Kitabı oku: «Zwei Freunde», sayfa 10
»Ist ›sie‹ so schön?« fragte sie. »Du mußt dich in acht nehmen, mit deinen Briefen, Oskar. Olga wird schon stutzig.« Wichmann fühlte, wie ihm das Blut bis zur Stirn stieg.
»Ich habe nur sachlich erzählt. Aber liest sie meine Briefe an dich?«
»Solange ich bei ihr wohne, kann ich das kaum verhindern. Es ist die alte Familiengewohnheit, du weißt es ja.«
Wichmann war sehr verstimmt.
Er verlangsamte den Schritt etwas, denn er hatte noch keine Lust, wieder abzusteigen, und auch nicht, sehr viel weiter zu gehen.
»Ist ›sie‹ glücklich, Oskar?«
»Glücklich?« Wichmann dachte nach. Er hatte sich diese Frage noch nie gestellt. Sie war die Frau des andern.
»Sie lebt in einer Welt, in der sie fremd erscheint«, sagte er leise. »Aber darin liegt auch ein besonderer Reiz. Weißt du etwas von Bremer Patriziern und Potsdamer Offiziersadel?«
»Von diesen unglücklichen Menschen, die nie sich selbst, sondern immer nur ihre vorgezeichnete Rolle spielen dürfen? Ein grausames Schicksal, kompensiert nur durch die Wollust des Hochmuts, und gerade die zehrt diese Menschen noch mehr aus und zieht ihnen bei lebendigem Leibe die Drähte durch die Glieder, an denen sie von anderen bewegt werden.«
»Unglücklich nennst du solche Menschen? Sie haben nicht nur ein grausames Schicksal, sie sind selbst grausam. Durch ›ihre‹ Glieder lassen sich keine Drähte ziehen, ohne daß sie daran verblutet.«
Vera schaute ins Unendliche des Himmels, ohne den Augen des Bruders mit ihrem Blick begegnen zu wollen. Es blieb wieder still zwischen den beiden Vertrauten der Kindheit.
Vera hatte einen Baumstumpf gefunden und setzte sich noch einmal. Der Bruder kauerte sich auf eine starke Wurzel. Plötzlich überwältigte es ihn. Er legte den Kopf in den Schoß des Mädchens, und seine Augen wurden feucht.
Sie schwieg und wartete.
»Komm«, sagte er, als er wieder aufstand. Er faßte die Schwester unter den Arm, und sie gingen schnell miteinander weiter.
Auf einmal lächelte Vera, hell, freundlich, lösend. Sie hatte sich wieder gewandelt.
»Wir sind Kindsköpfe, Oskar! Schlag dir alles aus dem Kopf. Vielleicht komme ich doch einmal zu dir und zu dem jour fix in der Kreuderstraße 3?«
Es war Wichmann, als ob eine Fessel von ihm abfalle. Er begann zu lachen und zu plaudern.
»Ganz falsch, teures Schwesterherz. Ich kündige das Zimmer in der Kreuderstraße und ziehe um. Aus den Augen, aus dem Sinn! Sind wir Männer nicht so?«
»Vielleicht sollt ihr so sein, ihr Verbrecher.«
Vera huschte zu dem nächsten Weg, der wieder in das Tal, führte. Die Geschwister stiegen ab.
Als am nächsten Morgen die lärmende Bahnhofshalle der großen Stadt den Zurückkehrenden in sich aufnahm und ihn wieder hinausspie in die kalten Straßen, in denen der morgendliche Winterwind herumirrte, fand Oskar Wichmann den Weg in sein Arbeitszimmer, ohne erst in das geheimrätliche Haus gegangen zu sein. Er wusch sich noch einmal die Hände, an denen immer noch Ruß zu kleben schien, steckte eine Zigarette an und sah die Neueingänge auf seinem Aktenbock durch. Es waren ihrer wenig. Man merkte, daß Grevenhagen noch auf Urlaub war. Auch die Tischrunde in der »Stillen Klause« hatte sich sehr verkleinert. An manchen Tagen erschien niemand als Wichmann und Casparius.
