Kitabı oku: «Zwei Freunde», sayfa 21
Wichmann hatte das Klopfen kaum gehört, da tat sich die Tür auch schon auf, und Kaspers treuherziges Gesicht erschien. Die rundlichen Wangen waren rot angelaufen, der Freund schlug gegen seine sonstige Gewohnheit die Tür heftig hinter sich zu, ließ sich mit ausgestreckten Beinen auf einen der beiden vorhandenen Stühle fallen und warf Wichmann ein Zeitungsblatt über den Verordnungstext zu.
»Da … jetzt haben wir den Salat.«
»Was ist denn los?«
»Lies nur.«
»Ich kann doch nicht die ganze Zeitung lesen. Du mußt schon so gütig sein und mir einen Wink geben, welcher Erguß der Journaille dein Seelenleben derangiert, daß du hier eindringst wie Kimbern und Teutonen. – Halt, laß mir meinen Verordnungstext liegen. Es genügt, wenn du die Zeitung wieder in deine zitternden Finger nimmst. Wer hat sich denn verlobt? Schildhauf mit der Hüsch oder der Baier oder der Korts?«
»Schweig mit deinem Lästermaul, Wichmann, das Spotten wird dir gleich vergehen.«
»Was ist das überhaupt für ein albernes Käseblatt? Schämst du dich nicht, so was zu kaufen?«
»Ich bin froh, daß ich noch ein Stück davon ergattert habe. Jetzt ischt es schon ausverkauft …«
Wichmann schüttelte den Kopf.
»Du sitzt natürlich wieder in deiner Mönchszelle«, tadelte Kasper, »und ahnst die Wogen der Welt nicht, die dreckschäumend über uns gehen! Weischt du net, daß des Blättle draußen am Zeitungsstand auf ’m Königsplatz verkauft worde ischt! Die haben ein Geschäft gemacht! Die sind saniert für ein halbes Jahr! Ich seh’ immer noch, wie sich der Borowski bei der Lektüre die Lippen schleckt!«
»Wie heißt das Ding? ›Nachrichtenblatt‹? Na, ist das nicht die elende Klatschjauche? Warum faßt du das überhaupt an?«
»Das wirst du gleich sehen. Wenn Dreck auf meinem Weg liegt, muß ich durch, auch auf die Gefahr hin, daß es nachher Schuh zum Putzen gibt. Da – lies. Ich mag’s nimmer angucke.«
»›Aus der guten Gesellschaft‹?«
»Jawohl.«
»›In diesem Zusammenhang wird … ‹ In was für einem Zusammenhang?«
»Ein paar Sätze vorher.«
»… hat die Statistik des akademischen Nachwuchses und seiner Herkunft gezeigt, daß immer noch ein großer Teil der Studentenschaft aus Akademikerfamilien stammt. Da in diesen Kreisen die Vermögen vielfach durch die Inflation vernichtet sind, bleiben jetzt auch oder gerade für sie die Studentenbeihilfen, in welcher Form sie immer gewährt werden mögen, von erheblicher Bedeutung. Versiegt irgendeine derartige Quelle, so ist die berufliche Laufbahn begabter Studenten immer auf das bedauerlichste gefährdet.
