Kitabı oku: «Der Ochsenkrieg», sayfa 33
Der Waldsaum. Und ein freier Blick von der Höhe hinunter in das Wiesental, in dem eine wilde Fröhlichkeit das eroberte Lager füllte. Zelte, Karren, Rosse, Kriegsleute und Weiber, alles war klein durcheinandergeschüttelt, wirr und farbig, von Sonne funkelnd und lebendig. Schallendes Gelächter, schreiende Stimmen, johlender Liederklang und grelles Dirnengekreisch — das Bild eines siegreichen Heerhaufens, wie es Jul seit dem Sommer des vergangenen Jahres zu dutzendmalen gesehen hatte. Und dennoch hatte das Bild des Sieges nur ein halbes Gesicht. Es fehlten die verzweifelten Bauern, und man sah keine brennenden Dörfer, weil man im Land der Freunde und Verbündeten war und weil die Ingolstädter an diesem Morgen zum Brennen keine Zeit mehr gefunden hatten. Und noch ein anderes Ding war da drunten, das dem üblichen Bild der Siege nicht gleichen wollte. Auf der Moorstraße und am Rand der Sümpfe waren viele, viele Menschen mit Brettern und Stangen wunderlich beschäftigt. Fischten sie nach Fröschen und Mooskarpfen? Oder suchten sie nach versunkenen Menschen?
Auf der anderen Seite des Lagers war es wie sonst nach einem Gefecht: viele Pferdeleichen; eine lange Reihe von Lastträgern; und immer zwei von ihnen trugen etwas, das einem steifen Pfahl oder einem eingeknickten Sacke glich.
In der Seele des Buben schrie die Sorge: »Der Vater? Malimmes? Und —« Mit sinnlosen Sprüngen hetzte er über den steilen Hang hinunter. Jäh ein Erstarren des jungen, schlanken Körpers. Und mit vorgestrecktem Hals ein entsetztes Spähen.
Weit da draußen im Moor, scharf abgehoben von einem glänzenden Tümpel, stand die zierliche Schwarzgestalt eines Rosses mit dicker Mähne und langem, wehenden Schweif.
Wer von Kind auf bei Tieren war, die Tiere liebt und dreimal ein Tier gesehen hat, erkennt es wieder.
Ein gellender Schrei. Und in taumelnder Seele eine jagende Bilderflucht: das Hängmoos mit den singenden Fröschen und der Rappe auf einer kleinen, grünen Insel im Sumpf; eine Feuerstätte mit brüllenden Ochsen und der Rappe, der den buckligen Tod im Sattel trägt; das Hallturmer Aschenfeld, von dem ein schaudervoller Geruch zum Fuchsenstein herüberweht, und dieser von Asche graugewordene Rappe, auf dem ein aschengrauer Reiter sitzt — —
Da draußen steht dieser Rappe. Und wiehert über den Sumpf hinaus — mit leerem Sattel —
Und der Reiter, den er getragen? Wo ist dieser Reiter? Dieser Reiter?
»Moorle!«
Wie die Schwalbe einen rauschenden Strom überfliegt, so schwimmt dieser klingende Schrei über den Lärm der Tiefe. Und der Gaul da draußen steht wie versteinert, mit gestrecktem Hals.
Durch das Gewirr der Leute, die am Ufer des Sumpfes mit Brettern, mit Spießen und langen Stangen fischen — die einen aufgeregt und barmherzig, die anderen roh belustigt, und den Fisch, den sie angeln wollen, nach dem Gewicht seines Lösegeldes schätzend — durch dieses Leutgewirr kämpft sich ein junger Harnischer, stößt andere nieder, schlägt mit den Fäusten zu, wenn der Weg sich sperren will, gewinnt die Moorstraße, jagt an der Böschung hin, späht mit huschenden Augen nach einem Pfad im Sumpfe, und immer wieder klingt seine gellende Mädchenstimme über die von Sonne glitzernden Tümpel: »Moorle — Moorle, ich komm —« Er sieht nicht, daß ein Schwarm von Leuten hinter ihm her ist, hört nicht, was sie schreien, hört auch jene zornige Stimme nicht, die immer die gleiche Silbe brüllt, nur die eine Silbe: »Jul! Jul! Jul!« So schrien einmal auf der Straße vom Hallturm nach Berchtesgaden zwei Stimmen in Zorn und Sorge. Jetzt schreit nur eine, immer die gleiche Silber wieder: »Jul, Jul, Jul ...«
Am Hang der Straße jagend, reißt der gepanzerte Bub die stählernen Armkacheln von seinen Schultern, die Platten von den Armen, die Schienen von den Schenkeln. Ein paar Augenblicke unter keuchenden Atemzügen rastend, zerrt er die gespornten Schuhe und die leinenen Lappen von den Füßen. »Moorle, ich komm!« Und während er leichtfüßig, mit nackten Sohlen von einem Moosbuckel zum anderen springt, manchmal bis übers Knie hinuntertappend, schleudert er das Schwert in den Sumpf, das Dolchgehenk und den Kettenschurz.
