Kitabı oku: «Zwei Freunde», sayfa 5
Wichmann fand nichts Arges dabei, in dieser Weise an seine beiden Tischnachbarn zu denken, während er die Zunge mit dem Geschmack des guten Tropfens netzte. Er mochte seine Kameraden gern; die drei waren durch die gemeinsame Arbeit schon zu einer Art »Stallgefährten« geworden, was nicht hinderte, daß sie auf der Rennbahn konkurrierten. Es umschloß sie als Band, für eine wichtige und befriedigende Aufgabe von einem sachlich anspruchsvollen Vorgesetzten ausgewählt zu sein, und sie hatten ihre Fähigkeiten gegenseitig schätzen gelernt; jetzt probten sie aus, ob sie auch abseits des Dienstbetriebes paßten.
Als Wichmann die dritte Flasche Wein in die Gläser schenkte, kam ihm in dem goldgelben Spiegel auf einmal eine sonderbare Schau. Er sah das Schicksal als einen borstenhaarigen Mann auf einem Schreibtischstuhl, wie es mit ungeschickten Fingern ein Rätselspiel zu lösen versuchte. Die Blättchen in den sinnlosen Formen, die zusammengelegt ein Bild ergeben sollten, paßten noch nicht ineinander, das eine hatte eine Ecke zuviel, das andere war zu rund. Das Schicksal mußte zusammenwerfen und von neuem anfangen. Was man beim Wein so dachte!
Korts war großzügig; er bestellte bei der vierten Flasche eine teure Marke. Casparius, der drei Kinder hatte, wurde von den Spendeverpflichtungen befreit.
»Drei, Herr Casparius? Sie haben sich aber beeilt.«
»Ha nei, Herr Regierungsrat in spe, des hab’ ich also gar net nötig ghabt, mich zu beeile. Ich hab’ allerdings gheiratet in einem Alter, in dem Sie erscht der Fräulein Hüsch eine Krokodilledertasche aufhebe und dabei noch rot werde! Infolge der Anstrengung des Bückens und der Senkung des Kopfes, die Ihnen einen näheren Ausblick auf seidenbestrumpfte Knie gestattet! Aber als ich in den Hafe gfahre war, der gegenwärtig infolge dreifacher Bemühung ein ziemlich wohlriechender geworde ischt, da hab’ ich ein paar Jährle in aller Geduld gwartet, und dann hat meine Frau das auf ein Hieb … oder Sitz, oder wie man passenderweise sagt, gemacht und hat mir Drillinge beschert.«
»Drei Mädchen?«
»Ha, natürlich. Woher wisse Sie denn des? Das kann nur mir passiere, Herr Assessor, oder dem Inspektor Baier könnt’s auch passiere, wenn er eine Frau hätt’ – aber vorsichtigerweis hat er noch keine.«
Die Herren tranken langsam weiter und aßen Käse. Korts hatte einen guten Zug.
»Wie heißen denn Sie mit dem Vornamen?« wollte Wichmann von ihm wissen.
»Wie kann ich wohl heißen? Das sollten Sie raten. Aber ich will Sie heute nicht mehr überanstrengen. Robert heiße ich, und wenn Sie nicht mich, sondern bei mir daheim gefragt hätten, so wüßten Sie es noch genauer: Robert der Teufel.«
»Darauf sind Sie stolz?«
»Selbstverständlich.«
»Fräulein Hüsch würde Sie dann Rob nennen, oder wenn sie zärtlich ist, Robby.«
»Meinen Sie?«
»Das weiß ich.«
Der Wein duftete sonnensüß.
»Wie ist die Lotte eigentlich?« fragte Wichmann. »Eine Blume ist sie nicht mehr … eine Frucht … oder schon ein wenig gegoren?«
Korts lachte betroffen und ohne aufzusehen.
Wichmann bot Zigaretten an. Die blauen Wölkchen schienen die Luft sichtbar zu machen und entfernten die Gegenstände und die fremden Gäste. Oskar Wichmann empfand ein steigendes Wohlgefühl nach den Erregungen des Tages. Sein Blut lief schneller, sein Selbstvertrauen wurde sicherer.
Casparius hatte eine Kunstfigur in die Luft geblasen.
Ein schönes Fragezeichen.
»Wichmann löst es«, sagte Korts.
Wichmann blies gegen den Dunst; er wandelte sich in andere Gestalten.
»Nix als Rätsel«, sagte Casparius.
Man ließ den Rauch nachdenklich seine Bahnen ziehen.
