Kitabı oku: «Cantata Bolivia», sayfa 5

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Schon kurze Zeit nach Josefs Ankündigung beginnen die Peones mit der Rodung der Cocasträucher, die auf den lang gezogenen Terrassenanlagen wachsen. Man hat ihnen vorab eine Woche Freizeit gewährt, damit sie samt ihren Familien die Blätter von den Pflanzen abernten. Sie dürfen diese letztmalig auf dem Schieferplattenhof vor der Casa Vieja ausbreiten. Drei Mal täglich kommen ihre Frauen, um die trocknenden Blätter mit Reisigbesen zu wenden. Nach etwa einer Woche sind die Blätter trocken und werden in Jutesäcke gepresst.

Nachdem die Stufen eines Terrassensegmentes von den Cocapflanzen befreit sind, wird unter Ademirs Leitung zunächst die restlos ausgelaugte Erde mit gemischtem Muli- und Rinderstalldung gedüngt und mit reichlich frischem Wasser begossen. Erst eine Woche später werden die Beete mit neuer Muttererde, die man aus dem oben gelegenen Wald geholt hat, vermischt und untergegraben. Nach einer weiteren Woche werden die Kaffeesetzlinge eingepflanzt. Dank der optimalen Klima- und Umgebungsbedingungen werden sie in etwa drei Jahren eine üppige Blütenpracht entfalten und eine reiche Kaffeeernte liefern.

Wie von Geisterhand verschwinden indessen sämtliche während des Tages entfernten Cocapflanzen. Nach dem Arbeitsende der Peones befördern allabendlich Ademir, Urs Brunner und Josef Schloß unauffällig das unheilbringende Krautzeug auf Schubkarren davon. Später brennt lichterloh, hinter dem Hühnerstall verborgen, ein großer Scheiterhaufen. Seltsam geformte Rauschschwaden, die oft ungeheuren Tieren oder übernatürlichen Geschöpfen ähneln, winden sich hinauf und verlieren sich schließlich am Himmel.

5. Hacienda Guayrapata

Die Sommer-Schulferien haben also begonnen. Ehepaar Kahn war vorab schon einmal in den Yungas. Sie fahren nun mit ihren beiden Kindern Thea und Alfred sowie mit Moses Kovacs in der ersten Ferienwoche voraus.

Dann kann es auch für die anderen endlich losgehen! Heiko, Josef und Frauke bringen zunächst Clarissa und die beiden Kinder zur Calle Caiconi, jene Straße, von der aus sämtliche Fahrzeuge in die Yungas-Region abfahren. Clarissa, Oliver und Lissy besteigen den Colectivo, einen Kleinbus, der zufälligerweise heute eine Sonderfahrt mit Sommergästen für das in den Südyungas gelegene Hotel Chulumani durchführt und noch ein paar Plätze frei hat. Josef bezahlt die Fahrt und instruiert den Fahrer, er möge bitte die drei Passagiere bis zum Ort Puente Villa bringen und sie dort an der Casa Blanca – dem weißen Haus – absetzen. Clarissa hat von Josef erfahren, dass sie dort ein gewisser Herr Adler erwartet, der ihnen weiterhelfen wird. Für Josef, Frauke und Heiko, die ebenfalls mitreisen sollen, ist in dem Colectivo kein Platz mehr, also werden sie mit der nächsten Fahrgelegenheit folgen.

Die abenteuerliche Fahrt im Colectivo beginnt in einer Höhe von 3.652 Metern in La Paz. Beim Erreichen der Stadtgrenze passieren sie einen Kontrollposten der Verkehrspolizei. Wegen der großen Gefährlichkeit des Camino de los Yungas gilt für diese Straße ein strenges Nachtfahrverbot. Die Zufahrt ist deshalb mit einem Schlagbaum versehen, der um drei Uhr nachmittags niedergeht und bis zum Sonnenaufgang am nächsten Morgen kein Fahrzeug mehr durchlässt. An einem neben der Straße gelegenen Parkstreifen halten bis über die genehmigte Höhe voll beladene Lastwagen, um den Schalldämpfer vom Auspuff zu trennen. Diese Maßnahme vermindert den Rückstau der Auspuffgase und verhilft so dem Fahrzeug zu etwas mehr „Puste“ beim bevorstehenden, sehr strapaziösen Aufstieg.

