Kitabı oku: «Familie ist nichts für Feiglinge»
Malte Leyhausen
Familie ist nichts für Feiglinge
Wie Familien sich neu erfinden können
Impressum
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© 2022 edigo Verlag GmbH, Köln
1. Auflage 2022
Umschlaggestaltung: Irina Rasimus, Köln
Umschlagfoto: © Michal Sloviak/shutterstock.com
Satz: Silvia Kretschmer, Düsseldorf
Druck: oeding print GmbH, Braunschweig
ISBN 978-3-949104-10-7
eISBN 978-3-949104-08-4
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Für Kasimir
Inhalt
Einleitung
Kapitel 1
Geht nicht, gibt es! Familien in der Optimierungsfalle
Das Märchen von der Selbstoptimierung
Optimierungsfalle Gesundheit
Optimierungsfalle Harmonie
Kapitel 2
Die Geschichte der romantischen Liebe als Folie der eigenen Liebesgeschichte
Wer hat die romantische Liebe erfunden?
Bis dass der Tod uns scheidet
Verbotene Liebe auf den ersten Blick
Dich kennen heißt dich lieben
Geld oder Liebe? – Seit wann darf man aus Liebe heiraten?
Kapitel 3
Der große Traum vom kleinen Familienglück
Bilder im Kopf überdauern – überlieferte Narrative von Familie
Vom Konkubinat zur bäuerlichen Großfamilie – Von Christi Geburt bis zur Gegenwart
Das pädagogische 18. Jahrhundert
Arbeiterfamilien im 19. Jahrhundert
Die Familie der 1950er/1960er Jahre und ihr langer Schatten
Kapitel 4
Ich erzähle, also bin ich – Die Familie als Erzählerin ihrer Wirklichkeit
Kapitel 5
Vorsicht ist die Mutter der Beziehungskiste – Die Qual der Partnerwahl
Warum verlieben wir uns oft in den Falschen?
Der sichere Bindungsstil
Der ängstliche Bindungsstil
Der ambivalente Bindungsstil
Der vermeidende Bindungsstil
Die Mischung macht’s – Stilmix und Partnerschaft
Kapitel 6
Aufbauanleitung für die Beziehungskiste
Die rosarote Brille – Wir sind eins
Unterschiede wahrhaben – Du bist anders
Unterschiedliche Herkunftsfamilien und Empfindlichkeiten
Unterschiedliches Verhältnis von Nehmen und Geben
Streiten bringt nichts, aber reden kann helfen
Leitplanken für eine wertschätzende Kommunikation
Aus Ich und Du wächst ein Wir
Wir sind schwanger
Kapitel 7
Kinderüberraschung – Das Ende der Zweisamkeit
Guerilla-Angriff auf die Beziehung
Wasser in der Wüste – Paarzeit
Das böse Wort mit S
Mental Load – Das bisschen Haushalt?
Rendezvous mit dem Yeti – Erziehung im Nebel
Die vier Grundbedürfnisse
Grundbedürfnis nach Bindung
Grundbedürfnis nach Kontrolle und Orientierung
Grundbedürfnis nach Lustbefriedigung und Unlustvermeidung
Beispiel: Und täglich grüßt die Unlust – Tipps für die Hausaufgaben
Grundbedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Anerkennung
Die fünf Erziehungsstile
Autoritärer Erziehungsstil
Permissiver Erziehungsstil (Laissez-faire)
Überbehütender Erziehungsstil
Vernachlässigender Erziehungsstil
Autoritativ-partizipierender Erziehungsstil
Kapitel 8
Das Ende der Dreisamkeit – Wer Geschwister hat, braucht keine Feinde
Geschwister sind angeborene Geschenke
Die Vertreibung vom Thron
Konflikte unter Geschwistern
Kapitel 9
Der Bär auf dem Motorrad – Aspekte des systemischen Denkens
Der Liebesmythos der Eltern
Die Abgrenzung zwischen Innen und Außen – Wer gehört zur Familie?
Das Leben der andern – Der geheime Auftrag
Kapitel 10
Abhängen im Mobile – Familie als System verstehen
Wer mit wem? Wechselnde Koalitionen
Gefangen im Netz der Familien-Wirklichkeiten?
Kapitel 11
Drei Möglichkeiten, die Familie (neu) zu erfinden
Die Konstruktion der belasteten Familie
Die Konstruktion der heldenhaften Familie
Die Konstruktion der selbstsicheren Familie
Kapitel 12
Seelische Hausapotheke für Familien
Dankbarkeitstagebuch
Erinnerungskiste
Grübelsack
Jammern – aber richtig!
