Kitabı oku: «Zwei Freunde», sayfa 14
»Wollen Sie bitte Platz nehmen. Ich muß Sie noch einen Augenblick um Geduld bitten.«
Der Ministerialrat las ein Schriftstück durch und machte sich darinmit Blaustift verschiedene Merkzeichen. Wichmann beobachtete ihn dabei. Er sah die Züge, die um die Mundwinkel abwärts führten, die scharfe und gerade Nase, die gewölbte Stirn mit den etwas eingefallenen Schläfen. Das war der Mann, der hart geblieben war, als Marion sich in Angst um den Bruder gewunden hatte. Aus dem blassen Nordhimmel seiner Augen hatte er dieses Geschöpf betrachtet, in dem das Blut geheimnisvoller kreiste und dessen Körper weich war. Er hatte nein gesagt. Vielleicht hatte Marion gezittert und vergeblich gesucht, sich an ihn zu lehnen. Er war ruhig geblieben; mit gleichmäßigen ritterlichen Manieren und beherrschter Stimme hatte er sie abgewiesen. Sie, die ihm mit ihrem Körper gehören mußte, lag die Nächte hindurch mit schmerzenden Augen wach, bis sie bei einem Fremden Hilfe suchte.
»Was führt Sie zu mir, Herr Assessor?«
Wichmann schrak unter der Stimme auf.
»Eine persönliche Frage, Herr Ministerialrat. Einige Dispositionen, die ich jetzt treffen muß, machen es mir wichtig, etwas über die ungefähren Aussichten und Möglichkeiten meines beruflichen Vorwärtskommens zu erfahren.«
Über die Seele des Vorgesetzten schien der zweite, der eiserne Vorhang herunterzugehen. »Darüber kann ich Ihnen leider keine bindende Auskunft geben, Herr Assessor!«
»Das habe ich auch nicht erwartet, Herr Ministerialrat. Ich bin noch nicht lange hier, und ich weiß nicht, ob meine Arbeiten Ihre volle Zufriedenheit verdient haben. Meine Frage geht nur auf einen allgemeinen Rahmen, auf die üblichen Möglichkeiten.«
»Auch da bin ich leider überfragt, Herr Assessor. Obwohl die Stufen des Avancements festliegen, ist über die Zeit, in der man die einzelnen erreicht, nur schwer etwas zu prophezeien. Das Tempo wechselt, von Person zu Person und von Mal zu Mal. Die Umstände, die mitsprechen, sind sehr vielfältig, und speziell in Ihrem Falle gibt es keinerlei Erfahrungsregeln, denn Herr Casparius und Sie sind für uns ernennungstechnisches Neuland. Sie beide sind die ersten Herren, die in unser Ministerium schon als Assessor und nicht erst als Regierungsrat einberufen wurden.«
»Die Hoffnung, bei den jetzt bevorstehenden Ernennungen schon mit einer Planstelle berücksichtigt zu werden, würde wohl sehr vermessen sein?«
Grevenhagens verdeckter Blick schien sich auf das Schriftstück zu richten, in dem er die blauen Merkzeichen gemacht hatte.
»Ich müßte Sie bitten, sich hierüber mit der Personalabteilung unmittelbarin Verbindung zu setzen. Die Entscheidung über die Ernennungen hängt nur in geringem Maße von mir persönlich ab.«
Wichmann war wie einem Fechter zumute, dessen Stöße nicht berühren. Er war erregt.
»Dürfte ich bei einer solchen Vorsprache voraussetzen, daß ich von der Abteilung aus vorgeschlagen bin?«
»Für eine Auskunft hierüber ist der Abteilungsleiter, Herr Ministerialdirektor Boschhofer, allein zuständig. Wenden Sie sich an ihn.«
»Ich möchte keinen Schritt tun, Herr Ministerialrat, aus dem von irgendeiner Seite geschlossen werden könnte, daß ich mit der Behandlung meiner Personalangelegenheiten unzufrieden sei.«
»Das steht nicht zu fürchten. Sie können Herrn Ministerialdirektor Boschhofer sagen, daß ich Sie gebeten habe, sich an ihn unmittelbar zu wenden.«
»Ich danke, Herr Ministerialrat.«
Der Assessor ging. Ja – Grevenhagen, das war der Mann, der Marion hatte abweisen können. In Wichmann begehrte es auf. Ein weniger aalglattes Verhalten seines Vorgesetzten glaubte er durch seine Leistungen verdient zu haben.
Es war ihm jetzt unmöglich, seine Arbeit wiederaufzunehmen. Er griff nach dem Telefon und meldete sich bei Boschhofer an.
