Kitabı oku: «Der Weg in die Verbannung», sayfa 3
»Hallo, alter zahnloser Schleicher!«
Ben nahm die Pfeife aus dem Mund und spuckte. »Ahoi, du verirrter Bandit! Lässt du dich wieder einmal bei einem Freunde sehen?«
»Gut installierter Freund bist du geworden, mein zahnloser Bekannter! Ich bin es gewesen, der dir geraten hat, dich hier niederzulassen. Guter Rat gewesen! Was gibst du mir dafür?«
»Möchte dich lieber in Kanada wissen als hier. Aber wenn du nun schon da bist – lass uns einen Drink zusammen nehmen!«
»Als Anfang mag das angehen. Ich komme!«
The Red stieg ab, führte sein Pferd zu einem Platz, wo das Gras verhältnismäßig saftig wuchs, etwas abseits der anderen Tiere, und machte es fest. Dann schlenderte er wieder zu Ben hin und betrachtete die Arbeit am Blockhaus, dessen starke Wände sich schon bis zu halber Höhe des künftigen Hauses erhoben.
»Donnerschlag, Ben, wo hast du denn das starke Holz her?«
»Vom Himmel ist es gefallen.«
»So wird’s sein. Du hast dir ein paar kräftige Kerle zugelegt.«
»Ohne die geht’s nicht.«
»Flößer und Holzfäller.«
»Flößer und Holzfäller. So ist’s.«
»Komm, gib mir mal ein paar Patronen für meine Büchse. Die Sorte musst du führen, wenn du als Handelsmann etwas taugst.«
Ben warf einen Blick auf die Waffe, für die Munition verlangt wurde. »Das Kaliber führ ich nicht.«
The Red warf die Lippen auf. »Ben, ich sag dir, lass nicht so viele unnötige Worte zwischen deinen zahnlosen Kiefern raus! Gib das Zeug her, was ich brauche, du hast es. Ich muss doch nicht dein Feind werden, an der Grenze hier.«
Ben knurrte, aber er fügte sich. »Na, dann komm!«
Die beiden gingen in eines der Zelte. Ein paar kleine Kisten waren hier gestapelt.
»Wie hast du das gemeint? Mein Feind werden?«, fragte Ben unlustig, nachdem er sich mit The Red zusammen niedergelassen hatte. »Verschenkt wird hier nichts.«
»Aber meine Freundschaft ist teuer, mein Lieber, und meine Feindschaft käme dich noch teurer zu stehen. Also rücke heraus, was ich brauche! Das ist mein letztes Wort. Wenn’s dir nicht passt, kann ich auch gehen.«
»Mann, bleib friedlich. Um ein paar Patronen ist mir’s nicht. Es geht mir ums Prinzip.«
»Das Prinzip erklär ich dir gleich, du Halsabschneider. Du bezahlst meinen guten Rat, durch den du ein reicher Mann wirst, und bezahlst meine Freundschaft. Wenn sie auch teuer ist, so sollst du sie doch billig haben, weil du nun mal ein zahnloser Esel bist und bleibst und das Höhere nicht verstehst. Also ich bekomme heute und immer von dir, was ich als schlichter Präriejäger brauche, und dafür kannst du auf mich rechnen. Heute brauche ich Munition, morgen ein Pferd, übermorgen vielleicht eine neue Büchse, ein gutes Messer und vorgestern schon neue Nachrichten.«
»Du hast dir das schön zurechtgelegt. Was heißt das, ich kann auf dich rechnen? Willst du helfen, das Blockhaus bauen?«
»Höre, Ben, wenn du wahnsinnig wirst, muss man dich einsperren oder erschießen. Du kannst auf mich rechnen, das heißt, ich mach dich und deinesgleichen nicht kalt, treibe euch nicht sämtliche Pferde weg, verrate euch nicht an andere Banditen und gebe dir hin und wieder einen guten Rat. Verstanden? Und jetzt rücke endlich die Munition heraus, oder ich werde ungeduldig.«
Ben gehorchte.
»So. Das wäre in Ordnung. Was hast du zu essen?«
»Waschbärenfilet.«
»Von mir aus. Gib her.«
Ben beeilte sich, den Gastwirt zu spielen, und The Red schmauste. Als er satt war, steckte er sich die Pfeife an. Ben wollte das Zelt verlassen, um nach dem Rechten zu sehen.