Medienkonsum
Reframing – Alle Dornen haben Rosen
Vorwürfe in Wünsche verwandeln (VW-Regel)
Kapitel 13
Jetzt sind Sie dran: Erzählen Sie Ihre Familie neu!
Anhang
Du kannst mir viel erzählen! – Das Würfelspiel für die ganze Familie
Dank
Verwendete Literatur
Weiterführende Literatur
Gender-Hinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
Einleitung
Das Thema Familie lässt keinen kalt. Jeder ist vor die Lebensaufgabe gestellt, sich von seinen Eltern abzulösen. Sobald Sie Ihren Stammbaum um einen eigenen Ast erweitern, dreht sich zwischen Ihren Kindern und Ihnen erneut der emotionale Kosmos um Nähe und Distanz, Bindung und Ablösung. So sehr Sie sich auch um das Wohl Ihrer Familie bemühen, Glücksgefühle und Momente der Wut, Ohnmacht und Verzweiflung bleiben zwei Seiten der gleichen Medaille. Unsere Vorstellungen, wie sich ein „vernünftiger“ Partner und „normale“ Kinder zu verhalten haben, wollen mit dem Alltag zwischen Baby, Büro und Bügelwäsche einfach nicht zusammenpassen. Würde Ihnen jemand das Rezept an die Hand geben, wie Sie es jedem recht machen können, ohne selbst auf der Strecke zu bleiben, Sie würden es bestimmt dankbar ausprobieren. Ich kann Ihnen nur eine Alternative zu unglückseligen Glücksformeln bieten: Sie erhalten in diesem Buch Hilfe zur Selbsthilfe, indem ich Sie zu einem Blick hinter den Spiegel Ihrer Erwartungen einlade. Wie entstehen Ihre Ansprüche an sich selbst und an Ihre Angehörigen? Mit welchen Stellschrauben können Sie Ihre Selbstwirksamkeit steigern?
Sie bringen Ihr Wunschbild von Familie aus Ihrer Kindheit und den kulturell überlieferten Klischees mit. Alles, was Sie über Ihre Herkunft wissen, wissen Sie aus Erzählungen, die Sie für Ihre Kinder weiterspinnen. Unter Ihren Vorfahren finden sich nach mündlicher Überlieferung Gute und Böse, Glückliche und Unglückliche, Kluge und weniger Kluge. Wir müssen abwägen, ob wir die vorgegebenen Mythen fortschreiben möchten oder ob wir unsere eigene Geschichte beginnen. Selbst, wenn Sie mit der Familientradition brechen und Ihr Ding machen, wimmelt es in Ihrer Umwelt von Ideen, wie Ihre Familie am besten aussehen sollte. Besonders bedroht ist Ihre Lebensgemeinschaft mit Kind und Kegel vom Virus der Selbstoptimierung. So sehr Sie sich auch bemühen, Ehrgeiz, Erziehung und Einbauküche unter einen Hut zu bringen: Besser geht immer. Den Auftakt des Buches macht deshalb das Märchen von der Selbstoptimierung. Hier erfahren Sie, warum Familien in die Optimierungsfalle tappen und wie sie wieder herauskommen können.
In Kapitel 2 gehen wir den kulturell überlieferten Bildern auf den Grund, die unser Verständnis von der romantischen Liebe und von Lebensgemeinschaften bestimmen. Die Idee, sich zu verlieben und eine Familie zu gründen, wird uns nicht in die Wiege gelegt. Vielmehr werden wir in einen Kanon von historisch bedingten Vorstellungen über Partnerschaft und Familie hineingeboren, der uns in Form von Erzählungen vermittelt wird. Um den kulturellen Ursprung unserer Erwartungen an die Lebensform Familie besser verstehen zu können, lohnt sich ein kurzer Blick in den Rückspiegel auf die Geschichte der Familienmodelle von Christi Geburt bis zur Gegenwart (Kapitel 3).
Anschließend nehme ich Sie mit hinter die Kulissen unserer Herstellung von Wirklichkeit (Kapitel 4). Wie erhalten die von Ihnen beobachteten Phänomene in der Familie ihre Bedeutung? Können wir die Realität überhaupt erkennen oder entsteht sie nicht erst in den Köpfen der Familienmitglieder, die ihren Wahrnehmungen eine Bedeutung zuschreiben? Mit dem hier erlernten Handwerk können Sie beliebig viele Familien-Wirklichkeiten herstellen, auseinanderbauen und neu zusammensetzen.
