Kitabı oku: «Ehrenmord ist kein Aprilscherz», sayfa 4
»Das Kompliment geht an dich zurück, mein lieber Javier!«, lobte ich ihn begeistert auf Spanisch. »Prima, dass du ein solch gutes Gedächtnis hast! Gute Arbeit, pura vida!«
Er rief gleich Piter auf dem Handy an und Inspecteur Lejoly ebenfalls, um seine beiden Leute zurückzubeordern. Lejoly ordnete schließlich seinen Stellvertreter, INPP Breitkopf, an, uns in ihrem Dienstwagen zum Hotel Bergerac zu fahren. Zusammen mit Javier und Margrit verlangten wir nochmals Einsicht in das Gästeregister, das uns der Concierge Monsieur Palmier bereitwillig vorlegte. Da stand er tatsächlich: Mohammad ibn-Seif, 59 Jahre alt, geboren in Safi, Marokko, wohnhaft 28, Rue de Cheval Noire im Ortsteil Sint Jans-Molenbeek im Westen Brüssels. Zu seinem ersten Aufenthalt vom 6. bis zum 7. Juni vor zwei Jahren war er in Begleitung einer zweiten, namentlich nicht registrierten Person angereist. Monsieur Palmier hatte den Gast empfangen und ihn sich eintragen lassen, den zweiten allerdings erst am nächsten Morgen im Frühstücksraum bemerkt, kurz bevor die beiden wieder abreisten. Ja, jetzt, da wir nachfragten, erinnerte er sich daran, dass sie in einen grünen Kombi mit deutschem Kennzeichen eingestiegen waren, der an seiner Kupplung einen Anhänger zog, auf dem sich ein zweiter Wagen befand. Das passte haargenau zu dem Termin, an dem Uwe Wilkens den Renault Mégane an das Autohaus Stolzen verkauft hatte. Bei seinem zweiten Besuch, der vom
15. bis zum 17. Oktober des gleichen Jahres stattfand, hatte Palmier diesen Gast wiedererkannt und sich durch gezielte Befragung vergewissert, dass er diesmal allein angereist war. Allerdings war ibn-Seif wohl ohne Wagen gekommen. Zumindest konnte sich Monsieur Palmier nicht entsinnen, einen solchen gesehen zu haben. Nachdem wir mit diesen bedeutenden Ergebnissen in die Inspektionswache am Marktplatz zurückgekehrt waren, rief Inspecteur Lejoly den Leiter der Brüsseler Föderalen Kriminalpolizei in der Rue Royale im Ortsteil Molenbeek an, den er persönlich kannte. Dieser leitete unmittelbar eine Suchmeldung betreffend Mohammad ibn-Seif ein und versprach, seine ›Opsporing Afdeling‹ (Abteilung für Vermisstensuche) würde sich melden, sobald sie etwas erfahren hätten. Der hilfsbereite Bütgenbacher Polizeiinspektor sagte zu, diesen an meine Dienststelle weiterzuleiten.
Margrit und ich bedankten uns sehr bei all den Kollegen, die uns derart wirksam unterstützt hatten, und ich wollte sie – bevor wir am nächsten Tag unsere Rückreise antreten würden – alle zu einem typisch flämischen Abendessen einladen. Ich bat den Herrn Inspektor, einen Tisch in einem guten Restaurant zu reservieren.
Also verbrachten wir einen sehr vergnüglichen Abend in einer gediegenen und gemütlichen Gaststätte, die in einem urigen Gebäude mit einer alten und schön gestalteten Steinfassade untergebracht war. Wir betraten das Lokal über eine zweiseitig begehbare Außentreppe, die mich an ähnliche Hochparterreeingänge an einigen Gebäuden an der Gracht Am Fleeth in der Glückstädter Innenstadt erinnerte. Man servierte uns in einer Scheibe Kochschinken eingewickelten und im Backofen gratinierten Chicorée als Vorspeise sowie den sehr schmackhaften und reichhaltigen Gentse Waaterzoi Kip, einen traditionellen flämischen Eintopf, wobei der ehemalig darin enthaltene Fisch heute üblicherweise durch Hühnerfleisch ersetzt wird. Nach dem Essen fragte ich, ob mir jemand die Rezepte für diese Gerichte verraten könne. Meine Mutter würde sich vor allem über den leckeren Eintopf freuen – eine neue Variante, in der ihr geliebtes Federvieh vom Eulenhof Verwendung finden könne. Mijnheer Inspecteur Breitkopf erklärte sich gern bereit, mir die beiden bewährten Hausrezepte aus dem Familienkochbuch seiner Frau zu mailen. Dann verabschiedeten sich Javier und Piter, denn sie mussten noch heute Abend wieder nach Antwerpen zurückfahren. Natürlich gab es dabei emotive Umarmungen und einige ›Pura vidas‹ für meinen lieben Javier, dem ich noch viele Grüße für die Antwerper Freunde mit auf den Weg gab. Im Hinausgehen rief er mir auf Spanisch zu, er werde mich über die Geburt von Nili Maria und den Termin für die Taufe informieren. Margrit und ich nahmen ebenso von den drei hiesigen Polizeibeamten Abschied, die uns so bereitwillig unterstützt hatten.
