Kitabı oku: «Der Ruhelose»
Logan Kenison
DER RUHELOSE
Westernroman
Das Buch
Tom Bramley muss unbedingt Maximiliano Salices, den reichen Haziendero, loswerden. Denn Maximiliano will Alice, die Tochter des Ranchers Hutton, heiraten. Tom hingegen liebt Alice abgöttisch. Er kann nicht zulassen, dass Maximiliano mit Alice vor den Traualtar tritt. Also muss er etwas unternehmen. Von nun an heißt es: Good Bye, Maximiliano!
Der Autor
Logan Kenison ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spaceromanen. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Inhalt
Impressum
Der Ruhelose
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Impressum
© 07/2021
by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Abdruck auch auszugsweise
nur mit Genehmigung des Autors.
Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode »Hinrichtung im Morgengrauen«(Orig.: »Death at Dawn«, USA, 1960) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de
Logan Kenison
DER RUHELOSE
Westernroman
Als Alice Hutton seinen Laden betrat, wusste Tom Bramley, dass die schönste Frau Mulborrows vor ihm stand. Blonde Locken fielen unter ihrem Hutrand hervor auf die schmalen Schultern, ihre Wangen zierten zwei neckische Grübchen, darunter vorgereckt ein spitzes Kinn. Toms Blick glitt tiefer, und er sah die Wölbungen ihrer Brüste, eine Wespentaille und ausladende Hüften. Sie besaß eine ansprechende Figur, hatte für ihn die richtige Größe, das richtige Alter – kurzum: Sie war perfekt. In diesem Augenblick fasste Tom den Entschluss, sie zu heiraten.
Leider ahnte Alice nichts davon und verhielt sich formell-distanziert. Sie redete ihn mit »Mister Bramley« an und sah in ihm niemand anderen als einen Schneider, der sich erst kürzlich in der Stadt niedergelassen hatte – ein Umstand, den Tom baldmöglichst zu ändern gedachte.
Er war äußerst zuvorkommend zu dieser Kundin, beriet sie ausgiebig und detailliert, zeigte ihr alle möglichen Stoffmuster, um ihre Anwesenheit in seinem Laden möglichst lange auszudehnen. Hier das hellblaue, dort das braune mit den Blümchen, oder vielleicht doch lieber das grüne mit den Punkten? Das altrosafarbene? Aber natürlich! Schließlich sicherte er ihr zu, das mauvefarbene Kleid, für das sie sich letztlich entschieden und für das er Maß genommen hatte, sofort nach Fertigstellung in eigener Person auf die Ranch ihres Vaters zu bringen und das Anprobieren zu überwachen.
Alice verabschiedete sich weit aufgeschlossener, als sie Toms Laden betreten hatte, was Tom als ersten Erfolg verbuchte.
»Sehen Sie zu, dass Sie gute Arbeit leisten, Mister Bramley«, sagte sie, als sie mit einem makellosen Lächeln im Türrahmen kurz innehielt. »Meine Freundinnen und ich werden Schnitt, Passform, ja jede einzelne Naht unter die Lupe nehmen. Wenn wir mit Ihrer Arbeit zufrieden sind, können Sie mit weiteren Aufträgen rechnen.«
Tom war sich darüber im Klaren, dass eine Frau wie Alice Hutton viel Einfluss in der Stadt hatte. Ihr Vater war reich, und wenn sie eine Empfehlung aussprach, hatte diese unter all ihren Bekannten großes Gewicht. Er stammelte eine Beteuerungsfloskel, die er seinen früheren Lehrmeister dutzende Male hatte sagen hören, verwundert darüber, dass ihm nichts Anderes (Besseres) einfallen wollte, aber sie schien damit zufrieden zu sein.
Er sah ihr nach, als sie mit wippenden Schritten über die Sidewalks zu ihrem Buggy eilte, der am Straßenrand auf sie wartete. Er sah ihr auch noch nach, als sie einstieg und die Straße entlangfuhr.
Erst, als sie außer Sicht war, kam Leben in ihn. Er riss sich die Arbeitskleidung vom Leib, entledigte sich des Nadelbands, das er gewohnheitsmäßig am Oberarm angelegt hatte, und schnappte sich Jacke und Hut. Er verließ den Laden so hastig, dass er vergaß, das GESCHLOSSEN-Schild an die Tür zu hängen. Aber wenigstens verriegelte er die Tür.
Der Schneider Tom Bramley besaß kein Pferd. Glücklicherweise gab es in Mulborrow einen Mietstall. Tom eilte über die Main Street.
