Kitabı oku: «Aus dem Leben listiger Großmütter»
Aus dem Leben listiger Großmütter
1. Auflage, erschienen 4-2021
Umschlaggestaltung: Romeon Verlag
Text: Ludwig Bröcker
Layout: Romeon Verlag
Zeichung auf Seite 67: Malik Bröcker
ISBN: 978-3-96229-816-6
Copyright © Romeon Verlag, Jüchen
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Ludwig Bröcker
Aus dem Leben listiger Großmütter
Zwei Erzählungen:
Zu diesem Buch
Das Buch enthält zwei Erzählungen, in denen jeweils eine listige mutige Großmutter die Hauptrolle spielt. Wer jetzt meint, es ginge um eine sentimentale Beschreibung von Großmutter-Enkel Beziehungen, der wird enttäuscht sein, obwohl unsere Großmütter es an Liebe zu ihren Enkeln nicht fehlen lassen.
Der Enkeltrick: Die Witwe Elisabeth (Lisbeth) wird von einem Paar von Betrügern heimgesucht, die versuchen, den Enkeltrick anzuwenden. Elisabeth gelingt es, einen vermeintlichen Polizisten im Keller einzusperren, in dem sie ihn für Wochen gefangen hält. Das führt zu skurrilen Situationen und einem überraschenden Ende.
Soscha: Die in Schönheit gereifte Schauspielerin Franziska (Franzi) lebt mit ihrer zugelaufenen Katze Soscha in einer Laubenkolonie, weil sie sich bei den gestiegenen Berliner Mieten keine Wohnung leisten kann. Eines Tages trägt Soscha einen Streifen aus Plastikfolie um den Hals, auf dem nur ein einziges Wort steht: HILFE.
Über den Autor:
Ludwig Bröcker wurde 1940 in Freiburg geboren, wuchs in Rostock und Kiel auf und studierte in Kiel und Grenoble Mathematik und Physik. Von 1975 bis 2006 war er Professor für Mathematik in Münster.
Seitdem lebt er mit seiner Frau, der Dermatologin Eva-Bettina Bröcker, in Würzburg.
Die beiden haben drei Töchter und fünf Enkelkinder. Seine Liebhabereien sind Lesen, Schreiben, Dichten, Segeln, Aquarellmalen.
Unveröffentlichte Werke:
•Sammlung von humoristischen Gedichten und ein Schauspiel: Monaden, Moneten und noch mehr Konfusion.
•Kinder-Jugendbuch: Philine.
•Kinderbuch: Vier Kinder, ein Feuer und Vierzehn Ferkel. Zusammen mit Eva B. Bröcker.
Der Enkeltrick
1.
Ach Lisbeth, was bist du heute wieder tüttelig. Sie stand am Fuße der Kellertreppe, machte noch ein Licht an und schaute um sich. Zur Linken die schwere Eisentür des Raumes, der ursprünglich einen Öltank beherbergte, aber schon vor vielen Jahren, nachdem sie auf Gas umgestellt hatten, so sagt man wohl, jedenfalls Helmut sagte es so, wurde der Tank rausgerissen, nicht durch Helmut, sondern von Männern in blauen Overalls.
Sie öffnete die Tür und betrat den Raum, der jetzt ein ganz brauchbares Badezimmer war, und das hatte ihr guter Mann tatsächlich selbst eingerichtet, na ja, nicht ganz: Die Leitungen für Wasser hatte der Klempner gelegt, ebenso für Abwasser unter fürchterlichem Geknatter von Presslufthämmern und jeder Menge Dreck. Aber immerhin, Elektroleitungen legen, verputzen, Fliesen legen, Waschbecken und Armaturen installieren, das hat er alles hingekriegt. Danach tat ihm, obwohl die Söhne Konrad und Justus gelegentlich gute Handlangerdienste leisteten, noch Monate lang der Rücken weh.