Korts wurde zutraulich. »Wichmann – im Vertrauen – im tiefen Vertrauen … Sie stehen auf dem Lotos … sitzen in der Liste … schscht … sagen Sie nichts, es ist wahr. Ihr Vater ist Christlicher Gewerkschaftsführer von Boschhofers Partei. Sie haben das Fragezeichen gelöst, und Sie werden jetzt Regierungsrat. Wichmann, ich bestelle auf Ihre Kosten eine Flasche! Seien Sie still, Wichmann, ich weiß alles.«
»Korts, Sie sollen Ihre Flasche haben, aber dann halten Sie auch den Mund, es ist ja alles gar nicht wahr.«
»Geben Sie mir die Flasche, Wichmann, und lassen Sie mir die Lotte Hüsch.«
»Geschenkt, Korts.«
»Sie sind ein Frauenjäger, Wichmann. Aber lassen Sie mir die Lotte Hüsch, Herr Regierungsrat in spe, und bleiben Sie bei Ihrem Fragezeichen!«
Wichmann wußte nicht recht, ob Korts besoffen war oder sich so stellte. Er lachte.
Eine staubige Flasche kam und wurde geöffnet. Korts schämte sich nicht, sie allein zu trinken. »Auf Ihr Wohl, Herr Regierungsrat. Wissen Sie, was ein Fragezeichen wird, wenn man es umdreht?«
»Was denn?«
»Ich weiß nicht mehr. Ober, machen Sie ein Fragezeichen und drehen Sie es um … ja? Was ist es dann?«
»Ein ›S‹, meine Herren.«
»Ein Staatssekretär! Wichmann, Sie haben eine große Zukunft!
Aber erst, wenn ich Minister … Warum bekomme ich denn kein Käsebrot mehr?«
»Essen Sie nur, Robby.«
»Der Josef Boschhofer und der Justus Grevenhagen sind nur Kalkberge! Wenn ich Minister bin, Wichmann, sollen Sie sehen … sollen Sie sehen … da mach’ ich Fragezeichen!«
›› … ha, des glaub’ ich also auch. Fragezeichen, daß einer Sau grausen könnt!«
»So ist es, Kaspar! Daß einer Sau graust … grausaust … Lassen Sie mich zufrieden. Ich werde jetzt Oberregierungsrat, oder die ganze Hütte fliegt in die Luft! Die Lotte spricht Englisch, Französisch und Italienisch, sie will einen Minister oder einen Diplomaten zum Ehemann haben. Ich werde vorläufig Oberregierungsrat …«
Korts trank sein letztes Glas aus.
»Ich stift’ auch eine, Herr Korts. Jetzt fängt’s an, sich zu lohne.«
»Jetzt langt’s auch ohne, Kasperl. Mit der Pritsche müßte man kommen und die Großmütterbeamten totschlagen! Kasperl, geben Sie acht, wenn ich mit der Pritsche komme! Seid Ihr alle da? Ja!«
Korts hatte seine Papierserviette zusammengedreht, so daß sie steif war, und klatschte damit auf den Tisch. »Der Baier: Lieber Herr Regierungsrat, so schnell geht das nicht, was denken Sie sich – klaps – die Schmock: Nein, Herr Regierungsrat, ich habe so viel andere eilige Arbeiten – klaps – die Lotte: Manieren wie ein Kongonigger – klaps – der Pöschko: Dann wenden Sie sich bitte an den Referenten – klaps – der Grevenhagen: Ihre Ernennung kann nicht vorweggenommen werden – klaps – der Boschhofer und der St … klaps, klaps – Kasperl, habe ich gut gearbeitet?«
»… ’s tut’s, Herr Oberregierungsrat, ’s tut’s.«
»Ich bin Robert der Teufel … haut sie, daß die Fetzen fliegen! … Kinder, Kinder, in einem Alter, in dem andere Leute die Welt erobert haben, sitzen wir herum wie das Stallvieh und lassen unsern Geist melken, damit andere die Sahne trinken! Es ist zum Auswachsen. Ich wachse aus, Kasperl, geben Sie acht auf meine Triebe! Sie werden sich alle noch die Augen reiben, wenn der Kalk von den Wänden fällt! Bei den IG-Farben hatte ich schon eine eigene Unterabteilung … und was bin ich heute bei unserem JG? Die Lotte hatte ganz recht, nur hinaus aus dem Mief, bevor man erstickt ist! Kasper, wenn ich einen Mercedes habe, lad’ ich Sie ein!«
»In zehn Jahren, Herr ›Ministerialrat‹…«
»Ho! Zehn Jahre! Kasper, in zehn Jahren bin ich Generaldirektor oder Oberbürgermeister oder Minister, und die Lotte würde sich die Finger schlecken, wenn sie mich dann noch kriegte … aufs Wohl!«
Wichmann schaute aufmerksam auf Korts, wie ein Junge, der mit den Händen in den Hosentaschen dasteht und das Platzen eines Knallfrosches bewundernd beobachtet. Der Wein hatte Wichmann beschwert und ruhig gemacht, und er aß langsam das folgende Käsebrot. »Sie waren bei den IG-Farben?« fragte er Korts erstaunt.