Die Kündigung bei der Geheimratswitwe war noch nicht ausgesprochen. Vor dem 1. Februar konnte der Mieter nicht ausziehen, wenn er nicht doppelt bezahlen wollte. Der letzte gesetzliche Kündigungstag war der 15. Januar. Der Anstand erforderte es, daß er spätestens am 1. Januar seine Absicht auszuziehen, bekanntgab. Bis dahin blieben noch einige Tage. Die Geheimrätin hatte Mandelplätzchen und Zimtbrötchen gebacken, von denen täglich sechs Stück in einem Körbchen auf des Assessors Schreibtisch standen, und täglich wurde von Weihnachten bis Neujahr das Sonntagsfrühstück serviert. Die Kreuderstraße 3 lag verlassen und verschlossen. Wichmann stand ein paarmal sehr früh auf und ritt allein durch den Park. Ein hübscher temperamentvoller Fuchs aus Privatbesitz sollte gerührt werden, und der Assessor kam auf diese Art zu einem annehmbaren Pferde. Er fühlte sich sicher auf dem Pferderücken.
Der Fuchs begrüßte ihn jedesmal zärtlich, und wenn das Tier ein Stück Zuckerrübe erhalten hatte, rieb es seine flaumweiche Schnauze an Wichmanns Wange.
Die Stallknechte wußten, daß Wichmanns Zigaretten gut waren.
»Komm’ Sie«, sagte Arnold, »ich zeig’ Ihnen was Feines.«
Er führte Wichmann zu einer Box mit zwei Grauschimmeln. »Sehn Sie, das ist Vollblut.«
Die edlen Tiere waren unruhig. Der Hengst äugte zu den Herankommenden und stampfte.
»Das ist ein junger … Wie alt schätzen Sie? Keine drei Jahre hat er. Der hat den Teufel im Leib. Er steht jetzt zu viel im Stall. Ich geb’ ihn Ihnen gern – aber Sie fliegen – lassen Sie’s lieber sein. Die Stute schon eher. Aber wenn was passiert? Lassen wir’s lieber sein. Die zwei sind ein Stück Geld wert. Was glauben Sie? Ein paar zehntausend, aber sie sind’s mehr als wert. Der Grevenhagen hat eine feine Nase.«
Wichmann zuckte zusammen.
»Den müssen Sie einmal reiten sehn, da kann ein jeder noch lernen. Den und die gnädige Frau auch, so was sieht man nicht mehr alle Tage – Neujahr kommen sie wieder. Mir ist’s recht. Ich habe jetzt nur das Theater mit dem Teufel da … und wenn mir was passiert …!«
Der Hengst schnaubte. Er hatte einen wunderbaren Kopf, unter seinem Fell spielten die Muskeln. Jede Bewegung war ein Tanz. Die Stute war ihm gleich in Färbung und Bau, kaum merklich kleiner, im Blick lag ein sanfterer Schimmer. Wichmann hatte den Traum, diese Tiere über eine weite Ebene fliehen zu sehen. Ach, ihre Hufe traten nur das Stroh in der Box, und sie scharrten und suchten Zuckerrüben in Wichmanns Tasche statt das Gras der Steppe.
»Nehmen Sie sich in acht vor dem …«
Wichmann trat zurück. Sein hübscher Fuchs war ein Ackergaul im Vergleich zu dem Grauschimmelpaar.
»Neujahr kann ich nicht kommen.«
»Nicht? Da wird Ihr Fritz aber traurig sein. Das ist nicht zu glauben, wie gern der Sie hat. Der Herr von Schilling kommt erst am 8. Januar zurück – dann muß ich mich eben solange um den Fritz kümmern. Er wird ja traurig sein. Schaun Sie zu, ob Sie nicht doch kommen können!«
Als Wichmann am Neujahrsmargen den Stall mit Sonnenaufgang betrat, empfand er den Geruch von Hafer und Mist stärker als sonst. Die Stalluft fühlte sich warm an im Gegensatz zu der eisigen Frische draußen. Die Pferde schienen lebhaft. Der junge Reiter bekam seinen Fuchs, der mit Freuden heraustänzelte, und trabte durch den Park. Die Erde war hart, die Teiche hatten sich mit grauen Eisschichten überzogen, an den Ufern häufte sich der dick zusammengekehrte Schnee. Enten fischten eifrig in einem Eisloch, und durch die Zweige der hohen Bäume schlüpften die Meisen. Wichmann hörte die Aufschlägeder Hufe des eigenen Tieres, das in den Morgen hineinlief. Sein Körper hob und senkte sich im Auffangen der Trabstöße. Die Reiterhaltung war ihm schon gewohnt geworden. Sporen und Peitsche waren mehr das Zeichen seiner Herrschaft als Gegenstände des Gebrauchs. Im Rondell beobachtete er ein Tier an der Longe … Ja, bis zur Hohen Schule war noch ein weiter Weg, wie weit, das hatte er erst begriffen, als er zu lernen anfing.