In lang gezogenen Serpentinen windet sich die steile, einspurige und kurvenreiche, mit losem Schotter bepflasterte Autostraße den Hang hinauf. Mühevoll kriecht der Kleinbus die fünfundzwanzig endlos scheinenden Kilometer bis zur Cumbre hinauf, dem auf etwa 4.200 Metern Höhe gelegenen Pass. Fühlbare Kälte dringt in den unbeheizten Fahrgastraum des Colectivos, abgestrahlt von den mächtigen, mit ewigem Schnee bedeckten Fünf- und Sechstausendern. Der Beifahrer, ein Indiojüngling, verteilt Pappbecher an die Reisenden, die er daraufhin mit Mate de Coca aus Thermosflaschen befüllt. Wie ihnen bereits von der Bahnfahrt von Arica nach La Paz bekannt ist, ist der heiße Aufguss nicht nur ein probates Mittel gegen das Unwohlsein in dieser Höhe, sondern er wärmt zugleich die frierenden Hände. Oliver und Lissy bekommen zusammen einen Becher, aber Lissy verweigert den bitteren Trunk. Dennoch achtet Clarissa darauf, dass Oliver nicht mehr als die Hälfte des Bechers leer trinkt.

Im weiteren Streckenverlauf schlängelt sich die Autostraße im Angesicht der imposanten Anden in ebenso engen Haarnadelkurven sechzig Kilometer bis auf 1.200 Meter über Meereshöhe steil hinab in jene feuchte und subtropische Gegend, in der die Malaria als unbesiegte Herrscherin thront. Treffen hier zwei entgegenkommende Camiones – Lkws – aufeinander, muss der talwärts Fahrende bis zur nächsten Ausweichstelle rückwärts kriechen.

Nach einer weiteren Fahrstunde befinden sie sich etwa 800 Meter tiefer und der Fahrer des Colectivos macht zur Mittagspause Halt in der kleinen Ortschaft Unduavi. Hier befindet sich ein weiterer polizeilicher Kontrollpunkt und hier ist die Aduana de la Coca ansässig, die amtliche Zollstelle, an der für die aus den Yungas heraustransportierten Cocablätter der entsprechende Impuesto – Tribut – zu leisten ist.

Während der Pause knabbert Oliver genüsslich an einer mit pikanter Ajísauce gewürzten Hühnerkeule; Clarissa und Lissy hingegen verzichten auf das scharfe Essen und begnügen sich mit den mitgebrachten Butterbroten und den hart gekochten Eiern.

An diesem Ort gabelt sich die Straße in die beiden Routen zu dem Nord- und dem Südyungas, welchem unser Colectivo nun folgt. Weiter geht die Reise durch eine beeindruckende Szenerie in immer tiefer gelegene und zunehmend bewaldete Regionen. Hier und dort stürzen aus den weiter oben gelegenen Felsen anmutende Wasserfälle wie silberne Pfeile. Diese münden in die einige Hundert Meter tiefer in engen Tälern gelegenen wild rauschenden Flüsse.

Dann, plötzlich – eine abrupte Vollbremsung in unmittelbarer Nähe des Kühlers eines entgegenkommenden Lastwagens. Der junge Beifahrer springt aus dem Fahrzeug und weist dem Busfahrer die sicherste Spur bis zur nächsten Ausweichstelle, zu der sie im Schritttempo rückwärtsfahren. Erschreckt blickt Clarissa aus dem Fenster in den direkt neben dem Colectivo beginnenden, endlos tief erscheinenden Abgrund. Im Zeitlupentempo schleicht der entgegenkommende Lastwagen vorbei, bis die Gefahr gebannt ist.

Schon fast sieben Stunden lang dauert die Fahrt und die Kinder werden immer ungeduldiger. „Wann sind wir endlich da, Mami?“, fragt Lissy alle paar Minuten.

Zunehmend unruhiger geworden, verfolgen auch Oliver und Clarissa mit den Augen jedes neben der Autostraße stehende weiße Haus. „Hat uns der Fahrer vielleicht vergessen?“, fragt Oliver seine Mutter besorgt.

„Geh doch hin und frag ihn“, antwortet Clarissa, denn auch sie ist verunsichert.

„Señor, por favor, la casa blanca?“, fragt Oliver den Chauffeur.

„En 10 minutos, más o menos.“

Immer wieder dieses „más o menos“, sinniert Clarissa amüsiert. Man hört es hier ständig. Es bedeutet so viel wie „mehr oder weniger“ aber eher „Nichts genaues weiß man nicht“, wie wir bei uns sagen würden.

