Kitabı oku: «Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag», sayfa 4
Wie Lars Krause es erwartet hatte, zuckte die neben ihm sitzende Kriminologin Annegret Prinz merklich zusammen, blieb aber stumm.
Staatsanwalt Pepperkorn, dem die kontroverse Haltung der beiden SpuSi-Beamten nicht verborgen bleibt, interveniert: »Wie es auch gewesen sein mag, geschätzter Herr Krause, sind wir Ihnen allen zu Dank verpflichtet. Wir konnten dadurch rasch konkrete Hinweise gewinnen, denen wir nun unverzüglich nachgehen werden. »Was schlagen Sie vor, Herr Kriminalrat? Wie wollen wir vorgehen?«
Der Angesprochene sieht zunächst seine beiden Mitarbeiter, Steffi Hink und Sascha Breiholz, an, räuspert sich, und schließlich sagt er: »Wenn wir in Ermangelung des von Professor Doktor Klamm noch abzuliefernden Obduktionsberichts von dem vorläufigen Ergebnis der Leichenbeschau durch den Assistenzarzt Engelmann ausgehen, ist die tot aufgefundene Frau offensichtlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Person«, er blickt auf den schriftlichen Bericht, den er von Lutz Krause soeben erhalten hat, »der Jenny Bartels-Klinck, geboren am 28.10.1977 in Oldenmoor, Kreis Steinburg. Kollegin Hink konnte inzwischen feststellen, dass eine Frau mit diesem Namen und einer zu der Toten passenden Beschreibung am letzten Sonnabend, dem 8. Mai, um elf Uhr vormittags bei der Polizeistation Mettenhof am Skandinavienkai von einem Herrn Julian Volkmann als vermisst gemeldet wurde. Im vorliegenden Bericht wird Herr Volkmann als ihr Jugendfreund und gegenwärtiger Wohnungsgeber des Opfers bezeichnet. Offensichtlich ist jedenfalls, dass der Leichenfundort nicht der Tatort ist. Auffällig ist zudem eine Übereinstimmung des am Ehering eingravierten Heiratsdatums des 7. Mai mit dem Tag, an dem die Tat mutmaßlich begangen wurde. Eine Beziehungstat ist also naheliegend. Als erste Schritte werden wir besagten Jugendfreund sowie den geschiedenen Ehemann, Leutnant zur See Klinck, am Tirpitzhafen aufsuchen und befragen sowie zur Identifizierung der Leiche auffordern. Selbstverständlich werden wir aber auch in sämtliche weitere Richtungen ermitteln. Wir erstatten Ihnen Bericht, sobald wir Neuigkeiten haben. Wir dürfen uns jetzt empfehlen?« Er steht auf und nickt in die Runde. »Wir möchten uns unverzüglich an die Arbeit machen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«
*
»Ja, Frau Kriminalhauptkommissarin, ich muss Ihnen gestehen, dass ich der Autor dieser vorgetäuschten Akte bin!«, beichtet ein zerknirschter Hugo Treumann, der mit gesenktem Haupt vor Nilis Schreibtisch steht.
»Wie kommen Sie dazu, Treumann, was ist Ihnen da nur eingefallen?« Nili sieht ihn herausfordernd an. »Das kann böse Konsequenzen für Sie haben! Als Hausbote des LKA haben sie doch eine Vertrauensstellung, die Sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten – noch dazu so kurz vor Ihrem Ruhestand!«
»Ich weiß, Frau Masal, Sie haben selbstverständlich recht! Aber ich konnte einfach mein armes Patenkind nicht mehr weiter so vergrämt sehen, das müssen Sie verstehen! Das Mädel leidet seit dem Vorfall unter schlimmsten Depressionen. Sie hat deswegen auch ihren vormaligen guten Arbeitsplatz bei den Stadtwerken sowie fast alle ihre Freunde und Bekannte verloren. Cindy lebt nun mehr schlecht als recht von der Stütze und verkriecht sich nur noch in ihrer Einzimmerwohnung. Dieser miese Kerl, den sie einst so sehr geliebt hat, hat sie kaputt gemacht und läuft unbescholten und frei herum. Das konnte ich nicht mehr mit ansehen und habe deshalb die wenigen Unterlagen, die Cindy in dieser Sache überhaupt besaß, zusammen mit dem von mir verfassten ›amtlichen Protokoll‹ in einen alten Aktendeckel – der bei uns zur Vernichtung anstand – eingebracht und diesen neu beschriftet. Es tut mir leid, ich wollte Sie und Ihre netten Kollegen keineswegs hintergehen, aber ich dachte mir, da Sie bei den letzten Cold Cases so erfolgreich ermittelt haben, wäre das Hineinschmuggeln in Ihren Aktenberg ein gangbarer Weg, damit das arme Kind vielleicht endlich zu ihrem Recht kommt. Ich bedaure sehr, dass ich Sie damit verärgert habe, Frau Masal, glauben Sie mir bitte!« Dicke Tränen laufen über die Wangen des Sechzigjährigen.