»Halt, halt, mein Lieber! Widme dich noch ein wenig deinem so selten sichtbaren Freund Red Jim.«
»Was denn noch? Bist du unersättlich?«
»Nach Neuigkeiten, ja. Was erzählen denn deine Indianer, die du da draußen mit dem schlechtesten Branntwein abgefertigt hast, der je zwischen Prärie und Gebirge gerochen wurde?«
»Feines Getränk, Mann, feines Getränk! Mir scheint aber, du hast eine schlechte Nase. Was sollen die übrigens erzählen? Sie wissen selbst nichts. Vorläufig herrscht Friede im Land.«
»Das ist alles?«
»Ich weiß schon, wonach du schnüffelst, rothaariger Bandit. Aber wenn ich was von Gold gehört hätte, würde ich es mir selber längst geholt haben.«
»Wenn das so einfach wäre.«
»Eben darum, weil’s nicht einfach ist, hast du auch noch nichts gefunden.«
»Du weißt immer mehr über andere Leute als diese von sich selbst. Wer sagt dir, dass ich nichts finde?«
»Siehst nicht danach aus!«
»Das ist auch gut so. Aber hast du nichts über Sitting Bull gehört?«
»Den roten Zauberkünstler? Nichts, was der Rede wert wäre. Aber ...« Ben stockte und schluckte.
»Aber?«
»Komm, ich muss mal nach dem Blockhaus sehen!«
The Red überlegte einen Augenblick, dann gab er nach. Man musste sich flexibel zeigen.
Ben und Jim gingen ohne Eile zu dem Neubau, an dem noch zwei Mann arbeiteten. The Red betrachtete sich das Haus, wie es entstehen sollte, ein rechteckiges starkes Blockhaus, dessen Türöffnung nach Osten ging und dessen Wände keine Fenster, sondern nur Schießluken haben würden. An der hinteren Breitseite sollte offenbar noch ein kleiner Anbau entstehen.
»Nicht übel, lieber Ben. Und wie willst du zu Wasser kommen, wenn die Roten dich mal belagern und mit Brandpfeilen schießen?«
»Man kann innerhalb des Hauses auf Grundwasser graben.«
»Das lässt sich hören. Na, kümmere dich noch ein bisschen um diesen Bau. Und überleg dir, wie es mit einem geheimen Fluchtweg zum Fluss wäre!«
Ben stutzte. »Wieso denn Fluchtweg? Im tiefsten Frieden? Ich bin schon ein wohlbekannter Handelsmann!«
»Das seh’ ich. Wer hat dir das Geld dazu gegeben?«
»Was geht das dich an?«
»Gar nichts. Will auch keins haben. Macht nur abhängig. Aber was den Frieden anbetrifft – du hast Rosinen im Kopf, Mann!«
»Wieso?« Ben wurde ängstlich. »Hast du was gehört?«
»Wenn ich darauf immer warten wollte. Selbst muss man denken, alter Esel, im Voraus kombinieren!«
»Aber warum soll denn geschossen werden?!«
»Du denkst doch nicht, dass die Dakota das Land behalten werden, in dem sie jetzt ihre Büffeljagden abhalten?«
»Was kümmert mich das?«
»Sehr viel. Wenn es den Dakota an den Kragen geht, werden sie gehässig, darauf kannst du dich verlassen.«
»Na aber ... na ja ... Aber damit hat es doch noch Zeit, und dann mache ich mich eben rechtzeitig davon. Vielleicht schlage ich noch etwas auf die Preise auf; man muss den Weizen schneiden, wenn er gerade reif ist, und nicht zu spät. Komm, wir setzen uns noch ein bisschen ins Zelt!«
»Meinetwegen!« The Red lachte in sich hinein.