Fußgänger ließen sich noch kaum sehen. Wichmanns Hände froren am Zügel. Er hatte das Gefühl, daß seine Nasenspitze sehr rot sein müsse. Alle Gedanken und Entschlüsse, mit denen er das neue Jahr hatte anfangen wollen, waren versunken und vergessen. Er wußte nichts, als daß Morgen war und daß er schnell durch den Wind ritt.
Im Nebel stieg der rote Sonnenball. Sein Licht glitt wie ein Feenkleid zwischen dunklen Stämmen durch. Die Enten humpelten tolpatschig über das Eis.
Oskar Wichmann hatte sein Tier in Schritt fallen lassen. Er schaute die lange, baumüberdachte Allee hinunter, die sein Lieblingsweg war. Hufspuren vom Vortage waren im Boden festgefroren. Der Reif hatte sich an den Fährtenrändern abgesetzt und leuchtete mit weißen Kränzchen, wenn die Sonnenhelle schräg durch die Zweige schimmerte. Der Blick folgte dem langen schwarzerdigen Weg zwischen den fleckstämmigen Riesenwächtern zurück bis zu seinem Anfang, der ganz im Licht lag. Wie eine Quelle des Morgens war jenes weiße Leuchten, aus dem der Reitweg kam, eine Öffnung, aus der Himmelsfülle über die Erde hereinfloß. Wichmann hatte seinen Fuchs zum Stehen gebracht und schaute mit der Empfindung, daß ein neues Jahr zu Unbekanntem beginne, die große Allee hinab, die in ihrer Einsamkeit nur ganz sie selbst war … Erde, Baum, Licht und Winter.
Er wunderte sich nicht, daß sie aus ihrem lichten Anfang das sich Bewegende gebar. Erde, zur Schwere verdammt, streckte sich liebend unter die Wesen, die sie in dahineilendem Spiele traten, Zweige schüttelten weiße Flocken, um den schnellen Boten des Morgens ihren Gruß zu geben, und die Sonne stieg und schmeichelte mit ihren nie greifbaren Händen den mutwilligen Geschöpfen.
Das laute Klopfen der Hufe kam in die Allee zwischen den stummen Tanz von Schatten und Licht herein. Schon umfaßte das Auge die Schönheit des schnellen Laufs, die Gestalt der edlen Tiere. Mit geblähten Nüstern, die Kräfte kaum hemmend, mit wehenden Schweifen trabten sie dahin. Gespitzte Ohren, das Gefunkel ihrer Lichter, der Dampf vor den Nüstern waren Jugend und Morgenfrühe. Das grauweiße Fell hatte die Farbe des beginnenden Wintertages, der noch immer zwischen Nebel und Helle kämpfte. Schwarz, schmal und stolz saßen die Reiter auf dem Rücken der Tiere. Fast schienen sie ohne eigene Schwere, eins mit den Körpern, die sie durch den. Wald trugen. Die Hände hielten die Zügel mit einer strengen Leichtigkeit. Der übereinstimmende Rhythmus der beiden Tiere, die Gestalt und Haltung von Reiter und Reiterin in ihrem Ebenmaß waren ein unwiderstehliches Bild der ästhetischen Vollkommenheit.
Wichmann hatte den Atem angehalten; er war nichts mehr als schauendes Auge und lauschendes Ohr.
Die Hufschläge klangen laut auf. Ein Tier begehrte Freiheit. Seine Reiterin bändigte es schnell. Die Hände der Herren hoben sich zum Gruß. Die Sporen glänzten.
Marion hatte den Kopf leicht geneigt.
Vorbei …
Wichmann ließ die Zügel locker und ritt auf der Spur der Verschwundenen, von Parkbäumen und Biegungen Verschluckten zurück, die Allee hinab in den stärker besonnten Morgen.
Er hatte sie gesehen, Reiter und Reiterin, den Mann und die Frau, ein Leib – den Herrn und die Dame – ein Stil.
Alles andere war Schatten und wesenlos.
Ihre weiche Gestalt war von der Linie des Reitkleides halb verborgen gewesen, aber sie war schön wie das Tier, und auf den Blütenblättern ihrer Wangen hatte Trauer gelegen. Ihre Augen waren an dem Grüßenden vorübergegangen wie die leise wehende Luft, die eine Stätte zu suchen scheint und keine finden kann.
Marion.
Als Oskar Wichmann seinen schweißtriefenden Fuchs zur Mittagszeit zurückbrachte, stand das Grauschimmelpaar in der Box, und Arnold fütterte es.
Alle Überlegung und aller Entschluß waren vergeblich gewesen. Wichmann floh nicht.
