Kitabı oku: «Eine gefährliche Unschuld», sayfa 2
Wie man sieht, fehlte Nichts mehr zu Luciens Schmerz. Nach allen vorausgegangenen Spöttereien verletzte sie nun zum Schluß noch der Hochmuth ihrer Freundin, der sich hinter dieses scheinbare Interesse für ihr Wohl versteckte.
Du bist zu freundlich, versetzte sie mit einer Demuth, die nichts Engelhaftes hatte. Der Oberst wird noch genug andere Feldzüge machen müssen, bis er General ist.
In der Art, wie sie das Wort betonte, lag eine versteckte Spitze.
Herr Hammel, fuhr Lucie fort, will Niemand als sich und seiner Arbeit irgend Etwas verdanken. Er ist ein stolzer, unabhängiger Charakter, und wir Beide werden uns durch seine Armuth geadelt fühlen.
O Gott, du bist auf einmal so blaß, – habe ich dir weh gethan?
Durchaus nicht, erwiderte Lucie, deren Lippen schon wieder das mildeste Lächeln umspielte. Ich bin deine Neckereien gewöhnt, du fängst ja nicht heute erst damit an. Wie hast du mich in den sechs Institutsjahren auf jede mögliche Weise gequält! Aber um dir zu zeigen, daß ich nichts nachtrage, will ich jetzt gehen, den Obersten aufzufordern, und du holst meinen Hammel zum vis-à-vis, aber nur unter der Bedingung, daß dein Herr Löwe mein Lämmchen nicht aufspeis’t.
Wahrhaftig, ich weiß gar nicht, warum du dich immer von Andern necken läßt; wenn du willst, kannst du es tüchtig zurückgeben, sagte Clara lachend; dann setzte sie hinzu:
Ein Advocat ist ja ein halber Poet. Hat er dir Gedichte gemacht, dein Zukünftiger?
Nein; arme Leute, wie wir, lieben sich in Prosa. Macht dein Held denn Verse auf dich?
Der Oberst bringt mir jeden Tag ein Bouquet.
Sieh, das ist bei uns gerade umgekehrt. Ich gebe Herrn Hammel jeden Tag eine Blume.
Was! Du bietest deinem Verlobten die Bouquets an!
Ja, siehst du, Liebste, die Hämmel weiden gerne, und ich füttere den meinigen mit Rosenblättern.
Während sie diese Worte mit scherzender Heiterkeit hinwarf, machte sich Lucie aus dem Arm ihrer Freundin los, diese aber wollte sie erst zu dem Obersten begleiten, um ihr denselben vorzustellen.
Als er Luciens Hand zum Contretanz ergriff, flüsterte diese noch rasch Clara ins Ohr:
Nimm dich in Acht, jetzt entführe ich dir deinen Obersten!
Clara zuckte die Schultern mit einem unaussprechlich hochmüthigen Lächeln.
Hast du gar keine Angst? drängte Lucie.
Darf eine Soldatenfrau Angst haben?
Und ist dies der einzige Grund?
Du weißt wohl, Spötterin, daß ich die andern aus Bescheidenheit nicht nennen darf. – Und Fräulein von Albingen verfügte sich zu Herrn Julius Hammel und lud ihn mit einer tiefen Verbeugung ein, sich mit ihr dem Obersten gegenüber zu stellen. Lucie von Beaulieu sah Clara mit einem unbeschreiblichen Lächeln nach, und ihre langen Wimpern verhüllten halb einen boshaften Blick, der diesem reinen Angesicht einen sonderbaren Ausdruck verlieh.
II.
Wovon ein Husaren-Oberst träumen kann
Der Oberst, welcher wußte, daß Lucie die beste Freundin seiner Braut war, übte eine allen Verliebten gemeinsame Praxis, indem er von Clara mit einem Enthusiasmus sprach, der keinen Widerspruch fand. Er bat um vertrauliche Mittheilungen über ihre Institutsfreundschaft, und Lucie antwortete mit ihrer entzückend klingenden Flötenstimme in schmeichelnden Ergüssen auf seine begierigen Fragen. Sie war unerschöpflich, und die Worte rieselten ihr wie die Perlen und Diamanten des Märchens vom Munde. Clara war ihre erste, liebste und einzige Freundin, mehr noch: eine Schwester, eine ganz gleichgestimmte Seele, In der Pause zwischen der Chaine des Dames und der Pastourelle wußte Fräulein von Beaulieu äußerst geschickt auf das brennende Herz des Obersten einzelne kleine, schüchterne, vertrauliche Erzählungen zu streuen, die sich wie Weihrauch duftend verzehrten und den Glücklichen in süße Wolken hüllten, so daß Arthur, einer natürlichen, ihm selbst ganz unbemerkbaren Neigung folgend, anfing, sich von Bewunderung für beide junge Mädchen verwirrt zu fühlen und sie im Cultus seines Herzens zu vereinigen, wie sie es durch die Freundschaft schon unter sich waren.