Der Stallhelp war gerade dabei, ein Pferd zu striegeln. Er zuckte zusammen, als der neu zugereiste Schneider wie ein Wirbelwind auftauchte und nach einem Pferd und Sattel verlangte. Innerhalb weniger Minuten stand das Gewünschte bereit, und als der Stallhelp dem Kunden die Zügel übergeben wollte, murmelte er: »Das macht 50 Cents, Sir.«
Tom erschrak. Er grub in verschiedenen Taschen nach Geld, doch er wusste, dass er nichts dabeihatte. Er hatte nicht daran gedacht, beim Hinauslaufen die Geldbörse zu schnappen.
»Ich bin Tom Bramley von schräg gegenüber. Sie müssten mich kennen. Meinen Sie, ich kann es anschreiben lassen? Ich gebe Ihnen das Geld, wenn ich zurück bin. Spätestens heute Abend.«
Der Stallhelp, ein alter Bursche namens Dusty Ringel, unrasiert, verlottert, Strohhalme im Haar, nach Schweiß und Leder stinkend und kurz vor der Verwahrlosung stehend, musste in der Stadt als Fußabstreifer für viele Leute herhalten. Doch jetzt spürte er: Diesmal hielt er in wahrstem Sinne des Wortes die Zügel in der Hand.
»Na, ich weiß nicht …«, zierte er sich. Er zog die Maiskolbenpfeife aus der ausgebeulten Jackentasche und steckte sie sich in den Mund. »Ich führe den Stall nur. Mein Chef, Mr. Neil Hebert, sieht so etwas gar nicht gerne. Ich könnte große Probleme bekommen, Mister.«
Tom zerrann die Zeit zwischen den Fingern.
»Ich werde Ihnen einen ganzen Dollar geben, wenn Sie diesmal ein Auge zudrücken.«
»Ich sehe ihn hereinkommen und die Boxen durchgehen, wie er es immer wieder mal tut. ›Die Suzy ist unterwegs? Gut, gut. Dann gib mir doch gleich mal die Einnahmen, Dusty!‹ O ja, Sir, ich höre die Worte des ehrenwerten Mr. Hebert bereits in meinen Ohren klingeln: ›Was, du hast den Gaul ohne Bezahlung rausgegeben? Du Schuft! Du Verbrecher! Du Niete! Du Versager! Ich habe dir schon tausend Mal gesagt: Keine Ware ohne Bezahlung. Drüben im Store bekommst du auch nichts, wenn du es nicht bezahlst.‹ – Außer natürlich, du stehst beim Storekeeper auf der Liste. Und im Saloon gibt’s auch nur gegen Bares.«
»Zwei Dollar«, bot Tom, um den Sermon abzukürzen. »Dafür bekommen Sie im Saloon sogar eine Flasche Whisky.«
»Mr. Hebert wird mir den Kopf abreißen«, sagte Dusty. »Sie können sich nicht vorstellen, wie er sein k…«
»Fünf Dollar, mein letztes Wort«, unterbrach Tom übellaunig. Natürlich hätte er eine Menge Geld sparen können, wenn er jetzt zurückgelaufen und seine Geldbörse geholt hätte, aber während er das getan hätte, hätte sich Alice Hutton immer weiter von Mulborrow entfernt, sodass er als ungeübter Reiter kaum noch eine Chance gehabt hätte, sie einzuholen.
In das faltige Gesicht des Stallhelps trat ein faustdickes Grinsen.
»Wissen Sie was, Mister? Ich riskier’s mit Ihnen! Ich überlass’ Ihnen die gute Suzy auf Ihr gutes Wort. Hier! Nehmen Sie die Zügel. Aber vergessen Sie nicht, dass Sie mir dafür fünf Dollar schulden. Ist schließlich ’n beträchtliches Risiko für mich.«
»Werd’s schon nicht vergessen«, stieß Tom missmutig hervor, während er die Zügel nahm. Ihm war klar, dass er ein mieses Geschäft gemacht hatte. Aber welche Wahl hatte er? Er hatte hier schnell vorankommen wollen, und jetzt saß er in der Falle. Der alte Fuchs hatte ihn buchstäblich ausmanövriert. Es war seine eigene Schuld.
Tom stieg in den Sattel und lenkte das Tier zum großen Stalltor.
