Kitabı oku: «Венера в мехах. Уровень 3 / Venus im Pelz»
Leopold Ritter von Sacher-Masoch
Venus Im Pelz
* * *
© Алешина П. Д., адаптация текста, коммент., упражнения и словарь, 2023
© ООО «Издательство АСТ», 2023
Venus im Pelz
«Gott hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben.»
Buch Judith 16. Kap. 7.
Ich hatte liebenswürdige Gesellschaft.
Mir gegenüber an dem massiven Renaissancekamin saß Venus. Das war aber nicht eme der Halbwelt1, die unter diesem Namen Krieg gegen das feindliche Gschlecht führte. Sondern es war die wahrhafte Liebesgöttin, gleich Mademoiselle Cleopatra.
Sie saß im Wohnzimmer und hatte ein Feuer angezündet. Sein Widerschein leckte in roten Flammen ihr bleiches Antlitz mit den weißen Augen und von Zeit zu Zeit ihre Füße. Sie versuchte zu wärmen.
Ihr Kopf war wunderbar, obwohl sie tote Steinaugen hatte. Aber das war auch alles, was ich von ihr sah. Die herrliche Dame hatte ihren Marmorleib in einen großen Pelz gewickelt. Sie hat sich zitternd wie eine Katze zusammengerollt.
«Ich verstehe nicht, gnädige Frau», rief ich, «es ist doch nicht mehr kalt. Wir haben seit zwei Wochen den herrlichsten Frühling. Sie sind offenbar nervös.»
«Ich danke für euer Frühjahr», sprach sie mit tiefer steinerner Stimme und nieste gleich himmlisch. Und zwar zweimal rasch nacheinander; «da kann ich es nicht aushalten. Und ich fange an zu verstehen —»
«Was, meine Gnädige?»
«Ich fange an das Unglaubliche zu glauben, das Unbegreifliche zu begreifen. Ich verstehe auf einmal die germanische Frauentugend und die deutsche Philosophie. Ich erstaune auch nicht mehr, dass ihr im Norden nicht lieben könnt. Ihr habt ja nicht einmal eine Ahnung davon, was Liebe ist.»
«Erlauben Sie, Madame», antwortete ich aufbrausend, «ich habe Ihnen keine Ursache gegeben.» Nun Sie… Die Göttliche nieste zum dritten Mal und zuckte mit Grazie die Achseln. «Nun dafür bin ich auch immer gnädig gegen Sie gewesen. Ich besuche Sie sogar von Zeit zu Zeit, obwohl ich mich jedesmal rasch erkälte. Erinnern Sie sich noch, wie wir uns das erstmal trafen?»
«Wie könnte ich es vergessen», sagte ich. «Sie hatten damals reiche braune Locken und braune Augen und einen roten Mund. Aber ich erkannte Sie doch sogleich an dem Schnitt Ihres Gesichtes und an dieser Marmorblässe. Sie trugen eine veilchenblaue Samtjacke.»
«Ja, Sie waren ganz verliebt in diese Toilette.»
«Sie haben mich gelehrt, was Liebe ist. Ihr heiterer Gottesdienst ließ mich zwei Jahrtausende vergessen2. Und wie beispiellos vertraue ich Ihnen!»
«Nun, was die Treue betrifft —»
«Undankbarer!»
«Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen. Sie sind zwar ein göttliches Weib, aber doch ein Weib. Und in der Liebe grausam wie jedes Weib.»
«Sie nennen grausam», sagte die Liebesgöttin lebhaft. «Was das Element der Sinnlichkeit, der heiteren Liebe, die Natur des Weibes ist, sich hinzugeben, wo es liebt, und alles zu lieben, was ihm gefällt3.»
«Gibt es für den Liebenden etwa eine größere Grausamkeit als die Treulosigkeit von den Geliebten?»
«Ach!» – antwortete sie. «Wir sind treu, so lange wir lieben. Aber ihr verlangt vom Weib Treue ohne Liebe, und Hingebung ohne Genuss. Wer ist da grausam? Das Weib oder der Mann? Ihr nehmt im Norden die Liebe überhaupt zu wichtig und zu ernst. Ihr sprecht von Pflichten, wo nur vom Vergnügen die Rede sein sollte.»
«Ja, Madame, wir haben dafür auch sehr achtbare und tugendhafte Gefühle und dauerhafte Verhältnisse.»
