Kitabı oku: «Der lange Weg nach Yullima», sayfa 2
»Ein zivilisiertes Volk bringt niemanden
ohne Gerichtsverhandlung um –
auch keinen Mörder!«
(Ragnhild Thul)
Alfro Magnus Thul, Elrons Vater, war zutiefst bestürzt, vom Tod seines Sohns zu erfahren. Beinahe schien es Richter, als würde der alte Efrikinger von der Bank am Tisch kippen, so schwankte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Dann fing er sich, besann sich der Aufgabe, die er nun hatte und ließ eines der Gästezimmer räumen. Er rief die Bediensteten und alle Angehörigen zusammen, und sie bahrten den Leichnam auf. Kerzen erhellten den Raum, während sich alle versammelten und die Ahnengesänge für Elron anstimmten.
Richter stand stumm dabei, ein Beteiligter, ohne wirklich dazuzugehören, ein Anwesender, ohne zu wissen, was vor sich ging. Die Glaubens- und Mythenwelt der Efrikinger war ihm verschlossen, und, ehrlich gesagt, er wollte auch nichts darüber wissen. Doch das würde er niemals offen zugeben; jedenfalls nicht im Hause der Thuls, schon gar nicht an diesem Tag, an dem sie Elrons gedachten und seinen Tod gemäß altüberkommener Riten betrauerten.
Alfro Magnus Thul war ein eingesessener Efrikinger mit buschigem grauem Bart und einer fleckigen Glatze, auf der sich das Licht spiegelte. Sein Haaransatz war in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter nach hinten gewichen, bis nur noch ein Kranz am Hinterkopf zurückgeblieben war, doch dort sprosste das Haar mit solcher Pracht, dass es ihm lang auf Schultern und Rücken hinabfiel, und er es zu einem dichten Zopf flechten ließ.
Er trug die grobe Leinenkleidung, die er schon als junger Mann geliebt hatte, und zeigte damit, dass er sich Neuerungen, neuen Moden und neuen Kleidungsstilen völlig verschloss. Seine Hosenbeine waren mit Bändern umwickelt und die Füße steckten in formlosen Lederschuhen. Nach Kriegerart trug er stets ein Schwert am reichverzierten Gurt bei sich.
In jungen Jahren hatte er Mut und Geschick im Kampf gegen einige der Stämme bewiesen, doch die Zeiten waren ruhiger geworden, die Konflikte löste man heute nicht mehr mit der Waffe in der Hand; man hatte alles den Politikern übergeben, die sich auf einem anderen Level zankten, obwohl sich gar mancher das Schwert in die Hand zurückwünschte.
Und genau das war es, worauf Magnus sich bezog, als er nach der Trauerfeier mit Richter am Tisch saß und sie beide einen Krug Garmet vor sich hatten. Der alte Kämpe hatte sich Zeit genommen, mit Richter über die Erinnerungen alter Tage zu sprechen, und dabei einige rührselige Geschichten und Erlebnisse Elrons ausgegraben. Doch irgendwann wechselte das Thema ins Hier und Jetzt, und die letzten Worte Elrons kamen zur Sprache.
»Du sagtest, Elron vermutete seinen Mörder auf dem Schiff nach Yullima?«
Richter nickte. Seine Sinne waren bereits leicht benebelt vom Garmet, und zudem saß Ragnhild mit am Tisch, die unverheiratete Schwester Elrons, was auch nicht gerade dazu beitrug, Richters Konzentration zu schärfen. Gudrid hingegen, Elrons andere Schwestern, war ins Haus ihrer Familie zurückgekehrt, wo sie sich um ihre Kinder und ihren Mann kümmern musste.
»Die Reise nach Yullima ist lang«, sagte Magnus, niemand bestimmten anblickend. »Sie führt nach Norden, zuerst durch die Fjorde Jonkthils und Utries, dann ins Eisland Griz. Es bestehen gute Chancen, den Mörder noch zu erwischen. Wir brauchen einen jungen, kräftigen Burschen, der bereit ist, die Reise mitzumachen.«
»Ich mache es!«, rief Ragnhild. Unter den missbilligenden Blicken ihres Vaters – die sie jedoch vollständig ignorierte –, hatte sie sich ebenfalls bereits den zweiten Krug Garmet gefüllt und bestritt ihren Teil der Unterhaltung mit Nachdruck. »Ich fahre mit der Orormi nach Yullima und werde alles daransetzen, Elrons Mörder zu finden. Und wenn ich ihn habe, dann …«
Sie ließ unausgesprochen, was sie dann mit ihm machte.
