Kitabı oku: «In Freiheit dienen»

Yazı tipi:

Magnus Malm

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22983-7 (E-Book)

ISBN 978-3-417-26948-2 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© der deutschen Ausgabe 2020

SCM Verlagsgruppe GmbH · Bodenborn 43 · 58452 Witten

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: info@scm-brockhaus.de

Originally published in Swedish under the title: Fri att tjäna

© Magnus Malm 2018

© Artos & Norma bokförlag 2018

Foto Magnus Malm: © unbekannt

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen.

Weiter wurden verwendet:

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe

in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Umschlaggestaltung und Titelillustration: Erik Pabst, www.erikpabst.de

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

Inhalt

Über den Autor

Geleitwort von Thomas Härry

Vorwort

1. Führung übernehmen – Warum es bei der inneren Freiheit beginnen muss

2. Was uns wirklich antreibt – Zwischen Begabung, Berufung und dem Drang nach Anerkennung

3. Frei, arm und dienstbereit – Das Wie geistlicher Führung

4. Das Problem mit dem blinden Augenarzt – Über geistliches Urteilsvermögen

5. Zwischen Engeln und Dämonen – Die eigene Position finden

6. Hier geht’s lang – Die Frage von Macht und Autorität

7. Klare Worte finden – Die Predigt als deutliche Form von christlicher Führung

8. Die Kirche – Mutter, Leib oder Projekt?

9. Was eine Führungsperson formt – Zwischen dem Ich, Gott und der geistlichen Ausbildung

10. Nicht zum Erfolg berufen, sondern um Früchte zu tragen – Orientierung zwischen Burn-out und Vision

Zum Abschluss Im Schnittpunkt leben

Anmerkungen

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Über den Autor


Magnus Malm (Jg. 1951) ist christlicher Redakteur, Publizist und Leiter von Einkehrzeiten in Schweden. Seine Bücher zum Thema Leiterschaft haben auch in Deutschland einen großen Einfluss. Er lebt bei Göteborg.

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Geleitwort von Thomas Härry

»Das ist Unsinn! Und theologisch falsch«, schoss es mir durch den Kopf, als ich vor vielen Jahren die Zeitschrift AUFATMEN durchblätterte und die Überschrift eines Artikels las: »Gott braucht keine Helden«. Wer konnte so etwas schreiben? Die Bibel ist doch voller Geschichten von Menschen, die für Gott Großes wagten: Mose, David, Gideon, Petrus, Paulus. Wenn das keine Helden Gottes sind! Ich las den Artikel schließlich doch. Der Autor: Magnus Malm. Noch nie gehört. Zeile um Zeile wich mein Widerstand einer tiefen Betroffenheit. »Es gefällt mir zwar nicht, aber der Mann hat recht!«, dachte ich.

Als fast zeitgleich ein Buch mit demselben Titel auf Deutsch erschien, ließ ich mich erneut auf diesen knorrigen Schweden ein, der mein Gottes- und Selbstbild zerpflückte. Die Botschaft dieses Buchs traf mich in einer der verletzlichsten Phasen meines Lebens. Eine Mischung aus unreflektierter Ambition und Überforderung inmitten der »Zuvielfalt« meines Alltags (Familie, Lebensgemeinschaft, theologisches Aufbaustudium, Dozententätigkeit und Gemeindereferent) trieb mich über den Rand meiner Kräfte hinaus. Ich stemmte mich verzweifelt gegen das Eingeständnis, meine Misere selbst produziert zu haben. Und ich las bei Magnus Malm, dass eines meiner Probleme darin bestehen würde, dass ich zwei Dinge miteinander verwechselte: meine Berufung und meine Sendung. Dass meine Berufung nicht darin bestehen würde, etwas für Jesus zu tun, sondern der Beziehung zu ihm den ersten Platz einzuräumen. Ein für mich neues Verständnis, denn meine Berufung hatte ich bisher mit dem mir aufgetragenen Dienst gleichgesetzt. Dienst aber ist nicht Berufung, sondern Sendung: das Tun und Gestalten auf der Grundlage einer vitalen Christusbeziehung und Spiritualität. Malm argumentierte biblisch, mit theologischer Tiefe und Sorgfalt und ich konnte nicht anders, als ihm recht zu geben. Es war Zeit für eine Kurskorrektur …

Dieses Buch hatte damals eine ebenso wichtige Bedeutung wie die darauf folgenden gesundheitlichen Maßnahmen, die nötig wurden. Und so wurde dieser unbekannte schwedische Autor für mich zu einem Seelsorger, Ermahner und Ermutiger. Er gehört zum Kreis einiger weniger Autoren, denen ich Entscheidendes verdanke.