Lisbeth betrat den Raum, aber ihr fiel immer noch nicht ein, was sie eigentlich vorhatte. Das Bad wurde nur noch benutzt, wenn Besuch kam, von den Jungs in alter Gewohnheit oder den Enkeln, denn bei den heutigen Ansprüchen an Hygiene (und Styling) gäbe es vor dem Badezimmer im ersten Stock ein schreckliches Gedrängel.
Auch damals, als alle vier gleichzeitig aus dem Haus mussten, war das Bad im Keller eine Wucht. „Ich muss mal ins Gefängnis,“ sagt Justus jedes Mal, wenn er es aufsucht. „Warum muss der Papa ins Gefängnis?“ klagte die kleine Lena. „Ach, nur ein Spaß“, hatte Lisbeth ihre Enkelin beruhigt, „es war so: Als der Großpapa das Badezimmer fertig hatte, war da zuerst immer so schlechte und feuchte Luft drin. „Da habe ich einen Ventilator angeschlossen an das Rohr, durch das früher das Heizöl eingefüllt wurde“, hatte Großpapa Helmut gesagt, worauf er ein Räuspern vernehmen ließ, und darauf Justus: „Genial, aber außerdem hatte er seine Flex hergenommen und einfach ein kleines Lüftungsfensterchen in die Eisentür gesägt.“ „Danach war es doch gut,“ „Klar, alter Herr, aber es sieht echt aus, wie ein Knast.“ Dein Papa machte immer so lustige Sprüche.“
Lisbeth erinnerte sich an solche Szenen, als hätten sie sich erst kürzlich abgespielt, aber inzwischen war aus Lena eine junge Studentin geworden und Helmut, ach der Gute, er möge in Frieden ruhen.
Jetzt war ihr wieder eingefallen, was sie im Keller wollte. Sie ging in den Heizungs-Wäsche- Trockenkeller, um einen Blick auf die Waschmaschine zu werfen. Ein leises Surren und Ticken war vernehmbar: Noch nicht fertig. Und wieder gingen ihr Bilder von früher durch den Kopf: Helmut, die Jungs, die Enkel, aber ach, auch so viele Monate, in denen sich wenig ereignete.
In dem Moment schellte das Telefon, nein, es schellte nicht, es gab einen undefinierbaren Quäkton von sich, den Lisbeth nicht ausstehen konnte. Vielleicht könnten die Jungs das mal besser einstellen.
„Hallo, hier Frau Ewald.“
Mit einschmeichelnder Mädchenstimme ein vorsichtiges
„Hallo.“
„Ja, hallo.“
Dann wieder nichts.
„Lena?“
„Erraten.“
„Du hörst Dich so anders an.“
„Leider, ich bin total erkältet.“ Gehüstel.
„Armes Kind. Bist Du in Bielefeld?“
„Wo denn sonst? Mir geht’s super, aber sag mir erst: Alles gut bei Dir? Ich denke so oft an Dich.“
„Das ist lieb von Dir.“
Wieder eine kurze Pause. Meine liebe Elisabeth Ewald geborene Kranz, sei auf der Hut, hier stimmt was nicht. Schon öfters hatte sie in der Zeitung von Enkeltrick- Betrügern gelesen. Wie konnte sie so dämlich sein, Lenas Namen zu nennen und den Studienort Bielefeld, wo sich Lena sich vermutlich aufhielt.
Sie saß in dem halbdunklen Flur, hatte den Ellenbogen auf die kleine Kommode gestützt, auf der schon immer das Telefon Platz fand, früher ein solides mit Wählscheibe, und jetzt ein ganz leichtes mit Quäksignalton, und starrte mit einem Gefühl von Empörung und Verunsicherung auf den Hörer.
