Kitabı oku: «Litersum», sayfa 5

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Kapitel Fünf


Der Duft nach Papier und Tinte empfing uns, Noah war bereits im Gewusel aus Buchcharakteren verschwunden und nicht mehr zu sehen.

»Was ist denn auf einmal in ihn gefahren?«, fragte ich George, während wir Seite an Seite zum Gebäude der Taskforce liefen. Auch Lauren kannte den Knotenpunkt bereits und folgte uns, ohne wie bei ihrem ersten Besuch hier alle zwei Meter stehen zu bleiben und das Schauspiel vor uns zu bewundern. Trotzdem glitzerten ihre Augen angesichts der wahr gewordenen Magie und ich bemühte mich, neben ihr zu laufen und sie nicht zu verlieren. Nicht auch noch sie …

»Ich weiß es nicht genau. Er redet generell nicht gern über sein Dasein als Erfinder oder sein Leben an der Akademie.«

»Und was sollte der Seitenhieb auf die Musen?«

»Musst du ihn selbst fragen.«

»Wäre sonst ja auch zu einfach gewesen.«

George zuckte mit den Schultern. Ich hielt Lauren am Arm zurück und ließ mich mit ihr ein paar Schritte zurückfallen. Als George außer Hörweite war, wandte ich mich an Lauren.

»Willst du überhaupt helfen? Oder habe ich dich gerade gegen deinen Willen verschleppt?«

Lauren lächelte matt. »Als ob du das könntest. Ich will wirklich helfen. Einerseits dem Mädchen, aber vor allem dir.«

»Mir?«

»Natürlich dir. Es ist nicht zu übersehen, dass du dir die Schuld an alldem gibst. Und das tut dir nicht gut. Ganz abgesehen davon, dass es totaler Quatsch ist.«

Ich stolperte und konnte mich gerade noch fangen. »Quatsch? Sehe ich nicht so. Meinetwegen sind sie in Kontakt mit dem Litersum gekommen. Mit mir hat es angefangen.«

Lauren zuckte zusammen. »Du hast sie aber nicht dort ausgesetzt.«

»Was macht dich eigentlich so sicher, dass ich nicht lüge?«

Sie hob eine Augenbraue. George warf einen Blick über seine Schulter und spitzte die Ohren.

»Weil du so was niemals tun würdest«, erwiderte sie lauter, als nötig gewesen wäre.

George drehte den Kopf weg und beschleunigte seinen Gang. Vor Rührung bildete sich ein Kloß in meinem Hals, den ich mit Mühe hinunterschluckte. Es war lange her, dass ich geweint hatte, aber in diesem Moment fiel es mir schwer, die Tränen zurückzuhalten. Ich trat einen Schritt zur Seite und umarmte Lauren. Sie atmete überrascht ein und blieb stehen. Dann legte sie die Arme um mich und drückte sich an mich.

»Danke«, sagte ich, meine Stimme klang belegt.

Sie antwortete nicht, aber das musste sie auch nicht. Als wir uns voneinander lösten und den Weg fortsetzten, fühlte ich mich leichter. Egal was kam, ich war nicht allein. Plötzlich baute sich ein Druck in meiner Brust auf und mir fiel das Atmen schwer. Altbekannte Angst griff nach mir, lullte meinen Geist ein und flüsterte mir Warnungen zu. Lauren würde nicht bleiben. Lauren würde gehen, mich allein lassen. Ich blieb stehen, kniff die Augen zusammen und fuhr mir mit den Händen über das Gesicht.

»Riley?« Laurens sorgenvolle Stimme drang gedämpft zu mir durch. Etwas berührte mich am Arm und griff nach mir. Laurens Hand?

Blinzelnd öffnete ich die Augen, grelle Punkte bedeckten mein Sichtfeld und machten mich schwummrig.

»Was ist los?«

»Ich bin etwas müde. Und ich habe Hunger.« Das entsprach zwar auch der Wahrheit, war aber nicht die Ursache für den Aussetzer. Dabei dachte ich, ich hätte den Großteil, den schlimmsten Teil der Gedanken und der Angst, schon lange hinter mir gelassen. Ich durfte jetzt nicht einknicken, sie nicht wieder in mein Leben lassen. Zumindest so lange nicht, bis wir das Mädchen gefunden hatten. Das hatte Priorität, nicht mein Befinden.