Nicht alle seiner später erschienenen Bücher hatten dieselbe Wirkung auf mich. Nun aber legt der mittlerweile älter und reifer gewordene Schwede mit In Freiheit dienen noch einmal ein Buch vor, das mich in seinen Bann zieht. Schon nach wenigen Seiten packt mich die Lektüre. Ich werde in tiefen Seelenschichten angesprochen; werde aufgerüttelt, ermutigt und erneut gehörig gegen den Strich gebürstet. Malm beschreibt das Wesen guter christlicher Leitung und er beginnt wieder dort, wo es beginnen muss: in der Tiefe der Seele. Er benennt die vielleicht größte Not heutiger Führung: unreflektierte innere Mankos, Lebenswunden, die unser Tun vergiften. Größenwahn, Geltungsbedürfnis. Und Angst. Angst vor Versagen, Angst, es nicht zu schaffen. Doch Malm deckt nicht bloß auf – er gibt uns Balsam. Er schöpft aus dem Reichtum biblischer Texte und aus der reichen Tradition der Kirche, besonders der ignatianischen Spiritualität. Geschickt verbindet er erneut nahrhafte Theologie mit handfester Alltagsrealität.

Man muss und kann auch als Leseratte nicht jedes Buch lesen. Dies aber ist eines, das alle, die Verantwortung tragen, unbedingt lesen sollten. Allen voran Leitungspersonen, Verantwortungsträger, Macher und Gestalter. Es gibt nur wenig Literatur, welch die innere Seite des Leitens so mutig und kristallklar beleuchtet. Die so pointiert benennt, was wir am meisten brauchen, um als reife, gefestigte Persönlichkeiten unser Bestes für Gott und die Welt zu geben.

Malm ist nicht einfach ein begabter Autor. Er ist ein Mann, der durch Tiefen ging und geht. Ein Gebeutelter, ein Ringender, einer, der die Tiefen von Schmerz und Gebrochenheit durchschritten hat. Deshalb hat er uns so viel zu geben. Denn früher oder später stehen wir alle an diesem Punkt, auch die großen und erfolgreichen Führungspersonen unter uns: an dem Punkt, an dem uns unsere Sicherheiten geraubt werden. An dem uns ungeahnte Verunsicherungen den Boden unter den Füßen wegziehen und unsere Erfolge zerrinnen. Dann sind wir dort, wo Gott sein vielleicht schönstes Werk an uns tut: Dort, in der Tiefe, umfasst er uns mit unendlicher Liebe und Gnade und steigt heilend in unsere Wunden hinab. Ich kann mir für diese Sternstunden der Erneuerung keinen besseren literarischen Begleiter vorstellen als Magnus Malms neuestes Buch.

Thomas Härry

Rombach, Ende Januar 2020

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Vorwort

1990 veröffentlichte ich ein Buch zum Thema Führung mit dem Titel Gott braucht keine Helden. Seitdem wurde es immer wieder aufgelegt und von vielen Christen mit Führungsverantwortung gelesen.

Auch auf mich selbst hatte das Buch großen Einfluss, weil es zur Grundlage der ABC-Einkehrtage für Gemeindemitarbeiter wurde. Die Leitung dieser Einkehrtage ist seit etlichen Jahren meine Hauptaufgabe. Davon ausgehend habe ich meine Schulungsarbeit zum Thema geistliche Führung für Gemeindemitarbeiter entwickelt.

Nun besteht diese Arbeit seit fast 30 Jahren. Durch die Leitung Hunderter Einkehrtage und Gespräche mit Tausenden Priestern, Pastoren, Diakonen und anderen Gemeindemitarbeitern aus den verschiedensten Kirchen und Gemeinden aus ganz Skandinavien habe ich eine Menge gelernt.

Mit diesem Buch versuche ich nun, etwas von dem zusammenzufassen, was ich aus dieser Zeit mitgenommen habe – in der Hoffnung, dass ich damit meinen heldenhaften Brüdern und Schwestern, die in unterschiedlichen christlichen Bereichen arbeiten, etwas von dem Reichtum zurückgeben kann, den ich selbst empfangen durfte. Dieses Buch ist für euch!