In diesem Zusammenhang wird auch viel über die angeblichen Schwierigkeiten eines angeblich im Ausland gelegenen Gutes gesprochen. Die kultivierte Lebensführung läßt sich in seltenen Fällen aus dem laufenden Einkommen allein bestreiten, das Vermögen spielt seine Rolle als traditioneller Kulturträger und wird rein geschäftlich gesehen immer die Möglichkeit des Kredites zur Überbrückung zeitweiser Ausfälle eröffnen. Schwankungen der Konjunktur, auch wenn sie vorausgesehen wurden, können hier allerdings eine verderbliche Rolle spielen, und der ›Run‹ ist für den Privatmann nicht weniger ruinös, als er bei Ausbruch von Krisen immer für die Banken gewesen ist. Es ist dabei für Wirtschaft und Gesellschaft ohne Zweifel wichtig, daß heute der Beamte in ihrem Aufbau im Vordringen ist und mit seinem gesicherten, wenn auch nicht allzu hohen Einkommen ein festes Gerüst abgibt, sofern die Ehrenhaftigkeit seiner Lebensführung mit den Begriffen, die man sich darüber zu machen pflegt, übereinstimmt und das dürfte ja nur in wenigen Fällen nicht zutreffen, die dann um so mehr und auch berechtigtes Aufsehen erregen.‹«
»Und was soll der ganze Quatsch?«
»Willst du leugnen, Freund, daß du kapiert hascht? Madame Grevenhagen hat die Geschäftsführung eines Fonds für Studentenhilfe – Madame Grevenhagen stammt von einem polnischen Gut, obgleich auch das schon bezweifelt wird – Madame Grevenhagens Gatte ischt Beamter, sein Lebensstandard geht weit über sein Beamteneinkommen hinaus. Aber lies nur weiter. Es kommt noch besser.«
»›Der Fall Emmerich, der nun entschieden ist mit einem Vergleich auf der Basis von 60 : 1, hat die Diskussion über die Gütertrennung im Ehestand und die möglichen Folgen für die Gläubiger wieder ins Rollen gebracht. Nicht weniger interessant sind die Folgen dieser Rechtskonstruktion für die beteiligten Eheleute selbst. Der Ehemann kann sich – wenn wir einmal den Fall setzen wollen – vor der Situation sehen, daß weder Gattin noch Bank ihm Auskunft über die Vermögensverhältnisse der Frau geben, andererseits Gläubiger auftauchen, die Schuldtitel auf den Namen der Frau der Rechtlichkeit des Ehemannes präsentieren. Es wird sich sofort der Zweifel erheben, ob der Betreffende tatsächlich von nichts gewußt habe und wie weit er moralisch verpflichtet ist einzuspringen.‹«
»Reizend.«
»Ja, mein Lieber. Stell dir den Boschhofer und den Nischan vor, wie die das zusammen gelesen haben und wie dem Boschhofer sein Bauch vor Freude gehopst ischt!«
»Kann man nichts machen gegen eine solche Schweinerei?«
»Wozu hascht du Jura studiert, mein Freund? Mit Beleidigungsprozeß kommt da nix zustand. Den Redakteur erschieße – zahlt sich auch net aus. Du bischt hilflos gegen die Eberzähne und kannscht dich nur auf die Verleumdungsarie zurückziehe. ›Und der Arme muß verzagen – den Verleumdung hat geschlagen!‹«
»Da nimm dein Dreckblatt wieder. Ich mache meine Verordnung fertig.«
»Auf Wiedersehen.« Casparius klopfte Wichmann, der sich über die Arbeit beugte, seufzend auf die Schulter und verließ das Zimmer.
»Der Grevenhagen tut mir leid«, hatte er noch im Hinausgehen gesagt.
Wichmann spürte den eigenen heißen Kopf. Dieser Hundsfottartikel war natürlich das Signal dafür, daß sich alles, was an Gläubigern der Marion Grevenhagen vorhanden war, auf den Gatten stürzte. Der Zweifel an seiner Ehrenhaftigkeit, der Spott über seine mangelnde Orientierung waren eine Gemeinheit. Wer hatte diesen Artikel veranlaßt? Wie sie jetzt gelaufen waren, die Herren Mitarbeiter, um noch ein Stück von diesem Schundblatt zu bekommen! Wen hatte wohl Boschhofer geschickt, es besorgen zu lassen? Oder hatte Nischan ihm gleich eines mitgebracht?
Ahnte Grevenhagen schon etwas von der Sache? Hoffentlich nicht. Er konnte ja doch nichts tun, als den Angriff an sich ablaufen lassen und die Folgen abwarten. Das Thema für die ›Stille Klause‹ stand jedenfalls fest.
Als Wichmann des Abends nach Hause kam und gebürstet, gekämmt im besseren Rock erschien, um mit der Geheimrätin unter dem Ölporträt des alten Geheimrats Krautwickel zu speisen, sah er auf einem Nebentisch das ›Nachrichtenblatt‹ liegen und verschluckte sich beim ersten Bissen.
