Kitabı oku: «Zwei Freunde», sayfa 8

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»Das ist hierzulande leider überhaupt sehr beliebt.«

»Ich weiß, ich weiß, auch da, wo er nicht hingehört. So eine kleine Fälschung soll beim weiblichen Geschlecht auch vorkommen … man denkt, es isch Natur …«

»… und stößt auf die Kultur,

die Puderquaste fuhr …«

»Ein Glück, daß Ihnen die Reime ausgehen, Herr Nathan! Nur die Puderquaste macht’s nämlich auch nicht! Da schauen Sie sich die Lundheimer an – Ihre Laura Lundheimer …« Fräulein Hüsch biß in ein Lachsbrötchen. Sie aß wenig. Die schlanke Linie erzwang Lebensregeln.

»Wieso ›meine‹ Lundheimer?«

»Das kann sich doch jeder denken … bei den Nachrichten, die Sie immer von dort beziehen?«

Der Angeredete lachte breit. »Ich mache mächtigen Vorgesetzten keine Konkurrenz. Das verstößt völlig gegen meine Auffassungen.«

»Von der Seite her wäre Ihre Tugend allenfalls verständlich, obwohl ich nicht dran glaube.«

»Für was für einen Don Juan halten Sie mich denn, Gnädigste?«

»Der Leporello hat auch gern poussiert. Vom Poussieren allein wird einer noch kein Don Juan, wissen Sie! Sonst hätten wir mehr von der Sorte.«

»Aha! Da kommen Ihre weiblichen Ideale zutage.«

»Klar! Ich mach’ noch Ansprüche.«

Das Gespräch ging in Witzeleien über. Die Weinflaschen wurden leer. ›Cognac‹ erschien auf der runden Tafel.

»Donnerwetter! Sie strengen sich ja an für ihre Amtskollegen! Auf das Wohl unserer Gastgeberin!«

Wichmann stieß mit an und trank das letzte Glas aus. Er war noch vollkommen nüchtern und saß jetzt wie ein angenehm unterhaltener Zuschauer im Theater. Mit seinem eigentlichen Leben hatte alles, was an der Tafel um ihn vorging, nichts mehr zu tun. Als man bei der Flasche echten ›Cognac‹ die Plätze wechselte, setzte sich Schildhauf zu Wichmann und erzählte Anekdoten aus der Corpszeit. Sie waren nicht alle neu, aber der Erzähler war so ehrlich begeistert davon, daß Wichmann bei seinem dröhnenden Lachen aus Freundlichkeit mittat. Korts hatte sich zu den beiden gefunden. Er schien guter Stimmung.

Auf dem Heimweg, den Schildhauf, Wichmann, Korts und Casparius als erste antraten, gelang es Schildhauf, Wichmann allein zu sprechen.

»Wollen Sie nicht in unsern Klub eintreten? Grevenhagen als Pate … von Linck ist sicher auch bereit? Sie lernen dort Menschen kennen. Was wir heute gesehen haben, waren doch nichts als Tierchen. Schade um die Hüsch. Sie ist ein Vollweib. Wie ist es denn mit Korts? Er kommt von der IG-Farben und soll Karriere vor sich haben? Wenn Sie wollen, nehmen wir den noch dazu. Etwas ungewandt scheint er. Also überlegen Sie sich’s erst mal selbst?«

»Was tun Sie denn in Ihrem Klub?«

»Rauchen und Gespräche machen. In Klubsesseln sitzen. Die Herren sind ganz passabel. Ein paar Stabsoffiziere, etwas Journaille und Wirtschaft – ein Prinz … drei Beamte … das ist so die Mixtur, die sich meistens zeigt. Kommen Sie! Sie waren doch bei einer schlagenden Verbindung? Also gut. Wir sprechen noch darüber. Der alte Grevenhagen läßt sich auch ab und zu sehen. – Sie müssen an diese Kreise Anschluß finden, wenn Sie etwas werden wollen. Ich führe Sie einmal als Gast ein.«

»Dafür wäre ich Ihnen dankbar.«

»Abgemacht. – Übrigens, im Vertrauen – sagen Sie: Ist die Hüsch schon engagiert?«

»Sie ist nicht verlobt meines Wissens.«

»Nein, das hab’ ich auch nicht angenommen. Ich meine …?«

»Korts macht Ansprüche.«

»Korts? Zum Piepen. Dabei sitzt er da wie ein Stock und rührt sich nicht. So – Korts. Danke für die Mitteilung. Wie steht denn die Hüsch dazu?«

»Wer soll das bei einer Frau wissen?«

»Ah so … im Bilde.«

Korts und Casparius rückten an einem Straßenübergang zu den beiden auf.