»Ist ja gut, Treumann, beruhigen Sie sich! Es wäre einfacher und ehrlicher gewesen, wenn Sie sich mit diesem Sachverhalt direkt an uns gewandt hätten. Seien Sie so nett, nehmen Sie die Akte wieder mit und bringen Sie sie mir in einem neuen und unbeschriebenen Aktenordner zurück. Abgesehen von Ihrem kleinen illegalen Dreh, über den ich ausnahmsweise hinwegsehen möchte, nehme ich Ihnen den darin geschilderten Tatbestand als durchaus plausibel ab und wir werden sehen, ob sich diese Untat irgendwie wieder aufrollen lässt. Jedenfalls benachrichtigen Sie bitte Ihr Patenkind, sie möchte sich morgen früh um neun hier melden, damit ich sie persönlich befragen kann. Außerdem benötigen wir von ihr die Zustimmung, das Städtische Krankenhaus von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, damit wir an die Behandlungsakte und die Fotos gelangen, die die behandelnde Ärztin gemäß ›Akteneinsicht‹«, Nili zwinkert mit den Augen, »von Frau Frohm am Tage danach gemacht hat. Anschließend können wir entscheiden, ob wir bei der Oberstaatsanwaltschaft vorstellig werden, um eine Neuaufnahme des Falles zu beantragen.«
Treumann wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich … ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann, verehrte Frau Krim…«, stottert er und wird jäh von Nili unterbrochen: »Nun gehen Sie schon, Mann, bevor ich’s mir anders überlege!« Breit lächelnd deutet sie mit einem Blick zur Tür.
Treumann nickt nur und eilt hinaus.
Dann dreht sich Nili zu Ferdl um, der sehr geschäftig an der Tastatur seines PCs hantiert. »Nach dieser Cindy brauchen Sie also nicht mehr zu recherchieren, Ferdl, die erscheint morgen früh bei uns. Wie sieht es mit dem Zeugen Thieslaff aus, irgendwas Neues?«
»Hab scho sei Anschrift: Marco Thieslaff, neunundsechzig Jahre alt, Rentner, gebürtig in Kiel, wohnhaft Paradiesweg 78 im Schwentinetal. Hab ebenfalls an g’wissen Rafael Kohlmann, achtunddreißig Jahre, auch in Kiel geboren, g’funden, der ist g’meldet am Hafkamper Weg 22 in Heikendorf, Kreis Plön.«
»Gut gemacht, mein werter Herr Fachinspektor! Dann rufe ich gleich Margrit und Robert an, sie sollen bei den Herren vorbeifahren und sie für morgen Vormittag zur Befragung einbestellen.«
Wenig später kommt Hugo Treumann herein und bringt einen unbeschriebenen Aktenordner. Nili, die gerade telefoniert, nickt ihm nur zu und deutet auf ihren Schreibtisch, auf dem der Bote die Akte deponiert. Sie blättert durch die vier beschriebenen Seiten, die sich darin befinden. Treumann verbeugt sich nur kurz und verlässt hastig den Raum.