»In einer halben Stunde«, gab Frau Laura Lundheimer Bescheid.
Auch diese halbe Stunde ging vorüber, und Wichmann erschien im ersten Stock.
Frau Lundheimer hatte den Kostümrock eng um die dicken Hüften gespannt. Die Ärmel ihrer Bluse waren kurz, der Ausschnitt tief. Unter nachgezogenen Augenbrauen schauten die Augen auf den eintretenden Assessor. Die Hände gaben das Spiel über den Tasten auf.
»Guten Morgen, Frau Lundheimer …«
»… Herr Doktor! Es tut mir furchtbar leid – der Ministerialdirektor ist noch nicht da. Wollen Sie noch etwas Platz nehmen und warten?«
Wichmann setzte sich.
Frau Lundheimer betrachtete das junge Blut mitleidig-verständnisvoll und gesprächslustig. »Nun sind Sie schon ein paar Monate in unseren Arbeitsräumen. Ich erinnere mich noch gut, wie Sie hierherkamen.«
»Ja. Im Herbst. Und nun sitze ich da, immer noch Assessor!«
»So ehrgeizig?«
»Nicht einmal. Aber ich möchte jetzt einiges für meine Zukunft festlegen.«
Frau Lundheimer lachte. »Da haben Sie recht. Sie wollen sich doch nicht etwa verloben? Weil Sie von Zukunft sprechen?«
»Das kommt ja für unsereinen gar nicht in Frage, Gnädigste. Bei dem Tempo der Beamtenkarriere muß man entweder Privatvermögen haben oder Schlaganfallkandidat werden – und dann seine Pflegerin heimführen. Vorher reicht es nicht zum Heiraten.«
»Oh!« Frau Lundheimer legte den Kopf schief und blickte neckisch.
»Sind alle Frauen so anspruchsvoll? Steht es wirklich so schlimm um Sie?«
»Natürlich. Sie wissen doch, daß ich von der Liste wieder gestrichen worden bin.«
»Wirklich? Warum vermuten Sie das? Haben Sie irgendeine Dummheit gemacht?«
»Vielleicht bin ich im Mondschein über Dächer gewandelt, ohne es zu wissen. Haben Sie mich nicht beobachtet?«
Frau Lundheimer schüttelte die festgerollten blondierten Locken. »Sie haben noch Humor, Herr Doktor. Nein, ich beobachtete gar nichts. Aber überlegen Sie selbst! Vielleicht finden Sie den Grund Ihres Mißgeschicks heraus? An irgend etwas muß es doch liegen!«
»Mein Verstand geht ebenso zu Ende wie das Rechnungsjahr, Gnädigste. Meine Harmlosigkeit ahnt ja nicht einmal, was für Beweggründe hier überhaupt über Ernennung oder Nicht-Ernennung zu entscheiden pflegen.«
»Ja, wer soll das sagen? Die Leistung natürlich und das Dienstalter und wohl auch die sozialen Verhältnisse … und was dann eben noch so dazukommt, wenn die Waagschale schwankt.«
»Was sind das dann noch für rätselhafte Gewichte?«
»Tscha, wir sind alle Menschen, Herr Doktor. Ministerialdirektor Boschhofer scheint Ihnen sehr gewogen zu sein.«
»Und wer ist mir nicht gewogen?«
»Wer soll das wissen? Eine Ernennung durchläuft einen langen Instanzenweg. Wesentlich ist natürlich die Stellungnahme Ihres eigenen Referenten, möchte ich meinen.«
»Des Ministerialrats Grevenhagen? Ist er mir weniger gewogen?«
»Mit Bestimmtheit kann man dergleichen weder behaupten noch bezweifeln. Aber glauben Sie nicht auch, daß Grevenhagen furchtbar empfindlich ist?«
Wichmann betrachtete seine Finger auf der runden Tischplatte.
»Gilt er dafür?«
»Man sagt es, beklagt es, aber das müssen Sie ja als sein Untergebener am besten wissen. Ich habe kaum etwas mit Grevenhagen zu tun. Sie haben ihn doch nicht irgendwie gereizt?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Es ist den Herren manchmal schwer, Persönliches und Dienstliches auseinanderzuhalten. Die Mannesnatur ist so kompliziert – leicht verletzbar – als Sekretärin weiß ich davon leider mehr als genug zu erzählen.«
»Liebe Frau Lundheimer, es ist mir bekannt, daß Sie Ihre Schweigeverpflichtungen auf das peinlichste einhalten. Ich möchte Sie auch gewiß nicht verführen, in bezug auf meine Person irgendeine Ausnahme zu machen. Aber Sie begreifen, daß es mir darum zu tun ist zu erfahren, was denn nun eigentlich gespielt wird. Können Sie mir nicht – aus menschlichem Gefühl – irgendeine Andeutung machen?«
Frau Lundheimer kräuselte die Stirn und summte eine Tangomelodie: »Gelbe Rosen …«
Der Assessor zog die Finger, die auf der Tischplatte gelegen hatten, zur Faust zusammen.
