Kitabı oku: «Little Pearl», sayfa 3
Kapitel 4
Evan
Lucy macht gerade Sit-ups. Mein Blick schweift unterdessen durch das Fitnessstudio. Kyle sitzt am Butterfly-Gerät und schwitzt wie ein Schwein, während er seinen Bizeps stärkt.
Zwei Frauen wärmen sich auf dem Laufband auf. Quasseln jedoch mehr, als dass sie laufen. Meine Augen bleiben bei einer Brünetten hängen, die vorne beim Eingang steht. Sie wirkt etwas verloren, während sie sich umsieht. Als wäre sie auf der Suche nach jemandem oder etwas. So viel ich mich erinnern kann, habe ich sie hier noch nie gesehen. Sie sieht hübsch aus.
Gordon betritt hinter ihr den Raum. Er winkt mir zu und die Tür fällt mit einem krachenden Knall ins Schloss. Die Kleine zuckt dermaßen zusammen, ich glaube schon, sie werfe sich zu Boden. Ich muss Lachen, doch als ich in ihr verängstigtes Gesicht sehe, bleibt es mir im Hals stecken.
Mein Gott, bricht sie etwa gleich in Tränen aus? Ich schüttle den Kopf, doch dann tut sie mir irgendwie leid, weil sie anscheinend nicht mehr weiß, wo vorne und wo hinten ist.
Als die Kleine rückwärts auf die Tür zugeht, stehe ich auf.
»Wo gehst du hin?«, fragt mich Lucy und hält mich am Arm fest.
»Entschuldige mich kurz, ich bin gleich wieder da. Mach in der Zwischenzeit noch zwanzig normale Sit-ups, danach fünfzig seitliche, indem du die Knie zu deinen Ellbogen ziehst.«
Lucy will noch etwas sagen, doch ich bin bereits auf den Füßen und auf dem Weg zur Unbekannten, die schon fast aus der Tür ist.
»Geht es dir gut?« Die Braunhaarige dreht sich erschrocken um. Sie ist aschfahl im Gesicht. Ihre stechend grünen Augen zucken hastig umher. Ziellos und doch so, als würde sie etwas suchen. Bei jeder anderen würde ich jetzt einen Schritt auf sie zugehen, meine Arme ausstrecken und sie ihr auf die Schultern legen. Aber bei diesem Mädchen, das über einen Kopf kleiner ist als ich, und am ganzen Körper zittert, als würde jemand hinter ihr her sein, bleibe ich wo ich bin. »Suchst du etwas? Oder irgendwen?« Ich weiß nicht, was ich sie sonst fragen soll. »Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«
Sie scheint mich erst jetzt richtig wahrzunehmen. Ihre Augen bleiben auf meinem Gesicht und erwidern irgendwann meinen Blick. Ihr Mund öffnet sich mehrmals, ohne dass ein Ton dabei herauskommt. Ich sehe ihr an, dass sie fieberhaft nach Worten sucht.
Obwohl sie zusammenzuckt, als ich nun doch auf sie zugehe und meine Arme ausstrecke, lege ich ihr meine Hände an die Arme. Ich gehe etwas in die Knie, damit ich auf Augenhöhe mit ihr bin. »Brauchst du einen Arzt?« Weder schüttelt sie den Kopf, noch nickt sie, sondern schaut mich nur mit großen Augen an. »Sag doch etwas?« Meine Stimme hat fast etwas Flehendes. Als sie noch immer nicht reagiert, lege ich meine Finger um ihr Handgelenk und stütze sie, während wir das Studio durchqueren. Auf dem Weg in mein Büro winke ich Logan, der gerade aus dem Kraftraum kommt, und gebe ihm ein Zeichen, sich um Lucy zu kümmern.
Als ich mich mit der Unbekannten auf die Umkleide und den Flur, der zu meinem Büro führt, zubewege, zittert sie wie Espenlaub. »Ich bringe dich nur in einen Raum, wo es leiser ist«, beruhige ich sie. »Du kannst dich dort solange aufhalten, wie du willst. Wenn du ein Telefon brauchst, ich kann dir eins geben.« Ich rede einfach weiter, bis wir an der Tür zu meinem Büro sind. »Erschrick nicht, mein Büro gleicht mehr einer Abstellkammer als einem Arbeitsraum. Aber es hat eine bequeme Couch, wo du dich ausruhen kannst.«
Ich öffne die Tür und zeige ihr auf die abgewetzte Ledercouch. Außer dem Zweiersofa stehen noch ein schmaler Schrank, ein alter Küchenstuhl und eine dunkelbraune Holzplatte auf zwei Böcken, die mir als Schreibtisch dient im Raum. Und eine Menge Kartons mit Unterlagen, die ich mal in ein Regal packen sollte, nachdem ich sie eingeordnet habe - und nachdem ich ein Regal gekauft habe.
