Kitabı oku: «John F. Kennedy. Der schwache Präsident»
Magdalena Freischlad
John F. Kennedy. Der schwache Präsident
Eine Biografie
Impressum
ISBN: 978-3-86408-137-8 (epub) // 978-3-86408-138-5 (pdf)
Korrektorat: Daniel Kirchhof
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2012
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Früh übt sich… Der Beginn der Selbstinszenierung
3. Vitamin B
4. Inszenierung eines Helden
5. Erkaufte Macht
6. Präsident der Worte – nicht der Taten
7. The Show must go on…!
Quellenteil
1) Address of Senator John F. Kennedy to the Greater Houston Ministerial Association 12th September 1960
2) John F. Kennedy, Inaugural Address, 20th January 1961
Bibliographie
1. Einleitung
Es war halb zwei Uhr nachmittags als eine Cabriolimousine mit offenem Verdeck durch die Straßen von Dallas fuhr. Entlang des Straßenrands stand eine riesige Menschenmenge, die den Insassen des Wagens euphorisch zujubelte. Als das Auto um eine enge Linkskurve bog, verstummte die heitere Menschenmenge plötzlich. Erschrockene Stille. Ein Schuss war gefallen. Und ein zweiter folgte kurze Zeit später. Blut spritzte. Es war ein furchtbarer Anblick. Die Kugel hatte dem Mann in der Limousine, der nun in die Arme der Frau neben ihm fiel, die Schädeldecke aufgerissen. Noch ehe der letzte Schuss in dieser plötzlichen Stille verhallt war, heulte der Motor der Limousine laut auf. Mit Höchstgeschwindigkeit fuhr sie in Richtung des nächstgelegenen Krankenhauses. Dort angekommen, versuchten die Ärzte durch Wiederbelebungsmaßnahmen den bewusstlosen Mann am Leben zu halten. Doch jede Hilfe kam zu spät. Kurze Zeit später starb der Mann. Es handelte es sich um John F. Kennedy, Amerikas jüngsten Präsidenten. Er war auf seiner Wahlkampfreise in Dallas, Texas, gewesen, als er am Nachmittag des 22. November 1963 in Folge der tödlichen Schüsse in den Armen seiner Frau starb. Und mit ihm starb auch die Hoffnung vieler Menschen. „Für unzählige Menschen“, schrieb der zeitgenössische Historiker Allan Nevins, „schien sich der Himmel plötzlich um die Mittagswende des 22. Novembers 1963 zu verdüstern. Aus dem Leben Amerikas entschwand ein Gefühl der großen Verheißung und die Überzeugung, dass die Zukunft unseres Landes von Ideenreichtum und Hoffnung erfüllt sei; die atemberaubende Anteilnahme an den vor uns liegenden Abenteuern verließ uns.“1 Der plötzliche Tod Kennedys versetzte die Amerikaner in tiefe Trauer. Die Bestürzung über seine Ermordung war nicht nur in den USA spürbar. Weltweit waren die Menschen ergriffen von dem Tod des jungen und charismatischen Präsidenten, denn er galt weltweit als politische Lichtgestalt und dynamischer Politiker im Weißen Haus. Kennedy wurde durchweg positiv bewertet und gilt bis heute als mutiger und authentischer Politiker, der sich für das Recht der Armen und Diskriminierten einsetzte und in größten politischen Krisen diplomatisches Geschick behielt. Das Bild des strahlenden, charismatischen Präsidenten ist bis in die Gegenwart in den Köpfen und Herzen vieler Menschen verankert. Um jenes Bild von sich in der Öffentlichkeit zu verbreiten, hatte Kennedy sein Leben lang hart und sorgfältig gearbeitet. Doch die Differenz zwischen seinem konstruierten Image und der Person hinter diesem Bild ist groß. Kaum etwas von dem, was er zu sein vorgab, deckt sich mit der tatsächlichen Person. Hinter dem präzis ausgearbeiteten Image des charmant lächelndem John F. Kennedy steckt vielmehr jemand, der durch Betrug, eiskaltes politisches Kalkül und nur mit der Hilfe und dem Geld seines Vaters zum mächtigsten Mann der Welt werden konnte: zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
2. Früh übt sich… Der Beginn der Selbstinszenierung