»Vier Jahre, 1923 bis 1927. Lemme und Boschhofer haben mich ins Ministerium geholt, um der Juristeninzucht etwas frisches Blut zuzuführen!«
Korts war für Wichmann ein neuartiges und seltsames Phänomen. Er selbst war immer ehrgeizig gewesen, aber vor der Prophezeiung der eigenen Karriere in der Manier Robert des Teufels hätte er sogar im Suff noch eine abergläubische Furcht gehabt.
Korts zählte Schweizer-Käse-Löcher.
»Wichmann, wenn ich nur wüßte, was Sie an sich haben! Sie haben etwas für Frauen und für Ministerialdirektoren! Sie sind so still und rätselhaft mit Ihren dunkelblauen Augen und so unschuldig und entwicklungsfähig! Die Lotte hat Sie heute angeschaut, daß einer eifersüchtig werden könnte, und Sie sind kalt geblieben! Wenn ich nur wüßte, was Sie mit dem Boschhofer gemacht haben, der ist auch verliebt in Sie! Wichmann, Sie sind ein stilles Wasser, und stille Wasser sind gefährlich.«
»Ich gebe Ihnen noch mal die Flasche, Korts, aber das ist die letzte. Sonst muß ich Kredit nehmen und kann der Hüsch morgen die hundert Mark nicht leihen.«
»Geben Sie mir die Flasche, Wichmann, ich will dann ruhig sein und niemandem mehr sagen, daß Ihr Vater Christlicher Gewerkschaftsführer und Mitglied der Zentrumspartei ist.«
»Wer hat denn diesen Mist aufgebracht?!«
»Ha no … ischt denn des net wahr?«
»Keine Rede davon. Mein Vater war Universitätsprofessor und hat nie einer Partei angehört.«
»Ha no, jetzt sage Sie … aber sage Sie’s net so laut, denn für die Lischte ist der Irrtum wahrscheinlich besser! Aber wir haben uns auch immer schon gewundert, daß sich der Grevenhagen ausgerechnet einen Zentrumsmann holt. Die gehöre doch eigentlich zu uns herüber, in den Orient zum Nischan. Mir habe das ganz säuberlich von Referat zu Referat getrennt, damit keine gegenseitige Infektion in Glaubensdingen stattfindet.«
»Welcher Partei gehört denn Grevenhagen an?«
»Gar keiner, des ischt vielleicht sein größter Fehler. Er repräsentiert – wie soll man das richtig ausdrücken? – ehemals kaiserlich-parteilospreußische Königstreue in republikanischen Formen durchtränkt mit sehr viel Dienstauffassung, umkränzt von Regimentskameraden, immer auf Draht in ›Ehrensachen‹ und selbstverständlich evangelisch. Es hat den Anschein, daß er mit Fanatismus an seine eigene Dienstauffassung glaubt, und jedenfalls wär’ ihm zuzutrauen, daß er den prophezeiten Zusammenbruch herbeiwünscht, damit unsere rosarot beleuchtete Republik gleich damit abgeht …«
»Daher der Scharfblick?«
»Sachlichkeit hat immer ihren Hintergrund, lieber Wichmann.«
»Aber wieso kommt dann unser Robby als Untergebener zu der von Ihnen so anschaulich geschilderten Grevenhagenschen klaren Unklarheit? Ist Rob von der ›rechten‹ Partei?«
»Der Herr Korts paßt überall hin. Er hat bei der IG den Farbwechsel gelernt. Aber vielleicht erzählt er uns was, heut abend?«
Korts schüttelte die Löwenmähne.
»Nee … nee … nichts wird erzählt. Ich muß jetzt still sein! Wichmann hat gesagt, ich muß still sein und meine Flasche trinken. Aufs Wohl!«
Die Sitzung in blaudunstiger Luft, vor gefüllten Gläsern zog sich in schweigendes Beisammensein hinein. Der Kellner räumte die Käseteller ab. Korts hatte die Hände auf den Tisch gelegt. Seine Handgelenke, die so breit waren wie der Arm selbst, kamen aus den Manschetten hervor und verstärkten den Eindruck des Stiermäßigen, den Wichmann beim ersten Anblick des Nackens, der einen breiten Kopf trug, schon unwiderstehlich gehabt hatte. Casparius saß auf der anderen Seite wie ein nachdenklicher, gutmütiger großer Affe.