»Ja, Herr Oberstaatsanwalt, wirklich ein sehr merkwürdiger Fall von unterlassener Tatverfolgung, von der uns heute zufälligerweise unser Hausbote berichtet hat. Ich habe vorsichtshalber erste Erkundungen veranlasst, vor allem eine Zeugenbefragung, um konkrete Fakten hervorzubringen. … Ja, es betrifft Herrn Treumanns Patenkind, eine junge Frau namens Cindy Frohm, die auf dem Nachhauseweg nach einer feuchtfröhlichen Feier bei Freunden mutmaßlich von ihrem Bekannten brutal zusammengeschlagen und dann auch noch hilflos auf der Straße liegen gelassen wurde. Ich denke, es ist wieder so ein arger Fall von Gewalt gegen Frauen, dem wir nachgehen sollten. Am besten, ich bringe Ihnen die Akte persönlich vorbei und trage vor, was wir wissen, dann können Sie entscheiden, ob und wie der Fall wieder aufgenommen werden kann. … Gut, dann morgen Nachmittag um halb vier, danke sehr für den raschen Termin! Übrigens, nochmals herzlichen Dank für das wunderschöne Fest. Herr Doktor Mohr und ich haben es sehr genossen. Bitte grüßen Sie herzlichst Ihre liebe Frau Hannelore und Kitt von uns. … Ach, die ist gerade bei Ihnen? Dürfte ich sie kurz sprechen? … Ja danke, Ihnen auch! … Hi Kitt, auch dir nochmals vielen Dank für deine herrliche Doktorhut-Party. … Ja, ja, okay, das Video hat auch uns Riesenfreude gemacht. Du, könnten wir uns heute Abend irgendwo treffen? … Ja, natürlich, in unserer Taverna Syrtaki wäre prima. Ich denke, ich hätte da eventuell eine Mandantin für dich. … Ja, darüber sollten wir uns auch unterhalten. Also schön, um sieben bei Georgios und Marita! Ich sehe zu, dass Waldi auch dazukommt. Freue mich! Pura vida!6 Tschüss!«
Nachdem Nili das Gespräch beendet hat, meldet sich das Städtische Krankenhaus. Zufrieden nickend nimmt sie das Gespräch entgegen. »Herzlichen Dank, geehrte Frau Doktor Wallgarten, dass Sie netterweise zurückrufen. Ich darf mich vorstellen, Kriminalhauptkommissarin Nili Masal vom Sonderermittlungsteam im LKA. Wir kümmern uns um sogenannte Cold Cases … Ach Sie haben schon davon aus den Medien erfahren, prima! Es handelt sich hier um einen Fall von ernster Misshandlung an der Person einer jungen Frau namens Cindy Frohm, der Mitte November vorvorletzten Jahres … gut, sehr schön, dass Sie sich daran erinnern können. Selbstverständlich, das wissen wir! Sie erhalten Frau Frohms Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, sobald sie diese morgen Vormittag hier bei uns unterschrieben hat. Es wäre nett, wenn Sie die Akte und vor allem die Fotos, die Sie laut Aussage der Geschädigten von ihr gemacht haben, raussuchen lassen. Ich schicke Ihnen so gegen vierzehn Uhr jemanden vorbei, der sie abholt und Ihnen im Gegenzug die Erklärung übergibt. … Prima, ich danke Ihnen sehr für Ihre Unterstützung! Schönen Tag noch.«
Als Nili auflegt, kommen Margrit und Robert herein.
»Ein Widerling, dieser Kohlmann!«, raunt Robert wütend. »Der hat uns abblitzen lassen wie dumme Jungs!«
Margrit stimmt ihm zu. »So ungehobelt, wie der Typ sich darstellt, traue ich ihm durchaus zu, dass er die arme Frau nach Strich und Faden verprügelt hat!«
Nili sieht die beiden mit fragender Miene an.
»Er hat uns an der Tür mit barschem Ton abgefertigt, als wir ihn darüber informierten, weswegen wir gekommen sind, und dass wir ihn vorladen wollten«, ergänzt Margrit. »Dann hat er uns angeschrien. Wir sollen uns gefälligst bei seinem Anwalt melden, wenn wir etwas von ihm wollen. Schließlich hat er einfach die Tür vor unserer Nase zugeknallt. Ein süßes Früchtchen, unser Rafael! Aber wer dieser Anwalt sein soll, hat er uns auch auf unser wiederholtes Klingeln hin nicht verraten.«
»Keine Bange, Leute«, sagt Nili besänftigend, »den kriegen wir schon noch bei den Hammelbeinen! Ich habe für morgen Nachmittag bereits einen Termin beim Oberstaatsanwalt, nachdem wir Frau Frohm befragt haben. Ich bin mir sicher, da bekommen wir eine amtliche Vorladung. Wie sieht es mit dem Zeugen Thieslaff aus?«
»Den haben wir nicht persönlich angetroffen, aber bei seiner Tochter unsere Karte und eine Benachrichtigung, dass er morgen früh hier aussagen soll, hinterlassen!«, berichtet Robert, der schon etwas ruhiger geworden ist.
Margrit ergänzt: »Und übrigens, noch etwas Eigenartiges: Bei der Polizei-Zentralstation in Schönberg weiß man angeblich überhaupt nichts von dem Fall. Keine Protokolleintragung bezüglich der Nachfrage einer gewissen Frau Cindy Frohm im vorvorletzten Monat November.«
»Sagte ich doch: Da ist etwas faul im Lande Schleswig-Holstein!«, dichtet Robert Shakespeares ›Hamlet‹ um.