Kurz darauf verlangsamt der Kleinbus die Fahrt und überquert sehr behutsam die ächzende Holzbrücke über einem darunter munter strömenden Fluss. Nachdem sie an der anderen Talseite noch etwa 500 Meter gefahren sind, kommt das Fahrzeug zum Stehen. Der Chauffeur blickt in den Rückspiegel und meldet zur Erlösung Clarissas und der Kinder: „Puente Villa, Señora, la casa blanca.“

Erleichtert und mit steifen Gliedern steigen die drei aus. Feuchte Hitze schwebt ihnen wie ein Hauch entgegen. Agil klettert der Indiojüngling auf das Dach des Colectivos und reicht Clarissa das Gepäck herunter. Clarissa bedankt sich beim Fahrer, drückt ihm 5 Bolivianos in die Hand und gibt schließlich auch dem „chico“ 2 Bolivianos.

Mit einem strahlenden Lächeln kommt ihnen Hans Adler, ein strahlender, robust und jugendlich wirkender Vierziger, entgegen. „Bienvenidos, willkommen in unserem schönen Yungas, junge Frau, und auch ihr seid willkommen, liebe Kinder.“ Er begleitet sie zur weiß getünchten, im Schatten liegenden kleinen Hütte, wo sie von einem bereits etwas älter wirkenden Indio ebenfalls freundlich begrüßt werden. „Mariano ist zwar erst fünfunddreißig Jahre alt“, erläutert Herr Adler und antwortet damit auf die in Clarissas Miene liegende stumme Frage, „jedoch ist er wegen der tückischen Terciana, eine hier grassierende, besonders schwere Abart der Malaria, die bei ihm regelmäßig alle drei Tage starke Fieberanfälle auslöst, derart auffällig gealtert. Zudem sind seine Pupillenränder gelb anstatt, wie üblich, weiß gefärbt.“

Ziemlich erschüttert von dieser Aussage sieht sich Clarissa im Miniladen um: Offene Säcke mit getrockneten Cocablättern, gelben Erbsen, Saubohnen, Reis und Nudeln stehen am Boden; Sardinenkonserven, Getränkeflaschen und Zigaretten füllen die Regale. Neben dem Eingang fallen ihr die dort lagernden grünen Bananenstauden auf.

Marianos Frau öffnet Bier- und Coca-Cola-Flaschen und serviert Clarissa und den Kindern die lauwarmen Getränke in emaillierten Blechbechern. Für die Kinder gibt es Kekse dazu.

„Tja, liebe Frau Keller“, sagt Hans Adler, nachdem sie getrunken haben, „wir müssen uns wohl oder übel noch so lange gedulden, bis Ihr Mann und der Patrón mit seiner Frau ebenfalls hier eintreffen.“ Dann geht er mit ihnen an die Tür der Hütte und deutet auf die gegenüberliegende Straßenseite. „Dort drüben stehen unsere treuen Mulas, die uns nachher zur Hacienda bringen werden.“

In freudiger Erwartung blickt Oliver auf die zehn in einer Reihe angeleinten Maultiere, die mit regelmäßigem Stampfen der Hufe und rundum schlagendem Schweif wiederholt versuchen, lästige Fliegen und Mücken loszuwerden, die sie umschwärmen. Skeptisch beäugen dagegen Clarissa und die kleine Lissy diese Tiere. Die Ankündigung Herrn Adlers will ihnen gar nicht so recht gefallen.

Einige Stunden sind inzwischen vergangen. Zahlreiche bis oberhalb des Gitterrandes mit Waren beladene und mit einheimischen Fahrgästen besetzte Camiones sind bereits an der Casa Blanca vorbeigefahren, ohne jedoch die erwarteten Nachkommenden abzusetzen. Als Clarissa diesen hiesigen, offenbar allgemein üblichen Reisemodus beobachtet, ist sie im Nachhinein sehr froh, wenigstens bis hierher mit dem Colectivo gefahren zu sein.

Hans Adler hält einen der Lastwagen an und erkundigt sich beim Fahrer, ob er irgendetwas von den drei Gringos bemerkt oder sie gar gesehen habe. Dieser bejaht, er habe besagte Ausländer, zwei Männer und eine Frau, bei der Abfahrt aus La Paz gesehen, als sie mit einem Kollegen verhandelten. Er wisse aber, dass dieser noch nicht seine gesamte Ladung beisammen hatte und deswegen wohl erst später kommen werde.