«Und doch diese ungesättigte Sehnsucht nach dem nackten Heidentum», fiel Madame ein. «Aber jene Liebe, welche die höchste Freude, die göttliche Heiterkeit selbst ist, taugt nicht für euch Modernen, euch Kinder der Reflexion4. Sie bringt euch Unheil. Sobald ihr natürlich sein wollt, werdet ihr gemein. Euch erscheint die Natur als etwas Feindseliges. Ihr habt aus uns Göttern Griechenlands, Dämonen, aus mir eine Teufelin gemacht. Ihr könnt mich nur bannen und verfluchen oder euch selbst in bacchantischem Wahnsinn5 vor meinem Altar als Opfer schlachten. Und hat einmal einer von euch den Mut gehabt, meinen roten Mund zu küssen? So pilgert er dafür barfuß nach Rom und erwartet Blüten von dem dürren Stock. Unter meinem Fuß wachsen zu jeder Stunde Rosen, Veilchen und Myrten. Aber ihr bekommt Duft nicht. Euch bleibt nur in eurem nordischen Nebel und christlichem Weihrauch. Lasst uns Heiden unter den Trümmern, unter der Lava ruhen. Grabt uns nicht aus. Für euch wurde Pompeji, für euch wurden unsere Villen, unsere Bäder, unsere Tempel nicht gebaut. Ihr braucht keine Götter! Uns friert in eurer Welt!» Die schöne Marmordame hustete und zog die dunkeln Zobelfelle um ihre Schultern noch fester zusammen.
«Wir danken für die klassische Lektion», antwortete ich. «Aber Sie können doch nicht leugnen, dass Mann und Weib von Natur Feinde in Ihrer heiteren sonnigen Welt ebenso gut wie in unserer nebligen sind. Die Liebe vereint für die kurze Zeit zu einem einzigen Wesen, das nur eines Gedankens, einer Empfindung, eines Willens fähig ist, um sie dann noch mehr zu entzweien6. Und nun wissen Sie es besser als ich. Wer dann nicht unterwirft, wird nur zu rasch den Fuß vom anderen auf seinem Nacken fühlen —»
«Und zwar in der Regel der Mann den Fuß von einem Weib», rief Frau Venus höhnisch, «was Sie wieder besser wissen als ich.»
«Natürlich, und eben deshalb mache ich mir keine Illusionen.»
«Das heißt, Sie sind jetzt mein Sklave ohne Illusionen, und ich werde Sie dafür auch ohne Erbarmen treten.»
«Madame!»
«Kennen Sie mich noch nicht, ja, ich bin grausam, weil Sie denn schon an dem Worte so viel Vergnügen finden. Habe ich nicht recht? Der Mann ist der Begehrende, das Weib das Begehrte7. Das ist ein ganzer und entscheidender Vorteil vom Weib. Aber die Natur hat ihm den Mann durch seine Leidenschaft preisgegeben. Und das Weib ist nicht klug, das aus ihm nicht seinen Sklaven, sein Spielzeug macht und ihn lachend verrät.»
«Ihre Grundsätze, meine Gnädige», warf ich entrüstet ein.
«Beruhen auf tausendjähriger Erfahrung», sagte Madame spöttisch. Ihre weißen Finger spielten in dem dunkeln Pelz. «Je hingebender das Weib ist, um so schneller wird der Mann nüchtern und herrisch. Je grausamer und treuloser es aber ist, je mehr es ihn mißhandelt, je frevelhafter es mit ihm spielt, je weniger Erbarmen es zeigt, um so mehr wird es die Wollust vom Mann erregen, von ihm geliebt werden. So war es zu allen Zeiten, seit Helena und Delila, bis zur zweiten Katharina und Lola Montez.»
«Ich kann es nicht leugnen», sagte ich. «Es gibt für den Mann nichts, das ihn mehr reizen könnte, als das Bild von einer schönen, wollüstigen und grausamen Despotin. Sie wechselt ihre Günstlinge übermütig und rücksichtslos nach Laune —»
«Und noch dazu einen Pelz trägt», rief die Göttin.
«Wie kommen Sie darauf?»
«Ich kenne ja Ihre Vorliebe.»
«Aber wissen Sie», fiel ich ein, «dass Sie, seitdem wir uns nicht gesehen haben, sehr kokett geworden sind.»
«Inwiefern, wenn ich bitten darf?»
«Insofern es keine herrlichere Folie für Ihren weißen Leib geben könnte, als diese dunklen Felle8.»
Die Göttin lachte.
«Sie träumen», rief sie, «wachen Sie auf!» und sie fasste mich mit ihrer Marmorhand beim Arm. «Wachen Sie doch auf!» dröhnte ihre Stimme nochmals. Ich schlug mühsam die Augen auf.
Ich sah die Hand. Aber diese Hand war auf einmal braun wie Bronze. Und die Stimme war die schwere Stimme von meinem Kosaken9. Er stand in seiner vollen Größe von nahe sechs Fuß vor mir.
«Stehen Sie doch auf», fuhr der Wackere fort, «es ist eine wahrhafte Schande.»
