ungeheueren Ehrgeiz. Sie wußten, daß er sich vor allem möglichen fürchtete, daß er sich davor fürchtete, ein gewöhnliches Dienstpferd zu reiten; aber jetzt, gerade weil es wirklich gefährlich war, gerade weil sich die Leute dabei die Hälse brachen und bei jedem Hindernisse ein Arzt, ein Krankenwagen mit aufgenähtem Kreuz und eine Barmherzige Schwester standen, jetzt hatte er sich entschlossen, das Rennen mitzureiten. Ihre Blicke trafen sich, und Wronski nickte ihm freundlich und beifällig zu. Nur einen sah er nicht: seinen Hauptgegner Machotin auf dem Gladiator.
»Überhasten Sie sich nicht beim Reiten«, sagte Cord zu Wronski, »und beobachten Sie eines: Halten Sie sie bei den Hindernissen nicht zurück und treiben Sie sie nicht an; lassen Sie ihr freie Wahl, es zu machen, wie sie will.«
»Schön, schön«, antwortete Wronski und faßte die Zügel.
»Wenn es möglich ist, so nehmen Sie die Führung; aber geben Sie bis zum letzten Augenblicke nicht die Hoffnung auf, selbst wenn Sie hinten sein sollten.«
Das Pferd hatte keine Zeit, sich wegzudrehen, als Wronski schon mit einer gewandten, energischen Bewegung in den stählernen, gezähnten Steigbügel trat und leicht, aber fest seinen kräftigen Körper auf das knarrende Leder des Sattels gleiten ließ. Während er den rechten Fuß in den Steigbügel steckte, ordnete er mit den ihm geläufigen Griffen die doppelten Zügel zwischen den Fingern, und Cord zog die Hände zurück. Als ob sie nicht recht wüßte, mit welchem Fuße sie zuerst auftreten solle, setzte sich Frou-Frou, mit ihrem langen Halse die Zügel ausziehend, wie auf Sprungfedern in Bewegung und schaukelte den Reiter auf ihrem geschmeidigen Rücken. Cord folgte ihnen in beschleunigtem Gange. Das aufgeregte Pferd versuchte bald auf der einen, bald auf der anderen Seite den Reiter zu täuschen und den Zügel noch weiter auszuziehen, und Wronski bemühte sich vergeblich mit Stimme und Hand, es zu beruhigen.
Sie waren auf ihrem Wege zum Start bereits zu dem aufgestauten Flüßchen gelangt. Einige von den Reitern waren Wronski voraus, die übrigen waren hinter ihm zurück, als er plötzlich hinter sich auf dem schmutzigen Wege das Geräusch eines galoppierenden Pferdes hörte und ihn Machotin auf seinem weißfüßigen, großohrigen Gladiator überholte. Machotin lächelte, so daß seine langen Zähne sichtbar wurden; aber Wronski warf ihm einen grimmigen Blick zu. Er konnte den Menschen überhaupt nicht leiden, hielt ihn jetzt für seinen gefährlichsten Gegner und ärgerte sich über ihn, weil er an ihm vorbeigaloppierte und ihm dadurch seine Frou-Frou in Aufregung versetzte. Diese warf den linken Fuß zum Galopp in die Höhe, machte zwei Sprünge und ging, unwillig über die straff angezogenen Zügel, in einen stoßenden Trab über, der den Reiter fortwährend in die Höhe warf. Auch Cord machte ein finsteres Gesicht und lief fast im Trabe hinter Wronski her.
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