Kitabı oku: «Der lange Weg nach Yullima»

Yazı tipi:

Logan Kenison

DER LANGE WEG

NACH YULLIMA

Ein Spacewestern.

Das Buch

Mord auf Efriking! Owen Richters Freund Elron stirbt in seinen Armen. Mit seinen letzten Worten teilt Elron ihm mit, dass der Mörder sich auf dem Schiff nach Yullima befindet. Mit Elrons Schwester Ragnhild schifft sich Richter ein, um den Mörder zu fassen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Doch er kommt einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur.

Der Autor

Logan Kenison ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spaceromanen. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.

Inhalt

Impressum

Der lange Weg nach Yullima

Weitere Titel von Logan Kenison

Impressum

05/2018

Copyright dieser Ausgabe: 10/2021

by Logan Kenison

Lektorat: Carola Lee-Altrichter

Abdruck auch auszugsweise

nur mit Genehmigung des Autors.

Cover: »Nordic-Sailing« by Markkus3D

https://www.deviantart.com/markkus3d

Logan Kenison

DER LANGE WEG

NACH YULLIMA

Ein Spacewestern.

__________________________________

»Wir werden immer Freunde sein.«

(Owen Richter)

Die Stunde vor Mitternacht.

Am nachtblauen Himmel stand der kalte Mond Eljan, der das bizarre Land mit genügend weißem Licht überflutete, damit Owen Richter sogar noch Einzelheiten in scharf umrissenen Konturen ausmachen konnte. Das Meer lag wie ein silberner Spiegel vor ihm und trug eine kalte Brise heran, die in die Kleidung kroch, unters Haar, unter die Haut. Als er vor Kälte zu zittern begann, stülpte er den Kragen seiner Jacke hoch, fühlte sich danach jedoch auch nicht besser.

Schon mehr als einmal hatte er überlegt, sich auf einen der braunen, verwitterten Felsen zu setzen und, um die Wartezeit zu überbrücken, etwas Musik auf seinem Handgelenkcomputer abzuspielen oder ein E-Book zu laden. Doch zum Lesen hatte er keine Lust, und bei dieser Dunkelheit schmerzten seine Augen sowieso nach kürzester Zeit, wenn er sie auf das helle Display fokussierte. Musik hingegen würde ihn von den Naturgeräuschen ablenken, und das konnte und wollte er sich auch nicht leisten. Es war wichtig, die Dinge zu hören, die um einen herum passierten, wenn man ganz allein an einer fremden Felsküste stand, an einem fremden Meer, das einen fremden Planeten bedeckte, auf dem man kaum eine Menschenseele kannte, und diese Menschen zudem viele Kadas weit entfernt waren.

Die Wellen schlugen gegen die Felswände, gegen die braunen Blöcke und übermannsgroßen Steine. Gischt spritzte hoch wie ein waidwundes Meeresungeheuer, zuckte hierhin und dorthin, versuchte, nach einer Beute zu schnappen, verlor dann aber seine Energie und sackte kraftlos ins Wasser zurück. Unzählige Wellen liefen an dem langen Geröllhang schäumend aus, immer neue kamen heran, unablässig, egal, ob jemand zusah oder nicht, dieser Kreislauf endete nie.

Das Meer roch nach Fisch, Tang und Algen, nach Rost und vermodertem Holz, nach all den Dingen, die Richter im Weltraum nie zu riechen bekam. Er versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal Fisch gegessen hatte und kam zu keinem Ergebnis. Es musste schon sehr lange her sein, und er hatte wieder Lust auf Fisch.

Hinter ihm ragten Schwarztannen in den Nachthimmel hinauf, ihre Wipfel bogen sich im Wind. Ein ums andere Mal hatte Richter schon vermeint, dort ein Geräusch zu hören, einen knackenden Ast etwa, oder einen klickenden Stein, weggekullert durch Menschenfuß. Doch jedes Mal, wenn er sich dem pechschwarzen Wald zuwandte und ihn mit den Blicken durchbohrte, sorgfältig absuchte, wenn er versuchte, die fast völlige Finsternis mit seinen Augen zu durchdringen, scheiterte er, und dann war wieder nichts zu hören … lange Zeit nichts zu hören.