Das Haus der Familie Kennedy befand sich in heller Aufruhr. Bedienstete eilten von einem Zimmer zum nächsten, um allen in dem großen Haus die freudige Botschaft zu überbringen. „Ein Junge war geboren!“ Die Freude der Eltern, Rose und Joseph Patrick Kennedy, war groß. Der Vater trug den nunmehr schlafenden Säugling stolz durch das mehrstöckige Haus in der Beals Street in Brooklyne, Massachusetts. Es war ihr zweiter Sohn, der am jenem Dienstag – es war der 29. Mai 1917 – geboren wurde. Sie gaben ihm den Namen John und, in Anlehnung an seinen Großvater Thomas Fitzgerald, den Beinamen Fitzgerald. Der kleine John Fitzgerald Kennedy war ein prächtiger junger Kerl. Aus ihm sollte einmal eine große Persönlichkeit werden, ganz wie es der Tradition der Familien Kennedy und Fitzgerald entsprach: Die Kennedys waren nämlich wie die Fitzgeralds auch Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aus Irland ausgewandert und hatten sich im Laufe der Jahre aus ärmsten Verhältnissen zu wohlhabenden Familien hochgearbeitet. In kurzer Zeit hatten sie sich im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ als reiche Familien einen Namen gemacht.2
Doch die anfängliche Freude an dem Kind und die Hoffnungen auf einen gesunden, ehrgeizigen und tüchtigen Kennedy-Nachwuchs sollte schon bald gedämpft werden. Denn der kleine John Fitzgerald, der alsbald nur noch „Jack" genannt wurde, gehörte nicht zu der starken und robusten Sorte. Er war ein hagerer, schwächlicher und blasser Junge, der sehr oft krank war. Bereits als er noch ein Kleinkind war, wurde er mehrere Monate von seinen Eltern getrennt, um in einem Krankenhaus zu genesen. Auch in den darauf folgenden Jahren musste er oft für längere Zeit das Krankenbett hüten. Kein Jahr verging, an dem dies nicht der Fall war. Eine Nebennierenrindeninsuffizienz, unter der er litt, hatte nämlich zur Folge, dass er unter Gewichtsverlust und einem allgemeinen Schwächegefühl litt und insgesamt anfällig für Infekte war. Sehr zum Leidwesen seines Vaters. Dieser hatte nicht etwa Mitleid mit seinem Sohn, den die vielen Krankenbettaufenhalte auch psychisch belasteten: Wenn Jack nämlich wie so oft mit hohem Fieber, Schüttelfrost oder anderen Symptomen im Krankenbett lag und draußen auf der Straße die spielenden Kinder aus der Nachbarschaft hörte, hatte dieser oft das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Dann fühlte er sich einsam und ausgeschlossen. Sein autoritär-patriarchalischer Vater interessierte sich jedoch nur wenig für die Befindlichkeiten und Wünsche seines Sohnes. Die vielen Erkrankungen waren in seinen Augen ein Zeichen von Schwäche – und Schwäche galt im Hause Kennedy als eine Untugend. Alles, was zählte, waren Fleiß, Disziplin und harte Arbeit. Gut war eben nicht gut genug. Der Beste, der Schnellste, der Tollste musste man sein. Jacks Mutter, die durch eine mütterlichliebevolle Art der stetigen Druckausübung des Vaters hätte entgegenwirken können, war ebenfalls nicht in der Lage, ihren Kindern ihre Liebe entgegenzubringen. Kein einziges Mal, so hatte Jack einmal gesagt, seien ihr die Worte „ich liebe dich“ über die Lippen gekommen. Es war folglich ein emotionsarmes Umfeld, in der der junge Jack aufwuchs.3
Dabei hatte es Jack in materieller Hinsicht sehr gut: Es war ihm vergönnt, in einer der wohlhabendsten Familien Amerikas aufzuwachsen. Wohl behütet und von zahlreichem Personal umsorgt genoss er ein luxuriöses und unbekümmertes Leben. Es war ein anderes als das der meisten Kinder in seinem Alter. Nach dem großen Börsencrash vom 24. Oktober 1929, dem „schwarzen Donnerstag“, lebten nämlich Tausende von Kindern mit ihrer Familie in größter Armut. Ihre Eltern hatten in Folge der Wirtschaftskrise ihre Jobs verloren und konnten dadurch die Raten für ihre Häuser nicht mehr abbezahlen. Die Folge war, dass sie in notdürftig gebauten Blechhütten wohnen mussten. Manche fanden nur noch unter Brücken Unterschlupf. Um Essen zu bekommen, mussten sie an den immer länger werdenden Schlangen der Suppenküchen anstehen. Von all dem bekam der kleine Jack jedoch nichts mit. Er spielte ausschließlich mit den Kindern anderer gut betuchter Familien. Den Sommer verbrachte er ohnehin ausschließlich gemeinsam mit seiner Familie auf deren sechs Hektar großem, direkt am Wasser gelegenen Anwesen in Hyannis Port.4
Die Familie Kennedy in Hyannis Port im September 1931. Quelle: John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.