Der Oberst hatte eigentlich beabsichtigt, diesen Abend nicht zu tanzen, und sich schon im Voraus eine träumerische Haltung zurechtgelegt, die seinem gegenwärtigen Gemüthszustand entsprechen sollte. Aber Lucie von Beaulieu plauderte so zärtlich von seiner Geliebten und wußte mit so geschickter Naivetät die tausend kleinen Instituts-Tollheiten wie Vögelchen um ihn her flattern zu lassen, daß er sich an dem Geflüster höchlich ergötzte und sogar einmal in seinem Entzücken Luciens kleine Hand ergriff und sich erlaubte, sie zum Dank sanft zu drücken.
Nach der letzten Quadrille (sie tanzten zum vierten Male miteinander), als Arthur das junge Mädchen zu ihrer Mutter zurückführte, sagte er zu ihr:
Ich hoffe, Sie bald bei Albingens wiederzusehen, bis die Zeit gekommen ist, wo Frau von Corval ihre beste Freundin in ihr eigenes Haus einladen kann.
Ach, lieber Oberst, erwiderte Lucie mit dem liebenswürdigsten Klageton. Sie entführen mir Clara für immer. Durch ihr Vermögen, wie durch Rang und Namen ihres Gemahls wird sie künftig in Regionen gehoben, wo wir uns nicht mehr begegnen werden.
Was sagen Sie, mein Fräulein!
Ich sage, daß ich Ihnen gerne verzeihe, Herr Graf, denn Sie werden sie glücklich machen, und Clara verdient alles Glück. – Und während Fräulein von Beaulieu dies sagte, rollten zwei helle Thränen unter ihren Wimpern vor, welche aufzufangen der Oberst plötzlich eine unsinnige Versuchung in sich fühlte. Aber sie glitten langsam, wie zwei abgelös’te Perlen, über den Sammet ihrer Wangen herab. Die Freundschaft verklärte diese jungfräulichen Züge mit einem so leuchtenden Glanze, daß seine Strahlen Arthur innerlich vollständig verwirrten. So nah war unserm handfesten Schwärmer das Ideal noch nie erschienen. Er war wie geblendet, und seine Stimme zitierte noch unter einem Druck in der Kehle, als er einige Minuten später sich von der Familie Albingen verabschiedete. Clara war von einer Ahnung ergriffen und schien nachdenkend.
Was erzählte Ihnen denn Lucie? fragte sie.
Von ihrer Freundschaft für Sie!
Die Neugierige erröthete und forschte mit etwas zweifelhafter Miene, die ihr ungeschickt ließ, weiter:
Und diese Erzählung dauerte den ganzen Abend?
Kann man jemals müde werden, von Ihnen zu sprechen? erwiderte der Oberst fast zu galant.
Das Mädchen antwortete nicht, aber Herr von Corval fühlte den versteckten Verdacht und sprach weiter:
Ich habe im Colleg auch Freunde gehabt und weiß, was ein Händedruck werth ist, aber nie hätte ich eine so innige und vollkommene Jugendfreundschaft für möglich gehalten. In was für zarten Ausdrücken sprach sie mir von ihrer schönen Freundin! Clara, ich liebte Sie bis heute mit aller Glut eines loyalen Edelmanns, aber ich fühle, daß die Erzählungen dieses Engels mir seine ganze Zärtlichkeit für Sie noch dazu mitgetheilt haben!
Eine Glorie des Triumphs erschien auf Clara’s Stirn, sie streckte dem Obersten die Hand hin, aber doch nicht, ohne sich im Stillen zu sagen, daß, um sie so zu lieben, es mindestens überflüssig wäre, gleichzeitig Lucie als Engel zu verehren.