Es wurde nur noch getrunken und kaum gesprochen. Über des Casparius ausdrucksfähiges Gesicht ging eine Fülle von Stimmungen und Gedanken. Korts starrte auf sein Glas; seine Wangen waren rot.
»Wichmann – kommen Sie mir bei der Hüsch nicht in die Quere … ich erschlage Sie sonst!«
»Möchten Sie?«
»Ja, das möchte ich.«
»Auf Ihr Wohl, Robert Korts!«
Die Gläser klangen ein letztes Mal.
Es war spät in der Nacht, als die Kollegen zahlten und gingen. Die Residenzstraße war schon still geworden. Der Schein der Bogenlampen fand Bummler und Dirnen. Seltener als am Abend blendeten Autos mit Scheinwerfern. Das Schaufenster mit dem Platindiadem war noch immer erleuchtet und erzählte der Nachtstunde von Bällen und Logen, von sagenhaften Fürsten, die Diamanten verkaufen mußten, und von Frauen, die sie zu tragen wünschten. Korts blieb stehen. Er sagte nichts, aber er dachte an Lotte Hüsch. Er sagte doch etwas.
»Gefällt Ihnen das Diadem, Wichmann?«
»In einem schönen Frauenhaar … ja, Robby.«
»Ich bin zu klein, Wichmann, zu klein, deshalb lieben mich die Frauen nicht. Wo haben Sie die zwanzig Zentimeter hergenommen, die mir fehlen?«
»Im Nähtisch an der Elle abgeschnitten, Robby.«
»Liebling?«
Wichmann sah wieder in das grob geschminkte Gesicht und wandte sich brüsk ab.
»Lassen wir das Diadem, Korts, bis Sie Generaldirektor sind.«
Die Herren schlenderten weiter. Es ergab sich ohne Verabredung, daß sie in den dunklen Park kamen. Der Herbstgeruch und die Kühle gaben dem Abschied ihre Stimmung. Die Köpfe wurden müder und klarer. Die beiden Kollegen geleiteten Wichmann, das »Wundertier des Abendlandes«, ein Stück des Heimwegs.
An der Ecke der Kreuderstraße blieb man stehen, um sich zu trennen.
»Jetzt schlafe Sie nur gut und träume Sie net zuviel vom Josef Boschhofer und vom Justus Grevenhagen und von der Lotte und von den Frauenhaaren mit dem Diadem und dem eifersüchtigen Robert, des stört nur die Verdauung. Und für morge stelle Sie Ihren Wecker eine halbe Stund früher, denn morge sind wir keine Minut sicher vor dem arbeitseifrigen Chef!«
Martha öffnete heute nicht mehr die Tür vor dem Klingeln; sie war schon zu Bett gegangen. Die ganze geheimrätliche Wohnung schlief in anklagender Ruhe, und nur der geduldige Heilige hielt noch immer die Zigarette, die ihm der Regierungsassessor des zwanzigsten Jahrhunderts zwischen die heilgebliebenen Finger gesteckt hatte.
Oskar Wichmann stand noch einmal am Fenster, ehe er den Schlaf unter den Daunen suchte. Drüben, weit hinter dem Schatten des Ahornbaums, leuchteten die Fenster noch hell, und vor dem schmiedeeisernen Tor standen drei rassige Wagen.
An einem der kommenden Sonntage wollte Regierungsassessor Dr. Wichmann in der Kreuderstraße 3 seine Karte abgeben.
Es war schön zu träumen, ehe man schlief, wenn die leise Schaukel der Weinlaune und die Aussicht auf die Ernennung in den Schlummer wiegten.
3
Die Tage, die auf den Weinabend des Kleeblatts folgten, waren von Arbeit geschwängert. In der Feuerprobe der kollegialen, sachlich rücksichtslosen Besprechungen schmiedete Wichmann seine Argumente, und er sah das Häufchen Blätter anwachsen, auf dem die endgültigen Formulierungen zu dem von ihm übernommenen Teilgebiet der Arbeit verzeichnet waren. Ein Wonnegefühl des erfolgreich Schaffenden gab seiner Stimmung Flügel. Die Zusammenarbeit mit Korts und Casparius verlief äußerlich reibungslos. Den »Regierungsrat« schien »Robert der Teufel« ausgezogen zu haben, wie man eine Jacke ablegt. Dieser etwas untersetzt geratene Stier war immer höflich und immer geduldig, auch wenn er die Meinung mit Assessor Wichmann kreuzte und seine gestellten Ohren die innere Erregung verrieten.