Als die beiden wieder im Zelt saßen, fragte Ben unvermittelt: »Kannst du mir eine größere Summe geben?«
»Ich? Dir? Wozu denn?«
»Bevor es Krieg gibt. – Wenn ich schnell noch etwas einkaufe, kann ich noch ein paar Geschäfte machen. Und im Krieg würden die Dakota Flinten sehr hoch bezahlen.«
»Halsabschneider bist du. Wende dich doch an Bacerico.«
»Wer ist denn das?«
»Einer in Mexiko. Aber den findest du doch nicht. Lassen wir das. Mit barer Münze ist jetzt nichts zu machen, kriegst du nicht von mir, Lieber. Aber Ratschläge, gute Ratschläge kannst du haben.«
»Nichts als Worte! Schade. Du bist ein Gauner.«
»Ein kluger Gauner, du zahnloses Geschöpf. Hast du mal einen Narren gesehen, der mit einem Cheyenne zusammen in der Prärie herumreitet, um Häuptlinge zu malen?«
»Mann, den verrückten Morris?«
»Ja. Du kennst ihn? Hast du den bei dir gehabt und einfach wieder laufenlassen?«
»Er hat gut bezahlt.«
»Die paar Kröten! Hättest ihn ausnehmen sollen, dann wäre jetzt Geld genug in deinem Beutel.«
»Du meinst ... du meinst doch nicht etwa ...«
»Ich meine nicht, ich sag’s nur so.«
»Das ist aber gefährlich.«
»Für mich nicht.«
»Für dich ... es geht doch um mich.«
»Lassen wir das Spintisieren, denn der Herr Maler mit dem dicken Beutel ist leider nicht mehr da. Sonst was Neues?«
»Eine wilde Geschichte!«
»Und die wäre?«
»So’n Hirngespinst. Bei den Dakota soll es eine Gruppe geben, die Gold hat, und der Häuptling soll von ungeheuren Schätzen wissen!«
The Red spitzte die Ohren. »Was für ein Häuptling?«
»Ist ja doch regelmäßig Unsinn, was erzählt wird. Ich hab mir den Namen nicht gemerkt. Aber man sagt, der Stamm hat ihn ausgestoßen, weil er im Suff geschwatzt hat. Sein Sohn soll ihn in die Verbannung begleitet haben.«
»Der Junge ist doch erst zwölf Jahre alt.«
»Wa ... was? Zwölf Jahre? Du kennst ihn also, du Bandit?«
Red schalt mit sich selbst. Wie hatte ihm das herausfahren können! Ben brauchte von seinem Erlebnis im Zeltdorf der Indianer nichts zu wissen. »Kenne ihn nicht!«, log er.
»Aber die Geschichte wird doch schon an allen Lagerfeuern erzählt.«
»Dann brauchst du mich nicht erst danach auszuhorchen. Haben sich die beiden nicht mal bei dir sehen lassen?«
»Was sollten sie denn hier bei mir?«
»Verbannte pflegen Munition zu brauchen.«
»Das ist wahr.«
»Wenn sie also mal herkommen ...«
»Möchtest du sie wiedersehen?«
»Kennenlernen!«
»Wiedersehen. Du kennst sie doch schon.«
»Dummes Zeug. Dann brauchte ich nicht bei dir nach ihnen zu fragen.«
»Oder vielleicht gerade.«
»Eben nicht. Ich sage immer die Wahrheit, merk dir das!«
»So siehst du aus, alter Räuber. Da, ich schenke dir eine Prise Tabak.«
»Wird angenommen.«
Das Gespräch verlor sich in Belanglosigkeiten.
Als der Tag zu Ende ging und es dunkel wurde, begab sich The Red zu seinem Pferd, um bei diesem zu schlafen. Die Nachrichten, die er zuletzt erfahren hatte, beschäftigten ihn sehr. Wenn der Häuptling, um den es sich hier handelte, wegen seines angetrunkenen Zustandes und seiner undeutlichen Plapperei von seinem Stamm geächtet worden war, so bestand Aussicht, sich noch einmal an ihn heranzumachen. Ein aus einem frei lebenden Stamm ausgestoßener Indianer war das unglücklichste Geschöpf der Welt, denn die freien Indianer gehörten in ihren Verbänden aufs Engste zusammen, enger, als ein Weißer es überhaupt nachempfinden und verstehen konnte.
The Red schlief nur wenige Stunden, und als er vor Morgengrauen wach wurde, ritt er fort, ohne sich von Ben zu verabschieden. Er ritt in südwestlicher Richtung und strebte zu den Lagern der Bahnvermessungsarbeiter. Vielleicht kursierten dort fassbarere Gerüchte über den Aufenthalt des Verbannten, den aufzuspüren The Red entschlossen war. Die Ereignisse, die zu der Katastrophe für den Häuptling geführt hatten, hatten sich zwischen Nord- und Südplatte am Pferdebach abgespielt. The Red wusste sehr genau darum.
Wie gut, dass er damals sofort aus dem Häuptlingszelt entflohen war! Aus dem, was er jetzt von Ben erfahren hatte, war zu schließen, dass es wirklich Lauscher gegeben hatte. Wer würde sonst die Anklage gegen den Häuptling erhoben haben?
The Red trieb sein Pferd an. Nach gewissen Anzeichen der Vegetation auf der ausgedörrten Prärie und nach der Bahn der Sonne zu urteilen, neigte sich der Hochsommer schon zum Herbst. Im Winter war das von Schnee bedeckte, den Stürmen preisgegebene Hochland zu unwirtlich. Was The Red im Sinn hatte, musste er möglichst noch vor dem ersten Schneefall ausführen.