Neben meiner eigenen Lebenserfahrung und den Begegnungen mit all diesen wunderbaren Menschen ist vor allem die Bibel meine Quelle. Warum erst den Fluss überqueren, wenn wir Wasser holen wollen? Wenn wir uns mit unseren Fragen an die Bibel wenden, merken wir schnell, wie erstaunlich relevant sie in allem Wesentlichen ist, was mit dem Thema Führung zu tun hat – nicht zuletzt durch ihre unsentimentale Sachlichkeit.

Außerdem schöpfe ich mit Freude aus dem ungeteilten Quellstrom der Kirche. Ich schreibe bewusst »ungeteilt«, denn so sehe ich die geistlichen Wegbegleiter, die die Kirche im Lauf der Geschichte geprägt haben. Einer von ihnen ist der freikirchliche Prediger Frank Mangs, der am Ende seines Lebens in seiner Autobiografie schreibt: »Die Gemeinde des lebendigen Gottes wird weder in der Zeit noch in der Ewigkeit mehr als eine sein.«1

Der gleichen Perspektive begegnen wir bei einem anderen meiner ständigen Begleiter, dem katholischen Mönch Thomas Merton. In einem Brief an den protestantischen Theologen Paul Tillich schreibt er 1959:

Seit geraumer Zeit ist in mir der Gedanke immer stärker geworden; da das Christentum ein einfaches Leben in Christus ist, ein Leben, das wir alle teilen, so folgt, dass, je bewusster wir uns dessen sind und uns darüber freuen, desto mehr werden wir Christen eins in Ihm. Und ich fühle, dass alles, was wir gemeinsam haben, so viel größer und wichtiger ist als all das, wir nicht gemeinsam haben, zumindest in der Lehre und juristisch. Es gibt einen Christus auf der Welt, wenn die Christen wirklich ein Herz und eine Seele in Ihm sein wollen. Die institutionellen Unterschiede sind da, leider, aber sie sind nicht stärker als die Liebe. Dies ist die beste Formel für die Einheit der Christen, die ich mir vorstellen kann, und ich habe den starken Verdacht, dass dies etwas mit den Evangelien zu tun hat.2

Mein Prinzip, in all meinen Büchern immer von »der Kirche« zu schreiben, ohne mich an eine Konfession zu binden, und darüber hinaus oft katholische Autoren zu zitieren, hat zwei unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. In den Freikirchen kam der Verdacht auf, dass ich heimlich katholisch missionieren und eigentlich konvertieren wolle. Aus der katholischen Richtung wurde Irritation darüber laut, dass ich nicht klar aussprach, welche Kirche ich genau meine. Lassen Sie mich deutlich sagen:

Nach dieser Logik sollte der, der Martin Luther King zitiert, eigentlich Baptist werden, wer Bachs Musik spielt, sich den lutherischen Christen anschließen, und wer sich die Dreifaltigkeitsikone von Rubljow über den Schreibtisch hängt, müsste orthodox werden. Wer C. S. Lewis mag, sollte seine anglikanischen Neigungen erkennen – und so weiter. Diese Art Schubladendenken ist weltlich und in Gottes Reich fremd. Das schreibt auch Paulus der notorisch zersplitterten Gemeinde in Korinth:

Deshalb bildet euch auf einen anderen Menschen nichts ein. Denn alles gehört euch: Paulus und Apollos und Petrus; die ganze Welt und Leben und Tod; die Gegenwart wie die Zukunft. Alles gehört euch, und ihr gehört Christus, und Christus gehört Gott.

1. Korinther 3,21-23

Ich zähle es zu den größten Segnungen meines Lebens, dass ich die ignatianische Spiritualität kennenlernen durfte. Die Jesuiten, vor allem jene aus Irland und England, die mich in meinen Exerzitien angeleitet haben, und die Literatur, die mit Ignatius von Loyolas eigenen Schriften beginnt und sich durch die Jahrhunderte fortsetzt, hat mich tief geprägt – sowohl persönlich als auch in meiner Art und Weise, zu denken und zu arbeiten. Aber ich habe deshalb keinen Moment lang daraus geschlussfolgert, dass ich zur katholischen Kirche konvertieren müsste.

