Kitabı oku: «Der junge Häuptling», sayfa 5
»Das sind die vierundzwanzig. Genug, wenn wir rasch und überlegt handeln! Reite zurück zu Tschetansapa und sage ihm, dass ich in wenigen Tagen bei ihm bin. – Tschapa Kraushaar«, gab der junge Häuptling weiter seine Anweisungen, »du bleibst hier und horchst, was die Kundschafter, die wir bei Fort Randall für uns gewonnen haben, melden. Wir müssen wissen, an welchem Tag Leutnant Roach mit der Munitionskolonne aufbricht. Ich selbst reite unterdessen noch nach Saint Pierre; mit meinem Falben bin ich rasch genug.«
Der junge Häuptling trat zu seinem Mustang. »Ich muss nach Fort Saint Pierre«, wiederholte er für seinen Oberhäuptling. »Oder kannst du mir ein Repetiergewehr geben? Für den Kampf um die Munitionskolonne brauche ich es.«
Durch die Stimme Tashunka-witkos klang es wie ein Lächeln, als er erwiderte: »Ich kann es dir nicht geben, Tokei-ihto, aber wir reiten zusammen nach Saint Pierre.«
Die Männer schwangen sich auf. Während sich Ihasapa und Tschapa aufmachten, um ihre Aufträge auszuführen, ließ der junge Häuptling seinen Falbhengst in der Reihe mit Tashunka-witko und dessen drei Kriegern nordostwärts galoppieren.
Der Ritt der Häuptlinge führte durch Grassteppen, durch öde, von Mensch und Tier verlassene Felslandschaften. Niemand hielt die einsamen Reiter auf. Die Mustangs waren unermüdlich. Der falbe Hengst des jungen Kriegshäuptlings hatte lange gestanden; nun fegte er übermütig, mit großartigen Kräften, über das Wiesen- und Steppenland dahin, in dem auch er geboren und das auch seine Heimat war.
Die Männer ritten die Nacht und die Morgenstunden des anbrechenden Tages hindurch. Um die Mittagszeit hielten sie die erste längere Rast an einem Gewässer, von Gesträuch und Anhöhen gedeckt. Sie streckten sich auf ihre Decken, schliefen jedoch nicht, sondern aßen und rauchten.
Jetzt blieb ihnen die Ruhe, sich gegenseitig zu betrachten. Dem jungen Häuptling erschien sein Oberhäuptling in den vier Jahren, in denen er ihn nicht mehr gesehen hatte, kaum älter geworden, aber doch verändert. In die kühne Zuversicht der Züge Tashunka-witkos begann sich der Ausdruck einer entschlossen-verbitterten Abwehr zu mischen. Seine Mundwinkel zogen sich herab; die Falten, die an den Nasenflügeln ansetzend herunterliefen, waren tiefer geworden. Die Augen, die der Indianer gegen Sonne, Wind und Staub der Prärie meist mit gesenkten Lidern schützte, hatte Tashunka-witko jetzt ganz geöffnet, und mit diesem offenen Blick begegnete er dem Jüngeren.
Er begann einiges zu besprechen, wozu ihm in der Nacht vorher, bei der ersten Begegnung, nicht Zeit und Ort gewesen zu sein schien. »Die Watschitschun sind entschlossen, alle ihre Schwüre und Verträge zu brechen«, sagte er. »Sie sind Lügner. Wir aber werden die Prärie und unser Recht verteidigen.«
»Greift ihr die Forts an? Mit achtzig Männern hätte ich Randall ausheben können.«
»Wir greifen die Forts nicht an. Aber sobald die Frühjahrsjagden vorüber sind, das Gras dunkelgrün wird und die Sonne warm scheint, sammeln wir unsere Häuptlinge und unsere Krieger in den Prärien im Norden der Che sapa2 und an den Flüssen, die dem Gelbsteinstrom zufließen. Du bist eingeladen, an den Beratungen teilzunehmen, und magst deine Männer fragen, ob sie mit uns allen zusammen kämpfen wollen, wenn die Langmesser uns nicht in Frieden lassen.«
»Sobald wir die Munition erbeutet haben und mit der Station von Smith fertig sind. Es ist der Platz, an dem ich den Mord an meinem Vater räche.«