Das Versteck in der Wildnis
Während Red Jim mit der vergeblichen Suche nach Gold beschäftigt und weiterhin unterwegs war, um endlich reich zu werden, hatte sich in einem abgelegenen kleinen Bergtal neues Leben eingefunden.
Es war Nacht. Die Schatten der Berge ragten auf; als Ruinen vergangener Erdrevolutionen trotzten sie mit hartem Gestein noch der Gegenwart. In ihren aufgerissenen Seiten rieselte das Wasser, seit Jahrtausenden rieselte es ohne Unterlass, quellklar, leise murmelnd, aufrauschend um gestürzte Blöcke und tosend im Fall über hohe Wände. Stein, Moos und zähes Gesträuch, Stämme und Zweige windverkrüppelter Bäume hatten des Tags die Sonnenwärme in sich aufgesogen und gaben jetzt der Luft davon ab, die mit sanfter Bewegung im Dunkeln über Berge und Wiesenhänge strich. Sommerdüfte verbreiteten sich mit dem Luftzug, Blütenduft, Geruch trocknender Erde und verkrustenden Harzes. Bären schliefen in ihrem Versteck, Vögel in den Baumkronen; die Insekten ruhten in ihrem Bau oder an Stengeln und unter Blättern. Die Eule machte in ihrem Flug kein Geräusch. Die Wölfe heulten nicht mehr, sie waren satt. Ihre Jungen wuchsen kräftig heran und lagen als eine gefährliche Jungschar im Dickicht schlummernd beieinander. Wolkenlos wölbte sich das Firmament mit seinen Sternen über dem Felsengebirge und den Wäldern und Prärien, die zum Fuß der Berge anstiegen.
Das abgelegene Hochtal, in dem zwei Pferde weideten, war kurz, eng und steil. Der Bach, der es durchfloss, glitt zwischen Bergwiesen lautlos dahin, so klar wie ein Spiegel. Am Ende des Tales versprühte sein Wasser über einer Felswand in Millionen Tropfen, die im Sternenlicht schimmerten. Mit wenig Geräusch, wie ein dünner Regen, landeten sie auf glatten Steinen. In seinem oberen Teil öffnete sich das Tal zu einem Kreisrund, in dem der Bach als Quelle entsprang. Das Wasser fand nicht gleich sein Abflussbett, sondern rieselte und sickerte dahin und dorthin, befeuchtete die Wurzeln von Gras, Moos und Buschpflanzen und beherbergte kleines Getier. Diese Bergwiese war von Höhen umgeben, die sie vor Stürmen beschützten und die die Quelle mit der absinkenden Feuchtigkeit von Regen und Schnee speisten. Es war ein kleines Paradies der Fruchtbarkeit, scheinbar völlig in sich abgeschlossen. Aber in den Boden eingedrückte Wildspuren, in denen sich Wasser gesammelt hatte, verrieten, dass die einsame Wiese besucht wurde. Die Spuren führten zu einem Felsband, das sich schmal, aber mit zuverlässiger Festigkeit von der Wiese ausgehend an einer der Höhen hinaufzog.
Die beiden Pferde liefen frei in dem engen Talabschnitt bei dem abfließenden Bach umher, trugen aber um den Unterkiefer befestigte Zügel. Das eine war ein Grauschimmel, das andere ein Fuchs. Sie hatten die zierliche Statur der Wildpferde und bewegten sich beim Weiden sehr geschickt im Gelände. Sie schienen einander gewöhnt zu sein, denn sie hielten sich immer zusammen und blieben schließlich am Ufer des kleinen Baches beieinander stehen, um zu schlafen.
Nicht weit von den beiden Tieren lag ein Indianerknabe im Gras. Er hatte die Augen geschlossen und lag ausgestreckt auf einer Büffelhautdecke. Er lag da, als ob er sich völlig erschöpft hingeworfen habe, und obgleich er die Augen geschlossen hatte und zu schlafen schien, ging sein Atem unruhig, und hin und wieder war es, als ob seine Augen sich bewegten. Dann zuckten auch seine Hände. Er träumte, und zuweilen schrak er aus dem Traum auf. Neben ihm im Gras lag griffbereit eine doppelläufige Büchse, in Leder eingeschlagen und so vor Feuchtigkeit geschützt.
