Kitabı oku: «Die reformierte Liturgik August Ebrards (1818-1888)», sayfa 3

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3. »Vorlesungen über Praktische Theologie« (1854)

Ebrard veröffentlichte seine praktisch-theologischen Vorlesungen als er bereits Konsistorialrat der unierten Kirche der Pfalz geworden war. Wie er selbst im Vorwort erklärt, werden in diesem Band die Vorlesungen, die er 1852 in Erlangen gehalten hatte, »fast wörtlich« wiedergegeben.141 Die Praktische Theologie bildete offenbar einen der Schwerpunkte von Ebrards akademischer Tätigkeit in Erlangen, hielt er doch zwischen 1849 und 1852 drei Vorlesungsreihen zur gesamten Praktischen Theologie, eine zur Homiletik und eine zur »Einleitung in die Praktische Theologie«.142

Die Vorlesungen sind in 215 fortlaufend nummerierte Paragraphen gegliedert, die wiederum in zwei Hauptteilen gruppiert sind. Im ersten Hauptteil werden die Natur und der Gegenstand Praktischer Theologie reflektiert, während im zweiten die einzelnen Teildisziplinen Katechetik, Halieutik, »Cultuswissenschaft« und Poimenik behandelt werden.

»Praktische Theologie« ist Ebrard zufolge ein zweideutiger Begriff. Diese könnte nämlich zunächst in Abgrenzung von der »wissenschaftlichen Theologie«, die im reinen theologischen Wissen und Erkennen ihren Zweck hat,143 bestimmt werden. Praktische Theologie wäre in diesem Sinne keine Wissenschaft, sondern eine »theologische Kunst«, in der die durch die wissenschaftliche Tätigkeit erworbene Erkenntnis praktisch wird bzw. »eine praktische Anwendung erleidet«.144 Andererseits – und dies sei die Bedeutung, die dem Terminus »Praktische Theologie« gewöhnlich zugeschrieben werde – kann Praktische Theologie als »Theorie |34| der theologischen Kunst« definiert werden.145 In diesem Sinne untersuche die Praktische Theologie als theologische Disziplin die Kriterien und die Modi der Anwendung der in den anderen theologischen Disziplinen (Exegese, Dogmatik, Kirchengeschichte) erworbenen Erkenntnisse: Sie bildet als Lehre der applicatio gleichsam das Pendant zu den anderen, auf den Erwerb der doctrina zielenden Disziplinen.146

Ebrard betont, dass die Praktische Theologie nicht als autonome Disziplin betrachtet werden darf, denn die Prinzipien der Anwendung, um die es in ihr geht, werden im Rahmen einer anderen Disziplin festgesetzt, nämlich der christlichen Ethik.147 Diese und nur diese zeigt nämlich, wie die durch alle anderen Disziplinen gewonnenen theologischen Erkenntnisse »sich zum Leben gestalten«, und muss deshalb als die eigentliche »Krone, die fruchttragende Blüthe, welche von den übrigen Disziplinen ihren Saft, ihre Nahrung empfängt«, anerkannt werden.148 Praktische Theologie als Lehre der applicatio ist für Ebrard also eine Funktion der »Krone« aller theologischen Disziplinen – der christlichen Ethik.

Während aber die Ethik sich mit der Heilsaneignung – d. h. mit der Heiligung bzw. mit der Herausbildung einer »christlichen Persönlichkeit«149 – in jedem Bereich menschlichen Lebens befasst, gilt die praktisch-theologische Reflexion ausschließlich der »kirchlichen Tätigkeit«, die ihren Zweck darin hat, »die Mittel darzureichen, durch welche es möglich wird, zum Heil zu gelangen«.150 Praktische Theologie ist für Ebrard also gleichsam eine Form von angewandter Ethik, die das kirchliche Handeln als ihren Geltungsbereich hat. Oder anders formuliert: Praktische Theologie ist Ebrard zufolge die Lehre der Anwendung theologischer Erkenntnisse in einem kirchlichen Kontext, wobei das Handeln der Kirche immer auf die Ermöglichung des Heils zielt.