»Ich hole dir schnell etwas zu trinken.« Bevor ich aus dem Raum gehe, nehme ich die Wolldecke, die auf der Couchlehne liegt und breite sie über dem Mädchen aus, in das langsam wieder Leben zu kommen scheint. »Bin gleich zurück.«
Ich renne fast zur Bar. Weil ich mich nicht entscheiden kann, nehme ich eine Flasche Wasser und ein Glas Orangensaft, den ich vorhin frisch gepresst habe, aus dem Kühlschrank. Eben will ich mich wieder Richtung Büro aufmachen, da kommt Lucy zu mir. Ihr Schmollmund passt mir gerade gar nicht.
»Hast du mich etwa vergessen?«
Ich setze mein Entschuldigungslächeln auf. »Nein, bestimmt nicht. Nur habe ich da ein Mädchen im Büro, das irgendwie völlig neben der Spur ist.«
Lucy zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Na und? Du kannst ja Logan oder Sophia schicken. Die können sich um sie kümmern. Schließlich bezahle ich dich dafür, dass du mich trainierst.«
Ich unterdrücke ein Seufzen. »Tut mir leid. Wir werden natürlich diese Stunde nachholen.«
Als ich mit den Getränken an ihr vorbeigehen will, legt sie ihre Finger an meine Brust. »Versprochen?«
Vielleicht hatte meine Schwester recht damit, als sie meinte, es wäre ein Fehler, etwas mit den Kundinnen anzufangen. Ich wollte nicht hinhören. Jetzt glaube ich aber langsam, dass ich womöglich doch auf sie hätte hören sollen.
»Versprochen«, antworte ich und mache einen Schritt zur Seite, um ihrer Hand zu entkommen. »Mach mit Logan einen neuen Termin aus.« Ohne ihre Worte abzuwarten, laufe ich schnell in mein Büro zurück.
Das Mädchen mit den langen dunkelbraunen Haaren sitzt noch genau in derselben Position auf dem Sofa, wie ich sie zurückgelassen habe. Die Hände hat sie in die bunte Wolldecke gekrallt. Ihr Blick ruht auf den farbigen Vierecken.
»Die hat meine Mutter gemacht.«
Erschrocken reißt sie den Kopf hoch. Als sie mich erkennt, zuckt ganz leicht ihr linker Mundwinkel. Sie wirkt nicht mehr ganz so blass wie noch vor wenigen Minuten.
»Geht’s besser?«, frage ich sie und strecke ihr die Getränke hin. »Ich wusste nicht, was dir lieber ist.«
»Danke«, sagt sie mit leiser Stimme und greift nach dem O-Saft. Es ist das erste Wort, das sie zu mir gesagt hat. Obwohl ihre Stimme leise und zerbrechlich klang, so geht mir ihr zarter Klang dennoch ziemlich unter die Haut.
»Gern geschehen.« Ich setze mich neben sie und strecke die Beine.
Weil ich nicht weiß, was ich zu dem Mädchen, das ich knapp über zwanzig schätze, sagen soll, schaue ich etwas verlegen auf meinen Papierkram, der verstreut auf dem Pult liegt. Normalerweise fliegen mir die Worte nur so zu, ich habe keine Probleme damit, mich mit Frauen zu unterhalten. Aber bei ihr ... ich will sie nicht mit einem faulen Spruch oder blöden Kommentar trösten – von was auch immer.
Und irgendwie ist das Schweigen zwischen uns ziemlich angenehm. Ich lege meine Knöchel übereinander und lasse den Kopf in den Nacken fallen. Dabei starre ich an die fleckige Decke. Die sollte ich vielleicht auch mal streichen. Die Liste der Dinge, die ich zu erledigen habe, wird täglich länger.