Die Rückreise am heutigen Tag verlief leider nicht so reibungslos wie die Hinfahrt, denn ein böser Lkw-Unfall versperrte die Autobahn kurz vor dem Osnabrücker Kreuz. Als sich uns eine Polizeistreife näherte, um so manchen unbelehrbaren Autofahrer dazu zu bringen, endlich eine Mittelspur für die Rettungskräfte freizumachen, sprach ich sie an und gab uns zu erkennen. Wir durften ihnen mit eingeschaltetem Blaulicht hinterherschleichen und so nach etwa einer Dreiviertelstunde des Stillstands über die Standspur am Unfallort vorbeifahren.
Wie versprochen, fuhren wir über Oldenmoor zurück, wo man uns leider nichts Neues über das vermisste Mädchen berichten konnte. Von dort aus rief ich den stellvertretenden Staatsanwalt in Itzehoe, Assessor Dr. Paul Kramer, an und informierte ihn über unsere neuen Ermittlungsergebnisse. Er war inzwischen von unserer Dienststelle über die Wiederaufnahme des Falles informiert worden und war natürlich sehr interessiert, so viel wie möglich darüber zu erfahren. Er fragte, ob ich kurzfristig zu einer Lagebesprechung vorbeikommen könne. Ganz impulsiv schlug ich vor, dass wir uns allesamt – also die Kollegen der Bezirkskriminalinspektion Itzehoe, die aus Glückstadt und Oldenmoor sowie mein Team – am Sonntagmorgen auf dem Holstenhof meines Onkels Oliver in großer Runde treffen sollten, um einen einheitlichen Wissensstand herzustellen. Er fand den Vorschlag sehr gut und sagte zu, sämtliche hiervon Betroffene zu informieren. Während wir nach Kiel weiterfuhren, rief ich bei Onkel Oliver und Tante Madde an, um sie wegen dieses Überfalls vorzuwarnen. Mein lieber Onkel war sofort bereit, einen großen Tisch für die etwa zwei Dutzend Teilnehmer in der Verkaufsscheune seines Bauernladens aufzustellen. Da der Bütgenbacher Inspektor Breitkopf mir inzwischen tatsächlich das versprochene Rezept gemailt hatte, schickte ich dies gleich an Tante Madde weiter und bat sie, meine Ima um die Lieferung der hierzu erforderlichen Anzahl von Hühnern zu bitten. Ich bat Margrit, mich vor meiner Wohnung abzusetzen und dann gleich nach Hause zu fahren. Sie könne morgen früh unseren BMW ins LKA zurückbringen.
So, nun ist aber genug. Ich gehe jetzt unter die Dusche, denn gleich kommt mein lieber Waldi, auf den ich zwangsläufig einige Tage verzichten musste. Ich freue mich deshalb schon riesig auf eine traumhafte Liebesnacht!