»Ich wusste, dass du auch daran denkst, mein jüngerer Bruder. Tatanka-yotanka und ich wären bereit gewesen, dir sofort sechzig Krieger zu senden, die mit euch zusammen die Munitionskolonne abfangen. Aber ich brauche eine Schar, um General Crook am Rosebud entgegenzutreten, und die übrigen Männer wollten die Kriegspfeife noch nicht rauchen. Nach dem Winter hungern die Frauen und Kinder in vielen Zelten, und die Krieger wollen erst jagen. Sie erinnern sich auch daran, dass eure Bande vor zwölf Wintern auf eigene Faust sehr weit südwärts gezogen ist, und sie erwarten, dass ihr in dem Sommer, der kommt, wieder zu den Che sapa heraufwandert.«
»Ich verstehe. Was hört ihr von den anderen Stämmen?«
»Die Cheyenne, die noch frei sind, wollen mit uns zusammen kämpfen. Die Absaroka und die Siksikau werden uns nicht in den Rücken fallen. Es sind nur einzelne Verräter, die den Langmessern dienen.«
Der junge Kriegshäuptling senkte den Blick, und das Blut stieg ihm in die Schläfen, weil er daran dachte, dass er selbst einmal den Feinden als Kundschafter gedient hatte. Auch Tashunka-witko schien über Kundschafter und Kundschafterschicksal in diesem Augenblick nachzudenken, denn er fragte: »Ich habe von einem Kundschafter Tobias gehört, der Smith dient. Wer ist das? Hat er noch einen anderen Namen?«
»Chef de Loup.«
»Ah, Chef de Loup! Lass ihn beobachten.«
Das Gespräch war beendet. Als die Männer sich erhoben, blickten sie über das Land; es waren die Gebiete, in denen sie künftig gefangen gehalten werden sollten.
Sie schwangen sich auf und setzten ihren Ritt fort. Sie mieden die Zeltdörfer, die in diesen Gegenden zu finden waren und die sich schon unterworfen hatten. Sie kreuzten Fährten von Kavallerietrupps und Milizeinheiten, ohne sich von diesen sehen zu lassen, und keiner der feindlichen Kundschafter entdeckte sie.
Als es zum zweiten Mal Morgen wurde, erreichten die Dakota die große Handelsstation Saint Pierre, viel weiter nördlich am Missouri gelegen als Fort Randall. Hier herrschte noch der Handel, nicht das Militär. Da die Ankömmlinge keine Stunde zu verlieren hatten, hängten sie ihre Mustangs sofort bei dem Laden an, den der junge Häuptling aufsuchen wollte. Auch Tashunka-witko trat dort ohne Zögern ein. In seiner einfachen Kleidung erkannte ihn kein Unkundiger. Es hatten sich in der geräumigen Verkaufsstelle trotz der frühen Stunde schon zahlreiche Indianer und Jäger eingefunden, die die Winterausbeute der Pelzjagd gegen Waffen, Pulver, Blei und Branntwein eintauschen wollten.
Mehrere Einkäufer waren damit beschäftigt zu taxieren. Der Leiter des Verkaufsladens war ein kleiner Mann mit einem Fuchsgesicht. Er hatte den jungen Dakotahäuptling sofort ins Auge gefasst, denn er kannte ihn von einem langwierigen Handel her persönlich und ließ die Neuigkeit sofort die Runde machen: »Harry Tokei-ihto ist da!«
Der junge Häuptling brauchte sich hier nicht zu verbergen. Die Kämpfe im Gebiet des Niobrara waren lokaler Art; bis nach Saint Pierre drangen nur die Anekdoten. Aber deren Verbreitung genügte, dem jungen Häuptling freien Durchgang zu dem Leiter des Ein- und Verkaufs zu verschaffen. Tashunka-witko und seine Begleiter hielten sich im Hintergrund.
Der langgewachsene Dakota schaute auf den kleinen Mann mit dem Fuchsgesicht herunter. Es war rings im Raum still geworden; damit war das höchste Maß an Achtung bezeigt, das Handelsleute erweisen konnten.
»Was wünscht der große Häuptling der Dakota in meinem bescheidenen Laden zu kaufen? Ich hoffe, Harry Tokei-ihto heute ebenso zufriedenstellen zu können wie vor zwei Sommern!«
»Ein Repetiergewehr.«
»Großartig! Selbstverständlich! Bitte – hier ist eine Flinte, die ich sehr …« Der Händler hob eine alte Waffe in die Höhe.