*
»Evkaristo, lieber Georgios! Vielen Dank auch an deine Marita in der Küche! Diesen Oktopus-Salat haben wir bisher so noch nie bei dir gegessen, aber er hat wieder mal hervorragend geschmeckt!«, lobt Nili Wirt und Köchin der Taverna Syrtaki, wo sie sich mit Kitt und Waldi zum Abendessen getroffen hat.
»Ich gebe das Lob gerne weiter, aber ich muss gestehen, dass der Salat dieses Mal nicht von Marita, sondern von unserem neuen spanischen Küchenpraktikanten aus Vigo zubereitet wurde. Manolo, komm mal her!«, ruft er in die Küche.
Kurz darauf erscheint ein jugendlicher Schwarzzopftwen mit wachen und lustig lächelnden dunklen Augen an ihrem Tisch. Er trägt eine weiße Jacke und eine karierte Hose. »Vielen danken«, sagt er und blickt verlegen zu Boden, »fur meine ensaladilla de pulpo a la gallega hat gut geschmackt.«
Nili dankt ihm auf Spanisch und lobt noch einmal das leckere Gericht. Danach verziehen sich die beiden wieder in die Küche und Waldi schenkt roten Kamaris nach, den sie so gern und deshalb immer wieder bei ihrem ›Griechen um die Ecke‹ trinken.
»Also, wie sieht es aus, Kitt? Was meinst du? Wird dein Vater zustimmen? Wäre es sinnvoll beziehungsweise Erfolg versprechend, den Fall wieder aufzurollen?«
»Wenn das alles sich so darstellt, wie du es mir beschrieben hast, Nili, denke ich schon. Am besten wäre, wenn du die Akte mit der Aussage des Opfers sowie des Zeugen ergänzen könntest. Und ja, auch mit dem medizinischen Untersuchungsbefund und den Fotos des Krankenhauses. Ich glaube schon, dass Vater dir darauf eine amtliche Vorladung für den ominösen Täter ausstellen wird. In diesem Fall würde ich auch Frau Frohm sehr gern rechtlich vertreten, sollte sie einwilligen.«
*
Nachdem sie am nächsten Abend eine mit bestem Olivenöl reichlich beträufelte und aus fleischigen Cuore di-bue-Tomaten- sowie Mozzarella-di-bufala-Scheiben und Basilikumblättern selbst gemachte Insalata Caprese verspeist hat, sitzt Nili in ihrer Kieler Wohnung bei einer Tasse grünem Tee und tippt fleißig in ihr Tagebuch, in dem sie die wichtigsten Ereignisse und ihre interessantesten Fälle festhält. Sie folgt damit dem Beispiel ihrer Abuelita Clarissa, die schon seit früher Jugend die bedeutenden und intimsten Gedanken ihren Tagebüchern anvertraute und gelegentlich Tochter und Enkelin daraus vorliest. Nili konnte so wiederholt spannende Begebenheiten aus ihrer Familiengeschichte und von den ereignisreichen Tagen der Flucht der Großeltern Heiko und Clarissa, ihrer Mutter Lissy und ihres Onkels Oliver aus Nazi-Deutschland sowie aus ihrem langjährigen bolivianischen Exil erfahren. Nach dem Abitur und der längeren, durch eine unglückliche Liebesaffäre verursachten Unterbrechung begann sie erst wieder mit ihren Eintragungen, als sie zur Kriminaloberkommissarin befördert und von Hamburg zu ihrer Familie nach Oldenmoor zurückgekehrt war. Die getippten Berichte werden auf separaten, nur für sie selbst bestimmten Festplatten gesondert gespeichert.
Ich sitze heute hier allein, weil Waldi mal wieder nach Berlin zu einem Informationsaustausch beim BKA fahren musste. Die Indizien im Fall Frohm (ja, wir haben tatsächlich einen Fall!) haben sich konkret erhärtet. Also der Reihe nach: Pünktlich um neun Uhr erschien Cindy Frohm und berichtete ausführlich über die Geschehnisse, die sich in der Nacht vom 13. zum 14. November des vorvorigen Jahres zugetragen hatten. Im Großen und Ganzen deckte sich ihre Erzählung mit dem, was wir bereits aus Treumanns ›Akte‹ erfahren hatten. Mit ihren Angaben und der Hilfe Ferdls bei der Durchforstung der diversen Kommissariate Kiels konnten wir gemeinsam die wahrscheinlichste Polizeistation herausfinden, bei der sie ihre ergebnislos gebliebene Anzeige am Tag darauf gemacht hat: Da die Fete im Gebiet unweit des Tatorts in der Paradiesstraße im Schwentinetal stattfand, war dies wohl das nahe gelegene Revier am Seebrocksberg. Auf meinen Anruf hin bestätigte man mir, dass dort tatsächlich ein entsprechendes Protokoll angefertigt und dieses ordnungsgemäß an die Staatsanwaltschaft übersendet worden sei. Man mailte uns sofort eine Kopie von Cindys Anzeige, die sehr wohl eine Aktenzeichennummer trägt und von einem gewissen Polizeimeister Ullrich gegengezeichnet worden war. Man konnte mir allerdings nicht erklären, warum man der Anzeigenden nicht sogleich die Nummer des Aktenzeichens mitgeteilt hatte. Während Cindy auf ihr getipptes Aussageprotokoll wartete, um es zu unterschreiben, erschien auch der Zeuge Thieslaff. Er erkannte die Frau sofort, machte eine nochmalige und gleichlautende Aussage und unterschrieb ebenfalls sein Protokoll.