Als er eines Nachmittags im hereinsinkenden Nebel das Heim der Familie Casparius besuchte und einen dünnen Kaffee zu fettem Streuselkuchen trank, beneidete er den beleibten Kollegen mit glühendem Wunsch um seine kleine strickende Frau, um das altmodische Sofa, das so bequem war, und um die schreienden Drillinge. Von alledem war Wichmann ausgeschlossen. Er mußte hinübersehen, des Morgens, des Abends und manchmal des Nachts zu jenem Zaubergarten hinter dem Ahornbaum. Er mußte aus Träumen aufschrecken und Kollegen und Arbeit vernachlässigen. Was wußten die Philister davon? Seine Phantasie hatte ihm ein gefährlicheres Leben geschaffen, das sie nicht kannten und das er nicht mehr zu missen vermochte.
Alphonse …
Marion war traurig gewesen.
Als Oskar Wichmann an einem Morgen die gedruckte Einladungskarte zum »jour fix« erhielt, auf die er lange gewartet hatte, war seine Furcht vor sich selbst größer als seine freudige Erwartung. Aber die Lockung siegte.
5
Der frühere Dienstschluß am Donnerstag erlaubte Oskar Wichmann, sein Amtszimmer schon um sechzehn Uhr zu verlassen. Er lief im Korridor Fräulein Hüsch in die Arme, die im Pelzmantel, mit schiefgesetzter Kappe aus der Bücherei kam und eben den zweiten der gefütterten Handschuhe anzog. Das Blitzen des Brillanten verschwand unter der braunen Hülle.
»Herr Wichmann! Hören Sie … wo laufen Sie denn hin? Wollen Sie sich erst umziehen?«
»Wieso umziehen?«
»Tun Sie doch nicht so. Sie ham doch auch die Einladung?«
»Was für eine?«
»Übermäßiges Zieren verrät schlechtes Gewissen. Korts und Casparius kommen auch. Wir überfallen Sie jetzt in Ihrer Bude, und dann gehen wir alle zusammen.«
»Ich hatte nicht die Absicht, heute gleich loszustolpern. Es kann ja ebensogut noch an einem der folgenden Donnerstage sein.«
»Aha! Der Groschen ist gefallen. Recht ham Sie. Aber der Korts will durchaus gehn, weil er gehört hat, daß ich geh’. Sie ham übrigens recht, er ist eifersüchtig, hi-hä … und den Casparius schiebt er vor, damit es nicht so aussieht, als ob bloß er … und so kommt die Herde zusammen!«
»Wenn es Ihnen nicht paßt, Gnädigste, als Massenerscheinung aufzutreten, so wickeln Sie den Faden einfach wieder ab. Sagen Sie, Sie gehn doch nicht, dann bleibt Korts weg, und Kaspar macht sich nicht allein auf den Weg.«
»Ham Sie eine Ahnung. Wenn ein Stier im Laufen ist, hält ihn so leicht nicht wieder etwas auf. Er ist ja schon weg, um sich umzuziehen, und Casparius auch, und ich hab’ gesagt, wir treffen uns ganz einfach bei Ihnen. Wenn Sie uns nie einladen, Sie Geheimniskrämer, müssen wir eben mal mit Gewalt in Ihr geheimrätliches Asyl einbrechen!«
»Der Überfall freut mich natürlich sehr, gnädiges Fräulein, ich habe nur leider gar nichts vorbereitet und nichts anzubieten.«
»Eine Tasse Tee wird’s schon geben. Ein paar Käsestangen helf ’ ich Ihnen auch noch einkaufen. Im übrigen wollen wir uns den Appetit nicht verderben für die Grevenhagenschen Platten. Sind Sie bös?«
Die Augen spielten, während die Wangen sich im scharfen Luftzug röteten. Man ging mit vorgeneigtem Kopf, die Hand am Hut, über den Königsplatz, auf dem der Wind den Schnee verstäubte.
»Ich überlasse mich Ihrer Initiative, Gnädigste. Kaufen Sie ein und erlauben Sie mir, das Paket zu tragen. Den Tee werden wir schon bekommen.«
Martha versuchte ihre Überraschung zu beherrschen, als Wichmann mit einer Dame die geheimrätliche Wohnung betrat. Sie half Fräulein Hüsch aus dem Pelz. Ein myrtengrünes Georgettekleid mit langen, durchsichtigen Ärmeln kam zutage; ein kleines, kostbares Schmuckstück zierte den vollen Hals. Die Toilette vor dem Spiegel mit Kamm und Puder nahm mehr Rücksicht auf die sachlichen Erfordernisse der Schönheit als auf die subjektiven Gefühle Wartender. Wichmann flüsterte Martha etwas von drei überraschenden Gästen und einer Kanne Tee zu. Bei dem Begriff »noch zwei Herren« war die Achtung des Mädchens vor dem Mieter der Geheimrätin offenbar in vollem Maße wiederhergestellt.
