Kitabı oku: «Vom Angsthasen zum Liebesküken»

Yazı tipi:

Eigentlich lässt Annies Leben keine Wünsche offen. Sie hat einen gut bezahlten Beruf, ihre Freunde und Kollegen schätzen sie, das eigene Haus ist eben fertig geworden und die Hochzeit mit ihrem Kindheitsschwarm steht kurz bevor. Doch seit einiger Zeit fühlt sich Annie wie ausgebrannt. Je näher die langersehnte Eheschließung rückt, desto mehr breitet sich eine lähmende Angst in Annie aus – eine Angst, die sie sich überhaupt nicht erklären kann! Annie sieht keinen anderen Ausweg mehr, als die Hochzeit abzusagen. Unter dem verständnislosen Kopfschütteln von Familie und Freunden begibt sich Annie auf eine Reise, die alles verändert.

Eine wahre Geschichte, die Flügel verleiht …

© 2021

WELTBUCH Verlag GmbH

Sargans/Schweiz

www.weltbuch.com

1. Auflage, Deutsch, 05/2021

eBook:ISBN 978-3-906212-87-6

print:ISBN 978-3-906212-86-9

Buchdesign, Buchsatz: Dirk Kohl, Weltbuch Verlag GmbH

Titelgestaltung: Nadine Aeschbacher, Eisbrecher GmbH

Titelbilder: AdobeStock

Gesamtproduktion: Weltbuch Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

INHALT

PROLOG: DAS SCHAF IN DER HERDE

TEIL 1: AUS DEM LEBEN EINER LEHRERIN

JA, ICH WILL … NICHT!

MEHR KATER ALS KATZE

IRRSEIN IST MENSCHLICH

ERWACHEN AUF SCHOTTLANDS COUCH

EINE SACHE VON „SCHULREIFE“

ZUR RECHTEN ZEIT AM RECHTEN ORT

ANTRAG EINGEREICHT

BÜHNENREIF

FÜLLE IST NICHT IMMER FINANZIELLER NATUR

WER IST HIER DER LEHRER?

VERLIERE DEN VERSTAND UND FANG AN ZU L(I)EBEN!

DU BIST DAS LICHT

ALLE WEISHEIT LIEGT IN DIR

HOCHZEIT MIT MIR SELBST

VOM KLOSTER IN DIE SCHWARZWALDKLINIK

ES GIBT ÜBERALL BLUMEN FÜR DEN, DER SIE SEHEN WILL

SEHEN UND GESEHEN WERDEN

ICH HABE DIR IMMER NUR ENGEL GESCHICKT

ICH HABE DER WELT WAS ZU SAGEN

EIN INTUITIVES GEBURTSTAGSGESCHENK

LEHRERFORTBILDUNG MIT ERFOLGSGARANTIE

DIE STIMME DES HERZENS

WELTFRAUENTAG

EINE RICHTUNGSWEISENDE GEBURTSTAGSFEIER

TEIL 2: WEGE DER WEISHEIT FÜHREN DURCH DIE WÜSTE

ALTES LOSLASSEN, UM PLATZ FÜR NEUES ZU SCHAFFEN

DER WEG IST DAS ZIEL

BLIND-DANCE

CLOWN ODER ENGER?

FRIEDENSTAUBE

WERDE DEIN EIGENER CHEF!

PFERDEGEFLÜSTER

TOCHTER DER SCHEIBEN

TEIL 3: DER BERG RUFT

KEIN THEATER OHNE DREHBUCH

OM NAMAH SHIVAYA

WOLFSBLUT

WIE FEUER UND WASSER

VORSICHT TUT NOT!

TRANSFORMATION EINMAL SPIELERISCH

ICH BIN BEREIT DAS WUNDER DER ROMANTISCHEN LIEBE ZU EMPFANGEN

DIE ENGEL HABEN IMMER RECHT

EIN STERN ÜBER OLDENBURG

VERSPÄTETER VALENTINSTAG

DAS GLEICHNIS VON DER TANNE UND DER BIRKE

ZAUBERWOLF

UNTER DEM DECKMANTEL DER EISESKÄLTE

CRAZY

TEIL 4: GLAUBE VERSETZT BERGE

SPAZIERGANG MIT JESUS

VON DER TIEFKÜHLTRUHE IN DIE SAUNA

MEINE WELT SIND DIE BERGE

VORAUSSICHTLICHE WUNDER-LIEFERUNG: 14:50 UHR

VERTRAUE!

