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Kitabı oku: «Der Ochsenkrieg», sayfa 35

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Auf dem großen Anger vor dem Ostentore lagerte dieses graue Heer des Elends und der Sehnsucht, des stumpfen Grames und der seufzenden Erschöpfung, des suchenden Lasters und eines quirlenden Leichtsinns, der alle Not und Trauer betäubte mit lachendem Schrei.

Während die von Süden ankommenden Fürstlichkeiten durch Gepanzerte des städtischen Heeres empfangen und in die Stadt geleitet wurden, irrten ruhelose Scharen der ausgesperrten Volksmenge an den Wällen und Mauern entlang, kamen zum Ufer der Donau und kehrten zurück zum Ostenanger. Mit jeder Minute vermehrte sich das graue Heer durch neue Zuzüge von allen Landstraßen. Die vom Stadtrat aufgestellten Zehrbuden, Brothütten und Schankzelte konnten den Hunger der vielen Tausende nicht stillen, wurden geplündert und niedergerissen. Das Gelärme der Ungeduldigen schmolz zusammen mit dem festlichen Dröhnen der Kammerbüchsen und dem Freudengeläut der städtischen Glocken. Und plötzlich brauste über den wimmelnden Aufruhr ein wilder, tausendstimmiger Schrei erneuter Hoffnung hin: »Der König kommt! Der Kaiser ist da!«

Das tosende Gewühl begann sich vorwärts zu schieben, gegen das Ufer der Donau hinunter. Tolle Neugier und leidende Sehnsucht keilten sich gegeneinander. Die Ellenbogen wühlten, und die Fäuste droschen. Schwachgewordene wurden niedergestoßen: und zertreten. Und weil den Ausgesperrten auch der Zugang zur Steinernen Brücke verwehrt blieb, rissen sie bei den Fischerhäusern die Kähne und Fähren los, um die Donau zu übersetzen, und dem deutschen König entgegenzuziehen; an die dick mit Menschen gefüllten Boote klammerten sich noch Dutzende an und ließen sich von den abwärtstreibenden Schiffen durch das Wasser schleifen; und wenn eine ermattete Faust die Finger öffnen mußte und ein Mensch in den schießenden Wellen versank, so war’s für die anderen, wie wenn im herbstlichen Wald ein welkes Blatt zwischen Moos und Stein verschwindet.

Hunderte kamen über den Strom, und viele Tausende füllten dichtgedrängt die schmale Schiffslände zwischen dem Fuß der Stadtmauer und dem Ufer der Donau. Über dem Strome drüben und hinter der befestigten Vorstadt ›Am Hofe‹ sahen sie auf den falben Wiesenhügeln, über welche die Nürnberger Straße herunterkam, das feine Funkeln und Farbenleuchten des Königszuges, der seiner Einholung wartete. Und während auf der Steinernen Brücke, deren Türme und Türmchen von bunten Tüchern flatterten, die festliche Menge der Städter mit Standarten und Fahnen, mit zwei purpurnen Traghimmeln, mit Zinkengeschmetter und Pfeifenklängen dem König entgegenzog, streckten auf der Schiffslände die vielen Tausende des zugewanderten, eng zusammengepferchten Volkes in gläubiger Hoffnung jenem fernen Königsgeglitzer die Arme entgegen und schrien immer wieder mit rauh gewordenen Stimmen: »Der König ist kommen, der Kaiser ist da!« Die Worte verstand man nicht. Doch flehende Sehnsucht war in dem wogenden Gebrüll. Es klang, wie wenn eine riesige Wallfahrtsmenge von Leidenden, Verzweifelten und Besessenen litaneit:

»Allmächtiger, erhöre uns! Allmächtiger, beschütze uns! Allmächtiger, erlöse uns von allem Übel!«

10

In den großen Zelten, die auf der Wiesenhöhe der Nürnberger Straße für das Königspaar und sein Gefolge errichtet standen, hatten Herr Sigismund und Frau Barbara die verstaubten Reisekleider abgelegt und für den Einzug in Regensburg sich angetan mit dem Schmuck der Herrscherwürde.