Dusty Ringel hatte seine Maiskolbenpfeife inzwischen angesteckt und dampfte wie eine kaputte Lokomotive. »Guten Ritt!«, rief er ihm nach. »Sie ham doch hoffentlich schon mal auf ’nem Pferderücken gesessen, oder?«
Tom glaubte noch ein »Und fallen Sie nicht aus dem Sattel!« hinter sich zu vernehmen, gefolgt von einem hämischen Lachen. Er beschloss, die Sache zu ignorieren. Das Geld hatte er dem Mann versprochen, dann soll’s diesmal eben so sein. Der Stallhelp konnte fünf Dollar bestimmt gebrauchen, so wie der aussah. Aber auch für Tom Bramley waren fünf Dollar nicht so leicht verdient, wie mancher annehmen würde. Er würde ein paar Tage dafür schuften müssen.
Obwohl … »schuften« ist vielleicht das falsche Wort. Er saß in seiner Schneiderwerkstatt, schnitt Stoffe zu, nähte sie zusammen. Das alles im Schatten, bei geöffnetem Fenster, bei einem angenehmen Luftzug, während andere in der Sonnenglast Rinder treiben und bewachen mussten, während ihnen ständig der Staub in jede Ritze ihrer Kleidung kroch und sie hin und wieder in einen Kaktus fielen.
Nope, Tom Bramley war ziemlich froh, das Schneiderhandwerk erlernt zu haben.
Aber als Cowboy … nun ja, er gab es zu: Als Cowboy wäre er bestimmt ein besserer Reiter als jetzt. Die verdammte Suzy gehorchte ihm kaum. Er hatte schließlich keine wirkliche Ahnung von Pferden. Und für einen Reitkurs war die Zeit schlichtweg zu knapp. Mist. Verdammter Mist. Nun ja, dann musste es eben so gehen.
Er versuchte verzweifelt, dem Pferd die Richtung beizubringen, die es nehmen sollte. Bestimmt gab er eine ulkige Figur ab, wie er so schief im Sattel hing in der Hoffnung, dass dies das Pferd ein wenig nach links korrigierte.
Zum Teufel, das Vieh tat einfach, was es wollte.
Und das war keineswegs das, was Tom wollte.
Das hatte Tom sich auch einfacher vorgestellt.
Warum hatte er auch die hirnverbrannte Idee haben müssen, Alice Hutton zu Pferd zu folgen? Er hatte den wunderbaren Anblick dieser Frau einfach noch etwas länger genießen wollen. Er geriet regelrecht in Wallung, als er sich an sie zurückerinnerte. Ihr geschmeidiger Körper … die Rundungen, die einem Mann das Blut zirkulieren ließen … ihre gazellenhaften Bewegungen … das makellose Lächeln … die blitzenden Augen … Yeah, an Alice Hutton war alles daran, was ein Mann brauchte, um zu fühlen, dass er ein Mann war.
Irgendwann wurde das Reiten dann doch einfacher. Das war, als Tom bemerkte, dass er das Pferd nach links lenken konnte, wenn er etwas am linken Zügel zog. Er machte die Probe aufs Exempel und zog am rechten Zügel: Das Tier ging nach rechts. Yeah, er hatte – wohl mehr zufällig – herausgefunden, wie die Sache mit dem Reiten funktionierte.
Jetzt musste er nur noch eine annehmbare Geschwindigkeit hinbekommen, vielleicht schaffte er es dann doch noch, Alice Hutton einzuholen.
Er rammte Suzy die Fersen in die Weichen, sodass die Stute schrill aufwieherte und einen Satz nach vorn machte. Teufel auch, beinahe wäre Tom aus dem Sattel katapultiert worden. Gerade noch hatte er sich am Sattelhorn festhalten können.
Na gut, ließ er die Sache eben etwas langsamer angehen. Schließlich war Suzy ein Lebewesen – und konnte gequält oder erschreckt werden.
Nach einigen Minuten hatte er ein Tempo erreicht, das ihm vernünftig erschien. Er galoppierte ruhig und gleichmäßig dahin. Und das gab ihm Zeit zu weiteren Überlegungen.
Was für eine Idee, einer Frau in die Wildnis hinaus zu folgen!
Man könnte ihn ja glatt für verrückt halten.
Aber gottlob wusste niemand, was der Grund für Toms Ausritt war.
Für jeden anderen Menschen auf dieser Erde war Tom Bramley nur ein Mann, der hier herumritt, vielleicht weil er die Landschaft genießen oder einfach nur mal etwas anderes sehen wollte. Und Tom würde bestimmt niemandem etwas anderes erzählen.
War er denn noch auf der richtigen Fährte? Yeah. Er sah die Abdrücke von Alices Buggy deutlich im Sand der Landstraße.