Manchmal ein Stücklein besseren Bodens, dann wieder das fürchterliche Grau, mit großen, trüben Lachen, mit Watspuren und Moorlöchern. Hat hier ein Roß sich durchgestampft? Ist dort ein Mensch versunken? Ein Speer ragt mit der Spitze aus dem Sumpf, dort schwimmt ein roter Mantel in einer Pfütze, hier zittert das trübe Wasser um ein regungsloses Ding, das aussieht wie ein blasses Menschengesicht.
Um den Buben herum ist eine Wolke der Moosschnaken. Immer müder und kürzer werden seine Sprünge. Das Eisen, das er noch trägt, ist schwer und zieht. Während die Augen suchen, in Angst und Hoffnung, reißt er die Halsberge und die Kettenhaube herunter, stülpt den geflickten, schlechtgewordenen Helm mit den Reihergranen wieder auf das dicht um die Schultern fallende Schwarzhaar, reißt am Brüstung seines Panzers die Schnallen auf, schleudert die stählernen Muscheln von seinem Leib, zerrt mit dem Lederwams den wunderlichen Polster herunter, der wie eine große Brille ist, und trägt nur noch das grobe Bubenhemd und die lederne Reithose, die bis zu den Hüften schon behangen ist mit Schlamm.
Das nahe Wiehern eines Gaules, aufgeregt und schmetternd.
»Moorle! Moorle!«
Durch dick verflochtenes Schilf ein verzweifelter Kampf. Ein Niederbrechen bis zu den Rippen, ein mühsames Aufwärtsklimmen. Jetzt wieder das offene Moor, mit grünen Buckeln, mit großen Silberschilden und kleinen Goldmünzen, mit den schlammig vollgeronnenen Stapfen eines Rosses. Und da drüben, auf halbe Steinwurfweite, steht der graugefärbte Pongauer, hat vorgequollene, weißgeränderte Augen und wiehert dem Leben entgegen, das er kommen sieht.
Es kommt; mit wilden Sprüngen, die den Tod verhöhnen. Und sooft sich die nackten, von Moor und Wasser triefenden Füße aus einem tragenden Rasenschopf hinüberschwingen zum andern, strafft und streckt sich der schlanke Mädchenkörper. Und unter dem schlammbespritzten Hemde zittern leise bei jedem Sprung die strengen Brüste.
Ein verstörtes Innehalten. Rings um den wiehernden Pongauer nur das glitzernde Wasser. Wo ist der Reiter? Julas verzweifelte Augen suchen, suchen, suchen. Schrei um Schrei. Doch keine Antwort. Nur von der Moorstraße quillt der Leutlärm herüber. Und ein Söldner, der zwei lange feste Bretter von einem Troßkarren losgerissen, springt von der Straßenböschung hinunter und verschwindet im Schilf.
Immer schreit die Suchende. Ein jähes Besinnen in dieser ratlosen Angst. Nicht hier, wo der geduldige Rappe steht — da drüben muß sie suchen, wo die schlammigen Watstapfen des Pferdes herausführen aus einem Gewirr grüner Moosschöpfe! Sie springt und springt. Und sieht zwei graugewordene Fasanenflügel, die sich zwischen den Moosgräsern matt bewegen. Ein jauchzender Schrei der Suchenden, die gefunden hat. In ihrer Freude wagt sie einen unmöglichen Sprung, verfehlt den Rasenbuckel, tappt daneben und sinkt, zerrt sich in die Höhe, lacht und weint, macht sieben Sprünge noch, bei denen der Tod mit schwarzen Fäusten nach ihren Füßen greift — und da sieht sie über dunklem Wasser den geflügelten Helm und dieses bleiche, mit Schlamm bespritzte Mannsgesicht.