»Ach, Herr Doktor Wichmann, was sagen Sie nur zu diesem entsetzlichen Skandal! Daß man so etwas erleben muß in unserer Kreuderstraße! Bei dieser Familie! Mich traf fast der Schlag, als heute beim Tee der Frau Rohrbach schon alles davon sprach! Ich hatte ja einiges unter der Hand gehört, was mich tief erschütterte …«
»… von Martha?«
»Ach … hat sie mit Ihnen auch darüber gesprochen? Ich kann mich noch gar nicht fassen. Es ist unbegreiflich. Wie werden die alten Exzellenzen darunter leiden! Was sagt man denn im Ministerium dazu?«
»Da werden so ein paar Anwürfe in einer wenig angesehenen Zeitung wohl unbeachtet bleiben. Grevenhagens Ehrenhaftigkeit ist über jeden Zweifel erhaben.«
»Das denken Sie doch auch? Nicht wahr? Aber diese Sache mit Schomburg und diese entsetzliche Szene – hat Ihnen Martha das auch erzählt? Frau Grevenhagen hat ihrem Gatten doch jede weitere Auskunft über ihre finanziellen Verhältnisse verweigert. Was will er machen? Die Bank ist zur Diskretion verpflichtet. Er kann sich überhaupt nicht orientieren.«
»Ich nehme an, daß er der Mann dazu ist, doch zu erfahren, was er wissen will.«
»Ja, aber wie? Er kann seine Frau doch nicht prügeln oder würgen. Scheiden lassen dauert lang – um Gottes willen, was ist denn los?«
Auch Wichmann war aufgesprungen. Ein lauter Ruf oder Schrei einer menschlichen Stimme war von der anderen Straßenseite her ins Zimmer gedrungen. Martha stürzte aufgeregt, mit aufgerissenen Augen herein. »Frau Geheimrat! Um Gottes willen! Sie bringen sich drüben um!«
Die beiden Frauen liefen in Wichmanns Zimmer an die geöffneten Fenster. Martha rang die Hände.
»Die junge Frau hat laut geschrien – sie hat Worte gerufen – habe nichts verstehen können – jetzt ist es wieder still.«
Wie zu allen Tagen breitete der Ahornbaum sein Laub über die eiserne Pforte. Rosenduft zog durch den Abend. Das eine sichtbare Fenster der Gartenvilla war durch den Vorhang gegen außen abgeblendet. Im Zimmer schien Licht zu brennen, wie ein heller Schein verriet.
»Mein Gott, mein Gott, Herr Wichmann, was werden wir noch erleben müssen! Was haben Sie denn gehört, Martha?«
»Ich will doch gerade dem Herrn Assessor das Zimmer für die Nacht fertigmachen – lasse die Fenster noch auf, wie er’s gern hat und bin an der Couch – da höre ich einen Schrei – ja, die Tür hatte ich auch offengelassen, deshalb wird es die Frau Geheimrat auch gehört haben – und es muß drüben ein Fenster offen gewesen sein oder vielleicht nur angelehnt – und ich horche sofort, und da wird drüben noch etwas laut gerufen – ein paar Worte – es war die Stimme der jungen Frau – und dann ist es gleich wieder ganz still gewesen. Aber an dem Fenster, das man drüben sehen kann, hat sich nichts gerührt.«
»Es ist ja grauenvoll – sehen Sie, unsere Nachbarn sind auch alle an den Fenstern – ein solch entsetzlicher Skandal! Ich werde heute nacht kein Auge zutun. Was wird denn nur geschehen sein!«
»Eine eheliche Auseinandersetzung, gnädige Frau, ist sicher nicht so schlimm. Die junge Frau Grevenhagen bleibt meist sehr ruhig, doch ich glaube, wenn ihr Temperament erst ins Schwingen kommt, kann sie auch einmal sehr heftig werden. Wir dürfen aber in Frieden schlafen, ohne uns Sorgen zu machen, davon bin ich überzeugt.«
»Es ist eine Wohltat, Ihre besonnene Stimme zu hören, Herr Doktor. Es scheint nun auch wirklich wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Was muß das für eine Szene gewesen sein. Mein Herz klopft noch wie ein Hammer. Aber kommen Sie – die Krautwickel und die Kartoffeln werden kalt.«
Man begab sich wieder zu Tisch.
»Ich würde auf Martha einwirken, gnädige Frau, damit sie sich möglichst wenig an dem Klatsch über die Kreuderstraße 3 beteiligt und auch ihre Freundin Fanny warnt. Die Mädchen wissen ja gar nicht, was sie anrichten und wie sie sich selber womöglich noch Unannehmlichkeiten zuziehen können.«
Wichmann nahm sich die zweite Krautrolle. Essen mußte man schließlich.
»Aber habe ich Ihnen nicht immer gesagt, Herr Doktor, diese Heirat war ein Unglück?! Die alten Exzellenzen tun mir maßlos leid! In dem Artikel ist ausgedrückt, daß vielleicht noch viel mehr Verpflichtungen bestehen als die gegenüber Schomburg – und denken Sie, ein paar hunderttausend Mark Vermögen von Vater und Großvater auf den Tisch legen für die Schulden von solch einem Weibsstück! Es ist unerhört!«
»Es kommt darauf an, gnädige Frau, welchen Bruchteil des Vermögens der Betrag darstellt.«
»Ja, reich sind die Grevenhagen, Herr Doktor, aber solche Schulden sind kein Pappenstiel. Nein, wenn das mein Mann noch erlebt hätte! Wenn das nur nicht noch ein ganz großes Unglück gibt!«
Wichmann spürte die Schauer, die ihm die Haut zusammenzogen.