Fräulein Hüsch trat in Wichmanns Zimmer ein. Sie blieb stehen und schaute sich ungeniert um, rückte den Armstuhl und den kleinen Tisch ein wenig anders, gruppierte Kissen auf der Couch und brachte eine Vase zum Verschwinden. Wichmann gestand vor sich selbst ein, daß das Mädchen in diesem allem recht hatte. Es schien Dinge zu geben, in denen ihre Hand geschickter war als im Ordnen juristischer Kommentare.
Martha brachte Decke und Tassen. Der Rauchtisch wurde zum Teetisch umdekoriert, und Fräulein Hüsch ließ sich auf der Couch nieder. Sie schlug die Beine übereinander, die Seidenstrümpfe glänzten, der Rücken versank in weiche Kissen, und sie nahm dankend Zigarette und Feuer von dem in sein Schicksal ergebenen Kavalier.
»Ganz nett ham Sie’s hier. Aber das Bild würd’ ich weghängen. Immerzu die Leiche zum Anschauen?«
Wichmann betrachtete die gescholtene Ölkopie der Rembrandtschen Anatomie, die über seiner Couch hing.
»Memento mori, Gnädigste.«
»Nein, furchtbar! An so was denkt man besser nicht. Überhaupt … lauter Männer mit Hüten. Aber ich brauch’ es ja nicht anzuschauen. Durchs Fenster haben Sie einen hübschen Blick.«
Wichmann stand an den Scheiben und sah auf die Straße hinunter. Korts und Casparius kamen eben von der Parkseite in die Kreuderstraße herein, im steifen Hut und guten Überzieher. Casparius war keine üble Figur, wenn er sich gut anzog. Der ungesehen Beobachtende wartete, ob die beiden Fußgänger ihre Schritte seinem Hause zulenken würden, aber sie schienen nicht dergleichen zu beabsichtigen, sondern unmittelbar der Kreuderstraße 3 zuzustreben. Wichmann mißfiel die Aussicht, dem Fräulein Hüsch allein ausgeliefert zu sein; er öffnete das Fenster und pfiff, und als die Kollegen heraufschauten, winkte er.
Korts wurde wieder einmal rot, Casparius lachte, dann folgten die beiden dem Zeichen und kamen.
»Wir haben das nicht ernst genommen«, erklärte Korts im Klubsessel. »Sie haben sich eine Hausfrau zugelegt?«
Wichmann war versucht zu antworten, die Hausfrau habe sich ihn zugelegt, aber er schluckte die Bemerkung, die ihm schon auf der Zunge war, hinunter und lächelte nur nichtssagend. Fräulein Hüsch goß Tee ein. Die Käsestangen fanden bei Casparius lebhaften Absatz.
»Jetzt bin ich neugierig …«
»Ha, des sind mir alle, Gnädigschte. Der Unterschied ischt nur, worauf sich unsere Neugier richtet. Für mich zum Beispiel wird es entscheidend sein, ob ich Sardelle krieg’ oder Schinken. Bei Schinken bin ich guter Laune und bei Sardelle schlechter, und mein Urteil über das Haus Grevenhagen wird nicht unwesentlich von dieser Frage abhängen.«
»Ich möchte mal wissen …«
»Na, was denn, liebes Fräulein Hüsch? Drei Ritter sind pflichtgemäß neugierig zu wissen, worauf eine so erfahrene Dame denn noch neugierig sein kann?«
»Ham Sie den Musa auf dem Ball gesehen?«
»Ha freilich. Ich hab’ immer drauf gewartet, daß der Dirigent ein Zeiche mit dem Taktstock geben würde und daß der Musa dann zu singe anfängt. ›Weh … wehe … Verderben … ‹ oder was sonscht ein Rachegeischt in der Oper singen kann. So ung’fähr.«
»Was der für Augen gemacht hat! Getanzt hat er nicht ein einziges Mal. Sie übrigens auch nicht, Herr Korts. Worauf läßt das schließen?«
»Auf männliche Überlegenheit, gnädiges Fräulein.«
»… oder auf Minderwertigkeitskomplexe und rasende Eifersucht …«
»Ach? Von dem Musa bilden Sie sich auch ein, daß er in Sie verliebt ist?«
»Höflich sind und bleiben Sie, Herr Korts, das muß Ihnen der Neid lassen. Auf ein bißchen mehr Anstand können Sie aber ruhig trainieren, wenn Sie jetzt zu Grevenhagen hinübergehen wollen.«
»Und Sie können ein bißchen auf Dame lernen.«
»Was soll das heißen?«
»Daß sich eine Dame nicht so hinsetzen würde, wie Sie hier sitzen.« Korts Augen hatten sich auf die Knie gerichtet, die von den Georgettezipfeln weit hinauf freigegeben waren.