Aber Magnus schüttelte bereits den Kopf.
»Niemals!«, rief er empört. »Du bist ein Mädchen!«
»Ich bin eine Kriegerin und Kämpferin – wie die besten damals, Vater. Ich weiß, du lehnst es ab, doch wir Mädchen von heute sind ebenfalls im Kampf ausgebildet und geprobt.«
»Wage es nicht, dich mit den Helden der alten Zeit zu vergleichen. Ihr seid ja bloß Maulhelden. Ihr habt noch nie einen Krieg mitgemacht, noch nie eine Schlacht geschlagen, noch nie einen Kampf Mann gegen Mann durchgestanden. Ihr wisst gar nicht, was das heißt, was das bedeutet.«
»Das stimmt, weil auf Efriking seit langer Zeit Frieden unter den Stämmen herrscht, und die Götter mögen verhindern, dass dies je wieder anders wird. Denn ich kann nichts Gutes in Tod, Brandschatzung, Vergewaltigung und Verwüstung entdecken, Vater. Aber ich habe gelernt, die Klinge zu führen, den Speer zu werfen und den Pfeil abzuschießen. Wenn es darauf ankommt, und das verspreche ich dir, werde ich die Waffen zu gebrauchen wissen. Es spricht also nichts dagegen, dass ich die Fahrt nach Yullima mitmache und den Mörder stelle.«
»Nein!«, brauste der alte Kämpe noch einmal auf und schmetterte die Faust auf die Tischplatte, dass die Krüge nur so schepperten. »Ein Mann wird gehen! Entweder unser Freund Owen, oder dein Bruder.«
Ragnhild lachte hell auf.
»Brandr? Der ist noch jung. Erst 25! Außerdem ist er hinter Ludmila Yippur her und hat zurzeit andere Dinge im Kopf. Hast du dich nicht gefragt, wo er jetzt gerade ist? Bei ihr! Nein, Brandr wirst du für das Unternehmen nicht begeistern können. – Und Owen? Nichts gegen dich, Owen, aber du kennst dich auf Efriking nicht gut genug aus. Du kennst unsere Traditionen nicht, weißt nicht, wie die Männer und Frauen denken … es wäre unverantwortlich, dich zu einem Mörder an Bord zu lassen. Er würde dich …«
Wieder brach sie ab, eine Handfläche hebend, in der Meinung, dass Richter sich schon würde vorstellen können, was ein Mörder mit ihm machen würde … oder dass er es sich zumindest ausmalte. Doch Richter ließ sich nicht bluffen.
»Was würde er?«, hakte er nach. Wenn jemand etwas sagen wollte, dann sollte er es, verdammt noch eins, auch tun. Mit Andeutungen gab Richter sich nicht zufrieden.
»Dich massakrieren!«, fauchte Ragnhild wild, und ihr einst recht hübsches Antlitz wurde durch eine feurige Röte und einen zornigen Ausdruck entstellt. »Er würde dir einen Dolch zwischen die Rippen stoßen. Dich mit dem Schwert zweiteilen. Dir einen Pfeil in den Rücken jagen. Kapiert?«
Richter lachte verhalten, aber es kam leider längst nicht so überlegen rüber, wie er es sich gewünscht hätte.
»Ich werde mich nicht mit dir auf einen verbalen Wettstreit einlassen, Ragnhild. Es geht nicht darum, dass irgendjemand hier am Tisch eine Diskussion gewinnt oder wer der größte Aufschneider ist. Egal, was du oder dein Vater oder meinetwegen auch das Oberhaupt des Dorfes oder der König der Uwaren sagt – niemand kann mich daran hindern, eine Passage nach Yullima zu buchen und dieses Schiff zu besteigen. Entweder also du kommst mit mir, oder du gehst allein, wirst mich dann aber an Bord treffen, wo ich vor dir sein und auf dich warten werde.«
»Pah!«, stieß Ragnhild heraus und verschränkte die Arme vor der Brust.
Richter hatte durchaus ein Auge auf sie geworfen. Sie war 27, hatte langes blondes Haar, das in Zöpfen links und rechts herunterhing. Ihr Mund war eine Spur zu groß, doch das machten ihre großen blauen Augen wieder wett, und von der Größe insgesamt brauchte sie sich vor keinem Mann verstecken. Sie besaß breite Schultern, ihre Taille wurde durch den breiten Ledergurt betont, an dem das Schwert hing, und unter dem kunstvoll verzierten Leinenhemd waren ihre Muskeln zu spüren. Ja, sie war eine ausgebildete Kriegerin – unerprobt im Feuer, aber immerhin eine Kriegerin. Richter wusste, dass sie diese Laufbahn gegen den Willen ihres Vaters eingeschlagen hatte, und bewunderte sie dafür umso mehr.