Sie wird sich auch verheirathen, sagte sie, etwas herausfordernd.
Desto bester, erwiderte unbefangen der Oberst, es wäre Schade, mit solchen Augen und einem so guten Herzen eine alte Jungfer zu werden.
Sie finden sie also schön?
Diese Frage war eine zu offen gestellte Falle.
Der Oberst machte einen tapferen Schritt darüber.
Sie allein, Fräulein Lucie, dürfen von Ihrer Schönheit ohne Eifersucht reden, denn auch in dieser Beziehung sind Sie Schwestern.
Arme Lucie! Wie schade, daß sie sich aus den Officieren nichts macht!
Dieses Mitleiden verdeckte eine Lüge. Man hätte auch im Nothfall zwei darin finden können, den vorausgesetzten Vorwand dazu und die etwas heuchlerische Betonung, womit es ausgesprochen wurde.
Der Oberst erkundigte sich, welchem Berufe Fräulein von Beaulieu’s Bräutigam angehöre.
Ach, er ist ein kleiner Advocat und heißt Hammel! erwiderte Clara, indem sie die Lippen zusammenzog.
Es scheint, Sie bemitleiden Ihre Freundin?
Sagen Sie selbst, Oberst, klingt es nicht lächerlich, Madame Hammel zu heißen?
Warum? sprach die Krone der Husaren-Obersten, indem er seinem Schnurrbart noch eine Spiraldrehung gab. Würden Sie mich denn ausgeschlagen haben, wenn ich so geheißen hätte?
Clara erröthete, der Verdruß hatte sie ungeschickt gemacht. Sie sagte ihrem Verlobten gute Nacht und ging in sehr unzufriedener Stimmung gegen Lucie, den Obersten und vor allen Dingen gegen sich selbst auf ihr Zimmer.
Arthur dagegen, der sich nicht träumen ließ, was für kleine Nattern im Herzen seiner Verlobten zischten, nannte sie im Stillen ungerecht und verglich die sanfte Clara womit Lucie von Clara geredet hatte, mit der von dieser soeben gezeigten Schärfe.
Auf dem Heimwege glaubte der Oberst, ernsthaft und ehrlich nur an seine Geliebte zu denken, aber sein Herz sah doppelt und beschwor zugleich mit dem blonden Haupt ein schwarzes herauf. In einer geflissentlichen Selbsttäuschung wiederholte er sich Alles, was Lucie über ihre Freundin gesagt hatte, aber vielleicht war unser wehrloser Krieger mehr von dem Ausdruck ihrer sanften Reden, als von dem Inhalt bezaubert worden. Er rauchte vor dem Schlafengehen noch mehrere Cigarren und hing dabei seinen Träumen nach. Aber immer und immer wieder tauchten aus den blauen Rauchwolken, die das Zimmer erfüllten, zwei reizende Erscheinungen auf, die sich umschlungen hielten und ihm lächelnd zunickten.
Nach langen Anstrengungen schlief er endlich ein und träumte, er stände mit zwei Bräuten, die eine zur Rechten, die andere zur Linken, vor dem Altar. Dies setzte ihn in große Verlegenheit, da die französischen Husaren doch noch nicht gewohnt sind, die Polygamie bis zu diesem Grade zu treiben. Aber der Geistliche sah die Sache offenbar viel unbefangener an, als der gewissenhafte Oberst, denn er ertheilte seinen Segen ohne alles Zaudern, so daß Graf Arthur Sigismund von Corval sich auf die legitimste Weise in Bigamie versetzt sah. Der Gedanke daran, und wie ihm ein solcher Skandal möglicherweise im Avancement schaden könne, ließ seinen Kopf auf dem Kissen nicht zur Ruhe kommen.
Diese Nacht sollte übrigens Niemand eines friedlichen Schlummers genießen. Wir können von Asmodi’s Recht Gebrauch machen und so ungehindert in die Schlafzimmer der beiden jungen Mädchen gelangen, nur müssen wir uns hüten, kein Fältchen der Vorhänge zu berühren, welche die Träume unserer Heldinnen beschatten, noch auch allzu genau mit Psyche’s neugieriger Lampe hinzuleuchten.