Während Jack seine Mutter für ihre kalte Art eher verachtete, sehnte er sich nach der Anerkennung seines Vaters – trotz dessen autoritärer Art. Wie sehr hatte er sich gewünscht, einmal ein Lob von ihm zu bekommen. Doch er buhlte vergeblich um die Zuneigung seines Vaters. Dieser hatte nur einen Lieblingssohn: Jacks ältesten Bruder Joseph Kennedy, genannt „Joe“. Jener war ebenso ehrgeizig und fleißig wie sein Vater. Er war stark und groß, der Beste in seiner Schule und der Beste in seiner Sportmannschaft. Er war es auch, der die Kennedy-Tugenden verkörperte. Der hagere, gebrechlich wirkende und schwächliche Jack hingegen besaß diese Tugenden nicht: In der Schule hatte dieser nur mittelmäßige Noten. Im Sport konnte er aufgrund seiner Krankheit keine volle Leistung erbringen. Er hatte ohnehin keinen übermäßigen Ehrgeiz und wollte lieber spielen anstatt zu arbeiten. Der Vater übte zwar mindestens genauso viel Druck auf Jack wie auf seinen Lieblingssohn Joe aus, doch seine Hoffnungen setzte er ausschließlich auf den Erstgeborenen. Jack wusste, dass er für seinen Vater immer nur die Nummer Zwei sein würde – egal wie sehr er sich bemühte. Deshalb suchte er auf anderen Wegen nach Anerkennung. Immer wieder machte er von sich Reden, weil er in der Schule wiederholt Streiche gespielt und sich den Lehrern gegenüber respektlos verhalten hatte. Bei seinen Mitschülern war er wegen seiner ungebührlichen Art sehr beliebt, bei den Lehrern dagegen weniger. Auch wenn er nicht der Lieblingssohn seines Vaters war, so wusste Jack doch, dass dieser alles dafür tun würde, damit aus jedem seiner insgesamt neun Kinder einmal etwas Großes werden würde. Mit diesem Wissen konnte der verwöhnte Jack unbekümmert seine vielen Streiche auf den strengen Privatschulen – es waren natürlich nur die besten Schulen Amerikas – weiterführen. Doch einmal trieb er es zu weit und er wurde von der Schule entlassen. Ein Kennedy-Sohn, der aus der Schule geschmissen wurde? Das durfte es nicht geben! Deshalb setzte Vater Kennedy sämtliche Hebel in Bewegung – immerhin war er vermögend und verfügte über gute Beziehungen. Drei Wochen später drückte Jack wieder die Schulbank.5
Jack lernte noch ein anderes Mittel kennen, wodurch er selbst bei den Lehrern, die er mit seinen Streichen immer wieder zur Weißglut brachte, Sympathien gewann: Sein charmantes Lächeln. Durch seinen Charme sicherte er sich schnell die Zuneigung seiner Mitmenschen und konnte auf diesem Wege die Anerkennung bekommen, nach der er sich so sehr sehnte. Zwar hielt sich Jack für etwas Besseres und ließ andere Menschen gern durch sein herablassendes Verhalten seine soziale und finanzielle Überlegenheit spüren, doch er lernte bald, dass er mehr erreichte, wenn er sein arrogantes Verhalten überspielte. Wie erfolgreich sein gewinnendes Lächeln war, zeigte sich vor allem bei Frauen. Es gab kaum eine Frau, die ihn kannte und nicht von ihm schwärmte und es gab wiederum kaum eine Frau, bei der Jack dies nicht auszunutzen wusste. Die liebevolle Zuwendung, die er sich von seinen Eltern immer gewünscht, aber nie bekommen hatte, konnte er nun in dieser Form kompensieren. Jack lernte auf diese Weise, seine Gefühle und Wünsche zu überspielen und hinter seinem strahlenden Lächeln sein wahres Ich zu verbergen.