«Und warum eine Schande?»
«Eine Schande in Kleidern einzuschlafen und noch dazu bei einem Buch», er putzte die Kerzen und hob den Band auf. «Bei einem Buch von – er schlug den Deckel auf, von Hegel. Dabei ist es die höchste Zeit zu Herrn Severin zu fahren. Er erwartet uns zum Tee.»
«Ein Seltsamer Traum», sprach Severin. Als ich zu Ende war, stützte die Arme auf die Knie. Das Gesicht versank in die feinen Hände und versank in Nachdenken.
Ich wusste, dass er jetzt nicht mehr lange dauern konnte. So war es in der Tat. Für mich hatte sein Benehmen nichts Auffallendes, denn ich verkehrte seit beinahe drei Jahren in guter Freundschaft mit ihm. Ich hatte mich an alle seine Sonderbarkeiten gewöhnt. Denn sonderbar war er. Das ließ sich nicht leugnen. Er war auch lange nicht der gefährliche Narr. Nicht nur seine Nachbarschaft, sondern auch der ganze Kreis von Kolomea hielt ihn dafür. Mir war sein Wesen nicht bloß interessant, sondern in hohem Grad sympathisch.
Er zeigte für einen galizischen Edelmann und Gutsbesitzer wie für sein Alter – er war kaum über dreißig – eine auffallende Nüchternheit vom Wesen, einen gewissen Ernst, ja sogar Pedanterie. Er lebte nach einem minutiös ausgeführten, halb philosophischen, halb praktischen System, gleichsam nach der Uhr. Und nicht das allein: zu gleicher Zeit nach dem Thermometer, Barometer, Aerometer, Hydrometer, Hippokrates, Hufeland, Plato, Kant, Knigge und Lord Chesterfield. Dabei bekam er aber zu Zeiten heftige Anfälle von Leidenschaftlichkeit. Da machte er Miene, mit dem Kopfe durch die Wand zu gehen. Ihm ging jeder gerne aus dem Weg10.
Während er also stumm blieb, sang dafür das Feuer im Kamin, sang der große Samowar Ich habe mich im Ahnherrnstuhl geschaukelt. Meine Zigarre rauchte. Das Heimchen im alten Gemäuer sang auch. Ich ließ meinen Blick über besondere Geräte, die Tiergerippe, ausgestopften Vögel, Globen, Gipsabgüsse. Sie waren in seinem Zimmer angehäuft. Zufällig blieb mein Blick auf einem Bild. Ich habe es oft genug gesehen. Aber gerade heute machte es mir einen unbeschreiblichen Eindruck.
Es war ein großes Ölgemälde in der kräftigen farbensatten Manier der belgischen Schule gemalt. Sein Gegenstand war seltsam genug.
Ein schönes Weib, ein sonniges Lachen auf dem feinen Antlitz, mit reichem, geschlungenem Haare. Der weiße Puder lag wie leichter Reif auf es. Es hat Auf den linken Arm gestützt. Es war nackt in einem dunkeln Pelz auf einer Ottomane. Ihre rechte Hand spielte mit einer Peitsche. Während ihr bloßer Fuß stützte sich nachlässig auf den Mann. Er lag vor ihr wie ein Sklave, wie ein Hund. Und dieser Mann war mit den scharfen, aber wohlgebildeten Zügen. Auf diesen Zügen lag brütende Schwermut und hingebende Leidenschaft. Er sah mit dem schwärmerischen brennenden Auge eines Märtyrers zu ihr empor. Dieser Mann war Severin, aber ohne Bart, wie es schien um zehn Jahre jünger.
«Venus im Pelz!» rief ich. Ich deutete auf das Bild. «So habe ich sie im Traum gesehen.» – «Ich auch», sagte Severin, «nur habe ich meinen Traum mit offenen Augen geträumt.»
«Wie?»
«Ach! das ist eine dumme Geschichte.»
«Dein Bild hat offenbar Anlass zu meinem Traum gegeben», fuhr ich fort, «aber sage mir endlich einmal, was damit ist. Es hat eine Rolle in deinem Leben gespielt, und vielleicht eine sehr entscheidende, kann ich mir denken. Aber das weitere erwarte ich von dir.»
«Sieh dir einmal das Gegenstück an», sagte mein seltsamer Freund, ohne auf meine Frage zu antworten.
Das Gegenstück bildete eine treffliche Kopie der bekannten «Venus mit dem Spiegel» von Titian in der Dresdener Galerie.
«Nun, was willst du damit?»
Severin stand auf und wies mit dem Finger auf den Pelz, mit dem Titian seine Liebesgöttin bekleidet hat.
