Kitabı oku: «Ein Sizilianer von festen Prinzipien», sayfa 2
Nun ist es so, dass die Diener, also jene mit einer Dienernatur, stets niederträchtiger und dümmer sind als ihre Herren. Und so ist der Bericht von Pater Girolamo Matranga7, Theatiner, Berater und Gutachter des Heiligen Offiziums, zum selben Fall etwas seriöser als die Notiz des Doktor Auria. Matranga berichtet denn auch, dass der Inquisitor zur gewohnten Stunde in die Verliese gegangen war, um das übliche Werk zum Wohle der Gefangenen zu tun: Dieser Ausdruck hat ein weites Bedeutungsfeld, das vom Überzeugungsgespräch bis zur Folter durch Seilhochziehen reicht. Es heißt darin außerdem, dass Fra Diego vor den Inquisitor geführt wurde, also nicht auf ihn zugekommen ist. Aus diesen beiden Hinweisen können wir zuverlässig schließen, dass er einem Verhör samt der dazugehörigen Folter unterzogen werden sollte.
Was den heiligmäßigen Tod des Monsignore de Cisneros angeht, so heißt es bei Matranga nur, dass er keine anderen Worte als solche des Sich-Ergebens in den göttlichen Willen geäußert habe: Und so stieg er in die ewige Heimat auf, um seine Jugend wiederzugewinnen. Keine Vergebung für den Ungläubigen, keine außerordentliche Liebe.
Weder aus dem Tagebuch Aurias noch aus dem Bericht Matrangas geht hervor, wie viele Tage Monsignore de Cisneros in Agonie gelegen hat: wenige, sagt der Theatiner; sehr wenige, wenn wir in Betracht ziehen, dass Auria in ein und derselben Aufzeichnung die Notiz über die Verwundung und die über das Begräbnis unterbringt. Es gab auf jeden Fall feierliche Exequien: Alle Glocken der Stadt läuteten zum Leichenbegängnis, und die Uhr am Palazzo Chiaramonte wurde für den ganzen Tag angehalten. Jene Uhr ist beim Volk sprichwörtlich geworden: Lu roggiu di lu Sant’Ufficio nun conzigna mai, sie entlässt nie in die Freiheit, schlägt nie die Stunde der Befreiung8.
In der spanischen Kapelle der Chiesa della Gangia existiert noch heute das Grabmal des Monsignore de Cisneros. Der Stein trägt folgende Inschrift:
Aquí yace el licenziado Don Juan López de Cisneros, natural de Castromocho en Castilla la Vieja, provvisor y vicario general dei obispado de Orense, collegial mayor del insigne colegio de San Ildefonso, universidad de Alcalá de Henares, y pariente de su fundador, fiscal y inquisidor apostolico en este reyno de Siçilia. Murió en el mismo exercitio de inquisidor a 4 de abril 1657, a los 71 de su edad. Fundó una capillania perpetua en esta capilla de que son patrones los inquisidores deste reyno.
(Hier ruht der Lizentiat Don Juan López de Cisneros, gebürtig aus Castromocho in Castilla la Vieja, Provisor und Generalvikar des Bischofs von Orense, geachtetes Mitglied des ehrhaften Kollegiums Sankt Ildefonso, der Universität zu Alcalá de Henares, Verwandter des Gründers, Fiskal und apostolischer Inquisitor unseres Königreichs Sizilien. Er starb bei der Ausübung seines ihm anvertrauten Amtes als Inquisitor am 4. April 1657 im 71. Jahr seines Lebens. Er stiftete eine ständige Kaplanstelle für diese Kapelle, deren Fürsprecher die Inquisitoren des Königreichs sind.)
Auf der Schrifttafel ist ein Schild zu sehen, ein Wappen, auf dem zwei senkrechte und vier waagrechte Linien eine Art Gitter bilden: passendes Symbol für seine Nächstenliebe und diejenige seines Verwandten; das ist eben jener Kardinal [Francisco] Jiménez de Cisneros, auf den D’Ors einen Heldengesang anstimmt: die Hand, die erstickt und zugleich eine Stütze ist. Aber die Hand von Diego La Matina hatte diese Gabe nicht, und so starb der Verwandte des großen Cisneros bei der Ausübung ebendieses Amtes als Inquisitor. Durch Hiebe mit den Handschellen: ein Arbeitsunfall, wie er einem Schergen, einem Folterknecht nun mal zustoßen kann. Etwas besser war im Jahr 1485 in Aragon der Inquisitor Pedro Arbues gestorben: in einem nächtlichen Hinterhalt; durch die Hand von conversos, das heißt von konvertierten Juden, welche die Inquisition niemals aus den Augen ließ9. Das sind, soweit wir wissen, die beiden einzigen Fälle, in denen Inquisitoren eines gewaltsamen Todes starben.