TAGESAUSFLUG MIT ENGEL IM GEPÄCK

TRAUM-MANN ZUM SELBERBACKEN

CODEWORTE: PIZZA MIT SARDELLEN

ENTWICKLE DEINE MEDIALITÄT!

DANKSAGUNG

PROLOG
DAS SCHAF IN DER HERDE

Ich stamme aus einer ganz normalen Familie. Einer Bilderbuchfamilie. So haben mir es mir meine Freunde und Bekannten oft rückgemeldet. „Für mich seid Ihr der Innbegriff der perfekten Familie“, sagte einmal mein bester Freund Alim zu mir. Und er hatte recht: Es war und ist die perfekte Familie für mich. Ich habe sie mir ausgesucht. Wie recht er hatte, wird mir erst jetzt bewusst, nachdem ich aus dem Schlaf erwacht und aus dem Dasein des angepassten Schafes ausgebrochen bin, den rebellischen Löwen in mir entdeckt habe und allmählich wieder zum Kind werde.

Ich liebe mein Leben. Ich liebe das neue Bewusstsein, mit dem ich die zahlreichen Wunder beobachte, die tagtäglich in meinem Leben geschehen. Es ist dasselbe Bewusstsein, mit dem ich mir meine Traurigkeit und meine Wut anschaue, die ich nach wie vor fühlen darf, aber nicht mehr wegdrücke, als gäbe es sie nicht. Die Wellen kommen und gehen nach wie vor, aber die Wogen werden sanfter und ich genieße die Parade des Lebens jeden Tag – ob im Tal oder auf dem Gipfel.

Ich möchte meine Geschichte teilen. Es ist eine Geschichte, die in Millionen Menschen auf der Welt Resonanz finden müsste – nicht, weil ich eine solch geniale Autorin wäre, sondern weil ich kein Einzelfall bin. Laut Statistik teile ich mein Schicksal mit jeder fünften Frau – von der Dunkelziffer und den betroffenen Männern einmal ganz abgesehen. Wenn ich meinen Blick innerlich durch das Kollegium schweifen lasse, in dem ich zuletzt als Lehrerin tätig war, müssten hier mindestens noch fünf weitere Frauen Ähnliches erlebt haben. Vielleicht wissen sie es. Vielleicht haben sie ihre traumatischen Erfahrungen aber auch in das limbische Gehirn verbannt, um zu überleben, um nie wieder mit den schmerzlichen Erinnerungen konfrontiert zu werden und um im Alltag funktionieren zu können. So wie ich, die ich mit dieser inneren Abspaltung als angepasstes, braves und zielorientiertes Mädchen die Grundschul- und Gymnasialzeit durchlaufen, das Abitur bestanden und ein Studium als Grund- und Hauptschullehrerin in der Regelstudienzeit absolviert habe. Im selben Modus schloss ich ein Magisterstudium in Englischer Fachdidaktik an (für den Fall, dass ich später einmal lieber in der Hochschule dozieren statt mit Kindern arbeiten wollen würde), brachte mein Erstes und Zweites Staatsexamen mit einer Eins vorm Komma zum Abschluss und genoss vier Jahre als frischgebackene Lehrerin an einer ländlichen Dorfgrundschule großes Ansehen bei Schülern, Eltern und Kollegen. Im selben Modus pflegte ich langjährige Partnerschaften, aus der letzten ging sogar eine neu erbaute Doppelhaushälfte hervor. Der Maler hatte sogar schon das zukünftige Kinderzimmer mit einer grünen Wiese versehen, auf die ich nur noch die Schäfchen hätte aufkleben müssen, vorausgesetzt ich hätte selbst das Leben des angepassten Schafes in der Herde weitergeführt.