Ein zerwühlter, schwarzer Teig ist um ihn her. Vom Gewicht des Eisens hinuntergezogen, hängt er bis über die Halsberge im Moor, die geschienten Arme seitwärts gestreckt, mit den gepanzerten Fäusten eingeklammert in zwei kleine Moosschöpfe. Seit dem Morgen hing er so und wagte sich nimmer zu rühren, um nicht völlig zu versinken. Die Erschöpfung hat sein Gesicht gelähmt, doch die Augen sind offen. Sein Blick ist stumpf, er scheint die schwarz und grau umwickelte Gestalt, die immer näher kommt, nicht zu erkennen. Doch die schreiende Stimme hört er. Nun plötzlich ein Aufleuchten in den starren Augen. Er hat den Helm mit den Reihergranen erkannt. Wer ihn trägt, das weiß er — und nun weiß er auch, wer gekommen ist und um seinetwillen den Tod nicht fürchtete. Ein Aufatmen, ein Versuch, sich höher emporzuziehen — ein Lächeln wie in einem schönen, aber wunderlich verrückten Traum — dann schließen sich die Lider, während der Kopf mit dem schweren Eisenhute langsam gegen den Nacken sinkt.
Aufschreiend wagt Jula den Sprung nach einem Rasenschopf, der unerreichbar scheint. Und sie gewinnt ihn, die kleine Insel trägt, doch die Wucht des Sprunges wirft ihr den Helm vom Kopf. Sie will ihn haschen und könnte ihn noch greifen, bevor er niedertaucht. Aber da muß sie die Arme nach jenem sinkenden Leben strecken, das ihr mehr gilt als das eigene. Sie hat sich niedergeworfen. Von dem Rasen, der sie trägt, vermag sie den Arm des Niedergleitenden nicht zu fassen. Um ihn zu erreichen, muß sie hinunter in den schwarzgrauen Pfuhl. Die linke Faust in das zähe Wurzelwerk einklammernd, gleitet sie bis an die Arme hinunter — und kann mit der freien Rechten den Sinkenden greifen, faßt ihn am Wangenkamm der Halsberge, zerrt ihn langsam, langsam durch den zähen Schlamm an ihre Brust heran, hält seinen Nacken umklammert, fängt zu schreien an — und verstummt plötzlich und wird ruhig, weil sie sieht, daß einer kommt, der helfen wird. Gott will ihr beistehen und schickt den stärksten und treuesten der Menschen.
Es rauscht im Schilfe. Über die Kolben und Blätter taucht ein graues, flinkes Rad herauf, verschwindet, ist wieder da, kommt immer näher und näher. Etwas Farbiges taucht aus dem Röhricht heraus: Malimmes, seiner eisernen Wehr entkleidet, in der bunten Söldnertracht, mit nackten Füßen. Er hat zwei lange, feste Bretter. Auf dem einen steht er, das andere läßt er ein Rad schlagen, wirft es vor sich hin, springt hinüber, packt das Brett, auf dem er gestanden, schwingt es herum und baut die fliegende Brücke immer flinker gegen die beiden hin, die im Moor gefangen hängen. Immer lacht er, weil Lachen mutig macht; doch bei diesem Lachen zittert’s wie Zorn in seiner fröhlich tuenden Stimme: »Höia, huppla, ihr zwei süßen Moosvögel, nur ein lützel Geduld, jetzt haben wir’s gleich.« Und während er das feste Brett hinschmeißt, daß die Schlammfetzen aufspritzen, höhnt er im Grimm seiner galligen Laune: »Ui, fein stecket ihr da beisammen, ihr zwei! Aber eine schieche Gelegenheit habt ihr euch ausgesucht. Sonst, wenn Glück und Lieb bei der Jugend Einstand halten, duftet’s nach Rosmarin und Veiglein. Bei eurer Seligkeit schmeckt’s wie auf dem Nüremberger Fischmarkt am Karsamstag!«
Erschrocken starren ihn Julas Augen an. Und ihre Stimme bettelt und zürnt: »So hilf doch, du! So hilf doch! Hilf!«
Er lacht in seiner Qual. »Gotts Teufel, ja, was soll ich denn machen sonst? Zwei, die speisen können, und einer, der hungern muß, ist allweil noch besser, als müßten alle drei das Maul an den Bindfaden hängen.« Er hat das zweite Brett vor die beiden hingeschoben, betrachtet ihre Gesichter, und das Lachen vergeht ihm. Mit einer wunderlichen Trauer sagt er: »So ein Krieg halt, gelt! Alles, was schön ist, muß er versauen! Wie du und der da, Maidl, so schaut die liebe bayerische Welt jetzt aus.« Mit beiden Armen hat er zugegriffen und lupft den in halber Ohnmacht taumelnden Ritter Someiner aus dem Schlamm heraus.
Jula schwingt sich ohne Hilfe auf die Bretterbrücke.