Clara lag im Fieber. Die Seelenschmerzen erreichten bei ihr niemals jene Größe, wo die Sammlung und das Gebet hinzutreten, um die Bürde zu erleichtern. Ihr naive, aber durchaus irdische Natur litt unter dem Verdacht, der ihr gekommen war, wie unter einem physischen Schmerz. An Luciens Koketterie glaubte sie nicht, sie haderte nur mit dem Obersten und fühlte sich in ihrer Alleinherrschaft gekränkt durch die Theilung seiner Bewunderung, die ihm so leicht geworden war. Gerecht und ehrlich, wie sie war, dankte sie es der Freundin, trotz ihres Verdrusses, daß diese ihr hatte Gerechtigkeit widerfahren lassen, aber sie entsetzte sich vor dem Gedanken, einen Advocaten zu haben, der auf so seltsame Weise seine Sache gewann.
Das arme Kind benetzte seine aufgelös’ten Flechten mit Thränen, biß in die Spitzen des Kopfkissens und wälzte sich in seinem Schwanennestchen herum. Manchmal sprang sie heraus und starrte mit an die Fensterscheiben gelehnter Stirn in die Dunkelheit hinaus, wie es so viele leidende Menschen unwillkürlich thun, weil sie die unbestimmte Vorstellung haben, der unbekannte Tröster könne in der Nacht draußen verborgen sein.
Endlich, gegen drei Uhr Morgens, schloß die Ermüdung gewaltsam Clara’s Augenlider. Sie hatte auch bereits überlegt, daß die Schlaflosigkeit ein schlechtes Mittel sei, die verlornen Vortheile wiederzugewinnen, und daß es vor allen Dingen noth thue, frisch und schön zu bleiben, da sie keinen Blinden heirathen sollte.
Lucie hielt ebenfalls ihre Nachtwache, aber wie stürmisch diese auch sein mochte, so litt doch die Harmonie ihres Wesen, die sich bis zu ihren kleinsten Handlungen herab geltend machte, nicht darunter. In ihrem Zimmer angelangt, ließ sie sich tief aufseufzend in einen uralten gestickten Großvaterstuhl sinken und begann nun im Geist die verschiedenen Vorfälle des Abends nochmals durchzugehen. Der Gazeschleier umhüllte noch ihre Schultern, sie hatte keine Hand an die Balltoilette gelegt, so ausschließlich war sie von ihren Gedanken in Anspruch genommen; aber die inneren Wunden entlockten ihr keinen Laut, keine heftige Bewegung, höchstens funkelte es dann und wann in ihren Augen, die jetzt, wo sich kein Bewunderer in der Nähe fand, ungescheut groß geöffnet waren.
Warum bin ich nicht reich? warum ist Julius nicht adelig? murmelte ganz leise dieser für die Nichtigkeiten der Erde so unempfängliche Engel. Aber die Vernunft verwarf sogleich den neidischen Gedanken, und Lucie sagte mit einem frischem natürlichen Lachen vor sich hin:
Als ob ich nicht eben so gut wäre, wie diese armselige Clara! Und Julius nicht hundertmal schöner und edler, als dieser Tropf von Oberst, den ich um keinen Preis möchte, der im Grunde nur in sich selbst verliebt ist und in Clara von Albingen nur seinen eigenen guten Geschmack und den Gegenstand seiner Wahl anbetet. Die Heirath ist für diesen Husaren- wie das Avancement, nichts als eine Gelegenheit, sich noch einen Putz- einen Federbusch, einen Flitterkram mehr anzustecken. Ach, mich hält sie für neidisch, die ich weit mehr echte und tiefe Liebe in mir hege, als sie selbst besitzt! Mit welch spöttischem Tone sie die Nachricht von meiner Verlobung begrüßte! Daran erkenne ich wieder die Tyrannin meiner Institutsjahre. O, wenn ich mich endlich einmal tüchtig an ihr rächen könnte für all die Schmerzen, die ich in diesen tödtlichen sechs Jahren verwinden mußte! Wenn ich ihr Furcht einflößen könnte, der theuren Freundin, die so vertrauensvoll und hochmüthig ist! Nein, ich bin es müde, diese Rolle weiter zu spielen. Ich will nicht mehr Aschenbrödel sein, mein Fuß ist klein genug für den Pantoffel, und ich darf nur wollen, so wird sich auch ein Prinz finden, der sich glücklich schätzt, ihn mir anzubieten. Mein armer Liebster, wie haben sie dich in jenem Haus aufgenommen! O, sie spotten gewiß über mich, weil ich Madame Hammel heißen werde! Nun denn, mein heißgeliebter Julius, ich will sie im Voraus auf dein Glück und deinen lächerlichen Namen eifersüchtig machen, dieser hochmüthige Oberst soll noch den kleinen Advocaten ohne Praxis beneiden und sich auf allen Vieren um das Leitseil meines Lämmchens bemühen. Du botest mir deine Protection an, Clara! Aber du sollst mich noch um die meinige bitten, ich will dich Hochmüthige zwingen, demüthig zu werden, und wenn mich nicht Alles täuschte heut Abend . . . nun, wir werden ja sehen. Dein Oberst ist von Zunder, nimm dich vor den Funken in Acht!
