Kitabı oku: «Zwei Freunde», sayfa 16
Er wollte den Kampf aufnehmen und das elende Geschwätz zum Schweigen bringen. Der Assessor schaltete die Stehlampe noch einmal ein, er holte sich Bleistift und Papier und rechnete. Er wünschte, in der Kreuderstraße wohnen zu bleiben. Freund Casparius hatte den verborgenen Einflüsterungen von Wichmanns eigenem Herzen nur allzu stichfest, mit Wichmanns neuen Entschlüssen zu vereinbarende Gründe geliehen. Wenn der Assessor den Etat für das Abendessen um die Hälfte herabsetzte und die Kleiderrücklage kürzte, war ein erheblicher Betrag gewonnen. Man konnte auch mit der Geheimrätin verhandeln, eine Zeitung abbestellen und 4-Pfennig-Zigaretten rauchen. Aus dem Klub wollte er nicht austreten, aber der Reitsport war zu streichen – den ersetzte dann allenfalls das Paddelboot mit dem Wochenendmädle. Wichmann verzog die Mundwinkel, um sich selbst zu verspotten. Vielleicht kam Ende des Jahres doch noch die Ernennung zum Regierungsrat. Er konnte auch die letzte Reserve von eintausendfünfhundert Mark in monatlichen Raten zusetzen. Aber das lag nicht im Wesen seiner Erziehung und seines Charakters.
Als der Regierungsassessor am folgenden Donnerstag hinter dem Schatten des Ahornbaumes erleuchtete Fenster schimmern sah und sich im Gesellschaftsanzug zum Besuch des ›jour fix‹ bereit machte, fühlte er sich im Zustand einer Larve, deren Kruste sich härtet. Er mußte seine Blicke, jede Regung, ja, jeden Gedanken kontrollieren. Seine Muskeln strafften und seine Mienen schlossen sich, seine ganze Körperlichkeit gehorchte dem Bilde, das er sich von sich selbst machte. Der Diener bemühte sich heute noch um eine Note achtungsvoller um Herrn Dr. Wichmanns Garderobe.
Als ein Mann, der selbstgezogene Grenzen aus Selbstbewußtsein zu achten entschlossen ist, ging er durch die bekannten Räume. Er begrüßte die Hausfrau mit dem förmlichen Handkuß und ohne Verlegenheit, was ihn selbst in Erstaunen setzte. Frau Grevenhagen lächelte erfreut. Der Verehrer hatte einen Augenblick gefürchtet, daß sie von der Befangenheit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger befallen werden könne, aber es war nicht an dem; Marion hatte vermutlich keine bürgerlichen Vorstellungen von dem Druck finanzieller Verpflichtungen. Sie war heiter, soweit ihre Natur das zuließ. Wie ein dunkles Wasser, in dem der lichte Himmel sich spiegelt, so mochte die Oberfläche ihrer Seele heute von angenehmen Vorstellungen erhellt sein. Wichmann sah die Hände, die an seinen heißen Schläfen gelegen hatten, aber es war ihm, als ob das, was er erblickte, nur das Abbild seines Traumes sein könne, nur kühles Wachs, was danach geformt worden war.
Die Stelle des abwesenden Hausherrn vertrat heute sein Vater, der alte Minister a. D. Die Geheimrätin hatte nicht zuviel gesagt, wenn sie ihn eine prachtvolle Erscheinung genannt hatte. Es gelang Oskar Wichmann, von ihm und von einigen älteren Herren – eben jenen, die am Kamin ihren Spaß an Lotte Hüsch gehabt hatten – in das gemeinsame Gespräch aufgenommen zu werden.
»Sie kennen ja die Gedankengänge meines Sohnes, Herr Dr. Wichmann. Er ist nicht sehr optimistisch in bezug auf die Wirtschaftsentwicklung.«
»Jawohl, Exzellenz, seine Diagnose für unsere Wirtschaft lautet auf Krankheit. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den letzten Monaten auch tatsächlich über das saisonmäßig begründete Maß hinaus gestiegen.«
»Ah, Sie verfolgen diese Dinge? Haben Sie darüber eigene Aufzeichnungen?«
»Leider nicht. Ich verfolge diese Vorgänge auch nur aus privatem Interesse, auf gelegentliche Anregung von Herrn Ministerialdirigenten Grevenhagen, um unsere Arbeit auch im allgemeinen Zusammenhang zu sehen.«
»Mit dem Wahnsinn der Reparationspolitik graben unsere Gläubiger an den Grundmauern ihres eigenen Hauses«, mischte sich von Linck ein. »Haben Sie, Exzellenz, etwas über dies österreichische ›Kredit‹ gehört?«
Der Minister im Ruhestand zog die buschigen weißen Augenbrauen hoch.