»Und wer wird noch alles in die Sache verwickelt sein? Wer wird dieser Person Geld geliehen haben?«
Der Zuhörer spürte die Augen der Geheimrätin und dachte an den Abend, an dem er um Ermäßigung der Miete und häufigere Mahlzeiten im Hause gebeten hatte. Er hatte damals von einem Schulden machenden Verwandten erzählt.
»Um diese Frage brauchen wir uns ja glücklicherweise nicht den Kopf zu zerbrechen, gnädige Frau.«
»Glücklicherweise, ja! Zu dem Studentenfonds habe ich fünfzig Mark gegeben, obwohl mir’s in dem Augenblick nicht leicht fiel – Frau Grevenhagen war mit ein paar Damen zum Tee bei mir – Sie erinnern sich, ich erzählte davon – wenn sie die Stiftung veruntreut hat, das wäre unerhört!«
»Es braucht nicht jede infame Anspielung der Wahrheit zu entsprechen, Frau Geheimrat! Ich bin überzeugt, daß die Angelegenheiten der Stiftung in Ordnung sind.«
»Na wissen Sie – wenn jemand mit dem Betrügen schon anfängt … Nein – nein – aber nehmen Sie doch mehr Süßspeise, Herr Assessor. Ein junger Mann wie Sie muß essen!«
Wichmann war nun doch der Appetit vergangen.
Er verabschiedete sich bald, um den weiteren Feststellungen, wie entsetzlich, unerhört und furchtbar das alles sei, zu entgehen. Er nahm gegen seine Gewohnheit ein abendliches Bad, um sich selbst zu beruhigen, und schlüpfte unter die Daunen. Er war nicht mehr an das Fenster getreten und hatte nicht hinausgesehen. In der Luft um ihn lag eine schwüle Bedrohung. Der treuherzige Kasper mit seinem Zorn, die witzelnden Kollegen, Marthas Bericht und die erregte Geheimrätin waren wie fahles Wetterleuchten vor aufziehenden Wolken. Wichmanns Gedanken vermieden peinlich den Punkt, an dem er sich hätte eingestehen müssen, daß der Ministerialdirigent Grevenhagen unter den Gläubigern seiner Frau auch den Assessor Wichmann finden konnte.
10
Einer der regelmäßig stattfindenden Klubabende stand bevor. Wichmann wußte schon, daß er es nicht über sich brachte wegzubleiben. Sosehr er die Gerüchte haßte, so unwiderstehlich drängte es ihn, sie peinlich zu verfolgen.
Aus ihm selbst nicht bekannten Gründen hatte er das Frühstück für den nächsten Morgen eine halbe Stunde früher bestellt und war um halb neun Uhr, als das Kabriolett vor dem Ministerium vorfuhr, schon im Dienst. Punkt neun Uhr kam der Anruf von Fräulein du Prel. »Der Herr Ministerialdirigent erwartet den Herrn Assessor zum Vortrag über die neue Verordnung.« Wichmann packte Aktenmappe und Papiere zusammen; er wußte, daß Grevenhagen auch die Unterlagen stets selbst zu sehen wünschte.
Fräulein du Prel bat, gleich einzutreten, da der Ministerialdirigent frei sei. Sie erschien noch wortkarger und unnahbarer als sonst. Sicher war sie außer ihrem Chef der einzige Mensch in der ganzen Behörde, dem niemand das Nachrichtenblatt vorzulegen gewagt hatte. Am Fenster stand ein Strauß aus rotem Klatschmohn und blauen Kornblumen. Die Finger gingen leicht über die Maschine.
Wichmann trat durch die Zwischentür bei seinem Vorgesetzten ein. Der Ministerialdirigent empfing ihn mit der gewohnten Sachlichkeit. Es wurde genau und ausführlich über die Verordnung gesprochen, und Grevenhagen schlug noch einige Verbesserungen vor, die Wichmann notierte. Man hätte nicht sagen können, daß der Ministerialdirigent abgespannt aussehe oder nervös sei. Seine Haut war nicht weniger durchblutet, seine Bewegungen waren nicht unruhiger als sonst. Das einzige, was von dem üblichen abwich, war die Menge der Zigarettenasche, die sich zu früher Dienststunde schon in der Bronzeschale befand.