Er schaffte es, Suzy auf eine grasige Anhöhe hinaufzulenken, und von dort konnte er einen Blick in die Weite werfen. Es war schlichtweg entmutigend. Die Staubfahne, die Alice Hutton mit ihrem Buggy aufwirbelte, war Meilen von ihm entfernt. Er würde sie niemals einholen. Dazu fehlte ihm das nötige Können, mit einem Reittier umzugehen.
Ein Cowboy hätte es bestimmt geschafft. Er hätte sein Tier angetrieben, hätte geschrien, ihm womöglich die Sporen gegeben. In rasender Karriere wäre er die Landstraße entlanggejagt und hätte Alice Hutton in kürzester Zeit eingeholt, während er absolut sicher im Sattel gesessen hätte.
Nicht so Tom. Er konnte nur ihrer Staubfahne hinterhersehen.
Das war alles.
Wut und Enttäuschung stiegen in ihm auf.
Doch die Gefühle wurden gedämpft von dem Gedanken, was er hätte tun wollen, wenn er sie tatsächlich eingeholt hätte. Wäre es nicht sehr seltsam gewesen, wenn der Mann, dessen Laden Alice aufgesucht hätte, ihr in die Wildnis hinaus gefolgt wäre?
O yeah, da wäre er bestimmt in Erklärungsnot gekommen. Irgendwelches dummes Zeug hätte er liefern können, aber keine plausible Erklärung, warum er ihr gefolgt war … warum er sie – verwenden wir ruhig das Wort – verfolgt hatte.
Er beschloss, dass es besser war, sie ziehen zu lassen.
Für diesmal.
Und er nahm sich vor, besser reiten zu lernen.
Für das nächste Mal.
*
Tom sah Alice wieder, als er ihr eine Woche später das Kleid auf die Ranch brachte. Das Wiedersehen verlief anders, als er es sich vorgestellt hatte.
In zahllosen nächtlichen Stunden hatte er sich ausgemalt, was zwischen ihnen hätte sein können. In seinen Gedanken waren sie beide schon ganz vertraut miteinander, sogar intim. Doch die Realität war eine andere, und sie traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
Er hatte das in Packpapier eingeschlagene Kleid von der Pritsche des Wagens, den er gemietet hatte, genommen und war von einer mexikanischen Bediensteten in das Ranchhaus geleitet worden, wo er eine Zeit lang auf Alice hatte warten müssen. Als sie ihm schließlich entgegentrat, sank ihm für einen Moment das Herz in die Hose. Er merkte, dass sie geweint hatte. Es konnte kein Zweifel daran bestehen. Ihre Wangen waren aufgedunsen, die Augenränder gerötet.
Alice – am Boden zerstört?
Warum?
Und vor allem: Wer?
Tom fluchte in sich hinein.
Wer wagte es, die Frau seiner Träume in Bedrängnis zu bringen?
Wut kochte in Tom Bramley hoch.
Alice versuchte, ihn förmlich zu begrüßen. Sie wollte sich nichts anmerken lassen, das war zu spüren. Doch er vernahm deutlich das Zittern in ihrer Stimme.
»Guten Tag, Mister Bramley. Danke, dass Sie das Kleid gebracht haben. Ja, ich will es gleich anprobieren. Werden Sie danach noch Änderungen vornehmen müssen?«
Er witterte in ihre Richtung wie ein Raubtier. Versuchte, die Strömungen, Gedanken, Stimmungen aufzufangen, die sie aussandte. Er spürte instinktiv, dass etwas nicht in Ordnung war, doch er wusste nicht, was.
Er konnte es nicht wissen.
»Änderungen müssen in den meisten Fällen vorgenommen werden, Miss Hutton. Meist sind es kleinere Anpassungen. Aber das ist kein Problem. Ich sichere Ihnen rasche Erledigung zu. Sie werden das Kleid bis zum Wochenende in Händen halten.«
»Das ist fein. Dann kann ich es zum Ball der Viehzüchter-Vereinigung schon anziehen. – Oh! Die Farbe kommt noch schöner heraus, als ich es mir vorgestellt hatte. Wissen Sie, Mauve ist meine Lieblingsfarbe.«
Tom hatte das Packpapier sorgfältig geöffnet und das Kleid vorsichtig herausgenommen. Nun reichte er es Alice.
»Bitte warten Sie einen Moment«, sagte sie, dann verschwand sie.
Tom sah sich inzwischen um – das heißt, er versuchte es. Das Ranchhaus war mit einer gewissen Neigung zum Luxus eingerichtet, die erfolgreichen Ranchern zu eigen war. Doch Tom konnte das, was es zu sehen gab, nicht richtig in sich aufnehmen.