4. Außergewöhnliche Lagebesprechung
An diesem Freitagmorgen klingelt Nilis Wecker viel zu früh. Nur mit äußerster Willenskraft gelingt es ihr, sich bereits um halb sechs sanft aus der Umklammerung ihres Liebsten zu befreien, in dessen Armen sie in der letzten Nacht glücklich und zufrieden eingeschlafen ist. Leise huscht sie aus dem Bett, duscht und zieht sich an, um Waldi nicht zu wecken. Dann bereitet sie für ihn und sich ein kleines Frühstück aus einem starken Kaffee, Toastbrötchen, ungarischen Salamischeiben, körnigem Hüttenkäse und zwei Sorten Marmelade, die sie gestern noch rasch bei einem Tankstellenaufenthalt an der Autobahn eingekauft hatte. Auch während sie frühstückt, ist Waldi noch nicht erwacht. Er öffnet erst die Augen, als sie ihm einen sanften Abschiedskuss auf die Stirn drückt. Flink läuft sie schließlich die Treppe in die Tiefgarage hinunter und setzt ihren Cross Polo in Gang, um zur Arbeit zu fahren. Da um diese Zeit die Kieler Straßen noch relativ dünn befahren sind, erreicht sie in kaum mehr als einer Viertelstunde den Eichhof am Mühlenweg, das riesige Polizeigelände, auf dem sich das LKA befindet. Sie nickt dem Pförtner freundlich zu. Dieser hat für sie die Schranke bereits geöffnet, als er ihren herankommenden Wagen erspäht hat, den sie wenig später auf dem Parkplatz vor dem Gebäude Nr. 10 abstellt. Mit wenigen Schritten erreicht sie das Haus 12 und fährt mit dem Fahrstuhl in die zweite Etage. Sie eilt durch endlos erscheinende Korridore, bis sie in das Büro der Abteilung Sonderermittlungen, der sogenannten Cold Case Unit, gelangt, das sie sich mit ihren drei engsten Mitarbeitern teilt. Sie ist die Erste an diesem Morgen, fährt ihren Computer hoch und überschlägt die Ermittlungsresultate, die Robert Zander und Ferdl Csmarits während ihrer Abwesenheit gesammelt haben. Mit Genugtuung stellt sie fest, dass die Kollegen fleißig waren und erfreulicherweise auch hier und da fündig geworden sind. Dann aktualisiert sie ihren gestrigen Report mit all den in Bütgenbach gewonnenen Erkenntnissen über Mohammad ibn-Seif und die Tatwaffe. Nachdem sie den Bericht über interne Mails an den Staatsanwalt, den Dezernatsleiter und an sämtliche zuständige Kollegen im Hause verteilt hat, hält sie inne und überlegt, wie sie wohl weiter verfahren sollten.
Ferdl und Margrit betreten fast gleichzeitig das Büro, Robert Zander ein wenig später. Obwohl sie alle Nilis zusammenfassenden Bericht auf ihren Bildschirmen lesen können, erfolgt eine gegenseitige Berichterstattung bei frisch gebrühtem Kaffee sowie die allgemeine Aussprache und die Kommentierung möglicher Zusammenhänge der neu gewonnenen Erkenntnisse.
»Macht euch schon mal Gedanken zur Vorbereitung unseres Treffens am Sonntag«, kündigt Nili an, »denn wir kommen um zehn Uhr bei meinem Onkel Oliver im Holstenhof zu einer ›Sonderlage‹ mit den Staatsanwälten sowie mit einigen der ehemals mit diesem Fall befassten Kollegen zusammen.«
»Wieso g’rad am Sonntag, Chefin?«, will Ferdl wissen.
»Warum? Haben Sie an dem Tag etwas Besonderes vor, Kollege Fachinspektor?«, kontert Robert neckisch.
»A gehen’s, Robert! Naa! Nur, is doch a bisserl ung’wöhnlich, ned wahr? I moan, is des ned deppert, a so a offizielle Besprechung mit all die Großkopferten auf’n Bauerhof?«
»Natürlich haben Sie recht, Ferdl! Ist schon ein wenig bizarr, das gebe ich zu!«, bestätigt Nili mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. »Assessor Doktor Kramer aus Itzehoe wollte unbedingt eine Aussprache in der großen Runde, und ich regte den Sonntag an, weil da am wahrscheinlichsten ist, dass alle daran teilnehmen können. Außerdem dachte ich mir, so ein Treffen auf dem Lande inklusive leckerem Imbiss wäre vielleicht auch eine angemessene Entschädigung für den Sonderzeitaufwand der Teilnehmer.«
»Sie können sich besonders auf die köstlichen Schmankerl freuen, Ferdl«, frotzelt Margrit. »Nili hat deren Rezepte extra für Sie aus Belgien importiert!«
Ferdls Miene hellt sich bei dieser erfreulichen Ankündigung merklich auf. »Na, wann’s denn so is, is mir a recht! Und damit ihr siechts, wie i mi a freun tu’, führ i euch alle in meinem Barockengel nach Oldenmoor hin!« »Finde ich hervorragend, Kollege Ferdl! Nur mich brauchen Sie nicht mitzunehmen, denn ich fahre schon heute Abend, um morgen meiner Tante Madde bei den Vorbereitungen zur Hand zu gehen! Wir werden immerhin fast zwei Dutzend Mäuler zu versorgen haben!« Dann wird Nili ernst. »Aber jetzt etwas anderes: Hat jemand von Ihnen etwaige Neuigkeiten im Fall des vermissten Mädchens?«