Den Rest des Weges wich Lauren mir nicht mehr von der Seite. Im Gebäude der Taskforce angekommen schob sie mich sofort auf einen Stuhl neben Noahs Schreibtisch und ging mit George los, um mir etwas zu essen und zu trinken zu besorgen. Trotz aller Proteste meinerseits ließ sie sich nicht davon abbringen. George wollte ihr auch eine kurze Führung durch das Gebäude geben, nachdem Lauren aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen war. Das verschaffte mir ein paar Momente zum Durchatmen.

Noahs Stuhl war leer und weit und breit keine Spur von ihm. Ich sah mich ein bisschen in dem auf alt gemachten Gebäude um, das die Taskforce beherbergte. Das Team der neu gegründeten Einheit war noch recht klein, aber Emma Holmes und Thia Watson waren meines Wissens gerade dabei, diverse Buchwelten abzuklappern und geeignete Charaktere für ihre Sache zu gewinnen. Auf jeden Fall sollten sie über einen Uniformwechsel nachdenken. So wirkte es nämlich, als wäre der Kostümdesigner einer wirklich schlechten Fernsehproduktion am Werk gewesen. Diese knarzenden Lederjacken …

Wie aufs Stichwort ließ sich der Träger einer von ihnen neben mir auf den Stuhl fallen. Es war Noah. Er wirkte gefasster und hatte sogar ein schwaches Lächeln für mich übrig, als ich mich zu ihm umdrehte.

»Wo warst du?«, fragte ich.

Er strich mit der Hand mehrmals über seine Jacke. »Musste schnell was erledigen. Tut mir leid.« Ein paar kurze Haare, die wie die eines Tieres aussahen, fielen zu Boden, als er die Finger von der Jacke löste.

Lauren und George retteten ihn vor weiteren Fragen meinerseits. Sie stellten eine Dose Cola sowie einen Teller mit ein paar kleinen Sandwiches vor mir ab. Zielsicher griff ich nach der Dose, was mir einen strengen Blick von Lauren und ein triumphierendes Lächeln von George einbrachte. Lauren stieß George mit der Faust spielerisch in die Seite und streckte ihm die Zunge raus. Darüber vergaß ich für einen Moment das Zuckergetränk in meiner Hand. Was genau hatte ich verpasst?

Noah schien davon nichts mitzubekommen. Er starrte auf meine Cola.

Ich öffnete die Dose und hielt sie ihm hin. »Willst du auch einen Schluck?«

»Nein danke.« Kopfschüttelnd wandte er sich ab. »George, gibst du mir bitte den Aufspürer?«

»Den was?«, wollte der Buchcharakter wissen.

»Das magische Ding.«

»Ah.« George händigte Noah das Gerät aus.

»Aufspürer?«, hakte ich nach.

Noah deutete darauf. »Es kann spüren, was man ist, und hoffentlich auch, wo man ist. Ich halte ›Aufspürer‹ daher für einen passenden Namen.«

»Nicht sehr kreativ für etwas, das voller Magie ist«, warf ich ein.

»Die kreativen Ideen würde ich in deiner Gegenwart auch nicht preisgeben.«

Lauren zog scharf die Luft ein und auch George schaute etwas entrüstet zu seinem Kollegen. Ich stellte die Dose auf den Tisch, aus der ich gerade hatte trinken wollen. Die Lust auf Zucker war mir vergangen. Noah drehte an den goldenen Scheiben seines Aufspürers und ignorierte alles andere. Als er fertig war, streckte er ihn Lauren hin. Die verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte ihn mit einem Blick, den sie sonst für die Kunden aufsparte, die mit schlecht verpacktem Essen und tropfenden Kaffeebechern in den Laden kamen und sich zu nah an die Bücher wagten.