»Ein Repetiergewehr.«
»Die Vorderladerflinte ist nicht gefällig? Ich habe Hinterlader … bitte … werde gleich …«
»Ein Repetiergewehr.«
»O ja, natürlich, eines Häuptlings würdig! Eine Büchse! Eine Büchse muss es sein!«
»Ein Repetiergewehr.«
»Wir führen die verschiedensten Konstruktionen. Einen gezogenen Lauf würde ich nicht einmal empfehlen. Nein, warum? Eine solche Büchse …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Gebrauchte Waffen, tadellos gepflegt, kann ich anbieten – diese sogar für Felle –, ist es gefällig, in Fellen zu zahlen? Eine berühmt gewordene Flinte …«
»Ein Repetiergewehr.«
»O ja, Oberst Cody, genannt Buffalo Bill, hat eine Repetierbüchse, ich weiß, ich weiß! Macht viel Umstände, braucht viel Pflege, schwer zu handhaben! Häufig Ladehemmungen. Hat sich auch bei der Armee nicht sonderlich bewährt. Ich würde das dem Häuptling nicht empfehlen! Eine vorzügliche Jagdflinte …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Vielleicht ist es gefällig, in Dollars zu zahlen? Eine doppelläufige Büchse mit gezogenem Lauf? Das Beste vom Besten!«
»Ein Repetiergewehr.«
Die Zuhörer dieses Handelsgesprächs begannen zu grinsen. Nur Tashunka-witko und seine Begleiter blieben ernst. Der kleine Mann schnappte nach Luft. »Es ist zurzeit eigentlich nicht gestattet … ich meine, nicht gern gesehen, wenn Indianer Repetiergewehre führen, wie sie bei der Armee in Gebrauch sind – ich meine, also nur für Jagdzwecke, nicht wahr …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Vielleicht beliebt es, in … in Gold zu zahlen? Die Jagdflinte …«
»Ein Repetiergewehr.« Der junge Dakota wiederholte wie ein Automat, immer mit dem gleichen Stimmklang, ohne Ungeduld oder Zorn zu verraten.
Der kleine Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Für die Büffeljagd, nicht wahr? Für die Büffeljagd!« Da der Sprecher aufgeregt war, lispelte er. »Das Praktischste ist immer noch …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Alle Teufel und Heiligen, ich will tun, was in meinen Kräften steht, aber der große Häuptling braucht die Waffe sofort? In diesem Falle ist das Beste …«
»Ein Repetiergewehr.«
Die Umstehenden lachten. Tashunka-witko blieb sehr aufmerksam.
Der junge Häuptling öffnete einen kleinen Lederbeutel, dessen Innenseite zur Hälfte grün, zur Hälfte rot gefärbt war, und legte Dollars auf den Ladentisch, sagte dazu aber kein Wort mehr.
»Ach so, der Häuptling beliebt, in Dollars … es muss also unbedingt … ich meine, es soll unbedingt …«
Der Dakota schwieg, betrachtete den kleinen Mann aber erstaunt und eindringlich.
»Wir haben eine solche Waffe nämlich für den Leiter unserer Station bestellt! Ich weiß nicht, ob ich sie weggeben darf. Die Lieferungen lassen immer so lange auf sich warten. Der Häuptling wird noch einen Dollar dazulegen!«
Der junge Dakota klopfte mit zwei Fingernägeln auf den Tisch und sagte: »Das Repetiergewehr und dreihundert Patronen dazu. Ich habe wenig Zeit.«
»Allmächtiger! Moment! Ich werde den Stationsleiter rufen.«
Aber der Dakota hielt mit seinem Blick den fuchsgesichtigen Mann fest. Die Mienen des Verkäufers wurden schlapp und betrübt. Er fuhr mit der Zungenspitze über die Lippen, als ob er sie anfeuchten müsse. »Wenn es also sein muss! Aber mein Schaden ist zu groß, viel zu groß! Wie soll ich das wieder hereinbringen! Ein Geschenk ist es, ein Geschenk für einen großen Häuptling!« Er ging in einen Nebenraum und kam mit der gewünschten Waffe sowie mit der Munition zurück. Es war ein gutes Gewehr, und zum ersten Mal wurde der junge Dakota unruhig, weil er mit ansehen musste, wie der Händler diese Waffe handhabte. Er nahm sie ihm aus der Hand und spielte damit, so wie ein Zimmermann mit der Axt oder ein Maurer mit dem Hammer spielt. Eine Waffe war für einen Häuptling in einem Volk von Jägern ein gewohntes und vertrautes Arbeitsinstrument.