»Tja, Herr Doktor, ich wüßte nicht, was ich weiter sagen sollte.«
»Ich danke Ihnen.«
Die Sekretärin begann wieder zu tippen, aber ein Anruf unterbrach sie.
»Ja … ja … jawohl, Herr Ministerialdirektor …«
Das Telefongespräch war rasch beendet.
»Das ist ja dumm, Herr Doktor! Der Ministerialdirektor kommt heute gar nicht mehr hierher. Er hat noch eine Besprechung im Staatsministerium und tritt heute abend schon die geplante Dienstreise an. Er wird wohl eine Woche wegbleiben.«
»Dann ist nichts zu machen. Ich danke Ihnen jedenfalls.«
»Vielleicht … in der Personalabteilung direkt haben Sie keine Beziehungen?«
»Dort bin ich persönlich ganz unbekannt.«
»Dann hat es auch keinen Zweck, daß Sie hingehen, gar keinen. Haben Sie mit Grevenhagen schon gesprochen?«
»Ja.«
»Wie ’n Krebs im Gehäuse, nicht? An die Weichteile kommt man bei ihm nicht ’ran. Und dann doch wieder gleich gekränkt. Ein sehr schwieriger Charakter.«
Assessor Wichmann saß wieder in seinem Dienstzimmer und arbeitete unter dem Stachel der Überzeugung, ungerecht behandelt worden zu sein. Wenn eine gröbere Natur dieser Lage vielleicht zum Anlaß genommen hätte, nachlässig oder aufsässig zu werden, so sonnte er sich im Gegenteil in dem Gefühl, untadelig zu handeln. Ja, die dienstlich unberechtigte und kalte Abweisung; die er von Grevenhagen erhalten zu haben glaubte, brachte ihn in eine neue Empfindungsgemeinschaft mit Marion, die unter demselben Manne litt. Er glaubte es ihr, seiner Liebe und sich selbst schuldig zu sein, daß er in einer unangreifbar edlen Haltung blieb, die die erfahrene Ungerechtigkeit um so schwärzer färbte. Nur so würde es ihm möglich sein, die Enttäuschung seines Ehrgeizes, den Spott der Kollegen zu ertragen und um so inniger an die geliebte Frau zu denken. Ihre Gestalt wandelte sich in seiner Phantasie immer mehr und wurde aus einer rätselhaften Schönen zu der Unglücklichen, seiner Hilfe Bedürftigen, für die er der Retter sein durfte, ohne die Gesetze der Ehre und Pflicht zu durchbrechen. Es war ein Reiz besonders feiner Art, der ihn jetzt mit ihr verband.
Den Ministerialrat unterrichtete er nicht davon, daß Boschhofer vorläufig nicht zu sprechen sei. Er war zu stolz, um von Grevenhagen nochmals in der Rolle des Bittstellers zu erscheinen. Er hatte Qualen durchgemacht, um sich von Marion innerlich zu lösen und das Recht des andern zu achten, aber dieser andere scheute sich nicht, eine erbärmliche Rache zu nehmen, wo er seinen Besitz begehrt glaubte. Die Scham, die Oskar Wichmann vor den hellblauen Augen empfunden hatte, war verflogen.
Seine Rolle bei der Tafelrunde um die Mittagszeit fiel ihm jedoch schwerer, als er geglaubt hatte. Das Gerücht von seinem Mißerfolg schien bereits durch alle Türen und Ritzen gedrungen zu sein. Erst sprachen die mitleidig-neugierigen Augen der Kollegen davon, dann die Andeutungen, endlich die offenen Worte. Fräulein Hüsch machte aus ihrem Mitempfinden kein Hehl, aber es war Wichmann unerträglich, von einem Weib bemitleidet zu werden. Er antwortete gereizt. Von allen, die sprachen, war Korts noch derjenige, dessen Meinung man am ehesten Geschmack abgewinnen konnte. Er sagte geradeheraus, daß es sich bei der Karriere um einen Kampf mit Wechselfällen handle. Wichmann habe jetzt Pech gehabt. Der Assessor müsse sehen, wie er die Scharte später einmal auswetze. Casparius blieb, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, ganz still.