Ich könnte ja einen Maler engagieren. Eine Sachbearbeiterin oder sowas einstellen, um meinen Bürokram zu erledigen. Dylan fragen, ob er mir einen anständigen Schreibtisch zimmern könnte.
Den letzten Gedanken streiche ich sofort wieder.
»Verrätst du mir deinen Namen?« Ich schiele zum Mädchen.
Sie lächelt, es ist schwach und doch umwerfend. »Avery. Avery Ashburn.«
»Freut mich A A.« Ich lächle zurück. Als sie mich fragend ansieht, sage ich: »Evan.« Ich könnte anfügen, dass ich der Besitzer dieses Studios sei, aber das scheint mir im Moment zu überheblich.
»Evan, schöner Name.«
Flirtet sie etwa gerade mit mir? Wohl kaum. Sie erholt sich gerade von irgendeinem Schock. Da ist sie bestimmt nicht auf einen Flirt aus.
»Schlägst du dich oft?«
»Nein. Wieso?«, frage ich verwirrt.
»Wegen deinem Auge.«
Reflexartig greife ich mir ans Auge. »Ich bin mit einer Hantel zusammengestoßen.«
Avery zieht die Brauen hoch und verzieht ihren Mund zu einer missbilligenden Miene. »Und wer glaubt dir diesen Quatsch?«
Perplex sehe ich sie an, zucke dann aber bloß mit der Schulter, hat ja sowieso keinen Sinn es abzustreiten. »Und was hat dich hierhergeführt?«
Einen Moment sieht sie mich an, als müsse sie überlegen, was sie hier gewollt hat. Doch irgendwas an ihrem Blick verrät mir, dass sie ganz genau weiß, was sie wollte. »Ich habe mich verlaufen.«
»Ach so.« Es ist ganz offensichtlich, dass sie nicht die Wahrheit sagt. »Was hast du denn gesucht?«
»Das Hometown Diner.« Scheinbar fällt ihr das Lügen nicht leicht, wie ich ihr an ihren verkrampften Fingern und den angespannten Gesichtszügen ansehen kann.
»Wenn du willst, kann ich es dir zeigen.«
Wie von einer Tarantel gestochen, schießt sie aus den Polstern hoch, dabei fällt die Decke auf den Boden und bedeckt halbwegs ihre Füße, die in roten Converse stecken. Sie passen zu ihrem Oberteil.
»Nein, nein ... nicht nötig«, sagt sie schnell. »Ich werde dann mal gehen. Du hast bestimmt genug um die Ohren, als dich um mich zu kümmern. Es tut mir leid, dass ich dir deine Zeit gestohlen habe.« Sie findet einen Platz auf meinem Schreibtisch und stellt das leere Glas ab. »Ich danke dir vielmals.«
Ich lege den Kopf schräg. »Wofür?«
»Dass du mir einen Moment Zeit gegeben hast, um mich zu ... sammeln.«
»Willst du mir sagen, von was?« Ich bin ebenfalls aufgestanden und habe die Decke aufgehoben, um sie wieder auf die Rückenlehne zu legen. Eine Antwort, auf das was in ihrem süßen Kopf vor sich geht, was ihr so einen Schrecken eingejagt hat, möchte ich doch noch haben.
»Das ist schwierig, und eine lange Geschichte.«
»Ich habe Zeit.«
Avery schüttelt leicht den Kopf. »Vielleicht ein andermal.«
Ich gebe mich geschlagen, weshalb ich nicke. »Ja, vielleicht ein andermal«, sage ich, obwohl ich bezweifle, dass dieser Tag jemals kommen wird. »Ich bringe dich noch raus, A A.«
Ihr gefällt wohl mein Spitzname, denn sie lächelt. Ein vages Lächeln, das bloß eine kleine Andeutung dafür ist, wie ihr Gesicht strahlen kann, wenn sie tatsächlich lächelt.
Ich lege eine Hand auf ihren Rücken und führe sie durch den Flur zurück zum Eingang.
Mittlerweile sind mindestens doppelt so viele Kunden hier, um sich auszupowern. Vor der Bar steht Mark, mit dem ich gleich ein Training mit Seilschwingen habe. Er unterhält sich gerade mit Sophia. Sobald meine Angestellte mich und Avery, auf deren Rücken nach wie vor meine Hand liegt, sieht, zieht sie argwöhnisch die Brauen zusammen und mustert mich. Dabei versteinert sich ihre Miene ein kleines bisschen. Sie mag es genauso wenig wie Cee, wenn ich mit Kundinnen anbandle. Doch dieses Mal liegt sie völlig falsch – oder?