Er lud, entlud, lud und sagte dabei: »Du schenkst mir die Waffe und die Munition. Ich schenke dir die Dollars. Hau. Sechs Patronen habe ich frei für sechs Probeschüsse!«
Ohne das Einverständnis des Händlers abzuwarten, ging der Dakota mit dem geladenen Repetiergewehr aus dem Verkaufsraum hinaus. Tashunka-witko und seine Begleiter schlossen sich ihm an. Die Indianer liefen durch den Hof und durch das offene Tor ins Freie hinaus.
Der junge Häuptling blieb auf der Wiese stehen. »Was soll ich treffen?«
»Den Birkenstamm«, schlug Tashunka-witko vor. Das Bäumchen war fünfhundert Meter entfernt.
»Das oberste Astloch und die schwarze Stelle darunter«, entschied der junge Kriegshäuptling für sich selbst.
Die Probeschüsse krachten. Einer der Krieger lief zu dem Bäumchen. Die Meisterleistung des Schützen mit der noch ungewohnten Waffe überraschte selbst Tashunka-witko, der den jungen Kriegshäuptling einige Jahre zuvor den sonst nur in Legenden genannten Schuss mit Pfeil und Bogen über dreihundert Meter ins Ziel hatte abgeben sehen.
Aus der Handelsstation kam der Händler. Schreiend und gestikulierend rannte er herbei. »Mein Geld!«
»Ja, dein Geld.« Der Dakota händigte ihm die ausgemachte Summe aus.
»Großer Häuptling!«, rief der kleine Mann. »Die Summe stimmt. Aber du hast mir das ganze Geschäft verdorben! Alle in meinem Laden drin wollen jetzt ihre Felle teurer verkaufen und machen die Ware, die ich ihnen anbiete, schlecht. Wenn du so mit mir handeln willst, wie du das gemacht hast, so darfst du das nie vor anderen Leuten tun. Nein, das hättest du mir nicht antun dürfen! Nur weil du vor zwei Jahren schon einmal hier warst, mit zwei deiner Männer, habe ich dich jetzt so gut bedient! Es macht auch der Abschiedsschmerz! Wie soll das nur alles noch werden?«
»Was soll werden?«, fragte der Dakota, während er noch mit seinem neuen Repetiergewehr beschäftigt war.
»Mein Laden wird ruiniert sein! Ich habe immer viele Indianer als Kunden gehabt. Saint Pierre ist seit Jahrzehnten bei den Indianern östlich und westlich des Mississippi berühmt. Wie viele rote Freunde hatte der alte Leiter unserer Station! Nun soll das alles mit einem Schlag aus sein.«
»Warum?«
»Weil ihr auf die Reservation gehen müsst! Dort seid ihr unmündig; wie Idioten werdet ihr gehalten! Ihr werdet keine Möglichkeit haben, aus- und einzugehen. Keine Möglichkeit werdet ihr mehr haben, als Jäger zu leben und Felle zu verkaufen! Es wird euch überhaupt nicht mehr gestattet sein, eine Handelsstation zu besuchen! Wenn sie euch erst in der Reservation eingesperrt haben, seid ihr nichts mehr als eine hungrige Herde, und ich bin pleite!«
»Hungrig?«, fragte der Dakota ruhig, wie unbeteiligt.
»Ja! Kennst du die Verhältnisse auf den anderen Reservationen nicht? Zur eigenen Wirtschaft reicht der Boden nicht hin und nicht her. Ihr müsst von Almosen leben, von Viehlieferungen, von Konserven … und was dann wirklich bis zu euch kommt – bei der Korruption, die wir jetzt allerorts haben –, ich danke!«
»Warum sagst du das nicht eurem Großen Vater in Washington?«
»Der Vater ist wirklich groß, und Washington ist weit; ich aber bin ein ganz kleiner Mann.«
»Du musst es wissen.«
Der Händler lief zu seinem Laden zurück, um nicht etwa ein Geschäft zu versäumen.
Die fünf Indianer standen beieinander. Stumm dachten sie noch über das nach, was sie soeben wieder vernommen hatten. Wortlos gingen sie zusammen zurück zu ihren Pferden. Tashunka-witko schwang sich als erster auf den Mustang. Der junge Kriegshäuptling nahm das Bild und den Blick dieses Mannes noch einmal ganz in sich auf. Als Harry Tokei-ihto ein zwölfjähriger Knabe mit Namen Harka gewesen war, hatte er Tashunka-witko zum ersten Mal gesehen, und es war dieser Eindruck gewesen, der ihn nicht mehr losgelassen, ihm mitten in seinem Verbanntenleben Stolz auf den eigenen Stamm eingeflößt hatte. Es begann jetzt ein großer Kampf, der größte, den die Dakota je zu bestehen hatten. Die beiden Häuptlinge waren bereit, ihre Freiheit auch unter den schwersten Bedingungen zu verteidigen. Alle weiteren Worte darüber waren unnütz.