„Hallo, bist Du noch da?“
Lisbeth ahnte, dass sich ihr Gegenüber in der kurzen Pause mit einem Komplizen beraten hatte. Sie beschloss, auf jedes Wispern zu achten, das eventuell aus der Leitung zu hören wäre, und antwortete, wobei sie versuchte, sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen:
„Natürlich, meine Liebe.“
„Du, hier ist grad ganz schlechter Empfang, ich leg mal auf und meld‘ mich gleich wieder.“
Aha, ist das die Strategie, um mich ans Telefon zu fesseln, ohne dass ich selbst aktiv werden kann? Sie musste gestehen, dass Ihre Gegner, sie glaubte jetzt an mehrere, ziemlich ausgekochte Ganoven waren. Zum Beispiel hatte das Mädchen vermieden, sie anders anzureden, als mit Du, und überhaupt stützte es sich nur auf Informationen, die sie von ihr selbst hatte. Na wartet, ich lege gleich eine Mine. Als das Telefon sich wieder meldete, griff sie mit etwas zitteriger Hand nach dem Hörer und sagte nur:
„Hallo.“
Von der anderen Seite mit Engelsstimme:
„Ich bin‘s wieder, wie schön, dass ich Dich wieder hören kann.“
„Ja mein Kind, aber jetzt erzähl mir doch, wie es mit deinem Medizinstudium geht, ich bin ja so stolz auf dich, dass du die Zulassung geschafft hast.“
„Das kannst du auch sein. Abgesehen von meiner Erkältung hab ich eine Glückssträhne zu fassen.“
Treffer-versenkt. Lena studierte Mathematik und nicht Medizin, abgesehen davon, dass man in Bielefeld gar nicht Medizin studieren kann. Ihre erste Regung war, den Hörer auf die Gabel zu knallen, aber eine Gabel gab es nicht mehr, sondern nur noch dieses leichte Dings, das man immer sorgfältig auf das wackelige Bums zurücklegen musste. Auf einmal fragte sie sich, wozu schon seit Jahrzehnten unter dem Telefon ein Deckchen lag. Ihr Blick schweifte über den Flur, die schmale geschwungene Treppe mit dem ewig gleichen Läufer, der an jeder Stufe durch eine Stange (Altmessing) gehalten wurde und die Garderobe (Eiche rustikal), immerhin groß genug für eine Person, die gediegenen Türen zum Wohnzimmer und zur Küche, beim Windfang das Gästeklo, nicht zu verfehlen, weil, mit einem lustigen Schildchen versehen. Da fühlte sie sich, als wäre gerade ein Vorhang aufgegangen, um sie herum das Bühnenbild und sie spielte die Hauptrolle im Boulevardtheater: Eine liebenswerte schusselige Witwe, Mrs Wimmerforth, oder doch lieber eine plietsche Alte wie Miss Marple.
„Hallo, bist Du noch da?“
„Ja, ja meine Liebe, ich bin gespannt auf Deine Glückssträhne.“
„Ja, aber das ist noch geheim. Versprich mir, dass du es niemandem weitererzählst.“
Lisbeth hätte sich wohl anders ausgedrückt, aber die Schauspielerin in ihr heuchelte ein flottes
„Versprochen.“
„ Jetzt halte dich fest: Ich habe eine total süße Wohnung an der Hand: Wohnküche, kleines Schlafzimmer und ein ganz tolles Bad. Na, du wirst sie ja bald mit eigenen Augen sehen.“
„Aber Kindchen, das kostet doch sicher sehr viel Miete.“
„Nicht mieten, kaufen will ich die.“
„Du lieber Himmel! Lena, was sagen dann Vati und Mutti dazu?“
Das war noch eine Falle: Justus und Katrin wurden Mama und Papa genannt.
„Ich sag doch, das muss geheim bleiben. Du weißt doch, wie Vati immer ist. Das wird unsere Wohnung, sie wird uns beiden gehören. Ist das nicht toll?“
Gleich kommt sie, die Bitte um Geld, viel bares Geld, soviel war jetzt klar.