Ich respektiere jeden, der dies tut, aber meiner Meinung nach ist eine Konversion keine Lösung, weder für mich persönlich noch für die gespaltene Kirche. Manchmal wird die Frage aber doch gestellt. Dann gestaltet sich das Gespräch ungefähr so:

»Nein, ich möchte nicht konvertieren, wegen der Heiligen.«

»Dann glaubst du nicht an die Heiligen?«

»Doch, das tue ich. Sie lehren mich, dass man seine Kirche nicht im Stich lässt, wenn sie in der tiefsten Krise steckt.«

Ich bin unendlich dankbar für meine katholischen Brüder und Schwestern, aber ich glaube aufrichtig, dass ich ihnen und der ganzen Kirche am besten diene, wenn ich dortbleibe, wo ich bin, und dort grabe, wo ich stehe. Der Glaube der Heiligen ist wie Grundwasser, das unter all unseren Grenzmarkierungen verläuft. Nicht zuletzt für Führungspersonen ist das, was ich in diesem Buch schreibe, überlebenswichtig: Wir müssen unser Wurzelsystem in der ganzen christlichen Kirche gründen und erweitern.

Zum Schluss ein ganz besonderer Dank an meine geliebte Lisa, mit der ich nun 44 Jahre verheiratet bin. All die Krisen und Freuden, die wir durchgemacht haben – wo wäre ich ohne dich? Danke, dass du es in all diesen Jahren mit mir ausgehalten hast, mir so unendlich viel beigebracht hast und meine ständige Gesprächspartnerin in allem warst, worüber ich schreibe. Durch deine Arbeit als Psychotherapeutin sind sogar unsere Berufsleben mehr und mehr zusammengewachsen, nicht zuletzt in unserem Einsatz für junge christliche Leiter. It’s such a privilege, wie man in dem Land sagt, in dem wir uns verlobt haben.

Magnus Malm

Asklanda, Schweden – an einem Frühsommerabend 2018,

während die Mönchsgrasmücke vor meinem Fenster singt

Gebet eines Jüngers

Herr Jesus Christus

Du bist die Ausstrahlung der Herrlichkeit des Vaters. Lass

Dein Angesicht leuchten über mir

Dein Wort mich tragen

Deinen Namen mich schützen

Deinen Körper mich sättigen

Dein Blut mich reinigen

Deinen Geist mich leiten

Dein Wesen sich spiegeln in allem, was ich bin und tue.

1 FÜHRUNG ÜBERNEHMEN - Warum es bei der inneren Freiheit beginnen muss

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»Was eine christliche Gemeinschaft am dringendsten braucht, sind Menschen, die wissen, dass sie von Gott geliebt sind.«

Dieser Satz ist die zusammenfassende Erkenntnis aus acht Jahren Kommunenleben zu Beginn unserer Ehe. Es waren fantastische, aufwühlende, lustige, anstrengende und lehrreiche Jahre. Mit einer wechselnden Schar aus Singles und verheirateten Paaren wohnten Lisa und ich mit unseren beiden ältesten Kindern in einem großen dreistöckigen Haus in Mölndal. »Das Haus«, wie wir es originellerweise nannten, war Dreh- und Angelpunkt einer christlichen Gemeinschaft, die sich in der ganzen Gegend ausgebreitet hatte. Außerdem befand sich dort auch die Redaktion der Zeitschrift »Nytt Liv« (Neues Leben), für die ich arbeitete und deren monatliche Ausgaben das intensive Hausleben noch etwas spannender machten.

Ich könnte tausend Geschichten davon erzählen, was wir im »Haus« gelernt haben. Natürlich hat diese Zeit uns für unser gesamtes Leben geprägt und uns einen Schatz an gemeinsamen Erfahrungen geschenkt, für die wir sehr dankbar sind. Sie hat tiefe Spuren in unserer Sicht auf Gott und die christliche Gemeinde hinterlassen. Und sie hat uns ganz praktisch gezeigt, was es bedeutet, Jesus in alle Bereiche des Alltagslebens hineinzulassen. Wie oft mussten wir unser eigenes Selbstbild revidieren! Wenn man so nah beieinanderlebt, lösen sich nach und nach bestimmte Vorstellungen in Luft auf; all diese Bilder, die wir so selbstverständlich von uns und anderen haben – bis eben jemand dagegenstößt und sie zerplatzen.