Verdammt, er hätte einen Mantel anziehen sollen, und vielleicht einen Schal und einen Hut. Als er vor einer Viertelstunde das letzte Mal auf die Temperaturanzeige seines Handgelenkcomputers gesehen hatte, zeigte sie 5,3 Grad, aber im brausenden Wind fühlten sie sich wie 0 Grad an. Inzwischen schlugen ihm kleine Wassertröpfchen ins Gesicht, von denen er nicht wusste, ob sie Regen waren oder von der hochwirbelnden, schäumenden Gischt stammten. Wenn das so weiterging, war er in Kürze klatschnass.

Er fragte sich, ob er überhaupt an der richtigen Stelle stand. Ja, rief er sich zurecht, Elron hatte sie ihm genau beschrieben; außerdem war dies die einzige Stelle, an der das Meer an einem langen Geröllstrand auslief und ein Schiff oder Boot anlegen konnte, ohne von den stürmenden Wogen auf die Felsen geschmettert zu werden.

Er wollte schon einen lauten Fluch ausstoßen, als er endlich ein Licht auf der wütenden See ausmachte. Es war klein, viel zu klein, und das bedeutete, dass das Boot noch sehr weit draußen war.

Doch plötzlich spürte er die Kälte nicht mehr; plötzlich kreisten seine Gedanken nur noch um dieses kleine Licht, das rasch größer wurde. Denn es bedeutete, dass Elron bald hier sein würde.

Elron Tuhl … der beste Freund, den Richter auf Efriking hatte. Sie hatten sich vor vielen Jahren kennengelernt, als ein sehr junger Owen Richter, der seine Weltraumreisen gerade erst begonnen hatte, eine Schiffsladung Salmen nach Efriking brachte und nicht merkte, dass er von dem bärbeißigen Händler im Raumhafen übers Ohr gehauen werden sollte. Elron, der wegen eines anderen Geschäfts anwesend gewesen war, bekam den Schwindel mit und mischte sich ein. Er wies Richter auf die Fußangeln und Strafzölle in dem Handelsvertrag hin, was der Händler gar nicht goutierte. Kurzerhand zog dieser das Schwert, das er wie jeder Efrikinger ständig bei sich trug, und stürzte sich von hinten auf Elron in dem heißen Wunsch, es ihm in den Rücken stoßen.

Richter trug damals noch die GiRA, ein Strahlenpistolenmodell der Huntii-Werke. Sie war leicht, schnell zu ziehen und lag gut in der Hand, also genau das, was ein Raumreisender auf unsicheren Welten gebrauchen konnte. Wie hingezaubert lag die GiRA plötzlich in Richters Hand, und ein Strahl gleißte auf.

Der Händler brach mit einem Schrei zusammen, und als Elron erschrocken herumfuhr, sah er das qualmende schwarze Loch in dessen Brust. Aber er sah auch das Schwert, das neben dessen Hand zu Boden gefallen war, und die Art, wie der Händler gekrümmt dalag, mit dem zornigen Ausdruck, der auf seinem Gesicht zurückgeblieben war, konnte nur bedeuten, dass er sich gerade von hinten auf ihn hatte stürzen wollen.

»Du hast mir das Leben gerettet!«, rief Elron, sich wieder Richter zuwendend. »Er … er wollte mir …«

»Nicht der Rede wert, Freund«, hatte Richter geantwortet, obwohl er selbst ein wenig blass um die Nase geworden war.

Und das waren sie von da an gewesen … Freunde.

Elron hatte Richter in das Haus seiner Familie eingeladen, und Richter hatte Gudrid und Ragnhild kennengelernt, Elrons reizende Schwestern, ebenso Brandr, Elrons jüngeren Bruder. Und Alfro Magnus Thul, Elrons Vater, der dem Haus in patriarchalischer Weise nach der Sitte der Efrikinger vorstand. Er erfuhr, dass Elrons Mutter Vigdis vor vielen Jahren gestorben war, dass sein Vater jedoch aus treuer Liebe zu ihr nicht wieder geheiratet hatte.