„So eine Wohnung kostet doch sicher viel Geld, wie soll das gehen?“
„Das ist es ja, das ist ein Schnäppchen, das darf man sich nicht entgehen lassen.“
„Und nun meinst du, die Omi könnte Dir helfen?“
„Weil Du die allerliebste Omi von der ganzen Welt bist.“
Das mit der „Omi“ war noch ein weiteres Späßchen. Lisbeth wurde von allen Enkelkindern Großmama genannt.
„Ach Kindchen, wir beide? Ich bin doch auch kein Krösus.“
„Aber liebste Omi, wir brauchen doch nur die Hälfte. Die andere Hälfte kann man finanzieren, das hab ich alles schon mit dem Notar besprochen, und schwups, schon sind wir beide Immobilienbesitzer.“
„Ich besitze doch schon ein Reihenhaus.“
„Ach Omi, so kenne ich dich ja gar nicht, so zugeknöpft, als wenn du nicht meine liebste Omi wärst.“
Bei allem Spaß, die tüttelige Alte zu spielen, schlich sich bei Lisbeth doch ein Gefühl von Ekel und Widerwillen ein. Sie musste versuchen, das Verfahren abzukürzen, doch zugleich stellte sie sich vor, wie köstlich es wäre, wenn sie dieses Gör samt deren Hintermänner der Polizei auf dem Teller servieren könnte.
„Ohne jetzt irgendetwas zu versprechen, aber sag mir doch, wie viel Eigenkapital müssen wir auf den Tisch legen?“
„Omi, du hörst dich ja richtig professionell an. Also, das wären (etwas leiser) 30000.“
„Du lieber Himmel, Lena, so viel Geld!“
„Eigentlich 32000, 2000 kann ich selber beisteuern. Aber schau mal, das Geld ist doch nicht weg. In ein paar Jahren ist die Wohnung 100000 wert, und du hast 20000 Gewinn gemacht, einfach so.“
„Wo soll ich denn plötzlich so viel Geld hernehmen. Das sind doch meine Rücklagen fürs Alter.“
„Omi, du bist doch noch super fit. Jetzt hast du die Gelegenheit, noch mal was Tolles zu deichseln, mit mir zusammen, allerdings nicht mehr lange, sonst fischt uns ein anderer die Wohnung weg.“
„Das ist alles nicht so einfach. Das Geld muss erst vom Sparkonto auf das Girokonto und von da auf das Anderkonto des Notars. Dazu brauche ich Unterlagen, zumindest die Kontonummer und so weiter. So war das, als wir unser Haus gekauft hatten. Ach, das ist so lange her.“
„Du Omi, so läuft das nicht mehr. Jedenfalls nicht bei so einem Schnäppchen. Aber weißt Du, wir haben Glück. Der Notar ist gerade bei dir in Osnabrück. Er käme vorbei, zeigt dir den Vertrag und gibt dir eine Quittung für die 30000, dann fährt er nach Bielefeld und bringt mit mir die Sache über die Bühne.“
„Ach Lena, ich weiß nicht.“
„Omi, wenn wir das heute nicht hinkriegen, ist die Wohnung futsch. Das würde ich dir nie verzeihen, und du willst doch sicher für immer meine allerliebste Omi sein.“
„Ja, ja, ich geh ja schon.“
„Zur Bank?“
„Natürlich zur Bank, aber da wird es ein wenig dauern.“
Puh, stöhnte Lisbeth, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, aber alles in allem fand sie, dass sie ihre Rolle gut gespielt hatte. Übrigens war auch die Gegenseite äußerst zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs. Wieder meldete sich das Telefon.