Erst auf dem Nachhauseweg begann Wichmann, den vollen Grad seiner eigenen Wut zu bemerken. Als ihn seine Bude vor aller Neugier barg, warf er die Aktentasche mit Heftigkeit auf den Schreibtisch und ließ sich auf den steifen Lehnstuhl fallen. Unfähig sich zu fassen, stierte er nach der grünen Tapete und fühlte die Welle des Zornes in sich steigen wie aufkochendes Wasser. Ausgerechnet Grevenhagen. Er war es wert, daß man ihn hatte schonen wollen! Arme Marion!
Es war finster im Zimmer, als der Assessor sich immer noch nicht gerührt hatte. Martha klopfte vorsichtig. Ob dem Herrn Doktor etwas fehle? Ob er noch eine Tasse Tee wünsche? Oder etwas zu essen?
Nein, danke, er wollte nicht essen. Aber einen Tee – ja, einen Tee bitte.
Martha brachte entgegen der Anweisung auch Eier und Brötchen zu dem Getränk. Der seelisch Verwundete ließ sich diese Pflege stillschweigend gefallen und aß. Als das Geschirr und Martha wieder aus seinem Zimmer verschwunden waren, begab er sich in den Klubsessel, rückte die Stehlampe heran und zog die Brieftasche.
»Boston nach der Pause. M. G.«
»… zwanzigtausend Mark erhalten zu haben …« – »Konto der … Gutsverwaltung …«
Das waren ihre Schriftzüge. Wer litt stärker? Sie? Er selbst? Es war alles zu ertragen im Bewußtsein der Gemeinschaft mit ihr. Aber die Erfahrung Grevenhagen schmerzte noch.
Mit der Oper war es jetzt aus, Oskar Wichmann mußte sich nun auch ein billigeres Zimmer suchen. Er mußte Schluß machen mit der Kreuderstraße. Ach, Marion! Du bleibst bei dem Mann, der dein Haar mit Diademen schmückt und deinen Bruder sterben läßt.
Wichmann glaubte verrückt zu werden, wenn er sich nicht ablenkte. Er mußte seinen Verstand beschäftigen. Womit? Der Inhalt der Zeitung war lächerlich, die Bücher wirkten alle schal, ihre Philosophie war nichts als Papier.
»Boston nach der Pause. – M. G.«
Wie? Wußte er immer noch nicht, wer diese Worte geschrieben hatte?
Es war das einzige Rätsel, das ihn anzog. Er wollte es jetzt lösen. Er befahl sich selbst, die Ernennungsliste aus seinen Gedanken fortzuräumen.
»Boston …«
Nein. Zuerst das Papier. Wer konnte einen solchen Zettel in Besitz gehabt haben? Marion. Wer sonst? Ihr Gatte. Der schied aus anderen Gründen aus. Wichmann lachte leise. Wer sonst? Jemand, der aus Zufall das gleiche englische Notizbuch besaß. Unwahrscheinlich. Wer sonst? Jemand, der sich von Marion einen solchen Zettel erbeten hatte. Möglich? Ja, möglich! Wer konnte sich einen solchen Zettel von Marion erbitten, an dem Abend, in der Stunde, in der er ihn zu seinem Bubenstreich brauchte? Nur jemand, der Marion kannte, vielleicht mit ihr tanzte – oder der mit ihr am Tisch saß. Am Tisch saß? Ja. Hier war weiter zu grübeln. Wer hatte am Tisch dieser Loge gesessen? Grevenhagen – schied aus – Boschhofer … Boschhofer? Nein, Boschhofer schied aus. Von Linck? Unmöglich. Die Silvia? Zu dumm und zu anständig, eine Schrift nachzuahmen. Der Staatssekretär? Phantasielos. Wer noch? Nischan … Nischan … Der Lauscher an der Tür? Nischan? Möglich. Wirklich? Fähig zu einer solchen Albernheit? Nicht ganz wahrscheinlich – doch möglich. Aber wie sollte man ihm auf die Sprünge kommen? Hätte sich Wichmann nicht mit Nathan derart gründlich entzweit, so hätte er den beauftragt, es zu erschnüffeln. Nischan? Es war eine nette Beschäftigung für eine schlaflose Nacht, sich die Wege auszudenken, auf denen man diesem Schleicher unbemerkt nachschleichen konnte.