»Ach du Sch…!« Robert treibt es die Röte ins Gesicht. »Tut mir leid, Nili, das habe ich ja total vergessen! Gestern Abend, gerade als ich zur Tür hinauswollte, rief Ihr ›Hein Gröhl‹ aus Itzehoe an und wollte Sie deswegen sprechen. Ich sagte zu, Sie würden heute Morgen zurückrufen! Sorry, habe ich verschwitzt!«
»Macht ja nichts, Robert, ist ja immer noch – sie schaut auf die Armbanduhr – kurz vor halb zehn heute Morgen, nicht wahr? Also hören wir uns an, was er uns sagen möchte.«
»Guten Morgen, liebe Frau Kriminalhauptkommissarin! Kriminaloberrat Heinrich Stöver am Apparat. Nett, dass Sie zurückrufen! Ich wollte Sie nur davon in Kenntnis setzen, dass wir endlich der jungen Muslima Amina El-Karim auf die Spur gekommen sind. KOK Dörte Westermann ließ in ihren Bemühungen nicht nach. Sie befragte den Klassenlehrer und erfuhr von diesem, dass Amina nur mit einem ihrer Schulfreunde, ein gewisser Jörg Ewers, ein wenig enger vertraut sei. Frau Westermann passte diesen Klassenkameraden am Ausgang des Gymnasiums ab und konnte letztendlich sein Vertrauen gewinnen. Von ihm erfuhr sie, dass Amina ihn inständig um Hilfe gebeten hatte. Das Mädchen ist also erfreulicherweise nicht entführt worden, sondern hatte sich heimlich von zu Hause weggeschlichen und auf Jörg Ewers’ Anraten vor ihrer streng gläubigen Familie Schutz in einem Frauenhaus gesucht. Frau Westermann spürte sie dort auf und durfte mit ihr sprechen. Sie ist wohlauf, will aber unter keinen Umständen wieder zurück in ihr Elternhaus, weil sie die Rache ihrer Familie fürchtet. Zudem besteht diese auf ihre baldige Zwangsheirat mit einem marokkanischen Geschäftsmann, der noch dazu viel älter sein soll als sie. Ich denke, wir sollten dies deswegen nur unter vorgehaltener Hand besprechen, weil der wütende Vater und die Brüder den Oldenmoorer Kollegen die Bude einrennen, obwohl man ihnen mehrfach gesagt hat, dass meine Inspektion die Angelegenheit übernommen hat. Hier haben sich die El-Karims aber bisher nicht sehen lassen und wir haben weder sie noch irgendjemanden sonst darüber informiert. Solch turbulente Angelegenheiten unterliegen wohlweislich einem strengsten Datenschutz, gerade auch gegenüber aufgebrachten Eltern.«
Nili bedankt sich für die Information und reagiert empört: »Das geht gar nicht, Herr Kriminaloberrat! Wir sind doch hier nicht im Kalifat! Die elterliche Gewalt gegen das Mädchen an sich ist schon schlimm genug, aber solch eine Zwangsverheiratung, noch dazu einer Jugendlichen, schlägt dem Fass den Boden aus! So etwas dürfen wir auf keinen Fall zulassen! Sie haben doch sicher die Staatsanwältin, Frau Doktor Bach, informiert?«
»Nein, konnte ich leider nicht, denn sie kommt erst heute Abend von einer Dienstreise zurück. Aber ihr Assessor, Doktor Paul Kramer, weiß Bescheid und wird sicherlich auch dies mit Ihnen besprechen. Ich freue mich jedenfalls schon auf ein Wiedersehen mit Ihnen und den LKA-Kollegen. Also, bis Sonntag!«
»Unglaublich!« Nili schüttelt den Kopf, als sie den Hörer auflegt, und tut ihr Missfallen lauthals kund: »Was nehmen sich diese Leute hier bei uns überhaupt heraus? Religion hin oder her, deren Glaube und altertümliche Gebräuche sind eben so, wie sie nun mal sind, darüber haben wir nicht zu urteilen. Dennoch genießen sie hier Asyl und haben sich an unsere Gesetze und nicht an ihre Scharia zu halten! Da hört bei mir jede Toleranz auf!«
Bevor Nili nach Dienstschluss die Fahrt nach Oldenmoor antritt, prüft sie noch einmal die Zutatenliste für das Sonntagsmenü und fährt rasch beim Supermarkt in der Projensdorfer Straße vorbei, denn sie ist sich nicht sicher, ob ihre Tante Madde in Oldenmoor genügend Chicorée bekommt. Sie benötigt immerhin zwei Stück je Person. Selbst hier bedarf es der Hilfe eines extra herbeizitierten Verkäufers, der einen verdunkelten Karton mit vier Dutzend Korbblütler-Knospen für sie aus dem Kühllager holt. Vorsorglich nimmt sie auch noch sechs Stauden frischen Stangensellerie mit und ruft anschließend ihre Tante an, um sie davon in Kenntnis zu setzen. Gerade als sie abfahren will, summt ihr Handy.