»Sie nehmen das zu gründlich, Herr Wichmann …«
»Die Sache erfordert es …«
»Das können Sie vorläufig dahingestellt sein lassen …«
»Ich finde mich mit keiner Unklarheit ab …«
»Wir müssen bald abschließen …«
»… nicht auf Kosten der Zuverlässigkeit …«
In allen Tonarten von Moll und Dur wiederholte sich dieser Grundkonflikt zwischen den beiden jungen Männern. Wichmann dachte mit Leidenschaft an die Sache, Korts aber überwiegend an die Situation persönlicher Interessen, in die sie hineingestellt war.
Nach vierzehn Tagen war bei Ministerialrat Grevenhagen eine Besprechung in größerem Kreise, auch unter Beiziehung einiger Herren aus dem Staatsministerium, vorgesehen. Korts, Wichmann und Casparius hatten ihre vorläufigen Ausarbeitungen abgegeben, und Anneli Schmock sowie Silvia Sauberzweig hatten aufgeatmet und Zeit gefunden, die Schublade mit dem Kriminalroman wieder um einen Spalt zu öffnen.
Wichmann war entschlossen gewesen, sich am Vortag der Besprechung ein paar Mußestunden zu genehmigen. Da stürzte ihn der durchschneidende Gedanke, der ihm auf seinem Dienstweg beim Anblick eines glatten Teichspiegels kam, in Verzweiflung.
Seine ganze Arbeit war Stümperei, nichts als eine Sammlung von Allerweltsweisheiten und nicht durchsichtigem Material. Selbstverständlich, selbstverständlich, es war selbstverständlich zweckmäßig, nicht die Bezirke eines jeden Ressorts räumlich anders abzugrenzen und ein Gewirr der Grenzen von Finanzamtsbezirken, Arbeitsamtsbezirken, Gerichtsbezirken, politischen Kreisen, Reichsbahndirektionen ineinander und durcheinander bestehen zu lassen.
Wem waren diese Erkenntnisse etwa neu? Was kam damit voran? Gar nichts.
Wesentlich wäre gewesen, das Allgemeine und Durchschnittliche herauszufinden, irgendeinen Maßstab, nach dem man bestmögliche Einteilungen, zunächst einmal sozialer und wirtschaftlicher Art, einfach und vergleichbar bemessen konnte.
Maßstab … woher nehmen? Die Statistiker hatten ihn im Stich gelassen.
Dennoch mußte ein Maßstab her … heute? Morgen war die Sitzung. Und er hatte Grevenhagen eine unzulängliche Arbeit abgegeben.
Die Nacht nach diesem Tage fand Wichmann an dem großen Renaissanceschreibtisch des verstorbenen Geheimrats. Der Tee-Extrakt, war gebraut, der Samowar summte. Eine Nacht war lang.
Morgens um sechs Uhr sank der Arbeitende angekleidet auf das nicht benutzte Bett. Er hatte den Maßstab nicht, aber den Weg, auf dem man ihn suchen mußte. Eine Darstellung von zwei Seiten, handschriftlich festgehalten, war das Ergebnis der durchwachten Nacht.
Um acht verließ der Assessor das Haus und begab sich zum Dienst. Seine leichten Kopfschmerzen störten ihn nicht. Er nahm nur den Hut ab und ließ sich die Morgenkälte um die gespannten Nerven wehen. Der Wind pfiff aus Westen und trieb faule Wolken zur Eile; die ihm nicht schnell genug folgten, wurden in Fetzen gerissen. Ein mattes, gebrochenes Sonnenlicht leuchtete zu diesem Spiel. Gefallene Blätter versuchten sich noch einmal zu erheben und sanken raschelnd wieder zu Boden. In der Residenzstraße lief Anneli Schmock ihrem Hut nach, der auf der Kante davonrollte; ihre künstlich gewellten Haare flatterten wirr im anwachsenden Sturm. Die Luft kam von rollenden Wogen der Meere und roch nach Schaumkronen und Tang, aber der Assessor dachte an die Bezirkseinteilung. Ohne selbst gewußt zu haben, wie er seine Schritte lenkte, stand er in dem Augenblick, in dem er aus seinen Arbeitsträumen erwachte, vor dem Haupteingang des Ministeriums am Königsplatz.
Hinter ihm hielt leise ein Wagen; eine Autotür klappte, und ehe Wichmann die Schritte des Aussteigenden recht vernommen hatte, hörte er eine Stimme.