Mein Leben entsprach dem märchenhaften Dasein der grimm’schen Prinzessin, bevor ihr die goldene Kugel aus der Hand und in den Brunnen fällt. Doch meine Friede-Freude-Eierkuchen-Welt geriet ins Wanken, als ich mich entschied, nach dem Einzug in das Haus meines Froschkönigs nach einer neuen Schule Ausschau zu halten, um die Kilometerzahl meines täglichen Fahrtweges zu reduzieren. Nachdem ich einen Versetzungsantrag gestellt hatte, telefonierte ich eine Liste von Schulen in der Umgebung ab, stellte mich hier und dort vor und freute mich, als sich die Leitung einer Grundschule, in der das Gespräch besonders sympathisch verlaufen war, dafür einsetzte, das Oberschulamt von dem Bedarf an meiner Person im kommenden Schuljahr zu überzeugen. Es war die Grundschule einer 10.000 Einwohner starken Gemeinde, die mir aus meiner Kindheit wohlvertraut war: der Wohnort meiner Großeltern und eines Teils meiner Verwandtschaft, in dem ich mit drei meiner zweieinhalb Jahre jüngeren Vierlingsgeschwister viel Zeit verbracht hatte. Alles schien wie am Schnürchen zu laufen, doch mit dem Umzug und dem Schulwechsel begann mein Leben aus unerfindlichen Gründen plötzlich anstrengend zu werden …

Ich saß immer häufiger in unserem noch spärlich eingerichteten Esszimmer über den Aufsätzen meiner dreißig Schüler und fragte mich, warum mir die Korrekturen nicht mehr so leicht von der Hand gingen wie zuvor. Tests und Klassenarbeiten in den Haupt- und Nebenfächern fielen permanent an und nahmen so viel Zeit in Anspruch, dass die Unterrichtsvorbereitungen immer häufiger in die späten Abendstunden verschoben werden mussten, die ich doch viel lieber mit dem Mann verbracht hätte, mit dem ich meine neue Residenz teilte. Ich begann mich allmählich nach mehr Freizeit und Erholung zu sehnen, doch bald schon lösten wiederkehrende Heulkrämpfe und Nervenzusammenbrüche über Stapeln von Reizwortgeschichten meine frühere Leidenschaft und Freude an meinem Beruf ab. Meine ausgebrannten Körperzellen reagierten heftig darauf, über keinerlei Energie mehr zu verfügen, wie es schien. Ich ließ mich von einem Arzt krankschreiben, überzeugt davon, dass eine kleine Atempause für die nötige Regeneration sorgen würde.

Die gewonnene Zeit nutzte ich für Waldspaziergänge, geführte Audio-Meditationen für ein schöneres Leben und das Sammeln von Ideen für die Tischdekoration meiner bevorstehenden Hochzeit. Auf meinen regelmäßigen Fußmärschen lächelte ich bewusst schon von Weitem entgegenkommende Wanderer an und freute mich wie ein Schneekönig, wenn sie zurücklächelten. In unserer Doppelhaushälfte klebten auf dem Badspiegel, an der Kaffeemaschine und auch sonst in allen Räumen verteilt gelbe Punkte, die mich an schöne Erlebnisse aus meiner Vergangenheit erinnern und in eine positive Stimmung versetzen sollten. Diese und andere Tipps hatte ich aus einem Selbsthilfe-Ratgeber mit Praxis-CD entnommen, welcher mir auf dem Verkaufstisch einer Buchhandlung in der Nähe meiner Therapeutin förmlich entgegengesprungen war, weil der Titel versprach, die Leser glücklich zu machen.

Wenn ich nicht gerade mit einer der Aktivitäten beschäftigt war, die auf meiner Liste für mehr Lebensfreude standen – die Liste war eine Hausaufgabe aus meiner ersten Therapiesitzung gewesen –, unterzog ich mich angeleiteten Hypnose-Übungen, um mein Unterbewusstsein umzuprogrammieren. Hätte ich damals gewusst, dass meine „Reise ins Glück“ unter anderem einen mehrwöchigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik bedeuten würde, hätte ich das Buch inclusive CD wahrscheinlich links liegen lassen. Heute weiß ich, dass die radikale Richtungsänderung, die ab diesem Tiefpunkt einsetzte, ein großer Segen war und mich aus einem langen Schlaf erwachen ließ. Schritt für Schritt wurde mir bewusst, dass meine gesamte Weltanschauung von Familie, Schule und Gesellschaft geprägt worden war. Ich erkannte, dass das Bild, das ich von mir selbst hatte, nicht meiner eigenen Erfahrung entsprungen, sondern durch die Meinung anderer entstanden war. 32 Jahre lang war ich wie ein Schaf der gleichlaufenden Herde gefolgt, ohne mir meiner wahren Identität bewusst zu sein. Mit dem immer größer werdenden Leidensdruck schließlich erwachte die Bereitschaft, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Und so begann ich meine nette, angepasste und gehorsame Persönlichkeit aufzugeben und meinen ganz individuellen Weg zu gehen …

TEIL 1
AUS DEM LEBEN EINER LEHRERIN
JA, ICH WILL … NICHT!