Da Richter Elron das Leben gerettet hatte, war er im Hause Thul als Freund der Familie empfangen worden; man schlachtete einen Auerochsen und bereitete ihm ein festliches Mahl, zu dem kurzerhand auch Nachbarn und Freunde eingeladen wurden. Richter schloss Bekanntschaften und lernte das Leben auf Efriking aus erster Hand kennen.

Der Planet Efriking war eine sehr traditionsbewusste Welt, deren Bewohner an jahrtausendealten Bauweisen, Bräuchen und Naturriten festhielten, und das, obwohl sie vor fast 200 Jahren den Anschluss an das galaktische Transport- und Reisesystem vollzogen hatten. Der Weltraumhafen Kumnihl war vor 55 Jahren erbaut worden und bildete eines der vier planetaren Portale zu anderen Welten; hier herrschte ein Kommen und Gehen, dort wurden zahlreiche Artikel importiert, und das universell bekannte Garmet exportiert.

Vor über 70 Jahren hatten die Efrikinger zusätzlich zu ihrer Sprache Evrikka, die meistenteils aus Kehl- und Belllauten bestand, die allseits bekannte Weltraumsprache Y’gali eingeführt, sodass ein Austausch mit Besuchern anderer Welten, Rassen und Spezies möglich geworden war. Filme, VR-Einzel- wie auch Massenevents, ja sogar Opern und Dichterlesungen wurden auf dem ganzen Planeten in Y’gali ausgestrahlt, sodass jeder Efrikinger die Sprache von klein auf lernte und beherrschte. Diese Methode hatte eine Generation gutausgebildeter zweisprachiger Humanoiden hervorgebracht, die sich auf beiden Verständigungsebenen perfekt zurechtfanden und von Natur-Y’gali-Sprachlern stets bewundert und gelobt wurden.

Doch die Verbindung mit den Außenwelten bewirkte auch, dass langsam neue Moden, neue Denkweisen, neue Ideen, neue Bautechniken, neue Technologien Einzug hielten, die den älteren Generationen nicht so sehr behagten. Viele verdammten offen den Anschluss an den Weltraumhandel und forderten eine Rückkehr zu den althergebrachten Werten, die sie in Gefahr sahen. Allein, es war zu spät. Das Tor, einmal geöffnet, konnte nicht wieder zugeschlagen werden; und so lebten viele ältere und alte Efrikinger in Verbitterung und Sorge über die Veränderungen, die sie um sich herum beobachten mussten, und die sie für einen Ausbund des Teufels hielten.

Doch die Stimmen wurden weniger und leiser, denn die alten Generationen dünnten aus, starben weg, und die Nachkommen waren offener eingestellt. Richter kannte Elron nun schon seit zwölf Jahren, und der einstige junge Mann hatte sich zu einem stolzen Efrikinger entwickelt, breitschultrig, mit struppigem Haar und buschigem Bart, wie es auf seinem Planeten immer noch Mode war. Er hatte Richter vor wenigen Tagen eine Funkmail gesandt, in der er um ein Treffen bat, was Richter natürlich aufgrund der Erinnerung an alte Zeiten sofort zugesagt hatte.

Nun stand er also hier, an der Fels- und Geröllküste nahe der Stadt Osthaven, und wartete darauf, dass Elrons Boot die Distanz überwand. Richter konnte inzwischen die Umrisse des Segels und die Silhouette des Boots ausmachen. Es war keines dieser großen Drachenschiffe, die auf Efriking so beliebt waren, für die man jedoch viele Männer benötigte, um sie zu steuern und unter Kontrolle zu halten, sondern ein kleineres, einer Jolle nicht unähnlich, jedoch in derselben Form geschnitten wie die großen Drachenboote, mit einem geschnitzten Drachenkopf am Bug, mit einem ebenfalls rot und weiß gestreiften Segel, das von einem einzigen Mann gefahren werden konnte.

Es war inzwischen nähergekommen, und Richter entdeckte die Person, die hinten auf der Heckbank kauerte und die Ruderpinne fest umklammert hielt, um das Boot ungeachtet von Wellen und Wind auf Kurs zu halten.