»Herr Dr. Wichmann … guten Morgen … Kommen Sie gleich mit mir hinauf?«
»Jawohl, Herr Ministerialrat.«
Der Pförtner mit den weißen Schläfen im blauen Rock grüßte mit betonter Achtung.
Grevenhagen dankte. Der Ministerialrat hatte eine besondere Art, den Gruß Untergebener zu erwidern, in der sich Höflichkeit mit einem Abstand-Halten verband. Er grüßte … wie?
Wie ein Offizier.
Zum erstenmal ging Wichmann an der Seite seines Vorgesetzten die Prunktreppe hinauf.
Der Assessor legte bei Fräulein du Prel ab und folgte Grevenhagen in dessen großes Arbeitszimmer. Das Heulen des Windes, der sich nach dem Überbrausen des weiten Platzes an Häuserfronten stieß, war durch die Fenster zu hören.
»Nehmen Sie Platz. Ich wollte rasch noch ein Ergebnis unserer Arbeit mit Ihnen durchsprechen. Fräulein du Prel wird das Blatt gleich bringen.«
Wichmann zog die beiden mit Handschrift bedeckten Seiten aus der schweinsledernen Mappe, die über seinen Knien lag.
»Ah, Sie haben auch noch etwas?«
Grevenhagen vertiefte sich in die Ausarbeitung und fing an zu nicken. Er sah heute frisch aus.
»Gut, Herr Wichmann! Das ist der springende Punkt. Sie sind also von selbst noch darauf gekommen.«
Die Sekretärin trat ein und brachte eine Mappe, der Grevenhagen wenige Seiten eines Durchschlags entnahm, um sie seinem ›Hilfsarbeiter‹ im Referat zu überreichen.
»Lesen Sie, bitte.«
Der erste Blick genügte, um zu wissen, daß es sich um einen Auszug aus der Arbeit des Trios handelte, der die Hauptergebnisse übersichtlich machte. Die Anordnung war so getroffen, der Ausdruck in einer Weise gewählt, daß der Gedanke, den sich Wichmann in der vergangenen Nacht erkämpft hatte, jedem in die Augen sprang. Der Assessor schwankte in Enttäuschung und Bewunderung.
»Ich wollte Ihnen das zeigen. In dieser Richtung werden Sie weiterarbeiten müssen. Es freut mich, daß Sie die Erkenntnis auch gefunden haben.«
Wichmann grollte mit sich selbst, daß er sie nicht früher gefunden hatte.
»Sie können den Durchschlag mitnehmen. Um zehn Uhr sind Sie dann hier, bitte.«
Grevenhagen schlug die Mappe mit dem schweren Deckel auf und begann, seine Unterschriften zu leisten.
Wichmann zog sich zurück.
In seinem Zimmer fand er Lotte Hüsch vor. Sie saß auf seinem Schreibtisch und hatte die zierlichen Füße auf die Lehne des Stuhls gestellt; die Hände waren um die seidenstrumpfglänzenden Knie geschlungen. Ihr Lachen lud ein.
»Hi-hä. Wo waren Sie denn so lange? Ich hab’ Sie doch vorhin kommen sehen?«
»Mich kommen sehen? Was hat Ihnen denn den Schlaf geraubt, gnädiges Fräulein?«
Wichmann legte die Aktentasche auf den Aktenbock und blieb mit dem Rücken gegen die Tür stehen. »Heut war doch Kontrolle! Das wissen Sie nicht? Baier hat mir’s gestern verraten, ist doch ein anständiger Kerl. Natürlich so eine Idee von dem Pöschko! Wahrscheinlich … na, der wird sich ärgern … Ich denke, Sie kommen auch deshalb so früh?«
»Vielleicht gab’s auch noch andere Gründe, gnädiges Fräulein. Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«
»Danke.« Die Hände lösten sich von den Knien.
»Und vielleicht einen etwas bequemeren Sitz?«
»Danke, ich sitze ganz gut. Oder wollen Sie wirklich arbeiten? Sie sind ja seit vierzehn Tagen reineweg verrückt, Korts und Casparius und Sie. Übrigens Ihre hundert Mark …«
»Bitte, wenn Sie sie noch brauchen?«
»Nee, nee, jetzt nicht mehr, ein andres Mal wieder. Da ham Sie sie … nehmen Sie nur.«
Die Krokodilledertasche, die neben der Dame auf der Schreibtischplatte lag, gab einen Schein her.
Fräulein Hüsch betrachtete den Assessor sichtlich amüsiert.