»Gehen wir noch einen Mokka trinken?«

Man einigte sich auf diesen Abschluß, an den alle schon im stillen gedacht hatten, und saß noch bis ein Uhr in einem lichtflimmernden Lokal. Draußen vor den großen Fenstern zogen die Menschen als Schatten auf und ab; eine Kapelle machte Lärm, und die Gäste schwatzten. Damen und Püppchen wechselten Blicke mit Schildhauf und Korts, wenn Ihre Versuche an Wichmann abgeglitten waren. Casparius schnitt heimlich die Grimassen, mit denen er die Bemühungen blau untermalter Augen nachahmte, und reizte den aufgeregten Korts zum Lachen.

Wichmann pries die Vorzüge einer gediegenen Weinstube, und es wurde beschlossen, daß das Kleeblatt vierblättrig sein sollte, wenn es das nächste Mal dorthin ging.

4

Die Tage eilten Weihnachten zu. Sie liefen wie die Stafettenläufer, die im Nu den Stab wechseln und schon weitereilen. Kaum daß man sich nach ihnen umsah, waren sie um eine Etappe vorangekommen.

Die Schaufenster gleißten und boten Trödel und Kostbarkeiten feil; Menschenmengen stauten sich davor. Große Fichten mit elektrischen Kerzen standen in den winterkalten Straßen. Die Stadt vertausendfachte, was Dorf und Familie zum Feste tun konnten. Ihre Kerzenbäume waren größer und brannten länger, die Krippen und Weihnachtsmänner erschienen riesig und zahlreich, die Spielzeugeisenbahnen funktionierten mit kompliziertem Raffinement und wirkten magnetisch auf jung und alt. Die Stadt tat, was sie auf allen Gebieten des Lebens zu tun vermochte, sie steigerte, vervielfältigte und brachte Bewegung; in den Händen ihrer Geschäftsleute wurden alle Herrlichkeiten zu Waren, und sie maß alle Wünsche in Kaufkraft. Aber die Sterne standen fremd und vergessen über ihrem Treiben, und der himmelweiße Schnee wurde in ihren Straßen schmutzig.

Wichmann verlebte die Tage in einem Zustand, den er selbst nicht ganz durchschaute. Die Tätigkeit im Ministerium war noch lebhaft. Die Erweiterung des Grevenhagenschen Referats machte sich auch für Wichmann spürbar. Er bekam Arbeiten, vornehmlich des Herrn Borowski, in die Hand, die nicht vollständig durchdacht, in ihrer Begründungflüchtig waren, und er feilte daran, teilte neu ein, stellte die Gedanken schlagkräftiger zusammen und vertilgte das Wort »hinsichtlich«, das sein Chef nicht liebte. Wichmann empfand diese Aufgabe als unangenehm. Er war keine Lehrernatur. Aber es ging alles glatt; von den Schwierigkeiten, die Borowski angedroht hatte, ließ sich vorläufig nichts merken. Der Großsprecher schwieg nur mit rotem Kopf, wenn Grevenhagen seine Kritik in sehr höflicher Form, inhaltlich aber mit schonungsloser Schärfe vorbrachte. Auch Pöschko, der Amtmann mit der Gardegrenadiershaltung, trat jetzt leibhaftig in Wichmanns Gesichtskreis, und der Assessor spürte, daß er noch zu weich war, um die Achtung dieses selbstbewußten Mannes zu erzwingen.

Im Grunde war ihm das alles auch gleichgültig. Sein sonderbarer Zustand, in dem er das Leben seiner Mitmenschen wie ein Marionettentheater an sich vorüberziehen ließ, blieb. Sein eigenes Leben lag fern davon, weltenfern. Nur wenn er den Geruch der Pferde spürte, auf denen er jetzt schon halbwegs sicher zu sitzen vermochte, wenn ihn die Wipfel des Parks grüßten, wenn er an dem Zimmer Nr. 412 vorbeiging und den Namen »Grevenhagen, Ministerialrat«, las, dann tat sich in ihm etwas auf, eine zweite Bühne seiner Seele, die von einem dunklen Vorhang verdeckt war, während auf den Brettern davor für das Publikum gespielt wurde. Was sich hinter jenem Vorhang in ihm selbst verbarg, ahnte auch Wichmann nur in Nebeln und Träumen. Himmel und Hölle oder nur Kulissengerümpel, wer wußte es, aber er fühlte sich voll verführerischer unbestimmter Hoffnung, und seine Handlungen wurden von Kräften und Wünschen geleitet, über die er sich selbst keine Rechenschaft mehr gab. Noch immer hatte er der dringenden Einladung der älteren Schwester zum Weihnachtsfest nicht zugesagt, noch immer lagen die Briefe des Tanzstundenfräuleins im blauen Umschlag mit der klobig gemalten Adresse unbeantwortet in der Schublade, und er konnte eine Gereiztheit und Befangenheit gegenüber seiner unentwegt aufmerksamen und vielleicht etwas neugierigen geheimrätlichen Quartierswirtin nicht mehr überwinden. Die eingegangene Post wurde von seinen Händen durchwühlt und die Meinung, daß sich eine Einladung darunter befinden könne, auf den nächsten Tag vertröstet. Um den Amtsball kreisten seine bewußten Gedanken nur sehr selten, aber als das Gerücht ging, daß er abgesagt werden sollte, glaubte er in einen Abgrund zu stürzen.