Schnell griff ich nach einem der Sandwiches und biss hinein. Es schmeckte nach nichts, aber ich kaute fleißig. Lauren beobachtete mich und ihre Miene wurde weicher. Mit unverständlichem Gemurmel griff sie nach dem Aufspürer und riss ihn Noah fast aus der Hand. Kaum berührte das Glas ihre Haut, erwachte das Quellwasser wieder zum Leben. Es tobte, wogte in dem unsichtbaren Sturm hin und her. Der Farbwechsel fand dieses Mal nicht zu einem Indigoblau statt, sondern zu einem satten, dunklen Rot. Es stand in starkem Kontrast zu Laurens heller Haut. Der Anblick war gruselig, weil es echtem Blut zum Verwechseln ähnlich sah. Lauren beäugte die Flüssigkeit interessiert und voller Neugierde. Sie drehte das Gerät im Schein der Lampen und begutachtete es von allen Seiten. George, der etwas blass um die Nase aussah, hatte den Blick abgewandt. Ich legte das Sandwich zurück, weil ich angesichts der Vorstellung von Blut nichts mehr herunterbekam. Mein Magen rebellierte gegen den einen Bissen und zur Beruhigung nahm ich dann doch einen Schluck von der Cola.

Noah nickte zufrieden. »Menschen haben also tatsächlich eine Aura, die von der der Buchcharaktere unterschieden werden kann. Das müssen auch Malou und Mnemosyne unbedingt erfahren.« Ob er dieser Malou gegenüber auch solche harschen Kommentare vom Stapel ließ wie bei mir? Oder hatte sie sich seinen Respekt schon verdient? Dann musste ich nur schnell eine Buchwelt vor dem Untergang bewahren, und es wäre vorbei mit den blöden Sprüchen. Kein Problem. Haha.

»Was jetzt?«, fragte ich.

»Jetzt testen wir, ob das mit dem Aufspüren wirklich funktioniert«, antwortete Noah, dem die leicht angespannte Stimmung entweder nicht auffiel oder er ignorierte sie. Sollte mir recht sein. Je eher wir hier fertig waren, umso schneller konnte ich zurück und noch etwas arbeiten. Wir tauschten unsere Handynummern aus, um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten und im Notfall zu kontaktieren.

»Nimm Lauren und bring sie irgendwohin im Knotenpunkt. Wir geben euch zehn Minuten Vorsprung, dann kommen wir euch nach. Sofern alles funktioniert.« Noah stand auf und beugte sich zu Lauren hinüber. Er drehte an den Scheiben des Aufspürers und als er ihn Lauren aus der Hand nahm, behielt das Quellwasser seine blutrote Färbung. Wieder positionierte Noah die Scheiben neu.

»Was stellst du da eigentlich ein?«, fragte Lauren nach, wovon er sich allerdings nicht beirren ließ. Stattdessen sprang George ein.

»Mit den unterschiedlichen Kombinationen aus Symbolen sagt man dem Ding quasi, was es tun soll. So weiß es, in welcher Welt beziehungsweise welchem Universum es sich befindet, wonach es Ausschau halten und was es ›tun‹ soll. Du kannst es außerdem auf eine spezielle Aura prägen, nach der es dann sucht. Das wollen wir testen. Dafür stellen wir das Buchsymbol für das Litersum ein, der Kreis in dem Viereck steht für das ›Falsch‹, das durch das Quellwasser erkannt wird. In diesem Fall bist das du, weil du als Mensch eigentlich nicht in das Litersum gehörst. Und durch das Einstellen des X, während du es in der Hand hältst, haben wir den Aufspürer nun auf dich geprägt. Er sollte dich im Idealfall auch über weitere Strecken spüren und dich finden können.«

»Und wenn es funktioniert«, schob ich ein, »lasst ihr ihn nach anderen falschen beziehungsweise menschlichen Auren suchen. Nach Anna.«

»Richtig. Zuerst müssen wir aber prüfen, ob das theoretisch funktioniert, sonst verschwenden wir nur unsere Zeit«, sagte Noah. »Ihr könnt jetzt gehen. Die zehn Minuten laufen.«

Ich stemmte mich hoch und verließ zusammen mit Lauren das Hauptquartier. Auf der Suche nach einem idealen Versteck sah ich mich in der weiten Halle, die der eines riesigen Bahnhofs glich, um. Die Lautstärke bereitete mir Kopfschmerzen, vor allem das Läuten der Türen der Länder-Buchläden, durch die Buchcharaktere in andere Welten huschten, machte mir zu schaffen. Wie Pfeile bohrte es sich in meine Ohren, meinen Kopf. Ich nahm Laurens Hand und führte sie durch das Gewusel in Richtung Hallenende. Kurz bevor wir dieses erreichten, bog ich zwischen zwei Buchläden ab, die laut den Schildern über den Eingängen zu Kanada und Alaska gehörten. Der Duft, der aus ihren Fenstern strömte, roch nach alten Zedern, Ahornsirup und unberührtem Schnee. Auf der Rückseite ließen wir uns an der Wand nach unten rutschen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an das Holz, aus dem der kanadische Laden errichtet worden war. Es vibrierte leicht und die Magie des Litersums prickelte an meiner Haut.