Schweigend schält Malimmes dem Lallenden das schwere, schlammige Eisen der flämischen Rüstung vom Leib und schleudert Stück um Stück hinaus in das Moor. Auf der Brust und am Halse reißt er ihm den Koller und das Hemd auseinander. Und Jula schöpft immer Wasser mit den hohlen Händen und wäscht dem Taumelnden das Gesicht, die Brust und an den Handgelenken die Stellen, wo die matten Pulse ticken.
Beim Anblick dieser stummen, sorgenden Zärtlichkeit wird Malimmes ungeduldig: »Wie, du, jetzt laß einmal gut sein! Gar so päppeln brauchst du ihn nit. Der reißt schon von selber die Augen wieder auf — und greift nach dir.«
Verstört sieht Jula an ihm hinauf und stammelt: »Malimmes? Bist du’s? Oder ist’s ein andrer?«
Er vermeidet ihre Augen und murrt vor sich hin: »Krieg ist überall. Ich weiß nimmer, was recht und gut ist.« Verstummend kniet er auf die Bretter nieder, schiebt seinen Nacken unter den Ohnmächtigen und nimmt ihn auf den Rücken und streckt sich auf. Er steht unter der schweren Menschenlast ein bißchen gebeugt. Dann sagte er ruhig: »Sei zufrieden! Ich trag hin hinaus. Mit den Brettern mußt du den Weg machen. Das ist leichter.«
Während Jula über die Moosbuckeln des Schlammes die fliegende Brücke baut und die Bretter schwingt, sieht Malimmes sie ein paarmal an und wendet immer gleich den Blick wieder von ihr ab. Was sie noch am Leib hat, klebt an ihr. Wie ein schönes, nacktes Weib, das aus dem Moorbad herausgestiegen ist — so sieht sie aus.
Ein Schilfboden mit besserem Grund. Und als der vergessene Pongauer die drei im Röhricht verschwinden sieht, beginnt er zu wiehern, daß es klingt wie eine Trompete.
»Sein Gaul!« schreit Jula erschrocken auf.
Da verliert Malimmes die Ruhe wieder. »Mußt du denn alles haben? Dem Gaul ist nit zu helfen. Sei zufrieden, weil du dein Mannsbild hast.«
Stumm, mit Schmerz und Trauer in den Augen, sieht Jula ihn an. Und schweigend, in beginnendem Ermüden, baut sie die Bretterbrücke durch das Schilf.
Die Moorstraße war schon nahe. Deutlich hörte man das Schreien der Leute. Aber in dem hohen Röhricht und unter dieser dicken Wolke der in der Sonne schwärmenden Moosschnaken sah man nicht weit.
Und überall im Schilf die lärmenden, lachenden Menschen. Sie machten dem Malimmes das Brückenbauen mit den Brettern nach und fischten noch an die zwanzig von den eisernen Karpfen heraus. Wie viele hinunter gesunken waren in die schwarze Ewigkeit, das wußte man nicht.
Als das Röhricht dünner wurde und der Boden fester, ließ Malimmes die Last, die er trug, auf das Brett heruntergleiten. »Herr Someiner? Könnet Ihr stehen?«
Lampert hatte die Augen offen. Mühsam straffte er die von allem Grauen dieses Tages zerbrochenen Glieder. Er nickte. Und sah die Jula an, immer die Jula. Matt umklammerte er die Hand des Malimmes. »Ich danke dir.«
»Braucht’s nit, Herr! Heut ist Zahltag für das Rappenholz von Berchtesgaden. Und für das Ingolstädter Rössel. Das müßt Ihr jetzt wieder reiten. Es ist mit dem Falben zusammengewöhnt. Was sich lieb hat, därf man nit auseinandreißen.« Malimmes lachte. »Wie, Maidl, komm her da! Tu deinen Herren schön in der Höh halten. Sonst fallt er um. Wie ihr ausschaut, ihr zwei, so laß ich euch nit hinaus. Ich mag nit, daß die Leut spotten, wenn so ein feines Paar daherkommt. Erst muß ich euch ein lützel säubern.« Weil Jula nicht kommen wollte, ließ er den schwarzen, lächelnden Träumer allein auf dem Brette stehen. Da kam sie erschrocken gesprungen und griff mit beiden Armen zu. Und Malimmes hopste davon. Gleich kam er wieder, mit einem Mantel und einem Eisenhut.