«Auch hier “Venus im Pelz“», sprach er fein lächelnd. «Ich glaube nicht, dass der alte Venetianer damit eine Absicht verbunden hat. Er hat einfach das Porträt von einer vornehmen Messaline gemacht. Er hat die Artigkeit gehabt, ihr den Spiegel halten zu lassen. Darin prüft sie ihre majestätischen Reize mit kaltem Behagen. Aber die Arbeit scheint ihm sauer genug zu werden. Das Bild ist eine gemalte Schmeichelei. Später hat ein ›Kenner‹ der Rokokozeit die Dame auf den Namen Venus getauft. Der Pelz der Despotin ist zu einem Symbol der Tyrannei und Grausamkeit geworden, welche im Weib und seiner Schönheit liegt.
Aber genug, so wie das Bild jetzt ist, erscheint es uns als die pikanteste Satire auf unsere Liebe. Venus, die im abstrakten Norden, in der eisigen christlichen Welt in einen großen schweren Pelz schlüpfen muss, um sich nicht zu erkälten11.»
Severin lachte und zündete eine neue Zigarette an.
Eben ging die Tür auf. Eine hübsche volle Blondine mit klugen freundlichen Augen, in einer schwarzen Seidenrobe, kam herein. Sie brachte uns kaltes Fleisch und Eier zum Tee. Severin nahm eines der letzteren und schlug es mit dem Messer auf. «Habe ich dir nicht gesagt, dass ich sie weich gekocht haben will?» rief er mit einer Heftigkeit. Die junge Frau zitterte.
«Aber lieber Sewtschu —» sprach sie ängstlich.
«Was Sewtschu», schrie er, «gehorchen sollst du, gehorchen, verstehst du», und er riß den Kantschuk, welcher neben seinen Waffen hing, vom Nagel.
Die hübsche Frau floh wie ein Reh rasch und furchtsam aus dem Zimmer.
«Warte nur, ich erwische dich noch», rief er ihr nach.
«Aber Severin», sagte ich, meine Hand auf seinen Arm legend, «wie kannst du die hübsche kleine Frau so erschrecken!»
«Sieh dir das Weib nur an», antwortete er. Er winkte humoristisch mit den Augen zu, «hätte ich ihr geschmeichelt, so hätte sie mir die Schlinge um den Hals geworfen12. Weil ich sie mit dem Kantschuk erziehe, betet sie mich an.»
«Geh mir!»
«Geh du mir, so muss man die Weiber dressieren.»
«Leb meinetwegen wie ein Pascha in deinem Harem, aber stelle mir nicht Theorien auf —»
«Warum nicht», rief er lebhaft, «nirgends passt Goethes ›Du musst Hammer oder Amboss sein‹13 so vortrefflich wie auf das Verhältnis von Mann und Weib. Das hat dir beiläufig Frau Venus im Traum auch zugegeben. In der Leidenschaft vom Mann ruht die Macht vom Weib. Es versteht sie zu benützen, wenn der Mann sich nicht vorsieht. Er hat nur die Wahl, der Tyrann oder der Sklave vom Weib zu sein. Wie er sich hingibt, hat er auch schon den Kopf im Joche und wird die Peitsche fühlen14.»
«Seltsame Maximen!»
«Keine Maximen, sondern Erfahrungen», sagte er mit dem Kopf nickend, «ich bin im Ernst gepeitscht worden. Ich bin geheilt, willst du lesen wie?»
Er erhob sich und holte aus seinem massiven Schreibtisch eine kleine Handschrift, welche er vor mir auf den Tisch legte.
«Du hast früher nach jenem Bild gefragt. Ich bin dir schon lange eine Erklärung schuldig. Da – lies.»
Severin setzte sich zum Kamin, den Rücken gegen mich. Er schien mit offenen Augen zu träumen. Wieder war es still, und wieder sang das Feuer im Kamin, und der Samowar und das Heimchen im alten Gemäuer und ich schlug die Handschrift auf und las:
«Bekenntnisse eines Übersinnlichen», an dem Rande vom Manuskript standen als Motiv die bekannten Verse aus dem Faust variiert:
«Du übersinnlicher sinnlicher Freier,
Ein Weib betrügt dich!»
Mephistopheles.
Ich schlug das Titelblatt um und las: «Das Folgende habe ich aus meinem damaligen Tagebuch zusammengestellt, weil man seine Vergangenheit nie unbefangen darstellen kann. So aber hat alles seine frischen Farben, die Farben der Gegenwart.»
Gogol, der russische Molière, sagt – ja wo? – nun irgendwo – «die echte komische Muse ist jene, welcher unter der lachenden Larve die Tränen herabrinnen15.»
Ein wunderbarer Ausspruch!