»Was eine christliche Gemeinschaft am dringendsten braucht, sind Menschen, die wissen, dass sie von Gott geliebt sind.« Irgendwo in diesem Zusammenhang nahm der Satz Gestalt an. Über andere bilden wir uns immer schneller eine Meinung als über uns selbst. Das war auch bei uns »Haus«-Bewohnern so. Es waren natürlich die Defizite anderer, die die Probleme in der Gemeinschaft verursachten. Dass ich selbst ähnliche Defizite haben könnte, erkannte ich erst viel später. Nämlich dann, als Gott sich auch in mir eine Werkstatt einrichtete und mich durch Ehekrisen, Seelsorge und stille Rückzugszeiten formte.

Während der Jahre in der Lebensgemeinschaft habe ich beobachtet, wie Menschen, die nicht die Erfahrung gemacht haben, von Gott geliebt zu sein, dazu neigen, sich auf unterschiedlichste Weise an ihrer Umwelt zu reiben: mal beanspruchen sie zu viel Platz, mal zu wenig. Sie verlangen ständig nach Aufmerksamkeit. Sie verstummen immer in gewissen Situationen. Sie lassen sich von jeder Form von Autorität provozieren. Sie suchen unterwürfig die Nähe von Autoritäten. Solchen völlig gegensätzlichen Verhaltensweisen kann oft das gleiche Grundproblem zugrunde liegen. Und sie zeigen sich nicht selten in ein und derselben Person.

Im Gegensatz dazu sind Menschen, die sich sicher sind, geliebt zu sein, immer ein Glück für ihre Umgebung. Nicht unbedingt durch das, was sie tun, sondern vor allem durch ihre bloße Anwesenheit. Wo sie sind, können andere zur Ruhe kommen und sie selbst sein. Wo sie sind, können Masken fallen und tiefste Wahrheiten ausgesprochen werden. Gedanken können formuliert und Entscheidungen getroffen werden, ohne dass sich diese in Prestige, Projekten oder Protesten niederschlagen müssen.

Je mehr Führungsverantwortung ein Mensch hat, desto deutlicher wird dieses Prinzip. Nicht etwa deshalb, weil Führungskräfte größere Defizite in ihrem Selbstwertgefühl hätten oder weniger Erfahrungen mit der bedingungslosen Liebe Gottes. Sondern deshalb, weil die Defizite eines Leiters größere Auswirkungen auf andere haben. Ein verblüffender, aber nicht unterzukriegender Mythos in der Leiterausbildung lautet, dass wir ein schwaches Selbstwertgefühl durch die Ausbildung von Kompetenzen ausgleichen und dadurch stabile Führungskräfte hervorbringen könnten. Haben wir Erfahrungswerte, die das bestätigen?

Natürlich ist es möglich, dass eine Führungspersönlichkeit ihre Position trotz eines schwachen Selbstwertgefühls gut erfüllt und wichtige Aufgaben für andere übernimmt. Aber das Risiko zu scheitern wächst, wenn zwischen professionellem Selbstbewusstsein und persönlichem Selbstwert eine Lücke klafft.

Die entscheidende Frage ist, was Führung bedeutet. Man kann ein guter Chef werden, selbst wenn man ein geringes Selbstwertgefühl hat, weil man sein Handwerk gelernt hat und in den meisten Situationen angemessen handelt. Aber es ist sehr schwer, Vorbild und Richtungsweiser zu sein, wenn einem die sichere Verankerung in dem fehlt, was man ist.

Das Ende der Flucht vor sich selbst

Benedikt begründete im 6. Jahrhundert das westliche Klosterwesen. Als ein Ziel des klösterlichen Lebens beschrieb er, dass die Mönche sich im habitare secum, dem Wohnen bei sich selbst, üben sollten. Zur Hochzeit der großen durch die Völkerwanderung verursachten Umwälzungen in Europa bildeten die Klöster Inseln der Stabilität. So lautete auch das erste Versprechen eines jeden Mönchs: »Ich bleibe hier.«

Im Lauf der Zeit lernten die Brüder, auch innerlich anzukommen. Das gemeinsame Leben in Gebet und Arbeit verschaffte ihnen Zugang zu ihrem innersten Ich – dort, wo Gott nur darauf wartete, sie zu umarmen.

Aus ebendiesem Milieu kamen einige der wichtigsten Kirchenväter des Mittelalters. In vielen Erzählungen wird davon berichtet, wie die Mönche sich versteckten, wenn man sie zu Bischöfen machen wollte. Manchmal durften sie für eine gewisse Zeit ins Kloster zurückkehren, um sich von Machtrausch und falscher Prioritätensetzung zu erholen und zu sich selbst zurückzufinden.