Wichmann räumte zusammen und legte sich ins Bett. Morgen war wieder ein Tag, an dem er sich von den Kollegen bedauern und anschwatzen lassen mußte. Vielleicht war Casparius an seiner Stelle auf die Liste gekommen und verhielt sich deshalb mucksmäuschenstill. Die Ernennung war dem Tropf zu gönnen. Trotzdem … Wann wohl die Entscheidung bekannt wurde? Hoffentlich bald, damit der Schmerz ausgestanden war. Wenn die Entscheidung vorlag, konnte sich Wichmann um eine andere Stellung bemühen. Konnte er das? Als Assessor? Nach einem knappen halben Jahr Dienst in dem Ministerium? Das machte einen schlechten Eindruck bei jeder Bewerbung. Der Wohlwollendste würde nicht begreifen, warum Wichmann sich einbildete, in so kurzer Zeit schon Regierungsrat sein zu müssen, und andernfalls den Leuten den Krempel vor die Füße werfen wollte. Nein, das war kein Verhalten, mit dem er seiner Zukunft diente. Er war noch angeschmiedet und mußte aushalten. Der Geheimrätin machte er die Eröffnung wegen des Zimmers, sobald sein »Sitzenbleiben« feststand. Sie ließ ihn sicher einmal vorzeitig los, wenn er darum bat. Eine neue Bude wollte er sich bald suchen.
Nischan?
Er hatte keinen persönlichen Kontakt mit diesem widerwärtigen Menschen.
Wichmann mußte sich am Morgen auf den Weg machen, ohne einen bestimmten Plan zur Entlarvung des Verdächtigen gefaßt zu haben. Die ganze Frage erschien ihm im Frühlicht weniger drängend als in der Nacht, deren Dunkel alle Eindrücke ausschloß und nur das Innere arbeiten ließ. Schließlich war die erneute Beschäftigung mit dieser Angelegenheit eine Verstandesübung zur Ausschaltung der Gefühle gewesen, die einen Zurückgesetzten bewegen mußten. – Im Dienst arbeitete der Assessor mit Verbissenheit, und Fräulein Sauberzweig mußte die Lektüre der neuesten Kriminalgeschichte von Wallace in die Zeit ihrer Straßenbahnfahrten verlegen.
7
Der große Tag kam. Als Wichmann in den Morgenstunden in seinem einfachen Zimmer saß, trat Korts ein, im dunklen Anzug, im Haar die Zeichen des besonders sorgfältigen Kammstrichs.
Seine Augen leuchteten.
Er verhinderte die Mundwinkel nur mit Mühe, sich schon breit zu ziehen, ehe die bedeutende Nachricht ausgesprochen war.
»Ihnen kann man also gratulieren, Herr Teufelrobert?«
»Jawohl. Glückwunsch wird entgegengenommen.«
»Wer ist denn noch vom Glück heimgesucht worden?«
»Unser Chef ist Ministerialdirigent geworden und Casparius Regierungsrat.«
»Das freut mich.«
»Heute findet die Feier im Kollegenkreise statt. Ich lade Sie hiermit, auch im Namen des Kollegen Casparius, gebührend dazu ein. Wir treffen uns alle um sechs Uhr abends in der Weinstube.«
»Wer kommt denn?«
»Orient und Okzident; alles vom Assessor bis zum Ober, und natürlich Fräulein Hüsch. Der müssen Sie übrigens auch gratulieren. Sie ist eine Gehaltsgruppe höher gerutscht.«
»Ausgezeichnet. Dann kann ich ja meine Tätigkeit als Kreditinstitut ohne Skrupel etwas einschränken.«
»Grevenhagen und Nischan sind eingeladen. Vielleicht lassen sie sich mal blicken, aber das wird kurz und schmerzlos vorübergehen. Nischan ist sitzengeblieben, er spuckt natürlich Gift und Galle. Grevenhagen ist ihm jetzt endgültig übergeordnet, wie sich das der Abstufung der Intelligenz entsprechend gehört. Übrigens, wissen Sie schon das Neueste? Es wird ein drittes Referat geschaffen. Ein Ministerialrat Thugut kommt in unsere Abteilung herüber, älterer Herr, er ist ungefährlich. Boschhofer muß doch eine Mehrzahl von Untertanen haben. Nur so als Punkt über der Pyramidenspitze Grevenhagen zu schweben steht ihm schlecht. Es wird also künftig drei Referate geben, zwei davon unter Grevenhagenscher Dirigentschaft, mit Nischan als Zwischeninstanz im Orient, und ein drittes selbständiges mit Thugut, und über allem thront Boschhofer.«
Als Korts das Zimmer verlassen hatte, fing Wichmann an, 25 Buchstaben auf ein Blatt Papier zu malen. In Reihenfolge mußte er gratulieren? Grevenhagen – Hüsch – Casparius. Er hatte schon als Junge immer den weniger schmackhaften Teil der Speisen zuerst gegessen. Also auf zu Grevenhagen! Für seine eigene Karriere hatte der Mann ja gesorgt.