Er wusste, dass Alice im Raum nebenan war; dass sie nun ihr Kleid abstreifte. Dass sie in jenem anderen Zimmer in ihrer Unterwäsche dastand und das Kleid, das seine Hände geschaffen hatten, anlegte. In gewisser Weise berührten seine Hände zum ersten Mal ihren Körper. Die Stoffe, die er berührt hatte, berührten nun ihren Körper. Spürst du es nicht? Meine Hände auf deiner Haut! Sie spüren nun deine Wärme. Nehmen deinen Geruch auf. Yeah, es war, als würde Tom sie sanft liebkosen, sanft ihre Taille entlangfahren, dann ihre Hüfte umarmen, sie an sich drücken und ihr einen Kuss auf den …
In ihm regten sich all die Säfte und Kräfte, die einem Mann zu eigen waren, und Tom fluchte leise. »Teufel, ich bin eben auch nur ein ganz normaler Bursche, der will, was alle wollen!« Oder hatte Alices Vater nicht genau dasselbe für Alices Mutter empfunden? Oder Toms Vater für Toms Mutter? Überall waren Menschen zusammengekommen, Mann und Frau, und überall war es normal, dass dies geschah. Also war es auch ganz normal, was in Tom Bramley ablief.
Er glaubte einen Moment lang, bei dem Gedanken an ihren Körper verrückt zu werden. Doch dann ging die Tür auf und Alice trat mit ausgebreiteten Armen vor ihn.
»Mir scheint, es passt ganz gut«, verkündete sie. Sie versuchte zu lächeln, aber die gespielte gute Laune erreichte ihre Augen nicht. Tom bemerkte es natürlich.
»Das Kleid steht Ihnen vorzüglich, Miss Hutton«, krächzte er. Schnell räusperte er sich, weil er merkte, dass er irgendwie merkwürdig klang. Seine eigene Stimme klang wie die eines Fremden. Keinesfalls wollte er ihr wie ein liebeskranker Narr erscheinen, der zu hecheln begann, wenn seine Angebetete den Raum betrat. Teufel, nein! Er war ein Mann, und er würde all die Signale aussenden, die einen Mann ausmachten.
Ein Mann, der für diese Frau geeignet war!
Hörst du, Alice Hutton? Ein Mann, den du dir genauer ansehen solltest!
Es war Toms tiefster Wille und Vorsatz, genau dieser Mann zu sein.
Seltsam … irgendwie schwankte alles in ihm zwischen zwei Polen hin und her. Einerseits war er ihr hoffnungslos verfallen, um nur Sekunden später in halbe Raserei zu verfallen, weil er ihr beweisen wollte, wie sehr er es verdient hatte, in ihrer Nähe zu sein.
Einerseits fragte er sich, wann es zum ersten Kuss, zur ersten Umarmung, zum ersten Spüren ihrer nackten Haut kommen würde – andererseits regte sich in ihm eine Stimme, die ihm sagte, dass es niemals geschehen würde! Niemals! Niemals! echote es in ihm.
Tom fluchte in sich hinein, um jede kritische Stimme zum Verstummen zu bringen. Shut up! fauchte er sich selbst in Gedanken an. Dann konzentrierte er sich auf die schlanke Gestalt von Alice Hutton, auf ihre Taille, die seine Arme umfangen wollten … ihre Brüste, die er berühren, tasten und kneten wollte … ihre Lippen, die nur darauf warteten, einen Kuss von ihm zu empfangen … auf ihre Schenkel, die er mit seinen Fingerspitzen ganz sanft von unten nach oben streichen wollte.
»Das muss Audrey sehen«, vernahm er ihre Stimme.
Er merkte, dass er sie angestarrt hatte, und fuhr wie aus einem Traum verschämt hoch. Aber sie schien es nicht bemerkt zu haben. Sie missdeutete seinen Blick auf positive Weise.
»Audrey Buckley – eine Freundin«, erklärte sie. »Sie wird bestimmt auch ein Kleid bei Ihnen bestellen, Mister Bramley. Ich denke, davon können Sie jetzt schon ausgehen. Das mauvefarbene sieht so … so großartig aus. Ich bin begeistert.«
»Danke, Miss Hutton«, stammelte Tom. Und eine Zeit lang bemühte er sich, sich aufs Geschäftliche zu konzentrieren. Es fiel ihm schwer, doch irgendwie schaffte er es. Er markierte noch ein paar Stellen, wo er das Kleid nachnehmen musste, damit es besser saß, damit ihre Taille besser zur Geltung kam und der Schwung ihrer Hüften, damit ihre Brüste sich besser abzeichneten, damit all die Dinge besser aussahen, die eine Frau ausmachten, und die einen Mann verrückt machten.