So war der 20. Dezember 1928 gekommen. Zum erstenmal nach einer Zeit, die Ewigkeit schien, erlaubte sich Wichmann wieder einen langen und vertrauten Blick nach den kahl gewordenen Zweigen des Ahorns, nach dem Rosentor und jenem halb verborgenen Fenster, das hinten im Garten mit Perlmuttglanz schillerte. Heute endlich wollte er seine rasenden Hoffnungen, sie wiederzusehen, freigeben. Sie …

Er hatte am Morgen noch dienstlich mit Grevenhagen zu tun. Nie waren die Gedanken des Assessors so scharf gewesen, nie seine Worte so gut formuliert. Den Auftrag, verschiedene Vorarbeiten der Denkschrift zu den Etatsverhandlungen, die ihn am ersten Tage seines Dienstes beschäftigt hatten, zu etwas Einheitlichem zusammenzufassen, erledigte er in einer so überraschend knappen Frist, daß Grevenhagens stumme Miene die Brauchbarkeit der Arbeit zunächst anzweifeln wollte. Es stellte sich heraus, daß sie vorzüglich war.

»Ministerialdirektor Boschhofer wird darüber wohl noch persönlich mit Ihnen sprechen. Alles, was die Etatsverhandlungen anbetrifft, geht speziell durch seine Hand.«

Verbeugung.

Warum nicht? Das Gehörn des Mastochsen hatte seine Schrecken verloren für den, der mit dem Besten seines Lebens in ganz anderen Regionen weilte.

Der Dienst schloß etwas früher. Korts und Casparius bemühten sich, mit Wichmann Schritt zu halten.

»Sie haben jetzt einen Zustand an sich … Wichmann, Menschenskind … Sie werden doch net verliebt sein?«

Wichmann lachte ausgelassen, wie ein Bub, dem es gelingt, den heißbegehrten Roman vor dem Vater zu verstecken. »Warum denn nicht ein bißchen verliebt, Kasperl? Meine Kleine aus der Tanzstunde hat mir einen sehr niedlichen Brief geschrieben …«

»Ha … so. Dann ischt’s ja harmlos. – Holen wir unser Prachtstück, die Hüsch, heut alle miteinander ab?«

»Wenn wir alle miteinander zwei Stunden zu spät kommen wollen«, knurrte Korts.

»Werden Sie uns überhaupt durch Ihr Erscheinen beehren, Robert Herr Teufel? Das weiß bis jetzt keiner so recht.«

»Ich selber auch nicht.«

»Wir müssen aber ausmachen, wer sie abholt, des g’hört sich. Wichmann, Sie habe so was für Damen … gehen Sie!«

»Meinetwegen. Wenn’s mir zu lange dauert, überlass’ ich sie dem Schildhauf.«

»Wieso?« Korts ging in Angriffsstellung.

»Ha, der hat seine Freundin fortgeschickt, ischt zur Zeit arbeitslos in bezug auf Frauen. Beschäftigen Sie den nur ein bißle.«

»Servus … also heut abend …«

»Das wird ein Affentheater!«

»Tun Sie nur Geld in Ihren Beutel!«

Man trennte sich.