Mit Frau Frohms Bewilligung zur Entbindung von ihrem Patientengeheimnis schickte ich Robert zu Frau Doktor Wallgarten ins Städtische Krankenhaus. Sie mailte uns postwendend den medizinischen Untersuchungsbefund sowie die von ihr gemachten Fotos der Verletzungen als pdf- und jpg-Anhang. Die Verletzungen, die Rafael Kohlmann der armen Frau zugefügt haben soll, waren in der Tat äußerst brutal.
Den üblen Gesellen hätte ich mir liebend gern persönlich vorgeknöpft und ihn ordentlich verdroschen (Aber, aber, Frau Kriminalhauptkommissarin, so etwas dürfen Sie doch nicht einmal denken!). Unerklärlich bleibt für mich dennoch, wieso man damals den Vorfall seitens der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolg hat (Schlamperei oder bewusste Verschleierung?). Es lag ja die eindeutige Aussage des Zeugen Thieslaff bei den Streifenpolizisten vor. Ferdl hat inzwischen recherchiert, dass diese beiden, Polizeimeister Uwe Jochimsen und Axel Waldmann, die Meldung Thieslaffs ordnungsgemäß auf ihrem Revier weitergaben. Sie sagten jedoch ihm gegenüber aus – entgegen der Behauptung des mutmaßlichen Täters Kohlmann –, sie seien im Rahmen ihrer routinemäßigen Streifenfahrt rein zufällig und nicht auf den etwaigen Anruf beim Notruf 110 am Tatort vorbeigekommen. Bewaffnet mit all diesen Beweismitteln, machte ich mich auf den Weg zu Oberstaatsanwalt Harmsen und legte sie ihm vor. Auch er war sichtlich erbost, weil die Angelegenheit derart unprofessionell von Polizei und Strafverfolgung gehandhabt worden war, und veranlasste die Ausstellung einer Vorladung des Rafael Kohlmann zwecks Befragung. Dann rief er in meinem Beisein Staatsanwalt Dr. Uwe Pepperkorn an und bat ihn, sich des Falles anzunehmen und ein internes Ermittlungsverfahren in den beiden betroffenen Polizeistationen einzuleiten. Er meinte auch noch, er wolle selbst in Erfahrung bringen, wer hier als Staatsanwalt zuständig gewesen sei und weshalb dieser eine Einstellung des Verfahrens veranlasst habe. So, liebes Tagebuch, das war’s für heute. Schade, ich muss diese Nacht allein schlafen! Werde noch eine SMS an Waldi schicken und mich beklagen, dass ich ihn so sehr vermisse. Und dann ab ins Bett! Morgen früh nach dem Joggen geht’s mal wieder auf den Schießstand, bin schon drei Mal vom Kollegen Hummel angemahnt worden.
Ermittlungen
»Guten Tag, Herr Kapitänleutnant Hubermann. Wir sind von der Bezirkskriminaldirektion in der Kieler Blumenstraße: meine Kollegin Steffi Hink, ich bin Sascha Breiholz. Wir gehen davon aus, dass unser Vorgesetzter, Herr Kriminalrat Harald Sierck, Sie bereits über unser Kommen informiert hat.«
»Danke, Suhrbier, Sie dürfen abtreten!«
Der Obermaat, der die Beamten an Bord in Empfang genommen und sie hierher begleitet hat, salutiert und macht kehrt. Die beiden Kriminaloberkommissare zeigen ihre Dienstausweise.