Während die Königin, die immer geraumer Zeit bedurfte, um sich schön zu machen, noch vor dem silbernen Reisespiegel saß, hatte der König schon das Zelt verlassen und stand in der milden Sonne. Noch trug er die Krone nicht. Doch seine hohe Gestalt, in der sich Majestät und Anmut paarten, war schon umflossen von den starren Falten des schwer mit Gold bestickten und mit Hermelin verbrämten Purpurmantels. Darunter schimmerte der lange, bis zum Gürtel geschlitzte Reitrock von mattgrüner, mit Perlenblumen benähter Seide. An den Füßen glitzerten die goldgespornten Schnabelschuhe; und die großen, bunten Emailglieder des Gürtels trugen das breite Schwert, an dessen Knauf ein grüner Smaragd von der Größe einer Welschnuß funkelte — ein Stück geschliffenen Glases — den echten kostbaren Schwertstein hatte Herr Sigismund zu Nürnberg verpfänden müssen, um Geld für die Regensburger Reise zu beschaffen. Dieses Geld war auch schon wieder ausgegeben, war auf der langen Reisestrecke in die flehenden Hände des verarmten Volkes geflossen, das überall in hoffendem Glauben die Straße des schönen, hilfreichen Königs belagert hatte. Er kam zu seiner treuen Reichsstadt Regensburg mit einer Tasche, die so leer war wie ein junges Grab, aus dem der Schaufelmann soeben herausgestiegen.

Von den widerlichen Sorgen, die seine häusliche Wirtschaft bedrückten, war in seinen hellen, heiteren Augen kein Schatten zu gewahren. Er schwatzte munter und stand unter dem reinen Himmel wie ein menschgewordener Sonnenstrahl. Das kurzgelockte Braunhaar des Vierundfünfzigjährigen war noch ohne grauen Faden. Ein sorgsam gepflegter, in zwei Spitzen geteilter Vollbart mit lichterem, hübsch geschwungenem Schnauzer umrahmte das längliche, edelgeformte Gesicht, das frische, gesunde Farben hatte. Doch rings um die frohen Augen waren viele feingerissene Faltenzüge; sie erzählten von Blutstürmen und von Dingen, die nach Meinung der Frommen vor Gott kein Wohlgefallen finden. Wer nicht dicht vor dem König stand, sah diese Runenschrift eines wild durchrüttelten Lebens nimmer, sah nur den fürstlichen Kopf, diese herrliche, anmutsvoll bewegte Mannesgestalt, diesen König von unverwüstlicher Jugend und Schönheit, dem die Herzen des Volkes entgegenjubelten, wenn er lächelte und freundlich grüßte.

Neben ihm stand der päpstliche Legat Branda in scharlachfarbener Kardinalstracht mit einem wie aus Marmor geschnittenem Greisenkopf. Den beiden las der junge Kanzler Schlick eine Botschaft vor, die aus München gekommen war. Der Bote, der sie gebracht hatte — Lampert Someiner —, stand bei den Herren des Hofes, grau verstaubt nach einem jagenden Ritt, in den Augen ein ruhiges Leuchten.

Während der Kanzler mit halblauter Stimme las, wurde ein Imbiß eingenommen. Wie beim Mahl auf einer Falkenbeize stand man zwischen angepflöckten Rossen oder saß auf Wiesenbuckeln und aß aus kleinen, billigen Zinnschüsseln. Das goldene Reisegeschirr der Majestät war zu Nürnberg bei dem großen Schwertsmaragd zurückgeblieben.

Der König hörte die Botschaft, die da gelesen wurde, mit Lächeln an. Eine leichte Röte auf seiner Stirn verriet den Zorn, den er stumm bezwang. Der Kardinal erregte sich: »Die Fürsten zu München sind begabt mit versöhnlichen Seelen. Sie verzeihen dem Ingolstädter flink. Rom wird zögern müssen mit seiner Güte.«

»Wie immer!« Herr Sigismund sah zu einer Herrengruppe hinüber, die den zwerghaften, großköpfigen Narren des Königs umstand und in schallendes Gelächter ausgebrochen war. »Was ist da drüben? Laßt euren sorgenvollen Herrscher mitlachen!«

Einer kam: »Wir sprachen von heißblütigen Frauen. Da sagte der Narr: In den Leib jener Frauen, die als Liebende unersättlich sind, müßte von ungefähr ein Pantherhaar geraten sein, das sich nimmer entfernt und ruhelos kitzelt.«

Die Majestät wurde verdrießlich. »Unser Narr kennt die Frauen, wie der Neid die Freude.« Und in böhmischer Sprache, die der Kardinal nicht verstand, sagte Sigismund seufzend zum Kanzler: »Wenn der Wirrsinn des Narren Wahrheit wäre, müßte unsere Königin einen ganzen Panther verschluckt haben.«