Die Männer verabschiedeten sich. Während Tashunka-witko mit seinen Begleitern nordwestwärts ritt, begann der junge Kriegshäuptling den Ritt südwestwärts zu den Seinen. Fast ohne Rast, fast ohne Schlaf, fast ohne Nahrung zu sich zu nehmen, legten Tokei-ihto und sein Falbe den weiten Weg zurück.
Die Sichel des abnehmenden Mondes war dünn und scharf, die Nacht dunkel, als der Reiter bei der Kriegerschar eintraf, die ihn in den Prärien westwärts des kleinen, von Smith befehligten Forts erwartete. Selbst Tschetansapa, der Anführer der Männer vom Bunde der Roten Hirsche, hatte nicht geglaubt, dass sein Häuptling in so kurzer Frist zurück sein könnte. Tokei-ihto ließ seinen Falben ruhen und weiden und setzte sich selbst zu den Kriegern, die im Dunkeln in dem Grassteppental lagerten. Auf den Anhöhen wachten die Posten.
Unbemerkt ließ der junge Häuptling den Blick von Mann zu Mann wandern. Jeden kannte er von Kind an: Tschetansapa, den um fünf Jahre älteren Freund, Speerspitze, den Sohn Tschotankas, Antilopensohn, Ihasapa sowie alle anderen. Seit Harry Tokei-ihto vor zwei Jahren zu seinem Stamm zurückgekehrt war, waren ihm diese Männer in den Kampf gefolgt. Er hatte sie einzeln, in Gruppen oder alle zusammen bei vielen kühnen Handstreichen geführt, zuletzt bei dem Angriff, dessen Opfer Leutnant Warner geworden war. In den vergangenen beiden Jahren, in denen er die Verantwortung trug, war nicht ein einziger Krieger der Bärenbande gefallen. Die Hauptlast des Kampfes hatte der Häuptling selbst getragen. Smith und seine Leute aber lebten wie Gefangene hinter den Palisaden. Das Vorhaben, das der junge Häuptling jetzt plante, war jedoch größer und schwieriger als alle vorangegangenen.
Tschetansapa, ein hagerer langer Mensch, hatte sich bei seinem Häuptling eingefunden, und diese beiden Anführer sprachen in der angehenden Nacht noch leise miteinander. Die Kundschaftermeldungen besagten, dass die Munitionskolonne und ihre Begleitmannschaften bereits aufgebrochen waren und sich auf dem Weg zu dem Fort am Niobrara befanden. Die Männer der Bärenbande planten, die Kolonne abzufangen, ehe sie das Fort erreichte. Sie wollten dann mit der Munition, die sie dringend brauchten, an dem Fort vorbei in ihre Jagdgründe durchbrechen. Die zweite Aufgabe war nicht leichter als die erste.
Cate in der Prärie
Das junge Mädchen hörte seinen eigenen Todesschrei und befand sich dann in der Finsternis.
Sie vermochte sich nicht zu rühren. Die Glieder waren ihr von nachwirkendem Schrecken wie gelähmt, und der Angstschweiß stand ihr an den Schläfen und in den Handflächen. Sie konnte nicht einmal denken. Allmählich erst leiteten ihre Nerven wieder die Wahrnehmungen aus ihrer Umgebung zu ihrem Gehirn. Sie lauschte auf das dumpfe Geräusch, das an ihr Ohr drang, und fühlte ein Rütteln und Holpern unter sich.
Cate begriff, dass sie grauenvoll geträumt hatte und dass sie jetzt erwacht war. Tief atmete sie und fühlte ihr Herz wieder schlagen. Die Starre ihrer Glieder löste sich. Sie wagte es, sich zu bewegen, setzte sich auf, griff nach der Stirn und ordnete das Tuch, das sie um Hals und Brust gelegt hatte. Es war vollständig dunkel um sie. Die Geräusche und das Schütteln und Rütteln stammten von dem Planwagen, in dem sich das junge Mädchen befand. Sie wandte den Kopf der vorderen Öffnung der Plane zu und spähte hinaus. An dem Wagen war keine Laterne angebracht. Die breiten Rücken und die großkrempigen Hüte des Kutschers und des Begleitmannes nahm sie nur als Schatten wahr. Cate versuchte, nach den Sternen auszuspähen, in der Hoffnung, dass deren Licht die Erinnerung an ihre schrecklichen Traumbilder verscheuchen werde. Aber der Ausblick durch die Öffnung der Plane war begrenzt, und sie erkannte in der Nacht nicht viel mehr als Plane und Hinterräder des ersten Wagens der Kolonne, der vor dem ihren fuhr.