»Große Worte für einen Außenweltler«, bekundete Magnus Thul, indem er Richter scharf im Auge hielt. »Aber weißt du was – ich glaube dir, Owen! Wenn es einer fertigbringt, dann du. Du hast eine dieser Flugmaschinen, die dich überall hinbringen können. Du kannst den nächsten Hafen, den die Orormi anläuft, also rechtzeitig erreichen.« Er wandte sich an Ragnhild. »Tochter, wenn du einmal etwas tun willst, das mein Herz erfreut, dann fliege mit Owen zu dem Hafen und geh gemeinsam mit ihm an Bord. Ihr beide werdet Elrons Mörder finden – und ihn zu mir bringen. Ich werde dann vor der ganzen Hausgemeinschaft Gericht über ihn halten.«
Ragnhild war sichtlich unzufrieden mit den Worten ihres Vaters. Zum einen hasste sie es, von ihm Vorschriften gemacht zu bekommen, zum anderen wollte sie nicht Richters Anhängsel in dieser Sache sein. Und zum Dritten wollte sie selbst das Urteil über dem Mörder vollstrecken, und es nicht ihrem Vater überlassen, der nur zuhause herumsaß und darauf wartete, bis man ihm alles mundgerecht servierte.
Nein, Ragnhild wollte den Mord an Elron selbst rächen.
Richter versuchte sie zu beschwichtigen, indem er sagte:
»Dein Vater hat recht. Ihm als Familienoberhaupt steht es zu, das Urteil zu sprechen. Wir werden den Mörder herbeischaffen und ihn diesem Urteil unterwerfen. Und glaube mir, ich kenne die Efrikinger inzwischen besser, als du denkst.«
Ragnhild ertränkte ihren Verdruss in einem großen Schluck Garmet. Dann wischte sie sich den Mund mit dem Handrücken ab und rülpste laut und vernehmlich.
»Na gut«, sagte sie, »wir sind ein zivilisiertes Volk. Wir bringen niemanden ohne Gerichtsverhandlung um. Auch keine Mörder.«
»Der gefährlichste Teil der Reise
liegt noch vor uns. Ich wünsche euch
weiterhin einen angenehmen Aufenthalt.«
(Kapitän Ganger Ekholm)
Die Orormi war ein Drachenboot der neuesten Klasse, eins der größten, das je gebaut worden war, und sie war ein Meisterwerk der Schiffsbaukunst. Ihre Länge betrug über 240 Schritte, die Breite immerhin 30. In ihrem Leib ratterten Tucci-Motoren, welche mächtige Schiffsschrauben antrieben und ein Segel überflüssig machten. Dass die Orormi dennoch ein Segel mit den traditionellen roten und weißen Streifen besaß, war der Verbundenheit der Efrikinger zur Geschichte ihres Planeten zuzuschreiben. Vielleicht würde es eines Tages auch auf Efriking Schiffe ohne Segel geben, aber noch war es nicht soweit.
Am Bug prangte ein gewaltiger hölzerner Drachenkopf, der seinen Blick stolz aufs offene Meer hinausrichtete und jedem Sturm trotzte; der stets den Mund geöffnet hatte, um einen seiner gefürchteten Feuerstöße abgeben zu können. Auch dieses Relief war eine Hommage an alte, kriegerische Zeiten, und die meisten Efrikinger schwelgten in ihrer Geschichte und in den Überlieferungen, die ihre Ahnen als große Krieger und wilde Haudraufs darstellten. Am liebsten würden sie heute noch solch ein Leben führen, wollten gleichzeitig aber die Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten der Moderne nicht missen. Beides zusammen schien nicht zu gehen, also genoss man das eine und schwelgte in Gedanken beim andern.
Richter und Ragnhild erreichten Octavia am frühen Nachmittag und gerade noch rechtzeitig, um der Orormi beim Einlaufen in den Hafen zuzusehen. Wie immer war das eine große Schau, und die halbe Stadt war zusammengelaufen, um dem Schauspiel beizuwohnen. Händler hatten Stände aufgebaut und hofften, Souvenirs und Imbisse an Touristen, Reisende oder Seeleute zu verkaufen, aber jetzt, im Spätherbst, bestand dazu wenig Aussicht.