So ist es mir recht seltsam zumute, während ich das niederschreibe. Die Luft scheint mir mit einem Blumenduft gefüllt. Er betäubt mich und macht mir Kopfweh. Der Rauch des Kamines kräuselt. Ich muss unwillkürlich lächeln, ja laut lachen, indem ich meine Abenteuer niederschreibe. Doch schreibe ich nicht mit gewöhnlicher Tinte, sondern mit dem roten Blut. Es träufelt aus meinem Herzen, denn alle seine vernarbten Wunden haben sich geöffnet. Es zuckt und schmerzt, und fällt eine Träne auf das Papier.
Die Tage in einem kleinen Karpaten-Kurort ziehen sich träge an. Man sieht niemand und wird von niemand gesehen. Es ist langweilig zum Idyllenschreiben.
Ich musste hier eine Galerie von Gemälden liefern, ein Theater für eine ganze Saison mit neuen Stücken, ein Dutzend Virtuosen mit Konzerten, Trios und Duos versorgen. Aber – was spreche ich da. Ich tue am Ende doch nicht viel mehr, als die Leinwand aufspannen, die Bogen zurechtglätten, die Notenblätter liniieren. Denn ich bin – ach! nur keine falsche Scham, Freund Severin, lüge andere an. Aber es gelingt dir nicht mehr recht, dich selbst anzulügen. Also bin ich nichts weiter, als ein Dilettant. Ein Dilettant in der Malerei, in der Poesie, der Musik und noch in einigen anderen sogenannten brotlosen Künste. Sie sichern heutzutage das Einkommen eines Ministers, ja eines kleinen Potentaten. Und vor allem bin ich ein Dilettant im Leben.
Ich habe bis jetzt gelebt, wie ich gemalt und gedichtet habe. Das heißt, ich bin nie weit über die Grundierung, den Plan, den ersten Akt, die erste Strophe gekommen. Es gibt einmal solche Menschen, die alles anfangen und doch nie mit etwas zu Ende kommen. Und ein solcher Mensch bin ich.
Aber was schwatze ich da.
Zur Sache.
Ich liege in meinem Fenster. ich finde das Nest, in dem ich verzweifle, eigentlich unendlich poetisch. Welcher Blick auf die blaue, von goldenem Sonnenduft umwobene hohe Wand des Gebirges, durch welche sich Sturzbäche wie Silberbänder schlingen16. Wie klar und blau der Himmel, in den die beschneiten Kuppen ragen. Wie grün und frisch die waldigen Abhänge, die Wiesen.
Das Haus, in dem ich wohne, steht in einer Art Park, oder Wald, oder Wildnis, wie man es nennen will, und ist sehr einsam.
Es wohnt niemand darin als ich, eine Witwe aus Lwow, die Hausfrau Madame Tartakowska, eine kleine alte Frau, die täglich älter und kleiner wird, ein alter Hund, der auf einem Bein hinkt, und eine junge Katze, welche stets mit einem Zwirnknäuel spielt. Und der eine junge Katze, welche stets mit einem Zwirnknäuel spielt, und der Zwirnknäuel gehört, glaube ich, der schönen Witwe.
Gehört, glaube ich, der schönen Witwe.
Sie soll wirklich schön sein, die Witwe, und noch sehr jung, höchstens vierundzwanzig, und sehr reich. Sie wohnt im ersten Stock und ich wohne ebener Erde. Sie hat immer die grünen Jalousien geschlossen. Sie hat einen Balkon, der ganz mit grünen Schlingpflanzen überwachsen ist. Ich aber habe dafür unten meine liebe Laube, in der ich lese und schreibe und male und singe, wie ein Vogel in den Zweigen. Ich kann auf den Balkon hinaufsehen. Manchmal sehe ich auch wirklich hinauf und dann schimmert von Zeit zu Zeit ein weißes Gewand zwischen dem dichten, grünen Netz.
Eigentlich interessiert mich die schöne Frau dort oben sehr wenig. Ich bin in eine andere verliebt, und zwar höchst unglücklich verliebt, noch weit unglücklicher, als Ritter Toggenburg und der Chevalier in Manon l’ Escault. Denn meine Geliebte ist von Stein.
Im Garten befindet sich eine graziöse kleine Wiese. Da weiden friedlich ein paar zahme Rehe. Auf dieser Wiese steht ein Venusbild von Stein. Das Original, glaube ich, ist in Florenz. Diese Venus ist das schönste Weib, das ich in meinem Leben gesehen habe.
Das will nicht viel sagen, denn ich habe wenig schöne Frauen, ja überhaupt wenig Frauen gesehen. Und ich bin auch in der Liebe nur ein Dilettant. Er ist nie über die Grundierung, über den ersten Akt hinausgekommen.