„Hallo.“
„Hallo Omi, Ich wollte dir nur noch gute Verrichtung wünschen.“
„Ist ja gut, ich bin ja schon fast auf dem Weg. Ich muss mich nur noch etwas zurechtmachen. Meine Haare vor allem. Die Unterlagen liegen schon bereit.“
Sie hatte keine Unterlagen rausgesucht, sondern nur ihrem Sekretär, neben einem Glasschrank mit Restbeständen von Meißener Porzellan das einzige Erbstück aus dem Haushalt ihrer Eltern, einen größeren weißen Umschlag entnommen. Damit ging sie in die Küche, holte aus einer unteren Schublade eine Rolle Butterbrotpapier, und schnitt daraus viele rechteckige Blätter, die in ihrer Größe etwa einem 500-Euro Schein gleichkamen. Genau wusste sie es nicht, denn sie hatte noch nie solche Scheine in der Hand gehabt. Die Blätter steckte sie in den Umschlag und den Umschlag in eine leichte Tasche. Dann warf sie sich eine Steppjacke über, vergewisserte sich, dass sie ihr Handy dabeihatte, und verließ sieben Minuten nach dem letzten Anruf, nämlich gegen 14.15 Uhr das Haus.
Die kleine Pforte zwischen ihrem Vorgarten und dem Gehsteig ließ sie unverschlossen.
2.
Für Ende Oktober war es ein verhältnismäßig warmer und zugleich sehr windiger Nachmittag. Allenthalben wirbelte trockenes Laub über ihren Weg, tanzende Blätter, die bald im Schlund eines erbarmungslosen Laubsaugers verschwinden würden, vorzugsweise morgens um viertel vor sieben.
Zur Sparkasse war es nicht weit, erst ging es nach links bis zur nächsten Kreuzung. Die Straße, an der sie seit vielen Jahrzehnten lebte, kam ihr seltsam fremd vor, wie aus Potemkinschen Fassaden und dahinter keine Stuben. Saß da jemand in einem der parkenden Autos auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der sich mit bösen Blicken an ihre Schritte heftete?
Lisbeth bemühte sich, möglichst unauffällig alle Seiten im Auge zu behalten, bemerkte aber nichts. Sie bog rechts ab, und schon an der nächsten Kreuzung zeigte ein deutliches Stoppschild die Hauptstraße an. Lisbeth ging darauf zu: Wo sind die gierigen Augen, die sich an mir festkrallen? Auf der Hauptstraße ging es wieder nach links, zwei Blocks weiter war schon das Schild mit dem großen S zu sehen. Hier waren viel mehr Leute unterwegs, Frauen, Männer, junge Mädchen, zu zweit oder dritt, die einen schlenderten zwanglos dahin, die anderen setzten ihre Schritte gezielt im Bewusstsein des Schaukelns ihrer Hüften. Kinder immer in Bewegung, meist auf irgendeinem Fahrzeug, aber die musste sie nicht beachten.
Manche waren irritiert, wenn sie die geradewegs anstarrte, und das war ihr wiederum peinlich. Und da ein Blick, der sie wohlig berührte, ein Kopf mit roten Haaren. Ach, das ist ja Uschi, ihre Freundin von „schräg gegenüber“. Sie umarmten sich kurz. „Ich hab dich schon lange gesehen, aber du guckst überall hin, nur nicht geradeaus“, sagte Uschi. „Ja, ja du, ich muss ganz schnell weiter und noch allerlei erledigen, ich ruf dich nachher an.“
Für einen Moment hatte sie daran gedacht, ob sie sich Uschi anvertrauen sollte, denn Uschi war lustig, immer für einen Spaß zu haben, aber geschwätzig, sofort würde auch Oskar, ihr Mann, Bescheid wissen. Oskar, von dem sie meinte, er sei total lieb und zuverlässig, aber ein engagierter Langweiler.
Vorbei ging es an einem Döner- Stand, vor dem einige Typen, darunter zwei Frauen, abhingen, wie sich ihre Enkel auszudrücken pflegten, mit und ohne Migrationshintergrund. Sie ließen die fleischigen Arme baumeln, damit alle ihre Tattoos bewundern könnten.
Vor der Änderungsschneiderei fiel Lisbeth ein, dass sie da auch noch was liegen hatte. Später, dachte sie, auch den Bäcker passierte sie und den Friseur, den sie nur einmal und dann nie wieder aufgesucht hatte. Überall Menschen, aber keiner besonders auffällig.