Und tatsächlich vergeht die Zeit, ohne dass sich etwas tut. Die Sonne neigt sich bald bis zu den Berggipfeln herab. „Ich werde auf die anderen warten“, entscheidet Herr Adler plötzlich. „Aber Sie sollten unbedingt mit den Kindern noch vor Sonnenuntergang von hier weg, weil sehr bald die Malariamosquitos ausschwärmen werden.“ Er führt sie zu zwei der Mulis und verstaut einen Teil ihres Gepäcks in den Seitenfächern der „alforjas“, das sind auf beiden Sattelseiten herunterhän-gende Satteltaschen. „Haben Sie keine Angst, Chiquita und Bonita kennen ihren Weg nach Hause. Machen Sie sich also keine Sorgen, sie werden Sie sicher hinaufbringen.“

Nachdem er die Haltegurte der Sättel an beiden Maultieren fest angezogen hat, hilft Hans Adler zunächst Clarissa in den breiten Sattel auf Chiquitas Rücken und setzt dann die eingeschüchterte Lissy davor. Oliver stellt sich auf einen Stein und kann von da aus selbst in Bonitas Sattel steigen. Hans Adler passt die Steigbügelriemen der Beinlänge der Reitenden an und reicht ihnen die Zügel. Dann bindet er die Tiere los, gibt ihnen einen leichten Klaps auf die Kruppen, und unter seinem lauten ‚Vamos, vamos!‘-Ruf setzen sich die Mulis gemächlich entlang der Autostraße in Bewegung. Den drei Reitern ist zunächst, gelinde gesagt, sehr sonderbar zumute. Nach einer Kurve verschwinden hinter ihnen die Casa Blanca und der mitten auf der Straße stehende und ihnen hinterherwinkende Hans Adler.

Zunächst führt sie ihr Weg in gemächlichem Gang entlang der Autostraße, bis auf einmal hinter einer scharfen Rechtskurve beide Tiere abrupt vor einer kleinen Holzbrücke stehen bleiben. Die vorangehende Chiquita richtet die langen Ohren spitz nach vorn, stutzt, verlässt kurzerhand die Straße und watet, sehr zum Schrecken ihrer beiden Amazonen, vorsichtig durch das sprudelnde Wasser des kleinen Flusses. Lissy quittiert das Unternehmen mit einem gellenden Schrei. Beherzter als die Vorreiterinnen drückt Oliver seiner Bonita die Hacken in die Flanken, so wie Herr Adler ihn instruiert hat. Auf seinen „Vamos!“-Ruf folgt Bonita brav seiner Anordnung. Diese Begebenheit hat vor allem bei der Weiblichkeit wahrliches Herzklopfen ausgelöst!

Nach Durchqueren des Flusses gelangen beide Maultiere zurück auf die Landstraße und traben einige Hundert Meter weiter, bis sie plötzlich scharf nach rechts abbiegen, um ruckartig einem steilen, engen Pfad schrittweise den Berg empor zu folgen. Der Trampelweg der Mulis schlängelt sich am Berghang entlang und führt an manchen Stellen für eine kurze Wegstrecke über ebene Pfade, doch dann folgen wieder steile Anstiege. Gelegentlich bleiben die Tiere kurz stehen, um am Wegrand saftiges Gras abzubeißen. Schließlich setzen sie, genüsslich kauend, ihren Weg fort.

Schon bald beginnen sich die für die Reitbewegungen völlig untrainierten Sitzflächen schmerzhaft zu melden. „Mami, Mami, ich will runter!“, klagt als Erste die genervte Lissy.

Clarissa zieht an den Zügeln, woraufhin Chiquita artig stehen bleibt. „Oliver, bitte, hilf ihr doch!“

Auf den Ruf seiner Mutter steigt Oliver von Bonita ab und hilft der Schwester aus dem Sattel. Lissy und Oliver gehen nun für einige Minuten langsam den Mauleseln hinterher. Dann wechseln sie immer wieder zwischen Gehen und Reiten, denn das Bergangehen treibt ihnen bald den Schweiß aus den Poren, aber auch der schmerzende Popo meldet sich abermals, als sie wieder im Sattel sitzen.

Die Sonne versteckt sich schon bald hinter den Bergen und macht einer kurzen Dämmerung Platz. Wunderschöne, tiefrot gefärbte Schleierwolken sind am Himmel zu sehen, und wenig später changieren sie in eine graublaue Färbung. Den dreien wird es zunehmend unheimlich und sie bleiben nun trotz aller Beschwerlichkeiten doch lieber im Sattel. Plötzlich ist es dunkle Nacht. Unbeirrt setzen die Mulis mit sicherem Gang ihre Route fort. Wie schlafwandlerisch folgen sie dem Weg selbst in dieser fast totalen Finsternis, die nur seicht durch die große Anzahl Sterne am Firmament erhellt wird. Nach dem unendlich anmutenden, zweieinhalbstündigen Ritt bleiben Chiquita und Bonita unerwartet vor der Tranquera, einer aus drei quer ausgerichteten Baumstämmen bestehenden Pforte, abrupt stehen.