Richter hatte sein Raumschiff auf einem leeren Feld abgestellt und dem Eigentümer bis zu seiner Rückkehr eine Stellmiete von 1000 Gonals (etwa 88 Qubits) bezahlt, dann ging er ins Hafenbüro und besorgte sich, wie schon Ragnhild vor ihm, ein Ticket für eine Passage nach Yullima. Über die Holzplanken, die eilfertige Seeleute ausgelegt hatten, gingen sie schließlich an Bord.
Die Einschiffungsmodalitäten waren schnell durchlaufen, nicht alle Passagierkabinen waren besetzt, so war es leicht gewesen, Tickets zu bekommen. Um diese Jahreszeit wollten nicht mehr viele Leute ins Eisland Griz. Im Sommer sah das ganz anders aus. Da strömten Urlauber und Außenweltler in das nördliche Yullima, um die leuchtenden Nachtregenbogen oder die Eisbären zu sehen oder den fragwürdigen Ruhm zu genießen, die nördlichste Stadt Efrikings besucht zu haben.
Während der Ankunft und auch während des Aufenthalts im Hafen hatte mindestens einer von ihnen ständig das Schiff im Auge behalten, so hatten sie festgestellt, dass niemand von Bord gegangen war; zumindest kein Passagier. Einige Seeleute waren an Land gegangen, um Besorgungen zu erledigen, um Vorräte, Lebensmittel, Trinkwasser, Treibstoff, Motorenöl und andere Dinge aufzustocken. Aber sie alle kamen wieder zurück an Bord, bevor es weiterging. Richter und Ragnhild atmeten auf. Wenn der Mörder tatsächlich an Bord zu suchen war, dann hatte er das Schiff nicht verlassen. Dann hatten sie noch immer die Chance, ihn zu finden und dingfest zu machen.
Vor Einbruch der Dunkelheit lief die Orormi aus, und Richter und Ragnhild, die sich in ihren Kabinen zunächst eingerichtet hatten, trafen sich im großen Hecksaal, in dem das Abendessen serviert wurde. Es erklang die dezente Musik eines Shattun-Dudelsacks, und als Richter sich umsah, entdeckte er den Spieler im hintersten Winkel, mit geschlossenen Augen improvisierend. Es war eine Musik, die einem Zuhörer, der derartiges nicht gewöhnt war, leicht auf die Nerven gehen konnte, und Richter spürte, wie es bei ihm langsam so weit war.
Ragnhild bemerkte es ebenfalls und lachte triumphierend auf, und Richter drängte seinen Ärger zurück. Er wollte ihr nicht den Sieg überlassen, dass die Welt der Efrikinger ihn auf irgendeine Weise überforderte. Nein, er widerstand der Versuchung, den Dudelsackspieler über den Haufen zu schießen und konzentrierte sich auf den Becher mit Garmet, den ein dienstbeflissener Ober vor ihn hingestellt hatte. Das flackernde Licht der Kronleuchter spiegelte sich auf der Oberfläche, und kleine Bläschen hatten sich am Rand gesammelt.
Er setzte an und wollte den Inhalt in sich hineinkippen, da bemerkte er bereits, wie sich seine Kehlklappen in Erwartung des sauer-scharfen Getränks zusammenzogen. Er zögerte, was Ragnhild erneut zu einem Lachen provozierte. Sie nahm ihren Becher und stürzte dessen Inhalt in einem Zug hinab. Richter registrierte: kein Husten, keine tränenden Augen, sondern nur ein schäbiges Grinsen in ihrem Gesicht. Dieses Mädel vertrug ganz offensichtlich so einiges.
»Na los, du Pseudo-Efrikinger«, frotzelte sie, »trink aus!«
Richter hatte keine Wahl. Er setzte an und zwang den Inhalt durch seinen sich verengenden Schlund. Die ersten Schlucke waren immer die Schlimmsten. Er hustete und prustete und hatte Mühe, nicht alles vollzuspucken.
»Warte«, sagte Ragnhild, »ich ordere für dich das verwässerte Zeug, das in die Außenwelten importiert wird. Keine Sorge, wir nehmen Rücksicht auf andere Rassen, Spezies und Besucher.«
Ihre Stimme troff nur so vor Hohn, und Richter fühlte sich wie geohrfeigt.