Diego La Matina, Sohn des Vincenzo und der Francesca di Gasparo, wurde am 15. März 1622 in der Chiesa Santa Maria dell’Annunziata von Racalmuto getauft; Taufpaten waren ein gewisser Sferrazza, dessen Vornamen wir nicht entziffern können, und eine Giovanna di Gerlando aus Gueli. Es zelebrierte Pfarrer Paulino d’Asaro10.
Herrscher von Racalmuto war damals Girolamo II. del Carretto, ein grausamer und habsüchtiger Mensch: Kaum zwei Monate später, am 6. Mai, sollte einer seiner Diener, ein gewisser Antonio Di Vita, ihn mit einem Büchsenschuss ins Jenseits befördern. Wie es scheint, war Di Vita vom Prior des Klosters der reformierten Augustiner mit diesem Auftrag betraut worden, aus Rache für eine Geldsumme, die der Graf ihm abgenommen hatte. Laut örtlicher Überlieferung hatte der Prior einen hübschen Batzen Geld einsammeln können, und zwar in der frommen Absicht, das Kloster auszubauen und die dazugehörige Chiesa di San Giuliano zu verschönern. Aber del Carretto schaffte es, sich dieses Geld aushändigen zu lassen. Als Beweis für das Vorhaben des Priors und die räuberische Intervention des Grafen verweist das Volk auf die halbfertigen Säulen neben dem alten Kloster, unweit vom Kalkofen.
Dass an dieser Überlieferung etwas Wahres dran ist, finden wir im Epilog der Volkslegende selbst bestätigt, der besagt: Der Diener Di Vita sei ungestraft davongekommen dank Donna Beatrice, der dreiundzwanzigjährigen Witwe des Grafen: Nicht nur verzieh sie dem Di Vita und hielt den Rachsüchtigen unbeirrt entgegen, dass der Tod des Dieners den Herrn nicht wieder ins Leben zurückbringt, sondern sie ließ ihn auf freien Fuß setzen und versteckte ihn auch. Nun schimmert in diesem Epilog deutlich die schadenfreudige Anspielung auf einen gehörnten und abgeschossenen Grafen del Carretto durch: Aber das dürfte ein eher zweitrangiger Grund für sein Ende gewesen sein, der gewichtigste bleibt der Hass des Priors. Und daher: Hätte es keine konkreten Anhaltspunkte gegeben, die den Prior der Augustiner als Auftraggeber ausweisen, hätte das Volk gern die Geschichte von den Hörnern des Grafen in Umlauf gebracht.
Der Prior war gewiss kein Heiliger. Aber diesen Büchsenschuss hatte der Graf mit dem Segen der Bewohner eines ganzen Ortes abbekommen. Ein Memorandum vom Ende des 17. Jahrhunderts (heute unauffindbar, aber transkribiert und zusammengefasst von Nicolò Tinebra Martorana, dem Verfasser einer brauchbaren Lokalgeschichte11) berichtet von der erdrückenden Steuerlast, welche die del Carretto dem Volk auferlegten, und Don Girolamo II. tat das auf besonders grausame und räuberische Weise. Der terraggio und der terraggiolo, auf die Erbpacht zu leistende Abgaben und Steuern, wurden mit Härte und Willkür eingetrieben: und nicht nur bei denen, die tatsächlich Erbpächter in der Grafschaft Racalmuto waren, sondern auch bei jenen, die in der Grafschaft lediglich ihren Wohnsitz, ihr Pachtland jedoch außerhalb des Territoriums hatten; und nicht wenige dürften genau in dieser Lage gewesen sein. Daher hielt die Abwanderung der Bauern aus dem Herrschaftsgebiet der del Carretto über die Jahrhunderte stetig an, ja in bestimmten Phasen wurde daraus sogar eine Massenflucht; die erzwungenen Wiederansiedlungen oder solche, die gefördert durch Steuerfreiheit zustande kamen, genügten nicht, um die hinterlassenen Lücken gänzlich zu schließen.