Wichmann ging durch den Park nach Hause. Die fünfte Nachmittagsstunde hielt die Masse der an den Frondienst Gefesselten noch an den Schreibtischen fest. Die Kälte hatte Kinder und Kinderfrauen längst vertrieben, und so gehörten die Wege, die Bäume und die Teiche Oskar Wichmann und den wenigen, die der Zufall fremd an ihm vorbeiführte. Es war ein schöner Tag. Die abgestorbene, noch schneefreie Landschaft lag im zarten Winterschein der Sonne. Der Reif hatte sich mit seinen Brillanten an den Gräsern festgesetzt, ohne zu tauen; über den Moorwassern lag ein Hauch des Gefrierens. Alles wartete in Stille, bis das dicke Eis und der mollige Schnee mit seiner alles blendenden Helle kommen würden und die Stimmen der Kinder wieder laut und jauchzend schallen konnten. Noch war es nicht an dem, noch waren die kahlen erstorbenen Äste, die matten Farben, ein Dunst über der Sonne wie unklare Sehnsucht und der milde Frost nur eine Ahnung der Fülle … Fülle auch der Freuden des Winters, wenn er mit allen seinen Gütern kam.

Was wahr war? Sehnsucht? Vollkommenheit?

Im Himmel der Phantasie, mit leise klopfendem Herzen ging Wichmann über die angefrorene Erde des Reitwegs. Er war noch sehr jung. Ja. Warum es leugnen?

Als der Abend hereinbrach und Lichter aufleuchteten, tat Oskar Wichmann die gleichgültigen Dinge, die dennoch alle den Reiz des Sektes hatten und im Gaukelspiel der Erwartung leise prickelten. Der herbsüße Duft, den Fräulein Hüsch heute stärker als sonst ausstrahlte, ihre hauchdünnen Strümpfe, die Pumps mit unwahrscheinlich hohen Hacken, der Maulwurfsmantel, die kunstvoll-schlicht gelegten Locken … Schildhaufs steifer Hut, das weißseidene Halstuch und die Lackschuhe, das Auto, das man gemeinsam nahm, das alles zusammen war der Auftakt zu einer Melodie, die beginnen wollte.

Die Wagen fuhren vor. In der Halle leuchtete es von Glaslüstern und elektrischen Kerzen an Spiegelwänden. Schwere Teppiche deckten den Boden der Hotelhalle und die breiten Treppen. Die Stimmen blieben gedämpft. Garderobennummern wurden ausgegeben. Mäntel glitten herab und die Toiletten der Damen, die nackten, zart gepuderten Schultern enthüllten sich. Spitze und Seide, hell und schwarz, rauschten aneinander vorbei. Leicht gefärbte Wangen röteten sich mehr. Hände suchten in kleinen glitzernden Taschen. Kavaliere plauderten schon. Die ersten Begrüßungen fanden statt. Schildhauf entdeckte Bekannte und machte den verträumten Wichmann darauf aufmerksam, daß er Nischan grüßen müsse. Fräulein Hüsch sah prüfend um sich.

Man geleitete die Dame zum Saal. Er war groß genug für die Zahl der Eintretenden. Das Parkett spiegelte weithin. An den Wänden mit den Marmorbüsten und den goldenen Arabesken stand rings die Reihe der Tische, von denen schon viele belegt waren. Schildhauf hatte einen Tisch nicht zu nahe der Kapelle reservieren lassen. Die Gäste der Nebentische hatten ihre Plätze noch nicht eingenommen. Fräulein Hüsch beugte sich über die Namenskarten.

»Hören Sie, das sind ja alles Herrn aus andern Abteilungen, die da um uns herumsitzen.«

»Korts und Casparius kommen noch an unseren Tisch«, rechtfertigte sich der Verantwortliche. »Im übrigen ist die dienstliche Rangordnung nicht durchbrochen … Die Hautevolee vom Ministerialrat aufwärts hat die andere Saalseite mit den Logen – konnte dort leider nichts mehr bekommen! Alle Plätze waren schon vergeben. Aber die Verbindung wird sich allmählich herstellen lassen.«

Die nicht ganz befriedigte Schöne zuckte mit den Achseln und ließ sich nieder. Korts und Casparius tauchten auf, nahmen am Tisch Platz, beide mit schlohweißen Hemdbrüsten, im schwarzen Tuch des Smokings. Man beobachtete seine Mitmenschen.

»Schauen Sie! Schauen Sie bloß, Herr Wichmann! Ihre Verehrerin … seien Sie doch nicht so unaufmerksam!«

Der Angerufene fuhr aus Träumen auf und blickte in die Richtung, die die Damenhand leicht angedeutet hatte. Fräulein Sauberzweig ging unter den letzten Nachzüglern einsam und suchend durch den Saal. Das billige Fähnchen, das über ihren Schultern hing, war sehr kurz, die Wadenlinie schwunglos. Die beiden Hände hielten krampfhaft das silberglänzende Handtäschchen vor den Leib.