Sie hob den Arm, doch Richter setzte den Becher rasch erneut an, und sie zog die Hand wieder zurück, beobachtete ihn interessiert.
Diesmal war der Widerstand in seiner Kehle schon geringer. Er schaffte es, zwei große Schlucke zu nehmen. Doch noch immer trübte das Garmet seinen Blick, ließ ihn um Luft ringen. Bevor sie auch nur etwas sagen oder tun konnte, setzte er den Becher ein drittes Mal an – und diesmal leerte er ihn ganz. Er ließ ihn zurück auf die Tischplatte knallen und stieß mit heiserer Stimme hervor:
»Nachfüllen!«
»Du hast ja Pipi in den Augen, Owen«, frohlockte sie. »Brauchst du ein Taschentuch?«
Richter fixierte sie trotz der Trübung in seinem Blick und widerstand dem Drang, sie niederzuschlagen.
»Nachfüllen!«, verlangte er. »Und damit du es gleich weißt: Einen Mörder überführen wir nicht, indem wir dieses Zeug trinken. Dazu braucht es ganz andere Fähigkeiten. Ihr Efrikinger bildet euch allerhand ein auf Dinge, die es nicht die Bohne wert sind. Was kannst du dir kaufen dafür, dass du sieben Krüge Garmet hinunterstürzen kannst? Kannst du vielleicht ein Raumschiff steuern, wie ich? Bist du ein besserer oder schlechterer Mensch, wenn du es kannst? Oder wenn du es nicht kannst? – Vergiss doch endlich diesen Quatsch, Ragnhild, und konzentriere dich auf unsere eigentliche Aufgabe. Ich möchte Elrons Mörder finden, ansonsten habe ich nichts zu beweisen.«
Der Ober kam vorüber, einen Schlauch mit Garmet unterm Arm. Er sah, dass Richters und Ragnhilds Becher leer waren und füllte rasch auf.
»Und das da«, sagte Richter, als sie wieder allein waren, und deutete auf das Garmet, »trinke ich nur, weil’s mir Spaß macht. Ich habe niemandem irgendetwas zu beweisen. Dir schon gar nicht. Kapiert?«
»Jaja, kapiert, Herr Oberlehrer.«
Richter hatte das Gefühl gehabt, sie ein wenig in den Senkel stellen zu müssen. Jetzt beugte er sich weit vor und sagte leise:
»Anstatt mich mit deinen großen blauen Augen zu taxieren, solltest du dich lieber mal im Raum umsehen. Wer kommt für den Mord an Elron in Frage? Diese Familien mit Kindern offensichtlich nicht. Ist dir schon jemand aufgefallen?«
Der Speisesaal hatte sich langsam gefüllt.
Ein Efriking-Krieger, der eine Streitaxt auf dem Rücken trug, hatte sich an einem Tisch in der Nähe des Dudelsackspielers niedergelassen. Wahrscheinlich, um ihn besser totschlagen zu können, dachte Richter. Der Mann besaß einen Stiernacken und einen langen roten Bart und seine linke Seite war durch einen elastischen Metallärmel geschützt, der sich in alle Richtungen bewegen und auf Wunsch des Trägers auch auffächern konnte. So war die linke Seite des Kriegers vor Schwerthieben wie auch Pfeilschüssen geschützt, und er sparte es sich, ein separates Schild mit herumzuschleppen.
Der Mann – Richter musterte ihn immer noch eingehend – war muskelbepackt und mit einem roten Lederhemd gekleidet, das mit groben Stichen genäht war. Er besaß grüne Augen, die wütend hierhin und dorthin blickten. Er kam Richter äußerst wild und entschlossen vor und würde gewiss nicht vor einem Bogenschuss, mit dem er einen Gegner stoppen konnte, Halt machen.
»Diesen Typen sollten wir im Auge behalten«, raunte er Ragnhild zu.
Um ihn sich anzusehen, musste Ragnhild über die Schulter zurückblicken. Sie tat es, dann wandte sie sich wieder Richter zu und nickte.
»Da ist auch ein Pärchen, das in Frage kommt«, sagte sie dann und deutete mit einem raschen Blick auf jemanden in Richters Rücken.
Richter wandte sich kurz um, seine Augen streiften über vielerlei Dinge: Wandschmuck, Bullaugen, den Ober … und über das besagte Pärchen.