Das Mädchen lauschte.
Gleichmäßig trabten alle sechs Maultiergespanne. Die Räder holperten über den weglosen Grasboden, die begleitenden Reiter schwärmten aus und kehrten zurück. Hufschlag und Rädergeräusche gaben eine Nachtmusik ähnlich dumpfem Trommeln. Cate wunderte sich, wie sicher die Gespanne in der Finsternis liefen. Sie hatte selbst kutschieren gelernt und daher ihre stillen Bedenken gehegt, wie diese Nachtfahrt vor sich gehen würde. Aber die Maultiere stolperten nicht. Diese Tiere und auch die Menschen, unter denen sie sich jetzt befand, lebten unter anderen Bedingungen und entwickelten andere Fähigkeiten, als man sie in der Stadt und auf bebautem Lande fand. Cate spürte den Atem der Prärie stärker. Sie zog die eiskalte Luft ein, die über die endlosen, nur mit hartem Gras besetzten Flächen des Hochlandes strich.
Der Platz des Mädchens im Wagen wurde dadurch beengt, dass eines der schweren Kistchen bei der holpernden Fahrt ins Rutschen geraten war. Der Strick, der es gehalten hatte, war gelöst. Cate wusste, was diese Kistchen enthielten: Munition für die Besatzung der Blockhausstation, zu der die Kolonne fuhr. Das Mädchen versuchte, die Kiste wieder festzumachen, aber dazu waren ihre Hände zu schwach. Cate war auch in ihren Bewegungen durch den langen und weiten Rock, den sie nach der Mode ihrer Zeit trug, behindert. Mehr noch als in den vergangenen Tagen empfand sie selbst, dass sie sich in eine Umgebung hineingewagt hatte, für die sie nicht ausgerüstet und der sie noch nicht gewachsen war. Es schien ihr selbst nicht verwunderlich, dass sie schlecht geträumt hatte. Das Munitionskistchen, das im Wagen herumrutschte, hatte wohl ihre Angstvorstellung von dem Ungeheuer verursacht, den Traum von diesem schreckenerregend bemalten Indianer, der Cate mit seinem Messer tötete.
Das Mädchen sehnte sich nach einer beruhigenden menschlichen Stimme. Sie kroch nach vorn zu dem Kutschbock, der aus einem einfachen Brett bestand, und klopfte dem Begleitmann auf die Schulter. »Tom!«
Der Angerufene wandte den Kopf; sein eisgrauer Bart war im Sternenschimmer sichtbar. »Miss?«
»Tom, wie spät ist es? Und wo sind wir eigentlich?«
»Zehn Uhr nachts wird es sein, kleine Miss. Und wo wir sind? Nicht mehr weit vom Niobrara!«
»Hoffentlich bald auf der Blockhausstation!«
»Morgen, Fräulein Cate, morgen kommen wir dorthin. Ihr werdet doch nicht vorher noch schlappmachen?«
»Wenn ihr nur eure Kisten besser anbinden wolltet. Dann könnte ich auch besser schlafen.«
»Was? Ist schon wieder eine wandern gegangen? Der werden wir helfen.«
Tom rutschte in den Wagen hinein und machte die Kiste fest. »So. Jetzt habt Ihr Ruhe. Und nun behaltet den Kopf oben! Ihr habt doch das Herz auf dem rechten Fleck!«
»Ich will meinem Vater und meinem Verlobten gewiss keine Schande machen.«
»Das hängt nicht nur vom Wollen ab. Man muss auch etwas können!«
Cate fing auf diese kritische Bemerkung hin an, darüber nachzudenken, was sie gelernt hatte. Sie war auf einer Farm in Minnesota geboren, die Mutter war früh gestorben. Die Farm war bei dem großen Indianeraufstand 1862 niedergebrannt worden, als Cate noch ein kleines Kind war. Die Großmutter war dabei umgekommen, und Cate hatte seitdem bei ihrer Tante in der Stadt gelebt. Sticken, Klavier spielen, schöne Briefe schreiben, sich korrekt anziehen und eine anspruchsvolle alte Dame den ganzen Tag umsorgen – diese Fertigkeiten, die Cate bei Tante Betty hatte lernen müssen, konnte sie hier in der Prärie alle nicht gebrauchen. Aber wenn der Vater, der in den letzten Jahren dauernd nach Grenzstationen kommandiert war, auf Besuch kam, hatte er seine Tochter zum Entsetzen von Tante Betty auch kutschieren und schießen gelehrt. Das schien zwar in der gegenwärtigen Situation nützlich, aber ein Viergespann konnte Cate doch nicht lenken, und auf einen Menschen hatte sie noch nie angelegt. Was half das Grübeln darüber? Sie musste mit der Lage, in die sie sich selbst begeben hatte, selbst fertig werden. In Wahrheit hätte sie ihren Entschluss auch nicht rückgängig machen wollen. Das Leben bei Tante Betty war unerträglich gewesen.