Unwillkürlich machte Richter zwei, drei Schritte nach vorn, bis die schäumenden Wellenausläufer nach seinen Stiefeln grabschten. Er hatte qualitativ hochwertiges, wasserdichtes Schuhwerk an und fürchtete das Salzwasser nicht. Schon hob er die Hand, um den Freund willkommen zu heißen, als er sah, dass Elron zusammengekrümmt an der Pinne saß, vielleicht sogar hielt ihn die Pinne überhaupt erst aufrecht.

Richter wurde schlagartig bewusst, dass etwas geschehen sein musste. Dies war nicht der Elron, den er erwartet hatte; nicht das Treffen zweier Freunde, das er sich ausgemalt hatte. Hier war etwas vorgefallen, das seinen Freund in höchste Gefahr gebracht hatte. Vielleicht war er verletzt worden; vielleicht hatte er mit letzter Kraft fliehen können, vielleicht würde er es in seinem Zustand gar nicht mehr an Land schaffen.

Ohne auf das kalte Wasser zu achten stürmte er vorwärts, watete in die Wellen hinein, kämpfte sich voran, Meter für Meter, bis sie ihn hüfthoch umschlugen, und er drohte, von ihnen mitgerissen und fortgezogen zu werden. Er musste alle Kraft aufwenden, um seine Position zu halten, und es schien ihm, als dauerte es eine Ewigkeit, bis das Boot endlich nahe genug herangekommen war, und er die Hand auf die Bordwand legen konnte.

Jetzt konnte er auch den Namen lesen, der in blutroter Schrift an der Außenwand angebracht war: Föroyar. Er glaubte, vor einiger Zeit in einem der Mails, die er und Elron gewechselt hatten, gelesen zu haben, dass sein Freund ein Boot dieses Namens besaß, doch hatte er es inzwischen wieder vergessen … wie so vieles andere auch. Jetzt kam es ihm in Erinnerung, und als er sich nun mit beiden Händen aus dem Wasser hievte und mühsam an Bord der schaukelnden Jolle kletterte, sah er das schmerzverzerrte Gesicht Elrons im Mondlicht, und wusste, dass er mit seiner Vermutung, seinem Verdacht, seiner Befürchtung recht gehabt hatte: Elron war etwas zugestoßen.

Er kämpfte sich auf den glitschigen, im Wellengang steigenden und abfallenden Planken zu dem verletzten Freund vor, doch dann wusste er nicht, was er tun sollte. Er konnte Elron schlecht zur Seite herausziehen, denn das hieße, das Boot ohne Steuermann zu lassen. Er konnte ihn nicht verarzten, nicht nachsehen, welcher Art seine Verletzung war. Nicht, solange sie nicht festen Boden unter den Füßen hatten.

So beschränkte er sich darauf, neben Elron niederzuknien, ihm den Arm auf die Schulter zu legen und ihm ins Ohr zu raunen: »Ich bin bei dir, Elron, du brauchst keine Angst zu haben, wir bringen das Boot an Land und ich sehe nach dir.«

Elrons Kehle entsprang ein Stöhnen, und die schmerzgeweiteten Augen blickten Richter an. Keimte da so etwas wie Hoffnung in ihnen auf? Freude? Erleichterung? Richter hoffte es inständig. Er wollte dem Freund unbedingt helfen, und wusste doch nicht, wie. Er hatte keine Ahnung, wie man solch ein Boot steuerte, noch wie man Wunden verarztete. Er konnte nur nach dem gehen, was er sich im Kopf zurechtlegte, was seine Intuition ihn riet – und das war ziemlich wenig, und vielleicht war ohnehin alles verkehrt.

Er setzte sich neben Elron auf die Heckbank, half ihm, die Ruderpinne zu halten, schützte seinen Freund zumindest auf dieser einen Seite vor dem kalten brausenden Wind, und hoffte, etwas von der Geborgenheit und Wärme ihrer Freundschaft, die er selbst empfand, auszustrahlen und zu übertragen.