Oberhalb der Quelle, an einer Stelle des schmalen Felspfades, die einen weiteren Ausblick auf die Berghänge und auch in die tiefer gelegenen Täler erlaubte, befand sich in der einsamen Wildnis ein zweiter Mensch. Er spähte durch die Sternennacht. Groß von Wuchs und schlank, in der Haltung eines Mannes, der auch schwierige Tritte und Griffe ohne Mühe meistert, stand er an einem exponierten Vorsprung. Sein Oberkörper war nackt, seine Schultern zeigten schwere Kratzwunden, die verkrustet waren. Die Zöpfe, in die er das lange Haar geflochten hatte, fielen rechts und links von den Schultern. Aus der Lederscheide, die er an einer Schnur um den Nacken trug, ragte der Messergriff hervor. Andere Waffen hatte er nicht bei sich. Er trug auch keinerlei Schmuck, keine auszeichnende Feder.
Unbeweglich stand dieser Indianer; sein Blick ging jeweils lange in dieselbe Richtung, weithin über die Höhenzüge, die sich zu den Prärien senkten, hinüber zu dem kleinen Wiesental, in dem der Knabe schlief, hinauf zu den Gipfeln, über denen die Sterne leuchteten.
Er hatte lange auf seinem Beobachtungsposten gestanden, als das erste zarte graue Dämmern im Osten aufkam. Wind erhob sich, und es wurde in der Höhe sofort sehr kühl, kühler als in der Nacht. Die Tautropfen an den Gräsern schillerten auf. Der Himmel erhellte sich zunehmend, und aus dem Grau brach das helle Gold der aufgehenden Sonne. Alle Farben erstanden neu, die Wiese wurde grüner und die Quelle wie Silber; Schatten wichen zurück wie verscheuchte Geister. In den leuchtenden Höhen des Himmels schwebte schon ein Falke. Auf einer Waldlichtung weit unterhalb des Wasserfalls rührte es sich, kaum dass der erste Sonnenstrahl dahin gelangt war. Ein Hirsch trat aus den Bäumen hervor, verhoffte und begann dann ruhig seinen Durst zu stillen und zu äsen.
Der Indianer hatte noch im Schatten der Felsen gestanden. Aber endlich fanden die Strahlen der Sonne auch ihn und wärmten seine Glieder. Er reckte sich ein wenig, und die unscheinbare Regung beherrschter Kraft machte die Schönheit dieses menschlichen Körpers vollkommen. Er hatte die Lider gesenkt und hob die Hand schirmend über die Augen, um der Sonne entgegen über waldige Höhenzüge und Prärie zu schauen. Seine Haut war hellbraun; die Augen schwarz, tiefschwarz auch das Haar.
Er rührte sich jetzt, stieg den schmalen Naturpfad im Felsen hinab, ohne sich mit der Hand anzuhalten, und bückte sich bei der Quelle, um zu trinken. Langsam ging er dann aus dem feuchten Kreisrund der Wiese zu dem schmalen Tal, in dem der Bach abfloss. Er trat nicht auf Gras und feuchten Boden, sondern von einem der Steine, wie sie im Gras umherlagen, zum anderen; in den leichten Mokassins konnten sich seine Füße sicher bewegen.
Die Pferde liefen zu ihm herbei, und er begrüßte sie. Er ging zu dem Knaben, der noch schlief. Während er ihn betrachtete, veränderten sich seine Züge. Sein Gesicht war das eines dreißigjährigen Mannes, offen und wohlgebildet, aber seine Wangen waren hohl, die Schläfen eingefallen und die Mundwinkel in einer herben Art herabgezogen. Als er auf den schlafenden Knaben schaute, legte sich der Anflug eines Lächelns um seine Lippen, und seine Augen öffneten sich weiter. Das Lächeln blieb aber von einer schmerzlichen Wehmut.
Der Knabe erwachte und sprang dabei sofort auf. Er glich seinem Vater und unterschied sich doch von ihm. Seine Haut war um einen Schimmer dunkler, und trotz seines jugendlichen Alters wirkte sein Gesichtsschnitt schon schärfer, die Stirn höher. Er war groß für sein Alter; seine Muskeln und Sehnen spielten wie die eines Wildtieres.
Die beiden machten keine Worte, um sich zu begrüßen. Der Junge nahm einen Trunk klaren Wassers, wie es der Vater getan hatte, strich dem Grauschimmel über den Rücken, nahm die Büchse an sich und folgte dann dem Vater, der ihn über den Felspfad zu dem Aussichtspunkt führte.