Ein Pfiff ertönte. Die Kutscher zogen die Zügel an, die Bremsen knarrten, und die lange Reihe der Wagen kam zum Stehen. Eine Stimme war im Dunkeln zu hören und befahl eine halbe Stunde Rast. Cate überlegte und entschloss sich, so lange auszusteigen. Sie ließ sich von Tom aus dem Wagen helfen und tastete sich an den Maultieren und dem Wagen davor entlang zur Spitze der Kolonne. Sie tappte durch Pfützen von Tauwasser und stolperte in dem büschelweise wachsenden Gras.
Ein halblautes Gespräch von Männern, die auf dem Boden saßen, drang zu ihr. Bei den Männern standen Reitpferde, die die Köpfe gesenkt hatten und an dem Gras rupften.
»Hallo!«, rief das Mädchen, etwas ärgerlich, dass man ihr nicht schon früher Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
»Cate!«, antwortete eine jungenhafte Stimme, und eine uniformierte Gestalt erhob sich.
Die beiden tasteten sich zueinander hin, bis ihre Hände sich fassten. Das Mädchen fühlte sich zu einer Stelle geleitet, an der ihr Fuß dicke Decken auf dem Boden fand. Sie ließ sich nieder.
»Eine Teufelsfahrt! Gefällt sie dir?«, fragte der junge Leutnant. »Davon werden wir noch erzählen, wenn wir schon Großeltern sind!«
Cate antwortete nicht gleich. Die fremde Umgebung, in der sie sich befand, die Finsternis und die Nachwirkung ihres Angsttraumes machten sie unsicher. In der Stadt hatte sie das Selbstbewusstsein des jungen Offiziers immer bewundert, aber in der Wildnis schien ihr der Ton auf einmal unangebracht. »Ich weiß nicht«, sagte sie nur und versuchte dabei zu erkennen, wer außer Anthony Roach noch bei der Gruppe saß. Der große Mann mit dem Schlapphut war Ben. Er hatte vorhin den Befehl zum Halten ausgerufen. Seine Stimme war nicht zu verkennen gewesen, denn er hatte keine Zähne mehr, und sein Bass klang dadurch immer wie ein Grunzen. Er war der Anführer der Rauhreiter, die der kleinen Dragonerschar beigegeben waren.
»Was denkt Ihr, Ben?«, fragte ihn das Mädchen.
»Allerhand denke ich mir, kleines Fräulein.« Die Anrede »kleines Fräulein« hatte sich bei den Reitern während der Fahrt eingebürgert. »Allerhand denke ich mir, aber nichts, was Ihr gern hören werdet.«
Die anderen Männer lachten zu den Worten des Rauhreiters in einer Weise, die Cate als unangenehm empfand.
»Ich habe am Abend nicht ganz verstanden, warum wir heute die Nacht durchfahren müssen«, sagte das Mädchen in dem Bemühen, die Rauhreiter zu einer sachlichen Auskunft zu zwingen.
»Die ganze Nacht ja nun nicht, mein Fräulein«, gab Ben zurück. »Gegen Mitternacht machen wir halt, bauen eine Wagenburg, und Ihr könnt Euch ruhig schlafen legen, während unsere Flinten Euch bewachen.«
»Meint Ihr? Aber mir scheint, Ihr habt doch einen Grund zur besonderen Unruhe, Ben, denn bisher haben wir stets schon mit Einbruch der Dunkelheit haltgemacht.«
»Ihr könnt einen geschickt ausfragen, kleine Miss! Nun sollt Ihr aber auch eine ungeschminkte Auskunft bekommen! In dem Brief, den Henry auf das Fort gebracht hat, stand für Euren Vater, den Major, zu lesen, dass er uns ein paar Mann entgegenschicken soll. Und wenn wir uns auch verspätet haben, weil die vierspännige Kutsche aus Yankton mit Euch nicht zur rechten Zeit ankam, so müssten doch die Kerle vom Niobrara uns gerade darum längst angetroffen haben. Ich verstehe nicht, wo die bleiben, und alles, was ich nicht verstehen kann, macht mich argwöhnisch. Deshalb treibe ich zur Eile.«
»Malt den Teufel nicht an die Wand, und macht euch nicht gegenseitig schwachherzig«, schalt der Leutnant. »Wir haben absolut nichts zu befürchten!«
»Sst! Still!«, zischte der Rauhreiter und lauschte.