»Hallo, Nili, wo bist du?«, fragt Waldi.
»Grüß dich, Schatz! Ich hatte versucht, dich in deinem Büro zu erreichen, aber man sagte mir, du seist außer Haus. Ich habe gerade etwas für unser Lagetreffen am Sonntag eingekauft und wollte eigentlich jetzt nach Oldenmoor. Wenn du schon mitkommen möchtest, hole ich dich ab.«
»Tut mir leid, Liebes, ich hab hier morgen Vormittag noch etwas Wichtiges zu erledigen und werde gegen Mittag bei euch sein. Ich habe deinen Bericht gelesen. Gratuliere! Das Sonderermittlungsteam ist mal wieder ein gutes Stück vorangekommen! Bin gespannt auf das, was am Sonntag bei der Besprechung herauskommt. Also dann, mein Schatz, bis morgen Mittag. Fahr vorsichtig und träum schön von mir heute Nacht!«
»Schade«, bedauert Nili, »aber macht nichts, freue mich eben dann morgen Mittag auf dich! Am besten, du kommst gleich zum Holstenhof, denn ich werde morgen früh hinjoggen, um meiner Tante in der Küche zu helfen. Tschüss, mein Liebster! Auch ich wünsch dir süße Träume!«
Als Nili eine Stunde später in Oldenmoor eintrifft, in die Theodor-Heuss-Straße einbiegt und ihren Cross Polo vor dem Onkel Suhls Haus abstellt, trifft sie auf den Vietz der Schlachterei Siemsen, der gerade zwei leere Nirosta-Schalen aus der Tür trägt.
»Grüß dich, Nili!«, ruft ihr der Geselle zu. »Ich habe soeben die geschlachteten Hühner sowie vier Dutzend dicke und ziemlich große Scheiben mageren Kochschinken bei deiner Oma abgeliefert.«
»Hallo, Bruno! Solltest du nicht aber das Ganze gleich zu Tante Madde in den Holstenhof bringen?«
»Tut mir leid, Nili, davon wusste ich nichts! Die Hühner hat deine Mutter gestern Abend zu uns zum Schlachten gebracht und dabei auch den Schinken bestellt. Deswegen nahmen wir an, dass wir die Waren wieder hier abliefern sollen.«
»Ist okay, Bruno! Macht nichts! Dann bringe ich sie eben selbst hin! Ich hab sowieso noch weitere Einkäufe getätigt, die ich dorthin bringen muss. Also danke schön und grüß Meister Sigi. Tschüss!« Dann geht sie ins Haus und umarmt ihre Abuelita.
»Hola, Abuelita! Cuánto me alegro de verte!«
»Yo también, mi querida Nili!14 Da hast du aber deiner Tante Madde ganz schön viel Arbeit eingebrockt!«, tadelt sie ihre Enkelin mit einem liebevollen Augenzwinkern. »Als ob die Arme nicht schon genug mit dem Hof und der Wirtschaft zu tun hätte!«
»Ich weiß, Abuelita, und deswegen fahre ich gleich zu ihr und bringe ihr das Ganze. Ich werde ihr selbstverständlich zur Hand gehen.«
»Dann komm ich mit, mein Kind. Madde wird sicher nichts gegen zwei weitere helfende Hände einzuwenden haben!«
*
Es ist Sonntag, kurz vor halb zehn, als zwei Streifenwagen in die Auffahrt zum Holstenhof einbiegen und vor dem Hauptgebäude parken. Die Ankommenden werden von Nili und ihrem direkten Vorgesetzten und Lebensgefährten, Walter Mohr, empfangen. Es sind der hiesige Dienststellenleiter Polizeihauptkommissar Boie Hansen mit seinen Mitarbeitern Willi Seifert und Polizeimeister-Anwärterin Helga Timm, die ihre drei Glückstädter Kollegen hergeführt haben und auch gleich vorstellen: Stationsleiter Sönke Jürgens, PHM Elke Brodersen und POM Frank Nissen. Sie werden anschließend von den Hausherren Oliver und Madde Keller in Empfang genommen und in die eigens für die Besprechung vorbereitete Scheune begleitet. Nilis Onkel Oliver und seine Söhne und Enkel haben sich wahrlich ins Zeug gelegt, den Hofladen entsprechend umgestaltet und ihn mit einem langen Tisch und Sitzgelegenheiten für zirka zwanzig Personen hergerichtet. Nach und nach treffen weitere Fahrzeuge auf dem Hof ein: Kriminaloberkommissar Hauke Steffens, der seine Kollegin Dörte Westermann sowie ihren Chef, Kriminaloberrat Stöver, von der Itzehoer Bezirkskriminalinspektion mitbringt. Kurz darauf folgt der Wagen des Kieler