Da griffen plötzlich viele Herren nach ihren Waffen. Hinter dem Lagerplatz jagte auf der Nürnberger Straße eine dicke Staubwolke heran. Als man die Reiter und zwei braun und weiß gefleckte Hunde erkennen konnte, flüsterte Schlick: »Der Ingolstädter, mit dem Pienzenauer und Törring.«

Stumm, in aufbrennendem Zorne, wandte sich der König und trat so hastig ins Zelt, daß sich der Purpurmantel wie eine schwere Fahne hinter ihm herbauschte. Der Kanzler ihm nach. Im Zelt schrie Herr Sigismund: »Ich will ihn nicht sehen. Er hat wider uns und das Reich gesündigt. Ich muß ihn von der Herrschaft stoßen.«

Da stand der zwerghafte, großköpfige Narr bei ihm, zupfte am Mantel des Königs und pisperte mit seinem Kastratenstimmchen: »Vetter, überschrei dir die Lunge nicht! Sonst wirst du zu Regensburg vor den schönen Frauen husten müssen, statt daß du gewinnend redest.«

Diese Stimme floß wie Öl auf den Zorn des Herrschers. Ratlos sagte er zu Schlick: »Was soll ich tun?«

Lächelnd flüsterte der junge Rat: »Eine gütige Strenge wählen, die für heute zu nichts verpflichtet. Und warten, bis Vetter Heinrich sprach. Der Schatzturm von Burghausen hat eine Stimme, auf die man in knappen Zeitläuften hören muß.«

Alles Redliche in Sigismund wallte auf. »Schlick! Das ist ein Grauenvolles an meinem Leben. Immer will ich das Gute und Gerechte und muß es biegen und beschmutzen —«

»Warum?« piepste der Zwerg. »Weil wir sonst den Schneid der, Schuster und Bäcker nicht bezahlen können.«

»Schweige, Narr! Deine Spaße lügen. Den König belügen alle. Vor dreißig Jahren hat mir einer, den ich vom Schwert zum Leben begnaden wollte, ins Gesicht gerufen: ›Ich nehme nichts geschenkt von dir, du böhmisches Schwein!‹ Und hat seinen Kopf auf den Block gelegt. Seit damals hat mir keiner mehr die Wahrheit gesagt! — Nur einer. Wo ist er? Narr! Hole mir den Fritz!«

Das großköpfige Männlein zappelte davon. Dann trat mit ihm ein kraftvoller Mann von fünfzig Jahren in das Zelt, schwer und schmucklos gepanzert, ohne Helm, mit dem roten Adler zwischen den schwarzweißen Gevierten des Waffenrockes. Der Kopf hatte in der Art des Braunhaares und des geteilten Vollbartes eine leichte Ähnlichkeit mit der Majestät, doch das sonnverbrannte Gesicht war gröber, fester und ruhiger; dazu ein Mund, der gerne und kräftig lachte, und kluge, graublaue Augen wie blanker Stahl — Friedrich von Zollern, der Burggraf von Nürnberg, der neue Herr der Brandenburger Mark.

In Erregung fragte der König: »Weißt du, wer kommt?«

»Er ist schon da.« Der Markgraf lachte. Er redete laut und rasch. »Rom setzt ihn bereits auf glühende Kohlen und röstet ihm das christliche Fundament. Ich besorge, man wird ihn um mancher Sünde willen brennen, die er nicht beging.«

»Hinter deinen Worten ist Erbarmen. Bist du nicht sein Feind?«

»Ich? Nein! Ich keines Mannes Feind. Schlägt einer her, so schlag ich hin, um ein gut Teil gröber als der andere. Kann er sich vertragen, so bin ich friedsam. Oheim Ludwig ist ein Baum mit Ästen, die gut sind. Die maßlos aufgeschossenen sind ihm gestutzt worden. Jetzt mögen die gesunden treiben. Das sollte die Majestät in Güte fördern.«

»Du weißt nicht, was bei München geschehen ist. Schlick! Gib ihm das Blatt zu lesen!«

Der Markgraf nahm das Pergament. Als er las, bedeckte sich seine Stirn mit harten Falten. »Ein garstiges Ding! Macht Waffenruhe mit mir, vertrödelt den wohlgemeinten Friedenshandel mit Landshut und nützt die unbedrängten Ellenbogen, um ruhige Leute zu puffen. Die gesunden Hiebe von Alling vergönn ich ihm. Das Leben hat heitere Gerechtigkeiten. Ich merke, daß er mich täuschte. Aber das haben die Münchener wettgemacht. Das friedsame Wort, das ich ihm sagte, soll gelten.«

»Lies weiter! Da wirst du von deinem Schwager Heinrich hören. Der Kleine hat wieder flinke Arbeit getan. Und sein treues Glück ist mit ihm gelaufen.«

»So?« Der Markgraf schien das gerne zu vernehmen. Doch als er weiterlas, fuhr ihm eine dunkle Blutwelle ins Gesicht. Die Lippen vorschiebend, faltete er das Pergament zusammen, bot es dem Kanzler hin und schwieg.