Cate erschrak. Sie beobachtete Ben, wie er sich ins Gras warf und am Boden horchte. Der Leutnant und die anderen Männer sagten nichts mehr. Der zahnlose Anführer erhob sich nach einiger Zeit. »Da kommen zwei. Zwei Reiter kommen. Ein Pferd lahmt.«
Cate vernahm die Worte, aber sie konnte noch gar nichts wahrnehmen, weder mit dem Auge noch mit dem Ohr. Ihr Herz klopfte. Wer kam? Freund oder Feind? Sollte sie bei den Männern an der Spitze der Kolonne bleiben, oder war es besser für sie, sich zu ihrem Wagen und dem getreuen Tom zurückzuziehen? Die Männer schienen das Mädchen ganz vergessen zu haben. Ihre Aufmerksamkeit war nur in das Dunkel des Wiesentales gerichtet, aus dem die erwarteten Ankömmlinge auftauchen mussten. Ben hielt die Schusswaffe bereit.
Jetzt konnte auch das Mädchen das Getrappel von Pferdehufen vernehmen, das sich näherte.
»Wer da?!«, rief Ben.
»Ruhe, Ruhe«, antwortete eine rauhe Stimme. »Ich bin’s nur, euer Herzensbruder, der Hahnenkampf-Bill.«
Cate sah zwei Reiter wie Schatten herankommen. Als der erste absprang und näher trat, roch sie den aufdringlichen Gestank einer erkalteten Tabakspfeife. Das zweite Pferd lahmte, wie Ben schon gesagt hatte, und sein Reiter hing im Sattel, ohne sich mehr aufrecht halten zu können. Cate, die von Natur hilfsbereit war, glaubte, dass die Männer jetzt sofort zugreifen und diesen zweiten Mann vom Pferd holen müssten.
Ben zeigte sich jedoch nicht freundlich und wandte sich nur an Bill. »Du bist das? Gerade haben wir dich zum Kundschaften geschickt, und schon bist du wieder da? Und wen bringst du uns mit?«
»Einen Verwundeten.«
»Oh!«, rief Cate, ohne selbst zu wissen, dass sie in der Aufregung einen Ton ausgestoßen hatte. Aber Leutnant Roach wurde dadurch wieder auf seine Verlobte aufmerksam.
»Geh zurück zu deinem Wagen«, ordnete er barsch an. »Das ist hier nichts für eine junge Dame.«
Das Mädchen hob den Kopf, aus einer ihr selbst noch nicht ganz verständlichen Auflehnung heraus, und folgte der Anordnung nicht.
Hahnenkampf-Bill half unterdessen, wie es schien mit einer gewissen Mühe, dem zweiten, noch unbekannten Reiter vom Gaul herunter. Als Bill den Fremden auf die Füße gestellt hatte und losließ, griff der Verwundete haltsuchend um sich. Cate fuhr zusammen, als die umherirrende Hand des Fremden zufällig ihre Schulter fand und sich daran festzuklammern suchte. Es war ihr, als ob der Alp, von dem sie geträumt hatte, sie plötzlich anfasse, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. Dabei schämte sie sich vor sich selbst. Ein Mensch, dachte sie mit Anstrengung. Es ist doch nur ein unglücklicher Mensch!
Die Finger, die sich hart um ihre Schulter gekrampft hatten, begannen zu zittern und ließen los. In dem Mädchen rührte sich wieder die natürliche Hilfsbereitschaft. Sie griff mit beiden Armen stützend nach dem wankenden Körper. Ihre Hände fühlten einen Tuchrock, und dann legte sich das Gewicht eines langgewachsenen Menschen auf sie, der ihren schwachen Kräften zu schwer war. Ihre Arme gaben nach, und der Fremde sank ins Gras. Er musste schwer verwundet oder von Hunger und Durst ganz erschöpft sein.
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