Dass mein sogenanntes Burnout, welches ich zunächst den vielschichtigen Herausforderungen des Lehrerdaseins zuschrieb, seinen Höhepunkt ausgerechnet im Krankenstand erreichen würde, kam für mich völlig unerwartet. Nachdem ich mir in beruflicher Hinsicht durch ein ärztliches Attest etwas Zeit zur Regeneration eingeräumt hatte, widmete ich mich im privaten Bereich jenen Dingen, von denen ich mir Freude versprach. So schritten die Hochzeitsvorbereitungen in den darauffolgenden Wochen deutlich voran: Da die Einladungen längst versendet und die gravierten Ringe bereits eingetroffen waren, nutzte ich die (übrige) Zeit, um das Brautkleid auszuwählen, mir über die Tischdekoration Gedanken zu machen und mir beim Frisör probeweise Hochzeitsfrisuren stecken zu lassen. Immer wieder hielt ich nach preisreduziertem Sekt für den Empfang nach der Kirche Ausschau. Mittlerweile stapelten sich die Kisten in der Garage …

Mein Leben war im Begriff, zum nächsten Level eines „Normalmenschen“ aufzusteigen … und wäre es wohl auch, hätte sich nicht mit dem Näherrücken des „großen Tages“ plötzlich ein seltsames Gefühl in meinem Bauch breitgemacht, welches bald zu einer regelrechten Panik heranwuchs und mit jedem Tag lauter Alarm schlug. Da es rational betrachtet keinen Grund gab, meine Entscheidung infrage zu stellen, versuchte ich dieses Gefühl beiseitezuschieben, so gut ich konnte. Doch je mehr ich zu verdrängen versuchte, was sich da Gehör verschaffen wollte, desto vehementer klopfte die Angst gegen meinen Solarplexus und löste eine regelrechte Übelkeit aus.

Wo um Himmels Willen kam plötzlich diese Panik her, nachdem ich einige Monate zuvor das „Ja“ – wäre es nicht beinahe vor Rührung in meinem Halse erstickt – aus Leibeskräften durch das ganze Restaurant des Vier-Sterne-Superior-Komfort-Hotels hätte brüllen können, als der Mann, mit dem ich seit drei Jahren in einer Partnerschaft lebte, mit der geöffneten Schatulle in den Händen vor mir kniete?! Wieso konnte ich dem Freund, den ich bereits mit vier Jahren zu meinem Kindergeburtstag eingeladen hatte, weil ich schon damals in ihn verliebt gewesen war, nun kein aufrichtiges Ja mehr entgegenbringen?! Warum ängstigte mich auf einmal der Gedanke an eine gemeinsame Zukunft mit der Person, mit der ich erst vor einem Jahr in das Haus gezogen war, in dem an den Decken noch die Lampenkabel aus den Öffnungen baumelten, das zukünftige Kinderzimmer aber schon in einem hoffnungsvollen Grünton gestrichen war?! Und warum um alles in der Welt kamen diese beklemmenden Gefühle ausgerechnet jetzt zum Vorschein – nur wenige Tage vor der Hochzeit?! Jeder Tag war ein Riesenschritt auf das Standesamt zu, und mit jedem Tag wuchs meine Verzweiflung …

Am Sonntag vor der standesamtlichen Trauung war ich mit John, einem ehemaligen Schüler aus England, der vormals während eines englisch-deutschen Schüleraustausches bei mir gewohnt hatte, zum Spazierengehen im Phühlpark im Osten der Stadt Heilbronn verabredet. Er war gerade wegen eines Pädagogik-Seminars in der Gegend. Da die gegenwärtige Situation meine Fähigkeit zuzuhören drastisch minderte und auch meine Kommunikationsbereitschaft für Small-Talk gen Null lief, zögerte ich nicht lange, ihm unter Tränen von meinen akuten Ängsten, Zweifeln und dem riesigen Kloß in meinem Bauch zu erzählen, der mir zu schaffen machte.