Das charmante Lächeln des John F. Kennedy (links) überspielt die familiären Probleme im Hause Kennedy (1948). Quelle: John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.
3. Vitamin B
„Schluss, aus, vorbei!“, die leidigen Bücher wurden in eine Ecke des Zimmers geschmissen. Die Schuluniform in die Mülltonne gestopft. „Nie wieder Schule!“- erleichtert war er, der achtzehnjährige Jack, dass er dieses strenge und müßige Schulumfeld nun nie mehr erleben müsse. Vor ihm lag eine neue Zeit, neue Abenteuer standen bereit und auf diese begann er sich sogleich vorzubereiten. Ein Hemd nach dem anderen legte er in den großen braunen Koffer, der ihn in den nächsten Monaten begleiten sollte. Er war kaum achtzehn Jahre alt, als er sich auf den Weg in die weite Welt machte: einmal über den großen Teich nach England. Dort hatte er die Möglichkeit, an der prestigeträchtigen London School of Economics zu studieren. Freilich waren seine mittelmäßigen Noten nicht gerade eine Eintrittskarte gewesen. Doch sein Vater zog weiterhin im Hintergrund die Strippen und hatte ihm so einen Studienplatz ermöglich. Der junge Kennedy freute sich auf die bevorstehende Reise. Jedoch weniger auf das Studium als vielmehr auf die neuen Abenteuer und Möglichkeiten, die ihn in dem Land, das ihn so sehr faszinierte, erwarteten.
Doch es kam alles anders als gedacht: Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft in London wurde er wieder krank und zwar so schwer, dass er zu seinen Eltern in die USA zurückkehren musste. Sein Vater wollte nicht, dass durch seine Krankheit viel Zeit verloren ging. Das könnte sich schließlich negativ auf Jacks Karriere auswirken. Kurz nach seiner Genesung sollte er sich deshalb an der renommierten amerikanischen Princeton-Universität bewerben. Doch dort wurde er abgelehnt. Schließlich waren seine Noten nur mittelmäßig, bei Weitem nicht gut genug für das Studium an Amerikas Eliteuniversität. Für die Familie Kennedy waren dies ein Schock und eine Blamage zugleich. Ein Kennedy musste an den besten Schulen und Universitäten des Landes studieren, weshalb Joseph Kennedy auch diesmal nachhalf – und Jack erhielt wenige Wochen später einen Zulassungsbescheid. Doch er erkrankte erneut. Diesmal musste er ins Krankenhaus und anschließend für zwei Monate zur vollständigen Genesung in den Süden der USA. So verging ein Jahr bis sich der junge Kennedy an der nächsten Eliteuniversität bewarb und sein Vater sorgte dieses Mal dafür, dass seine Annahme an der Universität beim ersten Mal eine positive Antwort einbrachte – erfolgreich. Im Herbst 1936 hatte der neunzehnjährige Jack schließlich das Privileg, an der berühmten Harvard-Universität zu studieren.6
Eliteuniversität hin oder her, ihm lag nicht viel daran, sein Leben mit zu viel Arbeit zu verschwenden. Er war ein Lebemann und er wollte es auch bleiben. Schließlich waren auch an der Harvard-Universität viele attraktive Frauen. Dort hatte sein Charme ebenfalls eine ungemeine Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht, wovon Jack weiterhin profitieren wollte. Schon bald hatte er den Ruf, ein Frauenheld zu sein. Stolz schrieb er seinem Jugendfreund in einem Brief: „Ich werde hier Playboy genannt“. Seine vielen Affären gaben ihm das Gefühl der Zuneigung, ein Gefühl, das seine Mutter ihm nie gegeben hatte. Sie waren für ihn aber auch eine Art Ventil, um den großen Druck seines Vaters, der wie ein großer Stein auf seiner Schulter lastete, für einen Moment zu vergessen. Es gab aber noch einen weiteren Grund für seine Sexsucht: In allem stand er im Schatten seines Bruders, der ihn in jeder Hinsicht übertraf. In Bezug auf Frauen stand Jack jedoch ganz vorne. Es war der einzige Bereich, in dem er seinem Empfinden nach „besser“ als sein Bruder war. „Besser“ vielleicht auch als sein Vater, der ihm, was seine Affären anging, in nichts nachstand.7