»Rede!« mahnte der König ungeduldig.

»Das fällt mir schwer. Der eine täuschte mich, der andere tat’s noch übler. Man muß da immer wieder lernen, von neuem zu glauben. Die Majestät möchte mich eines Ratschlages entbinden! Den einen will ich nicht tiefer hinunterstoßen, als er fiel. Und ich kann nicht reden wider den Bruder meines Weibes, das mir eine tapfere Hausfrau ist und mich beschenkte mit dem Besten des Lebens, mit gesunden Jungen.«

Sigismund, der ohne Sohn war und dieses Wort mit Mißvergnügen gehört hatte, rief ärgerlich: »Versagst du auch? Was soll ich tun?«

Hinter dem Rücken der Majestät guckte der Kanzler mit verständlicher Trauer in seine Gürteltasche.

»Ach so?« Für den Markgrafen schien die Stunde plötzlich an Ernst verloren zu haben. Er nickte. »Freilich, der Fink muß Hanf haben, wenn er nicht unschön pfeifen soll. An schöne Lieder bei Darbenden glaub ich nicht.«

»Was soll ich tun?« wiederholte der König gereizt, während man vor dem Zelt einen heftigen Wortwechsel zwischen dem Kardinal Branda und Herzog Ludwig vernahm. »Was soll ich tun?«

»Was kein Verständiger schelten darf. Geld kann man von den Juden borgen. Wenn’s nicht billiger geht, um hohen Zins. Man braucht sie drum nicht zu verbrennen. Man kann sie auch bezahlen. Das ist minder schmerzhaft. Ich will gutstehen. Und der Fink kann pfeifen, wie er soll.«

»Gutstehen?« fragte Sigismund freundlicher. »Selber geben kannst du nicht?«

»Nicht jetzt. Die Majestät möge verzeihen. Ich bin erschöpft.«

»Du schüttest zu viel in den Sand deiner Mark.«

»Ohne Samen kein Weizen.«

Der König lächelte auf eine Art, die dem Markgrafen zu mißfallen schien. »So muß ich schauen, wo Samen sich findet.«

Vor dem Zelt die erregte Stimme des Kardinals: »Um Euretwillen wurde Glockenläuten, Gesang und Gottesdienst zerschlagen.«

Dann die zornbebende Stimme des Ingolstädters: »Warum sperrt Ihr um meinetwillen die Kirchen? Laßt sie offen für die anderen! Dann könnt Ihr läuten, singen und Messe lesen nach Herzenslust. Belagert nicht meinen Weg! Ich will zum König. Wozu das Reich, wozu der Herrscher, wenn die beiden sich verschließen vor der Not eines Deutschen?«

Im Zelt sagte Sigismund heiter: »Oh? Wo bleibt Paris? Mein Land ist reicher geworden um einen deutschen Mann.«

Da stürmte Herzog Ludwig in das Zelt, mit Staub bedeckt, das Gesicht von Gram zerstört, in den Augen den zerbrochenen Stolz. Schweigend biß er die Zähne übereinander und beugte das Knie.

Die Majestät trat zurück, blieb stumm und streckte abwehrend, mit einer anmutsvollen Geste, die schönen Hände vor sich hin.

Herzog Ludwig drückte den starren Nacken noch tiefer hinunter und harrte zitternd auf ein gütiges Wort. Weil es nicht kommen wollte, erbarmte sich der Markgraf dieses Gebeugten, wollte ihm mit einem freundlichen Scherz über den bösen Augenblick hinüberhelfen und sagte freundlich: »Oheim? Ihr habt keine gute Farbe. Seid Ihr ein so strenger Christ, daß Ihr im Übermaße fastet?«

Die gute Absicht dieses Scherzes mißverstehend, fuhr Herzog Ludwig vom Boden auf, mit brennender Stirne, mit Trauer und erneutem Haß in den Augen. »Willst du mich höhnen? Du? Der verschlang, was in meines großen Ahnherren goldenem Kessel gekocht wurde für Witteisbach?«

»So ist es nicht. Aber wenn es so wäre, könnt ich nicht leugnen, daß es mir mundet.«