»Nein …«
»Emmerich bietet einen Vergleich an auf der Basis von 6o:1 …«
»Das ist doch glatter Betrug!«
»Tja, was wollen Sie in einem solchen Falle machen? Die Frau soll noch Geld haben, geschützt durch Gütertrennung. Die Zeiten, in denen man sein Vermögen in den Konkurs warf und sich eine Kugel durch den Kopf schoß, sind vorbei. Die Anschauungen wandeln sich.«
»Die meinen nicht, Herr von Linck, dazu bin ich zu alt. Für mich ist die Solidität der Geschäftsgebarung eine Sache der persönlichen Ehre und das Eingehen von Verpflichtungen, die man später nicht erfüllen kann, eines Mannes unwürdig. Auf dieser Grundlage haben meine Vorfahren in der ganzen Welt Handel getrieben und Vertrauen genossen, und ich denke bei solchen Grundsätzen zu bleiben.«
Marion ging eben vorüber. Hatte sie die Worte gehört? Vielleicht waren sie aus einer Atmosphäre gesprochen, die nie in ihr Inneres drang, obwohl sie in dieser Luft leben mußte. Armes fremdes Kind.
Wichmann bereute es nicht, ihr geholfen zu haben.
Er verließ an diesem Abend das Haus Kreuderstraße 3 mit der Überzeugung, daß er seine Rolle gut gespielt hatte. Ja, er schlüpfte so vollständig in die Verkleidung, daß er selbst nicht mehr erkannte, was vorher gewesen war. Der Assessor Dr. Wichmann verkehrte im Hause Grevenhagen als ein fernstehender Bewunderer der schönen Hausfrau, als Mitarbeiter ihres Gatten. Es bedurfte jetzt nur noch, vor sich selbst und vor den anderen, der Bestätigung, daß sein Stolpern in der Karriere mit persönlichen Gefühlen seines Vorgesetzten nicht das geringste zu tun hatte. Dann war allen Gerüchten der Boden entzogen, und der Assessor entkam dem schleimigen Netz des Nischan, um in den Sommer hineinzusurren wie eine befreite Fliege.
Wichmann hatte sich schon an den Gedanken gewöhnt, daß man in Amtsstuben die Wahrheit nur mit den Methoden eines Detektivs erfahren könne. Er versäumte daher nicht, am nächsten Tag den Inspektor Baier aufzusuchen und ihn für den Wechsel des Mittelstürmers bei Nürnberg-Fürth zu interessieren. Das Thema »Ernennungen« schloß sich zwanglos an.
Baier nahm seine Brille von der Nase und verwahrte den Gegenstand behutsam im Futteral.
»Ja, wir sind die beiden im Referat Grevenhagen, die den kürzeren gezogen haben, lieber Herr Assessor. Ich bin es schon gewohnt. Man bekommt auch Übung im Verzichten und Zurückgesetztwerden, lieber Herr Assessor, und wenn ich nicht Pöschkos höhnisches Gesicht sehen müßte, wär’s mir jetzt schon egal. Meine besten Jahre hab’ ich doch hinter mir – mit dem Heiraten ist’s auch nichts mehr …«
»Aber warum, Herr Inspektor? Ein so gut aussehender Mann wie Sie in angenehmer und gesicherter Stellung …?«
»Ach, lieber Herr Assessor … das ist ein schwieriges Kapitel. Zu irgendeiner Emma oder Isa oder Bella möcht’s schon reichen. Aber ›Irgendeine‹ kommt doch für mich nicht in Frage. Ich bin ein Träumer, Herr Assessor, ich habe künstlerisches Gefühl und Empfinden für das Exklusive. Sehen Sie sich das Fräulein Hüsch an, das ist eine Dame. Wenn ich als Sohn eines Generaldirektors geboren wäre … aber ich habe kein Geld. Ich wäre der Mensch dazu, aber ich habe kein Geld. Ich weiß wieder nicht, wie ich die Reise nach Nürnberg zum ersten Fußballtreffen bezahlen soll.« Inspektor Baier holte ein kleines, sauber gehaltenes Kontobuch hervor. »Ich weiß es nicht. Vor dem 15. Mai zahlt mir die Hüsch die hundert Mark nicht zurück. Das Mädchen macht Ansprüche, Herr Assessor, Ansprüche! Nehmen Sie sich in acht! Ehe Sie nicht mindestens Ministerialrat sind, können Sie nicht mit ihr heiraten.«
»Zu jenem etwas fernen Zeitpunkt habe ich aber die Absicht, nach Ihrem Dafürhalten?«
»Herr Assessor, im Vertrauen, sie hat mir gesagt, daß Sie ihr das neue Bücherverzeichnis gemacht haben. Mir fiel ein Stein vom Herzen, daß es damit geklappt hat. Das Mädchen versteht zu organisieren.«