Der Kommandant des Minensuchbootes Olpenitz nickt. »Jawohl, ich bin im Bilde. Ihr Herr Kriminalrat hat mir Ihren Besuch vor einer Stunde avisiert, allerdings nicht gesagt, worum es sich handelt. Bitte nehmen Sie Platz.« Er rückt einen Hocker neben den Mini-Schreibtisch in dem beengten Dienstraum, der obendrein auch noch seine Koje beherbergt. »Bitte entschuldigen Sie, aber Geräumigkeit kann ich Ihnen hier an Bord leider nicht anbieten. Darf ich nun den Grund Ihres Besuchs erfahren?«
Nachdem sie sich gesetzt haben, räuspert sich Sascha Breiholz. »Wir kommen in einer etwas heiklen Angelegenheit und müssten mit Ihrem Ersten Offizier, dem Herrn Leutnant zur See Bertram Klinck, sprechen. Am letzten Freitag wurde im Kieler Forst die Leiche einer jungen Frau aufgefunden, von der wir aus guten Gründen annehmen müssen, dass es sich um seine Ehefrau handelt. Wir wollten ihn bitten, die Tote zu identifizieren. Die Leiche liegt im Gerichtsmedizinischen Institut der Christian-Albrechts-Universität bei Professor Doktor Klamm. Könnten wir den Herrn Leutnant sprechen? Es wäre wichtig.«
»Das ist ja furchtbar, was Sie da erzählen!« Der Bootskommandant ist offensichtlich betroffen.
»Wir sind gerade erst am vorigen Dienstagnachmittag von unserer dreimonatigen UNIFIL-Mission vor der libanesischen Küste in unseren Heimathafen zurückgekehrt. Sie wissen sicherlich, dass wir dort im Auftrag der UNO und des Bundestages gemeinsam mit Marineeinheiten weiterer fünf Nationen für den Schutz von circa einhunderteinundzwanzig Kilometern Küstenlinie vor Waffenschmuggel für die kriegerischen Guerilla-Auseinandersetzungen im Lande sowie für die Einhaltung des Friedensabkommens zwischen Libanon und Israel zu sorgen haben und gleichzeitig dafür, die libanesischen Marinestreitkräfte auszubilden. Herr Leutnant zur See Klinck ist am Morgen des darauffolgenden Tages, also am Mittwoch, dem 7. Mai, zusammen mit etwa zwei Drittel meiner siebenunddreißigköpfigen Mannschaft an Land gegangen, um ihren wohlverdienten Urlaub zu genießen. Ich nehme an, er ist bei sich zu Hause anzutreffen. Haben Sie seine Anschrift?«
Steffi Hink zieht ihr Smartphone hervor und blickt suchend auf das Display, dann sagt sie: »Nicht direkt, aber wir haben die Anschrift einer Nachbarin: Am Steinweg 2 in Suchsdorf. Es müsste demnach ein Haus daneben oder gegenüber sein. Jedenfalls vielen Dank Herr Kapitänleutnant.«
»Wie lange hat der Herr Leutnant denn Urlaub?«, will Sascha noch wissen.
Kommandant Hubermann dreht den Bildschirm seines Computers zu sich und ruft mit einem Mausklick den Dienstplan auf. »Die Olpenitz geht morgen zur Überholung in die Werft. Der Herr Leutnant Klinck ist zur Beförderung zum Oberleutnant vorgesehen und soll zunächst kommissarisch das Kommando zur Überführung eines Schwesterschiffes zurück an die libanesische Küste übernehmen. Dieses soll planmäßig in vier Wochen, also am 12. Juni auslaufen. Demnach hat er sich spätestens drei Tage davor zum Dienst zurückzumelden. Hoffentlich haut ihn dieser böse Schlag nicht um. Ich weiß, er hat seine Frau Jenny sehr geliebt und besonders oft von ihr gesprochen. Ich habe die nette Frau allerdings nur einmal kurz bei einer Feier an Land kennengelernt. Es wäre furchtbar für ihn, wenn die Tote, die Sie gefunden haben, tatsächlich seine Frau ist!«
Steffi und Sascha bedanken sich nochmals und verabschieden sich.
Der Bootskommandant ruft den Gefreiten Hansi Stüber herbei, damit er die Kriminaloberkommissare von Bord bis an die Pier begleitet.