Wichmann hatte die Ordnermappe wieder unter dem Arm und war aufgestanden.
»Dann sind wir wohl mit dieser Sache fertig«, sagte Grevenhagen abschließend. »Werden Sie am kommenden Sonntagmorgen zu Hause anzutreffen sein, Herr Assessor?«
»Wenn Sie es wünschen, Herr Ministerialdirigent – selbstverständlich.«
»Ich möchte Sie aufsuchen.«
Wichmann verbeugte sich und erschrak.
Grevenhagen grüßte verabschiedend, und der Assessor zog sich zurück.
In den mattbeleuchteten Korridoren empfingen Wichmann Gedanken und Befürchtungen wie Gespenster, die gelauert hatten. Was wollte Grevenhagen? Was wußte er? Sonntag in zwei Tagen also. War Wichmanns Gewissen rein? Wie bestand das, was er getan hatte, vor dem Urteil eines sehr empfindlichen Ehrgefühls?
In der ›Stillen Klause‹ erklärte Wichmann, daß er aufstehen und den Tisch verlassen werde, wenn man das Thema Grevenhagen nicht endlich abbreche. Niemand wisse wirklich etwas, und die allgemeine Klatscherei sei unerträglich, einfach z. K. Casparius stand Wichmann bei und Meier-Schulze fügte sich. Der aus dem Urlaub zurückgekehrte Korts stellte die Ohren und senkte die Augen. Fräulein Hüsch wurde erst am kommenden Montag zurückerwartet.
Am Nachmittag diktierte Wichmann den Wortlaut der geplanten Verordnung und die Begründungen und Erläuterungen dazu. Fräulein Sauberzweig, die das Stenogramm aufnahm, suchte mit Seufzen und Bemerkungen über Kopfschmerzen offenbar nach dem Anknüpfungspunkt für ein Gespräch. Aber der Assessor war von einer Unzugänglichkeit, die alle Hoffnungen in dieser Richtung zunichte werden ließ. Als die Kleine im Schreibmaschinenzimmer an der Maschine saß und Wichmann schon die ersten abgeschriebenen Blätter durchsah, erhielt er plötzlich ihre telefonische Mitteilung, daß sie in das Personalbüro gerufen werde. Fräulein Schmock könne aber ihr Stenogramm lesen und werde weiter abschreiben, wenn es recht sei. Allerdings auf einer Maschine mit anderen Typen.
Ja, bitte.
Was hatte denn die Sauberzweig im Personalbüro zu suchen? Zweifellos ging es um irgendeine harmlose Angelegenheit. Vielleicht holte sie ihre Versicherungskarte ab. Aber Wichmanns Inneres war allmählich in eine Atmosphäre geraten, in der alles verdächtig erschien. Wie die elektrische Spannung der Luft eine eigentümliche Färbung des Himmels erzeugt und selbst die Stille unbewegter Gräser unheimlich macht, so waren die Beziehungen der Menschen jetzt geladen mit Mißtrauen und Wißbegier, auch ohne daß jemand dem Worte lieh. Was tat die Sauberzweig auf dem Personalbüro? Geld an Marion Grevenhagen hatte dieses Mädchen vermutlich nicht ausgeliehen. Wichmann verbesserte zwei Schreibfehler mit Tinte und ordnete die vorliegenden Blätter. Er stellte fest, daß es im seelischen Leben nicht anders war als im körperlichen. Wie es Organe gab, die ihre Tätigkeit ohne Funktion des bewußten Willens ausübten, so gab es auch Gedanken, die von selbst kamen und schwer auszuhalten waren. Heute war Klubabend. Am Sonntag kam Grevenhagen zu dem Assessor Wichmann. Vielleicht wußte die Geheimrätin schon etwas über den Schrei in der Gartenvilla? Warum war Fräulein Sauberzweig ins Personalbüro gerufen worden? Die üblichen Kleinigkeiten dort pflegten von den Sekretären und Inspektoren vormittags vor zwölf Uhr erledigt zu werden.
Fräulein Schmock brachte den Rest der Abschrift. Sie hielt den Kopf steif und markierte ein wissendes Lächeln in dem niedlich geschminkten Gesicht. Wichmann dankte nur sehr höflich und ließ sie wieder gehen. Vielleicht wußte Anneli, warum ihre Freundin Silvia ins Personalbüro bestellt war. Aber der Assessor konnte sich nicht entschließen, bei dem Umpflügen des Gerüchtemistes öffentlich mitzuhelfen. Casparius, der väterliche Gönner der kleinen Silvia, würde ihm morgen schon erzählen, was es gegeben hatte, wenn die Sache von irgendeiner Bedeutung war.