»Aber mit dem Heiraten und dem Ministerialrat ist’s für mich leider noch lange hin.«
»Ja, Herr Assessor, Sie tun mir leid. Sie waren doch der Favorit?«
»Das schien so.«
»Aber dem Personalchef ist aufgestoßen, daß Casparius sehr viel dienstälter ist, und er hat … Sie dann … Aber das darf ich Ihnen ja nun eigentlich nicht sagen.«
»Ich weiß es schon. Wenn Sie mir nur noch einmal bestätigen wollen, daß ich richtig informiert bin! Das Personalreferat hat bei der Abteilung rückgefragt und zur erneuten Stellungnahme aufgefordert, und dabei ist die Karre gekippt …«
»Ach, Sie wissen es schon? Ja, der Boschhofer hätte Sie gehalten, der kann den Casparius nicht so gut leiden, obwohl dem seine Partei auch zur Koalition gehört und der auch katholisch ist – aber doch ganz anders als der Boschhofer – ’s war also nicht Boschhofer, sondern Grevenhagen …«
»… der nicht darauf bestanden hat, daß meine Ernennung vorgehe.«
»Eben, eben! Und wenn Boschhofer nicht durch den Referenten gedeckt war, konnte er auch nichts machen. So ist Ihnen der Casparius um eine Nasenlänge vorausgekommen.«
»Na ja, sehen Sie … Ministerialdirigent Grevenhagen mit seiner Gewissenhaftigkeit war in einer schwierigen Lage. Casparius ist nur zu ihm abgeordnet. Es wäre Grevenhagen besonders übel angekreidet worden, wenn er diesen Mann mit seinem halben Dutzend Dienstjahren, einer Frau und drei Kindern meinetwegen hätte zurückstellen lassen. Es wird ihm sowieso dauernd der Vorwurf gemacht, daß er seine Mitarbeiter besonders schnell fördere. Mir selbst ist es lieber, daß Casparius die Planstelle bekommen hat.«
Das Telefon rief. Baier nahm den Hörer ans Ohr.
»Frau Lundheimer. Sie möchten sofort zu Boschhofer kommen, Herr Assessor.«
Wichmann machte sich auf den Weg. Auch der Amtmann Pöschko hätte heute mit der gemessenen Gangart des Assessors auf der rot belegten Treppe zufrieden sein können.
»Ach … mein lieber Herr Wichmann … Sie hatten mich während meiner Dienstreise sprechen wollen? Frau Lundheimer hat mich davon unterrichtet. Wo drückt der Schuh?«
»Ich möchte mir nur die Frage erlauben, Herr Ministerialdirektor, ob gegen meine Ernennung zum Regierungsrat Gründe vorgelegen haben, die in meiner Person oder in meiner Arbeitsleistung zu suchen sind, oder ob ich darauf hoffen kann, bei der nächsten Gelegenheit berücksichtigt zu werden?«
»Warum wollen Sie nicht darauf hoffen, lieber Wichmann?« Boschhofer war gut gelaunt. »Ich hatte angenommen, daß es schon diesmal klappen würde, aber Sie sind noch so jung, Maikäfer, der eben aus der Erde kommt, und ich kann auch nicht alles allein machen. Verstehen Sie mich? Herr Grävenhagen ist Beamter und nochmals Beamter. Er ist in alles verliebt, was mit dem Begriff ›Dienst‹ zusammenhängt, Dienstpflichten, Dienstauffassungen, Dienstalter … in Ihrem Falle ›Dienstalter‹ oder vielmehr fehlendes Dienstalter. Nur den Begriff des Dienstvorgesetzten oder die Person seines Dienstvorgesetzten scheint er abzulehnen. Vielleicht schätzt er es nicht, daß ich Sie schätze. Aber im nächsten Jahr liegt Ihr Fall schon anders. Ich hoffe, daß uns beim kommenden Etat einige neue Stellen bewilligt werden. Sie haben diese hübsche Ausarbeitung gemacht, ja, wirklich hübsch – ich habe nächstdem wieder etwas für Sie. Also sehen Sie nur vertrauensvoll in die Zukunft. Sie sind jetzt der einzige Assessor in unserer Abteilung. Es kann Ihnen nicht fehlen.«
»Ich danke, Herr Ministerialdirektor.«
In der Abteilung konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Wichmann entweder zugunsten seines Freundes Casparius auf die Ernennung verzichtet habe oder ein Opfer der bekannten Feindschaft zwischen Boschhofer und Grevenhagen geworden sei.