Jula hielt die Arme um den taumeligen Mann geklammert, sah ihn aber nicht an, sah immer gegen die Moorstraße hin, auf der die vielen Leute lärmten. »Der Vater? Wo ist denn der Vater?«
»Ich weiß nit, Maidl! Aber da mußt du nit Sorg haben.« Malimmes sagte, was er selber glaubte. »Aus dem Treffen ist er aufrecht und lebendig heraus. Derzeit hab ich ihn nimmer gesehen.« Unter den Toten und Verwundeten, die man zusammentrug, hatte er den Bauer nicht gefunden. »Ein Schub von adligen Herren, die man gefangen hat, ist nach Landshut abgegangen. Kann sein, da hat ihn der Seipelstorfer als Geleitsmann mitgeschickt. Mußt nit Angst haben! Komm, jetzt laß dich sauber machen — wie du sein mußt — heut —«
Er füllte den Eisenhut mit Wasser und goß es über Julas Schultern hinunter, um ihr den Moorschlamm von den Gliedern zu spülen. Den zweiten Guß bekam der Ritter Someiner. Dann Jula wieder einen. Guß um Guß. Malimmes teilte redlich. Und als die beiden auf dem schmalen Brett sich schauernd aneinander preßten, schöpfte er immer flinker und goß so reichlich, daß an den Triefenden bald keine Spur von Moorschlamm mehr zu entdecken war. »Gelt, ja?« Er lachte wild. »Das ist gut für euch zwei, ein lützel kalt Wasser!« Dann wurde er ernst. Und seine Hände zitterten, als er den Mantel um Julas Körper hüllte. »Nimm! Da draußen sind Leut. Ich mag nit, daß die Grasaffen dich anschauen.« Ein Zug von Schmerz erschien in seinem braunen, hageren Gesicht, dessen große Narbe so weiß wurde wie ein Kreidestrich. Und da fand er sein Lachen wieder und stülpte lustig den Eisenhut über Julas Kopf. »So! Du Kriegsmann! Laß nur dein feines Raubgut nimmer aus!«
Lachend watete er den beiden voraus dem festen Boden entgegen.
9
Der Sonntagabend von St. Matthäi brannte mit allem Farbenzauber der Moorluft über dem trunkenen Lager, das erfüllt war von einem johlenden Gewühl. Hunderte von Bauersleuten waren aus den nahen Dörfern herbeigelaufen. Unternehmungslustige Wirte kamen mit großen Karren angefahren und verzapften Bier, Branntwein und gesüßten Roten. Fiedler und Blatterpfeifer spielten auf, und die Heertrödler handelten den Kriegsleuten die Beute ab. Von den Fußknechten des Ingolstädters, die man gefangen, entwaffnet und gegen Schwur auf Urfehde entlassen hatte, war die Hälfte geblieben, um sich mit den Siegern anzubrüdern und bei leeren Hosensäcken zu einem Trunk und Bissen zu kommen. Und die zahlreichen Lagerdirnen des Ingolstädtischen Trosses hatten sich, den Wechsel des Lebens klug erfassend, zu Herzog Heinrichs beutereichem Heer geschlagen; eins von ihren großen Huschelzelten stand mit Pfeifenklang und Gelächter nicht weit von dem Wiesenfleck, auf dem in langen, stillen Reihen die Kaltgewordenen lagen, deren Bestattung man wegen des heiligen Sonntags auf den kommenden Morgen verschoben hatte.
Der Lärm in den Lagergassen, das Gequiekse der Musikanten, die brüllenden Liederklänge, das Gelächter und Aufkreischen der Weiber und das emsige Dullenklopfen eitler oder gewissenhafter Kriegsleute — das alles schwoll zu einem Brummton ineinander wie von einer schwingenden Riesensaite.
Inmitten des in Tollheit schwärmenden Menschenhaufens stand ein stilles Zelt mit geschlossenen Tüchern. Malimmes hatte dieses Leindwandhaus einem Landshuter Söldner abgehandelt, dessen Beute es geworden war. Als Jula den erschöpften, taumelnden Mann da hereinführte, wurde Lampert von einer grauenvollen, an seinen letzten Kräften reißenden Erschütterung befallen. Es war das Hauptmannszelt, in welchem Herzog Ludwig die müde Rast dieser mörderischen Nacht gehalten hatte. Die erloschene Kienfackel stak noch im Eisenring, im Winkel war noch die schlammige Pferdekotze, auf der die beiden Hunde gelegen, und daneben das grobe Deckenlager, niedergedrückt und zerwühlt von einem schweren Körper, der sich hin und her gewälzt hatte in unruhigem Schlaf.