Kurz hinter der nächsten Kreuzung sah sie schon die Tische, auf denen Berge von Obst und Gemüse balancierten, Weintrauben, Äpfel, Birnen, Apfelsinen, Mandarinen, Bananen und allerlei Exoten neben Paprika, Kürbissen, Gurken, Kohl, Salatköpfen und natürlich Tomaten über Tomaten. Dazwischen stand Ahmed, bediente die Waage und grüßte höflich. Auch die beiden bildhübschen Töchter waren fleißig, eine mit und eine ohne Kopftuch. Lisbeth fragte sich, ob die Mädchen nach 25 Jahren wohl aussähen wie ihre Mutter, die hinten im Laden rundlich und schwarz verhüllt an der Kasse waltete. Hier war keine Gefahr, keine Dealer, keine Vettern, die schwarz arbeiten und Sozialhilfe einstreichen, niemand, der für seinen Präsidenten Schnüffeldienste leistet.
Vor der Sparkasse kam noch ein Bäcker. Über vier Stehtischen vier unauffällige Gesichter, an den Kaffeetassen Finger, die möglicherweise gleich ein Handy aus der Tasche ziehen, und darein wird geflüstert: „Sie betritt die Sparkasse.“
Die Eingangstür schob sich zur Seite. Einige von den verschiedenen Automaten wurden von Kunden bedient oder auch nur scheinbar bedient. Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden. Außerdem gab es in dem Raum noch einen kleinen Informationsstand und dazu eine junge Frau, die Lisbeth anlächelte, und das Lächeln erwidernd (man kannte sich flüchtig) bat Lisbeth um eine kurze Beratung, einen Immobilienkauf betreffend, worauf die angehende Bankerin sie in einen Nachbarraum führte und darum bat, noch einen Moment auf einem geräumigen Sofa Platz zu nehmen.
Nach etwa zehn Minuten zeigte sich ein Chef oder stellvertretender Chef oder was auch immer, jedenfalls, Lisbeth kannte ihn nicht und umgekehrt galt wohl das gleiche. Sie entschuldigte sich vielmals, sie hätte es sich doch anders überlegt, sie würde grad noch einen Wagen bestellen und seine wertvolle Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Dann ging sie wieder in den Schalterraum, stellte sich zum Informationsstand und begann eine kleine Konversation, es gab ja genug zu besprechen, das Wetter, den Wind, das liebe Geld, dass in zwei Monaten schon wieder Weihnachten wäre…
Den weißen Umschlag hatte sie jetzt so in die Tasche gesteckt, dass eine Ecke herausschaute. Dabei hielt sie jeden, der die Bank betrat, scharf im Auge.
Sie bemerkte das Taxi, rief noch „Tschüs“, und war erstaunlich schnell zur Tür hinaus, mit wenigen Schritten über den Gehsteig und im Auto gelandet. Der Fahrer, ein junger Mann, hatte die Tür mit langem Arm schon etwas offengehalten. Hätte Lisbeth sich altersgemäß bewegt, wäre er sicher ausgestiegen, und hätte in aller Form die offene Tür gehalten und hinter ihr geschlossen, aber jetzt sagte er nur: „Sie haben es aber eilig, haben sie gerade die Sparkasse ausgeräumt?“ „Na klar“, flüsterte sie und nannte ihre Adresse.
Als der Fahrer ob der kurzen Distanz sein Erstaunen ausdrückte, murmelte sie noch etwas von Blase am Fuß, schrecklichen Schmerzen, sofort Schuhe loswerden. Auf dem kurzen Weg hatte sie schon 10 Euro zurechtgelegt, und verließ vor ihrem Haus, ohne das Wechselgeld abzuwarten, das Taxi genauso schnell, wie sie zugestiegen war.