»Das hat sie bestimmt selbst genäht!«

»Nehmen Sie sich in acht, Wichmann, die Dame geht auf Raub aus.«

Die Wangen des Mädchens waren ungeschickt mit Rouge gefärbt, und die natürliche Röte kam daneben hervor. Die neunzehnjährige Silvia Sauberzweig war ein niedliches Mädchen, aber sie war schüchtern und ungeschickt.

»Ha, also das Mädle tut mir wirklich leid«, sagte Casparius gutmütig. »Die hat sich daheim vor ihrem Spiegel so wunder schön g’funde, und jetzt heult sie bald. Daß aber auch der Baier net kommt. Der hat wahrscheinlich wieder kein Geld. Oje und die Schmock, die hat der Pöschko heut am Tisch. Habe die denn kein Platz mehr für des Mädle? Des ischt eigentlich eine Gemeinheit von der Freundin Anneli gegen die Silvia. Gegenwart von Männern beziehungsweise die daraus entstehenden Hoffnungen und Konkurrenzkämpfe bringen eine Verderbnis hinsichtlich des Frauencharakters mit sich, die selbst auf einem Beamtenball keine Grenzen kennt.«

Fräulein Sauberzweig steuerte unsicher hin und her.

Die Mitglieder des Tanzorchesters erschienen schon durch eine kleine Nebentür auf dem Podium am Saalende und verteilten die Noten für das Eingangsstück auf die Ständer.

»Ha, jetzt gucket – wie hat denn die Silvia ihren Kompaß eingestellt? Gerät in das Revier der ministerialrätlichen Wale und Hechte, das arme Weißfischle! Ich kann’s nimmer mit ansehen. Fräulein Hüsch, Sie sind unsere beschte Kuh, beschtes Pferd im …«

»Stute …«

»Seien Sie still, Herr Korts, mit Ihrer Auslegung meiner schlichten Wortwirrnis bringen Sie den Zorn der Dame über mich, der mich untröstlich macht, und mir noch eine Forderung über den Hals! Ha, also was ich sage will, Fräulein Hüsch, unsere einzige und daher beschte Kollegin … ischt eben einzig dastehend und kann den Jammer auch net mitansehen. Erlauben Sie, daß ich des arme Mädle an unseren Tisch bring’? Ein Stuhl wird sich schon finde.«

»Sie sind wohl verrückt, Herr Casparius?«

»Ha, nei, aber enttäuscht von Ihne. Dabei sehe Sie so hübsch aus in Ihre Spitzle!«

»Die Sauberzweig! Wir sind ja vorläufig noch nicht im Soldaten- und Arbeiterparadies.«

»Ha, nei, in einem Paradies sind wir noch net, den Eindruck hab’ i also auch. Dazu sind die Dame immer noch etwas zu viel angezoge und zu wenig Mensch schlechthin. Insofern sind wir aber Kommunischte, als Sie uns zwinge, uns selbander zu viert in eine einzige Dame, nämlich Ihre werte Person zu teilen.«

»Ich verzichte darauf. Wenn Sie Ihre Frau Gemahlin nicht mitgebracht haben, können Sie sich ja zu der Sauberzweig setzen.«

Casparius machte sein Schimpansengesicht und betrachtete Lotte Hüsch mit abgründig philosophischem Blick von unten herauf.

Schildhauf schaute umher, ob er dem Streitobjekt nicht einen anderen Platz verschaffen und dadurch alle zufriedenstellen könne. Er erhob sich, um einen besseren Überblick zu haben.

Die Tanzfläche war schon fast leer und spiegelte die beiden mächtigen Glaslüster, in Erwartung der Paare, die sich nach der Musik auf der Glätte des Bodens bewegen sollten. Die Logen hatten sich gefüllt, um jeden Tisch schloß sich ein Kreis der Gäste; rings schien kein Stuhl mehr frei. Die Kellner liefen umher und nahmen die Bestellungen entgegen. Mit leicht vorgeneigten Schultern und Köpfen unterhielten sich die Herren und Damen über die Tische hinweg, auf denen steife Weinkarten von möglichen Genüssen erzählten. Das Schwarz der Smokings und einiger Fräcke überwog. Die Damen waren in der Minderzahl und schieden sich für das Auge leicht in die beiden Gruppen der Berufstätigen – Stenotypistinnen, Sekretärinnen – und der Ehefrauen, die mit ihren Gatten gekommen waren. Trotz des gewagten Dranges, mit dem die Fülle der Lundheimer aus dem prall sitzenden großgeblümten Überzug hervorquellen wollte, trotz des stark geschminkten Gesichtes der kleinen Schmock überwog das Schlichte und Solide unter den Ballteilnehmerinnen durchaus.