»Harka«, sagte der Indianer leise zu seinem Jungen, während die beiden zusammen in die Wälder hinabspähten, »du siehst diese Waldwiese dort unten, über die der Bach zu Tal fließt. Dort ist ein Wildwechsel, ich habe einen Hirsch gesehen.«
Das Gesicht des Jungen leuchtete auf.
Die beiden gingen wieder zu ihren Pferden, die gesoffen hatten und zu weiden begannen. Der Junge pflückte sich Blätter und Gräser und grub Wurzeln aus, um seinen schlimmsten Hunger zu stillen, und der Vater tat das Gleiche. Als sie sich kärglich gestärkt hatten, legten sie sich in die Sonne, aber ohne zu schlafen. Der Junge schlug seine Büchse wieder in das Leder ein; es war ein Mädchenkleid aus Elenleder, was er dazu benutzte, sehr schön, in uralten Mustern, rot und blau gestickt. Er selbst hatte gar keine Kleider; das war ihm ungewohnt, denn er war schon zwölf Jahre, aber in der sommerlichen Wärme nicht unangenehm. Die Mädchensachen, die ihm bei der Flucht aus dem Dorf gedient hatten, mochte er auf keinen Fall mehr anziehen, weder die lange Lederhose noch das kimonoförmig geschnittene knielange Kleid.
Die beiden Indianer schauten in den blauen Himmel, aber nicht nur, um zu träumen. Sie hatten einen Adler entdeckt, der sich mit weit ausgebreiteten Schwingen vom Luftzug tragen ließ. Es war, als ob er die Flügel gar nicht rege. Die Sicherheit und die Mühelosigkeit seines Fluges erregten die Bewunderung der beiden stillen Beobachter. Die umgebenden Berge schienen das Revier des mächtigsten der Raubvögel zu sein. Über zwei Stunden schwebte er umher; der Falke war verschwunden.
»Ein Kriegsadler!«, sagte der Indianer nach stundenlangem Schweigen zu seinem Sohn.
»Seine Federn sollten dir gehören, Vater.«
»Die Adlerjagd nimmt uns viel Zeit, Harka.«
»Vielleicht werden wir Zeit haben.«
Der Vater lächelte über die Antwort, ebenso kurz und schmerzlich wie das erste Mal, als er am Morgen den Jungen weckte.
Die beiden blieben den ganzen Tag im Gras liegen, beobachteten alle Flugrichtungen des Adlers, lernten jedes Geräusch des Wassers, jedes windbewegte Gras, jede Blume, jedes summende Insekt, jeden Stein ihrer neuen Umgebung mit Ohren und Augen und Geruchssinn kennen. Des Abends gingen sie wieder gemeinsam zu dem Aussichtspunkt, um Ausschau in die Umgebung und in die weite Ferne zu halten.
Keiner der beiden wollte dem anderen gestehen, dass sein Blick im verschwimmenden Dunst des Horizonts noch etwas anderes suchte als jagdbares Wild oder die Anzeichen der Abenddämmerung. Keiner der beiden wollte sich selbst gestehen, welche Sehnsucht seinen Blick lenkte, als es im Osten zu dunkeln anfing und die Pracht der scheidenden Sonne auch aus dem kleinen Wiesental wich, um den Schatten Platz zu machen. Aber beide dachten an die Zelte am fernen Pferdebach, an die büffelledernen, spitz zulaufenden Tipis, in denen jetzt die Feuer aufflackerten, von Frauen und Mädchen geschürt und bewacht, in denen es jetzt nach röstenden Büffelrippen und Fleischbrühe duftete, in denen Harkas Schwester und die Mutter seines Vaters Mattotaupa wohnten und um die beiden Verbannten und Geächteten trauerten. Der Knabe sah wieder seine Schwester Uinonah vor sich, so wie er sie im letzten Augenblick seines heimlichen Scheidens gesehen hatte, nachdem sie ihm ihr Festkleid überlassen hatte, damit er unerkannt fliehen konnte. Er sah noch einmal, wie sie die Decke über das Gesicht zog, damit niemand wissen sollte, dass sie weinte.
Sein Vater Mattotaupa berührte ihn leicht an der Schulter, um ihn aus den Gedanken zu wecken, die er ahnte, weil sie auch die seinen waren, und die beiden gingen miteinander zu den Pferden, um die zweite Nacht in der Einsamkeit der Berge zu verbringen. Hier gab es für sie keine Verfolger, aber auch keine Brüder und Freunde.