Beim Anblick des leeren Lagers riß sich Lampert von Julas Händen los, griff mit suchenden Fäusten ins Leere und schrie: »Ein Roß — nach München — ich muß nach München —«
Malimmes mußte den besinnungslos zu Boden Taumelnden auffangen und auf das Lager heben.
»Hilf ihm! Hilf ihm!« bettelte Jula in Sorge.
»Eins nach dem andern«, sagte Malimmes, »fliegen kann ich nit.« Er holte dürres Holz und Reisig, schlug Funken und schürte ein kleines Feuer an, dessen Rauch durch die Zeltgabel hinausquirlte. »Da tu dich trücknen, Maidl! Sonst mußt du morgen dein Glück mit Niesen und Husterei beginnen. Was ihr sonst noch nötig habt, ihr zwei, das treib ich schon auf.«
Als er gehen wollte, umklammerte Jula seinen Arm.
Er sagte ruhig: »Laß aus! Heut tu ich den letzten Dienst als meines Bauren redlicher Knecht. Der Krieg ist aus. Ich muß auch was haben. Morgen reit ich nach Regensburg. Da geht mein freies, lustiges Leben an.« Das heitere Lachen, das er bei diesem letzten Wort versuchte, gelang ihm nicht.
Stumm, mit nassen Augen, sah Jula ihm nach, als er davonging.
Er brachte Wasser in zwei Tränkeimern, brachte Leinwand und Wäsche, Zehrung, Brot, Geschirr und Löffel, einen zinnernen Becher und einen Krug mit Wein, Gewürz und Honig; er brachte nach seinem erprobten Augenmaße Kleider, Mäntel, Wehrstücke, Waffen, brachte alles, was man braucht zu einer Reise durch unsicheres Land. Wie ein Zaubermeister war er. Und wenn ihm einer nicht gutwillig geben wollte, redete Malimmes mit seiner Faust. Um alles herzu schaffen, tat er Dinge, für die ein strenger Profos ihn zu Stock und Bank, vielleicht zum Galgen gesprochen hätte. »So! Da liegt, was nötig ist!« Während seine schwer atmende Brust sich hob, betrachtete er prüfend den jungen Someiner, der auf Herzog Ludwigs letztem Kriegsbett in einem bleischweren Schlafe seiner Erschöpfung lag. Ohne Jula anzusehen, murrte Malimmes: »Ein Stündl darfst du ihn schlafen lassen. Nit länger. Sonst kreißtet er morgen wie ein Mühsamer. Wenn er sich rührt einmal, da mußt du ihn wecken. Und nachher hilfst ihm. Hast es ja gelernt von mir.« Unter dem Zeltspalt sagte er noch: »Ich geh derweil und hol dir den kostbaren Gaul noch aus der Schmier. Es müßt mir leid sein, wenn du von deinen Sachen was mängeln tatst.«
Draußen blieb er stehen und preßte den Arm über die Augen. »Gotts Teufel und Not! Was ist ein verliebter Mensch für ein haariger Ochs! Die siebzehn, die auf dem Hängmoos hätten grasen sollen, sind nackete Mäus dagegen!«
Der leuchtende Abend drohte schon seine schönsten Farben zu verlieren, und die Frösche sangen. Im Lärm des Lagers hörte man das Lied der Sümpfe nicht. Aber draußen auf der Moorstraße — als Malimmes mit drei Verwegenen, die ihm helfen wollten, die fliegende Brücke mit vier Brettern baute — war das Unken der Kröten und Frösche wie ein Glockenton in der Luft.
Der Pongauer, den man als schwarzes Figürchen gegen den gelben Himmel sah, graste ganz gemütlich auf seiner verläßlichen Insel.
»Freilich! Der weiß, daß ein Ochs um seintwegen in die schwarze Supp springen muß!«
Das wurde eine schauerliche Arbeit. Malimmes, zwischen seinen grimmigen Flüchen, brüllte immer: »Es hilft dir nichts! Heraus mußt du!« Und als die drei Verwegenen mutlos wurden und den Malimmes im Stiche ließen, brachte er den Gaul allein heraus. Während er das keuchende Tier durch das letzte Röhricht zerrte, begann die Nacht zu sinken, und die Sterne funkelten. Wie er Jula und Lampert gesäubert hatte, so machte er auch den Pongauer blank. An den eigenen Kleidern ließ er den Sumpfschlamm hängen. Und den linken Arm bewegte er ein bißchen langsam; der Gaul hatte ihn geschlagen.