»Sie sind wohl verrückt, mir Derartiges zu sagen? Was fällt Ihnen denn eigentlich ein? In Ihrer Wohnkultur daheim hat es vermutlich keine Couch gegeben, auf der sich eine Dame niederlassen könnte?«
Korts sprang auf. Sein Gesicht war puterrot bis zu den Schläfen. »Fräulein Hüsch …!«
Das Mädchen blies den Rauch der Zigarette herausfordernd in die Luft. Einen Augenblick war es, als ob Korts sich auf sie stürzen würde, dann aber wandte er sich um und trat zum Fenster. Seine Hände verschränkten sich auf dem Rücken.
»Das bereuen Sie noch …«, sagte er, ohne sich umzusehen.
Fräulein Hüsch schlug die Asche ab und lächelte vor sich hin.
»Heut probier’ ich mal, ob Grevenhagen wirklich für alle anderen Frauen unempfindlich ist. Jeder Typ wird jedem Mann schließlich auf die Dauer langweilig …«
Korts kam vom Fenster zurück. »Gut, daß Sie das selber einsehen. Eben ist übrigens Ihr Musa drüben durch die schmiedeeiserne Pforte gewandelt.«
»Ein interessanter Mensch, finden Sie nicht auch, Herr Wichmann? Wieso verkehrt er eigentlich bei Grevenhagen? Durch den Dienst oder durch den Klub?«
»Das weiß niemand. Aber Sie finden auch, daß er merkwürdig ist, nicht wahr? Daß sich Grevenhagen einen solchen Salonbolschewisten hält, das ist doch erstaunlich!«
»Ha, das beschte wird sein, wir beobachten das Tun und Treibe von diesem verdächtige Subjekt einmal aus persönlicher Nähe … Ihre Käsekringle waren wirklich net schlecht, Fräulein Hüsch, aber sie ware halt und sind nicht mehr, und so wolle wir auch einmal gucke, was es jetzt gegenüber zu speise gibt! Wichmann! Werfe Sie sich in ihre Galagarnitur. Mir gehe solang ’nüber in den geheimrätlichen Salon. Aber beeile Sie sich!«
»Ja, gehen wir. Aber Musa zieht bestimmt die Sardellenbrötchen vor. Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Casparius, daß Sie für den Schinken zu spät kommen.«
Die Gesellschaft entschwand in den Empiresalon. Wichmann zog sich um.
Als er fertig und dabei war, Fräulein Hüsch in den Mantel zu helfen, hörte er Casparius brummen: »Sardelle und Sumpfblüte …«
Wichmann warf einen raschen Blick auf Casparius, aber als der andere ihm offen begegnen wollte, machte er eine halbe Wendung, um seinen Hut von dem Ständer zu nehmen und mit scheinbarer Aufmerksamkeit daran herumzudrücken, bis er gut saß.
Nach dem kurzen Weg durch die Kälte legten die Kollegen in der warmen und hell erleuchteten Diele des Hauses Kreuderstraße 3 ab; leise Stimmen und Schritte waren aus den Empfangsräumen der vorderen Front zu hören, und ein Diener ging mit einer großen abgegessenen Platte vorbei.
Die Kollegenschaft fühlte sich von dem Schimmer der Erwartung berührt und auf eine höhere Stufe angenehmen Lebensgefühls gehoben.
Fräulein Hüschs gute Figur, der grüne Georgette, ihr kleiner passender Seidenturban, machten als Gesamteindruck keinem ihrer Kavaliere den Vorwurf, daß er mit einer unansehnlichen Dame gekommen sei. Korts folgte ihr in einer Haltung, als ob er in den Kampf ziehe.
Wichmann beobachtete noch, wie die beiden in den ersten Salon eintraten, als er selbst angesprochen wurde und ihnen nicht länger nachsehen konnte.