Daraus folgt, dass die innere Artikulation des Fachs Praktische Theologie bei Ebrard derjenigen des kirchlichen Handelns entsprechen muss. Letztere wird zunächst in eine »metanoetische« und eine »metamorphotische« Tätigkeit eingeteilt.151 Die Kirche handle metanoetisch, wenn sie die Umkehr (metanoia) des Menschen, »das bewußte Ergreifen des durch Christi Tod und Auferstehung erworbenen Rechtes an die Gnade« zum Ziel habe. Nachdem die Bekehrung stattgefunden habe, müsse die Kirche aber auch das »Wachsthum des neuen Menschen« fördern. Gerade in einer solchen Förderung bestehe die »metamorphotische Tätigkeit« der Kirche, die »in Betreff der Wiedergeborenen« dafür zu sorgen |35| habe, dass der Glaube erhalten bleibe und die Heiligung immer weiter fortschreite, damit der neue Mensch – im Sinne von Gal 4,19 – immer mehr Gestalt (morphe) gewinne.152 Sowohl die metanoetische als auch die metamorphotische Tätigkeit zerfallen aber weiter in je zwei Unterkategorien. Je nachdem, ob sich die metanoetische Tätigkeit der Kirche auf Kinder oder auf Erwachsene richte, nehme sie die Form der Katechese oder der Mission an.153 Die metamorphotische Tätigkeit könne sich ihrerseits entweder auf den Menschen als Glied der christlichen Gemeinde oder auf den Menschen als »einzelne Persönlichkeit« richten: Im ersten Falle ist sie »Cultus«, im zweiten Seelsorge.154 Die theoretische Reflexion auf diese vier verschiedenen kirchlichen Tätigkeiten geschieht im Rahmen von vier praktisch-theologischen Teildisziplinen, nämlich der Katechetik, der Halieutik (oder Missionswissenschaft), der »Cultuswissenschaft« und der Poimenik (oder Pastoraltheologie).155

Die »Cultuswissenschaft« umfasst bei Ebrard sowohl die Liturgik als auch die Homiletik. Ebrard betont, dass die Predigt »ja nicht als ein dem Cultus fremdes, neben ihm hergehendes« betrachtet werden darf, sondern vielmehr als »ein integrirender Theil, ja […] als die Hauptsache im Gottesdienst« anzusehen ist.156 In gewisser Hinsicht sei die Liturgik sogar der Homiletik übergeordnet, denn Erstere habe den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilen des Gottesdienstes, dem »sacramentlichen« und dem »predigenden« zu untersuchen: Während die Homiletik die Theorie eines Teils des Gottesdienstes darstelle, sei die Liturgik Theorie des gesamten »Cultus als solchen«.157 Gleichzeitig scheine die Liturgik im Gegensatz zur Homiletik mehr eine historische als eine praktische Disziplin zu sein. Man beschäftige sich nämlich mit ihr »nicht sowohl, um eine Tüchtigkeit oder Fertigkeit sich zu erwerben, […] sondern um die geschichtlich und objektiv gegebene Cultusordnung in ihrer inneren Bedeutung und Zweckmäßigkeit zu verstehen«.158 Dieses so erworbene historische Wissen könne dennoch praktisch relevant werden, wenn der Prediger dazu berufen werde, »auf Synoden oder sonstwie über einzuführende Veränderungen und Modificationen mitzureden«.159

Bei einer allgemeinen Übereinstimmung in der Argumentationsstruktur zeigen sich in den Vorlesungen gegenüber Ebrards früheren liturgiewissenschaftlichen Schriften leichte wie auch gewichtigere Modifikationen, auf die es im nächsten Kapitel einzugehen gilt. Ein Novum, das allerdings Ebrards »Cultustheorie« als |36| solche nicht betrifft, stellt darüber hinaus der ausführliche Exkurs zur Geschichte des Gottesdienstes von der apostolischen Zeit bis zur Reformation dar,160 der auch der einzige Teil der Vorlesungen ist, den Ebrard im Blick auf die Drucklegung »wesentlich bereichert« hatte.161

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3 Ebrards Liturgik
1. Das Wesen des Gottesdienstes