Das Leben, das der Assessor in den folgenden Wochen und Monaten führte, war ohne Schwierigkeiten und ohne tiefere Gedanken. Er hatte seine Ausgaben der Höhe seines Gehaltes angepaßt. Einige kleine Änderungen des bisher Gewohnten genügten, die Grundzüge des bisherigen Lebensstandards wurden nicht berührt. Das Erstaunen des Kellners in der Weinstube über die plötzliche Untreue des Stammgastes war überwunden. Die im Hause der Geheimrätin eingenommenen billigen und sättigenden Mahlzeiten wurden häufiger. Oskar Wichmann mied die Oper und das Schauspiel und ging wöchentlich einmal in ein Kino zum Vergnügen der lebhaften blonden Studentin, die Schildhauf mit ihm bekannt gemacht hatte. Die Paddelausflüge, die Oskar Wichmann mit Dieta am Sonntag unternahm, fanden häufig die Gesellschaft von Schildhauf und Fräulein Hüsch, und obwohl Lotte mit sehr vielem unzufrieden zu sein pflegte, wurde sie von den Herren nicht als Last, sondern als Anregung empfunden. Dieta lachte stets. Sie hatte eine Bewegung, die Locken aus dem Gesicht zu werfen, die hübsch war. Ihre weiße Haut und ihre roten Wangen brauchten keine Schminke. Wenn sie im hellblauen Wolltrikot über den Strand lief oder mit Rauschen und Getöse im seichten Wasser Schaum aufsprühen ließ, schauten viele nach ihrer mädchenhaften Gestalt, und Oskar Wichmann wußte, daß er selbst, braun gebrannt und schlank, nicht übel neben ihr aussah. Der freie Tag verlief mit Spielereien, und es folgten ihm Nächte mit langem Schlaf. Wenn Wichmann auf der Couch die Augen schloß, spürte er noch den feuchten frischen Duft, der über der sonnigen Seefläche gelegen hatte, und lächelte ein letztes Mal über das kindlich-hemmungslose Vergnügen, mit dem Dieta in Sonne und Wasser hineinsprang. Die Ausflüge kosteten nie viel. Das Mädchen war von einer erstaunlichen Kargheit in ihren Ansprüchen und fand es selbstverständlich, daß man sich des Abends trennte und Schildhauf mit seiner Partnerin allein in die gepflegten Seerestaurants gehen ließ, während Dieta mit Oskar noch am Ufer lag und Brühwürfel zum Brot abkochte. O wie schön, rief Dieta, wenn die Sonne unterging, o wie fein, wenn ihr Kamerad eine neue Tour vorschlug, o wie herrlich, wenn ihre Freundin aus dem Paddelklub ein größeres Boot und ein Zelt zur Verfügung stellte, in dem das Paar die Sternennacht eng aneinandergeschmiegt verbrachte. Wie ist das nett heute gewesen, sagte Dieta, als sie am vollbesetzten Strande Ball gespielt hatten und über schöne Körper und mißgewachsene Leiber gestolpert waren. Ach, das ist wunderbar! seufzte sie am verborgenen Fleck zwischen Weiden und Brennesseln, und sie fing an, weiße Muscheln zu sammeln.
Wichmann hatte Seen, Bäche und Flüsse mit ihr befahren. Nur zu dem einen See, um den er an einem Märztag allein gewandert war, hatte er sie nie geführt. »Wollen wir nicht einmal …?« fragte das Mädchen, aber als Oskar Wichmann ablehnte, war sie auch wieder zufrieden und musterte nur mit einem überraschten Blick sein Gesicht, dessen Ausdruck ihr auf einmal fremd erschienen sein mußte.