»Warum stehen Sie denn so an der Tür?«
»In Bewunderung versunken!«
»Nehmen Sie nur Platz. Um die Zeit kommt niemand. Der Bote ist schon durch.«
Wichmann setzte sich in eine entfernte Ecke und betrachtete seinen Schreibtisch mit dem ungewohnten Aufsatz. Die zierlichen Finger, an denen der Brillantring funkelte, hielten die Zigarette sehr graziös; der Dunst stieg in die Aktenluft. Unaufhörlich spielten die Augen.
»Rauchen Sie nicht?«
Der Assessor steckte eine Zigarette an.
»Halten Sie’s noch aus in Ihrem Geheimratsviertel? Ich bin vor ein paar Tagen umgezogen. Furchtbar teuer, aber schönes Zimmer, ganz modern. Sie müssen mich mal besuchen! Zum Abendessen mit Korts und Nathan und Borowski. Nathan ist widerlich, aber er soll herauskriegen, ob ich auf der Beförderungsliste stehe. Loeb ist ein Mann, aber er kommt leider nicht. Welche Marke trinken Sie denn gern?«
»Ich bin nicht anspruchsvoll.«
»Na, hören Sie! Sie sollen in unseren Weinrestaurants besser bekannt sein als die Eingeborenen. Mit Ihnen kennt man sich nicht aus. Hi – hä – Wie finden Sie die Frauen hier?«
»Keine Zeit, keine Zeit, um mir wirklich ein Urteil zu bilden.«
»Na, Sie sind wenigstens nicht so wie der Nischan, dem die Schmock gut genug ist zum Poussieren. Sie ham noch Ehrgeiz. Wissen Sie schon von dem Ball?«
»Nichts … was für ein Ball?«
»Eine ausgesprochene Schnapsidee! Das Ministerium veranstaltet einen Ball im ›Hotel de l’Europe‹! Also stellen Sie sich das vor, die Banausen, der Pöschko und der Baier, diese schlecht angezogenen Philister, und die kleinen Mädchen dazu vom Stil der Sauberzweig. Es ist ja blöd. Gehn Sie da hin?«
»Ich werde mich nach den andern richten.«
»Na ja, das ist noch das Beste, was man tun kann. Glauben Sie, daß Grevenhagen zu so was kommt? Mit dem möcht’ ich mal tanzen … einen Tango … Ich hab’ ein neues Ballkleid … Spitze mit Unterkleid … vielleicht bring ich’s mal her … Sie ham sicher Geschmack …«
»Danke für Ihr Zutrauen. Aber vergessen Sie Herrn Korts nicht. Er interessiert sich garantiert für Spitze und Unterkleid.«
»Interessiert sich für das Kleid? Der versteht gar nichts. Für mich? Glaub’n Sie?«
»Ich weiß, ich weiß. Er ist ein Othello.«
»Hi – hä … hi … hä … Hat er was gesagt? Ist er eifersüchtig?«
»Sie werden ihm doch keinen Grund geben?«
»Was heißt Grund geben? Wir sind nicht verlobt. Aber das macht mir ja Spaß, was Sie da sagen! Dabei benimmt er sich wie … wie … Hat mich wieder furchtbar geärgert. Korts … nee … das macht mir ja Spaß.«
Fräulein Hüsch stellte die Knie noch etwas kühner. »Sind Sie auch eifersüchtig?«
»Nicht dazu veranlagt, Gnädigste.«
»Sie machen bloß andre eifersüchtig, ja? Sag’n Sie, kommen Sie auf den Ball?«
»Wenn Sie hingehen …?«
»Hi – vielleicht komme ich. Man muß sich den Jahrmarkt doch mal anschaun. Sie ham übrigens eine phantastische Krawatte … so diskret …«
Fräulein Hüsch rutschte vom Schreibtisch ab und kam näher, um die Krawatte zu besichtigen und ein wenig zurechtzurücken.
»Wo ham Sie die her?«
»Von Schneider und Luck.«
»Von … Ach, das ist nicht von hier. Schade! Ham Sie sich die selber ausgesucht?«
»Nein, Gnädigste. Ein Geschenk meiner jüngeren Schwester. Mein Hemd, um es gleich zu gestehen, habe ich mir jedoch selbst gekauft, bei Fritz Friedrich, im ›Haus des Herrn‹!«
»Hi-hä … Sie wissen sich anzuziehen. Gehn Sie hier mit Ihrer Freundin einkaufen?«
Wichmann rauchte und schwitzte. Was war zu tun mit einem solchen Weibe? Sie hätte einen frechen Kuß verdient. Aber das war ja nur das, was sie wollte … und dann im Dienstzimmer? Wenn zufällig jemand die Tür öffnete, war er der Unverschämte gewesen. Nein, meine Liebe, so haben wir nicht gewettet. Grevenhagen … nicht auszudenken.