Schildhauf hatte ihn aufgespürt. »Kommen Sie mit mir, Wichmann, ich bringe Sie durch das Getümmel zur Hausfrau …«
Die beiden Herren gingen ohne Eile durch das Zimmer mit den dicken Teppichen, in dem das Büfett aufgestellt war. Hier verloren sie zwischen kommenden und gehenden Gästen den Kollegen Casparius, der Toasts mit Schinken entdeckt zu haben schien. Im Herrensalon flackerte wieder das offene Kaminfeuer, das Wichmann schon kannte. Rotes Leuchten und knackendes Knistern waren in der Dämmerung noch stimmungsvoller als am Morgen. In den Sesseln saßen ansehnliche Herren mit markanten Köpfen; sie betrachteten das Abglühen edler Zigarren und stießen Rauch aus, ehe sie ihre Bemerkungen mit entschiedener Stimme vorbrachten. Schildhauf und Wichmann grüßten Herrn von Linck, der sichtlich erfreut dankte.
Der Regierungsrat leitete den Assessor weiter zu dem Musiksalon, dessen blankes Parkett nicht viel mehr als den schwarzglänzenden Flügel und einige zierliche Stühle trug. In der Ecke stand eine große schlanke Vase mit Orchideenzweigen, deren jeder das Monatsgehalt eines Regierungsassessors gekostet haben mochte. In unscheinbaren Farben und seltsamen Formen lebten diese Blüten, deren Seltenheit das menschliche Herz reizte.
Damen und einige jüngere Herren standen in kleinen Gruppen umher. Seide und kostbares Tuch flossen um gepflegte Gestalten. Die Kerzenbeleuchtung schmeichelte den Farben und Formen durch ihre milde Helle und belebte sie durch den Wechsel von Schatten und Schein. Das gedämpfte Licht erlaubte es, durch die dunkel scheinenden Fenster noch hinauszusehen zu Bäumen und mondflimmerndem Schnee.
Als Wichmann bei der Frau des Hauses die Grußform des Handkusses leistete, wagten seine Lippen nicht, ihre Hand dabei zu berühren. Er sah das abwesend-höfliche Lächeln ihrer Lippen, das sie ihm fremd machte, und hörte ihre dunkle Stimme, mit der sie zu anderen wenige gleichgültige Worte sprach.
Der Flügel wurde geöffnet. Eine Künstlerin entlockte ihm die tänzerische Anmut einer Mozartsonate, aber das waren nicht die Klänge, in die Marions Bild sich lösen konnte. Es war matter und geheimnisvoller. Sie trug auch heute ein dunkles, ganz geschlossenes Kleid. Ihr Haar hatte einen nicht beschreibbaren Schimmer, ihre Hautfarbe war wie Elfenbein. Die Damen und die Herren sprachen zu ihr, und sie folgte ihren Worten mit dem gleichbleibenden Lächeln, das ihre Traurigkeit verdeckte. Selten antwortete sie; ihr »Ja« und ihr »Nein« hatten einen nachdenklichen Klang, so, als ob immer noch eine Frage nach dem Sinn alles Sprechens zurückbleibe.
Wichmann stand blaß neben Schildhauf an der seidenbespannten Wand und begehrte mit einem Blick, in den sich sein Blut zusammendrängte, die einzige Bewegung, die sie ihm noch einmal enthüllte. Aber die Herrin des Hauses war von unsichtbaren Schilden umgeben.
»Zum Wahnsinnigwerden«, sagte Schildhauf. »Sie ist die einzige Frau, die einen modernen Mann noch verrückt machen kann. Sehen Sie sich an, was darum herumsteht – nichts als Fabrikware, hundertfach auswechselbar. Aber sie ist einmalig. Ich kann Grevenhagen verstehen!«
Durch die Tür zum Herrensalon, die halb geöffnet war, wechselten Gäste herüber in das Musikzimmer. Herr von Linck zeigte, daß es ihm eine Ehre war, mit Marion Grevenhagen eine Unterhaltung zu führen. Sie sah den alten Herrn voll und lächelnd an, aber auch ihm gelang es nicht, die Luft zu durchdringen, die zwischen ihr und allen anderen lag. Wichmann dachte daran, daß sie ihn um einen Tanz gebeten hatte, und er war nicht gekommen.
»Haben Sie Musa gesehen?« fragte er Schildhauf leise und heiser.
»Den harmlosen Irren? Er war vorhin da. Vielleicht ist er schon wieder gegangen. Kennen Sie ihn?«
»Er arbeitet in der Abteilung II.«
Die beiden Herren wurden aus ihrer Zurückgezogenheit aufgestört. Bekannte des Regierungsrates aus dem diplomatischen Dienst zogen ihn und Wichmann in den Kreis.
Man sprach von Theater und Konzert und einigen neuen Büchern. Grevenhagen selbst zeigte sich und machte eine spöttische Bemerkung über Emil Ludwig.