Fräulein du Prel war auf die Gratulationscour heute schon eingestellt. Die Maschine war gedeckt, die Züge des Mädchens aber schienen offener und heiterer als sonst. Grevenhagen stand neben seinem Schreibtisch und nahm kurz und förmlich die Glückwünsche entgegen, die durch die einander ablösenden Glieder in der Kette der Gratulanten ebenfalls kurz und förmlich vorgebracht wurden. Wichmann war sehr bald in seinem Zimmer zurück und beschloß, Fräulein Hüsch aufzusuchen. Casparius, der Freund, hätte ja an diesem Tag auch zu ihm kommen können.
Die Bibliothekarin war allein und freute sich über Wichmanns Aufmerksamkeit.
»Ja, wissen Sie … endlich! Es war auch Zeit. Ich hab’ schon nicht mehr gewußt, wie ich aus den langfristigen, mittelfristigen, kurzfristigen Krediten noch hinausschauen soll. Fünfzig Reichsmark mehr im Monat ist auch nicht viel, aber doch wenigstens das Dringendste. Stellen Sie sich übrigens vor, Grevenhagen hatte mich doch wirklich nicht vorgeschlagen, sondern die Sache kaltschnäuzig auf Boschhofer geschoben. ›Die Bibliothek Abteilungssache‹, hat er geschrieben. Was soll man dazu sagen?«
»Was sagen Sie selbst dazu?«
»Ich? Hab’ meine Meinung schon vom Herzen. Ihm glatt ins Gesicht gesagt. Das ist immer das beste.«
»Und sich mit ihm verkracht?«
»Aber wieso denn? Das ist gar nicht möglich. Er ist wie Glas, an dem alle Tropfen ablaufen. Eine ganz dämliche Bemerkung über Dienstpflichten und Dienstauffassung hat er allerdings gemacht.«
»Ihr Urteil über Grevenhagen und Boschhofer hat sich immerhin etwas geändert.«
»Nicht von fern. Grevenhagen tanzt doch besser als Boschhofer und überhaupt – nein, da kennen Sie mich schlecht. Ich hab’ doch noch Geschmack. Sehen Sie, es gibt einen kitschigen Spruch: ›Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind‹– und wenn nun Grevenhagen zehnmal nichts täte, er ist doch ein Mensch, der was vorstellt. Finden Sie nicht auch?«
»Typisch weibliches Urteil. Sie lassen sich ruhig schlecht behandeln, wenn nur Ihre Kavaliersideale in irgendeiner Richtung befriedigt werden. Ist mir sehr interessant.«
»Ein Glück, daß wir Frauen für das männliche Geschlecht immer interessant bleiben. Der Baier hat mir übrigens geschrieben.«
»Der Baier? Unser Baier?«
»Jawohl, unser Baier. Da staunen Sie auch, nicht? Ich glaube, ich habe den Brief da« – Fräulein Hüsch suchte in ihrer Tasche und zwischen Akten und Illustrierten –, »nee, schad’, ich hab’ ihn doch zu Hause gelassen – also den müßten Sie lesen! Der ist nun wieder mir interessant!«
»Eine Liebeserklärung?«
»Die sonderbarste, die ich je bekommen habe! Er fühlt sein Seelenleben durch meine Gegenwart gefährdet. Meine Knie sind Sodom und meine Augen Gomorrha! Es sei ihm unerträglich, er müßte sich wegmelden, und im übrigen soll ich mich vor dem Pöschko in acht nehmen. Der sammle Material gegen mich. Mir ja schnurzegal.«
»Rührend.«
»Nicht? Ich hab’ den armen Baier auf sein Geständnis hin gestern halb wahnsinnig gemacht. Er hat sich gewunden wie ein Wurm. Seine Augen sind an langen Stielen herausgewachsen, dann ist er ruckartig verschwunden. Zum Piepen! Ja, die Liebe! So einfach ist’s damit nicht. Viel schwieriger als mit den Beförderungen. Finden Sie nicht auch?«
»Aus Mangel an Erfahrung verlasse ich mich auf Ihr Urteil. Ist es das höchste Gefühl für eine Frau, einen Mann verrückt zu machen?«
»Na, umgekehrt vielleicht nicht? Wenn man sie untereinander hörenkönnte. Die Herren der Schöpfung – wenn die von uns niederen weiblichen Kreaturen erzählen und wie sie uns Armen die Köpfe verdreht hätten, ohne auch nur den Finger zu rühren! Oder wie raffiniert wir seien und wie sie doch so gar nicht auf uns hereinfallen – na! Ich muß ja lachen!«
»So ungefähr stellen Sie sich unsere Klubgespräche vor?«
»Im Klub machen sie’s ein bißchen versteckter, wenn sie uns durch den Kakao ziehen, dafür um so boshafter. Glücklicherweise ändert das an den Tatsachen sehr wenig, und sie möchten uns eben doch gern küssen. – Ich hätte übrigens jetzt heiraten können.«