Das von Tinebra Martorana zusammengefasste Dokument besagt, dass genau unter der Herrschaft von Girolamo II. die borgesi, also die Ackerbürger von Racalmuto, die zwecks Abschaffung der willkürlich auferlegten Steuern bereits Beschwerde auf den Weg gebracht hatten, einem äußerst schlimmen Betrug aufsaßen: Der Graf täuschte nämlich seine Bereitschaft vor, diese Abgaben für immer abschaffen zu wollen; allerdings gegen Zahlung einer großen Summe, genauer von vierunddreißigtausend Scudi. Die Höhe der Summe lässt uns denken, dass es sich nicht um den Freikauf von bestimmten Steuern handelte, sondern um die endgültige Auslösung der Gemeinde aus der Herrschaft des Despoten, also um den Übergang von der Baronie in Königsland mit Selbstverwaltung.
Um eine solche Summe zusammenzubringen, genehmigte das Königliche Gericht eine außerordentliche Selbstbesteuerung: Kaum aber waren die neuen, außerordentlichen Steuern erhoben, erklärte Don Girolamo del Carretto, dass er sie als gewöhnliche Steuern betrachte – ohne Zweckbindung an den Freikauf. Die borgesi reichten selbstverständlich Beschwerde ein; aber die schmerzliche Angelegenheit wurde auf gewisse Weise erst 1784 zu ihren Gunsten gelöst, unter der Herrschaft des Vizekönigs Caracciolo.
Der Augustinerprior und der Diener Di Vita übten also Rache für eine ganze Stadt, wie auch immer die grässliche Bescherung gewesen sein mag, deren Hauptfiguren sie zusammen mit dem Verstorbenen und Donna Beatrice gewesen sind. (Merkwürdig ist die Aussage eines Pergaments, das höchstwahrscheinlich ein Jahr später in den Sarkophag aus Granit gelegt wurde, wohin der Leichnam des Grafen überführt worden war. Darauf ist das Alter von Donna Beatrice, vierundzwanzig Jahre, vermerkt, das des Grafen aber verschwiegen. Nun verfügen wir tatsächlich nicht über das Original, sondern nur über eine Abschrift von 1705; doch haben wir keinen Grund, an der Worttreue der Transkription von Hand des Karmeliterpriors Giuseppe Poma zu zweifeln: Das Original hatte sein Vorgänger Giovanni Ricci verfasst, der sich vielleicht erlaubt hat, uns eine kleine boshafte Anspielung zu überliefern.)
Pater Girolamo Matranga, Berichterstatter beim Glaubensakt, dessen Opfer Diego La Matina war, kannte diese Geschichte nicht: Er hätte nämlich glänzende Schlussfolgerungen aus der Tatsache zu ziehen gewusst, dass ein Herrschermord, verübt vom Diener an seinem Herrn, genau an dem Ort und zu der Zeit begangen wurde, da der Mörder des Inquisitors geboren wurde. Ebenso wenig wusste er, dass bei der Geburt und beim Tod des Ungeheuers die gleichen Sternbilder am Himmel standen. Das Schicksal der Menschen in den Sternen zu lesen, das war die fixe Idee jenes sadistischen Don Ferrante: Erfreut können wir bekunden, dass sich das Horoskop, das dieser für den spanischen Prinzen Prospero Filippo erstellte, als irrig erwiesen hat: Demnach war er zu großen Dingen bestimmt, wegen der offensichtlichen Gunst der Sterne, aber auch wegen des zeitlichen Zusammenfallens seiner Geburt mit Fra Diegos Verurteilung.