„Vielleicht ist es kein Nein zu Philippe. Aber vielleicht ist der Zeitpunkt nicht der richtige“, antwortete John. Eine ganze Parkrunde lang hatte er meinem Schluchzen geduldig zugehört, während wir um das kleine Wasserschlösschen geschlendert und an Liegewiesen, Spielplätzen und angelegten Blumenbeeten vorbeigegangen waren. „Bitte ihn um Zeit. Wenn er dich wirklich liebt, wird er dir einen Aufschub gewähren und dir die Möglichkeit einräumen, herauszufinden, was du herausfinden musst.“

In dem weisen Rat meines inzwischen langjährigen Freundes schwang etwas Beruhigendes mit, das mich hoffnungsvoll stimmte. Vielleicht, so hoffte ich, würde etwas Zeit Licht ins Dunkel bringen. Doch wenngleich mir der Gedanke, dass ich Philippe nicht zwangsläufig für immer verlieren müsste, ein kurzzeitiges Gefühl der Erleichterung verschaffte, wurde ich, als ich wieder im Auto saß, erneut von der lähmenden Panik eingeholt.

Auf der Rückfahrt vom Park nach Hause breitete sich der Kloß in meinem Bauch weiter aus und schob sich bis in die Brustregion hoch, und bei dem Gedanken, Philippe in Kürze meine Gefühle transparent machen zu müssen, gelang mir das Atmen nur noch stoßweiße.

Zitternd fuhr ich auf die Garagenzufahrt vor dem Haus, deren Pflastersteine wir erst vor wenigen Monaten ausgewählt hatten. Kurz darauf trug ich Philippe mit bebender Stimme meine Bitte vor.

„Vielleicht magst du vor Mittwoch doch nochmal mit deiner Therapeutin sprechen …? Möglicherweise hat sie einen Termin frei und kann dir helfen, deine Angst aufzulösen …?“

Philippe, der mit seinen verhältnismäßig gefassten Worten sichtlich darum bemüht war, den Schreck zu verbergen, den ich ihm gerade eingejagt hatte, suchte verzweifelt nach einer Lösung. Nichts wünschte ich mir mehr, als dass ein therapeutisches Gespräch jene Ängste transformieren würde, die mich wie aus dem Nichts überwältigt hatten, und so nickte ich ihm zu, während ich mit einem Taschentuch die schwarzen Wimperntusche-Bäche bereinigte, die während unseres Gesprächs auf meiner Wange entstanden waren.

Einen Tag später, am darauffolgenden Montag, saß ich im Behandlungszimmer der Praxis für Initiatische Therapie und Wegbegleitung und suchte nach einem kreativen Weg zum Ich. Die spitzen, vampirähnlichen Zähne eines fledermausähnlichen Monsters lachten mir hämisch entgegen, als ich die Augen öffnete und auf das weiße Blatt starrte. In meinen verkrampften Händen hielt ich noch die schwarze Wachsmalkreide, mit der ich geschlossenen Auges unter Tränen versucht hatte, die Angst in meinem Bauch auf das Papier zu bringen.

„Scheußlich!“, war alles, was mir dazu einfiel. „Aber ich fühle mich etwas erleichtert.“

„Und nun spüren Sie noch einmal hin“, forderte mich die freundliche Therapeutin mit dem braven Pagenschnitt auf. „Vielleicht möchten Sie eine andere Farbe für das zweite Bild wählen? Oder mehrere?“

Zögernd griff ich zuerst zu einem gelben, dann zu einem violetten Kreidestück und hielt beide jeweils in der linken und in der rechten Hand. Langsam begannen meine Hände, über dem Blatt zu kreisen. Die Bewegungen waren fließender und nicht so verkrampft wie beim zuvor entstandenen Fledermaus-Monster. Auch mein Atmen ging leichter. Nach dem zweiten Maldurchgang mit geschlossenen Augen starrte ich auf zwei große, kugelförmige Gebilde.

„Wie zwei weiche Wollknäuel sehen die aus“, stellte ich fest und konnte mir bei dieser Bemerkung sogar ein winziges Lächeln abringen. „Sie berühren sich ganz leicht in der Mitte.“

Dass mich mein Gemälde unbewusst an das Dasein als stecknadelkopfgroßes Zellhäufchen neben meinem Zwilling im Mutterleib erinnerte, sollte ich erst eineinhalb Jahre später erfahren. Damals wusste ich noch nicht, dass die massive Panik, die ich bei dem Gedanken an die Trennung von Philippe empfand, unter anderem auf den Schock zurückzuführen war, den ich als Embryo in der Gebärmutter meiner Mutter empfunden hatte, als mit dem Abschied meines Zwillings der paradiesähnliche Zustand der Einheit und das beruhigende Gefühl, nicht alleine zu sein, ein jähes Ende genommen hatte. So zumindest deutete ich (später) meine plötzliche emotionale Berührtheit, als ich begann, mich mit dem Thema des verlorenen Zwillings zu beschäftigen.