Es war, als ob der junge Mann einige tiefere Schichten seiner Seele verschlossen und zugemauert habe und Gras und Kräuter an der Oberfläche wachsen lasse, die ihn selbst und andere über das Darunterliegende wegtäuschten. Die Mitarbeiter nahmen seine Einkehr in die üblichen Bahnen eines jungen Beamtendaseins mit dem Wohlwollen der Herde hin, die jedem Stück ihre Gewohnheiten aufzwingt. Frau Lundheimer lächelte gerührt bei der Bemerkung, daß sie den träumerischen Assessor mit einem wirklich reizenden und frischen Mädchen auf dem Rang des großen Kinos gesehen habe. Casparius lud Dieta am verregneten Sonntag mit ein, und das Vergnügen der Drillinge an dem heiteren und hellen Mädchengesicht war so groß, daß Frau Anna Maria fast eifersüchtig wurde.
»O wie süß!« rief Dieta. »Nein, wie süß!«
Als die Sommerhitze den Asphalt der Kreuderstraße weich schmolz und die Sonntagspaddler weiße Mützen trugen, begann man in der ›Stillen Klause‹ von der Eifersucht des Kollegen Korts auf Lotte Hüsch zu sprechen. Der Gastraum mit den weißgedeckten Tischen und den kleinen Blumensträußen war dumpfig kühl hinter herabgelassenen Jalousien, der Hackbraten schmeckte einmal ein wenig übergangen, und der Konsum an Zitronenlimonade nahm zu. Korts stand häufig der perlende Schweiß auf der Stirn, wenn er fertig gegessen hatte. Er sprach wenig, und das wenige, was er sagte, klang unverbindlich. Vor seinem Arbeitseifer war trotz der entnervenden Wärme niemand sicher. Da ein weiteres Aufrücken für ihn vorläufig nicht in Frage kam, waren seine Gedanken und Empfindungen in der wesentlichen Richtung seines Daseins nicht beschäftigt und irrten um Frau und sachliche Arbeit. Die Kollegen warteten auf irgendeinen Ausbruch der angestauten Empörung gegenüber Lotte Hüsch, aber sie warteten vergeblich. Es gab nichts als gelegentliche spitze Reden. Fräulein Hüsch verbrachte das Wochenende weiterhin mit dem Regierungsrat Schildhauf. Das ›Ekel Pöschko‹ und der dem Assessor verhaßte August Nischan traten wenig in Erscheinung. Wichmann erfuhr an sich selbst, daß es möglich war, in Höflichkeit verkapselte Feindschaften lange Zeit herumzutragen. Nur selten, wenn er in den warmen Frühsommernächten zu dem wieder belaubten Ahornbaum hinüberschaute, dachte er an die Keller und Gräber seiner Seele und verachtete die Oberflächenform seiner neuen Lebensart. Diese Augenblicke gingen schnell vorüber. Er vermochte Marion jetzt zu sehen wie ein schönes Bild, wie eine Landschaft, versunken und bewundernd, aber geschieden und ohne Hoffnung der innigen Vereinigung. Es verging kein zum ›jour fix‹ bestimmter Donnerstag im Monat mehr, an dem Oskar Wichmann nicht der schon mit Gewohnheit empfangene Gast der Kreuderstraße 3 war. Er kannte die alten Herren, die sich einzufinden pflegten, er kannte die Dame mit dem Pagenkopf und Herrn Musa, von dem sie ihre salonbolschewistischen Ansichten bezog; er vermochte von jedem der jungen Diplomaten und von dem Regierungsrat Schildhauf im voraus zu sagen, welche Anschauung sie zu einem angeschnittenen Thema vorbringen würden. Es war wie ein eingeübtes Stück, das man einander immer wieder vorspielte. Lotte Hüsch erzählte gern, daß der betagte, aber lebenslustige Professor Bergschmidt, den sie im Hause Grevenhagen kennengelernt hatte, ein Landhaus am Ammersee besaß und daß sie diesen Besitz, der in der Zeitschrift »Die Dame« abgebildet worden war, im kommenden Urlaub besichtigen wolle.
Still, unberührt und unergründet stand Marion zwischen ihren Gästen, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Nie verriet ein Blick oder eine Bewegung, daß zwischen ihr und Oskar Wichmann etwas anderes sein könne als Huldigung und die Gnade einer schönen Frau. Nichts rührte sich unter der Decke der Konvention, und die Flammen schienen ohne Nahrung erstickt.