Zwischen dem Jahr 1622, in dem Fra Diego geboren wurde, und 1658, in dem er den Scheiterhaufen bestieg, wechselten die Grafen del Carretto einander in dichter Folge als Herrscher ab: Girolamo II., Giovanni V., Girolamo III., Girolamo IV. Die del Carretto hatten kein langes Leben. War der zweite Girolamo durch die Hand eines Meuchelmörders gestorben (wie übrigens auch sein Vater), so starb der dritte durch die Hand des Henkers: schuldig gesprochen wegen einer Verschwörung, deren Ziel die Unabhängigkeit des Königreichs Sizilien war. Und es ist nicht anzunehmen, dass er sich aus idealistischen Gründen auf die Verschwörung eingelassen hatte: Als Schwager des Grafen von Mazzarino, dessen Schwester er geheiratet hatte (auch sie hieß Beatrice), liebäugelte er damit, den König von Sizilien in der Familie zu haben. Aber die Inquisition war wachsam, und wachsam waren die Jesuiten: Als die Verschwörung aufgedeckt wurde, war der Graf so leichtfertig, in Sizilien zu bleiben, vielleicht im Vertrauen auf Freundschaften und Protektion bei Hofe und im Königreich. Eine Verschwörung gegen die spanische Krone aber wog wesentlich schwerer als die verbrecherischen Ehrenhändel, die unerbittlichen Racheakte, denen sich die del Carretto für gewöhnlich widmeten. Giovanni IV. beispielsweise hatte einen gewissen Gaspare La Cannita ermorden lassen, der aus Neapel nach Palermo gekommen war, und eben aus Furcht vor dem Grafen sich auf das Wort des Vizekönigs, des Herzogs von Alba, verlassen hatte, der ihm seinen Schutz versprochen hatte. Den Zorn des Vizekönigs auf den del Carretto kann man sich leicht vorstellen: Aber er scheiterte an der Protektion, die das Heilige Offizium dem Grafen, seinem familiare, gewährte. Denselben Giovanni IV. finden wir im Bericht über die Explosion des Pulverturms des Castello a mare am 19. August 1593: Er speiste gerade mit dem Inquisitor Paramo – das Heilige Offizium hatte damals seinen Sitz im Castello a mare –, als sich die Explosion ereignete. Sie kamen davon, Paramo12 allerdings schwer verletzt. Ihr Leben ließen jedoch Antonio Veneziano und Argisto Giuffredi, zwei der größten Genies des 16. Jahrhunderts in Sizilien, die sich dort in Gefangenschaft befanden.
Für die familiäre Verbundenheit der del Carretto mit dem Heiligen Offizium gibt es noch weitere Beispiele. Hier genügt jedoch festzuhalten, dass die Inquisition in Racalmuto gegen die frevelhafte Ketzerei und als Instrument der Mächtigen wohl nicht untätig geblieben war. Doch obgleich ein berühmter Historiker beteuert, dass dem, was La Mantia13 über die Inquisition in Sizilien geschrieben hat, nichts oder so gut wie nichts hinzuzufügen sei, wissen wir bedauerlicherweise nur sehr wenig. Garufi14 zum Beispiel konnte nach dem Durchforsten der spanischen Archive zu den Notizen des La Mantia vieles beisteuern; und noch ist dem nicht genug.
Aus ebendiesen von Garufi veröffentlichten Dokumenten wissen wir, dass es 1575 in Racalmuto acht familiari und einen Kommissar des Heiligen Offiziums gab; zwei Jahre später waren es zehn familiari, ein Kommissar, ein Rechtsanwalt und Notar – und das bei einer Bevölkerung von rund fünftausend Personen (Maggiore-Perni nennt 5.279 Bewohner für 1570, 3.825 für 1583: Auch wenn diese Zahlen nur unter Vorbehalt zu übernehmen sind, kann man ohne Weiteres den Rückgang für gesichert betrachten). Was bedeutet: Allein das Heilige Offizium verfügte seinerzeit über eine Macht, wie sie heute bei einer doppelt so großen Bevölkerungszahl nicht einmal die Carabinieri haben. Wenn wir dann noch die Schergen des weltlichen Gerichtshofs und diejenigen des Vikariats-Gerichts sowie die Spione hinzuzählen, und wir uns das Leben in unserem armen Land am Ende des 16. Jahrhunderts vorstellen, dann überkommt uns Bestürzung.
Aber wir finden nur einen einzigen Racalmuteser, der schon vor Fra Diego in die Klauen des Heiligen Offiziums geraten war: den Notar Jacobo Damiano, angeklagt wegen lutherischer Ansichten, aber versöhnt im Glaubensakt, der am 13. April 1563 in Palermo zelebriert wurde. Versöhnt: das heißt freigesprochen aufgrund eindeutiger und öffentlicher Reue, aber nicht straflos, wie wir aus dem folgenden ergreifenden Gesuch erfahren:
Hochwürdigster Herr Inquisitor.