Nach vielen Minuten angestrengter Arbeit merkte Tom, dass er einen ganz trockenen Mund bekommen hatte. Er hustete.
»Soll Guadalupe Ihnen ein etwas Wasser holen?«, fragte Alice.
Tom räusperte sich und nickte nur. Das Sprechen fiel ihm schwerer als gedacht.
Er sah, wie Alice dem Hausmädchen zunickte, da wurde ihm bewusst, dass er niemals mit Alice allein im Raum gewesen war. Die ganze Zeit war das mexikanische Hausmädchen anwesend gewesen – sie war stumm in der Ecke gestanden – und er hatte sie nicht bemerkt. Dies lag wohl daran, dass er nur Augen für Alice hatte, nur Augen für sie und sonst für niemanden auf der ganzen Welt.
Guadalupe verließ den Raum, und Tom wurde bewusst, dass er nun zum ersten Mal seit dem ersten Besuch in Mulborrow wirklich allein mit Alice war. Doch er verspürte keine Erleichterung, eventuell sogar noch eine Steigerung der Anspannung, die die ganze Zeit über in ihm geherrscht hatte. Er versuchte, die Situation mit Small Talk zu entschärfen.
»Sie gehen also zum Ball der Viehzüchter-Vereinigung?«, fragte er, wie er hoffte, leichthin.
Es war, als hätte er in ein Wespennest gestochen.
Ihre Stimmung schlug schneller um, als Tom vom Pferd fallen konnte, und völlig ohne Vorwarnung.
Sie war nun nur noch in der Lage zu nicken. Tom bemerkte, dass sie die Lippen fest aufeinanderpresste. Aber warum nur? fragte er sich. Sie hatte doch zuvor selbst damit angefangen … dass sie das Kleid bei dieser Gelegenheit tragen wollte. Vielleicht wäre es eine Chance für Tom, sich mit ihr zu verabreden. Vielleicht würde sie mit ihm Tanzen gehen. Tanzen. Mit ihm!
Aber der Gedanke wurde rasch begraben von ihrer Reaktion. Sie wandte sich von ihm ab, so ruckartig und heftig, dass er sie beinahe mit der Nadel, die er in seinen Fingern gehalten hatte, gekratzt hätte.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte er entsetzt. Entsetzt über ihre Reaktion. Entsetzt darüber, wie abweisend sie auf einmal geworden war, innerhalb eines Sekundenbruchteils.
»Es ist nicht Ihre Schuld«, sagte sie, und er spürte, obwohl er ihr Gesicht nicht sah, dass sie mit den Tränen kämpfte, denn ihre Stimme zitterte. Da erinnerte er sich wieder, dass sie bereits bei seiner Ankunft so ausgesehen hatte, als ob sie geweint hätte.
»Ich habe etwas Falsches gesagt«, stellte er fest.
»Nein, nein!«, entfuhr es ihr heftig. »Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Machen Sie weiter. Wir müssen fertig werden.«
So war das also. Launisch und schnippisch. Er würde die Arbeit fertigmachen und die Ranch verlassen müssen. Dann würde es also nichts mit einer gemeinsamen Tasse Tee oder einem Abendessen? Wie dumm! Doch Tom hatte nicht vor, aufzugeben. Und er wollte die Zeit, die er gemeinsam mit Alice verbrachte, ausnützen. Es waren schließlich weder Cowboys noch andere Verehrer noch sonst irgendwelche Männer in ihrer Nähe, nur er, er, er allein! Vielleicht konnte er die Grundlage für etwas legen, das über diese geschäftliche Transaktion hinausging; etwas, das sie auch außerhalb seines kleinen Geschäftes hin und wieder zusammenbringen würde.
Auch hier hatte er sich schon Gedanken gemacht. Er wusste nicht, ob dies ein guter Zeitpunkt war, aber zumindest war dies ein Zeitpunkt, wo er diese unsägliche Guadalupe nicht um sich hatte, wo er mit Alice allein, und er meinte wirklich allein, war. Die Stimme, die er dann hörte, klang nicht wie die seine. Sie war fremd und verzerrt und irgendwie rau, denn sein Mund war ja noch trocken von seinen vorherigen Gedanken.