Eindeutig, schließlich ist Avery keine Kundin.
Ich lächle. »Ich komme gleich«, sage ich zu Mark, als ich an ihm vorbeigehe.
»Keine Eile. Ich habe hier erstklassige Unterhaltung.«
Als ich die Glastür geöffnet und mit Avery hinausgetreten bin, nehme ich meine Hand von ihrem Rücken. Ich würde sie am Liebsten wieder zurücklegen. »Sehen wir uns wieder?«
Gott, klinge ich erbärmlich. Was ist nur los mit mir? Sonst bin ich immer der lässige, coole Typ, der keine Scheu hat, eine Frau um ein Date, oder nach was Ähnlichem, zu fragen. Jetzt bettle ich fast darum.
»Bestimmt«, sagt sie, ehe sie sich umdreht und davongeht.
Der Anblick ihrer schwingenden Hüfte, erweckt ein gewisses Gefühl in meinem Schritt. Gut, dass ich ein hartes Training vor mir habe. Das lenkt mich garantiert von Averys hübschen Hinterteil ab.
»Sind wir bereit?«, frage ich Mark, als ich zurück im Studio bin. Und meine Gedanken wieder beisammen habe – und nicht mehr in meiner Hose.
Mark nickt, folgt mir durch die Hintertür, die gleich neben der Umkleide ist und so treten wir auf den Hinterhof hinaus. Die Seile habe ich schon vorhin an der hüfthohen Mauer, die den Hinterhof einzäunt und uns von den anderen Grundstücken abtrennt, angebracht.
»Wir werden uns heute mit einem Basketballspiel aufwärmen. Ist das in Ordnung für dich?«
»Wenn ich gewinne, schon«, meint Mark grinsend. Er ist eben erst zwanzig geworden. Und unglaublich fit. Manchmal frage ich mich, warum er mich überhaupt braucht. Wenn er aufdreht, habe ich keine Chance gegen ihn. Vielleicht spornt ihn das an, noch mehr Leistung aus sich rauszuholen.
»Das werden wir sehen.« Ich hole einen Ball aus der Garage, in der ich die Gerätschaften für draußen gelagert habe. »Wer zuerst fünf Körbe hat, hat gewonnen.« Ich werfe den Ball in die Luft und sofort sprinten wir los. Mark hat den Ball als erster erwischt und trippelt Richtung Korb. Ich atme erleichtert aus, als der Ball daneben geht. Danach bin ich dran. Leider geht auch der daneben. Mir kommt schon der Schweiß, bevor Mark den vierten Korb macht. Ich muss unbedingt aufholen. Ich habe erst drei. Ehe ich mich versehe, schießt Mark den Basketball und ... trifft.
»Jetzt nehme ich dich dafür an den Seilen härter dran«, meine ich, nachdem er eine Runde gejubelt hat.
»Los geht’s.« Er nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Trinkflasche und reibt sich dann die Hände.
Wir nehmen beide zwei dicke Seile, die zwölf Meter lang sind, an deren Enden in die Hände, halten sie fest umschlossen und bringen sie zum Schwingen. Rechts und links abwechslungsweise, sodass möglichst gleichmäßige Wellen entstehen. Mal stehen wir nur auf einem Bein. Mal stellen wir uns breitbeinig hin. Mal gehen wir in die Knie, ohne mit dem Schwingen aufzuhören. Mal halten wir beide Seile in einer Hand. Wiederum schwingen wir von unten nach oben. Bei der letzten Übung stehen wir seitwärts zu den Seilen, was uns die letzte Kraft kostet.
Obwohl es ein hartes Training ist, sehe ich dauernd Averys aschfahles Gesicht vor mir, wie sie zusammenzuckt und fast zu Boden geht, als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt. Ich weiß nicht, warum sie mir nicht mehr aus den Gedanken geht, aber ich weiß, dass ich sie unbedingt wiedersehen muss.
Nach zwanzig Minuten legen Mark und ich erschöpft und schweißnass die Seile weg. Um uns langsam abzukühlen joggen wir drei lockere Runden im Hinterhof.