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Oskar Wichmann erinnerte sich später noch an den Herzschlag, mit dem das Gebäude seines Gleichmuts und der bürgerlichen Bescheidung zu wanken begonnen hatte. Es war, als ob sich ein Riß aufgetan habe, ein Riß, der schrie, so, wie Risse schreien, wenn tauendes Eis brechen will. Der Abend war müde gewesen. Die Teiche im Park lagen unbewegt, und Frösche quakten auf Seerosenblättern. In den Steinen der Stadt brütete die Schwüle und strömte in die Dämmerung. Die Reitwege wirbelten staubig auf, wenn die Hufe der verschwitzten Pferde darüber trommelten. Als die Laternen aufblinkten, spielten Mücken ruhelos in ihrem Schein. Der Hochsommer des Jahres 1929 hatte einen frühen Vorboten geschickt.
Die Fenster des Musiksalons waren geöffnet, das Licht der Kerzen spiegelte in dem schlanken Stil der Vase, die Orchideenzweige hielt, und fiel hinaus zwischen Büsche und Rasen. Die Klänge eines persischen Liebesliedes sangen sich vom Flügel fort in die beginnende Nacht, zu dürstenden Bäumen und glitzernden Sternen. Marion lächelte schwermütig. Sie hatte sich dem jungen Mann zugewandt, der am Fenster stand, ihre Augen liefen in die seinen, ihr Kopf neigte sich in den Nacken, so daß ihr Haar aus der Stirn fiel. Die Ahnung des schwülen Tages flutete durch ihren Körper. Oskar Wichmann deckte die Hand über das Gesicht, denn er hätte Marion sonst umschlingen müssen.
Sie war nahe zu ihm herangetreten, und als sie ihre Worte sprach, glaubte er den warmen Atem zwischen ihren Lippen zu spüren.
»Lieben Sie das kleine Mädchen?«
»Marion …« Sein Mund formte das Wort ohne Ton darin.
Er blickte auf den Parkettfußboden hinunter; der Glanz des gepflegten Holzes verschwamm ihm vor den Augen.
»Sind Sie schon mit dem Segel über den See gefahren? Es ist schön, so dahinzugleiten. Wollen Sie mit uns kommen?«
»Wenn Sie es mir erlauben, gnädige Frau …«
Die Augen gingen ineinander. »Mein Gatte und ich würden sich freuen.«
Als Oskar Wichmann nach diesem Abend und nach dem Sonntag, der darauf gefolgt war, wieder an dem Schreibtisch vor der getünchten Wand saß und zu dem Laub der Ulmen hinaufstierte, wußte er, wovon er träumen konnte. Sie trug eine weiße Bluse. Der dünne weiße Wollrock mit den gepreßten Falten schmiegte sich eng an ihre Hüften und ihre Knie und flatterte, wenn die Luft über das Boot zog. Ihre Augen und ihre Wangen schimmerten zwischen Licht und Schatten, und das Blut wollte aus ihren Lippen springen. Das Boot glitt dahin. Freiheit, Sehnsucht aller erdgebundenen Wesen, lag in dem Trieb der geblähten Segel. Die Leinen knarrten, die Muskeln spannten sich, weißlich wallte es um die Wunde des Wassers, die die Spitze des Bootes schnitt. Der Wind wehte, seine Stimmen rauschten, fern waren die Ufer. Wasser und Himmel schlossen sich zusammen. Wolken, Segel der Himmlischen, zogen im Flug mit den Dahingleitenden. Ja, es ist schön, Marion, mit dem Winde zu gehen, frei von der Schwere menschlichen Schritts und der Arbeit der Ruder, und schön ist es, über das schaumspritzende Wasser zu fahren, wenn die Sonne glüht. Die Silberflügel der Möwen fliegen mit uns. Dein Haar spielt locker, die Luft will deinen Leib umfangen. Lachst du, Marion? Deine Augen haben heute ein stärkeres Leben.
Laß die Kleider fallen. Deine weichen braunen Glieder dehnen sich in der Sonnenglut, sie spielen sich durch die Wasser, du schwimmst mit den Fischschwänzigen, Tochter des Sees. Ist deine Seele nicht wie das Element, das weicht und sich wieder schließt, wandelbar und niemals zu halten?
Laß uns umkehren, Marion, denn der Abend sinkt, und wir wollen still sein. Der Wind flüstert, das Segel lauscht auf ihn. Der See ist wie Sonne geworden, goldene Fläche, mit leisen Wellen treibt er zum Ufer, und wir fahren langsamer. In deinen Augen liegt das scheidende Licht, du duftest wie Wasser und Lüfte. Der Sommer prangt noch in der Nacht, seine Sterne funkeln, und die Wasser rauschen und klickern über den Sand und spiegeln zitternd den runden Mond. Schwarz stehen die Bäume. Sie haben uns beschützt, Marion, als deine Wange sich an meine Schulter legte. Wir haben leise gesprochen wie die Geigen, deren Klang mit dem Mondschein um uns gewebt hat; das Wasser vor uns war dunkel und undurchsichtig geworden und trug nur die Lichtstraße des himmlischen Gestirns, Pforte der Träume. Die Funken des Himmels fielen und verloschen im See, und du erschrakst und fürchtetest, daß es dein Stern sein könne, der gefallen war.