Den Rest des Monologs führte Lucie nur in Gedanken weiter; nicht einmal dem Echo ihres Zimmers wagte sie ihre seinen Berechnungen und schlimmen Vorsätze anzuvertrauen. Sie hatte sich halb im Sessel zurückgewandt und ihre auf die hundertjährige Stickerei gerichteten Augen schienen das alterthümliche Möbel, den Zeugen eines Jahrhunderts der Koketterie, um Rath und Eingebung zu bitten.
Sicherlich würde Niemand geahnt haben, was für heftige Stürme der leichte Gazeschleier zudeckte, wie befremdliche Bilder sich diese unschuldige Jungfrau in ihrer Entrüstung vorzustellen suchte. Aber ihre Reinheit glich nicht der festen Puppenhülle, die nur vom ersten warmen Frühlingshauch gesprengt wird: man hätte sie eher mit einer Art von durchscheinendem Email vergleichen können, dessen leichter Schmelz bedeckt, ohne zu drücken, und das Hindurchsehen sehr wohl gestattet. Der kleinste Riß konnte all den Glanz in Staub verwandeln, aber Luciens fester Wille wußte ihn mit diplomatischer Kunst vor jeder Berührung zu hüten. Die Willenskraft ist so wenig das ausschließliche Vorrecht der starken und äußerlich machtvollen Naturen, als die Schwermuth das Erbtheil der schwachen und schmachtenden. Albrecht Dürer hat, indem er seiner »Melancholie« starke Glieder und volle Wangen gab, diese Wahrheit zu Ehren gebracht, nachdem sie durch den Magerkeits-Cultus etwas in Mißcredit gerathen war. Lucie nun besaß viel Energie, verheimlichte sie aber sorgsam vor aller Welt. Was sie einmal entschieden wollte, das stand ihr dann auch unumstößlich fest, und so betrachtete sie heute Abend bereits die beschlossene Rache für die Instituts-Qualen und die ihrem Herzen neuerdings mit hochmüthiger Freundlichkeit versetzten Stiche als vollendete Thatsache und genoß innerlich im Voraus ihre Süßigkeit. Uebrigens war diese Rache in ihren Augen nur eine französische Vendetta ohne Blutvergießen, ein kleiner Mord mit der Stecknadel, der keine tödtlichen Folgen hat. Der Betroffene genes’t wieder, aber die Verletzung war hinlänglich schmerzhaft, um der Eitelkeit des Thäters eine süße Genugthuung zu gewähren. Ihre Liebe selbst feuerte sie dazu an. Konnte sie das reine Gefühl ihres Herzens schöner verherrlichen, als wenn ihr der Beweis gelang, sie habe den kleinen Advocaten mit dem komischen Namen frei gewählt und den Obersten verschmäht? Sie sagte sich noch mehr. Warum sollte sie vor Eingehung der Ehe nicht einmal die Kraft prüfen, deren sie bedurfte, um ihren Mann zu unterstützen, zu ermuthigen, vielleicht auch zu beherrschen? Sie liebte Julius so innig, als ein Menschenherz zu lieben vermag, und hatte ihn, arm und unbekannt, wie er war, gewählt, weil sie Muth und Talent in ihm erkannte. Aber sie verhehlte sich nicht, daß es Noth thun würde, statt des Vermögens und Familieneinflusses, die sie ihm nicht zubringen konnte, einen sicheren, festen Willen als Reserve und allmächtiges Hülfsmittel zu seiner Stärkung und Begeisterung in sich aufrecht zu erhalten.