»Heute hast du ganz schön Gas gegeben. Wolltest mich wohl für meinen vorherigen Sieg bestrafen.« Mark dehnt neben mir seine Beine, indem er sich mit den Händen an der Wand abstützt, während ein Bein leicht angewinkelt und das andere gestreckt ist.
»Es war so wie immer«, meine ich achselzuckend, verschränke die Hände, halte sie über meinen Kopf und strecke die Arme, soweit ich kann. Vermutlich habe ich ein ganz wenig mehr von uns abverlangt als normalerweise. Ich wollte meine Gedanken an Avery vertreiben. Mittlerweile glaube ich aber, dass noch so ein hartes Training die süße Brünette nicht aus meinem Kopf verdrängen kann.
»Ja klar.« Ein wissendes Grinsen taucht auf Marks Gesicht auf.
»Kümmere du dich um deinen eigenen Kram.« Ich schnappe mir mein Handtuch, um mir den Schweiß von der Stirn und im Nacken abzuwischen.
Er lacht bloß. »Dienstag? Gleiche Zeit?«, fragt er mich, ehe wir ins Innere des Studios gehen.
»Wenn du dann keinen Muskelkater mehr hast«, ziehe ich in mit einer gehobenen Augenbraue auf.
Er legt einen Finger unter sein linkes Auge und zieht das Unterlid nach unten. »Von wegen. Bis dann.«
»Bis dann.«
Wir boxen uns die Fäuste ab. Er verschwindet unter die Dusche, ich schaue mal nach, was vorne läuft.
Weit komme ich nicht, schon hält mich Logan auf. Er ist ein richtiger Surfertyp. Nicht nur durch sein Aussehen - gewellte blonde Haare, blaue Augen, braungebrannte Haut. Er verbringt jede freie Minute mit Surfen. Auch geht er an viele Wettkämpfe. Mal schauen, wann er den Job hier an den Nagel hängt. Ich warte eigentlich jeden Tag darauf.
»Lucy war ziemlich angepisst, weil du nicht das Training mit ihr zu Ende geführt hast.«
Ich atme genervt aus. »Ich habe ihr doch gesagt, dass wir die Stunde nachholen würden.«
»Was sie nicht davon abhielt, zu meckern, wie eine verf-«
Mit einem strengen Blick warne ich ihn, seine Klappe zu halten. »Sie ist unsere Kundin.«
»Die auf Extrabehandlungen besteht.«
»Sie bezahlt dafür.«
»Trotzdem hat sie kein Recht, mich zu beschimpfen oder herumzukommandieren.«
»Natürlich nicht, ich rede mit ihr.«
»Mach das.« Logan sieht zur Eingangstür, wo ich vorhin Avery verabschiedet habe und wo jetzt gerade Nat – ein großer Afroamerikaner - hereinkommt. Abgesehen von meinem Bruder Kyle, war Nat mein erster Kunde. Er kommt mehrmals wöchentlich in den Kraftraum, um seine sonst schon gigantischen Muskeln weiter aufzubauen.
»Was war denn überhaupt los? Wer war die junge Frau?», will Logan wissen, nachdem wir Nat mit erhobener Hand begrüßt haben.
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, ganz ehrlich. Sie war schon angespannt und bleich, als sie das Studio betreten hat. Aber dann muss irgendwas passiert sein. Sie ist fast zusammengeklappt, und ich habe sie ins Büro gebracht, damit sie sich beruhigen konnte. Sie wollte mir nicht sagen, was los war. Na ja, auch egal.«
Logan boxt mich mit dem Ellbogen in den Arm. »Hat dein Charme wohl einmal nicht ausgereicht?«, feixt er.
»Ha, ha.« Ich boxe zurück. »Sieh zu, dass du verschwindest.« Nie im Leben würde ich zugeben, dass es mich wurmt, dass ich kein Wort aus Avery herausbekommen habe. Denn ich hätte sie gerne besser kennengelernt. Nicht nur, weil ich sie hübsch finde, ihre geheimnisvolle und verletzliche Art lässt mich einfach nicht mehr los.
»Jawoll, Boss. Wir sehen uns morgen.« Logan macht kehrt und geht in die Umkleide, um seine Sachen zu holen.