Den »Cultus« definiert Ebrard im Versuch einer Liturgik zunächst allgemein als »ein[en] Teil des kirchlichen Zusammenlebens«. Sein Wesen sei deshalb vom Wesen der Kirche abzuleiten.162 Die Kirche sei nun aber ein »teleologisches Institut«.163 Sie existiere nicht um ihrer selbst willen, sondern sie diene einem höheren Zweck (telos), nämlich der Ermöglichung des Glaubens an Christus. Die Kirche könne als solche freilich die Entstehung des Glaubens nicht bewirken, sondern nur die Bedingungen dafür schaffen.164 Durch die Predigt des Wortes mache sie die Menschen mit den Heilsereignissen vertraut und bereite somit das Zustandekommen des Glaubenslebens vor, dessen Wirkursache allerdings nur die durch den Heiligen Geist bewirkte Gemeinschaft mit dem Erlöser darstelle: »Das Wort Gottes ist der Same; die Kirche streut ihn aus. Ob er aufgeht, hängt theils von dem Sonnenschein und dem Gnadenregen des h[eiligen] Geistes, theils von der Beschaffenheit des Ackers ab.«165

Die Definition des Zwecks kirchlichen Handelns als »Ermöglichung des Glaubens« darf aber Ebrard zufolge nicht zum Schluss verleiten, die Kirche stehe ausschließlich im Dienste der äußeren Mission. Denn, obwohl sich die auf den Namen des dreieinigen Gottes getauften Bekenner Jesu Christi bereits in Gemeinschaft mit dem Erlöser befinden, bedürfen sie immer noch der Förderung und der Heiligung.166 Kirchliches Handeln zerfalle somit in ein den Außenstehenden geltendes ministerium externum und ein sich auf die Glieder der Kirche richtendes ministerium internum. Ersterem ordnet Ebrard die Katechese und die Mission, Letzterem die spezielle Seelsorge und der »Cultus« zu.167

Da der Gottesdienst als Teil kirchlichen Handelns teleologischen Charakter hat, ergebe sich sein Wesen – wie bereits erwähnt – aus seiner Aufgabe, die darin bestehe, »die heil[ige] Schrift, als die Kunde von der historischen Erlösungsthat, den Gliedern der Kirche fort und fort darzureichen, und so den vom heil[igen] Geist zu wirkenden inwendigen Herzensglauben möglich zu machen und zu veranlassen, |38| oder wo er schon besteht, durch stets neue Darreichung der h[eiligen] Schrift zu fördern.«168

Vergleicht man Ebrards Versuch einer Liturgik mit seinen beiden späteren Schriften, so lassen sich bei einer Übereinstimmung im Grundsatz doch einige Veränderungen hinsichtlich der Definition des »Cultus« feststellen.

Während der Gottesdienst im Versuch als rein teleologisch betrachtet wurde, räumt Ebrard im Kirchenbuch ein, dass er auch eine »darlegende Seite« habe.169 Beide Seiten bedingten ferner einander, denn die Kirche könnte ihre teleologische Tätigkeit nicht ausüben, wenn in ihr keine »fördernde Kraft« vorhanden wäre. Eine Förderung der Glieder der Kirche im Gottesdienst sei nur insofern möglich, als die Kirche – wie Ebrard sich in den Vorlesungen ausdrückt – »das, was sie diesen [den Unbekehrten und Ungeförderten] möglich machen will, selbst auch schon besitzt«.170 Das in ihr »vorhandene Maß an christlichem Leben« ist also zugleich Triebfeder ihres teleologischen Handelns und Gegenstand einer anderen Tätigkeit, die Ebrard nun als »darlegend« bzw. »darstellend« definiert.171 Auf keinen Fall dürfe sich aber das darstellende Element vom teleologischen emanzipieren und zum Selbstzweck werden. Dies bedeutet für Ebrard, dass keine symbolischen Handlungen und keine liturgischen Elemente einen Platz im evangelischen Gottesdienst haben sollten, die nicht im Dienste der Glaubensstärkung und Heiligung stehen.172 Obwohl das Darstellende mit dem Teleologischen unlöslich verbunden ist, bleibt Letzteres Ersterem übergeordnet.