»Wieder einmal?«
»›Wieder einmal‹ ist liebenswürdig. Sie glauben also, daß ich schon Anträge hinter mir habe? Stimmt sogar. Aber diesmal ist es der erste Heiratsantrag, den ich als Berufstätige erhalten habe. Wenn ich ihn annehme, bin ich den ganzen Krempel hier los. Der Bewerber ist ein guter Mann, Geld hat er auch. Aber er ist langweilig. Nein, ich kann nicht mit ihm leben, ich kann’s einfach nicht. Wenn ich nur an die Familie denke! Sich womöglich noch die Kleider selber nähen vor lauter Solidität und Kinder kriegen und sonnabends die Schwiegermutter zum Kornkaffee? Also das ist nichts für mich. Ich hab’ ihm endgültig abgesagt.«
»Warten Sie lieber, bis Korts Generaldirektor wird.«
»Korts ist ja kleiner als ich, und tanzen kann er auch nicht. Wie soll ich ihn denn küssen? Stellen Sie sich das doch vor! Höchstens wie so ein Siegesengel, der ihm mit den Lippen von oben herunter auf die Stirn haucht. Das ist weniger mein Fall. Kennen Sie Schildhauf näher?«
»Etwas aus dem Klub.«
»Können Sie den Mund halten?«
»Ich vermute es fast.«
»Also dann will ich Ihnen sagen – aber behalten Sie’s für sich, er darf niemals erfahren, daß ich Ihnen so was erzähle – aber dem sein Kuß – so was hab’ ich noch nicht erlebt. Als wenn er mich anbeißen wollte. Schauen Sie – da – ich hab’ noch eine ganz blutige Stelle an der Lippe.«
»Bemerkenswert, Gnädigste. Und er ist 1,79 groß.«
»Hi – hä, wenn ich nur sicher wäre … aber …« Lotte Hüsch brachte den Satz nicht zu Ende und sprang zu einem anderen Thema über.
»Kommen Sie heute abend zur Beförderungsfeier?«
»Ich will mich nicht drücken.«
»Das zeugt von Charakter. Es wird ziemlich blöde werden. Man kann aber schlecht wegbleiben. Grevenhagen ist auf den Abend schon vergeben, kommt aber für ein paar Minuten entweder zu Anfang oder zum Schluß. Hoffentlich sitzt der Nischan uns nicht dabei wie die Klette am Pelz. Wir haben ihn anstandshalber einladen müssen.«
Wichmann war überrascht, wie ruhig er von nun an den Tag über blieb. Der äußere Zwang zur kollegialen Anerkennung des Glückes der anderen färbte auch auf seine Stimmung ab. Als Casparius zu ihm gekommen war, ein bißchen verlegen, hatte er ihm aus der Empfindung des Augenblicks heraus ehrlich versichern können, daß er froh sei, des Freundes besseres Recht nicht durch sein meteorgleiches Erscheinen auf der Liste gefährdet zu haben.
»Ich hätte mir eine so rasche Ernennung nie in den Kopf setzen sollen, Kasper. Es mußte ja ein Irrtum bei der Sache sein. Das wird sich eben herausgestellt haben. Punktum, lassen wir’s, und denken wir daran, wie sich Frau Anna Maria freuen wird. Was schenkst du ihr denn vom ersten Regierungsratsgehalt?«
»Ein Ringle hab’ ich gesehen, Aquamarin, das g’fiel mir. Kommscht du mit, wenn ich’s dann kauf?«
Wichmann schaute einen Augenblick trübe vor sich hin, aber als der Freund auf diesen Gesichtsausdruck aufmerksam werden wollte, riß er sich rasch zusammen. »Ist’s noch nicht Zeit zur Tafelrunde in der ›Stillen Klause‹?«
»Ja, gehen wir. Heut abend kommscht du dann gleich vom Dienscht mit uns?«
»Wenn ihr mich in meinem schoflen Bürohabit in eurem erlauchten Kreise dulden wollt?«
»O mein, Wichmann, deine Anzüg’ sind alle so beneidenswert neu und tadellos ang’messe … daß du in deinem ›Bürohabit‹ noch wie ein Gent unter uns wandelscht. Zwei Schwestern lasse sich halt in keiner Weise verleugnen.«
Als es Nachmittag geworden war, verließ das Trio – bestehend aus Korts, Casparius und Wichmann – zuerst das Amtsgebäude. Heute war es Korts, der den beschwingtesten Schritt hatte, seine Augen glänzten, und seine Haltung war die eines Eroberers, der über unterworfenes Land zu neuen Eroberungen schreitet. In der Weinstube wurden die Herren von dem Oberkellner mit einem Lächeln empfangen, das gute Vorbereitung und vielleicht sogar irgendeine angenehme Überraschung verhieß. In dem Nebenzimmer war die Tafel für zehn Personen schon gedeckt.