Der arme Notar Iacobo Damiano, versöhnt durch das Heilige Offizium der Inquisition, gibt Eurer Hochwürdigsten Herrschaft zu verstehen, wie er trotz vielerlei Mittel und Notlösungen, die er selbst ersonnen hat, keinen Weg findet, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, außer durch Rückkehr in seine Heimat Racalmuto, wo er mit Hilfe und Unterstützung seiner Verwandten sich erhalten und die wenigen Tage seines Lebens, die ihm angesichts seines Alters und seiner Gebrechlichkeit noch bleiben, fristen könnte. Doch da, wie der Antragsteller bereits gesagt hat, seine Verwandten stets ehrenwerte Personen waren, es nach wie vor sind, würden diese, wenn sie an dem Antragsteller besagtes Gewand sähen, ihn unter keinen Umständen aufnehmen, sondern ihn davonjagen und ihn vor Hunger und Bedürftigkeit sterbend ziehen lassen. Deswegen wirft er sich zu Füßen Eurer Hochwürdigsten Herrschaft, auf dass Ihr so gnädig sein möget, ihm die Gunst zu erweisen, das besagte Gewand in eine andere Buße und in eine Geldstrafe für den Freikauf der gefangenen Christen umzuwandeln, die im Gebiet der Mauren sind, damit er als Bittsteller von seinen Verwandten die möglichen Geldmittel für diesen Zweck einsammele, andernfalls es leicht geschehen könnte, dass er Hungers stirbt und von allen verlassen wird.15
Das Gewand, auf das der arme Notar sich bezieht, ist der sogenannte Sanbenito: ein saccus benedictus, gebenedeiter Sack, eine Art kurze Tunika, gelb, markiert mit zwei Linien in Form eines Andreaskreuzes. Das war das Gewand der Schande (und selbst wenn heute in den sizilianischen Ortschaften ein jeder, um mit Pirandello zu sprechen, seinen eigenen Sanbenito trägt, um wie viel grausamer muss es wohl in der Vergangenheit gewesen sein, tatsächlich das Gewand der Schmach zu tragen).
Garufi geht davon aus, dass der Vorschlag des Notars, die Bestrafung mit dem Sanbenito in eine Geldstrafe umzuwandeln, den Inquisitor nicht ungerührt gelassen hat: Denn es handelte sich um Juan Bezerra de La Quadra, ein Mensch, bei dem Raffgier und Grausamkeit sich die Waage hielten. Dass aber der Notar tatsächlich lutherische Ansichten vertreten haben soll, das bezweifeln wir: So wie wir bezweifeln, dass all diejenigen tatsächlich lutherischen Glaubens waren, die als hartnäckige Lutheraner angeklagt oder als solche verdächtigt vom Heiligen Offizium der säkularen Gerichtsbarkeit überlassen oder wieder mit dem Glauben versöhnt und mit mehr oder minder schweren Geld-, Körper- oder Haftstrafen belangt wurden. Wenn man heute mit einem Bauern, einem Arbeiter aus den Schwefelgruben oder auch mit einem Ehrenmann über Angelegenheiten der katholischen Religion spricht, so fällt es noch immer leicht, bestimmte Urteile aus ihrem Mund über die Sakramente, über das Seelenheil, über das Priesteramt – ganz zu schweigen von den Ansichten über die irdischen Interessen und das weltliche Verhalten der Priester – als lutherische Vorstellungen auszuweisen. Tatsächlich aber dürfen solche Urteile nicht einmal annähernd als ketzerische Ansichten betrachtet werden; sie sind, in Bezug auf die Religion, etwas darüber Hinausreichendes und Schlimmeres: Sie gründen auf einer völligen Unempfänglichkeit gegenüber der Metaphysik, dem Mysterium, der geheimen Offenbarung; eben auf dem uralten Materialismus des sizilianischen Volks.