Als sie sich zusammen auf die Büffelhautdecke legten, sagte der Vater: »In der Nacht stehe ich auf und schleiche hinunter zu der Waldlichtung, zu der des Morgens der Hirsch kommt, um zu trinken. Ich will ihn jagen.«
»Muss ich bei den Pferden bleiben?«, fragte der Junge.
»Die Pferde sind hier sicher. Ich kann den Felspfad sperren, so dass sie überhaupt nicht zu entlaufen vermögen. Und wer sollte sie stehlen?«
»Ich darf also mit dir kommen?«
»Ja.«
Der Junge schlief schnell ein, und es quälten ihn in dieser Nacht keine Träume. Er war in der Vorfreude auf die Hirschjagd eingeschlafen.
Als sein Vater ihn um Mitternacht weckte, war es bitterkalt, denn das kleine Tal war hochgelegen. Die Pferde hoben die Köpfe und beobachteten das Tun ihrer Herren. Harka legte das Mädchenkleid zusammen und barg seine wenige Munition darin. Die Büchse aber nahm er mit; sie schien ihm nur in seiner eigenen Hand und unter seinen eigenen Augen sicher genug.
Der Vater und der Junge stiegen hinauf zur Quelle, tranken und rieben sich mit würzig duftenden Kräutern ein, um dem Wild nicht die Witterung von Menschen zu geben. Dann bogen sie in den Felspfad ein, der den einzigen Zugang zu dem kleinen Tal gewährte. An der schmalsten Stelle, die sie nach etwa fünfzig Metern erreichten, legte Mattotaupa einen Stein hin, der der Form nach passte und nicht leicht abgleiten würde, und der auch groß genug war, um ein Pferd von dieser schwierig passierbaren Stelle abzuschrecken. Die beiden Mustangs hatten hier schon gezögert, als ihre Reiter sie in der vergangenen Nacht über den Felspfad zu dem Wiesental führten.
Mattotaupa umging mit seinem Sohn die Höhen nördlich ihres Versteckes, und die beiden gewannen den Hang, auf dem sie in der vergangenen Nacht heraufgekommen waren. Hier machte ihnen der Abstieg keine weiteren Schwierigkeiten. Sie kamen rasch voran. Als sie sich der Waldlichtung näherten, die sie von oben gesehen hatten, wurden sie sehr vorsichtig, um kein Wild scheu zu machen. Mit Handzeichen gab Mattotaupa dem Jungen die Anweisung, auf einen Baum am Wiesenrand zu klettern und die Jagd von dort zu beobachten.
Harka griff in die Zweige und kletterte gewandt hinauf bis zu einer Astgabelung, in der er es sich einigermaßen bequem machen konnte und Ausschau zu halten vermochte, ohne selbst gesehen zu werden. Er beobachtete von hier aus den Vater, der sich ein wenig abseits im Gebüsch gut verbarg.
Dann hieß es warten.
Wenn die beiden Indianer Pfeil und Bogen bei sich gehabt hätten, wäre die Jagd nicht schwer gewesen. Aber sie besaßen nichts als das zweischneidige spitze Messer, das Harka auf seiner Flucht mitgenommen und dem waffenlos verbannten Vater gegeben hatte, und Harkas doppelläufige Büchse, die ihm von The Red geschenkt worden war und die nur der Junge zu gebrauchen gelernt hatte. Wenn er nicht seine wenige Munition verschwenden und mit dem Krachen eines Schusses die ganze Umgebung aufschrecken wollte, musste der Vater den Hirsch mit dem Messer töten, so wie er auch schon einen grauen Bären getötet hatte. Mattotaupa war ein großer Jäger.
Der Junge im Baum fror und hatte verzehrenden Hunger, aber er vergaß beides, als die Sterne zu verblassen begannen und das Ende der Nacht sich damit ankündigte. Er schaute hinunter auf Waldboden und Wiese, auf die sehr deutlichen Fährten des Hirsches, der hier am Morgen zur Tränke zu gehen pflegte. Es war still im weiten Wald. Nichts störte die Erwartung, dass das Tier auch an diesem Morgen kommen werde.
Harka lauschte, und Freude durchzuckte ihn, als er den ersten vorsichtigen Tritt vernahm, unter dem doch dürre Zweige geknackt hatten. Das Geräusch wiederholte sich und kam auf die Waldwiese zu, offenbar genau auf die Stelle, an der Harka und sein Vater versteckt waren.
Der Himmel begann unterdessen lichter zu werden, aber die Sonnenstrahlen trafen den Wald noch nicht. Nur die höchsten Berggipfel fingen schon goldenes Licht; Hänge und Täler lagen noch in Schatten und Dunst.