Neben netten jungen und älteren Frauen, denen die Lebensfrische der kleinstädtischen Herkunft anzusehen war, fand das Auge einige auffallend gute Erscheinungen.

Die Musik intonierte den einleitenden Schlager. Der erste Geiger war ein feingliedriger, südländischer Menschentyp. Seine empfindsamen Hände schienen die Töne zu fühlen und mit ihnen zu spielen; durch seinen ganzen Körper ging der Rhythmus des Taktes; sein scheitellos gelegtes dunkles Haar begann bei der Bewegung zum Ohr zu fallen. Wichmann beobachtete ihn; er war selbst empfänglich für alles Rhythmische und nicht unmusikalisch.

Die Kellner brachten Weinflaschen. Alles ordnete sich zum Beginn des Festes. Der einzige verzweifelte, störende, hilflosherumirrende Punkt war das kleine Mädchen Silvia. Sie preßte noch immer die Silberlamétasche vor den Leib. Auch am Tisch der Anneli Schmock schien man endlich das Peinliche der Lage zu empfinden, und Wichmann wurde zumute, wie ihm damals als achtjährigem Jungen zumute gewesen war, als das neu erworbene Kaninchen voll Todesangst ihm seine Hände und Hosen naß machte. Er war gereizt durch das Unnütze, Ungeschickte, hilflos und voll Mitleid zugleich. Pöschko am entfernten Tisch stand auf. Seine Gestalt ragte jetzt ebenso stramm wie die Schildhaufs, dem Panzerturm eines Kriegsschiffs gleich, über das Meer der Sitzenden. Er winkte dem einsamordnungswidrigen Lebewesen auf dem Parkett heranzukommen. Aber Silvia konnte den Befehl seiner Hand nicht mehr wahrnehmen, denn schneller noch, als Pöschkos Wink erfolgte, hatte sich von der anderen Seite des Saales her etwas anderes begeben. Ein Herr mit lichtgrauem Haar kam über das Parkett. Obwohl er groß und sehr schlank war, lag in seinen Bewegungen nichts Unverhältnismäßiges oder Schwächliches. Seine Schritte waren leicht, und sein Körper war von einer Geschmeidigkeit der sicheren und unauffälligen Bewegung, die elegant wirkte. Er sprach zu dem Mädchen herab, dessen Hände die Lamétasche krampfartig mißhandelten und das ihm dann hochrot und mit steifen Beinen in die Loge folgte.

»Himmeldonnerwetter.« Wichmann fühlte, daß Schildhauf gern lauter geflucht und mit dem Fuße aufgestampft hätte. »Das mußte ja passieren.« Der Korpsstudent und Regierungsrat im Staatsministerium setzte sich. »Grevenhagen wird uns für Kaffern halten. Es war unsere Sache, dieses Mädchen rechtzeitig vom Parkett abzuräumen.«

»Ha, wenn Sie ein Kaffernhäuptling gewesen wären, Herr Schildhauf, dann hätten Sie sich die Sach einfacher g’macht. Da hätten Sie das Mädche ganz einfach in Ermangelung sonstiger Sitzgelegenheit auf die Speisekarte g’setzt.«

»Als Knochenbrühe«, schlug Korts vor.

Schildhauf schenkte Wein ein, um seinen Ärger zu überwinden.

»Ich find’ das ja wirklich übertrieben von Grevenhagen. Die Silvia konnte zu dem Pöschko gehen, wo sie hingehört.« Lotte Hüsch war giftig.

Wichmann sah bei den Worten ihr Gesicht, das sich in Härte und Unzufriedenheit mehr entstellte, als sie selbst ahnen konnte.

Wichmann aber ließ mit den anderen das gehobene Glas anklingen, und während er trank, wirkte er schon wieder wie geistesabwesend.

Das Erscheinen des Fräulein Sauberzweig wurde zu einer Fügung der Fäden spinnenden Schicksalsgöttinnen.