Mit unserem Rucksack voller Sehnsucht und Wünschen für das persönliche Liebes- und Familienglück machen wir uns auf die Suche nach dem Traumpartner. Warum scheinen wir uns immer in den Falschen zu verlieben? Und warum wiederholen sich bestimmte Probleme in Beziehungen? Unterliegen wir einem unbewussten Bindungsmuster? Die Entwicklungspsychologie erklärt dies mit unserem Bindungsstil. Deshalb beschäftigt sich das 5. Kapitel mit den vier Bindungsstilen, die unsere Partnerwahl beeinflussen und die Gestaltung der Beziehung prägen.
Hat sich Ihr Herz nach den üblichen Irrungen und Wirrungen für den passenden Lebensmenschen entschieden, kann die Beziehungskiste zusammengezimmert werden. Die Aufbauanleitung finden Sie in Kapitel 6.
Kaum hat sich das wackelige Fundament der Partnerschaft stabilisiert, bringt das erste Kind die Konstruktion ins Wanken. Das 7. Kapitel spannt den Bogen von den Konflikten der frisch gebackenen Eltern über Lösungsansätze bis hin zu den Grundbedürfnissen des Kindes und den fünf möglichen Erziehungsstilen.
In Kapitel 8 wird die Komplexität um die Dimension von Geschwistern erweitert.
Am praktischen Beispiel der fantastischen Familie Berry lernen Sie im 9. Kapitel zentrale Aspekte des systemischen Denkens kennen wie die Bedeutung des Liebesmythos der Eltern, die Funktion von Innen- und Außengrenzen im Familiensystem und die Macht von verdeckten Aufträgen zwischen den Generationen. Im systemischen Weltbild, das bei Familientherapeuten besonders beliebt ist, überliefern Geschichten nicht nur die Vergangenheit Ihres Clans, sondern sie entwerfen auch die aktuelle Wirklichkeit in Ihrer Familie. Schließlich reden Eltern und Geschwister in Form von Erzählungen miteinander und übereinander. Erst die Kommunikation zwischen den Mitgliedern macht aus den einzelnen Menschen eine Familie.
Im 10. Kapitel mache ich Ihnen ein Angebot, das Sie hoffentlich nicht ablehnen können. Ich möchte Sie dazu verführen, über Ihre Familie als soziales System zu reflektieren. Der systemische Blick erlaubt Ihnen neue Perspektiven, die Ihnen bisher verschlossene Spielräume öffnen. Durch die systemische Brille betrachtet stehen nicht mehr die einzelnen Akteure im Fokus. Vielmehr werden die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern unter die Lupe genommen.
Wie müsste sich zum Beispiel der Rest der Familie verhalten, damit ein Kind die ersten sechs Lebensjahre kein Wort spricht? Wie wirkt es sich aus, wenn sich ein Elternteil mit dem Kind gegen den anderen Elternteil verbündet? Was passiert, wenn die Tochter oder der Sohn die Rolle des Partners einnimmt? Solche Fragen machen deutlich, wie filigran in der Familie alles mit allem zusammenhängt. Verändert sich ein Mitglied im System, verändert sich das ganze System. Umgekehrt wirkt es sich auf den Einzelnen aus, wenn sich in seiner Systemumgebung die Gewichte verschieben, weil sich zum Beispiel die Eltern trennen, ein Familienmitglied auszieht oder Ähnliches.
Mit diesem Grundkurs in Familiendynamik können Sie nachvollziehen, wie Familien sich mit der Magie der Sprache in drei Varianten erfunden haben beziehungsweise neu erfinden können: als belastete, als heldenhafte oder als selbstsichere Familie. Die Konstruktionsanleitung hierzu liefert Ihnen Kapitel 11.
Anschließend zeige ich Ihnen die „Seelische Hausapotheke für Familien“ und erläutere die bewährten Hausmittel, die Sie auf die Schnelle selbst anwenden können (Kapitel 12).
Am Ende sind Sie am Zug! Bringen Sie mit neuen Geschichten und wertschätzenden Erzählweisen frischen Wind in Ihre Familie und spielen Sie das Würfelspiel „Du kannst mir viel erzählen!“.