Noch heißer gereizt durch diese lächelnde Ruhe, wandte sich der Herzog an die Majestät. »König! Leidende haben ein helles Gesicht. Laß dich warnen vor diesem allzu Gesunden. Er wird dir die deutsche Krone nehmen, wie er meinem Hause die Mark genommen.«

»Die gab ich ihm doch. Als Dank für redliche Dienste.«

»Laß dich warnen!« Die Stimme des Herzogs war rauh von Zorn. »Seine Federn sind schwarz und weiß wie die der Elster. Was eine richtige Elster ist, die läßt ihr Hüpfen nicht.«

Herr Sigismund lachte heiter. Dennoch war es ihm anzumerken, daß diese Warnung bei seinem leicht erregbaren Mißtrauen ihr Ziel nicht völlig verfehlt hatte.

Des Königs achtete der Markgraf in diesem Augenblick nicht. Er sah nur den von Zorn und Leid durchwühlten Herzog an und sagte ernst: »Leidende haben kein helles Gesicht, sie haben verschleierte Sinne. Dieses Wissen versöhnt mit ihnen. Ihr seid ein vergrämter Vogel, Oheim! Man merkt es an Eurem verstimmten Gesang. Ich habe schon bessere Lieder von Euch vernommen. Seht zu, daß Eure Kehle sich bald wieder bessern möge.« Er neigte sich vor der Majestät und ging im Geklirr seines schweren Panzers aus dem Zelt.

Die Augen des Königs, die ihm folgten, hatten eine unmutigen Blick. Dann sagte er zu Herzog Ludwig mit jener gütigen Strenge, deren Ton er glücklich zu treffen wußte: »Oheim, du bist ein männlicher Fürst. Auch warst du ein Mächtiger an Barschaft. Das haben Wir zu Unseren Gunsten oft erfahren. Wir schulden dir viel. Des wollen Wir gedenk bleiben. Aber dir ist es ergangen, wie es allen ergeht, die mehr Vertrauen in sich selbst haben als in Gott.«

Während immer das ferne Glockenläuten summte und das Zinkengeschmetter des festlichen Zuges näher und näher tönte, zwang Herr Ludwig die Worte heraus: »Was ich habe, will ich geben. Jetzt bin ich arm. Reichtum wird wiederkommen. Die Majestät verspreche mir nur, mich ungeschädigt bei meiner ererbten Herrschaft zu halten. Was ich erbitte, ist mein fürstliches Recht.«

»Der Schuldige muß empfangen, was ihm zugesprochen wird, um christlicher Güte willen. Du bist besiegt durch die Kraft der anderen und durch die eigene Torheit.«

Das Gesicht des Herzogs entstellte sich. »Mich besiegte einer, den ich nicht nenne. Man kann einen Menschen beugen. Sein Recht bleibt stehen. Ich fordere mein Recht.«

»Wer fordert und nicht die Macht hat, seinen Willen durchzusetzen, ist ein Narr.« Bei diesem Worte nahm die heiter gewordene Majestät dem Herzog die pelzverbrämte Mütze vom Kopf und setzte ihm die Schellenkappe der Narren auf.

Herr Ludwig stand unbeweglich.

Draußen erscholl ein süßer, lieblicher Gesang von tausend Kinderstimmen.

»Wir werden entscheiden im Rat der Fürsten!« sagte Sigismund. »Unsere treuen Regensburger kommen.« Er wandte sich. »Meine Krone?«

Unter spöttischem Grinsen brachte der Zwerg das von edlen Steinen funkelnde Königsgeschmeid: »Nimm, barmherziger Vetter, das ist deine Narrenkappe!«

»Meinst du, Wir hätten nicht den klugen Kopf, den sie verlangt?«

»Den hast du, leider! Du versäuerst mir mein hartes Brot, das wir zuweilen schuldig bleiben. Oft bist du witziger als ich.« Der Narr hörte das Rauschen eines seidenen Kleides und schmunzelte. »Die Funken deines Witzes erlöschen nur, wenn du Ehemann wirst. Und da kann ich meinen Witz nicht zeigen. Weil ich außerhalb des Türchens bleibe, hinter dem du klein und töricht wirst.«

Königin Barbara, die zweite Gemahlin der Majestät, trat aus der Zeltkammer, in milchblaue Seide gekleidet, die jede Form des schönen Körpers nachzeichnete. Funkelnd thronte das Krönlein über dem kupferroten Haar, und wie ein Glitzerhauch umfloß der silberne Schleier die reizvolle Gestalt. Eine Dreißigjährige, die einem jungfräulichen Mädchen glich, mit rosigen Wangen, mit schwellendem Mund und mit suchenden Schwarzaugen voll kindlicher Neugier.