Es schmerzte ihn, das verzerrte Gesicht Elrons so nahe neben sich zu sehen, die bekannten Züge, die er als junger Mann schon gekannt kannte, die jetzt jedoch unverkennbar älter und reifer geworden waren; die Züge eines Mannes, der das Leben kennengelernt, den einen oder anderen Kampf ausgefochten und die eine oder andere Frau geküsst hatte. Und er hörte Elron keuchen und stöhnen, bei jedem Ruck, der durch das Boot ging, bei jeder Welle, die es hob und wieder in ein Tal aus Wasser hinabfallen ließ.

Und da sah er das schwarze Blut auf seinem Wams, auf der Brust.

Ein abgebrochener Pfeilschaft ragte heraus – ein solch kurzes Stück, dass Richter oder auch ein Arzt Mühe haben würde, es ganz herauszuziehen.

Er überlegte fieberhaft, wie er Elron an Land und danach zu einem Mediziner schaffen konnte. Er war mit einem Kret herausgeritten, einem jener grobschlächtigen und mächtigen Pferde, die in den letzten tausend Jahren der Landwirtschaft auf Efriking so gute Dienste geleistet hatten – und auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen unter den Stämmen eine große Rolle spielten. Das Kret konnte mühelos zwei Männer tragen, doch wie konnte er Elron zu dem Tier und auf das Tier hinaufschaffen? Elron würden furchtbare Schmerzen bevorstehen. Also überlegte Richter, ob er eine Art Schleppe bauen konnte, auf die er den verletzten Freund legen konnte. Doch, zur Hölle nochmal, es war so dunkel, und wann immer er einen Blick zu den Schwarztannen hinüberwarf, sah er nichts als undurchdringliche Schwärze. Wie sollte er eine Schleppe bauen, wenn er nicht einmal sah, wo es das Holz dafür gab?

Also bis zum Morgengrauen warten?

Richter war nicht sicher, ob Elron so lange durchhalten würde.

Er musste Hilfe erhalten, und er musste sie schnell erhalten – oder alles war vergebens.

Wie lange war Elron bereits auf dem Meer unterwegs? War er an Land angeschossen worden, bevor er das Boot bestiegen hatte? Hatte er es mit letzter Kraft auf sein Boot geschafft und war er vor dem Angreifer aufs Wasser hinaus geflohen?

Richter hatte hundert Fragen, doch wagte er nicht, Elron eine davon zu stellen. Nicht jetzt. Nicht, solange es dem Freund so schlecht ging und Richter darum rang, auf irgendeine Weise Hilfe für ihn zu erlangen.

Der Kiel der Föroyar lief knirschend auf Kies, und der Ruck hätte Richter beinahe nach vorn geworfen. Gerade noch rechtzeitig konnte er sein Gewicht abfangen. Er blickte besorgt zu Elron und stellte fest, dass sein Freund die Lider halb geschlossen hatte. Zwischen den zusammengebissenen Zähnen saugte er zischend Luft. Ein dünner Blutfaden rann aus seinem Mundwinkel. Elron war einer Ohnmacht zum Greifen nahe. Doch wenn er einmal weggetreten war, würde er dann überhaupt noch etwas sagen können? Würde er das Bewusstsein dann jemals wieder erlangen?

Richter neigte sich seinem Freund zu und fragte:

»Wer war das, Elron? Sag es mir, wenn du kannst. Wer hat dir das angetan? Wer hat …«

Ein paar pulsierende Atemstöße … Elrons Brust hob und senkte sich, und unter qualvollen Schmerzen sog er Luft ein. Dann öffnete er die Augen; sein Blick suchte den des Freundes.

»Das Schiff nach Yullima«, stieß er mühsam hervor. »Mit mir geht’s zu Ende, Owen … ich spüre es. Der Mörder … ist auf dem Schiff nach Yullima. Er hat …«

»Wer, Elron? Und warum?«, hakte Richter nach, als der Freund abbrach. Doch Elron sah ihn nur noch unverwandt an.

»Owen«, keuchte Elron, »du … ich … wir sind Freunde.«

»Das sind wir, Elron.«

Mit Tränen in den Augen umklammerte Richter die Hand des Efrikingers und spürte den Händedruck ein letztes Mal, dann verließ Elron alle Kraft; der Griff erschlaffte, der Körper sackte durch.

»Das sind wir«, wiederholte Richter, »und werden es immer sein.«

Doch er wusste, dass Elron ihn nicht mehr hörte.