Während sie von der Brücke über eine Treppe zum Deck herabgehen, fragt Steffi ganz nebenbei den schlanken und sommersprossigen, rothaarigen jungen Seemann: »Wie is’n der so, der Erste?«
»Ach, Sie meinen den Klinck?«, fragt Stüber ein wenig verunsichert. »Warum wollen Sie das wissen, Sie sind doch die Bu… – ich meine, von der Polizei. Hat er was angestellt?«
»Nee, nur so«, entgegnet Sascha. »Der arme Kerl hat wohl gerade seine Frau verloren, deswegen.«
Der Gefreite sieht sich sorgfältig um, will wohl sichergehen, dass ihm niemand zuhört. Er bleibt an der Reling stehen und flüstert: »Von wegen armer Kerl! Wenn der Grobian sie genauso behandelt hat wie unsereins, dann dürfte sie wohl jetzt erlöst worden sein – Gott hab sie selig! Aber das ham Se bitte nich von mir, okay?«
»Wieso? Ist er so ein übler Vorgesetzter?« Sascha will es nun genauer wissen.
»Rücksichtslos gegenüber seinen Untergebenen, dem Alten aber kriecht er in den Arsch! Ziemlich gemein und harsch, das kann man wohl behaupten. Und hat sogar einigen von uns ’ne Backpfeife oder auch ’nen Tritt in den Achtersten verpasst, wenn sonst niemand dabei war. Wenn Sie mich fragen, verstehe ich nicht, wie man so ’ne schlimme Nummer auch noch befördern kann. Aber Vitamin B ist auch bei der Marine von großem Nutzen!«
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, wenn Vaddern Klinck Vizeadmiral ist und im Verteidigungsministerium ganz oben sitzt, schlägt Sohnemann ja wohl irgendwie Profit daraus, oder?«
Die Beamten sehen sich stumm an.
Steffi nickt. »Danke für die nette Begleitung, Herr Gefreiter, und alles Gute für Sie!«
Gefreiter Stüber grinst und salutiert zackig, als die beiden Kriminalhauptkommissare über die Gangway auf die Pier hinuntergehen.
Steffi dreht sich um und winkt ihm freundlich zurück.
*
Die Stimme von Kriminalrat Harald Sierck tönt aus dem Lautsprecher des Dienstpassats, in dem Steffi Hink und Sascha Breiholz das neue Ziel anvisieren: »Versucht es zunächst bei Leutnant Klinck in seiner Wohnung. Sollte er nicht anzutreffen sein, hinterlasst eure Visitenkarte mit dem Vermerk, er möge sich baldigst bei uns melden. Fahrt dann gleich weiter zur Zentrale der Holsteinischen Bank. Dort ist der Wohnungsgeber Herr Volkmann als Berater tätig. Am besten, ihr bringt ihn gleich mit in die Pathologie, sodass er die Leiche identifizieren kann. Gebt mir sofort Bescheid, dann treffen wir uns bei Professor Klamm. Also los, die Herrschaften!«
»Sind schon unterwegs, Herr Kriminalrat, melden uns dann«, bestätigt Steffi und hantiert gleichzeitig am Navi. »Ich geb mal die Wohnung der Nachbarin Frau Weiden, Am Steinweg 2 ein; von ihr erfahren wir die Hausnummer der Klincks.«
Wegen des dichten Verkehrs benötigen sie fast eine Dreiviertelstunde, um an die Tür von Klincks Nachbarin zu gelangen und dort zu klingeln.
Ihnen öffnet eine mittelgroße, blonde und sehr apart gekleidete Endvierzigerin, und nachdem sich die beiden Kriminaloberkommissare vorgestellt haben, bittet sie diese in die luxuriös möblierte Villa. »Ja, ich hatte schon von Ihrem Kollegen, einen Herrn, dessen Namen ich nicht mehr erinnere, der aber mit einem markanten österreichischen Akzent sprach – durchaus charmant, muss ich sagen –, vom traurigen Schicksal der armen Jenny erfahren.« Sie schnieft bedrückt.