»Wir spielen Verstecken in einem anderen Universum«, sagte Lauren atemlos und lachte auf. Mein Kopf schmerzte zu stark, um ihr eine Antwort zu geben. Jeder Laut schien einer zu viel, selbst wenn er von mir kam. »Meinst du, es würde auffallen, wenn ich auswandere und in einer Buchwelt einziehe?«

Ein stechender Schmerz fuhr mir durch die Brust. »Das ist nicht witzig, Lauren.«

Sie lief rot an. »Entschuldige, du hast recht. Das war unangebracht und tut mir leid. Aber stell dir doch mal vor, wie schön es wäre, wenn wir Seite an Seite mit diesen fantastischen Welten leben könnten. Ohne Grenzen.«

»Wundervoll«, murmelte ich. »Gerade stelle ich mir aber lieber ein riesiges Himmelbett vor.«

Lauren kicherte. »Konntest du mit deinem Chef schon wegen Mittwoch sprechen?«

»Ja«, presste ich hervor, um nicht unhöflich zu erscheinen. »Ich habe Frühschicht und kann dir anschließend helfen.«

Lauren klatschte erfreut in die Hände, was mir einen stechenden Schmerz vom Kopf in den Rücken schickte. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Nur für einen Moment … Nur ganz kurz …


Jemand rüttelte an mir. »Riley. Wach auf.«

Ich blinzelte, was ich sofort bereute, als die grellen Flecken der Außenwelt mich blendeten. Lauren saß noch immer neben mir, eine Hand auf meiner Schulter. Zwei Schatten bedeckten unsere ausgestreckten Beine. Noah und George hatten uns gefunden. Der Aufspürer zu ihren Füßen drehte sich auf seinen seitlichen Scheiben im Kreis wie ein aufgeregtes Hündchen, das stolz seinen Fund zelebrierte. Noah hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah auf mich herunter. Seine Haare warfen Schatten auf sein Gesicht, weshalb ich den Ausdruck seiner Augen nicht sehen konnte. Bedachte er mich wie George mit einem mitleidigen Blick? Ich zog mich an der Hauswand hoch und kam auf wackeligen Knien zum Stehen.

»Wie lange war ich weg?«

»Nur ein paar Minuten. Geht es wieder?« Lauren erhob sich ebenfalls, wich mir aber nicht von der Seite.

»Ja«, sagte ich, doch meine Stimme war ganz rau. Ich fühlte mich, als wäre einer der Buchläden über mir eingestürzt. Noah beobachtete meine Bewegungen ganz genau, ohne sich anmerken zu lassen, was er dachte. Sicher zweifelte er daran, dass ich fit genug für unser Vorhaben war, aber ich würde Lauren auf keinen Fall mit ihnen allein lassen. Also reckte ich mich und setzte ein zuversicht­liches Lächeln auf.

Noah bückte sich und hob den Aufspürer hoch. »Dann kommen wir zur nächsten Stufe. Riley, du bringst Lauren in eine Buchwelt. Irgendeine, die dir einfällt. Wir werden versuchen, euch auch dort zu finden. Ihr habt wieder zehn Minuten.«

Ich nickte und stieß mich von der Wand ab. Lauren nahm mich an die Hand, wohl eher, um mich zu stützen, als mich nicht zu verlieren. George und Noah blieben hinter dem Buchladen zurück.

»Wohin willst du?«, fragte ich Lauren.