Aus der Dunkelheit kommend, nähert sich eine weibliche Gestalt mit einer Petroleumleuchte in der Hand. „Da sind Sie ja endlich!“, hören sie die ermunternden Worte, die ihnen Rosa Adler zur Begrüßung entgegenbringt, während sie die Baumholme zur Seite zieht, um den Einlass zu öffnen. Die beiden Mulis trotten in den Hof. Frau Adler kann gerade noch Lissy auffangen, die total übermüdet vom Sattel rutscht und auf der Stelle einschläft.

Erst viele Stunden später, mitten in der Nacht, trifft die Maultierkarawane mit den restlichen Reisenden auf Guayrapata ein. Alles, was hier oben auf angenehmen 1.700 Metern über Meereshöhe benötigt wird, wird auf diesem soeben beschriebenen „camino de mulas“ heraufbefördert. Ebenso werden alle Erzeugnisse, die auf der Hacienda produziert und zum Verkauf nach La Paz befördert werden sollen, dreimal in der Woche auf Mulikruppen hinunter zur Casa Blanca gebracht.

Am nächsten Morgen sitzen die Kellers mit Josef und seiner Frauke sowie den Familien Kahn und Kovacs fröhlich beim zünftigen Frühstück am großen Esstisch. Alle anderen sind längst an ihre Arbeit gegangen. Aus den beiden großen Fenstern blickt man auf den mit glatten, dunklen Schieferplatten gepflasterten und in dieser Gegend allgegenwärtigem Hof hinaus. Dieser läuft an der gesamten Hausfront entlang und diente bislang zur Trocknung der Coca-Blätter. Eine fast zwei Meter hohe Mauer, von deren Zinnen spitze Glasscherben bedrohlich emporragen, umrahmt die Trocknungsfläche.

Vom Personal bekommen sie zunächst nur Violeta zu Gesicht, eines der Küchenmädchen, das ihnen die Kannen mit frischem Kaffee, Milch und Kakao an den Tisch bringt. Dazu gibt es große Schüsseln mit Schnittkäse, Quark, Butter sowie Tomaten, Radieschen, Gurken, Brombeer- und Guayabamarmelade – alles Eigenprodukte der Hacienda – zur Auswahl. Heiko blickt allerdings skeptisch auf die bereits angetrockneten Marraqueta-Brotscheiben.

Josef bemerkt es sofort und erklärt mit einem bedauernden Lächeln: „Ja, es tut mir leid, lieber Heiko. Zum Backen sind wir auf Guayrapata bedauerlicherweise noch nicht gekommen, weil der uralte Backofen total hinüber ist. Könntest du vielleicht ...“

„Aber logisch, Josef, ich schaue mir den Ofen sofort an. Kann doch nicht angehen, dass hier, wo es zwei gestandene Bäcker gibt, kein frischeres Brot auf den Tisch kommt als dieses, nicht wahr?“

Nachdem alle gesättigt sind, verlassen sie gemeinsam das alte Gebäude. Heiko, Josef und Jakob Kahn gehen, von zwei Schäferhunden begleitet, um den lang gezogenen L-förmigen Bau herum. Sie kommen an einem leeren Schwimmbecken vorbei, das durch die riesige Krone eines mächtigen Chirimoyabaumes fast voll überdeckt wird. Daneben befindet sich auf einer kleinen Lichtung der ruinöse, irdene Horno. Dessen marode Lehmkuppel ist längst in sich zusammengestürzt, die rostige Ofentür hängt kläglich nur an einer Angel herab. Zusammen mit dem inzwischen hinzugeeilten Iraya, einem groß gewachsenen, sympathischen Indio-Landarbeiter, der Pike und Schaufel mitgebracht hat, machen sie sich ans Werk. Josef hat inzwischen eine Schubkarre herbeigeholt, in die die Reste der nach und nach bis zur Grundmauer abgetragenen Lehmglocke auf einem daneben liegenden Haufen abgeladen werden. Zufrieden stellen sie fest, dass sowohl Fundament als auch Backfläche des Ofens, die aus gebrannten Ziegelsteinen bestehen, fast unversehrt und noch durchaus brauchbar sind. Jakob Kahn trägt die demontierte eiserne Ofentür samt Zarge und Aufhängung ins Magazin. In der kleinen Werkstatt wird er versuchen, alles zu reinigen und wieder instand zu setzen.