Eine blonde junge Frau mit einem rotwangigen, breitflächigen Gesicht, großgewachsen, muskelbepackt, selbstbewusst, in der traditionellen Kleidung des Planeten – der Traum eines jeden Efrikingers. Ihr Partner war braunhaarig, etwas kleiner und schmächtiger als sie und wirkte, wie Richter fand, äußerst verschlagen. Alles in allem ein Paar, das nicht so recht zusammenpassen wollte.
Am Tisch direkt neben ihnen hatte eine ältere Lady Platz genommen. Die Aristokratin stand ihr ins Gesicht geschrieben und konnte außerdem festgestellt werden an:
– dem hochgesteckten grauen Haar;
– dem Silberreif, der es zusammenhielt;
– dem feinen Stoff, aus dem ihr purpurnes Kleid bestand;
– den vielen kleinen Brillantsplittern, die in den Stoff eingearbeitet waren und die im Licht der Kronleuchter blitzten und funkelten.
Sie trug ein kleines Augenglas, und als sie es hochnahm, um die Speisekarte zu studieren, erkannte Richter, dass sie sehr gepflegte Hände und Finger hatte.
Ihr zur Rechten hatte eine weitere Frau Platz genommen, die, wenn die ältere Lady eine Adelige war, Richter sich leicht als deren Zofe oder Wirtschafterin vorstellen konnte. Diese Frau hatte ein etwas verhärmteres Aussehen, obwohl sie sich gewiss bemühte, fein und sauber zu wirken. Dennoch erreichte sie bei weitem nicht den Glanz ihrer Herrin. Ihr Haar war dunkel und matt, ihr Gesicht teigig und käsig und das Kleid grau und stumpf. Sie trug einen Kriegerinnen-Gürtel, an dem ein diamantbesetzter Dolch prangte, den sie vielleicht deshalb mit sich trug, weil ihre Herrin ihn ihr geschenkt hatte – oder damit sie ihn zücken und sich auf jeden stürzen konnte, der plante, ihrer Herrin ein Leid anzutun. Ihre Beine – das hatte Richter gesehen, bevor sie sich hingesetzt hatte – steckten in Lammfellstiefeln.
Irgendetwas stimmte mit der Frau nicht, dachte Richter, und er fragte sich, wie sie in den Dienst dieser Adeligen gekommen war. Die ältere Frau sprühte vor Lebenslust, das Licht schien sich auf den Rundungen in ihrem Gesicht zu spiegeln, und sie lächelte unentwegt. Die Zofe hingegen schien alles Licht zu absorbieren, nichts drang nach außen, sie war in sich gekehrt und verschlossen, und Richter hätte nur zu gerne gewusst, wie sie es geschafft hatte, bei einer so lebenslustigen Herrin in Diensten genommen zu werden.
Nachdem die beiden Frauen am Nebentisch bereits einige Minuten dagesessen und sich mit der Speisekarte beschäftigt hatten (es wurde darauf nur das eine Mahl angezeigt, das es heute zu essen gab), trat ein riesiger grau gekleideter Mann herbei, blickte auf die Frauen hinab, wartete mit gesenktem Kopf, die ältere Lady fixierend, bis sie zu ihm aufblickte und sagte:
»Aber setz dich doch, Cnute.«
Der Mann nickte dienstbeflissen und rückte sich den Stuhl zurecht.
»Er ist ihr Diener«, flüsterte Ragnhild Richter zu, der sich etwas Derartiges schon gedacht hatte.
Der Diener Cnute war Richters Schätzung nach über zwei Meter groß und gewiss schon über 50; er war breitschultrig, aber dennoch hager, ja regelrecht dürr, besaß kaum sichtbare Muskeln. Er bewegte sich bedächtig, neigte sein fast kahles Haupt stets und wartete immer auf Anweisungen, bevor er etwas tat. Der perfekte Diener – wenn man sich einen solchen wünschte. Vielleicht hatte er für seine adelige Herrin die Koffer schleppen müssen, und falls dem so war, dachte Richter, hatte er sicher geschnauft und geschwitzt, denn er wirkte ziemlich saft- und kraftlos. Richter traute ihm nicht zu, einen Bogen zu spannen und einen Pfeil abzuschießen. Dazu schien er nicht genügend Empathie aufzubringen.
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Ragnhild leise. »Aber pass auf, dass du dich nicht täuschst. Jeder Mensch hat eine verborgene innere Seite, die seine Umwelt nicht wahrnimmt. Was mich betrifft, ich traue hier jedem erst mal alles zu. Auch ihm.« Sie rollte die Augen für einen kurzen Moment in Richtung des Dieners, und Richter fragte sich tatsächlich, ob Ragnhild seine Gedanken lesen konnte.