Dies wird bestätigt von einer weiteren, in den Vorlesungen begegnenden terminologischen Veränderung. Ebrard hatte im Versuch zwischen »ministerium internum« und »ministerium externum« unterschieden und den Gottesdienst dem »internen Dienst« der Kirche zugeordnet. In den Vorlesungen gibt er diese räumliche Metaphorik zugunsten einer eher theologisch konnotierten Terminologie auf. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Erlösung eine subjektive, die Gesinnung betreffende Seite – die Bekehrung – und einen objektiven, das Sein verändernden |39| Aspekt – die Wiedergeburt – umfasse,173 lässt Ebrard beidem zwei Arten von kirchlicher Tätigkeit entsprechen. Die Kirche könne nämlich einerseits auf die Bekehrung des Menschen, andererseits auf die Erhaltung der durch die Bekehrung gewonnenen »gläubigen Gesinnung« und auf die Förderung der Heiligung hinarbeiten, und somit entweder »metanoetisch« oder »metamorphotisch« handeln.174 Als metanoetische Tätigkeiten werden nun diejeinigen definiert, die im Versuch dem »ministerium externum« entsprachen (Katechetik und Mission); Seelsorge und Gottesdienst, die zuvor dem »ministerium internum« zugeordnet worden waren, stellen hingegen metamorphotische Tätigkeiten dar.175 Beim »Cultus einer christlichen Gemeinde« handelt es sich also darum – so Ebrard –, »Glieder der Communionsgemeinde auf Grund des durch Taufe, Wort, Confirmation und Abendmahl in sie gepflanzten neuen Lebens zu erbauen, auf daß der neue Mensch wachse und erstarke und Christus eine Gestalt in ihnen gewinne«.176 Dem Gottesdienst wird somit auch in den Vorlesungen eine dezidiert transformative Funktion zugewiesen, was wiederum die Priorität des teleologischen Elements gegenüber dem darstellenden bestätigt. Gerade dieses Insistieren auf der transformativen Wirkung des Gottesdienstes auf die ihn feiernde Gemeinde hebt Ebrards Ansatz nicht nur von demjenigen vieler Zeitgenossen ab, sondern macht auch dessen besondere Aktualität aus.177

2. Akteure und Elemente des Gottesdienstes

Es stellen sich nun zwei Fragen, die Ebrard zwar in unterschiedlichem Umfang, aber doch in jeder seiner liturgiewissenschaftlichen Schriften behandelt. Es handelt sich einerseits um die Frage danach, wer die gottesdienstliche Handlung vollziehe, andererseits um die Frage nach den Elementen, aus denen der Gottesdienst besteht.

2.1 Die Akteure

Im Versuch begnügt sich Ebrard mit einigen spärlichen Bemerkungen betreffend die »Geistlichen« bzw. die mit dem »Dienst am Wort« beauftragten Amtsträger. Im Gegensatz zu anderen kirchlichen Ämtern setze die Ausübung des Predigtdienstes |40| das Absolvieren eines Theologiestudiums voraus.178 Dem Pfarrer kommen im Gottesdienst zwei Aufgaben zu, nämlich das Predigen und das Vorbeten, wobei – wie Ebrard betont – der Pfarrer weder eine stellvertretende noch eine priesterliche Funktion ausübe.179 Er trete vielmehr als ein von der Gemeinde beauftragter und ihr »völlig gleichstehender Liturg (minister liturgiae)« auf. Als solcher hat er der Gemeinde »die Gebetsworte laut betend vorzusprechen, welche jeder Einzelne hören und im Herzen aussprechen soll.«180

Im Kirchenbuch nimmt Ebrard den Gottesdienst explizit als eine Tätigkeit in den Blick, die »das Ganze einer Gemeinde […] betrifft«, womit sich sofort die Frage stellt, wie das Verhältnis von Pfarrer und Gemeinde zu bestimmen sei. Inwiefern ist die Gemeinde aktiv im Gottesdienst? Wie verteilen sich die Rollen zwischen Geistlichem und Gemeindegliedern? Ebrard nähert sich diesen Fragen an, indem er zunächst auf die Vieldeutigkeit des Begriffs »Kirche« hinweist. Die Kirche könne einerseits als ideale Größe betrachtet werden. Als solche stehe sie über ihren Gliedern, zu denen sie sich pädagogisch verhalte. Andererseits sei die Kirche aber auch eine »reale Wirklichkeit« und bestehe insofern aus ihren Gliedern, die bekehrt, erlöst, geheiligt werden sollen.181 Beide Momente sind ferner – so Ebrard – in jedem einzelnen Mitglied »wenigstens als minimum« vorhanden, was wiederum bewirkt, dass kein Glied der Kirche allein rezeptiv oder allein aktiv sein kann. In einer nach evangelischen Maßstäben organisierten Kirche habe folglich kein »besonderes« sondern nur ein »allgemeines Priesterthum« Platz.182 Dies schließt dennoch nicht aus, dass sich um der Ordnung willen eine Rollenverteilung im Gottesdienst ergibt, in der sich die Dialektik zwischen idealer und realer Kirche widerspiegelt. So spricht Ebrard dezidiert von Prediger und Gemeinde als den zwei Akteuren im Gottesdienst, weist ihnen aber unterschiedliche Rollen zu. Indem der Prediger das Wort verkündet, entspreche er eher der idealen, aktiven Dimension der Kirche, während die Gemeinde das Wort aufnehme und somit die Kirche in ihrer realen, rezeptiven Dimension abbilde.183