Inzwischen steht Iraya ein Helfer namens Santiago zur Seite. Er ist von kleiner Statur, wirkt aber sehr robust. Er bringt neben seinem Werkzeug noch ein Bündel trockener Strohhalme sowie eine hölzerne Schablone für Adobes – jene irdenen, sonnengetrockneten Bausteine – mit. Beide machen sich nun daran, den abgetragenen Erdhaufen mit Piken und Schaufeln zu zerstoßen. Die zerkleinerten Erdbrocken werden durch ein Maschendrahtgestell gesiebt und abermals zerkleinert, bis sie die geeignete Korngröße aufweisen. In dem Haufen zerkleinerter Erde formen sie ein Loch, in das sie Wasser hineingießen. Zu Heikos Verwunderung stampfen die beiden Indios mit nackten Füßen die Erdmasse kräftig zu einem schlammigen Brei zusammen, in dem dann gebrochenes kurzes Stroh untergemischt wird. Der so angemachte Lehm wird ebenfalls mit den Füßen in die doppelte Schablone fest hineingestampft. Schließlich wird die Oberfläche mit wenig Wasser geglättet. Während der eine Indio vorsichtig die Schablone anhebt und beiseite legt, portioniert der andere die nächste Füllung mit der Schaufel. Am Ende liegen etwa achtzig Stück dieser Adobes reihenweise nebeneinander.

„Jetzt müssen wir warten, bis der Lehm getrocknet ist, erst dann können sie gewendet werden“, erklärt Josef. „In etwa drei bis vier Tagen können wir mit dem Mauern des Ofens beginnen.“ Er wendet sich an Iraya und Santiago, sagt: „Buen trabajo“ – gute Arbeit – und reicht jedem ein paar Scheine, die sie mit einem breiten Lächeln und ihrem „Muchas gracias, patrón“ quittieren. Für ihre Verhältnisse haben sie sich gerade ein kleines Vermögen zuverdient.

Während die Männer mit dem Wiederaufbau des Backofens beschäftigt sind, führen Frauke, Moses, Alfred und Thea die Neulinge Clarissa, Oliver und Lissy herum und erkunden gemeinsam das Anwesen. In der Casa Vieja – dem alten Haciendahauptgebäude – befindet sich neben dem großen Speiseraum auch die Küche. Hier wird auf dem mit Holz befeuerten und aus Ziegeln und Lehm gemauerten, mehrflammigen Herd gekocht. Neben größeren eisernen Töpfen benutzt man auch kleineres Kochgeschirr aus gebranntem Ton. Besonderen Spaß verursachen Clarissa der Anblick der vielen, offensichtlich selbst grob geschnitzten hölzernen Kochlöffel und vor allem der stark verrußten Töpfe, die – im Gegensatz zu ihrer Küche in der Casa Azul – hier wohl niemals gescheuert werden. „Muss ich mir unbedingt merken“, sagt sie sich leise lächelnd.

Im Hause befinden sich neben dem geräumigen Magazin mit integrierter Werkstatt, in dem Vorräte, aber auch Saat, Werkzeug und Sattelwerk gelagert werden, mehrere Stuben im Obergeschoß. Hier haben sowohl ein Teil der Belegschaft als auch die Ferienkinder ihre Schlafräume. An der Rückseite des Gebäudes, diskret hinter einem dicken Vorhang verborgen, befindet sich das Plumpsklo – „unser geräumiger Mehrsitzer“, wie es spaßig genannt wird. Das ebenso geräumige Wasch- und Duschhaus für die Bewohner ist in einem getrennten Bau untergebracht. Im kleineren, daneben liegenden Raum hat man die Pulpería, einen kleinen Kaufladen, eingerichtet. Er öffnet nur mittwochs und samstags jeweils von 17:00 bis 19:00 Uhr. Hier erhalten sowohl die eigenen Landarbeiter als auch die der benachbarten Haciendas die benötigten Grundlebensmittel und Bedarfsgegenstände: Charque, das platte, steinharte, luftgetrocknete Rindfleisch, Milchpulver, Schweineschmalz, Mehl, Zucker, getrocknete Erbsen und Bohnen, Reis und Nudeln. Darüber hinaus gibt es hier Macheten, Zündhölzer, Zigaretten, Kerzen, Petroleum und Brennspiritus – alles zu sehr günstigen Preisen. Viele Indios nehmen regelmäßig einen Fußmarsch von bis zu drei Stunden in Kauf, um sich hier einzudecken, da sie sonst diese Artikel nur vom eigenen Patrón zu exorbitant überhöhten Preisen erstehen können. Freunde hat sich Josef unter den benachbarten Hacenderos mit seiner preiswerten Pulpería allerdings nicht gemacht, da diesen dadurch ein bisher einträgliches Einkommen abhandengekommen ist. Sein Glück ist es, dass diese fünf oder sechs stinkreichen Hofeigentümer sich kaum oder überhaupt nicht um ihre Ländereien kümmern. Jedenfalls hat Josef seit dem Kauf seines Anwesens bisher auch nicht einen von ihnen zu Gesicht bekommen.