Staatsanwalts Dr. Uwe Pepperkorn, in dem sich auch der Leiter der Bezirkskriminalinspektion Blumenstraße, Kriminalrat Harald Sierck, befindet. Besondere Beachtung findet zweifellos die Ankunft des ehemaligen Streifenwagens der Münchner Polizei, ein prächtiger 1956er BMW 502-Oldie, in dem Fachinspektor Ferdl Csmarits seine LKA-Kollegen Margrit Förster und Robert Zander mitbringt. Staatsanwältin Frau Dr. Cornelia Bach und ihr Assessor, Dr. Paul Kramer, bilden die Nachhut und betreten um Punkt zehn Uhr den Versammlungsort. Als sich alle Teilnehmer eingefunden und Platz genommen haben, heißt sie der Hausherr willkommen und die Staatsanwältin dankt ihm für die Bereitstellung des Raumes sowie auch Nili für den guten Einfall, einen so abwechslungsreichen Treffpunkt vorzuschlagen.
»Dann lassen Sie uns gleich in medias res gehen«, bemerkt Frau Dr. Bach, nachdem Oliver Keller die Scheune verlassen hat. »Um den ersten Tagesordnungspunkt abzukürzen, bitte ich um den Bericht des Herrn Kriminaloberrat Stöver, der Sie darüber umfassend informieren kann.«
Heinrich Stöver berichtet ausführlich, was er Nili bereits am Freitag telefonisch mitgeteilt hatte. »Aus Sicherheitsgründen sind neben der Staatsanwaltschaft bisher nur zwei meiner engsten Mitarbeiter und ich über den Aufenthaltsort der jungen Frau informiert, denn wir wollen diesen möglichst lange vor den aufgebrachten Eltern und insbesondere vor den zur Randale neigenden Brüdern geheim halten. Wir sind jedenfalls bestrebt, das arg bedrängte Mädchen so lange zu schützen, wie es eben geht. Ich habe die Staatsanwaltschaft bereits gebeten zu untersuchen, inwieweit man der noch nicht volljährigen Frau rechtlichen Schutz gegen die offensichtliche elterliche Gewalt gewähren kann. Dafür bitte ich die Frau Staatsanwältin um Erläuterung.«
»Gemäß Paragraf 8a des Sozialgesetzbuches SGB VIII besteht in solchen Fällen der Schutzauftrag bei Gefährdung des Kindeswohls«, zitiert Frau Dr. Cornelia Bach. »Hierfür sind in erster Linie die Jugendämter zuständig, die sich in akuten Fällen der Rückdeckung durch Anrufung des Jugendgerichts versichern. Wir haben bereits dem zuständigen Jugendamt den Aufenthaltsort von Amina El-Karim gemeldet. Die Behörde sagte zu, unverzüglich entsprechend tätig zu werden. Damit ist dieser Fall für uns vorerst geregelt und in die Hände der Sozialbehörde übergegangen. Dennoch bitte ich den Herrn Kriminaloberrat und seine Mitarbeiter der Bezirkskriminalinspektion sowie die Beamten aus Oldenmoor, weiterhin ein Auge auf die beteiligten Personen zu richten. Wir können aus Erfahrung in ähnlichen Fällen leider nicht ganz ausschließen, dass die aufgebrachten Verwandten auch weiterhin unbesonnen und unwirsch agieren. Hat noch jemand irgendwelche Fragen zu diesem Punkt?«
Polizeihauptkommissar Boie Hansen meldet sich zu Wort: »Mag ja für Sie juristisch alles gut sein und in trockenen Tüchern liegen, Frau Staatsanwältin. Das hilft mir und meinen Mitarbeitern in der Dienststelle jedoch wenig, denn der Vater, ein angesehener Bürger der Stadt, sowie die Brüder und Freunde belagern uns ständig mit Anfragen über den Verbleib des Mädchens. Gemäß Weisung des Herrn Doktor Kramer haben wir sie bisher stets an die Bezirkskriminaldirektion sowie an die Staatsanwaltschaft in Itzehoe verwiesen, aber es nützt nichts. Jeden Tag wird irgendjemand bei uns vorstellig und möchte etwas über Amina erfahren. Wir verspüren zudem eine zunehmende Animosität bei der muslimischen Bevölkerungsgruppe in unserer Stadt. Zwei Mal wurden bereits die Reifen eines unserer Streifenfahrzeuge in der Nacht direkt vor der Dienststelle zerstochen. Wir stellen sie deswegen jetzt nach Dienstschluss in extra angemieteten Garagen unter. Ich denke, dass die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Information an diese Leute herausgeben sollte, in der man ihnen glaubhaft versichert, dass das Mädchen nicht entführt wurde, sondern sich freiwillig zum Schutz vor ihrer Familie entfernt hat und an einer sicheren Stelle verweilt.«