Heute haben Exerzitien die gleiche Funktion für Gemeindemitarbeiter. Eine jährliche Woche der Stille, weitab von allen Aufgaben, wird für immer mehr Menschen eine unentbehrliche Gelegenheit zu Gebet und Reflexion. Dort kann man geborgen und ohne erhobenen Zeigefinger anderer einen Blick auf sich selbst und die eigenen Beziehungen werfen: zu Gott, zur Arbeit, zu anderen Menschen. Die Geborgenheit ist ausschlaggebend, damit man sich den eigenen Schwachpunkten und Verletzungen nähern kann. Mitten unter Menschen, die voller Kritik sind und einen mit ihren Anforderungen bedrängen, wird oft Verteidigung zur Überlebensstrategie: »Ich leugne und fliehe vor Problemen, die ich vielleicht ahne und auf die die Umgebung reagiert.«

In unserer Gesellschaft ist diese unentbehrliche Zurückgezogenheit von allen Seiten bedroht. Es geht hier nicht um aufgezwungene Einsamkeit und Mangel an engen Beziehungen, sondern um die Abgeschiedenheit, die notwendig ist, um überhaupt in guten Beziehungen leben zu können. Wenn Rückzug also eine Überlebensvoraussetzung für alle Menschen ist, gilt dies erst recht für diejenigen, die als Führungspersonen agieren sollen. Thomas Merton schrieb schon 1957:

Nicht alle sind zum Eremiten berufen, aber alle Menschen brauchen ausreichend Stille und Einsamkeit in ihrem Leben, damit sie wenigstens manchmal die tiefe innere Stimme ihres eigenen Ichs hören können. Wenn die innere Stimme nicht vernommen wird, wenn der Mensch nicht den geistlichen Frieden erreichen kann, den die vollständige Vereinigung mit dem inneren Selbst mit sich bringt, wird sein Leben immer unglücklich und erschöpfend sein. Niemand kann lange harmonisch leben, wenn er keinen Kontakt zu den Quellen des geistlichen Lebens am Grund der eigenen Seele hat.

Wenn der Mensch ständig aus seinem eigenen Zuhause ins Exil vertrieben wird, ausgeschlossen von seiner eigenen geistlichen Einsamkeit, hört er auf, wahrer Mensch zu sein. Er lebt nicht länger wie ein Mensch. Er ist nicht einmal ein gesundes Tier. Er wird zu einer Art Maschine ohne Freude, da er alle Spontaneität verloren hat. Er wird nicht länger von innen, sondern von außen gelenkt. Er fasst keine eigenen Beschlüsse mehr, sondern lässt für sich bestimmen. Er bewältigt nicht mehr seine Umgebung, sondern lässt sich von ihr bewältigen. Er wird von Kollisionen mit Kräften der Umgebung durchs Leben getrieben. Sein Leben ist dann kein menschliches Leben mehr, sondern wie eine Billardkugel, ein Wesen ohne Ziel und ohne tiefere sinnhafte Reaktion auf die Wirklichkeit.3

In unserer Flucht vor uns selbst ähneln wir in gewisser Weise politischen Flüchtlingen. Man spricht im Fluchtkontext von Push- und Pull-Faktoren. Push-Faktoren sind die Umstände in der Heimat, die einen Menschen zur Flucht treiben, Pull-Faktoren diejenigen, die ihn in ein anderes Land locken. Ich kann vor mir selbst fliehen, weil ich es aus irgendeinem Grund (der mir manchmal mehr, manchmal weniger bewusst ist) mit mir selbst nicht mehr aushalte. Das können zum Beispiel Schamgefühle und Verletzungen unterschiedlicher Art sein. Zu diesem inneren Chaos gesellen sich die ständigen Verlockungen der Umgebung, die mich zu Spannenderem oder Wichtigerem als der Beschäftigung mit mir selbst ziehen wollen.