Bereits im Versuch hatte Ebrard das Vorbeten als zweite Aufgabe des Pfarrers im Gottesdienst hervorgehoben. Im Kirchenbuch wird dies negativ bestätigt, indem die Möglichkeit, dass ein Liturg als dritter Akteur neben Pfarrer und Gemeinde die Aufgabe des Vorbetens übernimmt, abgelehnt wird. Es brauche im Gottesdienst vor allem deshalb keinen Liturgen, weil die Gemeinde selbst »das eigentliche betende Subjekt« sei, gleichgültig ob sie Gebete in Form von Kirchenliedern |41| singe, sie nachspreche oder still mitbete, während der Geistliche vorbetet. Denn auch in letztgenanntem Fall betet der Pfarrer »nicht als Priester für sie [die Gemeinde], sondern als Hirte mit ihr«.184 Dennoch könnte gerade die Tatsache, dass im reformierten Gottesdienst jeweils nur der Geistliche im Namen der idealen Kirche auftritt, die Gemeindeglieder dazu verleiten, ihn als eine priesterähnliche Figur zu betrachten. Um dem entgegenzuwirken, zieht Ebrard die Möglichkeit in Betracht, neben den Geistlichen einen liturgischen Chor zu stellen. Dieser könnte als »Repräsentant der idealen Gemeinde« etwa zu Beginn des Gottesdienstes die Gemeindeglieder empfangen und ihnen damit deutlich vermitteln, dass die Kirche ihnen selbst entgegenkommt und sie willkommen heißt.185 Ebrard schließt jedenfalls nicht aus, dass ein solcher Chor auch an anderen Stellen der Liturgie zum Einsatz kommen könnte, wobei er de facto die Aufgabe des Liturgen übernähme.186 Ebrards eindeutig ablehnende Haltung gegenüber der Präsenz eines Liturgen im Gottesdienst scheint sich nun durch seine positiven Äußerungen zum liturgischen Chor zu relativieren.

In den Vorlesungen nimmt Ebrard die im Kirchenbuch formulierte Unterscheidung zwischen idealer und realer Kirche auf und betrachtet sie als eine von vier »Polaritäten«, die das Wesen der Kirche ausmachen.187 Die Polarität zwischen idealer und realer Kirche ergibt sich aus der Tatsache, dass all jene, die als Subjekte ihrer teleologischen, auf die Bekehrung und Förderung des Glaubens gerichteten Tätigkeit agieren, zugleich immer noch deren Objekte sind.188

Da jedes Kirchenglied der Förderung sowohl »fähig« als auch »bedürftig« ist und bleibt,189 bestehen in der Kirche keine den Stand der Mitglieder betreffenden Unterschiede. Alle Christen nehmen an der »priesterlichen Thätigkeit« teil, insofern alle dazu berufen sind, sich »an Christum für die Brüder« hinzugeben.190 Als ideale Größe ist die Kirche also die königliche Priesterschaft und das heilige Volk, von der die Schrift spricht (1Petr 2,9).

Neben diese ideale Seite und in Spannung zu ihr tritt aber die konkrete Wirklichkeit der sichtbaren Kirche. Ohne die »Idee des allgemeinen Priesterthums« in Frage zu stellen, hält Ebrard deren Ergänzung durch die Einrichtung besonderer kirchlicher Ämter für notwendig. Angesichts der tatsächlich bestehenden Unterschiede |42| zwischen den einzelnen Mitgliedern der Kirche in Bezug auf ihre »Reife«, sei nämlich anzuerkennen, dass einige unter ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorwiegend oder gar ausschließlich Objekte der teleologischen Tätigkeit seien. Dies begründe die Notwendigkeit einer kontingenten und nur das Amt betreffenden Unterscheidung zwischen jenen, die wegen ihres höheren »Grads der Reife« mit der Ausführung der kirchlichen Tätigkeit in ihren verschiedenen Bereichen (Katechese, Mission, Gottesdienst und Seelsorge) beauftragt sind, und jenen, denen diese Tätigkeit gilt. Ebrard betrachtet in den Vorlesungen über Praktische Theologie also nicht bloß die Begabung oder Bildung, sondern die »Reife des Glaubenslebens« als das entscheidende Kriterium für die Selektierung von Kandidaten zum ministerium,191 während im Versuch einer Liturgik einzig der Abschluss eines Theologiestudiums als Bedingung für die Ausübung des Predigtamtes erwähnt wurde.