Hinter dem Hauptmannszelte wurde der Pongauer angepflöckt. Dann schickte Malimmes einen davon, um den Falben von der Zeltstätte des kranken Herzogs herunterzuholen. »Und frag den Hauptmann, wohin man den Runotter verschickt hat.« Er selber holte den eigenen Gaul und pflöckte ihn neben den Pongauer.
Dann saß er in der sternhellen Nacht neben den beiden Rossen auf der Erde und hielt den Kopf zwischen die Arme gewühlt. Er wollte die linde, zärtlich klingende Knabenstimme nicht hören, die im Zelte redete. Und dennoch mußte er lauschen und diesen Klang in seine Seele trinken. Deutlich hörte er, wie die Stimme sagte: »Paß auf jetzt! Ein lützel weh wird’s tun. Aber das mußt du aushalten. Es hilft. So hat der Malimmes auf dem Schwarzeneck meinem Vater geholfen!«
Der Lauschende knirschte durch die Zähne. »Guck! Mit meinen eigenen Wörtlen redet sie.«
Er hörte die drei Streiche der Handschneide; dann die Stimme der Jula: »Jetzt mußt du ein paar feste Schritt machen! ... Gelt? Viel besser geht’s?«
Ein leises, frohes Lachen, nur ein bißchen heiser: »Ich schau dir in die Augen und bin gesund.« Lange war kein Laut mehr zu hören. Nun die gleiche Stimme: »Warum wirst du immer stumm, wenn ich rede?«
»Weil mir deine kranke Stimm so weh tut. Und weil sie mir so lieb ist.«
Malimmes rannte in die sternhelle Nacht hinaus, die sich von den Moorflächen her mit dünnen Nebeln zu füllen begann.
Im Lager war es ruhig geworden. Viele hatten sich schon auf den Heimweg gemacht. Und viele, die müd oder betrunken waren, schliefen schon. Nur vor den Wirtsbuden gröhlten die noch immer Durstigen, und aus den Huschelzelten wirbelte die tolle Heiterkeit, der Fiedelklang und das Pfeifengetriller zu den halb verschleierten Sternen hinauf.
Wie angesteckt von dieser Lustigkeit schrie Malimmes plötzlich einen wilden Jauchzer in die Nacht. Dann sang er vor sich hin:
»Ich leb, weiß nit, wie lang,
Ja leb, wie lang?
Ich sterb und weiß nit, wann,
Ja sterb, und wann?
Ich reit, weiß nit, wohin,
Wohin?
Weiß nit, warum ich so fröhlich bin.«
Ohne daß er es wollte, war er wieder dem Hauptmannszelte zugegangen und saß neben den zwei Gäulen wieder auf der Erde, mit der Stirne zwischen den Fäusten. Und hörte die Stimme des jungen Someiner, der immer redete, heiß und drängend:
»Jula, das muß ich tun. Ich muß nach München. Noch heut in der Nacht, in dieser Stunde, jetzt. Leben und Freiheit, die ich dir und deinem Mut verdanke, will ich nützen für den Pursten, dem ich diene. Sein Elend hebt nicht auf, was er in meine Hand gegeben. Ich muß. Mein Weg nach München in dieser Nacht ist nötiger, als er’s am Morgen war. Ich reite. Dich lasse ich nicht im Lager. Wir gehören zueinander. Komm! Von München schicke ich dich heim zu meiner Mutter. Willst du? — — Jula? Willst du? So rede doch!«
Ein Schweigen.
Und Malimmes wußte, daß Jula um ihres Vaters willen den Kopf geschüttelt hatte.
Lampert fing wieder zu reden an. Er bat. Dann wurde seine Stimme streng. Aber das hörte Malimmes nimmer; er hatte den Hufschlag eines Gaules vernommen und sprang dem Gesellen entgegen, der den Falben brachte. »Hast du droben gefragt? Wo ist er?«
»Keiner weiß was. Beim Geleit der Landshuter ist er nit. Ich hab den Kuen gefragt und den Seipelstorfer —«
»Schweig! Vergelt’s Gott, Mensch! Und geh!«
Unbeweglich stand Malimmes in der Nacht, mit dem Zügel des Falben in der Hand. Eine Sorge war ihm kalt durch das Herz geronnen. Aber was er fürchtete, das mußte nicht so sein. Unter Tausenden von Menschen verlauft sich einer leicht. Nur der Runotter nicht. Der weiß, wo er hin muß. Freilich, in solch einer Wirrnis kann es hundert mögliche Dinge geben, an die man nicht denkt. Aber das Ungewisse ist eine Pein, die härter als die Wahrheit ist. Darf dem lieben Mädel solch ein würgender Schatten über das junge Glück dieser Stunde fallen?