»Du darfst es dir aussuchen.«

Ich wollte Ruhe, Stille. Welche Buchwelt konnte mir das bieten? In meinen Gedanken formte sich das Bild einer Akademie aus einem High-Fantasy-Roman, den ich vor etlichen Jahren gelesen hatte. Sie beherbergte eine alte, riesige Bibliothek, in der die Gelehrten des Königreiches arbeiteten, Wissen aus der ganzen Welt zusammen­trugen und Besuchern Auskunft gaben, wenn diese mit einer Anfrage zu ihnen kamen. Sie schrieben auf magischem, unzerstörbarem Papier, das aus den großen Blättern der Bäume hergestellt wurde, die um die Akademie herum wuchsen. Nur Wald und Wiesen umgaben das Gebäude und im Inneren herrschte Ruhe. Perfekt.

Ich drückte Laurens Hand und zog sie in Richtung eines Buchladens. Mit dem Gedanken an die Welt und eine ganz bestimmte Einrichtung darin flüsterte ich den Namen des Buches vor mich hin und trat durch die Tür.

Den Marmorboden erkannte ich sofort wieder. Er sah genauso aus wie in meiner Vorstellung, schöner noch, weil das Licht, das durch das Buntglasfenster fiel, ihn mit einem silbrigen Schimmer überzog. Laurens Augen weiteten sich und sie ließ meine Hand los. Sie machte ein paar Schritte nach vorne, blickte zur Decke hinauf und drehte sich im Kreis. Vier Stockwerke, wenn nicht sogar mehr, ging es nach oben. Regale bedeckten die Wände, umgeben von Galerien, die durch Treppen miteinander verbunden waren. Papiergeruch, vermischt mit dem Duft von Wald, hing in der Luft. Ein tiefer Atemzug, in Kombination mit der Stille um uns herum, beruhigte meinen Herzschlag.

»Sieh dir das an, Riley«, flüsterte Lauren, aber doch so laut, dass ich sie hören konnte. Sie wartete ein paar Meter vor mir auf mich und deutete auf etwas auf dem Boden. Lächelnd stellte ich mich neben sie und betrachtete das bunte Mosaik zu unseren Füßen. Der Lageplan der Bibliothek, festgehalten mit Abertausenden kleinen, schillernden Steinen.

»Sucht ihr etwas Bestimmtes?«

Ein junger Mann mit blonden, lockigen Haaren stand vor uns, in den Armen balancierte er einen Stapel Bücher. Große wasserblaue Iriden leuchteten mir entgegen. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass er kein Mensch, sondern ein Buchcharakter war, so lebhaft wirkten seine Augen. Seine ganze Ausstrahlung glich einem Strahlen wie die Sonne am Morgen eines neuen Tages. Blinzelnd schüttelte ich den Kopf. Ich musste wirklich müde sein, wenn mir solche Worte und Gedanken in den Sinn kamen.

»Nein danke. Wir wollen uns nur etwas umsehen«, antwortete ich. Wenn es ihn wunderte, dass wir total unpassend gekleidet waren und allem Anschein nach nicht aus dieser Welt stammten, ließ er es sich nicht anmerken, vermutlich wusste er genau, dass wir nicht hergehörten. Er lächelte breit und hob die Hand zum Abschied, was den Stapel in seinen Händen zum Schwanken brachte. Er kam mir irgendwie bekannt vor …

»Falls ihr doch noch Hilfe braucht, ich sitze dahinten.« Mit dem Kinn deutete er auf einen Schreibtisch, auf dem sich etliche weitere Berge aus Büchern türmten. Aus ebenjener Richtung eilte eine junge Frau, vielleicht um die achtzehn, auf den jungen Mann vor uns zu. Bevor es zu einer Katastrophe kommen konnte, nahm sie ihm ein paar der Bücher ab, die in gefährliche Schieflage geraten waren.

»Hast du deine Geschichte endlich gefunden, Ilias?«

Er lächelte sie an. »Nein. Noch nicht. Aber diese hier werden mir bei der Suche helfen.«

Das Mädchen schüttelte schmunzelnd den Kopf. Ihre dunklen Haare fielen ihr weich über die Schultern, als sie die Bücher forttrug. Sie war ganz in Schwarz gekleidet wie die Nacht. Ilias lachte.

»Du musst ein bisschen geduldiger werden, Mai.«

Die junge Frau hielt inne und tat einen tiefen Atemzug.