Im Jahr 1937, nachdem Jack sein erstes Studienjahr hinter sich gebracht hatte, reiste er für eine Rundreise erneut nach Europa, denn solch eine Reise gehörte schließlich zum guten Ton in der gehobenen Gesellschaft. Frankreich, Italien, Deutschland und England standen auf dem Plan. Es war eine Reise in einer politisch angespannten Zeit: In Italien waren unter Mussolini die Faschisten an die Macht gekommen und in Deutschland hatte Hitler sein Regime errichtet. Angesichts dieser angespannten Lage begann sich Jack etwas für die außenpolitischen Beziehungen der Länder Europas untereinander und der europäischen Länder zu den USA zu interessieren. Gleichwohl vergaß er dabei keineswegs das Leben fernab der Politik. Er zog mit seinem Freund Billings, der mit ihm die Reise bestritt, von Pub zu Pub und von Bar zu Bar, um die neuen Länder auch von der angenehmen Seite kennen zu lernen.8
Die Reise hatte Spuren gelassen. Als er nach dem Ende seiner Semesterferien nach Harvard zurückkehrte, um das zweite Studienjahr zu beginnen, zeigte er ein großes Interesse an außenpolitischen Themen. Dies schlug sich sodann in seiner Fächerwahl nieder. England hatte ihm zudem so gut gefallen, dass er unbedingt dorthin zurückkehren wollte. Als sein Vater im Winter 1938 zum amerikanischen Botschafter in England ernannt wurde, nutzte Jack diese Gelegenheit, um in den darauf folgenden Semesterferien wieder nach England zu reisen. Offiziell bestritt er die Reise, um an der amerikanischen Botschaft zu arbeiten. Dabei ging es ihm jedoch weniger um die Arbeit selbst als um das aufregende Leben der „High Society“, denn Jack fand Bestätigung darin, sich ausschließlich mit den Reichen und Schönen der Welt abzugeben. Dort, inmitten von attraktiven Frauen in eleganten Abendkleidern und mit tiefem Ausschnitt, wo Live-Bands für gute Stimmung sorgten, Champagner und Wein wie Milch und Honig im gelobten Land flossen, dort fühlte er sich am Wohlsten.9
Zu Beginn des Herbsttrimesters musste Jack wieder zurück an die Universität um sein letztes Studienjahr zu absolvieren. Das amüsante und spaßige Leben in England hatte ihn jedoch so sehr fasziniert, dass er erneut dorthin zurückkehren wollte. Deshalb organisierte er seinen Studienplan so, dass er im Sommer des Jahres 1939 ein Freisemester nehmen konnte. Offiziell begründete er dies damit, dass er für seine ‚Senior Thesis‘ Material sammeln wolle. Doch in England angekommen, steckte er die meiste Energie in die vielen gesellschaftlichen Events und umgab sich mehr mit schönen Frauen als mit der Suche nach relevanten Quellen für seine Arbeit. So ausgelassen er bei den vielen Events feierte, so sehr wurde er doch immer wieder mit der Realität konfrontiert. Denn diese politisch angespannte Zeit konnte auch ein John F. Kennedy nicht ignorieren und er begann, die politische Entwicklung mit etwas größerem Interesse zu verfolgen. Er fühlte sich als Live-Beobachter eines herannahenden Gewitters, dessen Gewalten sich bald entladen würden. Schon wenige Monate später sollte dies tatsächlich geschehen.10
Es war der 3. September 1939, als Jack Kennedy von der Zuschauertribüne des englischen Parlaments aus ergriffen die emotionale Rede eines betagten und etwas beleibten Mannes hörte. Sein Vater, der als amerikanischer Botschafter neben ihm saß, erstarrte regelrecht, als er der rhetorisch hervorragenden Rede des rundlichen Mannes folgte. Dem sonst so strengen und stets gefassten Joseph Kennedy stiegen Tränen in die Augen. Doch es war weniger die Redegewandtheit des Mannes, die ihn ergriffen hatte, sondern der Inhalt der Rede, deren ernsthafte Bedeutung er nur allzu gut verstand. Bei dem Redner handelte es sich um niemand Geringeren als Winston Churchill, den Britischen Premierminister. Dieser hatte soeben Deutschland den Krieg erklärt, nachdem Hitler zwei Tage zuvor in Polen einmarschiert war. Gut zwanzig Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stand ein neuer Krieg bevor. Wenngleich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar war, mit welch unmäßiger Gewalt dieser Krieg in den kommenden Monaten und Jahren geführt werden würde, so stand doch bereits zu diesem Zeitpunkt fest, dass der neuerliche Krieg mindestens genauso brutal sein würde wie der Erste Weltkrieg.11
Dieses Erlebnis hatte tiefen Eindruck bei Jack hinterlassen. Er begann sich ernsthafter für die politischen Fächer seines Studiums zu interessieren und beschäftigte sich fortan vor allem mit Themen der internationalen Beziehungen und der Frage, wie sich in der internationalen Politik Rhetorik und reales Handeln voneinander unterscheiden ließen. Dieses Interesse schlug sich schließlich auch in seiner ‚Senior Thesis’ nieder, für die er ursprünglich nach England gereist war.