»Stille Silberflut
zog in mondenweite Ferne,
Liebe gab die Hand,
es fielen Sterne.
Sterne sterben auch –
einem Herz ist höllenbang,
über Busch und Strauch
weht Gesang.«
Ich sprach von dir und den Wassern, Marion, und die windverspielten Bäume rauschten in der Nacht.
Ich habe dich nicht geküßt, Marion, aber nun, da du mir entschwunden bist, küsse ich dich tausendmal. Kind der schwimmenden weißen Rosen und dunkler Wälder.
Ich muß dich wiedersehen, und meine Arme werden nicht mehr zögern.
Du wirst spüren, daß meine Lippen heiß sind.
Wichmann saß vor seinem Schreibtisch im Büro. Er hatte die Hände auf die Akten gelegt, die Abdrücke der Typen der Adlermaschine standen ungelesen auf dem Bogen. Der Gefangene hatte die Fenster geöffnet. Die Stadt roch nach Staub, Rauch und Hitze, die Handflächen waren feucht von Schweiß. Drunten im Hof ärgerte der Heizergehilfe, der im Sommer wenig zu tun hatte, den fauchenden Kater. Von den Ulmen fielen vorzeitig verdorrte Blätter auf den grauen Erdboden.
Woran denkst du, Marion? Weißt du es noch, wie wir beide in die Flut sprangen, wie wir erschreckt hinuntersanken zwischen die Fische und die Wasser über uns wallten und zusammenschlugen und wie wir durch grüne Schimmer wieder zur Sonne auftauchten? Hast du im Traum noch einmal unter den schwarzen Bäumen gestanden in der schweren Süße der Nacht und noch einmal gewußt, warum mein Herz stockte und meine Glieder lahm gewesen sind? Tausendmal gehofftes Wunder, im Schlafen und Wachen ersehnt, betäubt den Wartenden, wenn es geschieht.
Meine Arme schlingen sich jetzt um dich, Marion, ich presse dich an mich. Du bist mein. Wir sehen uns wieder, Marion.
Wichmann hatte das Klopfen überhört. Er schrak auf, als es sich wiederholte, und bat den Einlaß Suchenden einzutreten, aber es klopfte nur ein drittes Mal, und Wichmann erhob sich und machte die Türe auf.
In der dämmrigen Schwüle des Korridors stand eine Gestalt mit vorgebeugtem Nacken und unsicheren Augen. Die breiten Lippen lächelten verlegen. Die Kopfhaut glänzte unter dem schütteren, leicht gekräuselten Haar. Wichmann entsetzte sich, ohne zu wissen, warum.
»Sie haben geklopft? Wollen Sie bitte eintreten, Herr Nathan?«
»Ich störe Sie gewiß?«
»Ja. Aber Sie werden die Störung dadurch nicht geringer machen, daß Sie sich jetzt wieder zurückziehen. Bitte …«
Wichmann schob den Gast, von dem er immer noch nicht wußte, warum er ihm unheimlich war, durch die Tür herein.
»Ich möchte Sie nicht aufhalten, Herr Wichmann.«
»Was führt Sie zu mir?«
»Nichts … ich wollte weiter nichts. Ich dachte, Herrn Casparius vielleicht bei Ihnen zu treffen. Er ist nicht hiergewesen?«
»Heute noch nicht.«
Der merkwürdige Mensch blieb in der Mitte des kleinen Zimmers stehen und sah sich um.