Vor Dienstschluß gab Wichmann seine Arbeit nebst einem Zweitstück bei Fräulein du Prel ab. Er wurde nicht mehr gerufen und machte sich um halb sechs auf den Heimweg. Vom Königsplatz aus beobachtete er, wie auch hinter Grevenhagens Fenster das Licht erlosch.
Das Abendessen nahm er heute ausnahmsweise wieder in der Weinstube ein. Der Kellner begrüßte ihn wie einen verlorenen Sohn, dessen endgültige Rückkehr man immer noch erhoffen darf, und brachte ihm das preiswerte Stammgericht mit einem Schoppen Wein. Kollegen waren heute nicht anzutreffen, und das war Wichmann lieb. Er aß zwischen den getäfelten Wänden am gescheuerten Tisch; alles atmete Solidität und Sauberkeit. Wo hörte der Bürger auf, und wo fing der Spießer an? Wichmann saß an dem Tisch, an dem er einen ersten Abend mit Korts und Casparius verbracht hatte, und schaute hinüber in die Ecke, in der es ihm gelungen war, Nischan zu übertölpeln. Es war jetzt wieder ein Rätsel zu lösen: Wer hatte den Artikel im ›Nachrichtenblatt‹ veranlaßt. Aber Wichmann wollte seinen Schoppen trinken, ohne diese Geistesübung zu betreiben.
Als er sich gesättigt und zu Hause für den Klub umgezogen hatte, rief er Schildhauf an, und die beiden Herren machten sich gleichzeitig auf den Weg, um sich kurz vor dem Klubhaus zu treffen.
»Servus, Wichmann. Es ist mir angenehm, daß ich Sie sprechen kann, ehe wir in den Ameisenhaufen hineinwimmeln. Sie sind doch über die ganze Schweinerei im Bilde? Von Linck tobt. Was sagen Sie dazu?«
»Hat man schon eine Ahnung, wer die Kanaille ist, die hinter dem Artikel steht?«
»Nein. Ich dachte, Sie könnten uns einen Tip geben. Grevenhagen muß einen ganz niederträchtigen Feind haben.«
»Den hat er.«
»Und der wäre?«
»Ministerialrat Nischan.«
»Hören Sie – ein Beamter – kann sich zu einer solchen Infamie und Verleumdung doch nicht hergegeben haben! Ich schätze den Wirkungsgrad der Beamtenehre und allgemeiner kollegialer Zusammengehörigkeitsgefühle auch nicht sehr hoch ein – aber das – nein, das ginge doch über die Hutschnur. Mein Verdacht richtet sich auf jemand anders.«
»Nämlich?«
»So gemein kann nur ein Weib sein – irgendeine Eifersüchtige, die Frau Grevenhagens große Rolle in der Gesellschaft nicht mehr vertragen konnte – ihr vielleicht auch einen bestimmten Verehrer nicht mehr gönnt. Frauen sind in solchem Falle unberechenbar und einfach zu allem fähig! Haben Sie keine Beobachtungen gemacht?«
»Nicht die geringsten.«
»Halten Sie die Ramlo für hysterisch?«
»In dem Maß, in dem es noch zum guten Ton gehört.«
»Wenn ein Weib hinter der Sache steht, ist Grevenhagen ausgeliefert, dann kann er nicht einmal fordern! Der Lump von Redakteur ist zur Zeit schon mal unauffindbar – Urlaub und so – das haben wir festgestellt.«
»Muß denn überhaupt ein solches Getöse um die Sache gemacht werden? Grevenhagen fühlt sich nicht getroffen – fertig.«
»So ähnlich ist von Lincks Meinung auch. Kommen Sie, treten wir in die Räuberhöhle ein. Linck hat gebeten, daß wir nicht nach halb neun Uhr kommen. Er muß bald wieder weg.«
Die jungen Herren hatten das Haus erreicht, in dem sich die Klubräume befanden. Sie gelangten über die breite teppichbelegte Treppe hinauf in den ersten Stock und legten in der Garderobe ab. Die Zahl der Hüte an den Haken verriet, daß die Besucher heute zahlreicher erschienen waren als sonst in der Sommerzeit. Wichmann und Schildhauf bummelten in das Zeitungs- und Lesezimmer, in dem jedoch niemand anzutreffen war. Aus den drei Gesellschaftsräumen, die über Eck des Gebäudes gelegen waren, kamen feiner Rauchgeruch und gedämpfter Stimmenklang; hier hatten die meisten der anwesenden Klubmitglieder zusammengefunden. Der Kreis saß in der beliebten Runde um den Rauchtisch, dessen Platte in türkischem Muster aus Bronze getrieben war. Den Ledersessel mit der hohen Lehne und dem niedrigen Sitz hatte ein Prinz inne, auf dem Klubsofa saßen zwei Redakteure mit klugen Augen und dem Zuge des skeptischen Weltkenners um den Mund. Von Linck und einige andere Herren standen umher. Linck bückte sich eben, um die Asche seiner Zigarre auf dem Becher des niedrigen Tisches abzustreifen. Schildhauf und Wichmann hielten sich im Hintergrund. Es schien keine rechte Unterhaltung in Gang gewesen zu sein, und als die beiden neuen Besucher eintraten, wurde es ganz still. Die Augen der meisten hatten sich auf Herrn von Linck gerichtet, der etwas vortrat und sich aufgerichtet hatte, als ob er sprechen wolle.