Die vielen Feiern hatten ihn in seinem Zeitplan zurückgeworfen, sodass er beim Verfassen seiner Abschlussarbeit unter großem Zeitdruck stand. Seine ‚Senior Thesis’ schrieb er deshalb schnell und schludrig nieder. Sie war – wie seine Schul- und Studienleistungen vorher auch – eher halbherzig verfasst, voller Flüchtigkeitsfehler und mit wenig Sorgfalt ausgearbeitet. Gleichwohl enthielt sie der Bewertung seiner Prüfer zufolge durchaus einige interessante Gedankengänge. Jack hatte sich in seiner Arbeit mit dem Titel „Appeasement in München“ und dem langen Untertitel „Das unvermeidliche Resultat der zu langsamen Wendung der britischen Demokratie von der Abrüstungspolitik zu einer Politik der Wiederaufrüstung“ mit der Frage beschäftigt, warum England nach dem Ersten Weltkrieg wieder in einen Krieg verwickelt war. War das Versagen ein Wesenszug des demokratischen Systems oder waren andere Dynamiken dafür verantwortlich? Jacks These war, dass die generelle Schwäche der Demokratie dazu beigetragen habe. Denn in demokratischen Staaten müsse die öffentliche Meinung für einen Kriegseinsatz erst überzeugt werden, während in einer Diktatur ein Land viel leichter für einen modernen Krieg mobilisiert werden könne.12
Da John Fitzgerald Kennedy der Sohn des berühmten Joseph Kennedy war, fand die Arbeit in der Öffentlichkeit Beachtung. Diese Aufmerksamkeit wollte Kennedy noch vergrößern, indem er die Arbeit veröffentlichte. Sie war jedoch kein Meisterwerk, sondern lediglich die Arbeit eines Amateurs. Um dies zu ändern, ließ Joseph Kennedy das Buch von einem befreundeten Journalisten, dem New York Times-Kommentator Arthur Krock, gründlich überarbeiten. Das Buch, das den Titel ‚Why England slept‘ erhielt und 1940 publiziert wurde, fand schließlich reißenden Absatz. Der große Absatz kam jedoch nicht von ungefähr: Sein Vater hatte nicht nur durch seine Beziehungen dafür gesorgt, dass das Buch überarbeitet wurde und dass bekannte Journalisten die Einleitung, bzw. wohlwollende Kommentare verfassten. Er selbst hatte viele tausend Exemplare gekauft, um das Buch so auf die Bestsellerliste zu bringen. Dies blieb jedoch geheim.13
Der erkaufte Erfolg konnte jedoch nicht über Jack Kennedys kaum erträglichen Schmerzen hinwegtäuschen. Er litt weiterhin unter seinen Magen-Darm-Problemen, durch die er viel Gewicht verlor. Immer wieder musste Kennedy längere Aufenthalte im tristen Umfeld steriler Krankenhauszimmer machen. Im Jahr 1940 bekam er zudem ein Zwölffingerdarmgeschwür, das allerdings erst Jahre später diagnostiziert wurde. Außerdem plagten ihn starke Rückenschmerzen, die eher schlimmer als besser wurden. Durch die Erziehung seines strengen Vaters hatte er jedoch verinnerlicht, dass seine Krankheiten ein Zeichen von Schwäche darstellten. Wenn aus ihm etwas werden sollte, musste er nach außen hin stark und gesund wirken. Deshalb war er darauf erpicht, stets braun gebrannt zu sein. Doch nicht nur vor seinem Vater und vor sich selbst galt es, seine Schmerzen zu unterdrücken. Wie wichtig es auch für seine berufliche Karriere war, seine gesundheitlichen Probleme zu verbergen, erkannte Kennedy schon bald.14
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