Wozu auch in Superlativen sprechen, als wenn etwas, was schön ist, noch übertroffen werden könnte17. Genug, diese Venus ist schön und ich liebe sie, so leidenschaftlich, so krankhaft innig, so wahnsinnig. Wie kann man nur ein Weib lieben, das unsere Liebe mit einem ewig gleichen, ruhigen, steinernen Lächeln erwidert. Ja, ich bete sie förmlich an.
Oft liege ich unter dem Laubdach und lese. Oft besuche ich meine kalte, grausame Geliebte auch bei Nacht und liege dann vor ihr auf den Knien. Das Antlitz ist gegen die kalten Steine gepreßt. Darauf ruhen ihre Füße ruhen, und bete zu ihr.
Es ist unbeschreiblich, wenn dann der Mond heraufsteigt. Er ist eben im Zunehmen. Und zwischen den Bäumen schwimmt und die Wiese taucht in silbernen Glanz. Die Göttin steht dann wie verklärt und badet in seinem weichen Licht.
Einmal kehrte ich durch eine der Alleen nach Hause zurück. Ich sah plötzlich, nur durch die grüne Galerie von mir getrennt, eine weibliche Gestalt, weiß wie Stein. Da war mir es, als hätte sich das schöne Marmorweib erbarmt. Sie war lebendig und mir gefolgt. Mich aber fasste eine namenlose Angst. Das Herz drohte mir zu springen, und statt -
Nun, ich bin ja ein Dilettant. Ich blieb, wie immer, beim zweiten Verse stecken, nein, im Gegenteil, ich blieb nicht stecken, ich lief, so rasch ich laufen konnte.
Welcher Zufall! ein Jude, der mit Photographien handelt, spielt mir das Bild von meinem Ideal in die Hände. Es ist ein kleines Blatt, die «Venus mit dem Spiegel» von Titian. Welch ein Weib! Ich will ein Gedicht machen. Nein! Ich nehme das Blatt und schreibe darauf: «Venus im Pelz».
Du frierst, während du selbst Flammen erregst. Hülle dich nur in deinen Despotenpelz, wem gebührt er, wenn nicht dir, grausame Göttin der Schönheit und Liebe!
Und nach einer Weile fügte ich einige Verse von Goethe hinzu, die ich vor kurzem in seinen Paralipomena zum Faust gefunden habe.
An Amor!
«Erlogen ist das Flügelpaar,
Die Pfeile, die sind Krallen,
Die Hörnerchen verbirgt der Kranz,
Er ist ohne allen Zweifel,
Wie alle Götter Griechenlands,
Auch ein verkappter Teufel.»
Dann stellte ich das Bild vor mich auf den Tisch, und betrachtete es.
Die kalte Koketterie, die Strenge, Härte, welche in dem Marmorantlitz liegt, entzücken mich und flößen mir zugleich Grauen ein.
Ich nehme noch einmal die Feder; da steht es nun:
«Lieben, geliebt werden, welch ein Glück! und doch wie verblasst der Glanz desselben gegen die qualvolle Seligkeit, ein Weib anzubeten, das uns zu seinem Spielzeug macht, der Sklave einer schönen Tyrannin zu sein, die uns unbarmherzig mit Füßen tritt. Auch Simson, der Held, der Riese, gab sich Delila, die ihn verraten hatte, noch einmal in die Hand, und sie verriet ihn noch einmal und die Philister banden ihn vor ihr und stachen ihm die Augen aus, die er bis zum letzten Augenblicke von Wut und Liebe trunken auf die schöne Verräterin heftete18.»
Ich nahm das Frühstück in meiner Laube und las im Buch Judith. Ich beneidete den Heiden Holofernes um das königliche Weib. Es hieb ihm den Kopf um sein blutig schönes Ende herunter.
«Gott hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben.» Der Satz erstaunte mich. Wie ungalant diese Juden sind, dachte ich. Und ihr Gott. Er konnte auch anständigere Ausdrücke wählen, wenn er von dem schönen Geschlecht spricht.
«Gott hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben», wiederholte ich für mich. Nun, was soll ich etwa anstellen, damit er mich straft?
Um Gottes willen! da kommt unsere Hausfrau. Sie ist über Nacht wieder etwas kleiner geworden. Und dort oben zwischen den grünen Ranken und Ketten wieder das weiße Gewand. Ist es Venus oder die Witwe?
Diesmal ist es die Witwe, denn Madame Tartakowska knickst und ersucht mich in ihrem Namen um Lektüre. Ich eile in mein Zimmer und nehme ein paar Bände.
Zu spät erinnere ich mich, dass mein Venusbild in einem derselben liegt. Nun hat es die weiße Frau dort oben mit meinen Ergüssen. Was wird sie dazu sagen?