»Meine Herren«, sagte seine deutliche Stimme nach einem Zug. »Meine Zeit ist heute leider begrenzt. Ich nehme an, daß wir jetzt so zahlreich versammelt sind, wie es am heutigen Abend überhaupt zu erwarten sein wird. Die Vorstandsmitglieder sind vollzählig anwesend. Ich möchte deshalb nicht länger damit zurückhalten, daß wir heute eine unangenehme Angelegenheit zu besprechen haben. Ich halte es für falsch, sie mit Gewisper und Geflüster abzutun. Sie ist auch durch sich selbst in ein Stadium getreten, in dem wir gezwungen sind, von uns aus offen als Ehrenmänner Stellung zu nehmen. Seine Exzellenz, der Minister a. D. Grevenhagen, und Herr Ministerialdirigent Dr. Justus Grevenhagen haben ihren Austritt aus dem Klub schriftlich erklärt. Die Briefe sind heute mittag dem Vorstand, und zwar mir, überbracht worden. Sie enthalten nichts als die Mitteilung, die ich soeben machte, ohne Angabe von Gründen.«
Die Herren schwiegen und sahen auf ihre Zigarre, auf ihre Hände, auf die Tischplatte hinunter. Die Redakteure schoben die Unterlippe vor und bliesen den Rauch sehr langsam aus. Seine Hoheit legte die Hand auf das abgegriffene Leder der Armlehne und krümmte die Finger, als wolle er trommeln, ohne dies jedoch zu tun. Augenbrauen zogen sich hoch. Es war, als ob zwischen den Cuts und Smokings ein Gespenst aufgetaucht sei, das man nicht anreden dürfe. Auch von Linck nahm seine Zigarre wieder auf und rauchte vorläufig stumm weiter.
Es zeigte sich, daß niemand das Wort ergreifen wollte. Von Linck räusperte sich.
»Ich bin der Ansicht, meine Herren, daß wir diese Austrittserklärung nicht stillschweigend hinnehmen werden. Es handelt sich um zwei der angesehensten Mitglieder unseres Klubs. Der Austritt erfolgt unter Umständen, die uns nicht erlauben, einfach darüber hinwegzugehen. Wir sind das schon diesen beiden Herren und unserer eigenen Ehre, dem Ansehen unseres Klubs sind wir es schuldig, daß wir Stellung nehmen. Ich für meine Person jedenfalls bin nicht geneigt, vor einer andringenden Schmutzflut davonzulaufen und Freunde und Kriegskameraden im Stich zu lassen. Ich bitte, mir zu sagen, wie Sie darüber denken, meine Herren.«
»Ich bin über die Dinge nicht unterrichtet. Würden Sie so gütig sein, Herr von Linck, zu erläutern, was vorgegangen ist?«
»Dazu bin ich mit wenigen Worten imstande, Hoheit. Die Familie Grevenhagen hatte bei Herrn von Schomburg einen Kredit aufgenommen, der zwei Tage, nachdem die Wechsel fällig wurden, auf Heller und Pfennig mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt worden ist. Ich stehe nicht an, diese Tatsache hier offen zu erwähnen, denn sie ist – leider, und nur in meist unzureichenden Bruchstücken – allgemein bekanntgeworden. Es ist die einzige Tatsache, die vorliegt. Das Weitere ist ein Anwurf, ein niedriger, stinkender, heimtückischer und unbegründeter Angriff in einem notorischen Schundblatt, dessen Vorhandensein dem Ansehen der anständigen Presse schadet. Ich bin nicht gewillt, diesen Schmutz hier im einzelnen nachzukäuen. Meiner Meinung nach gehört dieses Blatt in den Papierkorb oder kann einem sonstigen nützlichen Verwendungszweck zugeführt werden, ohne gelesen zu sein. Es liegt kein Grund vor, daß die beiden Herren Grevenhagen aus unserem Kreise ausscheiden müßten. Ihre Ehrenhaftigkeit ist über allen Zweifel erhaben. Ich möchte die Herren bitten, ihre Austrittserklärung zurückzunehmen, und ich glaube damit auch in Ihrer aller Sinn zu handeln.«
Die Zuhörer hoben die Köpfe und bliesen den Rauch etwas höher. Seine Hoheit begann mit zwei Fingern auf der Lehne zu spielen.