»Das tät der Bauer nit wollen. Und ich will’s auch nit.«
Malimmes pflöckte den Gaul neben den beiden Kameraden an. Der Ingolstädter und der Falbe waren gleich wieder mit den zärtlichen Ohren beieinander, und der Pongauer guckte bei diesem Gesellenspiel verwundert zu.
Im Gesicht eine steinerne Ruhe, schob Malimmes das Zelttuch beiseite. Unter dem Loderschein der Fackel standen die beiden und hielten sich an den Händen.
»So, Maidl! Jetzt hab ich eine verläßliche Botschaft. Es ist so, wie ich geraten hab. Der Seipelstorfer hat den Bauer mit dem Herrenschub nach Landshut und Burghausen geschickt. Von Burghausen muß er ins Gadnische, weil er mit dem Propst seinen Ramsauer Unfried auf gleich bringen will. Er laßt dich grüßen, sagt der Seipelstorfer. Und laßt dir sagen, du sollst eine Gelegenheit ins Gadnische suchen, wie bälder, wie besser. Mich hat er freigegeben. Der Krieg hat ein End. Ich reit nach Regensburg. Gott behüt dich!« Seine Stimme blieb wie Eisen. »Ist ein Jahr voll Grausen und doch eine schöne Gesellenzeit gewesen. Aber jeder Faden muß einen Zipfel haben. Ein Landl gibt’s, das man Heimat heißt.« Malimmes lachte. »Da sehen wir uns schon wieder einmal! Gott behüt dich, Maidl! Gottes Gruß, Herr Someiner!«
Er sah das Erblassen in Julas Gesicht und wandte sich ab und ging mit schweren Schritten davon. Draußen in der Nacht begann er zu rennen, wie ein Dieb, der den Profosen fürchtet. Er hörte noch diesen wehen, in Tränen erstickenden Schrei: »Malimmes, Malimmes —«
Springend keuchte er: »Schrei, wie du magst! Morgen lachst du!«
Neben der Moorstraße, die nach München führte und schon vom Nebel umhangen war, stand er zwischen dem Röhricht bis zu den Hüften im Sumpf. Und wartete.
Ein paar von den Feuerkröten, die auch in der Nacht nicht schweigen, sangen noch ihr eintöniges und dumpfes Lied.
Malimmes wartete.
Droben auf dem schwarzen Hügel, wo Dachau stand, schlug eine Glocke die zweite Morgenstunde.
Malimmes wartete.
Da kamen die beiden, in dunklen Mänteln, auf dem Falben und dem Pongauer.
Sie ritten im Nebel vorüber und verschwanden im Grau.
Einer, der aussah wie ein gebeugter Greis, stieg aus dem Moor heraus.
Noch immer horte man von vier oder fünf Stellen des Lagers her jene tolle Heiterkeit, den Fiedelklang und das Pfeifengetriller.
»Die haben’s gut!«
Malimmes ging hinüber zum Hauptmannszelt und trat in den leeren Raum. Allerlei Zeug war auf dem Deckenlager und auf der Erde. Die Kohlen glommen noch. Und die Fackel brannte.
Er nahm sie aus dem Eisenring und ging davon.
Da hörte er ein wildes Gewieher und sah, wie der Ingolstädter aufgeregt an der Pflockleine zerrte und wütend ausschlug. »Ui, guck! Einer, der nit einschichtig bleiben mag!« Malimmes löste die Leine, gab dem ungebärdigen Gaul einen zärtlichen Schlag auf den Hinterbacken und ließ ihn laufen. »In Gottesnamen! So renn halt deinem Gesellen nach, den du nit missen kannst!«
Der Gaul, mit gestrecktem Hals und wehendem Mähnenhaar, stob in die neblige Nacht hinaus.
Malimmes wanderte mit der Fackel durch das Lager — an einem der Huschelzelte vorüber, in dem es lebhaft zuging — und stieg durch den Wald zu der Höhe hinauf, wo Herzog Heinrich in den glühenden Zangen seines Fiebers lag.
Der steile Weg war schon halb überwunden. Da blieb Malimmes plötzlich stehen, hob die Fackel und lauschte in den Wald hinein. Ihm war, als hätte er den Laut einer menschlichen Stimme gehört. »Höia! Was ist denn da?« Er hörte das müde Stöhnen wieder und sprang der Richtung zu, aus der es kam.
Zwischen den Wurzeln eines dicken Baumes hockte einer und sah aus wie ein plumper Hügel aus rotbraunem Eisen mit einem Menschenkopf, um den die weißen Haarsträhnen hingen.