Und welche bessere Gelegenheit, ihre Kraft in dieser Hinsicht zu erproben, hätte sie finden können, als die Möglichkeit, der stolz dahin gleitenden Barke, auf welcher die Liebe der hochmüthigen Clara thronte, einen Stoß zu geben, daß sie ein wenig ins Schwanken gerieth? Wenn der Versuch gelang, würde sie daraus eine heitere Zuversicht für ihr ferneres Leben gewinnen; mißlang er aber, so wußte Niemand als sie selbst um ihre Niederlage und diese sollte ihr dann gegen die Einflüsterungen und Schmeicheleien ihres Spiegels als Gegengewicht dienen.
Lucie legte sich also ihren Plan mit aller Sicherheit eines reinen Herzens zurecht. Sie blieb regungslos in dem alten Lehnstuhl sitzen und lauschte der Koboldstimme, die aus dem verblichenen Rococomuster heraus kicherte und von verführerischen Blicken sprach, von bezauberndem Lächeln und von all der glänzenden, stummen Artillerie, die schon lange vor dem Schießpulver erfunden war.
Lucie! schien ein kleiner, etwas fadenscheiniger Schäfer, der einer seidengestickten Schäferin auf dem Rückenkissen ein altmodisches Band überreichte, ihr ins Ohr zu flüstern: Lucie, zeige deine schönen, weißen Zähne, laß deine Purpurlippen bewundern und blicke frei aus den großen Augen. Warum ziehst du deine schwarzen Scheitel bis an die Augenbrauen herab? Sie decken dir ja die Schleifen völlig zu! Laß doch deinen Geist und deine Munterkeit aus dem Taubenschlag herausflattern, statt daß sie drinnen ganz unbemerkt ihre tollen Sprünge machen. Du kannst es ja mit den Schönsten und Stolzesten aufnehmen. Wage es nur, der Welt den Glanz deines schönen Frühlings zu zeigen!
Aber Lucie fühlte ein inneres Widerstreben gegen solche Rathschläge, die sie auf ein neues Gebiet locken wollten. Ihre eigene Herzensstimme sagte ihr dagegen, der Triumph sei sicherer und gefahrloser, wenn sie Dieselbe bleibe, die sie war. Bis hierher hatte sie alle ihre Erfolge den umschleierten Augen mit lang herabfallenden Wimpern, der reinen Unschuld ihrer Stirn verdankt, und dies engelhafte System bewegte die Phantasie manch eines Mannes lebhaft genug, während es ihr andrerseits den Vortheil bot, daß niemals eine Freundin Ursache zu haben glaubte, auf dies einfache Wesen eifersüchtig zu werden. In den sanften Schlingen ihres Lächelns hatte sie eine Beute gefangen, auf die ihre Seele stolz war: Julius Hammel’s Liebe, und für sich, ihr Glück und ihre Zukunft war das vollständig genug. Aber konnte sie nicht, abgesehen von den eigenen Herzensinteressen, auf Andere einen Zauber ausüben, welchen in Abrede zu stellen es immer noch Zeit war, wenn Klagen darüber entstanden, und mittelst dessen sie sich rächen konnte?
Die Erwägung war langwierig, nicht in Hinsicht des Zweckes, sondern der Mittel, und während sie sinnend vor sich hinblickte, tauchte auf ihren Lippen allmählich ein reizendes boshaftes Lächeln auf. Sie sah sich im Voraus in aller der Schönheit, welche ihr die Welt künftig zugestehen sollte. Als der Plan festgestellt war, ging Lucie daran, sich auszukleiden. Vorsichtig, um kein Fältchen zu zerdrücken, entledigte sie sich ihres Ballkleides, ruhig wie eine Priesterin, welche die heiligen Binden berührt. Aber ein paar Blicke sehr erfahrner Koketterie wurden dabei doch in den Spiegel geworfen, und ehe sie die Haare zur Nacht aufwickelte, griff sie mit beiden Händen hinein und ließ sie auf Stirn und Wangen alle möglichen reizenden Linien und Wellenkreise beschreiben.