»Von wem stammt denn der ungezogene Artikel – ich meine, geistige Urheberschaft?«
»Wer sich zum Zwischenträger dieser elenden Verleumdungen und erbärmlichen Anspielungen gemacht hat, ist mir nicht bekannt, Hoheit … Ich vermute, irgendein niedrigstehendes weibliches Subjekt. Der verantwortliche Redakteur hat in seinem bösen Gewissen die Stadt bereits verlassen.«
»Ach so die typische Journaille. Ich bin überzeugt, Herr von Linck, daß wir Ihrem Vorschlag, Mitglieder unseres Klubs solchen Untermenschen nicht preiszugeben, alle zustimmen können. Ich möchte nur der Ordnung halber bitten, daß Sie denjenigen von uns, die noch nicht orientiert sind, das Blatt zur Kenntnis geben.«
»Das kann gleich geschehen, Hoheit.«
Von Linck zog die Brieftasche hervor, entfaltete einen ausgeschnittenen Artikel, faßte ihn mit zwei Fingern und übergab ihn mit einer Bewegung, als ob er ein ekelerregendes Tier habe angreifen müssen.
Seine Hoheit dankte und las, offenbar langsam, aber zunächst ohne besondere Aufmerksamkeit. Allmählich wurde seine Miene gespannter, und als er geendet hatte, fing er noch einmal von vorn zu lesen an.
»Tja … allerhand … in infam versteckter Form …«
Seine Hoheit las zum dritten Mal.
»Das klingt allerdings sehr nach Weiberklatsch, lieber Linck. Es könnte ja nur … hm … na ja … straf- oder pressegesetzlich ist da wohl nichts zu machen?«
Die Redakteure zuckten die Achseln. »Endlose Prozesse ohne befriedigenden Ausgang, und die Sache wird nur noch breiter getreten. Versuchen kann man es natürlich – wenn tatsächlich nichts hinter den Anwürfen steckt.«
»Was soll dahinterstecken, Herr!« Von Linck schwoll die Zornader an der Schläfe.
»Ich nehme an, gar nichts, Herr von Linck.« Der ältere Redakteur tat einen langen Zug. »Aber es gibt oft Verhältnisse, die so und so dargestellt werden können, und man muß sich immer überlegen, was man ohne Mißverständnisse an die Öffentlichkeit eines Prozesses zerren lassen kann und was nicht.«
»Wenn solche Meinungen überhaupt bestehen können, wird Herr Grevenhagen allerdings ehestens einen Beleidigungsprozeß austragen müssen. Tatsache ist absolut gar nichts, als was ich vorhin erwähnte.«
»Hat Ihnen einer der beiden Herren Grevenhagen das persönlich erklärt?«
»Nein, aber …«
Von Linck stockte.
Der Redakteur hatte die Asche mit einem etwas boshaften Lächeln abgestreift. Seine Hoheit war unruhig geworden. Wichmann beobachtete, wie zwei Klubmitglieder, die ihm als Industriedirektoren bekannt waren, sich aus den Augenwinkeln kurz verständigten. Der Name des einen war Koeppen. »Ich halte die ganze Geschichte für offenkundigen Unsinn.« Seine Hoheit sprach hastig. »Es ist undenkbar … bei den Grundsätzen des alten Grevenhagen! – Wollen wir uns doch einfach dahin entschließen, Herr von Linck, daß die Herren Grevenhagen Ihnen persönlich eine Erklärung über diese Sache abgeben und dann im Klub verbleiben. Ich glaube im allgemeinen Einverständnis zu sprechen, wenn ich Sie bitte, die Herren aufzusuchen und die Angelegenheit in diesem Sinne zu regeln.«