Zuhause angekommen, musste sie sich erst einmal setzen und ein wenig durchatmen. Was war zu tun? Die 110 wählen und erklären was passiert ist. Dann kommt vielleicht ein Streifenwagen, und schon haben sich die Ganoven verflüchtigt, zwar ohne Geld, aber leider auch in Freiheit. Alles wäre einfach, wenn sich zwei Beamte schon in der Wohnung verschanzt hätten. Dann käme der vermeintliche Notar an die Tür, sie ließe ihn herein, und schon hieße es: Zugriff! Wundervoll ! Aber wie kommen die Beamten unbemerkt ins Haus? Sie musste nicht lange über diese Frage nachdenken, denn wieder meldete sich das Telefon:
„Ja, Ewald.“
„Frau Ewald, hier spricht die Polizei! Frau Ewald, soeben wurden wir von ihrer Sparkasse informiert, dass sie einen höheren Geldbetrag abgehoben haben. Frau Ewald, wir müssen Sie warnen! In ihrer Gegend sind Kriminelle unterwegs, so genannte Enkeltrick-Betrüger.“
„Ist es möglich?“
„Frau Ewald, bleiben sie ganz ruhig, wir schicken einen Beamten, der ihr Geld sicher zur Bank zurückbringt.“
„Gott sei Dank, ich hatte schon selbst ein ungutes Gefühl dabei.“
„Bleiben Sie am besten am Apparat, dann kann ihnen nichts passieren.“
Lisbeth fühlte sich schwummerig. Was für ein Irrsinn, dachte sie, welches Geld hätte sie abgehoben? In ihrem Kopf spielte sich ein lächerlicher Tatort ab: Sie ist die junge Polizistin, die den Entführer stellen wird, sie dringt in das Haus ein, alleine ohne jede Vernunft, stößt alle Türen auf und wedelt mit der Waffe, links, rechts, aber der Schlag kommt aus der Besenkammer, und aus der Bewusstlosigkeit erwachend hört sie es rufen: „Hier spricht die Polizei, kommen sie raus und legen die Waffe nieder.“ Aber der Entführer ist hartnäckig. Er packt die kleine Lena an den Haaren und hält die Waffe an ihre Schläfe, ausgerechnet die Dienstwaffe.
Auf einmal hatte es Lisbeth sehr eilig: Sie sprach „bis gleich“ in den Hörer, steckte ihn in die Tasche und wühlte aus der Abstellkammer eine zusammengeklappte Schaumstoffmatratze hervor, die sie einfach die Kellertreppe runterpurzeln ließ.
Aus dem Telefon kam ein Geräusch und sie sagte nur
„Hallo.“
„Frau Ewald, was ist los bei ihnen, ist da jemand?“
„Nein, ich mache grad die Wäsche.“
„Bitte, bleiben sie ganz ruhig.“
Lisbeth schlich in den oberen Stock und entnahm dem Gästebett Decke und Kopfkissen. Das alles stapelte sie in eine Ecke des Badezimmers im Keller, wobei sie nicht vergaß, ab und an „alles in Ordnung“ in den Hörer zu wispern. Ach, und noch der Umschlag: Sie stieg noch einmal in den Keller und legte ihn in eine Truhe, die schon immer in dem Bad stand und zur Aufbewahrung von frischen Handtüchern diente. Als besondere Tücke legte sie den Umschlag ganz nach unten. Dann begab sie sich ins Wohnzimmer und beobachtete, den Vorhang nur ein wenig zur Seite schiebend, die Straße. Wie könnte sie jetzt noch bewirken, dass richtige Polizisten unbemerkt ins Haus gelangen? Vielleicht durch den Hintereingang, aber der Weg zwischen den kleinen Gärten war kompliziert. Vermutlich würde die Polizei doch lieber mit Trara vorfahren als sich auf obskure Pläne einer tütteligen Witwe einzulassen.
Es war ohnehin zu spät: Zwei Uniformen näherten sich ihrem Haus.