Ilias zuckte zusammen, als eine unsichtbare Böe seine Haare erfasste und sie durcheinanderwirbelte. Er schloss die Augen, bis der kleine Sturm vorüberzog und sich im Raum verlor. Leise fluchend, aber mit einem Grinsen auf den Lippen folgte er Mai zum Schreibtisch.

»Kennst du ihn?« Lauren stand neben mir und sah den beiden nach.

»Ja und nein.«

»So genau wollte ich es gar nicht wissen«, sagte Lauren gespielt gekränkt.

»In der Buchwelt, in der wir uns befinden, ist er ein Kind. Dass er nun als Erwachsener hier ist, sollte eigentlich nicht möglich sein.«

»Vielleicht täuschst du dich?«

»Nein. Ganz sicher nicht.«

»Dann ist es möglicherweise einfach ein besonderes Buch, für das andere Regeln gelten«, überlegte Lauren.

»Ja«, sagte ich leise. »Das ist es wohl.« Oder Mnemosynes Magie zeigte die ersten Nebenwirkungen.

»Komm, lass uns zu den Sitzecken rübergehen und dort auf George und Noah warten.«

Da ich keine bessere Idee hatte, ging ich auf Laurens Vorschlag ein. Sobald ich mich in einen der abgesessenen, aber weichen Sessel fallen ließ, wollte ich nicht mehr aufstehen. Er war hundertmal gemütlicher als mein Bettsofa. Lauren setzte sich mir gegenüber, ein Buch in der Hand, das sie aufschlug und in dem sie blätterte. So oft, wie ich blinzeln musste, hätte Lesen keinen Sinn gemacht. Ohne Thor konnte ich auch nicht produktiv sein. Wieso nur hatte ich ihn nicht mitgenommen? So verplemperte ich kostbare Zeit. Es sei denn …

»Lauren, würdest du mich wieder wecken, wenn die beiden da sind?« Viel länger als ein paar Minuten würde es sicherlich nicht dauern.

»Natürlich! Ruh dich aus. Ich werde müde, wenn ich dich nur ansehe.«

Kaum hatte ich die Augen geschlossen, dämmerte ich weg.


Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich erholt. Zu entspannt dafür, dass es nur ein paar Minuten gewesen waren. Mein Magen grummelte unangenehm und meine Zunge wirkte irgendwie pelzig. Lauren saß noch immer in ihrem Sessel, das Buch auf dem Schoß. Ihr Blick allerdings war auf etwas in der Ferne gerichtet.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und entsperrte das Display. Verdammt. Fast zwei Stunden waren vergangen. Mehrere Nachrichten von Noah wurden auf dem Bildschirm angezeigt, erst halbstündlich, dann immer enger getaktet, bis hin zu einer Nachricht alle paar Minuten.

Der Aufspürer hat die Fährte aufgenommen. Weiter als bis zu der Buchhandlung ist er aber noch nicht gekommen. Wir warten ab.

Er sucht noch immer. Gutes Versteck.

Gleich fängt er an zu rauchen.

George hat Kaffee geholt.

Der Aufspürer dreht sich immer noch.

Ich glaube, das wird nichts mehr.

Das Rot verblasst. Er verliert die Verbindung.

Ist alles okay?

Riley?

RILEY!

Ruf mich zurück!!!

Da erst entdeckte ich die mittlerweile fünf verpassten Anrufe, der letzte war gerade mal ein paar Minuten her. Ich tippte auf seinen Namen und die Verbindung baute sich auf, während ich sagte: »Lauren, es funktioniert nicht. Wir können gehen.«

Sie reagierte nicht. Während das erste Tuten an mein Ohr drang, stand ich auf und ging um sie herum, damit ich ihr ins Gesicht sehen konnte. Vielleicht hatte sie sich gerade mal wieder in Tagträumereien über fiktive Charaktere verloren, die hier sehr echt schienen …

Noah hob in dem Moment ab, in dem ich in Laurens Augen schaute. Vor Schreck über den Anblick ließ ich fast das Handy fallen. Meine Finger verkrampften sich um das Gerät.

»Riley, verdammt«, herrschte Noah mich an, seine Stimme leicht panisch. »Wo seid ihr denn?«

»Noah«, krächzte ich. »Etwas stimmt nicht.«

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353 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783959919210
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Serideki İkinci kitap "Litersum"
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