So überlasse ich mein eigenes Haus dem Verfall. Vielleicht sogar im Namen Gottes: Ich wende mich von meinen eigenen Problemen ab, um stattdessen »Gott zu suchen«. Als ob ich ihn irgendwo anders finden könnte als dort, wo ich selbst bin. Augustinus sagte nach bitterer Erfahrung im Gebet: »Du warst im Inneren, und ich war draußen und suchte dich dort.«

Die Flucht vor unserem Inneren ist die Ursache für eine Reihe verschiedener Führungsprobleme. Natürlich spielen immer mehrere Gründe zusammen, aber ich wage dennoch zu behaupten: Eine tief greifende Erfahrung von Gottes Liebe würde einen großen Unterschied machen. Wenn sich ein Mensch nicht länger vor den eigenen inneren Abgründen in die Führungsetage flüchtet, dann findet eine tief greifende Heilung der ganzen Art und Weise statt, wie er andere führt. In der ältesten Biografie über Benedikt heißt es, er habe bei sich selbst wohnen können, da er »nur unter Gottes Augen lebte«.4

Vielleicht hilft es, ein paar der Probleme aufzulisten, denen wir gegenüberstehen, wenn wir vor uns selbst flüchten. Hinter vielen Problemen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, versteckt sich ein Mangel, dem in der Tiefe nur mit Quellen jenseits unserer menschlichen Ressourcen begegnet werden kann. Es kann hier um eine Führungsperson gehen, die:

• dominant ist – weil sie auf Grund ihrer Unsicherheit vorsichtshalber zu groß macht und damit alle anderen unterdrückt;

• kontrollierend ist – weil ihr die sichere Erfahrung fehlt, dass jemand anderes die Kontrolle hat, und deshalb alle Fäden selbst in der Hand hält;

• schwach und konfliktscheu ist und abweisend wird, sobald sie auf Widerstand stößt;

• ständig auf der Jagd nach Bestätigung ist, indem sie sich »interessant« macht;

• ergebnisfixiert ist und die ganze Zeit Belege darüber sammelt, dass »ich ein guter Leiter bin«;

• einsam und isoliert ist, gefangen in der Lüge, dass »ich nicht wert bin, in Gemeinschaft zu sein«;

• anhänglich und aufdringlich ist – weil sie Angst hat, mit ihrem schwarzen Loch aus Selbstverachtung allein zu sein;

• wie ein Fähnchen im Wind ist – weil sie ihren Mangel an Selbstwertgefühl mit den »richtigen« Ansichten und politisch korrekten Referenzen kompensiert;

• rigide ist – weil bei ihr das schwache Selbstwertgefühl ins Gegenteil umschlägt und in einem festen System aus Ansichten und Verhaltensmustern Schutz sucht;

• eifersüchtig ist und sich von der Stärke und dem Erfolg anderer bedroht fühlt (»Er hat alles, was mir fehlt«);

• arbeitssüchtig ist – weil sie durch ihre Arbeit ihr Selbstwertgefühl hochzuhalten versucht und es sich »nicht leisten kann«, Nein zu sagen;

• im Team und in der Führung cholerisch ist und Widerstand und Hinterfragen sofort als Angriff auf die eigene Person wertet (und damit die Sachfrage verdeckt);

• abhängig von einem Fanklub ist, Bewunderer und Ja-Sager sammelt, die sie bestätigen, während sie sich gleichzeitig von anderen distanziert;

• Kompetenzen hinterherjagt – weil sie das mangelnde Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigenen Erfahrungen mit der ständigen Teilnahme an neuen Kursen und Zeugnissen kompensiert;

• zu religiös ist – weil ihr brüchiger Selbstwert sich ständig nach einem Gott ausstreckt, vor dem man nie religiös genug ist;

• nicht religiös genug ist, denn jeder Schritt zu einem deutlicheren Bekenntnis würde zu viel Bestätigungsverlust von der Umwelt bedeuten;

• fordernd ist – weil das geringe Selbstwertgefühl von Gottesbildern und Theologien angezogen wird, die immer mehr fordern und damit die eigene Armseligkeit bestätigen.

Und so weiter. Der gleiche grundlegende Mangel an Liebe kann sich also in ganz gegensätzlichem Verhalten ausdrücken und in allen Biotopen der christlichen Landschaft auftauchen. Hier erweisen sich Stempel wie »konservativ« und »liberal« einmal mehr als unzureichend und irreführend. Wenn das Ich friert, zeigt sich, wie dünn das Feigenblatt ist, hinter dem wir uns als Führungspersonen so gern verstecken: die prestigevolle Ausbildung. Die Position, um die sich so viele beworben haben. Das Netzwerk mit all den »wichtigen« Führungskräften. Die neuste geistliche Bewegung. Die Statistik, die man lässig und diskret vor den Kollegen in einem Nebensatz erwähnen kann. Die richtigen Bücher, aus denen man bei passenden Situationen zitiert.

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