Es folgt ein Moment der Stille. Walter Mohr bricht diese mit einer Anregung an Staatsanwalt Dr. Pepperkorn: »Herr Doktor, darf ich vorschlagen, dass Sie unseren Herrn Oberstaatsanwalt Harmsen darum ersuchen, eine entsprechende Presseerklärung zu veröffentlichen? Ich denke, dass dies das beste Rezept zur Beruhigung der aufgebrachten Seelen sein könnte. Haben wir vielleicht irgendwo in der Vermisstenakte ein Bild des Mädchens?«
Boie Hansen nickt: »Jawohl, Herr Erster Kriminalhauptkommissar. Der Vater hat uns ein Bild der Tochter übergeben, auf dem diese allerdings ein Kopftuch trägt. Gemäß Aussage eines Zeugen, ihres Klassenkameraden Jörg Ewers, hat sich das Mädchen jedoch anlässlich ihres Entrinnens dessen entledigt und es in seiner Wohnung zurückgelassen. Selbstverständlich haben wir diese Tatsache nur intern registriert und aus verständlichen Gründen die Familie nicht darüber informiert. Vielen Dank übrigens auch für Ihre Anregung. Ich glaube, die kommt uns sehr gut zupass!«
»Seien Sie so gut und mailen mir dieses Foto gleich morgen früh«, bittet Staatsanwalt Dr. Pepperkorn den Dienststellenleiter. »Ich halte den Vorschlag des Ersten Kriminalhauptkommissars ebenfalls für äußerst angebracht und werde mich sofort deswegen mit Oberstaatsanwalt Harmsen in Verbindung setzen. Ich hoffe, dass sich damit die aufgeregten Gemüter etwas besänftigen.«
»Wir kommen nun zum zweiten Punkt der Tagesordnung, den Doppelmord von Glückstadt«, verkündet Frau Dr. Bach. »Das Sonderermittlungsteam des LKA hat, wie Ihnen inzwischen wohl allen bekannt ist, die Ermittlungen in diesem bisher ungelösten Fall wieder aufgenommen. Ich gehe davon aus, dass Sie alle den ausführlichen Bericht von Frau Kriminalhauptkommissarin Nili Masal erhalten und ihn auch gelesen haben. Darf ich Sie nun bitten, uns weitere Details bekanntzugeben?«
Nili nickt der Staatsanwältin zu und geht an die moderne interaktive Displaytafel, die Ferdl Csmarits aus dem Büro mitgebracht und am Kopfende des Tisches aufgestellt hat.
»Ich danke Ihnen, Frau Staatsanwältin. Ich fasse noch einmal die neuesten Erkenntnisse unserer Ermittlungen zusammen und stelle anschließend die jeweils daraus zu entnehmenden noch offenen Fragen:
1. Der Renault Mégane, in dem die Leichen aufgefunden wurden. KK Robert Zander konnte inzwischen beim BAK in Flensburg anhand der ihm aus Bütgenbach in Belgien übermittelten Daten die Namen der beiden vormaligen Halter des Fahrzeugs in Deutschland ermitteln.«
Die Fotos der Genannten sowie ihre Verbindungsdaten werden auf der multimedialen Displaytafel gezeigt. Nili führt fort:
2. »Die Erstzulassung des Neuwagens erfolgte seitens der Renault-Vertretung Steinburg auf den Glückstädter Gastwirt Klaus Siebert, ein ortsbekannter Matjes-Hersteller. Dieser verkaufte ihn zwei Jahre später an Doktor Wilfried Heumann, Inhaber der Aeskulap-Apotheke, ebenfalls in Glückstadt. Der Apotheker besaß ihn bis zur Übereignung an die Kraftfahrzeugwerkstatt des Uwe Wilkens in Wewelsfleth, bei dem Doktor Heumann den Mégane anlässlich des Erwerbs eines anderen Fahrzeugs in Zahlung gab. Uwe Wilkens meldete ihn daraufhin zwecks Verschrottung endgültig ab und gab den Kraftfahrzeugbrief an die Anmeldestelle zurück. Meine Gedanken hierzu: Auffällig ist allerdings, dass Wilkens kurz darauf besagtes Fahrzeug in Begleitung des Marokkaners ibn-Seif selbst nach Belgien überführte und dort verkaufte. Woher stammt die Verbindung der beiden Männer? Welchen plausiblen Grund hat es dafür gegeben?