Mit dieser Begründung der Nowendigkeit besonderer kirchlicher Ämter aus dem Wesen der Kirche heraus wehrt sich Ebrard ferner gegen zwei entgegengesetzte »Irrtümer«, die er als »Hochkirchentum« und »Pietismus« bezeichnet. Ersteres geht von einer absoluten Priorität des Amts gegenüber der Gemeinde aus, während im Pietismus die Kirche mit der Gemeinde identifiziert und das Amt somit als bloße Funktion der Einzelgemeinde angesehen wird.192 Gegen diese beiden Extreme betont Ebrard einerseits, dass das Predigtamt zwar ein »Kirchen-Dienst oder Kirchen-Amt«, aber kein bloßes »Gemeindeamt« sei, denn »kein Prediger hat seinen Beruf und seine Vollmacht von der Gemeinde; jeder hat ihn von Christo, und tritt »als Botschafter an Christi Statt (2 Cor. 5, 20) – nicht im Namen der Einzelgemeinde, sondern im Namen der gesammten Einen, am Pfingstfeste gestifteten, bis zu Christi Wiederkunft fortexistirenden Gesammtkirche – vor die einzelne Gemeinde hin«.193 Insofern sei an der Priorität des Amtsberufs gegenüber der Gemeinde festzuhalten. Andererseits hebt Ebrard ebenso nachdrücklich hervor, dass der Heilige Geist immer diejenigen zum Amt berufen hat, die »lebendige Glieder der Gemeinde waren«.194 Selbst wenn der Amtsberuf nicht aus der Gemeinde erwächst, so gehen wohl aber die Träger jenes Amts aus ihr hervor. Das Amt als solches ist für Ebrard also keine Funktion der Gemeinde, sondern geht ihr immer schon voraus; gleichzeitig geschieht die Berufung |43| bestimmter Menschen zum Amt immer in der Gemeinde, was deren Priorität gegenüber dem einzelnen Amtsträger begründet.

Im Gottesdienst spiegle sich die Polarität zwischen idealer und realer Kirche, zwischen Kirche als Subjekt und als Objekt ihrer eigenen Tätigkeit wider.195 Der Prediger, der sein Amt nicht von der Einzelgemeinde, sondern von der einen, katholischen und apostolischen Kirche empfangen habe, trete im Gottesdienst als Vertreter der idealen Kirche als mater fidelium auf. Die konkrete Einzelgemeinde bilde hingegen die communio sanctorum ab, welche »die Predigt hört, die Sacramente empfängt, die Gebete mitbetet.«196 Noch expliziter als im Kirchenbuch wehrt sich Ebrard in den Vorlesungen gegen das mögliche Missverständnis der Rolle der Gemeinde im Gottesdienst als bloß passiv. Die Haltung der Gemeinde müsse vielmehr jene einer »aktive[n] Rezeptivität« sein, denn ohne das stille und dennoch wirkliche »Mit-Thun« der Gemeinde verkämen Predigt, Sakrament und Gebet zur »bloße[n] theatralische[n] Aufführung«. Daraus folgt, dass, obwohl von Prediger und Gemeinde unterschiedliche Dimensionen der Kirche im Gottesdienst abgebildet werden, beide als »Subjekte des Gemeindecultus« betrachtet werden sollten. Eine geringfügige und dennoch interessante Abweichung von Ebrards Position im Kirchenbuch stellen schließlich die eher skeptischen Anmerkungen zum liturgischen Chor in den Vorlesungen dar. Die Präsenz eines liturgischen Chors im Gottesdienst wird zwar für »zulässig«, aber für gar »nicht nothwendig« gehalten, weil die Gesamtkirche im Chor nur »sinnbildlich« repräsentiert werde, während sie ihre »reale und wesentliche Repräsentierung« erst im Prediger und nur in ihm erhalte.197

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