Als das Eingangsstück der Musik verklungen und der erste Onestep, an dem nur wenige Paare teilnahmen, trotz dünnen Klatschens der Tanzenden nicht wiederholt wurde, wartete Wichmann darauf, daß Schildhauf Fräulein Hüsch zu dem zu erwartenden Boston auffordern werde. Der Regierungsrat erhob sich auch schon bei dem ersten Anzeichen, daß das Orchester seine Klang erzeugende Arbeit wieder aufnehmen wolle, und machte eine Verbeugung, die zwei Zentimeter tiefer war, als echte Hochachtung verlangt hätte. Aber Fräulein Hüsch gefiel sie; mit einem geübten Lächeln des Wohlgefallens schloß sie sich dem Kavalier an. Es war kein schlechtes Paar; beide waren stattlich und gut gewachsen. Nur ein klein wenig zu kurz für die Mode schien das Spitzenkleid, das die anziehend geformten Knie der Trägerin freigab.

Auch Wichmann stand auf. Er spürte die neugierigen Blicke von Korts und Casparius hinter sich, als er quer durch den Saal steuerte, während die tanzwilligen Paare sich mehr im äußeren Rund gruppierten. Das Licht begann vor seinen Augen zu flimmern, der rote Samt der Logen schloß sich ihm zu einem einzigen dunklen Purpurleuchten zusammen, dennoch hielt er die Richtung unfehlbar genau.

Der Ton, den ein stimmender Geigenbogen hervorlockte, verriet ihm, daß auch seine Seele eine gespannte Saite war, die singen oder zerreißen wollte. Er gewann den Gang, der hinter den Logen durchführte. Es waren vielleicht nur noch Sekunden, bis der Tanz einsetzen mußte. Das Geschwätz wurde schon leiser.

Wichmann wußte, daß er die sechste Loge aufsuchen wollte; er hatte längst gezählt. Die Logen, gegen den Tanzsaal hin durch die Brüstung abgeschlossen, waren dem hinteren Gang zu offen. Wichmann stockte.

Ein tief herabhängendes Tischtuch, Gläser mit goldenem Wein, dunkelgrüne hochmütige Flaschen, die über ihren Etiketten die Hälse reckten – eine mächtige Masse im Frack, gleich einem Ballvater –, daneben Grevenhagen, dessen schmales Gesicht überlegen spöttisch wirkte, und andere noch, Herren und Damen, die Wichmann jetzt nicht mehr erkennen konnte … und sie …

Ein gedämpft geführtes Gespräch wurde abgebrochen.

»Ah, Herr Assessor! Darf ich Sie meiner Frau vorstellen. Herr Dr. Wichmann, mein junger und hoffnungsvoller Mitarbeiter. Der Name ist dir nicht mehr unbekannt.«

Dir … dir. Wie ein Blitzstrahl, leuchtend und erschreckend. Draußen intonierte die Musik. Die Klänge schwollen und schmolzen. Paare bewegten sich.

Wichmann zitterte, als er die Schultern aus der Verbeugung wieder hob.

Frau Grevenhagen hatte angenommen, daß er gekommen sei, sie zum Tanze aufzufordern er … sie … zum ersten Tanz … Wahnsinn! Schande des falschen Schritts! Er hatte geglaubt, daß sie mit ihrem Gatten oder einem der Würdenträger tanzen würde – und er wollte das Fräulein Sauberzweig … Fräulein Sauberzweig … und sie nur mit einem einzigen Blick streifen … Oskar Wichmann war nicht selbstbewußt genug und zu unerfahren, um zu durchschauen, daß Frau Grevenhagen ihn absichtlich mißverstanden hatte.

Sie erhob sich. Irgendein Tier, das den Platz auf ihrem Nacken lieben mußte, war herabgeglitten und hütete jetzt den Stuhl, bis sie wiederkam. Sie neigte den Kopf, eine Bewegung, in der Wichmanns Vernunft erstarb. Er sah den Gatten nicht, der lächelnd aufgestanden war und den Weg für die Tänzerin freigab. Er sah Boschhofer nicht, dem der Zwicker von der Nase fiel, so daß er ihn wieder aufsetzen mußte, um die Weinkarte weiterzustudieren. Nischan sah er nicht und nicht den halb offenen Mund der Silvia. Er sah das alles nicht und sah es doch; es waren nur die Hintergründe, die dem Schöpfer heute zu ihrem Bild gefielen.

Er ging neben ihr, den Rhythmus ihres Schrittes in den Nerven. Im Saale blieben sie einander gegenüber stehen. Die Musik spielte die Takte aus bis zum Ende eines Satzes und brach ab. Eine kurze Stille trat ein, die Tänzer stockten verwirrt. Der erste Geiger hatte sein Instrument abgenommen, sein nachtfarbenes bleiches Gesicht wandte sich dem neu antretenden Paar zu. Er verneigte sich tief und setzte das Instrument wieder an – Diener der Schönheit und Grazie. Nur für ein Paar spielte jetzt die Musik. Schmarotzer waren die anderen.