3. Der inzwischen übermittelte Bericht der Vermisstensuchstelle der Belgischen Kriminalpolizei, ›Opsporing Afdeling‹ genannt, besagt, dass der marokkanische Staatsbürger Muhammad ibn-Seif – der übrigens eine mehr als sechsjährige Haft wegen Banküberfalls und Schussverletzung eines Wachmannes verbüßte – seit etwa zwei Jahren von seinem angemeldeten Wohnort in Brüssel-Molenbeek unerlaubt und unbekannt verzogen sei. An der angegebenen Adresse wohne jetzt ein Neffe des Gesuchten namens Yusuf ibn-Seif, der erklärt, er habe seitdem keine Nachricht von seinem Onkel erhalten und vermute, dieser sei nach Marokko zurückgekehrt. Vorsichtshalber wurde auf Anraten von Inspecteur Lejoly eine europaweite Fahndung nach der Person des Muhammad ibn-Seif wegen des Verdachts auf widerrechtliche Übertretung der Asylbestimmungen eingeleitet. Die sich meinerseits daran anschließende Frage lautet: Dieser Mann muss auch in Wewelsfleth und oder in Glückstadt in Erscheinung getreten sein. Gegebenenfalls könnte er sich auch heute noch irgendwo in unserer Gegend aufhalten. Alle Kollegen werden gebeten, diesbezüglich in ihrem Wirkungsbereich nach ihm zu fahnden.
4. Wer entwendete den Renault Mégane vom Hof des Autohauses Stolzen in Bütgenbach und wie bzw. warum brachte der Dieb diesen mit gestohlenen belgischen Kennzeichen nach Glückstadt? Alles deutet bisher darauf hin, es könne besagter Mohammad ibn-Seif gewesen sein. Aber in wessen Auftrag? Kaum glaubhaft, er hätte es für sich selbst getan.
5. Wie erklärt sich die geringe Differenz der gefahrenen Kilometer auf dem Tacho des Renault: 196.208 vor dem Raub und nur 196.293 bei Auffinden des Fahrzeugs auf dem Parkplatz an der Glückstädter Elbfähre? Lediglich 95 Kilometer bei einer Entfernung zwischen Bütgenbach und Glückstadt von etwa 600 Kilometern?
6. Wie kam der Mégane über die Elbe? Warum wurden die Fährleute nicht befragt? Es gibt darüber keinen Vermerk in der Akte! Ich schlage deshalb eine erneute Befragung des Imbissbetreibers sowie der Kassierer auf den Fähren vor. Vermutlich ist das Fahrzeug – ebenso wie auf der Hinfahrt – auf einem Anhänger herübergebracht worden. Wo wurde ein solches Gespann eventuell gesehen? Derart viele Autos mit roten belgischen Kennzeichen fahren hier in der Gegend ja nicht herum. Also bitte, Kollegen, auch hier noch einmal herumfragen.
7. Nach wie vor fehlt ein eindeutiges Motiv für den Doppelmord. Weshalb vergewaltigte und erstach der Täter Saadet Bassir? Etwa ein sogenannter Ehrenmord? Dafür sprächen die an beiden Händen der Frau abgetrennten Finger, die gelegentlich solche Rituale beinhalten. Dies erscheint dennoch auf den zweiten Blick nicht unbedingt wahrscheinlich, denn sämtliche Familienmitglieder haben ein absolut lückenloses Alibi für die Tatzeit. Ebenso deutet die Vergewaltigung nicht auf unmittelbare Familienzugehörigkeit des Täters hin. Könnte es dennoch ein Auftragsmord gewesen sein? Zum Beispiel durch einen in Belgien engagierten Auftragskiller? Beachten Sie hierzu die Herkunft des gestohlenen Pkws mit belgischen Kennzeichen sowie sehr wahrscheinlich auch des Revolvers, mit dem der Lebensgefährte erschossen wurde.
8. Warum erschoss der Mörder anschließend den vorab sedierten Lebensgefährten der Toten, Uwe Wilkens, und deponierte die beiden Leichen gerade in diesem Fahrzeug? Sollte uns diese Inszenierung in die Irre führen?
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