»Wollen wir die Tischordnung festlegen?«
»Ha – nei … ’s setzt sich jeder grad so, wie’s kommt. Nur daß mir unserer Lotte Hüsch den Ehrenplatz an dem obere End lasse wolle – und Sie kommen natürlich an ihre grüne Seite, Robert Herr Teufel, wie Sie sich’s durch Ihre Karriere verdient habe. I darf Sie net so viel angucke, sonscht wird mir ganz schwindlig beim Anblick der Höhe, auf der Sie mit Ihre siebenundzwanzig Jährle schon wandeln. I muß mich direkt seelisch anseilen, damit mich’s net vor Erstaune in die Tiefe hinabnimmt.«
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Kasper. Regierungsrat ist Regierungsrat. Eher bebt die Erde als die Pensionsgrundlage, auf der Sie jetzt stehen.«
»Den kindlichen Glauben hat meine Frau auch noch. Hoffen wir, daß wir damit durch alle Fährnisse durchsteuern können.«
»Was heißt Fährnisse?«
»Ha no … ich hör’ in meinen Träumen als doch den Musa singe! Wehe – wehe – Verderben! Aber erst wolle mir noch einmal kontrolliere, was für ein Wein uns und unseren Gästen für heute abend zugedacht ischt.«
Die Besprechung mit dem Kellner ergab, daß alles in Ordnung war, und sein Schmunzeln, das immer deutlicher wurde, verriet noch mehr. Er winkte den Herren, nahm sie in den Schankraum mit, zu dem sonst kein Zutritt gegeben wurde, und wies auf ein Dutzend Flaschen Auslese, Jahrgang 1921, hin, die hier bereitstanden. »Das hat ein Herr Dr. Grevenhagen bestellen und bezahlen lassen. Und zwei Kisten Zigarren extra. Feines Kraut. – Wenn ich fragen darf – was ist der Herr?«
»Ministerialdirigent. Nobel, nobel … wie’s sein muß.«
»Er gehört zu den Beförderten und muß also spendieren!«
»Ha, dann müsse mir ihm ja mindeschtens des untere Tafelende frei lasse.«
»Wenn wir schon mit dem Freilassen anfangen, wollen wir lieber gleich die ganze Tischordnung machen«, plädierte Wichmann.
»Um Vorschläge wird gebeten!«
Der Festausschuß stand nachdenklich bei dem langgestreckten gescheuerten Tisch.
»Also am Kopfende beim Fenster die Lotte«, bestimmte Wichmann, »links von ihr als Tischherr Robby, soviel steht fest – und rechts von der Dame wirst du plaziert, Kasperl, dann haben wir die drei Glücklichen auch gleich beieinander. Am unteren Ende Grevenhagen mit den Würdenträgern – rechts von ihm Nischan, links Meier-Schulze – und dazwischen das nicht beförderte Gerümpel minderen Werts: Borowski, Loeb – und meine Wenigkeit.«
»Du hascht heut einen wirklichen Opfergeischt, Wichmann. Dazwischen hinein willscht du sitze?«
»Mit selbstpeinigender Demut und gewissen Absichten – laß mich nur.«
»Na nu? Ha, laß dich nur net störe auf deine Schleichweg. Schad, wenn mir die Tischordnung früher g’wußt hätte, hätt’ mer Kärtle mache könne – einen Dirigenten – einen Napoleon als Oberregierungsrat – den braven Kaschperl, der ich bin, und unser schönes Annerl – Wichmann, was wischperscht du denn da?«
Der Angerufene stand beim Ober und redete mit Flüsterworten und für andere unverständlichen Handbewegungen auf ihn ein. Der Kellner grinste jetzt verständnisvoll. Er war ohne Zweifel bereit, alles zu bewerkstelligen, was Herr Dr. Wichmann, Stammgast des Lokals und Ursache des zunehmenden Beamtenbesuchs, nur irgend verlangen konnte.