Im Beisein der spirituellen Wegbegleiterin kehrte nun, erstmalig seit den ersten Trennungsgedanken, für einen kurzen Moment Ruhe in meinem aufgewühlten Herzen ein, als ich die beiden „Knäuel“ vor mir betrachtete. Einen Augenblick lang hatte ich sogar den Eindruck, die maltherapeutische Sitzung hätte mich ausreichend darauf vorbereitet, den Bund der Ehe nun mit offenem Herzen einzugehen, so, wie man es von mir erwartete. Doch das Universum hatte mich nicht vor diese Prüfung gestellt, um wieder einmal mehr in meinem Leben den Erwartungen anderer zu entsprechen, dem Druck von außen nachzugeben und meine verdrängten Ängste weiter zu unterdrücken. Es war an der Zeit, ehrlich zu mir selbst zu sein und mir die Freiheit zu nehmen, meinem eigenen Rhythmus zu folgen. Denn so sehr ich mich auch nach einer gesunden Beziehung im Außen sehnte, musste ich mir doch eingestehen, dass ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben im Laufe meiner Seelenreise aus den Augen verloren hatte: mich selbst.

MEHR KATER ALS KATZE

Trotz der Ambivalenz zwischen meiner Liebe zu Philippe und der Unfähigkeit, mich an ihn zu binden, starteten wir nach meiner Hochzeitsabsage noch zwei Versuche, uns in gemeinsamen Urlauben wieder näherzukommen und uns von der Tragödie zu erholen. Doch nachdem weder Bad Krotzingens Kurluft noch die Brandung des holländischen Ijsselmeeres meine Verwirrung wegspülen konnten, kam ich zu der Erkenntnis, dass nur ein Urlaub ohne Philippe für Klarheit sorgen könnte. Also folgte ich der Einladung einer Freundin und reiste nach Berlin, um für eine Woche ihre Katzen zu hüten. Ich hoffte, mit etwas räumlichem Abstand zu einer vernünftigen Entscheidung zu gelangen.

Als ich die charmante Altbauwohnung im Nordwesten des Stadtteils Prenzlauer Berg betrat, klebten überall in den Zimmern kleine grüne Ost-Ampelmännchen-Klebezettel mit handschriftlichen Notizen, welche sie mir vor ihrer Abreise hinterlassen hatte. So sollte mich die Berliner Kultfigur zum Beispiel daran erinnern, die Fenster wegen der Katzen nur anzukippen, die Blumen auf dem Balkon zu gießen und nur ein Päckchen Nassfutter am Tag zu verwenden. Schnell schloss ich Freundschaft mit den flauschigen Vierbeinern Gini und Gismo, deren Pflege der Ausgleich für meine kostenlose Unterkunft in der Bundeshauptstadt war. „Vierbeinig“ traf allerdings eher auf Gismo als auf Gini zu, denn die hellgraue Katzendame hatte, wie mir bei einem früheren Besuch erklärt worden war, infolge eines Sturzes aus dem fünften Stock ein Bein verloren. Gekonnt humpelte sie also dreibeinig durch die Wohnung und sprang dieser Einschränkung ungeachtet hin und wieder mit einem gekonnten Satz auf die Couch, wo sie genau wie Gismo die Streicheleinheiten genoss, die wir regelmäßig miteinander austauschten.

Wenn ich nicht damit beschäftigt war, mich um Gini und Gismo zu kümmern, die Couch von Katzenkotze zu befreien oder mich von einem mobilen Shiatsu-Therapeuten auf einem ergonomischen Massagestuhl im Wohnzimmer durchkneten zu lassen, war ich nach Leibeskräften darum bemüht, unter Zuhilfenahme verschiedener Berlin-Reiseführer Tagestouren zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten auszutüfteln. Mit diesem Ablenkungsprogramm hoffte ich meinen aufgewühlten Geist zu klären und den Schmerz zu lindern über den Entschluss, der in mir zu reifen begann. Immer deutlicher spürte ich, dass ich nur dann zu meinem inneren Gleichgewicht zurückfinden würde, wenn ich mich ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und Erwartungen meines Verlobten ausschließlich auf mich konzentrierte. Jedoch löste der Gedanke, mich von Philippe zu trennen, ein derartiges Gefühl der Einsamkeit und Ohnmacht in mir aus, dass es mir fast das Herz zerriss.