Was etwa die Beichte angeht, da brauchte es keinen Luther, um das Misstrauen und den Widerstand eines Sizilianers zu wecken. Immer schon war dieses Sakrament in seinen Augen nichts weiter als ein schlauer, sozusagen eines Boccaccio würdiger Kunstgriff: ein Instrument, das eine privilegierte Gesellschaftsschicht, also die der Priester, ersonnen hat, um in den Genuss sexueller Freizügigkeiten auf anderer Leute Terrain zu kommen und um im selben Moment ebendiese Freizügigkeiten bei den Nichtprivilegierten zu tadeln; einem Sizilianer bedeutet ein Privileg nicht so sehr die Freiheit, sich bestimmte Dinge erlauben zu dürfen, als vielmehr das Vergnügen daran, anderen genau diese Freiheit zu verbieten. Und selbst das Zölibat der Priester erschien am Ende als so etwas wie eine List, eine Irreführung: um nicht mit gleichen Waffen auf dem tückischen Terrain kämpfen zu müssen, auf dem die Frauen sich der Ehrhaftigkeit der Männer bedienen, um selbst unangreifbar zu sein. Und von dieser Überzeugung rührt das Verbot, das die Ehemänner, Väter, Brüder ihren Frauen hinsichtlich der Beichte erteilten. Was ihr eigenes Beichten anging, waren sie der Ansicht, das sei nichts für Männer, einem anderen Mann gegenüber die eigenen Empfindungen, Schwächen, geheimen Taten und Absichten zu bekennen; noch glaubten sie, dass ein Mann, einer ihresgleichen, von Gott mit der Macht ausgestattet worden war, ihnen ihre Sünden zu vergeben; und auch nicht, dass es tatsächlich Sünden gibt. Die einzige Vorstellung, die der Sizilianer von der Sünde hat, ist sehr prägnant in folgendes Sprichwort eingegangen: Cu havi la cummindità e nun si nni servi, mancu lu confissuri cci l’assorvi; was tatsächlich die ironische Umkehrung nicht nur der Beichte darstellt, sondern die des Grundprinzips des Christentums: Der Beichtvater wird dem die Absolution nicht erteilen, der nicht jede Gunst und Gelegenheit hinsichtlich fremden Besitzes und vor allem anderer Leute Frauen zu nutzen weiß. Und aus ebendieser Haltung gegenüber dem Anderen entspringt ja das Gefühl von Gefährdung und Unsicherheit in Bezug auf das Eigene; diese geschärfte und misstrauische Wachsamkeit, diese schmerzliche Bangigkeit, diese übersteigerte Besorgnis, die Frauen und Besitz umgeben und die wiederum eine Art von Religiosität, wenn nicht gar von Religion darstellen.
Und dass die Beichte die Schwachstelle der Sizilianer war, das hatte der zuvor so rühmlich erwähnte Inquisitor Juan Bezerra de La Quadra wohl verstanden (man hatte es ihm zu verstehen gegeben, um genauer zu sein):
Einige Personen aus der Diözese, die unserem Herrgott dienen möchten, haben uns dringend gebeten, die Pfarrer der einzelnen Pfarreien anzuweisen, eine Liste all jener zu führen, die zur Beichte und zur Kommunion gehen, damit wir wissen, wer eine solche Pflicht vernachlässigt, denn derer sind es viele … 16
Aber sicherlich wurde diese Anordnung nicht gestreng umgesetzt: Wie wir Grund haben anzunehmen, entzogen sich tatsächlich viele einer so wesentlichen Pflicht.
Es war also ein Leichtes, Anklagen wegen Luthertums zu erheben, und zwar zu Lasten von jedermann, wenn man dabei die grundsätzliche Gleichgültigkeit der Sizilianer gegenüber der Religion außer Acht ließ; und auch ein Element, das für die Ablehnung des echten Luthertums ausschlaggebend war: Und das ist, um es mit Verga zu sagen, der Krieg der Heiligen; was das einzige Element im katholischen Glauben war, das das sizilianischen Volk in seinem ureigenen Wesen berührte. Und das aus absolut unchristlichen Motiven.
Selbstverständlich wollen wir nicht ausschließen, dass es in Sizilien, besonders im Osten der Insel, einzelne Personen oder kleine Gruppen gegeben hat, die tatsächlich lutherische oder calvinistische Auffassungen teilten; aber es scheint nicht, als könnte man ausgehend von den Fällen in Messina, in Mandanici, in Noto mit Fug und Recht von einer Verbreitung reformatorischer Fermente sprechen17. Mit umso mehr Recht glauben wir, auf Sizilien das übertragen zu können, was Américo Castro in Bezug auf die Inquisition über Spanien sagt:
Selbst die Existenz eines so törichten, alles andere als heiligen Tribunals war nur möglich, weil es in seiner Umgebung an jedweder intellektuellen Kraft fehlte. In Wirklichkeit gab es keinerlei Häresie, die zu bekämpfen gewesen wäre … 18
Sonst wäre in Sizilien die Irreligiosität eines ganzen Volks zu bekämpfen gewesen. Aber für diese Aufgabe fehlte es dem Heiligen Offizium wahrhaftig nicht nur an Heiligkeit, sondern auch an Intelligenz.
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