Er lächelte kurz auf, dann nickte er fast unmerklich.
»Du hast recht. Keine zu frühen Entscheidungen.«
Noch weitere Passagiere trafen ein und setzten sich, doch alle hatten Kinder im Schlepptau und passten in Richters Augen nicht in den Kreis von Menschen, die mit Pfeilen auf andere schossen, daher streifte sein Blick sie nur flüchtig. Dann ging ein Raunen durch den Saal und der Dudelsackspieler stoppte seinen Vortrag mitten im Ton. Richter entdeckte, dass die gesamte Aufmerksamkeit der Anwesenden auf die Eingangstür gerichtet war. Er schwenkte herum – und sah den Kapitän der Orormi, der gerade eingetreten war … sowie ein paar Männer, die sich leicht hinter ihm hielten.
Irgendwo – auf einem Plakat, einem Flyer oder auf dem Ticket – hatte Richter gelesen, dass der Kapitän Ganger Ekholm hieß. Er hatte eine prächtige weiße Uniform mit goldenen Knöpfen und roten und goldenen Tressen angelegt, um an diesem öffentlichen Abendessen teilzunehmen. Rotes Haar fiel ihm hinten wellig auf die Schultern und ein Knebelbart verstärkte den Eindruck eines Mannes, der sein Metier bis ins FF beherrschte. Er war etwas zu klein, um als Krieger beeindruckend zu wirken, aber als Kapitän, der mit Wissen, Verstand und Können glänzen musste, machte er den besten Eindruck.
Die Leute erkannten ihn sofort; kein Wunder, sie alle fuhren bereits länger mit dem Schiff als Richter und Ragnhild und hatten ihn gewiss schon einige Male gesehen.
Unwillkürlich brandete Applaus auf, und der Kapitän hob beide Hände.
»Vielen Dank, liebe Freunde. Nicht doch. Beruhigt euch, bitte. Ich bin es nicht wert. Ich bin doch auch nur ein Mensch.«
»Ein bescheidener Mann«, sagte Richter.
»Ein Schleimscheißer«, attestierte Ragnhild stattdessen. »Das Gequatsche ist nicht echt, Owen. Kein Efrikinger, der etwas auf sich hält, würde so reden.«
Richter zuckte mit den Achseln.
»Ich wollte euch mitteilen«, fuhr der Kapitän fort, »dass wir gut im Zeitplan liegen. Wir haben alle nötigen Vorräte ergänzt und sind wie geplant pünktlich in See gestochen. Wie es jetzt aussieht, werden wir Yullima zur vorgesehenen Zeit erreichen, allerdings muss ich einräumen, dass der gefährlichste Teil der Strecke noch vor uns liegt. Ich wünsche euch dennoch weiterhin einen angenehmen Aufenthalt auf der Orormi. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.«
Wieder brandete Applaus auf, und der Kapitän ging zielstrebig durch den Raum, auf den für ihn reservierten Tisch zu. Seine Männer, alle ebenfalls in Gala-Uniformen, folgten. Richter fiel auf, dass alle, außer dem Kapitän, mit Schwertern oder Dolchen bewaffnet waren.
Erst als alle Platz genommen hatten, ebbte der Beifall ab, die Menschen widmeten sich wieder ihren eigenen Themen und Belangen.
Richter fiel ein Mann auf, der nun den Saal betrat.
Er war fast noch einen Kopf größer als der Diener Cnute, hatte ein gruselig hässliches, beinahe verwüstetes Gesicht mit vielen dunklen Falten und Rillen, als wäre er uralt, jedoch straften seine geschmeidigen und kraftvollen Bewegungen diese Annahme Lügen. Wucherndes schwarzes Haar umhüllte diesen Kopf, der ohne weiteres eine Geisterbahn zieren könnte; es war lang und kräftig. Er trug auch nicht die typische Kleidung der Efrikinger, sondern die lederne sackartige Kriegerkleidung der Vyrall. Seine Bewaffnung bestand aus einem leicht geschwungenen Gowj-Dolch, und es fanden sich ein paar Kampfsterne an seinem breiten schmucklosen Gurt. Sehr leicht könnten diese vergiftet sein, und wenn solch ein Kampfstern einen Menschen in vollem Flug traf, zog er sich leicht mehr als nur eine Fleischwunde zu. Die meisten Menschen überlebten einen Zusammenstoß mit einem Vyrall-Krieger nicht, deswegen gab es nur sehr wenige Berichte über sie.