Steffi nickt, während Sascha bestätigt: »Das wird der Kollege Csmarits vom LKA gewesen sein.«
»Stimmt, Herr Kommissar. Jetzt, wo Sie den Namen erwähnen: Jenny war im Gegensatz zu ihrem Mann eine besonders nette und im Grunde auch durchaus fröhliche junge Frau. Sie war wirklich nicht zu beneiden bei dem Wüterich, den sie da geheiratet hat. Das Paar zog kurz nach ihrer Hochzeit in das Nachbarhaus ein. Mit dem Leutnant hatten wir kaum Kontakt, er war ja meistens auf See. Ich habe mich mit der Zeit mit Jenny angefreundet. Oft war sie bei mir, um ihr Leid zu klagen. Fast immer gab es Streit, kurz nachdem ihr Mann von einem Einsatz zurückkam. Er war pathologisch eifersüchtig und warf ihr stets vor, sie habe ihn mit ihrem Chef betrogen. Sie arbeitet – oder arbeitete, muss ich ja jetzt sagen, oh mein Gott, wie schlimm das alles ist! – als Chefsekretärin bei einer Versicherung. Sie hat mir oft erzählt, dass dieser Herr Doktor Otfried Wohlgemuth, wie sie ihn genannt hat, sie sehr respektvoll behandelt und ihr niemals nähergekommen sei. Sie liebte ja ihren Berti – wieso, das ist mir in der Tat unverständlich – heiß und innig und ertrug deswegen auch seine oftmaligen Entgleisungen, etwas, was mein Mann und ich nicht nachvollziehen konnten. Der fiese Herr Leutnant konnte sehr brutal sein und hat sie des Öfteren geschlagen. Die lauten Schreie hörte man gelegentlich sogar bis hierher. Einmal floh sie vor ihm und klingelte mit blutenden Wunden im Gesicht an unserer Tür. Berti verfolgte sie bis hierher und wollte sie gewaltsam wieder nach Hause schleppen. Gottlob konnte mein Mann das verhindern, indem er ihn festhielt und ihm drohte, die Polizei zu rufen. Jenny verbrachte damals die Nacht bei uns. Natürlich konnten und wollten wir uns nicht einmischen, jedoch empfanden wir diese Situation als äußerst unangenehm. Wir hatten durchaus Verständnis für sie, dass sie es am Ende nicht länger aushielt. Vor einigen Monaten verließ sie ihn vor seinem letzten Einsatz und zog zu einem Jugendfreund, den sie aus ihrem Heimatort kannte.«
Frau Weiden schüttet ihre ganze Betroffenheit in einem Zuge vor ihnen aus. Sie erfahren zudem, dass das Klinck-Wohnhaus die Nummer 4 nebenan, er aber schon seit etwa drei Monate auf See und seitdem hier nicht mehr gesehen worden sei. Dann setzt Frau Weiden hinzu, dass dort gelegentlich eine Zugehfrau putzt und eine Gärtnerfirma sich um Hecken und Rasen kümmert.
Als sie das Angebot, ein Erfrischungsgetränk zu sich zu nehmen, dankend abgelehnt haben, verabschieden sich Steffi und Sascha und gehen hinüber zum Nachbarhaus. Sie klingeln an der Tür.
Ihnen öffnet eine jüngere Frau, die sich als Cora Stankowa vorstellt und gerade mit dem Staubsauger zugange ist. Sie stellt das heulende Ungetüm ab und bestätigt, dass der Herr ›Laitnant‹ zwar gestern angerufen habe, bis ›haite‹ aber nicht hergekommen sei. »Telefon von Haus der Eltern in Luneburger Heide kann ich geben!« Sie geht zu einem Garderobentischlein und zeigt den beiden Kriminaloberkommissaren einen Zettel, auf dem 05071-90 90 01 geschrieben steht. Steffi speichert die Zahlenreihe auf ihrem Smartphone, während Sascha »Bitte rufen Sie uns an, sehr wichtig!!!« auf eine Visitenkarte kritzelt und diese der Frau mit der Bitte übergibt, sie an einen Ort zu legen, wo der Herr Leutnant sie gleich vorfinden würde, käme er denn nach Hause.
Sie verabschieden sich und gehen zu ihrem Wagen. Sascha überträgt die Telefonnummer auf sein iPhone und wählt. Das Telefon klingelt mehrmals, dann meldet sich der automatische Anrufbeantworter: »Guten Tag! Momentan stehen wir für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Geben Sie bitte nach dem Signal Ihren Namen und die Telefonnummer bekannt und hinterlassen dann Ihre Nachricht. Gegebenenfalls werden Sie zurückgerufen. Danke!«
»Ganz schön überheblich!«, bemerkt Sascha, bevor ein Piepton im Hörer erklingt. »Guten Tag! Hier spricht Kriminaloberkommissar Sascha Breiholz von der Bezirkskriminalinspektion Blumenstraße in Kiel. Herr Leutnant zur See Bertram Klinck wird hiermit von Amts wegen ersucht, sich unverzüglich beim stellvertretenden Dezernatsleiter 21 im LKA, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Herrn Doktor Walter Mohr, in einer dringenden Angelegenheit zu melden. Man erwartet bis spätestens morgen Mittag, zwölf Uhr Ihre entsprechende Rückmeldung. Danke, auf Wiederhören!«, spricht er im gleichen monotonen Tonfall wie die Automatenstimme und beendet die Verbindung. »Der Kerl wird mir von Minute zu Minute unsympathischer!«, setzt er gereizt hinzu.
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