Malte Leyhausen
Seeheim-Jugenheim, im Sommer 2021
Kapitel 1
Geht nicht, gibt es! Familien in der Optimierungsfalle
Das Märchen von der Selbstoptimierung
Familie ist nichts für Feiglinge. Wir geben alles für sie, all unsere Liebe, unsere Zeit und unser Geld. Und was bekommen wir dafür? Dicke Luft, lange Gesichter und nur kurze Momente des erhofften Glücks. Schätzungen zufolge investieren wir in ein Kind durchschnittlich 144.000 Euro (Wunschfee.com 2021): Von der ersten Windel bis zum Kleinwagen als Abi-Überraschung. Für die Summe kaufen sich andere ein Reihenhaus in der Provinz. Aber wir haben das Projekt Familie nicht gestartet, um Geld zu sparen, sondern um uns selbst zu verwirklichen.
93 Prozent der Deutschen geben an, dass für ihr seelisches Wohlbefinden die Familie sehr wichtig sei (CosmosDirekt 2019). Das Familienglück hängt für weit über die Hälfte der Befragten von diesen Faktoren ab: Gesundheit, Geborgenheit, Harmonie, gemeinsam verbrachte Zeit, Zufriedenheit und besondere Erlebnisse.
Im Umkehrschluss gelten also Krankheit, Abgrenzung, Unzufriedenheit, Konflikte und Langeweile als großes Unglück. Was für ein Erwartungscocktail! Es ist unmöglich, seine Familie restlos vor Krankheiten zu schützen, Abgrenzungen zu verhindern, jeden zufriedenzustellen, Konflikte unterm Teppich zu halten und jeden Tag als Event zu inszenieren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung blickt in diesen Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit: „Nicht wenige sind unglücklich in ihren Familien. Und die, die glücklich sind, haben viel Arbeit damit (Haupt 2020).“
Noch mühsamer wird diese Arbeit, wenn Eltern mit aller Kraft das Unmögliche möglich machen wollen. Doch: Geht nicht, gibt es! Je mehr der gewünschte Idealzustand angestrebt wird, desto größer wird der Frust über das reale Familienleben. Schließlich möchte man das Beste für seine Kinder herausholen. Der Philosoph Friedrich Nietzsche (1999) gewinnt diesem Prinzip eine praktische Hoffnung ab: „Ziele nach dem Mond. Selbst wenn du ihn verfehlst, wirst du zwischen den Sternen landen.“
Und die Sterne hängen manchmal verdammt hoch, wenn sie sich überhaupt blicken lassen. Bei aller Anstrengung können wir das Wohlergehen unserer Familie nur bedingt beeinflussen. Es bleibt ein unberechenbarer Prozess, wovon das körperliche und seelische Befinden der einzelnen Mitglieder wirklich abhängt. Dabei ist es nicht leicht, sich gegen die vom Zeitgeist propagierte Selbstoptimierung zu wehren.
In den Buchhandlungen verheißen uns Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“, „Jedes Kind kann Regeln lernen“ und so geht „Erziehung ohne Schimpfen“. Wenn die Gebrauchsanleitung für meine Kinder so einfach ist, kann es ja nur an mir liegen, wenn es nicht rund läuft. Hätte ich mal die richtigen Bücher gelesen. Und angewendet. Die Essenz des Machbarkeitswahns lautet: Wer will, der kann! Und wer nicht (mehr) kann, der wollte nicht richtig.
Zudem scheinen die gegenwärtigen Bedingungen für das Familienglück selten günstig. Die Säuglingssterblichkeit war noch nie so niedrig wie heute. 1870 überlebte rund ein Viertel aller Neugeborenen das erste Lebensjahr nicht. Heute sterben drei von 1.000 Lebendgeborenen (BIB 2021). Unser Gesundheitssystem bietet eine Krankenversicherung, um die uns viele Länder beneiden.
Der Staat ehrt die Familie seit 1953 mit einem eigenen Ministerium, bietet finanzielle Unterstützung (Kindergeld, Elterngeld, Steuerfreibetrag etc.) und garantiert einen Kindergartenplatz. Ab Herbst 2026 hat jeder Anspruch auf die Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Die staatlichen Schulen und Unis sind weitgehend kostenlos. Die Kinder- und Jugendhilfe spannt mit ihren Hilfsangeboten ein soziales Netz für jede Lebenslage. In den „Sonntagsreden“ haben die verantwortlichen Politiker anscheinend alle sozialen Probleme im Griff. Angesprochen auf die Defizite bei der Kinderbetreuung und die Unterfinanzierung der Frauenhäuser in Anbetracht der zunehmenden häuslichen Gewalt, blieb die damals amtierende Familienministerin Giffey gelassen. Sie verwies stolz auf das millionenschwere Investitionspaket des Bundes. Mit großer Zufriedenheit lobte sie ihre Arbeit der letzten drei Jahre mit den Schwerpunkten: „Jedes Kind soll es packen! Wir kümmern uns um die Kümmerer! Frauen können alles!“ (Deutscher Bundestag 2021).