»Oh, lieben Sie historische Romane nicht, Herr Ministerialrat?«
»Ich will Ihnen das Vergnügen an dieser Art Geistigkeit nicht verderben, gnädige Frau, ich möchte Sie nur darum bitten, mich als Mann davon zu beurlauben.«
»Aber wie …?« Die Dame mit dem Pagenkopf wurde interessiert. »Glauben Sie nicht, daß gerade der historische Gegenstand des männlichen Interesses besonders würdig ist?«
»Der Gegenstand ohne Zweifel. Aber die zumeist recht intime Behandlungsart entspricht doch mehr dem Boudoir als dem Klubsessel.«
»Oh? Aber auch Herren können sich doch geistig nicht wie unter Denkmälern bewegen. Auch die bedeutenden Menschen waren aus Fleisch und Blut!«
»… und hatten nicht auch sie ein Recht auf Diskretion?«
»Wer das allgemeine Schicksal bestimmen will, lebt auch öffentlich und darf nicht klagen über das öffentliche Interesse.«
»Der Gedanke ist sehr erwägenswert, vielleicht ist er sogar richtig. Die großen Menschen dürfen nicht klagen. Aber vielleicht vermögen einige der Kleineren freiwillig haltzumachen vor dem Persönlichen.«
»Ich glaube nicht, daß man irgendwo auf Erkenntnis verzichten sollte.«
»Sie sind der Literatur und dem intellektuellen Interesse ergeben. Ich darf mich darin nicht mit Ihnen messen, gnädige Frau. Ich sattle viel zu häufig das Roß und sprenge in die Gedankenlosigkeit hinein.«
»Reiter und Pferd sind nichts Ungeistiges«, sagte Oskar Wichmann in die entstehende kleine Pause hinein. »Ich glaube, daß sich die Begegnung des feinstempfindenden und stolzesten der Tiere mit dem Menschen unter allen Sportarten als etwas Besonderes hervorhebt. Die Einheit, die sich aus Wissen, Willen, Beherrschung und körperlicher Kraft ergibt, kann zu einem Bildwerk geläuterter Kultur werden. Bei dem Anblick eines vorzüglichen Reiters auf vorzüglichem Pferd habe ich immer noch am ehesten die Empfindung, mit der die Griechen einen schönen Körper und die Geistigkeit einer schönen Lebensführung zusammen geschaut haben mögen.«
»Das haben Sie ausgezeichnet gesagt!« rief von Linck.
»Grevenhagen, unser junger Herr Wichmann ist wert, Ihre Grauschimmel besichtigen zu dürfen.«
Das Gespräch kam auf diese Tiere und Wichmann erfuhr, daß ihr Kauf in Kennerkreisen Staub aufgewirbelt hatte. Die Dame mit dem Pagenkopf erkundigte sich anschließend nach Tips für die Rennsaison des nächsten Frühjahrs, und zwei Herren wußten über geheime Hoffnungen verschiedener Ställe Auskunft zu geben.
Marion löste sich aus der Unterhaltung, an der sie nur durch ihre Anwesenheit teilgenommen hatte, und ging langsam durch die offenstehende Tür nach dem Salon, in dem das Kaminfeuer brannte, und von dort weiter in den ersten Empfangsraum mit dem Büfett. Sie hatte nur ein einziges Mal auf Oskar Wichmann gesehen, fragend, fast befremdet.
Und war doch im Tanz die Seine gewesen.
Der junge Mann stand noch im Kreise Grevenhagen gegen über. Das war der Herr, der durch Geburt, durch Reichtum und Erfahrung besaß, was Wichmann immer unerreichbar blieb, und er konnte mit grauem Haar herablächeln auf den Jüngeren, den er nicht zu fürchten brauchte.
Oskar Wichmann erinnerte sich, daß die gesellschaftliche Übung es erlaubte, an einem »jour fix« ohne Zwang zu kommen und zu gehen. Als das Gespräch die ersehnte Pause machte und die Gruppe der Sprechenden sich auflöste, ging er für sich allein durch die Flucht der ineinander laufenden Räume zurück. Schildhauf war bei von Linck hängengeblieben.
Im Salon am Kamin schwoll ein dröhnendes Lachen alter Herren auf, und der Vorübergehende bemerkte Fräulein Hüsch, die einen Kranz betagter und vermögender Verehrer gefunden hatte. Sie saß in einem kleinen Sessel, kühn das Knie entblößend, und rauchte. »Wenn Sie den Kuß als ›Drucksache‹ auffassen wollen, hat er mit Aktenbündeln allerdings etwas zu tun«, sagte sie eben.