»Ich … äh, ich dachte, der Ball wäre eine gute Idee, unsere Bekanntschaft zu vertiefen, Miss Hutton. Vielleicht würden Sie … äh, vielleicht wollten Sie … ich meine, vielleicht würden Sie mir die Ehre erweisen, dort mit mir zu tanzen.«
So, nun war es heraus. Tom wusste nicht, welcher Teufel ihn geritten, noch, woher er den Mut genommen hatte, und es kam ihm wie zusammenhangsloses Gestammel vor. Jedenfalls hatte er nach allen Regeln der Kunst Anstand und Sitte bewahrt. Nicht die geringste Ungebührlichkeit lag in seinem Ansinnen, seiner Anfrage, seiner … nun ja, Aufforderung.
Hoffnung keimte auf, als sie nicht gleich antwortete.
Ja, überlege dir die Antwort wohl, dachte er. Überlege dir, wie du mir …
Und dann – zu seinem ungläubigen Entsetzen – wandte sich Alice mit einem Schluchzen vollends von ihm ab und rannte zur Tür. Sie riss das Türblatt auf, wo gerade Guadalupe auftauchte, die mit einem Glas Wasser eintreten wollte. Alice und Guadalupe prallten schreiend zusammen, und das Wasser ergoss sich auf Guadalupes weiße Bluse. Ohne Entschuldigung, ohne Erwiderung, ohne Erklärung sprang Alice hinaus und war verschwunden, und zurück blieben Tom, der mit aufgerissenen Augen nicht glauben konnte, was er gerade gesehen hatte, und Guadalupe, die vor Schreck zu weinen begonnen hatte und das leere Wasserglas anstarrte.
Tom hatte keine Ahnung, was er getan hatte, was er falsch gemacht hatte, und – noch schlimmer – was er tun sollte. Er stand wie gelähmt und registrierte wie aus weiter Ferne, wie das Hausmädchen die Tür von außen schloss und ihn allein im Raum zurückließ.
Irgendwann war es Tom, als erwache er aus einem bösen Traum. Ein Ruck ging durch seine Gestalt, und er begann, seine Utensilien zusammenzupacken.
Zur Hölle mit diesen Verrückten! murmelte er lautlos vor sich hin. Er verstaute seine Nadeln, dann nahm er das Packpapier und faltete es zusammen. Er wartete noch ein oder zwei Minuten, dann beschloss er, zu gehen. Was war nur in diese Leute gefahren? Eine fremde Person durfte man doch nicht allein in seinem Haus sich selbst überlassen. Überall Verrückte.
Tom Bramley schüttelte den Kopf.
Gerade wollte er gehen, da flog die Tür wieder auf. Das mexikanische Mädchen erschien. Sie hatte sich abgetrocknet und die Bluse gewechselt, jedenfalls war sie völlig wiederhergestellt.
»Guadalupe …«, stammelte Tom, der nicht wusste, was er sagen sollte.
»Es tut mir sehr leid, Señor«, erwiderte sie, und Tom glaubte ihr anzusehen, dass sie den Tränen nahe war. »Sehr, sehr leid.«
»Dir braucht gar nichts leid zu tun«, sagte Tom. Es gelang ihm nicht, einen leichten Ton der Verärgerung aus seiner Stimme herauszuhalten. »Was ist mit Miss Hutton? Wieso ist sie einfach hier hinausgestürmt?«
»Sie sagt, ich soll Ihnen das Kleid geben. Sie sollen die Änderungen vornehmen und es ihr dann wieder vorbeibringen – zu einem anderen Zeitpunkt.«
»Ist sie … verrückt? Du weißt schon. Nicht ganz dicht im Kopf?« Er unterstrich seine Frage mit einer kreisenden Bewegung seines Zeigefingers an seiner Schläfe.
»Madre de dios! No, no, no, Señor, no!«, entfuhr es Guadalupe. »Miss Alice hat große Sorgen. Sehr große Sorgen.«
»Was weißt du darüber?«
»Ich weiß alles, aber ich darf nicht reden.«
»Unsinn. Ich bin ein Freund. Du kannst mir alles erzählen. Ich habe den Ball der Viehzüchter-Vereinigung erwähnt, danach war nichts mehr, wie es vorher war. Dabei hatte sie bei meinem Eintreffen gerade diesen Ball ebenfalls erwähnt.«
»Ihre Erwähnung hat Miss Alice womöglich daran erinnert, dass sie auf diesem Ball Maximiliano Salices treffen wird.«
Tom hörte den Namen seit seiner Ankunft in Mulborrow zum ersten Mal.