»Sind Sie immer so kalt?«
»Steinklumpen, Gnädigste, Steinklumpen. Nichts als Büroseele.«
»Das sag’n Sie so reizend. Sie sind doch kein Spießer?«
»Reiner Typ, Gnädigste …«
Als es fünf Minuten vor zehn war, sah Wichmann sich erlöst.
»Ach, zur Sitzung … Na, viel Vergnügen! Auf Wiedersehen! Und horchen Sie mal, ob der Korts wirklich eifersüchtig ist! Dann mach’ ich den ja verrückt.«
Als Wichmann mit Lotte Hüsch zusammen das Zimmer verließ, traf er auf dem schlecht beleuchteten Gang den eben Genannten und Casparius, die ihn zur Sitzung abholen wollten. Fräulein Hüsch lachte kokett, und Korts machte eine Verbeugung von ironischer Grandezza; bei der Untersetztheit und Steife seines Körpers wirkte die Bewegung aber wirklich komisch.
»Also dann … bis nachher!«
Die Bibliothekarin mit den vielfältigen Sprachkenntnissen und dem Onkel, der Reichstagsabgeordneter war, entschwand den Blicken.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, schienen der graue Läufer und der lange Korridor ihre amtliche Würde wiederzugewinnen. Wichmann erinnerte sich seines Versäumnisses. Er hatte die beiden Mitarbeiter nicht von den Ergebnissen seines nächtlichen Nachdenkens unterrichtet, wie er kollegialerweise hätte tun müssen.
Zu dumm! Wichmann hatte ein schlechtes Gewissen. Hätte er das Frauenzimmer einfach ’rausgeworfen! Sollte er sich nun bei Korts damit entschuldigen, daß die Hüsch über eine Stunde mit hochgestellten Knien auf seinem Schreibtisch gesessen habe?
Die gepolsterte Zwischentür war offen, und Grevenhagen empfing stehend die Näherkommenden. Neben Ledersofa und Klubsessel waren noch sechs Stühle im Oval geordnet und ließen auf die Zahl der Sitzungsteilnehmer schließen, die erwartet wurden.
Wichmann wurde einem noch nicht bekannten Herrn vorgestellt; wie er vermutet hatte, war es Nischan. Der Assessor empfand gegen diesen Namen, der wie eine schlechte Aussprache seines eigenen wirkte, eine Abneigung. Es war etwas Schneckenschleimiges, sich Windendes daran, besonders, wenn man das »sch« weich klingen ließ. Aber der Mann, der den Namen tragen mußte, schien sich wohl damit zu fühlen. Seine naturgelockten Haare wellten sich frisch gewaschen in die Höhe, seine farblosen schmalen Lippen lächelten ohne Aufhören, während er neben Grevenhagen Belanglos-Witzelndes dahinzuschwatzenversuchte. Man stand endlich schweigsam herum, Akten unter dem Arm, in der halb losen, halb gespannten Haltung der kurzfristigen Erwartung. Es war eine Minute nach zehn Uhr.
»Kommt Boschhofer?«
»Der Ministerialdirektor ist unterrichtet, Herr Nischan, er weiß noch nicht, ob er die Zeit erübrigen kann.«
»Aha …«
Im Vorzimmer rührte es sich. Ein hoch gewachsener Herr mit militärischem Stimmfall und seine beiden jüngeren Begleiter, mit auffälligen Schmissen, legten dort ab und kamen dann auf Grevenhagen zu, sehr aufrecht, sehr sicher, mit einem Schritt und einem Blick, der Wichmann an hohe militärische Kommandostellen erinnerte. Die Herren begrüßten Grevenhagen mit beherrschtem Lachen als alte Bekannte. Sehr nebenbei wurden Nischan und die jungen Assessoren mit den Herren des Staatsministeriums bekannt gemacht. Korts wurde rot.
»Erwarten Sie noch jemand, Grevenhagen? Oder können wir schon anfangen? Bei Ihnen sind ja alle Besprechungen kurz und bündig, weißer Rabe in heutiger Zeit.«
»Wir können wohl anfangen …«
Herr von Linck ließ sich in den Klubsessel fallen, er zog die bügelgefalteten Hosenbeine eine Kleinigkeit höher, um die Knie nicht durchzudrücken, und studierte den Auszug, den Wichmann schon kannte.
»Das ist ja schon wesentlich mehr, als wir für diese Vorbesprechung erwarten konnten.«
»Boschhofer hatte mich dahin unterrichtet, daß das Staatsministerium für heute die Vorlage der abgeschlossenen Reform verlangt.«