Da wäre ich doch dumm, wenn ich in diesen historisch „rosigen“ Zeiten keine Kinder groß und stark machen könnte. Ich muss es nur wirklich wollen. Aber ist jeder tatsächlich seines Familienglückes Schmied? Oder hat Familie Schmied einfach mal Glück und mal nicht? Und woher kommt überhaupt das Märchen von der Selbstoptimierung?
Narrative sind sinnstiftende Erzählungen, nach denen soziale Gruppen ihr Verhalten ausrichten. Hoch im Kurs steht zurzeit das Narrativ der Selbstoptimierung. Klingt doch verlockend: Ich mache meine Familie „jeden Tag ein bisschen besser“ (REWE). Irgendwann sind wir dann endlich perfekt. Der Optimierungswahn ist kontraproduktiv und menschenfeindlich, weil das Optimale stets unerreichbar bleibt. Ein perfektes Ziel ist nicht messbar und somit schwammig definiert. Es lässt sich nicht erkennen, wann und wie ich den 100 Prozent ein Stück nähergekommen bin. Meine Aufmerksamkeit ist stets nur auf das gerichtet, was nicht ideal ist. Immerhin ist es eine perfekte „Anleitung zum Unglücklichsein“ (Watzlawick 2009). Der nächste Haken: Ich lege mir eine absolute Messlatte, bei der gnadenlos nur alles oder nichts erreicht werden kann (Diesbrock 2021). Es gibt auf der Bewertungsskala lediglich zwei Markierungen: richtig und falsch.
Von den Ködern in der Optimierungsfalle erzählt schon das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ (Runge 1984). Ein Fischer hat versehentlich einen verwunschenen Prinzen an der Angel, der als Butt nicht kaputt gehen möchte. Der Deal: Herr Fischer lässt ihn am Leben und der Fisch erfüllt der Familie jeden Wunsch. Frau Fischer wünscht sich erst ein mittelprächtiges Haus, um aus der ärmlichen Hütte rauszukommen. Der Wunsch wird sofort erfüllt. Nach zwei Wochen sieht sie auf Pinterest eine bessere Wohnidee und ordert beim Butt ein Schloss. Nachdem mit dem Schloss die materiellen Bedürfnisse befriedigt sind, muss der Zauberfisch den schnellen sozialen Aufstieg liefern. Frau Fischer fällt rasch die Karriereleiter rauf zur Königin, Kaiserin und Päpstin. Bleibt als Krönung nur noch der Posten von Gott, den sie ebenfalls beim Butt einfordert. Bei dieser „Anmaßung“ schlägt die Moralkeule des deutschen Volksmärchens zu. Zur Strafe sitzen die Fischers sofort wieder in der ärmlichen Hütte vom Anfang.
Ähnlich erging es im echten Leben schon vielen Lottogewinnern, die von der Boulevard-Presse in diesem Stil verspottet werden: „Lotto-Lothar pleite! Nach 3 Millionen kommt jetzt Hartz 4!“
Was können wir aus dem Märchen lernen, um nicht dem Optimierungswahn zu verfallen und am Ende vor einem Scherbenhaufen zu stehen? Anstatt die unerreichbare Perfektion anzupeilen, verfolgen Sie besser kleine und realistische Ziele, wie zum Beispiel:
Ich möchte erreichen, dass jeder sein Geschirr in die Spülmaschine stellt. Ich möchte einen Abend in der Woche Zeit für mich, während mein Partner mir den Rücken freihält. Ab jetzt gebe ich nicht mehr als dreißig Euro für eine Kindergeburtstagsfeier aus. Inklusive Geschenk.
Im Folgenden möchte ich die beiden zentralen Kriterien, die in der oben genannten Umfrage mit einer „glücklichen“ Familie in Verbindung gebracht werden, näher beleuchten: Gesundheit und Harmonie.