Sigismund küßte sein Ehgemahl vorsichtig auf die Wange und sagte scherzend: »So schnell bereit?«

Die Narrenkappe fortschiebend, beugte Herzog Ludwig sich nieder. »Vor der Schönheit kniet man leichter als vor der Würde.« Freundlich hob ihn Frau Barbara auf und fing munter zu schwatzen an. Der Ingolstädter plauderte mit ihr, ritterlich und bilderreich, während sein entstelltes Gesicht wie Asche war.

Die Majestäten traten Hand in Hand aus dem Zelte. Brausender Jubel verschlang das Lied der Kinder, deren Schar mit den gelbgeblätterten Birkenzweigen in der Sonne wie ein goldenes Wäldchen war. Der König sah freundlich die vielen Kinder an und sagte: »Da wächst uns eine neue Welt.«

In weitem Ringe standen die Hochwürdigen, die Edelfesten und Ehrbaren der freien Stadt, die Zünfte mit ihren Fahnen, hinter ihnen die berittenen Söldner, die Fußknechte und Schützen, und dann das graue Volk.

Herzlich begrüßte der König den Fürstpropst Pienzenauer und den Kaspar Törring, die nicht sonderlich festlich aussahen.

Trompeten schmetterten, eine schwer atmende Stille lagerte sich in der Sonne, und während von der Stadt das Geläut der Glocken scholl, fing der Bürgermeister in Ehrfurcht zu reden an. Der König lauschte wohlwollend. Minder aufmerksam war die Königin, die in lächelnder Neugier die schmucken Geschlechtersöhne musterte. Zum Willkomm verehrte die Stadt der Majestät einen großen goldenen Kupf, der bis zum Rande gefüllt war mit rheinischen Dukaten; auch Frau Barbara, der Kanzler und der Narr bekamen Becher mit Geldgeschenken.

Nun bewegte sich der Zug mit Sang und Klang der Stadt entgegen. Immer segnete der päpstliche Legat das Volk; er ritt unter dem ersten Purpurhimmel.

Auf einem ungrischen Goldfuchs, dessen seidene Schabracke den Boden berührte, ritt die deutsche Majestät unter dem zweiten, kleineren Traghimmel; voraus schritten vier Edelknaben mit großen Gürteltaschen, aus denen sie neugeprägte Silberpfennige mit dem Bild des Königs in die Massen des jubelnden Volkes warfen. Hinter dem Herrscher, unter einem Pfauenfächer, ritt Königin Barbara auf einem Berberschimmel, der so zierlich war wie die schöne Frau in seinem Sattel. Dann kam die Schar der Fürsten und Herren, unter ihnen Herzog Ludwig mit entblößtem Haupt, zu jeder Seite seines abgehetzten Pferdes einer von den ruhig schreitenden Hunden; mit den lang herabhängenden Zungen und den mager gewordenen Leibern sahen sie aus wie lebendige Wappentiere. Und außerhalb der von Waffen starrenden Spaliere drängte sich eine graue, jubelnde Menschenmenge und raufte sich auf dem Boden um die Silberpfennige, die unter dem Purpurhimmel der Majestät herausflatterten.

Jetzt kam der Königszug zu dem Märchenbau der Steinernen Brücke. Ein wundervolles Bild: der mächtige, rauschende Strom und diese hochgeschwungenen, steinernen Bogen mit Toren und Türmchen, mit Fahnen, Kränzen und wirbelndem Bänderwerk; und drüben die feste, schöne Stadt, umflossen von goldener Sonne, mit den langen Mauerzügen, mit den von Menschen wimmelnden Wehrgängen und Basteien, mit den eng zusammengehuschelten Firsten und Türmen, die von bunten Tüchern umflattert, von Scharen der aufgescheuchten Dohlen und Tauben umflogen waren. Ein Dröhnen und Hallen, als wäre der ganze Himmel eine schwingende Glocke. Und jetzt — als der König auf der Höhe der Brücke für die da drüben sichtbar wurde — jetzt übertönte den klangvollen Lärm ein dumpfer, schwerer, den Himmel und die Erde erfüllender Laut wie der Ton einer Riesenorgel, wie das grauenvolle Stöhnen eines leidenden Ungeheuers: das sehnsüchtige Gebrüll der vierzigtausend Zugewanderten, die eng gepfercht zwischen Wasser und Mauer standen, in gläubiger Hoffnung immer »Kaiser! Kaiser! Kaiser!« schrien und die braunen, von grauen Lumpen umhangenen Hände hinauf streckten zum erwarteten Retter.