Ich höre sie lachen.
Lacht sie über mich?
Vollmond! Da blickt er schon über die Wipfel der niederen Tannen. Und silberner Duft erfüllt die Terrasse, die ganze Landschaft, so weit das Auge reicht.
Ich kann nicht widerstehen. Es mahnt und ruft mich so seltsam. Ich kleide mich wieder an und trete in den Garten.
Ich gehe zur Wiese, zu ihr, meiner Göttin, meiner Geliebten. Die Nacht ist kühl. Mich fröstelt. Die Luft ist schwer von Blumen- und Waldgeruch, sie berauscht.
Welche Feier! Welche Musik ringsum. Eine Nachtigall schluchzt. Die Sterne zucken nur leise in blaßblauem Schimmer. Die Wiese scheint glatt, wie ein Spiegel, wie die Eisdecke eines Teiches.
Hehr und leuchtend ragt das Venusbild.
Doch – was ist das?
Von den marmornen Schultern der Göttin fließt ein großer dunkler Pelz herab. Ich stehe starr und staune sie an. Wieder fasst mich jenes unbeschreibliche Bangen. Ich ergreife die Flucht.
Ich beschleunige meine Schritte. Da sehe ich, dass ich die Allee verpasst habe. Ich wollte seitwärts in einen der grünen Gänge einbiegen. Da sitzt Venus, das schöne, steinerne Weib, nein, die wirkliche Liebesgöttin, mit warmem Blute und pochenden Pulsen, vor mir auf einer steinernen Bank. Ja, sie war lebendig, wie jene Statue, die für ihren Meister zu atmen begann. Zwar ist das Wunder erst halb vollbracht. Ihr weißes Haar scheint noch von Stein und ihr weißes Gewand schimmert wie Mondlicht, oder ist es Atlas? Und von ihren Schultern fließt der dunkle Pelz. Aber ihre Lippen sind schon rot und ihre Wangen färben sich. Aus ihren Augen treffen mich zwei diabolische, grüne Strahlen und jetzt lacht sie.
Ihr Lachen ist so seltsam, so – ach! Es ist unbeschreiblich. Ich kann nicht atmen. Ich flüchte weiter und muss immer wieder nach wenigen Schritten Atem holen. Und dieses spöttische Lachen verfolgt mich durch die düsteren Laubgänge, über die hellen Rasenplätze. Ich finde den Weg nicht mehr, ich irre umher. Kalte Tropfen glänzen auf der Stirne.
Endlich bleibe ich stehen und halte einen kurzen Monolog.
Er lautet – nun – man ist ja immer sich selbst gegenüber entweder sehr artig oder sehr grob.
Ich sage also zu mir: Esel!
Dieses Wort übt eine großartige Wirkung, gleich einer Zauberformel, die mich erlöst und zu mir bringt.
Ich bin im Augenblick ruhig.
Vergnügt wiederhole ich: Esel!
Ich sehe nun wieder alles klar und deutlich. Da ist der Springbrunnen, dort die Allee von Buchsbaum, dort das Haus, auf das ich jetzt langsam zugehe.
Da – plötzlich noch einmal – hinter der grünen, vom Mondlicht durchleuchteten, gleichsam in Silber gestickten Wand, die weiße Gestalt, das schöne Weib von Stein. Ich fürchte es. Ich fliehe.
Mit ein paar Sätzen bin ich im Haus und hole Atem und denke nach.
Nun, was bin ich jetzt eigentlich, ein kleiner Dilettant oder ein großer Esel? Ein schwüler Morgen. Die Luft ist matt, stark gewürzt, aufregend. Ich sitze wieder in meiner Laube und lese in der Odyssee von der reizenden Hexe, die ihre Anbeter in Bestien verwandelt. Köstliches Bild der antiken Liebe.
In den Zweigen und Halmen rauscht es leise und die Blätter von meinem Buch rauschen und auf der Terrasse rauscht es auch.
Ein Frauengewand – Da ist sie – Venus – aber ohne Pelz – nein, diesmal ist es die Witwe – und doch – Venus – oh! welch ein Weib!
Wie sie da steht im leichten, weißen Morgengewande und auf mich blickt, wie poetisch und anmutig zugleich erscheint ihre feine Gestalt. Sie ist nicht groß, aber auch nicht klein, und der Kopf, mehr reizend, pikant – im Sinne der Französischen Marquisenzeit – als streng schön, aber doch wie bezaubernd. Welche Weichheit, welcher holde Mutwille. Nicht zu kleinen Mund – die Haut ist so unendlich zart, dass überall die blauen Adern durchschimmern, auch durch den Mousselin, welcher Arm und Busen bedeckt. Wie üppig ringelt sich das rote Haar – ja, es ist rot – nicht blond oder goldig – wie dämonisch und doch lieblich spielt es um ihren Nacken. Und jetzt treffen mich ihre Augen wie grüne Blitze. Ja, sie sind grün, diese Augen, deren sanfte Gewalt unbeschreiblich ist. Grün, aber so wie es Edelsteine, wie es tiefe, unergründliche Bergseen sind.