Richter spannte sich sofort an, als er den Mann eintreten sah. Selbst als dieser sich nur umsah, seinen Tisch ausmachte und sich hinsetzte, wich die Anspannung nicht von Richter.
»Dieser Typ ist brandgefährlich«, raunte er Ragnhild zu.
»Ein weiterer Kandidat«, bestätigte sie.
»Er ist ein Vyrall. Sie kämpfen mit geschwungenen Klingen, Kampfsternen und Speeren und werden auch als Bogenschützen ausgebildet. Vielleicht die gefährlichste Spezies im Universum. Auf jeden Fall äußerst tödlich. Wenn Elron sich irgendwie mit diesem Typen angelegt hat oder mit ihm zusammengestoßen ist …«
»Ich weiß. Das wäre ihm nicht gut bekommen. Vor 300 Jahren landete ein Trupp von 30 Vyrall auf Efriking. Sie glaubten, sie könnten sich auf dem Planeten niederlassen und errichteten einen Brückenkopf. Zuerst dachte mein Volk, sie warteten darauf, dass weiterer Nachschub von ihrem Heimatplaneten herüberkäme. Später erfuhren wir, dass sie Ausgestoßene waren, die irgendwo einen Platz suchten, sich niederzulassen. Aber sie benahmen sich nicht wie Flüchtlinge, sondern wie Besatzer. Sie trieben ein ganzes Dorf Efrikinger zusammen und töteten sie innerhalb einer Stunde.«
Richter schluckte trocken. Er hatte gewusst, dass die Vyrall furchtbare und grausame Krieger waren, aber das schlug dem Fass den Boden aus.
»Es dauerte seine Zeit, aber dann sprach sich ihr Treiben bei den Stämmen herum. Die Vyrall beanspruchten inzwischen große Stücke Landes für sich. Die Stämme schlossen sich zusammen und bildeten eine Streitmacht. Aber ob du es glaubst oder nicht, es brauchte 400 Kämpfer, um die 30 Vyrall zu besiegen – und die Efrikinger erlitten zahlreiche und schwere Verluste. In ihrer verzweifelten Wut metzelten sie alle Vyrall nieder. Es war ein sehr schlimmer Überfall auf unseren Planeten, und seitdem steht diese Spezies bei meinem Volk in keinem guten Ansehen.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Es kann gut sein, dass der Typ Elron erschossen hat. Doch wie wollen wir das herausfinden, Owen? Wie kommen wir dem Ganzen auf die Spur?«
»Ich werde mal mit den Stewarts reden. Vielleicht haben sie etwas mitbekommen, das uns weiterhilft. Diese Männer werden oft übersehen, bekommen aber mehr mit, als manchem oft lieb ist. Wenn es irgendeinen Zusammenstoß an Bord gegeben hat, könnte einer von ihnen etwas davon wissen.«
»Du begehst einen Denkfehler, Owen. Warum glaubst du, dass es an Bord einen Zusammenstoß gegeben hat? Elron war auf seinem eigenen Boot, als du ihn an der Küste fandest. Wenn er zuvor an Bord der Orormi gewesen war – wie war er dann auf sein Boot gekommen?«
»Hmm … du hast recht. Wie ist die Tat überhaupt abgelaufen?«
»Dies sind die Fakten, so wie ich sie sehe: Erstens, Elron wurde beschossen, wo, das wissen wir nicht. Zweitens, er war auf seinem Boot und ist damit geflohen, also war er vielleicht an Land, als er beschossen wurde. Drittens, er glaubte zu wissen, dass der Mörder auf das Schiff nach Yullima geflüchtet war. Doch warum? Wenn Elron vor dem Mörder geflüchtet ist, wie kam es dann, dass er wusste, dass der Mörder nach Yullima fährt?«
»In der Tat, eine gute Frage. Sie hat sicher etwas mit dem Motiv der Tat zu tun. Also gut, gehen wir Schritt für Schritt vor. Warum wurde Elron beschossen? These: Der Mörder wollte ihn zum Schweigen bringen. Das bedeutet, Elron hatte etwas beobachtet. Dies geschah an Land, vielleicht in der Wildnis oder der Einöde. Elron wird für tot gehalten und liegengelassen. Daraufhin geht der Mörder an Bord der Orormi. Elron kann sich zu seinem Boot durchschlagen und fährt den Punkt an, an dem er sich Hilfe verspricht, weil er weiß, dass ich dort auf ihn warte.«
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