Das Gesicht des Königs entfärbte sich in tiefer Erschütterung. Er stammelte einen Namen; zwei von den Ordnern des Zuges liefen nach rückwärts und brachten den Fürstpropst Peter Pienzenauer. Herr Sigismund umklammerte den Arm des Propstes: »Siehst du das? Da drunten? Das arme Volk! Und ich kann nicht helfen. Rom und die Fürsten machen mich zu einer Puppe, die an Drähten zuckt. Ich möchte das Gute und Rechte. Doch die Kleinen sträuben sich. Sie sind wie Mäuse, die sich in der Falle sicher vor der Katze glauben.« Zorn und Erregung zerdrückten ihm die Stimme. »Peter! Reite heim nach Berchtesgaden! Und rüttle in deinem Untersberg den alten, schlafenden Kaiser wach!«

Die Wirkung des Bildes, das er gesehen hatte, blieb in ihm, als er durch das Brückentor zu Regensburg einritt und umjubelt wurde von der Bürgerschaft. Er hörte nicht das Freudengeschrei und sah nicht die mit weißen Tüchern aus allen Fenstern winkenden Frauen. Zerstreut betrachtete er, was er sonst sehr gerne zu sehen liebte: den Flötenreigen der in durchsichtige Schleier gekleideten Hübschlerinnen und geschuhten Wachteln, die man zu Regensburg ›die armen Töchter‹ nannte. Die schmucken Weibchen, die sehr heiter waren, sperrten mit einem Seil aus roter Seide und mit Rosengewinde die Straßen und luden den König in galanten Versen zu einem Fest in ihrer süßen Herberg. Immer nickte, dankte und lächelte er. Doch etwas Müdes und Steinernes war in der heiteren Schönheit seines Gesichtes. Immer schienen seine Augen nach einwärts zu schauen in die trauernde Herrscherseele.

Als er in der gewölbten Halle des Stadthauses von den zu Regensburg eingetroffenen Fürsten empfangen wurde, eilte er, alle höfische Regel mißachtend, auf den kleinen Herzog Heinrich zu, nahm ihn beiseite und flüsterte ihm heiß ins Ohr: »Oheim Landshut! Wir wollen dir alles verzeihen! Alles! Kannst du uns Geld geben? Viel Geld?« Seine Augen wurden fröhlich, als er von den dreißigtausend Dukaten hörte, die Herzog Heinrich schon in das Quartier der Majestät, in das alte Patrizierhaus der Gumprecht, hatte schaffen lassen. »Lieber Oheim!« Der König lachte. »Wir wollen dir danken. Morgen. Was Wir tun, ist verwerflich. Aber helfen ist von den Freuden des Lebens die schönste.«

Er befahl den Bürgermeister und die drei Almosenherren der Stadt zu sich. Noch in der gleichen Stunde sollte man aufkaufen, was in der Stadt an Zelten, Kleidern, Mänteln, Zehrung und Trank für das zugewanderte Volk zu erschwingen war. Auf vielen Wagen sollte man alles hinausfahren zum Anger vor dem Ostentor. Jede arme, leere Hand, die sich da draußen verlangend streckte, sollte empfangen von der Güte des deutschen Königs. Der Bürgermeister neigte sich dankbar vor dem Herrscher; doch der Auftrag, den er übernommen, machte ihm Sorge; er hatte Ursach, alle Tore fest verschlossen zu halten. Von da draußen war eine Meldung in die Stadt gedrungen, die man verschweigen mußte — eine Meldung, vor der auch Tapfere erzitterten bis ins Blut. Da draußen, unter den vierzig Tausenden, war einer zugewandert. Der hatte leere Augenhöhlen und schlug mit der Knochenfaust an das Ostentor. Von allen Siegern der gewaltigste!

In der gewölbten, reich gezierten Halle des Stadthauses brannte, obwohl der Abend noch nicht dämmerte, schon die Fülle der Wachsfackeln und Kerzen. Um die schönen, freundlichen Majestäten bewegte sich ein funkelndes Gewirre von Fürsten und edlen Frauen, von geistlichen Würdenträgern, von ritterlichen Herren und wappenfähigen Bürgern.