In Wichmanns Fingerspitzen pulste das Blut bei der ersten Berührung der Hände. Er legte den Arm um den Frauenkörper, andeutend, scheu, die Tanzschritte gingen im Gleichmaß. Sein Wille leitete sie. Er spürte einen unbekannten Hauch, vielleicht hatte eine Blüte im ewigen Baumschatten des Amazonas so geatmet. Die Instrumente sangen fremdartig, langgezogen und schwül.

Tango.

Es wurde gemurmelt, Paare traten ab. Nur die gewandten der Tänzer wagten zu bleiben, und es waren ihrer nicht viel. Frei bot sich das Parkett der gebändigt-lüsternen Bewegung. Das Gesicht ohne Lächeln lag nahe an Wichmanns Wange, ein Atem streifte den seinen. Er begriff, daß Zeit nicht nur eine lange Straße eilte. Wenn sie ihre Tiefen öffnete, schwand das Vergehen, und Jahre füllten den Augenblick. Mit der Sicherheit des Traumes schritt das Paar; reglos blieben die Schultern. Die Zeit schien stillzustehen. Namen, Wissen sanken dahin. Schwermütig, unveränderlich lagen zwei braune Augen zwischen den Ufern perlfarbener Lider. Das grenzenlose Moor konnte nicht stiller, nicht unheimlicher sein.

Die Figur des strengsten und leidenschaftlichsten der Tänze schloß in verhüllter Deutung. Unter dem Manne bog sich ein weicher Körper; das Antlitz mit verschlossenen Lippen wich zurück und ergab sich in der Beugung des Nackens; Haar fiel aus der Stirn, zwei Lippen öffneten sich, ohne zu sprechen. Die Hand im Rücken der Tänzerin fühlte die Wärme des Blutes.

Ein Strich der Geigen klang aus; die Körper lösten sich, um das erregende Spiel noch einmal zu beginnen. Das Haar seiner Tänzerin war Wichmann näher, stärker der Duft des Unbekannten. Götter der Wildnis … Zauberer …

Eine Unberührbare lag in seinem Arm. Wenn sie des Nachts sprach, mußte sie mit Schlangen und Sternen sprechen können. Nicht mehr er selbst, führte der Mann die Tänzerin zur Ruhe zurück. Ein Tier, mit glasglänzenden Augen, legte sich wieder um ihren Nacken.

Das andere war unwirklich. Er hatte sich verbeugt und wurde gebeten zu bleiben. Dienstbeflissen eilende Befrackte mit weißen Servietten unter dem Arm brachten Stuhl und Glas, der Wein ging über die Zunge, aber das Herz vermochte nicht mehr schneller zu hämmern. Stimmen sprachen Worte … fern … fern … wie solche, die man vom Berge herab in tiefen Tälern hört.

»Juarez hat dich erkannt, Marion, und deinen Lieblingstanz gespielt. Es sollte eine Aufmerksamkeit für dich sein. Hat sie dich sehr belästigt?«

»Nein.«

Sie hatte eine dunkle Stimme und sprach langsam und immer noch, ohne zu lächeln. Ihre Hand legte sich sanft um den Stiel des Kelches, der den Wein zu ihrem Munde führen durfte.

Die Äderchen in Boschhofers Haut waren rot; Nischan glotzte aus seinem farblosen Gesicht unter den immer frisch gewaschenen Lockenhaaren.

Auch das war nur eine sehr undeutliche Wahrnehmung, daß der Assessor Wichmann im nächsten Tanze mit Silvia Sauberzweig über das Parkett ging und daß er sie veranlaßte, sich am Tische zu verabschieden, damit er sie zu Pöschko und ihrer Freundin Anneli hinüberbringen könne. Wichmanns Stuhl am Tische Grevenhagens nahm der Staatssekretär ein, der das Fest mit seiner Anwesenheit beehrte.

Als Wichmann wieder zu seinen Kollegen kam, glaubte er in einem sehr fernen Lande gewesen zu sein, aus dem er fremd und verwundert zurückkehrte, um die Seinen kaum mehr wiederzuerkennen.

»O du mei lieb’s Herrgöttle von Biberach! Da ischt er wieder … leibhaftig! Oder ischt’s nur Ihr Geischt? Wir haben den unsern alle aufgegeben vor Schreck und Erstaunen. Jetzt bestellen Sie uns nur eine gute Flasche. Des ischt die mindeste Straf. Herrgott, was es alles gibt!«

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
1692 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783957840127
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