»Wer ist Maximiliano Salices? Zum Teufel, was ist das für ein Kerl, der ein anständiges Mädchen so zum Weinen bringt?«
»Miss Alice weint nicht wegen Señor Salices, sondern wegen ihres Vaters. Señor Salices ist ihr Verlobter, aber Miss Alice möchte ihn nicht heiraten. Es ist der Wunsch ihres Vaters, dass sie ein Ehepaar werden, aber Miss Alice möchte das nicht. Ihr Vater … will sie dazu zwingen.«
»Eine Zwangsehe? Pfui Teufel! Aber wieso? Wieso bloß?«
»Der Vater von Señor Salices ist sehr reich. Er besitzt eine gewaltige Hazienda jenseits der Grenze. Genauso reich wie Señor Hutton, nur in Mexico. Señor Hutton würde niemals zulassen, dass seine Tochter einen Mann heiratet, der nicht seinem Stand entspricht.«
»Ach du liebe Zeit! Deshalb ist Miss Alice so unglücklich.«
»Si, Señor.«
»Und weint.«
»Si, Señor.«
»Glaubst du, dass sie sich etwas antun wird?«
»Ich weiß es nicht, Señor. Ich weiß nur, dass sie Maximiliano Salices nicht heiraten möchte. Aber ihr Vater ist unerbittlich. Er besteht auf dieser Ehe.«
»Das kann er doch nicht machen. Dies ist Amerika!«
»Das scheint ihm ziemlich egal zu sein, Señor, und er ist mächtig genug, um damit durchzukommen.«
»So? Hm …«
Tom hatte wieder etwas, worüber er nachdenken musste. Konnte es das geben? Eine arrangierte Ehe … auch genannt Zwangsehe … im Amerika des 19. Jahrhunderts? Tom konnte es nicht fassen. Aber die Zeiten, in denen andere Menschen bestimmten, wen man zu heiraten hatte, lagen noch gar nicht so lange zurück. Noch im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts bestand Leibeigenschaft, und man musste sich für alle möglichen Dinge eine Genehmigung des Fürsten einholen, zum Beispiel wenn man umziehen oder jemand aus einem anderen Dorf heiraten wollte.
Für Tom Bramley als aufgeklärten Amerikaner war so etwas allerdings undenkbar.
»Ich verstehe diesen Mann nicht, Guadalupe«, sagte er. »Den Vater von Miss Alice. Wie kann er darauf bestehen?«
»Es hat mit Geld zu tun, Señor, nur mit Geld, Geld, Geld. Dollars und Pesos.«
»Und es ist ihm egal, wenn seine Tochter dadurch unglücklich wird?«
Guadalupe zuckte mit den Achseln. »Vermutlich. Ich weiß nicht, was der Ranchero denkt. Er meint vielleicht, dass sich diese schlimmen Gefühle legen würden. Er hat gesagt, Miss Alice würde lernen, ihren Mann mit der Zeit zu lieben, auch wenn sie ihn jetzt noch nicht liebe.«
»Und Miss Alice?«
»Sie hat geschrien, dass sie dieses Scheusal niemals lieben würde, niemals, niemals.«
»Scheusal? Hat sie wirklich Scheusal gesagt?«
»Si, wirklich, Señor.«
»Und … ist er eins? Ein Scheusal? Dieser Maximiliano Salices?«
»Ich weiß es nicht, Señor. Ich habe ihn nie gesehen.«
»War er denn niemals hier?«
»No, Señor. Niemals.«
»Haben sie sich denn jemals gesehen, Miss Alice und ihr … ihr … Verlobter?«
(Das Wort kam Tom nur widerwillig und schwer über die Lippen.)
»No, Señor.«
»Und dennoch möchte ihr Vater, dass sie ihn heiratet.«
»Si, Señor. Es geht das Gerücht, dass Señor Salices, der Bräutigam, 60 Jahre alt ist.«
Tom war entsetzt. Er glaubte, sich verhört zu haben.
»Wie alt, sagtest du?«, keuchte er.
»Sechzig, Señor.«
»Der Mann könnte der Großvater von Miss Alice sein!«, sagte Tom in gerechter Empörung.
»Nun, wir wissen es nicht genau, denn wir haben ihn ja niemals gesehen. Doch Señor Hutton kennt die Familie Salices. Er war schon einige Male bei ihnen zu Gast und hat auch Geschäfte gemacht. Zuletzt kam er von einer Reise zurück und verkündete, dass Miss Alice den Sohn des Don heiraten würde.«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.