»Verdammt, wo ist meine Waffe?«

(Owen Richter)

Richter trug den Toten an Land, ging immer weiter in die Dunkelheit hinein, bis das Knirschen unter seinen Füßen aufhörte und er auf brauner Erde ging, machte dann noch ein paar Schritte, und schließlich spürte er weiches Moos unter seinen Sohlen. Dort legte er Elron sanft ab.

Nicht, dass der Tote noch irgendetwas gespürt hätte – aber Richter hatte das Gefühl, ihn dennoch so sanft wie möglich behandeln zu müssen; glaubte, es ihrer jahrelangen Freundschaft schuldig zu sein und war sich sicher, dass Elron in einer vergleichbaren Lage genau dasselbe getan hätte.

Er kniete eine Weile neben dem Freund, die Hand auf dessen Schulter gelegt, gedachte still all der Zeiten, die sie gemeinsam verbracht hatten; die viel zu wenigen Male, die sie auf Krets ausgeritten waren und Elron ihm das Land gezeigt hatte; die Feste, denen sie beigewohnt hatten; die Stunden in den Gasthäusern, als sie Würfelten und Kartenspielten, den Mädchen auf den Hintern klatschen und Garmet tranken, viel zu viel Garmet, das reine Garmet, das unverdünnte, von dem Richter jedes Mal husten musste, nicht das Zeug, das man exportierte und deswegen mit 70 Prozent Wasser vermischte, um es den Gaumen und Geschmäckern von Außenweltlern angenehm zu machen.

Richter erhob sich seufzend und blickte sich um. Das Kret war eine geraume Wegstrecke von hier entfernt, und es würde Minuten dauern, es zu holen. Gerade wollte er sich auf den Weg machen, hoffend, dass bis zu seiner Rückkehr niemand den Toten finden würde, oder, schlimmer, ein Tier sich an ihn heranmachen würde, da hörte er wieder ein Knacken aus der Dunkelheit des Waldes.

Etwas surrte, etwas zischte durch die Luft, und irgendwo weit entfernt klapperte etwas gegen einen Felsen.

Richter sank sofort auf die Knie, und schon hatte er die ZAP-9 in der Hand.

Das war unverkennbar ein Pfeil gewesen, den jemand auf ihn abgeschossen und der ihn glücklicherweise verfehlt hatte!

Er versuchte, sich klein zu machen, hinter den schwarzen Flächen von Felsen und Steinen in Deckung zu gehen, sodass er keine Silhouette und kein Ziel für einen weiteren Schuss bot. Und er fluchte wild in sich hinein. War er wirklich so ahnungslos gewesen und in eine Falle getappt? Hatte dort die ganze Zeit über jemand gelauert, und ihn nun, da der Kontakt mit Elron zustande gekommen war, angegriffen?

Wenn er doch bloß etwas sehen würde … aber da war nur dieses pechschwarze Nichts, das den Attentäter aufnahm, und das gegen Richter arbeitete.

Er wagte es, gab einen Schuss ab und hoffte, dass die Leuchtkraft des Strahlers ausreichte, für wenige Momente die Umgebung wenigstens so weit zu erhellen, dass er den Angreifer ausmachen konnte. Er schoss auf gut Glück ein zweites Mal, und da sah er eine Bewegung am linken Rand des Lichtkreises.

Hab ich dich!, dachte er, und seine Hand fuhr herum. Er gab weitere Schüsse in die Richtung ab, in der er den Attentäter vermutete, setzte damit niedriges Gestrüpp in Brand und fällte sogar einen Baum. Während der Stamm knirschend und ächzend niederging und krachend am Boden aufschlug, wurde auch der Stumpf in Brand gesetzt, und endlich konnte Richter im Licht der Flammen etwas erkennen.

Eine schwarze Gestalt verschwand gerade aus dem beleuchteten Bereich. Richter sprang sofort hoch und jagte ihr nach, ohne viel nachzudenken; es war keine Zeit nachzudenken, und wenn er es doch getan hätte, wäre ihm klargeworden, dass es nur einer zweiten Person gebraucht hätte, die ihn im Feuerschein leicht hätte erledigen können, während er so unachtsam der anderen Person nachjagte.