Währenddessen setze ich meinen Weg durchs Studio fort. Sophia kommt soeben aus ihrem Aerobic-Raum, als ich durch die Reihe mit Laufbändern gehe, um denjenigen Hallo zu sagen, die ich noch nicht gesehen habe. Etwa fünf Frauen mit roten Köpfen folgen Sophia. Und mindestens so viele verschwinden in Richtung Dusche.
Nat bringt an der Langhantel Gewichtscheiben an.
»Brauchst du Hilfe?«, frage ich ihn, sobald ich neben ihm stehe. Ich sehe es nicht gern, wenn jemand allein auf der Hantelbank Gewichte hochstemmt. Ich habe einmal erlebt, dass ein Kerl es mit dem Stemmen übertrieben und dabei beinahe mit dem Leben bezahlt hat, weil ihm die Hantelstange fast die Luft abgedrückt hatte.
»Wenn du Zeit hast.« Nat legt sich mit dem Rücken auf die Drückbank, stellt die Füße fest auf den Boden und positioniert seine Hände an der Stange.
Anfangs zähle ich noch, wie viele Male er sie hochhebt. Doch dann schweifen meine Gedanken, wie schon oft an diesem Nachmittag, zu einer rätselhaften Braunhaarigen.
Als Nat sich an ein anderes Gerät setzt, gehe ich zur Bar, um etwas zu trinken und um zu sehen, ob Sophia meine Hilfe braucht. Sophias Aerobic-Mädels sitzen noch immer da und plaudern aufgeregt. Die eine oder andere sehe ich nicht zum ersten Mal. Es ist auch nicht das erste Mal, bei dem sie mit mir flirten wollen. Normalerweise steige ich sofort darauf ein. Aber heute ... heute regt sich nichts, rein gar nichts, als mir die Ladies ihre Mädels wie auf dem Präsentierteller servieren.
Was hat Avery nur an sich, dass ich nicht mal mehr auf die Oberweite meiner Kundinnen starren will?
»Hallo Klara, Faith«, begrüße ich diejenigen, die ich mit Namen kenne, den anderen lächle ich höflich zu, und wende mich dann an Jada, eine alte Schulfreundin. »Wo hast du Tom gelassen?« Sie und Tom haben sich hier kennengelernt und sind jetzt seit gut einem Jahr ein Paar.
Sie dreht ihren Fruchtcocktail in den Händen. »Er und ein paar Kollegen sind nach Las Vegas gereist. Sein bester Freund feiert Junggesellenabschied.«
»Cool.«
»Cool?« Jana verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. »Mal sehen, mit was für einem Kater Tom nach Hause kommt.«
»Die wissen nie, wann es genug ist«, meldet sich Faith zu Wort.
Ich nutze den Moment und stehle mich davon. Für dieses Thema bin ich ganz bestimmt die falsche Person. Ich hole mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Danach frage ich Sophia, ob sie Hilfe braucht. Dabei lehne ich mich seitwärts an die Theke und lege einen Arm auf die Bar.
Sophia wischt gerade ihre Hände an einem Tuch ab. »Eigentlich habe ich alles im Griff.«
Plötzlich liegt eine Hand auf meinem Arm. Wie vom Blitz getroffen, zucke ich zusammen und mache einen Schritt rückwärts.
»Was ist denn mit deinem Auge passiert?«, fragt mich Klara mitfühlend.
Ich hatte recht, das Veilchen beeindruckt die Frauen, nur anscheinend diejenige nicht, dich ich beeindrucken will.
»Ach das, das war bloß ein kleiner Unfall«, sage ich mit einem geheuchelten Lächeln, achte dabei nicht darauf, wie Klara ihre roten Haare um den Finger zwirbelt und mich anstiert, als würde sie mir am liebsten die Kleider vom Leib reißen, und wende mich an Sophia. »Dann lasse ich dich mal weitermachen. Ich bin im Büro, wenn was ist.«
Sophia sieht mich irritiert an, als ich nicht auf Klaras Flirt eingehe. Ich, der normalerweise keiner Anmache widerstehen kann, verkriecht sich in sein Büro. Das muss jedem, der mich besser kennt, seltsam erscheinen.
»Okay«, meint sie gedehnt, ehe sie sich wieder um die Kundschaft kümmert.