Es war ein emotionaler Albtraum. Ich zwang mich täglich, Dinge zu notieren, für die ich dankbar war, und zählte abends die Stunden, in denen ich es geschafft hatte, nicht zu weinen. Enttäuscht stellte ich an jedem Morgen erneut fest, dass mein Leben tatsächlich wie ein brennender Turm auseinandergebrochen war. Es war kein Traum, kein schlechter Witz. Erschüttert drückte ich nach dem Aufwachen meine von den vielen Tränen verquollenen Augen wieder zu, ohne zu wissen, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte. Einzig Gini und Gismo, die von Hunger getrieben pünktlich um 5.45 Uhr an der Schlafzimmertür kratzten, bewogen mich dazu, trotz der alkoholbedingten und von Übelkeit begleiteten Kopfschmerzen aus dem Bett zu schlüpfen und mit größtem Kraftaufwand einen Tagesplan zu erarbeiteten, der mich zumindest vorübergehend von dem immensen Schmerz in meinem Innern ablenken sollte. Während ich durch den Mauerpark spazierte, mit dem Fahrrad den Treptower Park erkundete oder abends eines der Restaurants am Helmholzplatz aufsuchte, dem beliebtesten Treffpunkt im Kiez, gelang es mir nur unter enormer Anstrengung, nicht lautstark in der Öffentlichkeit in Tränen auszubrechen. Fortwährend sendete ich Befehle an mein Gehirn, mittels derer ich verzweifelt versuchte, die Maschine in Gang zu halten: Fahrrad abschließen! Atmen! Durch den Park laufen! Atmen! Etwas essen! Atmen!

Meine gesamte Lebensenergie hatte sich erschöpft. Niedergeschlagen hangelte ich mich von einem Tag zum nächsten, als wäre mein Leben ein einziger Kampf. Wie gerne hätte ich meiner Schulfreundin geglaubt, die mir während der schwersten Stunden meines Lebens immer wieder Trost gespendet hatte und der ich nun schon mehrfach durchs Telefon mein Leid ins Ohr geschluchzt hatte. „Ich kann das Licht am Ende des Tunnels schon fast sehen, Annie!“, hatte sie versucht, mich zu trösten, doch alles, was ich empfand, war Leere und Dunkelheit.

Nach einer der schwersten Wochen meines Lebens war die Entscheidung gefallen. Mit zittrigen Händen versuchte ich auf der Zugfahrt von Berlin nach Hause das Gespräch schriftlich vorzubereiten, in dem ich Philippe in Kürze die Trennung aussprechen würde.

Wenige Stunden später saß ich auf dem elektronisch verstellbaren Sofa unseres Wohnzimmers, das wir zusammen mit dem Couchtisch erst vor wenigen Monaten gemeinsam ausgesucht hatten, und erklärte ihm, wie sehr ich in der Vergangenheit darum bemüht gewesen war, mich seinem Tempo anzupassen, und dass ich dabei meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse ignoriert und überhört hatte. Ich erzählte ihm von meinem Wunsch, wieder zu der Leichtigkeit zurückzufinden, die ich in letzter Zeit so vermisst hatte, und gestand schließlich, außer einer Trennung keine andere Möglichkeit zu sehen, mich von dem Druck zu befreien, aber auch von der Hoffnung, dass bis zu der geplanten kirchlichen Trauung Ende August alles gut werden würde.

Von Leichtigkeit war vorerst jedoch weit und breit noch keine Spur zu sehen, als ich kurze Zeit später am Gartentor meines Elternhauses weinend in den Armen meiner Mutter zusammenbrach. Mein Leben war innerhalb weniger Wochen von einem gewaltigen inneren Erdbeben erschüttert worden und wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. Ängstlich und orientierungslos stand ich vor dem Nichts – ohne die geringste Ahnung, woran ich mich festhalten könnte, wie es weitergehen sollte und welche Möglichkeiten vor mir lägen.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
511 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783906212876
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