Der Hirsch kam. Es war nicht der mächtige Wapiti, sondern ein Weißwedelhirsch mit dem eigentümlich nach vorn gebogenen Geweih. Es war ein stolzes Tier, ein Zwölfender.
Noch schien der Hirsch keinen Verdacht geschöpft zu haben, dass ihm eine Gefahr drohe. Er ging den von ihm selbst ausgetretenen Pfad durch den Wald. An den weit ausgreifenden Wurzeln des Baumes, auf dem Harka saß, machte er einen Augenblick halt, hob den Kopf, äugte und windete. Als er weiter zu der Wiese mit dem leise rieselnden Bach ging, gelangte er an das Gebüsch, in dem Mattotaupa saß.
Das war der Augenblick, in dem sich der Erfolg der Jagd entscheiden musste.
Der Indianer brach blitzschnell aus dem Gebüsch, um den Hirsch anzuspringen, aber das Tier hatte den Bruchteil einer Sekunde zu früh die Gefahr begriffen. Mit einem großen Satze schnellte es davon, auf die Wiese hinaus. Mattotaupa sprang hinter ihm her. Der frei lebende Indianer, dessen Beinmuskeln durch sattelloses Reiten, Laufen und die anstrengenden Kulttänze wie die eines Athleten ausgebildet waren, nahm es an Schnelligkeit auf kurzer Strecke sogar mit einem Mustang auf.
Der Hirsch durchquerte die Wiese; nach wenigen Sprüngen begann der Indianer ihn einzuholen. In dem Moment, in dem das Tier etwas aufgehalten wurde, weil es jenseits der Wiese wieder in den Wald eindringen wollte, schnellte sich Mattotaupa halb über den Rücken des Hirsches und fasste mit der Linken die linke Stange. Seine Muskeln schwollen an. Mit der Rechten hob er das Messer zum Stoß.
Harka hielt den Atem an.
Mit einer ungewöhnlichen Kraft bog Mattotaupa den Kopf des Hirsches zurück. Das Tier bäumte sich auf, aber ehe sein Widerstand Erfolg hatte, drang ihm das Messer in die Kehle. Das Tier brach zusammen.
Dem Knaben war nach einem Jubelschrei zumute, aber er unterdrückte jeden Laut, und auch Mattotaupa gab seinem Triumph nur schweigend Ausdruck. Er hatte die Waffe wieder aus dem Hals des Tieres herausgerissen und hielt sie in die Höhe, während seine Beute zu seinen Füßen lag. Die Sonnenstrahlen brachen über den Wald in die Wiese herein und leuchteten dem Sieger.
Harka kletterte vom Baum herab, die letzten Meter ließ er sich einfach hinunterfallen, und dann rannte er zum Vater. Mit einem Blick sprachen die beiden ihren Stolz und ihre Freude aus.
Der Hirsch war rasch verendet. Er war eine prächtige und reiche Beute für die Indianer. Mattotaupa begann sofort auszuweiden. Harka konnte ihm nicht helfen, weil sie zusammen nur ein Messer besaßen. Der Knabe tat, was er noch nie getan hatte, er trank vor Hunger das Blut. Der Vater gab ihm von den Teilen, die sofort gegessen wurden: Hirn, Leber und Herz. Harka glaubte noch nie so gut gegessen zu haben. Er hatte seit drei Tagen nichts als Wasser, Blätter, Gräser und Wurzeln zu sich genommen.
Als der Schmaus beendet war, sagte der Vater: »Nun lass uns alles hinaufschleppen in unser Versteck, zu unseren Pferden!« Er schnitt den Kopf des Hirsches ab, ließ ihn vollends ausbluten und gab ihn Harka. Den gewichtigen Rumpf nahm er selbst auf die Schulter.
Der Rückweg und Aufstieg war anstrengend. Der Wald war steil und unwegsam, und die Beute drückte schwer auf Mattotaupas Nacken. Der Schweiß brach Mattotaupa aus, und nur er selbst wusste, wie heftig ihm das Herz klopfte. Die letzten Tage des Hungers und der übermäßigen Erregung hatten auch an seiner Kraft gezehrt. Aber er schämte sich, nachzugeben und weniger zu leisten, als er selbst von sich und sein Junge von ihm gewohnt war. Daher schleppte er den Hirsch ohne Rast hangaufwärts und setzte Fuß vor Fuß, auch wenn er zuweilen dachte, dass er zusammenbrechen würde.