Die Rembowskis und ihre erwachsenen Besucher haben in der einen fünf Minuten entfernten Fußmarsch und etwas oberhalb gelegenen Casa Nueva – dem neuen, komfortableren Gästehaus – übernachtet. Josef hat es erst kürzlich erbauen lassen. Rund um einen größeren Gesellschaftsraum befinden sich die acht weiß getünchten Doppel- und zwei kleinere Einzelzimmer sowie zwei Duschbäder und eine Toilette – sogar mit Wasserspülung. Eine ergiebige Quelle, viel weiter oben auf dem Berg gelegen, versorgt die gesamte Hacienda mit reichlich frischem, kristallinem Wasser. Durch die landesüblichen Rohrleitungen aus dickeren durchstochenen Bambusstämmen rinnt das kostbare Nass und sammelt sich zunächst in einer sehr umfangreichen, aus Beton gemauerten Zisterne, von der aus die Versorgung für die beiden Häuser und den Kuhstall über getrennte Leitungen stattfindet. Eine Wohltat für alle, die hier wohnen: Sie können unbedenklich frisches Wasser direkt aus dem Wasserhahn trinken, ohne es vorher, wie in La Paz unbedingt geboten, abkochen zu müssen.

Die Besichtigungskolonne wandert an den mit dem Backofenbau beschäftigten Männern vorbei. Einige Hundert Meter entfernt steht der groß angelegte Hühnerstall. Hier sind gerade einige Landarbeiter unter der Leitung von Samuel Kovacs mit der Errichtung eines tief in den Grund eingebetteten, engen Maschendrahtzaunes beschäftigt. „Kezét csókolom – küss die Hand, liebe Damen“, grüßt er freundlich, als er Frauke und Clarissa bemerkt. „Müssen Zaun ganz tief eingraben, sonst kommt Marder wieder und tötet unsere Hühner.“

Als die Kinder das umzäunte Gelände betreten, krähen die beiden Hähne aufgeregt, zahlreiche Hühner laufen erschrocken davon, andere flattern zum Vergnügen der jungen Besucher wild gackernd umher. Lissy hält sich die Hände schützend vor das Gesicht, ist aber nicht bange. Durch die Geräusche hellhörig geworden, kommt ein blondes, etwa zwölfjähriges Mädchen, das mit einem viel zu großen Overall und Gummistiefeln bekleidet ist, aus Richtung des Stallungstors auf sie zu. Überrascht blicken Lissy und Oliver die Erscheinung an. „Hallo, ihr müsst Oliver und Lissy sein, nicht wahr? Ich heiße Bärbel und bin die Tochter von Hans und Rosa Adler – die habt ihr ja schon gestern kennengelernt.“

„Hallo, guten Morgen, Bärbel“, antworten die Kinder einer nach dem anderen. Moses geht zu ihr und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Bärbel errötet und versucht abzulenken: „Wollt ihr mir beim Eiersammeln helfen? Dann kommt doch mit herein.“

Gespannt folgen Alfred, Oliver und Lissy der Aufforderung, nachdem die beiden Letzteren ein zustimmendes Nicken von Clarissa vernommen haben. Im großzügig angelegten Stallraum befinden sich Wandregale, die fast bis an die Decke reichen. In diesen stehen unzählige mit Stroh ausgelegte Holzkisten, in denen die Hühner ihre Eier ablegen. Bärbel und Alfred steigen die Leitern hinauf, woraufhin die Hennen aufgeregt gackernd umherflattern und lautstark gegen die Eindringlinge protestieren. Bärbel und Alfred reichen Oliver die eingesammelten Eier herunter, der sie vorsichtig in die dafür bereitstehenden Strohkörbe legt. Lissy stöbert inzwischen in den unteren Legekisten und hält kurz darauf Oliver mit perplexem Gesichtsausdruck ein weißes, hölzernes Ei vor die Nase. Alfred hat es bemerkt und erklärt, dass diese Schummeleier die Hühner täuschen und sie dazu animieren sollen, dem Gelege weitere Eier hinzuzufügen.

„Warum macht ihr das denn?“, fragt Lissy.

Alfred wendet sich hilfesuchend an Bärbel.