Ein bißchen außerhalb des funkelnden Gewimmels stand in kostbarem Hofkleid der kleine Herzog Heinrich an eine Säule gelehnt, völlig genesen, belustigt und zufrieden. Seine blitzenden Schwarzaugen gingen suchend über das Gewühl der Gesichter hin, und ein feines Schmunzeln huschte um seine schmalen Lippen, sooft im Gewirr das unbedeckte Haupt und die grau bestäubten Schultern des Ingolstädters erschienen.

Da trat im schweren Panzer sein Schwager Zollern vor ihn hin, sah ihn an, nickte, schob die Lippen vor und schwieg.

Mit lebhafter Herzlichkeit sagte der Kleine: »Gott grüß dich, Schwager! Wir haben uns lange nicht gesehen. Jetzt geschieht es zu guter Stunde. Wir hatten Glück, wir beide.«

»Jeder auf seine Weise. Um das recht zu sehen, mußt du mein Gedächtnis auffrischen. Wie lautete, was du mir nach Nüremberg geschrieben?«

»Daß du tun möchtest in meinem Namen, was ich als notwendig, hilfreich und redlich erkenne. Als redlich hab ich erkannt, was du tatest. Notwendig und hilfreich erschien es mir nicht. Drum hab ich es anders gemacht.« Herr Heinrich schmunzelte. »Mißfällt es dir?«

Zollern bekam die harten Furchen auf der Stirn. Dann lachte er plötzlich, laut und kräftig. »Schwager! Man kann dir im Ernst nicht grollen. Das ist manchmal ein schwierig Ding, zu wissen, was gut oder böse ist. An den sieben Häuten deiner Seele ist kein klarer Fleck. Aber dein Land und Volk wird gewinnen dabei. Das läßt milder über dich denken.« Er wollte gehen. Und sah neben der Säule den barhäuptigen Herzog Ludwig stehen mit aschfarbenem Gesicht und brennenden Augen. »Nur näher, Oheim! Hier findet Ihr, einen klugen und heiteren Mann. Jetzt, vermute ich, wird er redlich mit Euch unterhandeln.« Klirrend schritt er davon.

Herr Heinrich verlor ein wenig an fröhlicher Farbe, als der hochgewachsene Ingolstädter in seiner gewalttätigen Art so dicht vor ihn hintrat.

»Wir sahen uns zum letztenmal in Konstanz. Nicht? Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Gute Vettern sollten sich zuweilen besuchen. Um sich auszusprechen. Damals in Konstanz wurdest du am Reden behindert. Nicht? Es war sehr finster. Damals. Heut ist es hell. Warum zitterst du? Die Stunde ist höfisch. Die Nähe des schönen Königs umschleiert die häßlichen Dinge. Da muß man zierliche Worte finden. Muß Brücken über alles Dunkle schlagen. Ich schaue nicht hinunter. Nein!« Herzog Ludwig sah die Narben an seinen Händen an. »Ich will dich nur etwas fragen. Eine kleine Sache. Das mußt du mir sagen.«

»Was, du Großer und Starker?« Herr Heinrich war wieder heiter geworden und streckte sich, weil er merkte, wie viele Augen in Neugier auf ihn und den anderen hersahen.

»Hast du in deinem Lebern schon einmal die Wahrheit gesagt?«

Herzog Heinrich schien sich zu besinnen und nickte. »Doch. Manchmal. Wenn es nützlich war.«

»Dann sage sie mir jetzt!« Der Ingolstädter beugte sich langsam zu dem kleinen Vetter hinunter. Er lachte, wie man zu lustigen Dingen lacht. Doch seine Stimme keuchte: »Wer verriet mich?«

In Heinrichs schwarzen Augen blitzte es wie eine geschliffene Klinge. Seine Seele war durchwühlt von dem gierigen Wunsch, diesem Starken, noch immer nicht völlig Gebeugten den letzten Stoß in das Herz zu bohren. Seine Klugheit widerriet es ihm. Er sagte: »Niemand!« Schmetternde Trompetenstöße klangen vom Saal herunter, und die Majestäten stiegen auf lindem Teppich über die steinerne Treppe hinauf. »Das Mahl beginnt. Es möge dir schmecken, Vetter!« Herzog Heinrich ging rasch davon und wollte sich in das glitzernde Gewühl verlieren.

Da sprang ihm der. Ingolstädter nach, faßte ihn mit eisernem Griff am Handgelenk, zerrte ihn hinter sich her zu einem Winkel in der Halle hin und deutete auf eine mit kostbarem Hofkleid geschmückte Mißform. »Vetter? Kennst du den da? Ist das jemand? Oder niemand? Wer ist das?«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
700 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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