Doch da war keine zweite Person, zu Richters Glück.

Der Attentäter schien allein zu sein.

Und er schien sich hier sehr gut auszukennen. Er sprang über Steine, Stämme, Gestrüpp, als sähe er sie trotz der Dunkelheit. Richter hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, von Einholen konnte gar keine Rede sein. Doch immer wieder hörte Richter Geräusche, die der Fliehende machte, seien es klackende Kieselsteine oder knackendes Holz, und jedes dieser Geräusche nährte in ihm die Hoffnung, den Kerl doch noch einzuholen und zu erwischen.

All die Fragen, die Elron nicht mehr hatte beantworten können, würde er dem Kerl stellen, der auf ihn geschossen hatte, und so wie es aussah, würde er ihn in wenigen Minuten erwischt haben.

Da knallte er in vollem Lauf gegen ein unsichtbares Hindernis – das heißt, unsichtbar war es nur in der Nacht. Es war der tiefstehende, etwa armdicke Ast eines Baums, der ihn genau an der Stirn traf. Richter ging wie vom Blitz gefällt zu Boden, und es dauerte viele Sekunden, ja vielleicht gar Minuten, bis er die Benommenheit und die kreisenden Funken in seinem Gesichtsfeld einigermaßen überwunden hatte. Als er wieder zu sich kam und die taube Stelle an seiner Stirn abtastete, merkte er, dass sich gerade eine gewaltige Beule bildete.

Er lauschte in die Dunkelheit hinein – und hörte nichts mehr.

Absolute Stille.

Nur der Wind rauschte und raschelte in den Blättern und im Nadelgehölz.

Hölle und Verdammnis, damit war der Kerl ihm wohl entkommen.

Und dann merkte Richter, dass er die ZAP verloren hatte. Sie musste ihm bei dem Schlag gegen die Stirn aus der Hand gefallen sein. Fast panisch begann er nach ihr zu tasten, griff in feuchten und nassen Boden, auf trockenen Stein, in Gestrüpp und auf Moos … und benötigte viele Minuten, bis er sie endlich wiedergefunden hatte. Er atmete auf, als er den äußerlichen Dreck von ihr abwischte und sie ins Holster steckte. Diese Waffe hätte er niemals verloren gegeben, nötigenfalls hätte er hier gewartet, bis die Sonne aufgegangen war und er im Tageslicht hätte suchen können.

Die ZAP-9 war Richters Lieblingswaffe, seine Leidenschaft. Er hatte sie nach dem Erwerb von einem Spezialisten so überarbeiten lassen, dass sie genau austariert in seiner Hand lag. Sie war eine Waffe der Klasse A, und er hatte in der Zwischenzeit mehrere Upgrades erworben, sodass sie außer Strahlenbeschuss auch Hartmunition aussenden konnte, hatte eine Erhöhung der Waffenladekammer um 50 Prozent beigefügt und eine 22-prozentige Verstärkung der Strahlungsintensität installiert. Derzeit sparte er auf eine Zielautomatik, die das Treffen um 36 Prozent erleichtern würde, und einen Rückstoßdämpfer und Handgelenkschoner.

Richter stand auf, machte ein paar benommene Schritte, die Dunkelheit und das Gelände schwankten um ihn herum, als befände er sich auf einem Boot in stürmischer See. Dann endlich beruhigte sich alles, und er konnte einigermaßen normal gehen.

Er erreichte sein Kret nach einem Fußmarsch von gut zehn Minuten, führte es am Zügel über die Unebenheiten und benötigte eine weitere Viertelstunde, bis er die Stelle erreichte, an der er Elron abgelegt hatte. Ein Graufuchs war gerade dabei, sich über ein paar hervorstehende Felsen vorsichtig zu nähern. Richter verscheuchte ihn schreiend und mit gezückter ZAP, und das Tier war schlau genug, sich nicht weiter heranzuwagen.

Richter lud den Toten schweren Herzens auf das Kret und stieg danach selbst in den Sattel.

Der Graufuchs sah ihm aus sicherer Entfernung nach, wie er fortritt.

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