„Sieh mal, Lissy, wenn man alle Eier im Nest lassen würde“, erklärt diese, „dann setzen sich die Hühner darauf und bebrüten sie mit ihrem Körper einige Tage lang, und zwar so lange, bis die kleinen Küken aus den Schalen schlüpfen. Wir wollen aber die Eier entweder selbst essen oder sie verkaufen. Deswegen müssen wir sie den Hühnern wegnehmen, bevor sie mit dem Brüten anfangen.“

„Habt ihr denn gar keine Küken hier?“, fragt Oliver.

„Doch, da kommt mal mit.“

Alfred und Bärbel klettern wieder herunter. Dann betreten sie alle zusammen durch eine kleine Tür den ebenfalls kleinen Nebenraum. Dort laufen zu Lissys größtem Entzücken zwei Hennen auf dem Boden herum, denen je ein Dutzend schwach piepsender, goldgelber Küken hinterhereilen.

Während sich die Jüngeren mit Bärbel erneut auf Eierpirsch begeben, meint Thea zu Moses: „Ich hab keine Lust, nochmals den Hühnern unter den Popo zu fassen. Wollen wir nicht lieber wieder zurückgehen? Außerdem hatte ich Frau Schloß ja versprochen, ihr bei den Vorbereitungen für das Mittagessen zu helfen.“

Etwas verunsichert antwortet Moses: „Ja, ist vielleicht auch besser so. Ich muss noch meine heutige Geigenübung absolvieren und habe einiges nachzuholen. Also gut, gehen wir!“

Die beiden holen Frauke und Clarissa, die bereits vorgegangen sind, auf dem Weg zur Casa Vieja ein.

Neben dem Hauptgebäude treffen sie auf Josef Schloß, den tüchtigen schwäbischen Gärtner aus Waiblingen, der in seinem Gemüseeden gerade dabei ist, Zwiebeln, Karotten und Yuca, eine hier gut gedeihende einheimische Maniokknolle, die als Kartoffelersatz dient, für das Mittagessen zu ernten. Die kleine, schrullige, immer lustige und gut aufgelegte Gestalt, stets mit dem kalten Pfeifferl im Mund, grient die beiden Damen freundlich an und hält ihnen die von dunkler Gartenerde beschmutzten Hände entgegen. „Heute gibt’s frische Zwiebele, Kohlrabiles, Möhreles und das vermaledeite Yuca zum Fraß. Gute Kartoffeles mögen ja in dieser ruchlosen Gegend nicht gedeihen! Maledetto, maledetto!“, grunzt er. Dann wendet er sich, ein Lied vor sich her summend, wieder seiner Arbeit zu.

Neben ihrer Arbeit im Gemüsegarten und in der Küche greift das Ehepaar Josef und Martha Schloß jeweils in der Früh und am Abend den Adlers beim Melken tüchtig unter die Arme, denn mehr als fünfzig Milchkühe bevölkern den großen Kuhstall. Der Corral befindet sich abseits und etwa 200 Meter tiefer gelegen als die Casa Nueva. Ober- und unterhalb des lang gezogenen Stallgebäudes erstrecken sich weite, eingezäunte Stallungen und Koppeln an den sanften Hängen, in denen Jungbullen und Färsen getrennt die Nächte verbringen. Die Kälber werden in einem vom Stall seitlich abgetrennten Abteil gehalten. In einem Nebengebäude ist sowohl die kleine Käserei als auch die Wohnung der Familie Adler untergebracht.

Martha Schloß, die unterstützt von Luisa und Violeta in der Küche agiert, tritt heraus und begrüßt Frauke und Clarissa freundlich. Gerade geht Thea Kahn der Gehilfin Violeta beim Rösten von Kaffeebohnen zur Hand. In einem verrußten, schrägen Tontopf auf der offenen Holzflamme am Herd befinden sich die bereits gebräunten Bohnen, die mit einem Holzstab ständig in Bewegung gehalten werden. Dicker Rauch und ein herbes Aroma nach gebranntem Kaffee erfüllen den Küchenraum. Luisa weicht das luftgetrocknete dunkle Rindfleisch, die flachen Charque-Platten, in einer mit Wasser gefüllten Wanne ein, damit es aufquillt und wieder essbar wird. Frisches Fleisch gibt es hier nur, wenn Hühner, Kaninchen oder bisweilen gar ein Kalb geschlachtet werden. Schweinefleisch von den Indios aus der Umgebung gäbe es zur Genüge, aber man verzichtet darauf, aus Rücksicht sowohl auf die hier wohnenden und die als Gäste bewirteten Juden. Die gelegentlich auf den Tisch kommenden Wurstwaren stammen ausschließlich von Isaak Goldfarb, dem einzigen jüdischen Schlachter in La Paz. Darüber hinaus werden keine besonderen rituellen Vorschriften bei den Speisen eingehalten.

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