»Sie wohnen nicht schlecht, Herr Assessor Wichmann. ›Klein, aber mein.‹ Als ich seinerzeit eintrat, mußte ich mit einem zweiten Herrn zusammen hausen. Die Räume sind knapp und winklig in unserem alten Bau, nur für die hohen Herren ist Platz. Können Sie eigentlich durch den Hof zu uns in den Orient hinübersehen?« – Der Sprecher trat an das Fenster. – »Kaum. Im Winter vielleicht durchs dürre Geäst. Ein Wunder, daß die Ulmen noch wachsen. Es gibt doch eine Ulmenkrankheit? Die könnte man auch kriegen, wenn man lange genug in dem Stall hier versauert.«
»Fühlen Sie sich bereits angegriffen, Herr Nathan?«
»Der Bazillus fliegt uns alle an. Ist das ein Leben, das wir hier führen? Vor den Akten sitzen, wenig verdienen, langsam vorwärtskommen, die Launen der Mächtigen ertragen und verkalkt in Pension gehen – sind das die Hoffnungen, die Sie sich haben an Ihrer Wiege singen lassen?«
»Meine Wiege war, soviel ich mich erinnern kann, ein Gitterbett, und der Gesang war vermutlich mehr meinerseits. Über seinen Wohlklang und die darin ausgedrückten Zukunftsansprüche kann ich aus Mangel an Gedächtniskraft leider keine Aussagen mehr machen. Aber vielleicht hat Ihr Intellekt etwas früher zu registrieren angefangen, Herr Nathan, und Sie können sich die bei der Säuglingsmilch gehegten Hoffnungen noch einmal hochkommen lassen?«
»Es kommt nichts als Käse zum Vorschein, Herr Wichmann, laufend, stinkend, schon verdorben. Wenn man sich vorstellt …«
»Ich begreife auch nicht, Herr Nathan, warum Sie sich bei uns aufhalten. Es gibt ohne Zweifel bessere Verdienstmöglichkeiten. Auch Fräulein Hüsch, deren Vater Geschäftsmann ist, stellt das immer wieder fest.«
»Verdienst, sagen Sie? Was will ich schon mit dem Verdienst?«
»Ist es nicht Ihr Lebensziel, ein reicher Mann zu werden?«
»Nein – Herr –«
Nathan hatte sich dem Fragenden zugewandt. In seinem Körper ging auf einmal eine Veränderung vor, als ob in ihm etwas wachse und seine schlaffen Glieder, seinen gebeugten Nacken ausfülle und straffe. Er sah aus wie ein gereiztes Tier im Angriff, und Wichmann nahm unwillkürlich das Kinn zurück, mit einem Schauer und wie vor einem beginnenden Kampf. Aus den Augen des andern brach ein gelbes Licht, und seine Fäuste hatten sich verkrampft.
»Nein – Herr – Verdienst ist nicht mein Ziel – Macht will ich haben – Macht!« Mit dem letzten Wort brach die Spannung in dem Menschen wieder zusammen. Die Finger hatten sich gelöst, die Augen schlossen sich halb, und die Schultern wurden wieder schlaff. »Es ist alles Mumpitz, Herr Wichmann. Reden wir von etwas anderem. Wenn man noch ein Leben führen könnte wie der Grevenhagen. Die Familie hat offenbar viele gesellschaftlichen Beziehungen! Grevenhagen muß sehr vermögend sein, vielleicht auch von der Frau her?«
»Ich habe die Grevenhagensche Steuererklärung noch nicht studiert. Aber mir scheint, Geld ist doch auch in Ihren Augen nicht so unnütz, wie Sie mir eben versichern wollten.«
Der Regierungsrat lachte leichthin. »Von ganz unnütz habe ich nichts gesagt. Oder doch? Aber auch Geld ist Macht. Na, jedenfalls der Stil, in dem die Familie ihren Sport und ihre Geselligkeit treibt, ist für einen schlichten Ministerialbeamten auffallend. Es muß sehr viel privates Vermögen dahinter stehen, so daß man sich fast wundert, warum Grevenhagen auf das schimmlige Dasein in den Amtsräumen überhaupt noch Wert legt. Auf Gehalt und Pension müßte er doch verzichten können, wenn er innerhalb von wenigen Monaten ein Diadem für achtundzwanzigtausend Mark und zwei Grauschimmel für sechzigtausend Mark kauft.«
»Sie sind genau orientiert, wie nicht anders zu erwarten war, Herr Regierungsrat Nathan. Genauer als ich! Wollen Sie mir nicht weitere reizvolle Einzelheiten aus den privaten Budgets der Abteilung verraten?«
»Es ist bemerkt worden, Herr Wichmann, daß Sie sparen. Aber das ist ohne Zweifel eine Tugend und mit den kommenden Ausgaben für das Eigenheim durchaus zu rechtfertigen. Blonde Mädchen sind hübsch, nicht?«
»Warum soll ich mich von dieser allgemeinen Geschmacksrichtung ausschließen?«
»Sie haben recht. Das Kollektive des Geschmacks ist eine der interessantesten soziologischen Erscheinungen in der Stadt. Es zeigt sich darin, daß die Großstadt fähig ist, ein eigenes Lebensgefühl auszubilden.«