Sie bemerkt meine Verwirrung. Das macht mich sogar unartig, denn ich blieb sitzen und habe noch meine Mütze auf dem Kopf. Sie lächelt schelmisch. Ich erhebe mich endlich und grüße sie. Sie kommt näher und bricht in ein lautes, beinahe kindliches Lachen aus. Ich stottere, wie nur ein kleiner Dilettant oder großer Esel in einem solchen Augenblick stottern kann.
So machen wir unsere Bekanntschaft.
Die Göttin fragt um meinen Namen und nennt mir den ihren. Sie heißt Wanda von Dunajew.
Und sie ist wirklich meine Venus.
«Aber Madame, wie kamen Sie auf den Einfall?»
«Durch das kleine Bild, das in einem Ihrer Bücher lag —»
«Ich habe es vergessen.»
«Die seltsamen Bemerkungen auf der Rückseite —»
«Warum seltsam?»
Sie sah mich an. «Ich habe immer den Wunsch gehabt, einmal einen ordentlichen Phantasten kennenzulernen. Die Abwechslung. Nun, Sie scheinen mir nach allem einer der tollsten.»
«Meine Gnädige – in der Tat —» wieder das eselhafte Stottern und nochdazu ein Erröten, wie es für einen jungen Menschen von sechzehn Jahren wohl passen mag. Aber für mich, der beinahe volle zehn Jahre älter -
«Sie haben sich heute Nacht vor mir gefürchtet.»
«Eigentlich – allerdings – aber wollen Sie sich nicht setzen?»
Sie nahm Platz und bewunderte meine Angst. Denn ich fürchtete mich jetzt, bei hellem Tageslicht, noch mehr vor ihr. Ein reizender Hohn zuckte um ihre Oberlippe.
«Sie sehen die Liebe und vor allem das Weib», begann sie, «als etwas Feindseliges an. Etwas, wogegen Sie, wenn auch vergebens Gewalt Sie aber als eine süße Qual, eine Grausamkeit fühlen. Eine echt moderne Anschauung.»
«Sie teilen sie nicht.»
«Ich teile sie nicht», sprach sie rasch und schüttelte den Kopf, dass ihre Locken wie rote Flammen emporschlugen.
«Mir ist die heitere Sinnlichkeit von der Freude ohne Schmerz – ein Ideal. Ich strebe es in meinem Leben zu verwirklichen. Denn an jene Liebe, welche das Christentum, welche die Modernen, die Ritter vom Geiste predigen, glaube ich nicht. Ja, sehen Sie mich nur an, ich bin weit schlimmer als eine Ketzerin, ich bin eine Heidin.
›Glaubst du, wie lange die Göttin der Liebe nachgedacht hat, als ihr eines Tages im Idäischen Anchises19 gefiel?‹
Diese Verse aus Goethes römischer Elegie haben mich sehr entzückt. In der Natur liegt nur Liebe der herrischen Zeit, ›da Götter und Göttinnen liebten‹. Damals ›folgte Begierde dem Blick, folgte Genuss der Begier‹.
Alles andere ist gemacht und affektiert. Das Kreuz, ein grausames Emblem, vom Christentum hat etwas Entsetzliches für mich. Der Kampf des Geistes mit der sinnlichen Welt ist das Evangelium der Modernen. Ich will keinen Teil daran.»
«Ja, Ihr Platz wäre im Olymp, Madame», sagte ich. «Aber wir Modernen dulden einmal die antike Heiterkeit nicht. Am wenigsten in der Liebe. Die Idee, ein Weib mit anderen zu teilen empört uns. Wir sind eifersüchtig wie unser Gott. So ist der Name der herrlichen Phryne bei uns zu einem Schimpfwort geworden. Wir ziehen eine dürftige, blasse Jungfrau, die uns allein gehört, einer antiken Venus vor, wenn sie noch so göttlich schön ist. Aber heute den Anchises, morgen den Paris, übermorgen den Adonis liebt. Wenn die Natur in uns triumphiert, wenn wir uns in glühender Leidenschaft einem solchen Weibe hingeben, erscheint uns heitere Lebenslust als Dämonie, als Grausamkeit. Wir sehen in unserer Seligkeit eine Sünde, die wir büßen müssen.»
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